10 minute read

EU-Taxonomie

„Auch Rüstung ist nachhaltig“

thyssenkrupp Marine Systems zählt zu den wichtigsten europäischen Unternehmen für den Bau von U-Booten und Fregatten. Im Interview sprechen Dr. Marlene Fischer und Bernd Hartmann über die Herausforderungen durch neue EU-Richtlinien insbesondere zur Taxonomie.

Die zentrale Botschaft erscheint direkt beim ersten Klick auf der Homepage. „Unsere Mission: das modernste Marineunternehmen Europas zu sein.“ thyssenkrupp Marine Systems (tkMS), Deutschlands einziger Systemanbieter für U-Boote, Überwasserschiffe und maritime Elektronik, verbindet maritime Tradition mit Hightech – etwa beim Bau von Antrieben für nichtnukleare U-Boote. Dabei setzt tkMS auf Brennstoffzellen, die chemische Energie ohne Lärm oder Verbrennung direkt in elektrische Energie umwandeln. Mit dem Thema Nachhaltigkeit punktet tkMS auch bei der neuen EU-Taxonomie. Mit dieser Richtlinie will die EU Kapitalströme in Unternehmen lenken, die sich in Bereichen wie Klimaschutz, nachhaltigem Einsatz und Gebrauch von Wasser und Meeresressourcen sowie dem Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft besonders engagieren. Über die Herausforderungen auf diesem Weg sprach Standpunkte mit Dr. Marlene Fischer, verantwortlich bei tkMS als Head of Environmental Social Governance (ESG) für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, sowie Chief Human Resources Officer und Mitglied der Geschäftsführung Bernd Hartmann – ehrenamtlich engagiert als Vorstand von NORDMETALL .

Standpunkte: Wie hoch ist in Ihrem Unternehmen der personelle Aufwand für EU-Taxonomie und CSRD? Haben Sie eine Software einkaufen müssen? Setzen Sie auch auf externe Berater?

Bernd Hartmann: Zunächst haben wir für Frau Dr. Fischer mit der Ernennung zum Head of ESG eine eigene Position geschaffen. Insgesamt reden wir über rund zehn Vollzeitstellen, die sich mit diesem Bereich beschäftigen.

Bernd Hartmann: Seinen Einstieg bei thyssenkrupp fand Bernd Hartmann im Jahr 2013. Seit 2018 ist er als Chief Human Resources Officer bei tkMS in Kiel tätig. Von 2005 bis 2012 war er Personalleiter der Howaldtswerke-Deutsche Werft, die später in tkMS umbenannt wurde.
Foto: thyssenkrupp Marine Systems

Dr. Marlene Fischer: Beim Thema Risikomanagement von Lieferanten setzen wir bereits Software Lösungen ein. Zurzeit beschäftigen wir uns darüber hinaus mit der Einführung einer Software für das CSRD-Reporting. Und zu ausgewählten Themen verpflichten wir auch externe Beraterinnen und Berater.

Dr. Marlene Fischer: 2012 begann ihre berufliche Laufbahn bei thyssenkrupp Marine Systems. Nachdem sie als Ingenieurin unterschiedliche Funktionen im Bereich Forschung und Entwicklung innehatte, ist sie seit 2022 als Head of ESG für die Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung verantwortlich.
Foto: thyssenkrupp Marine Systems

Hartmann: Sie dürfen nicht vergessen, dass CSRD und EU-Taxonomie ja auch in die Berichterstattung für den gesamten Konzern thyssenkrupp einfließen. Da müssen wir ein einheitliches Format schaffen. Und da geht es etwa um die Offenlegung von Fortbildungsmaßnahmen für all unsere Auslandsgesellschaften. Diese Maßnahmen müssen wir aufschlüsseln nach Altersgruppen und Geschlecht, zum Teil für kleine Einheiten mit 30 bis 50 Leuten. Der Aufwand ist wirklich hoch.

Standpunkte: Im Rahmen des EU-Lieferkettengesetzes müssen Sie zudem dezidierte Informationen bei Ihren Zulieferern einholen. Wie läuft dies konkret?

Hartmann: Bei unseren direkten Lieferanten läuft das unproblematisch. Aber jetzt geht es auch um die indirekten Lieferanten, also um die Lieferanten der Lieferanten. Da wird es dann wirklich kompliziert, die entsprechenden Informationen zu bekommen.

Fischer: Grundsätzlich kommt uns zugute, dass wir mit unseren direkten Lieferanten eine Beziehung auf Augenhöhe pflegen. Nicht wie im Automobilbereich, wo ein Lieferant schnell mal aussortiert wird. Wir wollen die Lieferanten befähigen, unsere Herausforderungen zu erfüllen, damit sie weiter Geschäfte mit uns machen können. Wir suchen gemeinsam nach Lösungen, auch bei den indirekten Lieferanten. Wir erwägen sogar, entsprechende Trainings anzubieten.

Standpunkte: Das klingt alles sehr positiv. Machen Sie sich dennoch Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Fischer: Mit dieser enormen Bürokratie verdienen wir jedenfalls definitiv kein Geld. Deshalb müssen wir ganz genau hinschauen, wo Chancen wie etwa neue Geschäftszweige entstehen, etwa im zivilen Sektor.

Hartmann: Der Kanzler sagt ja in jedem zweiten Interview, dass er Bürokratie abbauen will. Stattdessen wird der Verwaltungsaufwand, den wir in Deutschland leisten müssen, immer größer. Regeln wie EU-Taxonomie und CSRD sind bestimmt sinnvoll. Nur: Müssen wir wirklich so viele Daten sammeln? Trägt diese Datenflut wirklich dazu bei, die ambitionierten Ziele zu erreichen? Und warum kann man nicht auf bestimmte Dinge verzichten, wenn wieder etwas Neues eingeführt wird?

Fischer: Manches ist wirklich absurd. Ganz exemplarisch ist das Beispiel der Definition von gefährlichen Abfällen. Da steht dann wortwörtlich: Gefährliche Abfälle sind gefährliche Abfälle. Woanders heißt es, dass meldepflichtige Vorfälle offengelegt werden müssen. Es wird aber mit keinem Wort erklärt, was ein meldepflichtiger Vorgang überhaupt ist. Diese schwammigen Definitionen lösen ein Übermaß an Datenerfassungen aus und lassen an einer verantwortungsbewussten Erstellung des Gesetzes zweifeln.

Hartmann: Und es gibt noch ein weiteres Problem. Ich finde es unmöglich, dass nach wie vor manche Banken die Finanzierung von Rüstungsunternehmen ablehnen. Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg wissen wir doch, dass Sicherheit die Mutter von allem ist. Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit. Deshalb sollte auch unter Taxonomie-Gesichtspunkten Rüstung als nachhaltig anerkannt werden.

Standpunkte: Erwägen Sie wie andere Unternehmen, die Produktion ins Nicht-EU-Ausland zu verlegen?

Hartmann: Nein, das planen wir nicht. Das ist in unserem Geschäft auch nicht so einfach, wie es das möglicherweise in anderen Branchen ist. Das würden unsere Kunden auch strikt ablehnen. Wir haben ein sehr europäisches Geschäft. Wir wissen aber aus unseren Verbandsaktivitäten, dass Unternehmen, die sich mit der zivilen Schifffahrt beschäftigen, unter enormem Druck stehen, da die Produktion in den EU-Ländern immer teurer wird. Da sind Abwanderungen durchaus denkbar.

Standpunkte: Welche konkreten Maßnahmen ergreift Ihr Unternehmen, um die Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten gemäß der EU-Taxonomie zu erfüllen?

Fischer: Zunächst identifizieren wir die Geschäftsaktivitäten, die EU-Taxonomie-fähig sein könnten. Dann prüfen wir, ob wir bei diesen Aktivitäten die gesetzten Kriterien erfüllen. Wir hinterlegen sie mit Finanzkennzahlen, sodass sie von einem Wirtschaftsprüfer abgenommen werden können.

Standpunkte: Können Sie das am Beispiel U-Boot-Bau konkretisieren?

Fischer: Wenn es etwa um eine bestimmte Brennstoffzellentechnologie geht, schauen wir uns an, ob wir diese Tätigkeit einem entsprechenden Code in der EU-Taxonomie-Regelung zuordnen können. Im zweiten Schritt untersuchen wir, ob die Maßnahme den genannten Anforderungen genügt. Dabei geht es etwa darum, ob das neue Produkt bei der CO₂-Emission wirklich besser ist als die Produkte, die es schon auf dem Markt gibt.

Standpunkte: Und wenn dies nicht der Fall sein sollte?

Fischer: Dann taucht diese Aktivität eben nicht in der Taxonomie-Berichterstattung auf.

Standpunkte: Mal ganz laienhaft gefragt: Lohnt abseits aller juristischen Vorschriften dieser immense Aufwand überhaupt?

Fischer: Ja, wir können uns damit als besonders nachhaltiges Unternehmen positionieren. Und das ist für unsere Kunden sehr wichtig. Wer Rüstungsgüter kauft, will langlebige Produkte mit einer leichten Wartbarkeit und energieschonendem Einsatz. Deshalb wird der Faktor Nachhaltigkeit bei uns immer mitgedacht. Und es geht dabei auch um neue Chancen in zivilen Märkten, etwa indem wir Lösungen vermarkten, regenerative Energiequellen zu fördern.

Standpunkte: Herr Hartmann, in der öffentlichen Wahrnehmung werden Rüstungsgüter kaum mit Nachhaltigkeit verbunden. Dort geht es vielmehr um die Fähigkeiten im Einsatz.

Hartmann: Bei einem Auto kommt es ja auch erst mal darauf an, dass man mit dem Fahrzeug gut von einem Punkt zum anderen kommt, unabhängig davon, ob man mit einem Verbrenner oder einem E-Antrieb fährt. Und so ist es bei uns auch. Ein Kriegsschiff muss seine Fähigkeiten im Einsatz unter Beweis stellen. Dennoch wollen unsere Kunden vermehrt nachhaltige Produkte. Die Schlüsselfrage lautet: Können wir ein Produkt liefern, das im Rahmen der Einsatzerfordernisse möglichst umweltfreundlich und langlebig ist? Dieses Thema wird immer größer werden.

Standpunkte: Aber im Vergleich zu den Autobauern kommt es in Ihrer Branche extrem auf Geheimhaltung an. Riskieren Sie bei der Offenlegung von Datenpunkten für die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht die Weitergabe militärischer Geheimnisse?

Hartmann: Nein, wir würden niemals solche Geheimnisse offenlegen. Aber in der Praxis gab es solche Probleme noch nie.

Fischer: Es gibt auch entsprechende Ausnahmeregelungen. Wir müssen nicht Informationen offenlegen, die unser eigenes Geschäft gefährden.

Standpunkte: Außer der EU-Taxonomie geht es auch um CSRD, also um die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Auch hier steigen durch die EU-Regeln die Anforderungen für die Unternehmen. Wie sehen Sie tkMS hier aufgestellt?

Hartmann: In den Bereichen Unternehmensführung und Soziales sind wir schon sehr weit. Wir sind tarifgebunden, legen Wert auf gute Unternehmensführung. Auch auch im Bereich Umwelt erfüllen wir die meisten Kriterien, wir haben als Unternehmen eine entsprechende Grundsatzerklärung abgegeben. Wir beschäftigen uns im Rahmen eines strukturierten Umwelt- und Energiemanagements intensiv mit der Frage, wie wir noch umweltfreundlicher und ressourcenschonender arbeiten können.

Standpunkte: Viele mittlere Unternehmen in Deutschland kritisieren den enormen bürokratischen Aufwand.

Fischer: Das verstehe ich sehr gut. Für ein Unternehmen unserer Größe ist es machbar, zum Beispiel eine Beschwerdestelle für Mobbingvorwürfe einzurichten. Wobei ich nicht verhehlen will, dass der bürokratische Aufwand auch für uns sehr groß ist. Aber womöglich muss man ihn betreiben, wenn man Werte wie Umwelt, Soziales und Unternehmensführung ernst nimmt.

Standpunkte: Sehen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das ähnlich? Oder gibt es in der Belegschaft auch die Denke: Wir wollen doch nur gute U-Boote und Fregatten bauen. Und jetzt nerven die da oben schon wieder mit Nachhaltigkeit, Umwelt und dem ganzen Gedöns.

Hartmann: Diese Themen sind bei uns grundsätzlich positiv besetzt. Wir merken das auch an den Verbesserungsvorschlägen aus der Belegschaft, etwa, dass wir Glühbirnen gegen energiesparende LED-Lampen austauschen sollen. Aber wir arbeiten auch daran, zum Beispiel, indem wir auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Betriebsversammlungen hinweisen. Entsprechende Berichte und Hinweise stellen wir zudem ins Intranet.

Fischer: Natürlich gibt es bei uns nicht nur Fürsprecher. Manche Kolleginnen und Kollegen reagieren zunächst verunsichert, aber das ist bei Veränderungen normal, zumal die Berichterstattung im Nachhaltigkeitsbereich ja auch Zusatzarbeit bedeutet.

Standpunkte: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Aufgezeichnet von Peter Wenig

EU-Taxonomie

Mit dem 2019 beschlossenen „Green Deal“ will die Europäische Union (EU) für mehr Nachhaltigkeit bei Investitionen sorgen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

Zu diesem Programm zählt die „EU Taxonomie Regulation“, um verstärkt Kapitalströme von Investoren in nachhaltig arbeitende Unternehmen zu lenken. Dafür hat die EU sechs Umweltziele verankert: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltiger Einsatz und Gebrauch von Wasser oder Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vorbeugung oder Kontrolle von Umweltverschmutzung, Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen.

Damit die EU eine wirtschaftliche Tätigkeit als nachhaltig einstuft, muss das Unternehmen mit dieser Tätigkeit nicht nur einen Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leisten, sondern darf auch gegen die anderen nicht verstoßen. Berichtspflichtig sind von 2025 an Unternehmen, die zwei dieser drei Kriterien erfüllen: Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro, Nettoumsatz von mehr als 50 Millionen Euro, mehr als 250 Beschäftigte.

thyssenkrupp Marine Systems

Die thyssenkrupp Marine Systems GmbH (tkMS) mit Sitz in Kiel ist Weltmarktführer bei konventionellen U-Booten und führend in der Entwicklung neuer Über- und Unterwassertechnologien der Marine. tkMS erzielte im Geschäftsjahr 2023/24 einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro und beschäftigt rund 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Standorte sind u. a. Kiel, Hamburg, Bremen, Emden, Wilhelmshaven, Wismar sowie Itajaí (Brasilien).

Das Unternehmen entstand 2005 unter der Führung der thyssenkrupp AG durch den Zusammenschluss der Unternehmen Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) in Kiel, Blohm+Voss in Hamburg, Nordseewerke in Emden, Nobiskrug in Rendsburg, Kockums in Schweden und Hellenic Shipyards in Griechenland zu einem Werftenverbund.

tkMS gliedert sich in die Geschäftsbereiche U-Boote (Konstruktion und Bau von nicht-nuklearen U-Booten), Marine-Überwasserschiffe (Konstruktion und Bau von Fregatten und Korvetten für die deutsche und internationale Marine), Marine-Elektronik (u. a. Entwicklung, Konstruktion und Bau von Sonaren, Sensoren, Führungs- und Waffeneinsatzsystemen für U-Boote und Überwasserschiffe) sowie Dienstleistungen (u. a. technische Beratung und Ersatzteilbeschaffung).

This article is from: