VINSCHGER GESELLSCHAFT
Brücken bauen Pfarrer Georg Johann Martin im Interview PRAD - 12 Jahre lang hat Georg Johann Martin in der Gemeinde Prad als Pfarrer gewirkt. Seit dem 1. September ist der gebürtige Kastelbeller Dekan des Dekanates Klausen-Kastelruth. Für den der Vinschger war Georg Johann Martin fast 12 Jahre lang für die Rubrik „A Pillele fir di Seal“ zuständig. Im folgenden Interview spricht er über seine Arbeit in der Gemeinde Prad, seine neue Herausforderung, den Priestermangel, über die Kirche, die Marienerscheinungen in Prad, die Bedeutung des Betens, das Zölibat und weitere Themen.
neue Wege sucht und auch geht. Als Beispiel dafür kann ich etwa die Anbetungswoche, die Bittgänge, die Bibelrunden, die Drei-Kirchen-Wallfahrt, die Friedhöfewallfahrt, die Fastenfreitage nennen, die ich vor Jahren eingeführt bzw. umgestaltet habe. Es kommt aber leider auch vor, dass sich Menschen gegen neue Formen wehren.
Wie gehen Sie mit solchen Leuten um? Ich versuche, auf sie zuzugehen und sie zur Mitarbeit zu motivieren. Je höher die Zahl der Mitarbeitenden ist, umso weniger Kritiker und der Vinschger: Was ist der Nörgler gibt es. Manche sagen, dass stärkste Eindruck, den Sie von der ein Priester eigentlich nicht viel zu tun hat: „Er zelebriert die Messe und Gemeinde Prad mitnehmen? Georg Johann Martin: Das Ver- hat seine Arbeit damit schon getan.“ trauen der Leute, das sie mir entgegengebracht haben. Und die Stütze Ist dem nicht so? und Mithilfe der vielen Freiwilligen Ganz und gar nicht. Viele wissen in den Pfarreien. Ohne Freiwillige überhaupt nicht, wieviel Arbeit zugeht es nicht. Am Anfang meiner sätzlich zur eigentlichen SeelsorTätigkeit war alles neu und ich stand ge anfällt. Ich denke etwa an die wie ein Ochs vor dem Berg. Mit der unzähligen Einzelgespräche, die Zeit aber ist viel Positives gewach- Bürokratie, die Verwaltungsarbeit sen. Aus vielen Begegnungen und und viele weitere Arbeiten, die getan Gesprächen entstand gegenseitiges werden müssen. Auch der Haushalt kommt oft dazu, sprich Kochen, Vertrauen. Waschen usw., was ich übrigens Was werden Sie am meisten auch gerne tue. vermissen? Viele liebe Leute. Besteht da nicht die Gefahr, dass man sich in solchen Arbeiten Es ist Ihnen gelungen, mit Ihrer nicht verrennt und die eigentliche Aufgabe immer konventionellen Art vor allem als Priester in den Hintergrund gerät? auch junge Menschen anzusprechen. Die vielleicht wichtigste Aufgabe eines Priesters sehe in der persön Wo liegt das Geheimnis dafür? Der Inhalt der Botschaften, die wir lichen Freundschaft zu Jesus Chrisals Priester vermitteln, ist immer tus und zweitens im Bau von Brüderselbe und soll es auch bleiben. cken. Brücken zwischen Menschen Es sind die Formen, die wir verstärkt und Brücken zwischen Menschen ändern sollten. Wenn jemand stän- und Gott. Vieles, was zusätzlich auf dig nur alte Texte vorliest, wird er auf uns Pfarrer zukommt, sollten wir wenig Verständnis stoßen. Wenn es abgeben. Gerade hier zeigt sich, wie aber gelingt, den Inhalt in anderen wichtig die Mitarbeit von Laien und Formen an die Menschen zu bringen, Freiwilligen ist. Der Pfarrer sollte hören einem diese plötzlich zu und sich auf die wesentlichen Aufgaverstehen, worum es eigentlich geht. ben konzentrieren. Er soll zuhören, Begegnungen und Gespräche suWie sehen solche neuen Formen chen, Kranke salben, Sterbenden beistehen. Alle Christen sind aufaus? Sie können sich zum Beispiel in der gerufen, Brücken zu bauen. Der Musik äußern, in der Art, wie man derzeitige Papst Franziskus ist ein Botschaften sprachlich vermittelt, außergewöhnlich großer Pontifex, oder dadurch, dass man ganz einfach also Brückenbauer.
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DER VINSCHGER 29/17
werden und so auch die Gemeinschaft erstarkt. Die Pfarreien werden landauf landab zu immer größeren Seelsorgeeinheiten zusammengeführt. Wie schätzen Sie diese Entwicklung im Vinschgau ein? Es kann leicht dazu kommen, dass es im Vinschgau in 10 bis 15 Jahren nur mehr 3, oder gar nur mehr einen Seelesorgebezirk gibt. Dann werden der zuständige Pfarrer bzw. 2 bis 3 Geistliche von der Töll bis zum Reschen auf- und abfahren müssen. Werden Priester nicht auch oft überfordert? Auch wir Pfarrer sind nur Menschen. Es schadet nicht, wenn man zum Beispiel einmal ein Glas zu viel erwischt. Überzeugt bin ich auch, dass es notwendig ist, sich selbst zu schützen und zu trennen. Trennen zwischen Menschen, die es gut mit einem meinen, und solchen, die einen nur „aussaugen“. Was ebenfalls gut tut, ist das private Zusammensein unter Pfarrern. Es ist schön, wenn man sich unter Kollegen treffen und zwanglos austauschen kann. Sehr wohltuend sind Herzensfreundschaften und ein guter Halt zu Hause.
Was gibt Ihnen Kraft, wenn Sie schlecht drauf sind? Was immer hilft, ist das Gebet. Früher habe ich oft geschimpft und heimlich geflucht, aber das führt zu nichts. Damit vergiftet man nur sich selbst. Dasselbe gilt auch für den Umgang mit den Mitmenschen. Wir sollten nicht übereinander schimpfen und uns gegenseitig kritisieren, sondern beten und uns gegenseitig segnen. Alle dürfen s egnen, nicht nur die Priester.
Als Sie am 15. August von den Pfarreien Prad-Agums und Lichtenberg als Pfarrer verabschiedet wurden, fiel u.a. eine außergewöhnlich große Zahl an Ministranten auf. Was halten Sie vom Vorschlag, Der Ministrantendienst ist für Buben und Mädchen eine gute Gelegenheit, verheiratete Diakone zu Priestern zu dem Glauben, dem Christsein und weihen? Ich bin dafür. Auch Frauen sollten der Kirche näher zu kommen. In den meiner Meinung nach zu Priesterin- Pfarreien Prad und Lichtenberg gibt es zum Glück und dank engagierter nen geweiht werden können. Eltern sehr viele Ministrantinnen Das Problem des Priestermangels ist und Ministranten. Für die meiseines der Hauptprobleme der Kirche. ten gilt es als cool, diesen Dienst versehen zu dürfen. Leider gibt es Gibt es ein Patentrezept für die aber auch Eltern, die ihre Kinder Lösung dieses Problems? Nein, das gibt es nicht. Ich persön- überhaupt nicht oder nur selten lich habe zu diesem Thema eine ministrieren lassen. Einstellung, die wohl vielen nicht gefällt, von der ich aber überzeugt Für einigen Wirbel in der Gemeinde bin. Wenn sich die Priester auf ihre Prad, aber auch in Medien sorgten ureigenen Aufgaben besinnen und vor einigen Jahren angebliche ihnen aller unnötige Ballast ab- Marien-Erscheinungen, die sich im genommen wird, gibt es nicht zu Kiefernwald in der „Kultur“ zugewenige, sondern zu viele Priester. Es tragen haben sollen. Noch heute wäre zum Beispiel sinn- und auch pilgern regelmäßig Menschen zum wertvoller, weniger Gottesdienste vermeintlichen Erscheinungsort. zu feiern, diese aber so zu gestalten, Ich persönlich bin diesem Phänodass mehrere Pfarreien eingebunden men von Anfang an mit Skepsis