VINSCHGER THEMA
„Die Kultur ist das letzte Rad in der Gesellschaft … …und die kulturellen Amateurvereine sind das allerletzte Reserverad“ NATURNS/VINSCHGAU - „Der Kulturkampf“ wurde im 19. Jahrhundert ausgetragen und es ging um mehr Einfluss des Staates auf die katholische Kirche. Im Kulturkampf unserer Tage geht es um‘s Überleben aller Kulturbereiche und um einen neuen Stellenwert von Kultur. Im Ringen um das Musizieren in Gemeinschaft ließ „Der Vinschger“ den Bezirkskapellmeister Dietmar Rainer und stellvertretend für die Musikkapellen im Vinschgau die junge Obfrau der Bürgerkapelle Latsch, Anna Pedross, zu Wort kommen. Dietmar Rainer klang nicht sehr optimistisch, als er für den der Vinschger auf die Auswirkungen der Covid-Pandemie in der Vinschger Musiklandschaft zurückblickte. Auch eine gewichtige Portion Ärger schwang mit. Als Bezirkskapellmeister im Musikbezirk Schlanders seit 2016, Vorstandsmitglied im Bezirk Schlanders des Verbandes Südtiroler Musikkapellen seit 2010 und seit damals auch Kapellmeister der Musikkapelle Naturns stellte er fest, dass für Illusionen inzwischen kein Platz mehr sei. Seit einem Jahr hätten seine Schüler keine öffentlichen Auftritte in der Jugendkapelle. Diesen Nachwuchs weiterhin zu motivieren und für die Kapelle zu erhalten, werde zur größten Herausforderung der Zukunft.
davor mussten unter anderen schon die Bürgerkapellen von Schlanders und Latsch ihre Konzerte kurzfristig absagen, außerdem waren die Schulen bereits geschlossen. Meine Dirigierschüler hatten sich gründlich auf eine Probe mit der Musikkapelle Mals als Übungskapelle vorbereitet, die Malser waren mitten in der Vorbereitung auf eine Konzertwertung im Allgäu, auch diese Probe - naturgemäß ebenso das Wertungsspiel - musste abgesagt werden. Ich und die meisten meiner Kollegen waren blauäugig genug, damit zu rechnen, dass die Auftritte irgendwann im April/ Mai nachgeholt werden könnten. Wer hätte geahnt, dass uns diese Katastrophe jetzt - ein Jahr später - noch umfassend beschäftigt. Sie haben dann wie lange ab März 2020 nicht mehr geprobt und wie wurden die Lockerungen im Sommer genützt?
Sobald die ersten Lockerungen eingetreten sind, haben sehr viele Kapellen die Chance genutzt, im Rahmen der Möglichkeiten eine Aktivität zu starten. Die Rahmenbedingungen waren und sind in jedem Ort und jedem Verein divergent. Man denke an die unterschiedlichen Gegebenheiten in Bezug auf die Größe des Probelokals, die klimatischen Bedingungen im Hinblick auf die Proben und Auftritte im Freien der Vinschger: Wann wurde das Virus usw. In Naturns haben wir uns ziemlich das erste Mal Thema bei Ihnen in bald während des ersten Lockdowns für Naturns? Was hatten Sie gerade vor- ein Programm ohne Publikum entschieden, bereitet oder geplant? nämlich eine Videoproduktion mit verDIETMAR RAINER: Das weiß ich noch sehr schiedenen Ensembles an schönen Plätzen genau! Wir waren mitten in einer außer- in und um Naturns. Das war für die musikagewöhnlich motivierten Probenphase auf lische und soziale Entwicklung des Vereines das Frühjahrskonzert im April und die enorm wichtig. Andere Kapellen konnten Konzertwertung im Mai 2020. Wir hatten die kurzfristigen Sommerlockerungen für sehr produktive Gesamtproben hinter uns Abendkonzerte und dergleichen nutzen, und bei einer der letzten Registerproben am leider hatten nicht alle die Möglichkeit 9. März war plötzlich klar, dass diese Probe für eine musikalische Aktivität aufgrund keinen Sinn mehr haben würde. Einige Tage widriger Voraussetzungen.
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DER VINSCHGER 11-12/21
Gegen Jahresende begann das Virus wieder zu wüten. An das Neujahrsspielen in den Dörfern war nicht mehr zu denken. Haben die entgangenen Spenden bei Ihnen in Naturns sehr zu Buche geschlagen?
Der erneute Lockdown im November war für mich und viele meiner Kollegen viel dramatischer als der erste. Mit der Musikkapelle Naturns habe ich zum Beispiel ein sakrales Konzertprogramm für das erste Adventwochenende geplant, sogar mit Live-Stream, für den Fall, dass kein oder nur eingeschränkt Publikum ins Konzert kommen darf. Die technischen Voraussetzungen waren abgeklärt, die ersten Registerproben mit hoch motivierten Musikant*innen schon absolviert. Drei Tage vor der ersten Gesamtprobe kam dann das abrupte Ende. Das war auch der Moment, an dem sich zum ersten Mal Mitglieder Sorgen um die eigene Gesundheit machten. Trotz penibel eingehaltener Sicherheitsprotokolle bei den Proben, fühlten sich nicht mehr ausnahmslos alle wohl und in erster Linie ältere Musikanten wollten lieber abwarten, was sich dann per se erledigt hat. In der Advent- und Weihnachtszeit wurden als „Zuckerle“ für die geplagten Seelen der Menschen kleinste Bläsergruppen zugelassen. Vielleicht konnte die Sehnsucht nach weihnachtlichen Klischees mit Christbaum und Bläsermusik und der Traum von etwas Normalität damit kurzfristig gestillt werden. Aus musikalischer Sicht ein schwieriges Unterfangen, nach so vielen Monaten der Untätigkeit. Der schöne Brauch des Neujahr-Anspielens musste ausfallen, an ein „von Haus zu Haus gehen“ war verständlicherweise nicht zu denken. Abgesehen von der Pflege der Tradition und der Kameradschaft, sowie dem Kontakt zur Dorfbevölkerung ist anzunehmen, dass den Vereinen dadurch auch ein beträchtlicher, finanzieller Schaden entstanden ist.