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Betriebsratswahlen

Brücken bauen in Betrieben

Der Wahlkampf läuft. Seit dem 1. März finden in ganz Deutschland wieder Betriebsratswahlen statt. In rund 28.000 Unternehmen wählen die Belegschaften ihre Arbeitnehmervertretungen neu. Die Wahlen sind Ausdruck der gelebten Sozialpartnerschaft, die zu Deutschlands Marktwirtschaft gehört wie unternehmerisches Handeln und Freiraum für Innovationen.

„Wenn es dem Unternehmen gut geht, geht es auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut“, sagt Frank Ritters, alter und auch neuer Betriebsratsvorsitzender des Kieler Marinespezialisten ELAC Sonar, der weltweit zu den führenden Herstellern von Unterwasserschallanlagen gehört. Bereits im August 2021 hatte die 150-köpfige Belegschaft außerplanmäßig ihren Betriebsrat neu gewählt. Hintergrund: Ersatzmitglieder des Gremiums waren ausgefallen, sodass der „Rumpfbetriebsrat“ nicht mehr handlungsfähig gewesen wäre. Getreu den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes wurde also neu gewählt. Rund 90 Prozent der Beschäftigten des Technologieunternehmens beteiligten sich. „Ein Erfolg. Wir haben aber auch jede Menge Werbung gemacht“, berichtet Ritters. Die Betriebsratswahl wurde im einfachen Wahlverfahren organisiert und als Personenwahl vollzogen. „Wir haben sie als sogenannte hybride Wahl durchgeführt, also als Brief- und Präsenzwahl“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Kein „langer Arm“ der Gewerkschaft

Er ist, wie nahezu alle Betriebsräte bei ELAC Sonar, Mitglied der Industriegewerkschaft Metall. Dennoch könne vom „langen Arm der Gewerkschaft“ keine Rede sein. „Der Einfluss auf die tägliche Betriebsratsarbeit ist überschaubar“, meint Ritters. „Die Gewerkschaft kümmert sich in den Tarifrunden mit dem Arbeitgeberverband um den tarifvertraglichen Rahmen. Auf betrieblicher Ebene regeln wir im Rahmen der Mitbestimmung die Dinge selbst.“

„Auf betrieblicher Ebene regeln wir im Rahmen der Mitbestimmung die Dinge selbst.“ Frank Ritters Betriebsratsvorsitzender ELAC Sonar

„Auf betrieblicher Ebene regeln wir im Rahmen der Mitbestimmung die Dinge selbst.“ Frank Ritters Betriebsratsvorsitzender ELAC Sonar

Foto: ELAC SONAR

Das bestätigt Geschäftsführer Ole Schneider, der die Zusammenarbeit mit den Belegschaftsvertretern als sehr konstruktiv und vertrauensvoll beschreibt. „Jede Seite hat ihre Rolle, aber wir begegnen uns mit Respekt und auf Augenhöhe.“ Das Unternehmen befindet sich auf Wachstumskurs, sucht aktuell und bis zum Jahresende mehr als ein Dutzend weiterer Fachkräfte, vor allem Ingenieure und IT-Fachleute. Fast wöchentlich besprechen Geschäftsführung und Betriebsrat die Einstellung neuer Mitarbeiter. „Weil wir so vielen Veränderungen begegnen und uns schnell auf Neues einstellen müssen, haben wir als Geschäftsführung angeregt, uns wöchentlich zu treffen. Das ist von der Arbeitnehmerseite angenommen worden und hilft extrem“, so Schneider. Zu den Themen, die regelmäßig auf der Agenda stehen, gehört außer personellen Veränderungen natürlich die Gestaltung der Arbeitsplätze. Mobiles Arbeiten, 3G am Arbeitsplatz, Homeoffice – das Unternehmen hat bereits zu Beginn der Pandemie im März 2020 sehr schnell reagiert und entsprechende Corona-Betriebsvereinbarungen geschlossen. Geschäftsführung und Betriebsrat sind schon damals zu schnellen Entscheidungen gekommen. „Wir konnten uns immer einigen“, sagt Betriebsratsvorsitzender Ritters, der auch als ehrenamtlicher Arbeitsrichter fungiert und von daher weiß, dass es andernorts nicht immer so harmonisch abläuft. Ole Schneider ergänzt, dass sein Unternehmen bis dato auch nicht die in manchen anderen Unternehmen bemühten Einigungsstellen habe anrufen müssen.

Vertrauen und Zutrauen

Auch Jens Füllgrabe, bis zum Ende der jetzt auslaufenden Wahlperiode Betriebsratsvorsitzender der MHG Heiztechnik in Buchholz, berichtet von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung. Das Unternehmen in der Nordheide vor den Toren Hamburgs produziert mit rund 120 Mitarbeitern intelligente Heiztechnik. Ein typischer Mittelständler, der dank des Einsatzes innovativer Technologien und des Engagements seiner Belegschaft erfolgreich am Markt agiert. „Vertrauen und Zutrauen auf beiden Seiten, das ist ein Teil unseres Erfolges“, meint der kaufmännische Leiter Dirk Kochan, der MHG unter anderem mit dem geschäftsführenden Gesellschafter und AGV-NORD-Vorsitzenden Julian Bonato führt. „Wir sind ein kleines Unternehmen, in dem jeder jeden kennt, was sicher von Vorteil ist, wenn es darum geht, konträre Themen zu behandeln“, so Kochan weiter.

„Bis dato ist es stets gelungen, zu konsensfähigen Lösungen zu gelangen.“ Dirk Kochan Kaufmännischer Leiter MHG Heiztechnik

„Bis dato ist es stets gelungen, zu konsensfähigen Lösungen zu gelangen.“ Dirk Kochan Kaufmännischer Leiter MHG Heiztechnik

Foto: MHG Heiztechnik

Gelegentlich unterschiedlicher Auffassung zu sein, liege in der Natur der Sache, meinen Kochan und Füllgrabe. Doch bis dato, so Geschäftsführung und Belegschaftsvertreter unisono, sei es stets gelungen, zu konsensfähigen Lösungen zu gelangen, beispielsweise beim Thema flexible Arbeitszeit. „Wir hatten in der Vergangenheit eine Kernarbeitszeit. Das wollte der Betriebsrat verändern und wir haben nach längeren Verhandlungen ein für alle Seiten akzeptables Modell gefunden“, nennt Kochan ein Beispiel. Zu den Prinzipien, denen sich die Sozialpartner bei MHG verpflichtet fühlen, gehören Transparenz und ein steter Informationsfluss. Deshalb reden Geschäftsführung und Betriebsrat in regelmäßigen Abständen auch über die finanzielle Situation des Unternehmens, neue Strategien und die Wettbewerbsposition. Diese Offenheit kommt in der Belegschaft gut an. In mehreren Befragungen konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Meinung zu Themen wie Work-Life-Balance, Arbeitszeiten und Vereinbarkeit von Familie und Beruf äußern. In der jüngsten Umfrage schnitt das Unternehmen erneut besser ab als in den vorangegangenen. Betriebsrat Füllgrabe nimmt dies als Indiz für das gute Klima im Betrieb. Und hofft, dass es anhält. Zur aktuellen Betriebsratswahl, die bei MHG als Personenwahl stattfindet, tritt er allerdings nicht mehr an. „Ich übernehme im Betrieb mehr Verantwortung und kann das dann nicht mehr mit der Aufgabe eines Betriebsratsvorsitzenden vereinbaren. Ich bin der Meinung, man sollte etwas ganz oder gar nicht machen“, so Füllgrabe. Kaufmännischer Leiter Kochan bedauert die Entscheidung. Aufgrund der bisherigen konstruktiven Zusammenarbeit von Geschäftsführung und Betriebsrat sieht er aber auch der gemeinsamen Arbeit mit einem neugewählten Betriebsrat positiv entgegen. Als Kompetenzzentrum der Sensorentwicklung nimmt Hella Fahrzeugkomponenten (HFK) in Bremen eine besondere Stellung ein. „Das bleibt auch nach dem Kauf unseres Mutterkonzerns durch den französischen Automobilzulieferer Faurecia so“, sagt HFK-Geschäftsführer Michael Winkler. Faurecia hatte im vergangenen Jahr die Aktienmehrheit an Hella erworben. Der Firmenverbund unter dem neuen Namen FORVIA zählt mit etwa 150.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von rund 23 Milliarden Euro zu den Top Ten der globalen Automobilzulieferer. „Wir fühlen uns durch den Merger gestärkt und sind uns sicher, dass wir unser Know-how im Bereich Sensoren und Aktoren positiv in das Gesamtunternehmen einbringen können“, so Winkler. Auch der Betriebsratsvorsitzende Reiner Thiemann sieht das so. „Ich bin davon überzeugt, dass wir in Bremen gut aufgestellt sind.“ Thiemann sieht die Sicherung des Standortes Bremen aktuell als die größte Aufgabe der Sozialpartner an. „Wir mussten in der Vergangenheit bereits Kosten sparen, Corona adäquat begegnen und die Elektrifizierung in der Automobilbranche begleiten. Jetzt sind wir gefordert, den Merger mit Faurecia vor Ort mitzugestalten“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Gut aufgestellt in Bremen

In diese Zeit der Veränderung fällt die Betriebsratswahl. Drei Listen – zwei offene und eine der IG Metall – stellten sich zur Wahl, die als Briefwahl organisiert wurde. Die Wahlbeteiligung stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest, aber aus vorangegangenen Urnengängen weiß Thiemann, dass schätzungsweise 80 Prozent der Belegschaft abstimmen. Auf das neu gewählte Gremium kommt jede Menge Arbeit zu. So muss der Betrieb große Schwankungen bei der Auftragsbearbeitung und dem dadurch anfallenden Arbeitsvolumen auffangen. „Auf große Auftragsspitzen folgen mitunter Zeiten der Kurzarbeit, da ist sehr viel Anpassungsvermögen und Kompromissbereitschaft beider Seiten gefragt“, sagt Thiemann. Und Winkler, der auch dem NORDMETALL-Vorstand angehört, fügt an: „Unsere Mitarbeiter ziehen sehr flexibel mit – auch bei den unterschiedlichsten Arbeitsverteilungen über Schichten und Wochenenden hinweg.“ Auch die Auswirkungen der Pandemie haben Geschäfts führung und Betriebsrat der HFK gemeinsam in den Griff bekommen, mit einigen Betriebsvereinbarungen und jeder Menge Einsicht in die Notwendigkeit auch schwieriger Entscheidungen. So arbeiten beide Seiten im Corona-Krisenstab mit und haben sich flexibel gezeigt, als es darum ging, Homeoffice für rund 150 Beschäftigte auf den Weg zu bringen. „Wir pflegen bei uns die Politik der kurzen Wege und der durchgängigen Kommunikation. So finden wir immer eine gute Lösung“, sagt Winkler. Die allermeisten Entscheidungen haben die Sozialpartner vor Ort realisiert. Von außen, so bekräftigen sowohl der Geschäftsführer als auch der Betriebsrat, werde nicht ins Unternehmen „hineinregiert“. „Warum auch, wenn wir uns hier über die Dinge einig sind“, sagt Geschäftsführer Winkler. Und Betriebsrat Thiemann ergänzt: „In unserer täglichen Arbeit zählt allein die Sache. Daran orientieren wir uns.“

Sonderfall: standortübergreifende Wahl

Sachorientiert und aufgabenbezogen agieren auch die Sozialpartner bei Jenoptik Advanced Systems, einem Mechatronik-Spezialisten mit Schwerpunkt Dienstleistungen und Produkte für die Luftfahrt-, Sicherheitsund Verteidigungsindustrie. Die Mechatronik-Sparte der Jenoptik AG, die aktuell an einen britischen Finanzinvestor veräußert wird, arbeitet standort- und gesellschaftsübergreifend in Wedel bei Hamburg, Essen und Altenstadt in Bayern. Entsprechend kompliziert gestalten sich Betriebsratswahlen und auch die Betriebsratsarbeit. „So ist beispielsweise ein Teil der Führungskräfte an Standorten wahlberechtigt, wo sie selbst nicht beschäftigt sind“, sagt der in Wedel aktive Betriebsrat Ole Röpcke. Die standortübergreifende Betriebsratswahl habe unter anderem zur Folge, dass Wählerlisten schwierig zu erstellen und Mitwirkungsrechte der Betriebsräte an verschiedenen Standorten auf den ersten Blick schwer zu durchschauen sind. „Diese organisationsbedingten Gegebenheiten sorgen auch in der alltäglichen Arbeit im Unternehmen für eine hohe Komplexität, Fehleranfälligkeit sowie einen immensen Abstimmungs- und Kommunikationsbedarf“, erklärt Personal leiterin Nina Römhild. Zur Organisation von betriebsübergreifenden Betriebsratsversammlungen nutzen die Mitarbeitervertreter in zunehmendem Maße Online-Tools. Diese aufgrund der Coronapandemie eingeführten und vom Betriebsrätemodernisierungsgesetz inzwischen legitimierten Formate sollen laut Gesetzgeber jedoch nur die Ausnahme sein. Daher ist die Rechtssicherheit der Beschlüsse solcher virtuellen Sitzungen nur in einem engen Rahmen gegeben. Nina Römhild ist der Auffassung, dass mit der Zulassung digitaler Betriebsratssitzungen Flexibilität und Geschwindigkeit bei notwendigen Beschlüssen erhöht und zugleich Reisekosten minimiert werden können. Allerdings fehlten noch entsprechende Regelungen für Einigungsstellen und die Betriebsratswahl. Die tägliche Zusammenarbeit zwischen Personalabteilung und Belegschaftsvertretung charakterisiert die Personalleiterin als konstruktiv. Den größten Abstimmungsbedarf gebe es in der Regel rund um den Artikel 99 des Betriebsverfassungsgesetzes, also um personelle Einzelmaßnahmen. „Hier vertreten Personalverantwortliche und Betriebsrat durchaus auch einmal gegensätzliche Positionen, die dann von Arbeitsgerichten entschieden werden müssen“, sagt Römhild. Das aber dauere in der Praxis oft zu lang. „Wenn der Arbeitgeber zum Beispiel einen Interessenausgleich erreichen will, muss er sich entweder mit dem Betriebsrat einigen oder aber die Einigungsstelle anrufen, was über die Arbeitsgerichte rund zweieinhalb Monate dauern kann – viel zu lange!“ In diesem Fall, so Römhild, sollte die Einigungsstelle schon mit der Entscheidung der ersten Instanz ihre Arbeit aufnehmen und vorläufig tätig werden können.

„Deshalb ist der sozialpartnerschaftliche Interessenausgleich ohne Alternative.“ Nina Römhild Personalleiterin Jenoptik Advanced Systems

„Deshalb ist der sozialpartnerschaftliche Interessenausgleich ohne Alternative.“ Nina Römhild Personalleiterin Jenoptik Advanced Systems

Foto: Jenoptik Advanced Systems

Auch Ole Röpcke wünscht sich eine Beschleunigung der Abläufe. Er schlägt etwa vor, Richter für Rechtsgespräche zu gewinnen, in denen schnell und unbürokratisch Ergebnisse erzielt werden könnten. Einig sind sich Römhild und Röpcke darin, dass Konflikte im Unternehmen Ressourcen binden und Energie kosten. „Deshalb“, so die Personalleiterin, „ist der sozialpartnerschaftliche Interessenausgleich ohne Alternative.“

Lothar Steckel

NORDMETALL-Angebote zur Betriebsratswahl 2022

In der Zeit vom 01. März bis 31. Mai finden die regulären Betriebsratswahlen 2022 statt. Einen von Gesamtmetall aktualisierten Leitfaden für Arbeitgeber finden Sie unter www.meinarbeitgeberverband.de/ betriebsratswahlen2022 (nur für eingeloggte Nutzer). Für NORDMETALL- und AGV-NORD-Mitglieder kostenlose Seminare in Kooperation mit dem Bildungsverbund nordbildung fanden im Winter 2021/2022 statt. Auch unsere Arbeitsrechtsexperten Dr. Sybil Denicke und Carlo Schmalz haben Sie mit eigenen Online-Schulungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen unterstützt und stehen Ihnen bei Fragen jederzeit zur Verfügung.

Kontakt: denicke@nordmetall.de / 0431 33936-10 schmalz@nordmetall.de / 040 6378-4223