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Verband

Es ist wieder Krieg in Europa

Der Überfall auf die Ukraine macht die norddeutschen Metall- und Elektroarbeitgeberinnen und -arbeitgeber nicht nur betroffen. Er betrifft sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch direkt.

Wenig deutet Anfang April, zum Radaktionsschluss dieses Heftes, leider darauf hin, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine ein rasches Ende findet. Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in Deutschland und unter ihnen auch die norddeutschen Metall- und Elektro-Unternehmen haben sich eindeutig gegen diesen Krieg gestellt. Sie rufen in ihren Reihen und darüber hinaus zur Hilfe für die leidenden Ukrainerinnen und Ukrainer auf. NORDMETALL und der AGV NORD haben unter ihrem gemeinsamen Dach MEiN Arbeitgeberverband die Initiative „MEiN hilft“ ins Leben gerufen. Hier werden Unternehmen zur Abgabe von Sachspenden aufgerufen, in enger Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Arbeitgeberverband, um sachgerechte Unterstützung zu ermöglichen. Und die M+E-Unternehmen im Norden tun noch mehr. Deutschlandweit informiert die Arbeitgeberinitiative #WirtschaftHilft auf der Website www.WirtschaftHilft.info über bedarfsgerechtes Spenden, über die organisatorische Abwicklung inklusive Kontaktmöglichkeiten auch zu ukrainischen Unternehmen und bietet einen Überblick zu möglichen Empfängerorganisationen. NORDMETALL und die IG Metall Küste haben überdies eine Schweigeminute in den norddeutschen M+E-Betrieben durchgeführt. In den nächsten Wochen und Monaten wird es wichtig sein, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, ihnen Möglichkeiten zu bieten, in Deutschland mindestens übergangsweise ein sicheres und würdiges Leben zu führen, Integrations- und Sprachkurse zu unterstützen, Kita und Schulplätze bereitzustellen, Praktikums- und Arbeitsplätze anzubieten – an all diesen Aufgaben werden sich auch die norddeutschen Metall- und Elektroarbeitgeber im Rahmen des Möglichen beteiligen.

Wirtschaftliche Kriegsfolgen

Der Krieg hat allerdings auch immense wirtschaftliche Folgen, die nicht nur durch die Sanktionen gegen den Aggressor Russland entstehen. Zahlreiche norddeutsche Unternehmen der M+E-Industrie haben ihre Geschäftsbeziehungen unter dem Eindruck des Krieges neu geordnet, ziehen sich aus Russland zurück, teilweise unter Hinnahme von Verlusten. Es herrscht Konsens, dass es keine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Regimen geben darf, die vorsätzlich Kriege vom Zaun brechen. NORDMETALL und der AGV NORD haben im März eine Umfrage zur Betroffenheit ihrer Mitgliedsunternehmen durch den Krieg gemacht. 129 M+E-Betriebe mit rund 77.000 Beschäftigten nahmen daran teil. Die Ergebnisse dokumentieren, dass jeder zehnte Betrieb der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie substanziell vom Russland-Ukraine-Krieg betroffen ist. Die beeinträchtigten Betriebe beziehen einen Teil ihrer regelmäßigen Lieferungen direkt oder über Vorlieferanten aus Russland, aus der Ukraine oder aus Belarus – vor allem Eisen, Stahl, Leichtmetall, Metallteile und Erdgas. Zwei Drittel der befragten Betriebe erwarten aufgrund der Krise im laufenden Jahr 2022 Kostensteigerungen im Einkauf von rund 17 Prozent. Und 43 Prozent stellen sich auf einen Umsatzrückgang in Höhe von rund zwölf Prozent ein. Das sind besorgniserregende Zahlen, potenzieren sie doch die Lieferkettenprobleme und erheblichen Kostensteigerungen der vergangenen zwei Pandemiejahre. „Ein länger währender Krieg in der Ukraine wäre nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern hätte womöglich auch existenzbedrohliche Folgen für etliche Betriebe der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie“, befürchtet Dr. Nico Fickinger, Hauptgeschäftsführer von NORDMETALL und AGV NORD. Bereits zu Kriegsbeginn klagten 58 Prozent der Unternehmen mit Russland-, Ukraine- oder Belarus-Geschäft über Lieferschwierigkeiten oder Engpässe, die in fast jedem fünften Fall schon die Produktion beeinträchtigten. 44 Prozent der Unternehmen, die von Lieferungen aus dem Kriegsgebiet abhängig sind, können diese Ausfälle nur schwer oder gar nicht kompensieren. Jeder fünfte Betrieb vermag die tatsächlichen Folgen noch nicht abzuschätzen. Mehr als zwei Drittel suchen derzeit nach einer dauerhaften Alternative, um Lieferausfällen zu begegnen.

Energieversorgung sichern

„In dieser Situation erwarten wir von der Ampelkoalition, dass sie – über die angekündigten Soforthilfen hinaus – ihre Prioritäten neu justiert“, resümiert Fickinger. „Wir sehen ja gerade: Nur eine starke Wirtschaft macht Deutschland robust gegenüber Krisen, und nur starke Unternehmen garantieren sichere Arbeitsplätze und stabile Sozialsysteme.“ Deutschland sei an einem neuralgischen Punkt angelangt: Statt die Widerstandskraft unserer Betriebe durch immer neue Regulierungen empfindlich zu schwächen, müsse gezielt die Resilienz der Unternehmen erhöht werden, zum Beispiel durch Entlastungen bei Energiepreisen und Kurzarbeitergeld. Auch die Versorgungssicherheit der Firmen müsse ebenso hohe Priorität erhalten wie die der privaten Haushalte. Das erwarten laut Umfrage übrigens auch fast zwei Drittel der betroffenen Unternehmen. Und sogar 78 Prozent befürworten den Abbau von Energiesteuern oder -abgaben. In den nächsten Jahren werden auch viele Betriebe der norddeutschen M+E-Industrie aufgerufen sein, an der nötigen Wiederherstellung einer umfassenden Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mitzuwirken. „Um die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufzuholen, brauchen wir nicht nur Etats und Expertise, wir brauchen auch eine Art ‚Haltungswende‘“, so Dr. Nico Fickinger weiter: „Nur eine starke Wirtschaft und eine starke Landesverteidigung schützen das Land.“

Alexander Luckow