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Generationenübergreifendes Arbeiten
Die Stärke altersgemischter Teams nutzen
In einer Zeit, in der Unternehmen von komplexen Herausforderungen und einer dynamischen Arbeitswelt geprägt sind, wird generationsübergreifendes Arbeiten zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Wie Unternehmen vom Potenzial solcher Teams profitieren können, zeigt ein Blick in die Praxis.
Die NORDMETALL-Jugendstudien 2022 bis 2024 haben gezeigt: Von den befragten Schülerinnen und Schülern wollen im Schnitt lediglich 62 Prozent später in Vollzeit arbeiten. Das ist nur eine der Herausforderungen, vor denen Unternehmen bei der Suche nach Fachkräften stehen. Denn viele Auszubildende der Generation Z, die laut SINUS-Institut die Jahrgänge 1995 bis 2005 umfasst, haben nicht nur bei der Arbeitszeit, sondern auch bei der Kommunikation und der Sinnhaftigkeit von Arbeit andere Vorstellungen, als sie jahrzehntelang üblich waren. So stellte das SINUS-Institut bereits 2020 heraus, dass es den Jugendlichen wichtig sei, dass der Beruf Spaß machen und gute, abgesicherte Lebensverhältnisse ermöglichen soll. Die Generation Z wolle nicht um jeden Preis erfolgreich sein, sondern fordere auch Zeit für Familie, Freunde und Hobbys ein.
„Unterschiedliche Generationen bringen vielfältige Perspektiven, Erfahrungen und Kompetenzen mit – von der frischen Innovationskraft der Jüngeren bis zur wertvollen Expertise und Gelassenheit der Älteren. Diese Vielfalt ist eine große Chance“, sagt Imke Kuhlmann, Referentin Nachwuchsgewinnung bei den Arbeitgeberverbänden NORDMETALL und AGV NORD. „Sie ermöglicht kreativen Austausch, gegenseitiges Lernen und fördert ein Arbeitsklima, das auf Respekt und Zusammenarbeit basiert.“ Damit diese Zusammenarbeit gelingt, bedürfe es eines bewussten Umgangs mit den jeweiligen Stärken und Bedürfnissen. „Wenn wir von den Erfahrungen der älteren Generation und den Impulsen der jüngeren Generation profitieren wollen, müssen wir aufeinander zugehen“, so Kuhlmann. „Vor allem mit Blick auf die Fachkräftesicherung liegt darin eine große Chance“, ergänzt Loraine Awizus, Referentin Arbeitsmarkt bei NORDMETALL und AGV NORD.
Unterschiede in der Kommunikation
Viel Erfahrung mit dem Thema generationenübergreifendes Lernen hat Drägerwerk in Lübeck. Aktuell beschäftigt der Spezialist für Sicherheits- und Medizintechnik rund 250 Auszubildende. Matthias Reessing, Head of Vocational Training, kennt sich aus mit der jungen Generation: „In der öffentlichen Wahrnehmung entsteht schnell der Eindruck, dass die Generation Z kein großes Interesse an harter Arbeit habe und weniger leistungsorientiert sei“, sagt Reessing. „Das stimmt nicht, doch es kommt von dieser Generation im Berufsalltag oft die Frage nach der Sinnhaftigkeit bestimmter Aufgaben auf. Darauf sollten erfahrene Kolleginnen und Kollegen vorbereitet sein.“ Wichtig sei es, den Auszubildenden zu erklären, warum ein Arbeitsschritt notwendig ist und wieso dieser mit einer besonderen Genauigkeit durchgeführt werden muss. „Dann arbeiten die jungen Menschen in der Regel sehr motiviert mit“, so der Leiter der Berufsausbildung. Zugleich bietet das Unternehmen die Möglichkeit, Arbeitsabläufe selbst zu hinterfragen und so als Organisation noch besser zu werden. Doch Reessing kennt auch die aktuellen Probleme: „Die Kommunikation zwischen den Generationen birgt immer wieder ein gewisses Konfliktpotenzial. Während erfahrene Mitarbeitende gern telefonieren, dominiert bei Jüngeren der Wunsch, zu chatten“, sagt Reessing. Gerade in herausfordernden Situationen habe man bei Dräger jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich Dinge in einem mündlichen Gespräch meist besser klären und erklären lassen. Genauso wird der Unterschied zwischen privater Kommunikation und der im Berufsleben nicht immer klar gezogen. „Bei der schriftlichen Kommunikation mit Kolleginnen oder Kollegen legen wir Wert auf eine möglichst korrekte Grammatik, die Vermeidung von Tippfehlern und gewisse Höflichkeitsformeln.“

Bereitschaft zu gegenseitigem Lernen
Grundsätzlich profitiere Drägerwerk aber von heterogenen Teams. „Denn wenn eine Person auf sich allein gestellt ist, fällt es ihr schwerer, Neues einzubringen“, berichtet Reessing: „Hier sollte die Bereitschaft steigen, sich stets darauf einzulassen, von anderen, deutlich jüngeren Personen zu lernen. Sind beispielsweise mehrere junge Menschen in einem Team, wird das Potenzial daraus gleich viel stärker genutzt – der Zugang zu neuen Medien, zu digitalen Arbeitsweisen oder zu mehr Nachhaltigkeit wird so gestärkt.“ Umgekehrt profitieren die Auszubildenden von den beruflichen Kenntnissen der erfahrenen Beschäftigten.
Flächendeckende Workshops zu diesem Thema bietet Dräger nicht an. Doch das Unternehmen bemüht sich regelmäßig, zum Beispiel in Präsentationen und im Dialog in der Organisation, zu vermitteln, welche Eigenschaften die jeweiligen Generationen mit sich bringen. „Dabei geht es durchaus auch um das Verständnis dafür, dass nicht jeder in seiner Generation gleich tickt“, sagt Reessing und fügt eine generelle Beobachtung hinzu: „Bislang ist die Generation Z weitgehend in einer Phase mit steigendem Wachstum und stabilem Wohlstand aufgewachsen.“ Die Coronapandemie sowie die aktuelle gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung sorgen nun jedoch für eine gewisse Unsicherheit. Das belegt die aktuelle SINUS-Jugendstudie 2024: Die Untersuchung zeigt, dass die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel Jugendliche in ihrem Allgemeinbefinden ernster und besorgter denn je stimmt.
Verkürzte Aufmerksamkeitsspannen
Kurzfristige Herausforderungen sieht Michael Grenz, Geschäftsführer von Hanseatic Power Solutions in Norderstedt. Außer einem anderen Sprachgebrauch und den unterschiedlichen Lebenswelten bemerkt er aktuell in seinem Betrieb, der Schalt- und Steuerungsanlagen für die Erzeugung und Verteilung von Energie herstellt, eine sinkende Aufmerksamkeitsspanne. Vor allem bei den Auszubildenden sei das eine Herausforderung. „Es ist spürbar, dass Informationen nicht mehr so schnell gespeichert und verarbeitet werden. Benötigtes Wissen muss mehrfach und in kleineren Dosierungen übermittelt werden, sonst besteht die Gefahr, dass die Inhalte nicht aufgenommen werden“, sagt er. „Das heißt, die Jugendlichen müssen zunächst einmal viel mehr als es ‚früher‘ der Fall war, das Lernen erlernen.“ Und dies stelle laut Grenz wiederum die älteren Beschäftigten durchaus vor Herausforderungen, was etwa die eigene Geduld angehe. Doch gerade dadurch können altersgemischte Teams ihre Stärke entwickeln. „Durch viel Geduld und das gegenseitige Verständnis dafür, dass die eigene Lebenswelt und Wahrnehmung nicht die einzig gültige ist“, sagt Grenz. Die älteren Beschäftigten können außer dem allgemeinen Wissen in ihrem Betrieb auch andere Kompetenzen weitergeben – von Lernmethoden bis hin zu bewährten Vorgehensweisen zur Eigenorganisation und Priorisierung von Aufgaben. „Und die jüngeren Mitarbeitenden haben häufig zum einen den schnelleren oder gar besseren Zugang zu neuesten technischen Gegebenheiten“, berichtet Grenz, „und zum anderen können sie von Zeit zu Zeit dafür sorgen, dass jeder selbst Prioritäten überdenkt. Hier denke ich zum Beispiel an die Gewichtung der WorkLife-Balance, die gern von höheren Jahrgängen belächelt wird.“ Bei Hanseatic Power Solutions arbeitet er mit einem insgesamt sehr heterogenen Team, das auf gegenseitiges Verständnis, rechtzeitiges Ansprechen von auftretenden Problemen und viel Vertrauen setzt.

Abweichende Feedback-Zyklen
In der Ausbildungsabteilung von Siemens, der „Siemens Professional Education“, legt man Wert darauf, dass „jeder Mitarbeitende und jeder Lernende individuell ist, und die Zusammenfassung der individuellen Menschen zu einer Generation immer eine Verallgemeinerung darstellt, die nicht allen gerecht werden kann“. Trotzdem erlebt Christoph Luderer, Leiter des Ausbildungsbetriebes Hamburg, in der Kommunikation mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen sowie Auszubildenden bestimmte Muster. Außer der unterschiedlichen Kommunikationspräferenz und der auseinandergehenden Technologieaffinität sind das auch die unterschiedlichen Werte und Erwartungen: „Jüngere Mitarbeiter achten verstärkt auf die Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeiten. Wichtig ist also, dass wir hier klar kommunizieren, welche Freiheiten auf beiden Seiten gewünscht sind“, sagt Luderer. Als weiteren wichtigen Aspekt nennt er die Feedback-Kultur. „Junge Menschen erwarten häufigeres und unmittelbares Feedback, während ältere Generationen an formellere und weniger häufige Feedback-Zyklen gewöhnt sind.“ Und schließlich gibt es noch den Kommunikationsstil und -ton. Hier bevorzugten jüngere Beschäftigte oft einen informellen und direkten Kommunikationsstil, was von älteren Kolleginnen und Kollegen als respektlos empfunden werden kann.
Brücken zwischen den Generationen
Um eine Brücke zwischen den Generationen im Betrieb zu bauen, setzt Siemens auf eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Zusammenarbeit: „Dies kann durch Mentoring-Programme erreicht werden, bei denen erfahrene Mitarbeitende ihr Wissen und ihre Erfahrungen an jüngere Kollegen weitergeben“, berichtet Luderer, „während diese im Gegenzug ihre Perspektiven und technologischen Fähigkeiten einbringen.“

Einen besonderen Schwerpunkt legt Siemens dabei auch auf die älteren Kolleginnen und Kollegen. „Zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit haben wir die Initiative ‚LebensPhase 50+‘ gestartet, mit der wir vor allem unsere erfahrenen Mitarbeitenden adressieren und Transparenz zu unseren bereits bestehenden Angeboten schaffen möchten“, sagt Luderer, „hier sind beispielsweise die Gestaltungsfelder ‚Gesundheit‘, ‚Lebenslanges Lernen‘, ‚Entwicklung‘ und der ‚Generationendialog‘ zu nennen."
Auch Teamprojekte, die generationenübergreifend besetzt sind, fördern den Austausch und das Verständnis für unterschiedliche Arbeitsweisen und Denkansätze. Regelmäßige Workshops und Schulungen zu Kommunikation und Zusammenarbeit können helfen, Vorurteile abzubauen und gemeinsame Ziele zu definieren. Zudem sollen bei Siemens Feedback-Schleifen etabliert werden, die es allen Beschäftigten ermöglichen, ihre Bedürfnisse und Erwartungen offen zu kommunizieren. „Durch diese Maßnahmen kann ein harmonisches und produktives Arbeitsumfeld geschaffen werden“, sagt Luderer, „in dem alle Generationen voneinander lernen und profitieren“.
Helmut Reich