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Termin beim Chef

Mercedes-Benz AG

Michael Frieß ist Leiter der Produktion und Standortverantwortlicher im Mercedes-Benz-Werk in Bremen.

Energischen Schrittes kommt Michael Frieß in den schlichten Konferenzraum, freundliches Lächeln, knackige Faust-an-Faust-Begrüßung. Kaum dass der deutlich jünger wirkende 55-Jährige Platz genommen hat, sprudelt es aus dem Werksleiter heraus: „Bremen pflegt eine weltoffene Atmosphäre, Mercedes-Benz tut das auch und deshalb passen Bremen und Mercedes sehr gut zusammen.“ Das dachten sich vor bald 50 Jahren schon zwei andere Macher aus der ersten Reihe: Werner Niefer, in den Siebzigern Mercedes-Vorstand und Produktionsleiter, ab 1989 dann Vorstandsvorsitzender. Und Hans Koschnick, legendärer Bremer Bürgermeister zwischen 1967 und 1985. Die große Borgward-Tradition, bescheidener von Hanomag mit Lastwagen am gleichen Standort in Bremen Sebaldsbrück fortgeführt und schließlich mit dem T-Modell auf ein Pkw-Werk umgestellt, erschien Niefer als gute Grundlage, um den Standort auszubauen. Sindelfingen war für den erfolgreichen Konzern zu eng geworden. Und Koschnick zählte zu jenen Politikern, die Arbeitsplätze nicht nur pflegten, sondern sich auch um neue Beschäftigung kümmerten. „Die Chemie zwischen den beiden stimmte und was sie zunächst nur mit einem Handschlag besiegelt hatten, wurde wenig später Realität: mit dem 190er, dem Baby-Benz“, weiß Frieß über diese Jahre des Aufbruchs zu berichten. Der gebürtige Memminger besuchte in jenem Jahrzehnt noch ein Gymnasium im bayrischen Schwaben, war aber schon „Auto-minded“. Während des Studiums von Maschinenbau und Fertigungstechnik an der TU München sowie Wirtschaftsingenieurwesen an der RWTH Aachen testete er seine Leidenschaft mit einem Praktikum bei BMW – und entschied sich dann nach Studienabschluss für Mercedes. Die für ihn „sympathischere Marke“, so Frieß, schickte den jungen Ingenieur im Traineeprogramm „Internationale Nachwuchsgruppe“ um die Welt: von der Kasseler Nutzfahrzeugfabrik über das US-Werk für SUVs in Tuscaloosa/Alabama nach Stuttgart ins Product Controlling – und schließlich nach Bremen, wo er 1995 als Assistent der damaligen Werksleitung einstieg. „Seitdem bin ich Wahl-Bremer“, sagt der verheiratete Vater zweier Kinder, dem man die sympathisch-rollende Sprachfarbe aus dem Süden immer noch etwas anhört.

Michael Frieß im Gespräch mit einem erfahrenen Mercedes-Mitarbeiter

Michael Frieß im Gespräch mit einem erfahrenen Mercedes-Mitarbeiter

Christian Augustin

An der Weser konnte er dann das tun, was Frieß ganz besonders am Autobau schätzt: 1999 avancierte er zum Teamleiter in der C-Klasse-Montage, die auch heute noch dort angesiedelt ist. „Den Prozess des Anfahrens einer neuen Modellreihe wasserdicht zu planen und perfekt hochzufahren – für einen Automobilisten gibt es nichts Spannenderes“, schwärmt Frieß, die Augen hinter den Brillengläsern blitzen. Dutzende von C-Klassen, GLC, E-Klasse- Coupés und Cabrios der Mercedes- Reihen haben sie in den letzten Jahrzehnten in Sebaldsbrück erfolgreich „an den Start gebracht“.

„Mercedes, das heißt maximales Qualitätsversprechen.“

Mit bis zu 400.000 Fahrzeugen pro Jahr lag Bremen regelmäßig in der Spitzengruppe der zehn weltweiten Werke der Marke unter dem Stern. Nur im vergangenen Jahr war diese Anzahl nicht zu erreichen, es wurden gerade gut 215.000: „Auch uns hat der internationale Chipmangel 2021 getroffen: Im vergangenen Jahr mussten wir mehrmals die Fahrweise im Werk anpassen und die Produktion aussetzen“, berichtet Frieß mit ernster Miene. Die Herausforderung war umso größer, weil in Bremen gerade die Mercedes- Zukunft Realität wird: Als erstes vollelektrisches Fahrzeug aus Großserienproduktion läuft hier seit 2019 der EQC vom Band, mit zwei E-Motoren und 80 KWh Akkuleistung sollen bis zu 450 Kilometer Reichweite drin sein. Und mit dem „neuesten Baby“, so Frieß, dem EQE, setzen sie in Sebaldsbrück die Traditionslimousine der oberen Mittelklasse erfolgreich unter Strom – besonders zukunftsweisende Fahrzeuge, von deren Erfolg für Mercedes sehr viel abhängt. Die fortschreitende Digitalisierung, besonders ausgeprägt bei vollelektrischen Fahrzeugen, mag bei Chipmangel ein Fluch sein. Für den Prozess der Entwicklung und beginnenden Produktion ist sie ein Segen: „Früher mussten wir während der Entwicklung eines neuen Modells alles in Hardware vor uns haben, um es in den Produktionsabläufen zu überprüfen. Heute können Sie den Wagen komplett im CAD (Computer Aided Design, d. Red.) darstellen und das Montagelayout checken, das spart uns sehr viel Zeit“, schwärmt Frieß. Und trotzdem müssen neue Modelle am Ende noch am Polarkreis bei Minustemperaturen ihre Runden drehen, „weil sich gewisse Kälte- und Extremfahrsituationen immer noch nicht hundertprozentig digital nachstellen lassen“, weiß der Werksleiter. „Mercedes, das heißt maximales Qualitätsversprechen“, setzt Frieß nach. Das sei der Markenkern der Fahrzeuge mit dem Stern, deshalb brauche es weitestgehende Perfektion durch hervorragende Prozesse.

„Unser Ziel als Unternehmen ist es, dass wir bis 2030 überall dort, wo der Markt es zulässt, unsere Modellpalette elektrifiziert anbieten.“

„Und dafür sind hochengagierte Mitarbeiter unentbehrlich, die bereit sind, immer wieder die letzte Extrameile zu gehen und in jedes Detail zu schauen, um auch die allerletzte Kleinigkeit zu regeln.“ 12.000 Frauen und Männer „schaffen beim Mercedes“, zitiert der Werkschef lächelnd eine schwäbische Redewendung, meint damit aber die Bremer Belegschaft. Seit Langem ist die Fabrik der größte private Arbeitgeber in der Region, auch dank der attraktiven Flächentarifverträge, die NORDMETALL mit der Gewerkschaft immer wieder aushandelt, sind die Arbeitsplätze beliebt. Mehrere tausend Menschen arbeiten im Großraum der Hansestadt überdies in Zulieferbetrieben. Die Zukunft des Automobilstandortes Bremen im Allgemeinen und des Mercedes-Werks im Besonderen sieht Michael Frieß auch im Jahrzehnt des Strukturwandels gesichert: „Unser Ziel als Unternehmen ist es, dass wir bis 2030 überall dort, wo der Markt es zulässt, unsere Modellpalette elektrifiziert anbieten. Dank unserer großen Flexibilität sind wir für unseren Job bestens gerüstet, Top-Fahrzeuge herzustellen“, ist sich der Werkschef sicher. 5.500 Mitarbeiter in der Montage hätten die „Hochvolt-Schulung“ erhalten, die für die Arbeit an Batteriegetriebenen Fahrzeugen unabdingbar sei. Und nur wenige hätten echte Umschulung gebraucht, um künftig Elektro- statt Verbrennermotoren installieren zu können. Bei den Autokunden, die noch mit den Reichweiten eines Stromers hadern, sieht Frieß einen Mentalitätswechsel voraus: „Mobilität findet heute längst viel differenzierter statt. Und der Trend wird sich fortsetzen, wenn alle Verkehrsmittel durch immer weitere technische Innovationen immer attraktiver werden.“ Privat fährt Michael Frieß ein E-Klasse-T-Modell, einen schneeweißen Hybrid. Wenn es seine 50- bis 60-Stundenwoche im Werk zulässt und er auch seine Arbeit als ehrenamtlicher NORDMETALL- Vorstand erledigt hat, dann wird der Edel-Kombi zum Lastesel: „Ich bastele gern mit Holz, im Winter im Keller, im Sommer im Garten, da ist der Wagen ein perfekter Partner“, schwärmt der Hobby-Heimwerker. Der Mann, der uns die neuen Stromer-Karossen mit dem Stern liefert, er steht immer etwas unter Strom.

Alexander Luckow

Mercedes-Benz AG – Werk Bremen

Mercedes-Benz AG – Werk Bremen

Einige Jahre lang baute kein Werk der damaligen Daimler AG mehr Autos, als das bremische, mittlerweile liegt das Werk Peking an der Spitze. Stolz sind sie in Bremen dennoch wie eh und je: Etwa weil sie gerade auch die Produktion des neuen SL-Luxus-Roadsters hochfahren, der von Autoenthusiasten lange erwartet worden ist.