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Krieg in der Ukraine: Für die Freiheit
KRIEG IN DER UKRAINE Für die Freiheit
Am vergangenen Freitag hat das Jugend- und Kulturzentrum UFO in Bruneck zur Benefizveranstaltung „Weltmusik für Ukraine“ geladen. Zwischen den musikalischen Darbietungen von TriOlé & Carovana Mediterranea schilderte der Ukrainer Taras Arefiev dabei eindrucksvoll die Situation in seiner Heimat und gab tiefe Einblicke in Land und Leute. Die PZ hat den 20jährigen Schüler bereits im Vorfeld zum Gespräch gebeten.
von Judith Steinmair
Ich treffe mich mit Taras im UFO, dort, wo ich in drei Tagen ein Interview vor Publikum mit ihm führen werde. Der sympathische junge Mann entschuldigt sich schon im Voraus für eine eventuelle kurze Verspätung, er müsse im Krankenhaus Bruneck noch als Übersetzer fungieren, am Tag vorher war er in derselben Funktion bereits im Friedensgericht tätig gewesen. Ein viel beschäftigter Schüler derzeit, der gebürtige Ukrainer, denn er hilft gerne wo er kann, auch, um sich zumindest ein wenig von der schrecklichen Realität in seiner Heimat, dort wo sich seine Familie und Freunde inmitten des Kriegsgeschehen befinden, abzulenken. Ein Gespräch über Ängste und Hoffnung, den Wunsch nach Freiheit und Neuanfang und über die Erkenntnis, welche Bedeutung helfen, geben und zusammenhalten haben kann…
PZ: Hörst du deine Familie regelmäßig?
Was besprecht Ihr da?
Taras Arefiev: Ja klar, ich telefoniere alle paar Tage abwechselnd mit Mama und Papa. Irgendwie hat sich der Krieg schon zu einer Art Routine für alle dort entwickelt. Wenn ich frage, wie es geht, dann höre ich als Antwort, ja, heute wurden wir wieder mal bombardiert… Schrecklich, das macht einfach Angst.
Wie gestaltet sich das tägliche Leben deiner Familie zurzeit?
Meine Eltern arbeiten, sie haben ja Mitarbeiter und versuchen, die Jobs so gut es geht aufrecht zu erhalten. Wir leben in einer Provinz, die fast ausschließlich vom Tourismus lebt und haben ein kleines Gasthaus mit Betten für eigentlich maximal 35 Personen. Zurzeit sind dort 50 Menschen einquartiert, die Zuflucht suchen und überall schlafen, wo es ein Plätzchen gibt, wie in der Sauna beispielsweise. Sogar ein Kind ist bei uns auf die Welt gekommen, es ist schon ziemlich verrückt alles momentan… Taras Arefiev, geboren 2002 in der Ukraine, Region Lemberg (westliche Ukraine, ungefähr 250 Kilometer von den Grenzen zu Polen und Ungarn entfernt), lebt seit 2017 bei seiner Großtante in Bruneck und besucht derzeit die Maturaklasse der Hotelfachschule Bruneck. Seine Familie, Mutter, Vater und Schwester leben in der Ukraine.
Und du hältst sich immer auf dem Laufenden, was sich gerade tut in deiner
Heimat?
Ich habe anfangs eigentlich nicht viele Nachrichten gelesen, das hat mich zu sehr belastet, mein Vater hat mir dann immer die Situation vor Ort geschildert. Ich habe mich sogar eine Zeit lang aus den sozialen Netzwerken ausgeklinkt. Auslöser dafür war die Tatsache, dass ein guter Freund von mir dem Krieg zum Opfer gefallen ist. Ich war zum Glück eh ziemlich beschäftigt und eingespannt, wenn man zu viel Zeit hat, dann durchforscht man ständig das Netz, das hat mich zu sehr aufgeregt, ich konnte nicht mehr einschlafen. Mittlerweile habe auch ich mich leider an den Krieg gewöhnt und schaue mir bisweilen dann doch Bilder und Nachrichten an.
Die Männer kämpfen, viele Frauen und
Kinder flüchten, so entnehmen wir das den Nachrichten – deckt sich das mit deinen Informationen, die du aus der
Heimat hast?
Das hängt davon ab, aus welcher Region die Menschen kommen. In meiner Region Lemberg flüchten eigentlich nur Frauen mit kleinen Kindern, der Großteil der Bevölkerung versucht einfach standhaft zu bleiben und zu helfen, wo Hilfe nötig ist. Essen kochen, Bekleidung herstellen beziehungsweise nähen, Tarnnetze basteln.
Tarnnetze?
Ja, Camouflage-Netze zur Deckung militärischer Maschinen. Die werden beispielsweise in den Schulen, in den Turnhallen, hergestellt. Die Menschen bringen grüne Kleidung vorbei, die wird dann zerschnitten und auf Fischernetze geknüpft.
Auch in der Ukraine selbst sind
Solidarität und gegenseitige Hilfe voll im Gang…
Jede/r will kämpfen, jede/r versucht zu helfen, es gibt einen enormen Zusammenhalt. Viele Menschen haben ja auch seit mittlerweile acht Jahren mit Hilfeleistungen Erfahrung, sprich was man braucht, wie man es organisiert, denn es gab immer wieder Krisensituationen und Probleme mit Russland. Erinnern wir uns an das Jahr 2014 und die Maidan-Revolution. Und vergessen wir nicht die Krim-Annexion durch Russland. Wir konnten uns damals nicht wehren, da die ukrainische Armee zu schwach war und sich unser Land inmitten einer Revolution befand. Und dann gab es ja auch inoffizielle Angriffe von Russland im Namen der prorussischen Separatisten auf zwei Regionen. (Anm. der Redaktion zum Maidan-Aufstand, auch „Revolution der Würde“ genannt: Die
Proteste hatten im November 2013 zunächst friedlich begonnen, doch Präsident Viktor Janukowitsch ließ Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgehen. Der Protest radikalisierte sich und eskalierte um den 20. Februar 2014. Mehr als 100 Menschen, darunter auch Polizisten, wurden schlussendlich getötet.)
Worauf hofft die Ukraine? Frieden in erster Linie, nehme ich an?
Gewinnen! Natürlich wollten wir zunächst einfach in Frieden leben. Aber man muss sich unsere Geschichte vor Augen führen. Seit über 500 Jahren ist die Ukraine immer wieder enormen russischem Druck ausgesetzt, ein ewiges Hin- und Her zwischen Versprechen, Unterdrückung und Eroberungen. Wir aber wollten immer frei sein! Eigentlich ist in unserem Wappen ja das Wort „Freiheit“ schriftlich verankert: Ein goldener Dreizack auf blauem Wappenschild, auf Ukrainisch Тризуб, Trysub, man kann also die Buchstaben В О Л Я lesen, ukrainisch Wolja für Freiheit. Im Internet kursiert dazu eine Art Witz: Unser Wappen zeigt eine „Gabel“, das russische hingegen ein „Huhn“ (einen Doppeladler, Anm. der Redaktion), Gabel sticht Huhn, es ist also wohl offensichtlich, wer hier über wen siegt…
Den Humor habt Ihr also nicht ganz verloren…
Humor ist wichtig, gerade in schwierigen Zeiten!
Ihr strebt also deiner Meinung nach eigentlich nicht Friedensverhandlungen an?
Manche natürlich schon, aber der Großteil des Volks will gewinnen, denn ansonsten wird sich nichts ändern, nicht wenn Putin an der Macht bleibt. Immer wieder sind wir unterdrückt worden. Unter der Sowjetunion wurde die Geschichte der Ukraine umgeschrieben, Namen sprachlich geändert. Beispielsweise ist der Name unserer Hauptstadt „Kiew“ russisch, auf Ukrainisch heißt sie richtig „Kyiv“. Traditionen wurden verboten, Künstler*innen verfolgt und ermordet, eine Zeit lang wurde die ukrainische Sprache in der Schule zunächst in der ganzen Ukraine, später immer noch in bestimmten Regionen nicht gelehrt, selbst die Ausübung der Religion in den Kirchen war untersagt – die Südtiroler kennen so eine Situation ja auch irgendwie aus der Zeit des Faschismus. Und das alles würde sich wiederholen, und das will niemand.
Und das Zusammenleben und Verhältnis mit/zu den in der Ukraine lebenden Russen?
Na ja, so viele gibt es ja nicht, und bisher herrschte gewissermaßen eine gezwungene Koexistenz. Künftig wird das wohl schwierig
Ukrainisches Wappen
werden. Um sich den Respekt der Ukrainer zu verdienen, müssen sich die Russen klar positionieren, gegen das Regime und gegen den Krieg protestieren, wer das nicht macht, ist schlussendlich nur ein Sklave.
Wer sich derzeit in Russland gegen Putin auflehnt, muss natürlich mit entsprechenden Konsequenzen rechnen – auch nicht leicht…
Klar, aber das war auch bei uns im Jahre 2014 so. Gefahren gibt es immer im Leben, aber für gewisse Dingen lohnt es sich zu kämpfen. Ich bitte Sie, wenn heute in Russland 1.000 Menschen auf den Platz gehen, um zu protestieren – von 150 Millionen (!) Einwohnern - was soll das bringen? Bei uns waren eine Million Bürger*innen auf der Straße, täglich, eine Woche lang… Der schwache Protest in Russland lässt uns Ukrainer also, ehrlich gesagt, nur müde lächeln.
Der Krieg hat uns als Europäer (und natürlich auch darüber hinaus) sehr bestürzt – kommt das bei den
Ukrainern an? Was erwartet sich die
Ukraine, deiner Meinung nach, von
Europa?
Durch Gespräche mit meiner Familie und Freunden würde ich sagen, als offizielles Mitglied in die EU aufgenommen zu werden. Dann steht die Ukraine nach dem Krieg auch nicht alleine dar, sondern mit Möglichkeiten, die Wirtschaft in der Ukraine wieder neu aufzubauen. Etwas Gutes hat die ganze Katastrophe ja dennoch mit sich gebracht, waren früher West- und Ostukraine nicht wirklich homogen, so sind wir jetzt zu einem echten Volk zusammengewachsen. Und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Ihr seid optimistisch was einen Wiederaufbau nach dem Krieg mit seiner ganzen Zerstörungskraft betrifft?
Ja natürlich, es gab schon Investoren vorher, und die werden nach Kriegsende zurückkommen und neue hoffentlich auch Interesse bekunden. Dann können wir in Zu-

Russisches Wappen
kunft auf eine florierende Industrie setzen, auf den Tourismus sowieso. Die Ukraine ist ja ein wunderschönes Land. Ich hoffe, in ein paar Jahren machen dann auch Südtiroler bei uns Urlaub…
Leider sieht man von Eurem wunderschönen Land momentan quasi nur Bilder von zerbombten Häusern…
Ja, leider, schrecklich. Ich hatte mir schon eingeplant Mariupol zu besuchen, weil dort ein neuer Platz mit einem innovativen künstlerischen Beleuchtungskonzept Furore gemacht hat – jetzt stehen dort nur mehr Ruinen. Ich kann mir die Bilder gar nicht anschauen…
Als dieser Kriegswahnsinn angefangen hat, haben viele Menschen und
Organisationen relativ prompt reagiert und Hilfsaktionen für die Ukraine gestartet. Auch hier bei uns in
Südtirol, und auch du mit einigen
Freunden, oder?
Ins Leben gerufen hat die Brunecker Sammelaktion zunächst Elizabeth Faltynska, ich habe geholfen ein Lager zu finden und dann vor Ort Hand angelegt. Was sich aus dem ursprünglichen Aufruf auf Facebook dann entwickelt hat, war unglaublich. So viele Menschen, die Güter vorbeigebracht haben, so viele Menschen, die ganz spontan mitgeholfen haben… Ich kann einfach nur DANKE sagen (s. auch kurzen Erfahrungsbericht von Hannes Niederkofler). Das gilt auch für alle anderen Aktionen, wie die Benefizveranstaltungen im Brunecker Stadttheater und im UFO, das ist einfach toll! Oder die schnelle Hilfeleistung vom Bürgermeister von St. Lorenzen, Martin Ausserdorfer, der als Erster Unterkünfte für Flüchtlinge organisiert hat. Das hat mich schon überrascht und auch beeindruckt, wie groß und gut durchorganisiert die Solidarität hier ist. Fantastisch! Ich hatte bisher nie verstanden, wie man freiwillig und selbstlos fremden Menschen helfen kann. Jetzt kenne ich den Grund: Helfen gibt dir einfach ein gutes Gefühl! >>
HANNES NIEDERKOFLER, BRUNECKER STADTRAT, in Bezug auf seine ganz persönliche Erfahrung im Rahmen der Hilfsaktion „Bruneck sammelt“:
Los ging es am 1. März mit der großen Hilfsaktion für die Ukraine auf Initiative von Elzabetha Faltynska und Taras Arefiev. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Sammlung in St. Georgen organisiert, eine Familie hat uns dort deren Lager zur Verfügung gestellt. Das was wir dann erlebt haben, war einfach Wahnsinn. Um 12 Uhr haben wir die Aktion publik gemacht, um 14 Uhr das Lager geöffnet, um 16 Uhr waren schon Staus, weil so viele Autos mit Ware gekommen sind. Weil dann so viele Waren dort waren, waren wir zu wenige, die sortieren konnten. Eine SMS an 15 Leute hat gereicht, und innerhalb einer halben Stunde hatten wir dann 15 Helfer. Teilweise haben die Menschen, die Ware bringen wollten, ihr Auto geparkt und sind drei Stunden geblieben, um Decken zu stapeln oder Kartone zusammenzustellen. Also was mich beeindruckt hat, war einfach diese schnelle und bedingungslose Hilfe von allen Seiten. Wir haben z.B.

Stadtrat Hannes Niederkofler (Bruneck)
Kartone gebraucht, damit wir die Sachen besser verpacken konnten. Keine 60 Minuten später haben die Betriebe aus der Handwerkerzone 40 Kartone gebracht. Am nächsten Tag hat uns ein Industriebetrieb aus Bruneck, ohne ein Wort zu sagen, hochwertige neue Kartone auf Paletten vor die Tür gestellt. Solche Episoden mögen einzeln banal klingen, waren aber einfach schön. Bereits in der ersten Nacht ist ein erster Transporter in die Ukraine aufgebrochen, am zweiten Tag der zweite. Am Donnerstag, 4. März, haben wir dann einen ganzen Sattelschlepper voll an Hilfsgütern geschickt. Die Aktion läuft jetzt immer noch, und von allen Seiten kommt Hilfe. Ein Beispiel: Medikamente sind unglaublich gefragt, die Apotheken und die Hausärzte aus dem Raum Pustertal haben dann einfach mal schnell um mindestens 10.000 Euro Medikamente spendiert. Ohne dass sie jemand gebettelt hat, einfach herwärts kommen Anrufe und wir können solche Ware holen. Einfach schöne Episoden… der Mensch ist dann doch nicht so egoistisch, wie man oft befürchtet. //
GAIS
DIE INTERAKTIVE BUCHPRÄSENTATION
Im Rücken sind alle Erlebnisse gespeichert. Daher verlieren manche ihr Rückgrat, bei anderen ist es verbogen, einige haben ein starkes Rückgrat. Aufgerichtet und Aufrichtigkeit hängen nicht nur sprachlich eng zusammen. Am siebten April wird um 19 Uhr in der Bibliothek von Gais im Pfarrheim ein besonderes Buch rund um das Thema „Rücken-Aufrecht-Aufrichtigkeit“ von Petra Gamper vorgestellt.
Petra Gamper hat ein neues Buch geschrieben. Einen Ratgeber, der mit mehr als 120 Übungen sowie Tipps eine konkrete Hilfestellung bietet, um den Rückenleiden zu Leibe zu rücken oder aktiv vorzubeugen. Im Buch geht es aber nicht nur um physische Übungen, sondern auch um psychische, mentale und emotionale Aspekte. Mehr dann bei der interaktiven Buchpräsentation. Denn Gamper will keine übliche Lesung, sondern die Menschen in „Das Geheimnis des Rückens“ einweihen. Petra Gamper ist ausgebildete Kommunikations-, Haltungs- und Mentaltrainerin, langjährige Seminarleiterin und Coach. Sie hat mehrere Abhandlungen verfasst. // rewe
