Kulturmagazin Mai 2017

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Klosterneuburg – ST. Pölten – Tullnerfeld – Wienerwald – Wagram – Wien

Wohin Du Deine Aufmerksamkeit lenkst

Dominik Landolt

Gastkommentar von Dr. Michael Vogler | www.kultur-design.at

Musik kann viele Sprachen sein

Im Kaffeehaus. Am Nebentisch sitzen zwei ältere Damen. Ihre Unterhaltung ist etwas laut, sodass ich zum Zuhören gezwungen bin: Die eine der beide wirkt bedrückt. Sie hat Enkel und macht sich Sorgen über deren Zukunft. »Alles wird immer schlimmer,« sagt sie. Alles wird teurer, die Leute werden immer unfreundlicher und am Abend kann man nicht mehr alleine spazieren gehen, so klagt sie. Still denke ich mir, dass die gute alte Zeit immer schon verklärt worden ist. Das ist eine liebgewordene Tradition. Da aber schwenkt die Unterhaltung plötzlich in die Weltpolitik. Überall auf der Welt würden Politiker sich wie Brandstifter verhalten. »Das hat vor achtzig Jahren auch so angefangen«, fürchtet die alte Dame. Die andere, offenbar eine lange nicht mehr gesehene Freundin, hört lange und ruhig zu. Sie lächelt voller Verständnis. Schließlich sagt sie: »Ja, die Zeit ist nicht einfach. Aber Du mußt auch sehen, dass es an uns selbst liegt, das zu ändern. So lange wir nur klagen und uns ängstigen, wird es immer schlimmer werden.« Darauf die Sorgenvolle: »Wir können doch gar nichts machen. Hast Du denn keine Angst?« »Nein«, meint die andere, »das tue ich mir nicht selber an. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.« In diesem Moment kommt der Kellner zu mir. Er bringt Kaffee. Mir entgehen ein paar Sätze aus der Unterhaltung am Nebentisch. Dann höre ich, wie die Gelassenere der beiden eine kleine Geschichte erzählt. Eines Abends, so beginnt sie, saß der alte Häuptling mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Der Kleine erzählte seinem Großvater von den Erlebnissen des Tages, darunter auch von einem Streit mit einem anderen Jungen. Man merkte ihm jetzt noch den Zorn an. Geduldig hörte der Großvater zu und blickte dabei in das Feuer. Lange schwieg er. Schließlich sah er den Jungen an und sprach: »Du mußt wissen, dass in jedem Menschen zwei Wölfe miteinander kämpfen. Der eine ist voller Zorn, Neid, Missgunst, Kummer, Gier, Selbstmitleid, Schuld und Minderwertigkeit. Der

andere ist voll Freude, Hoffnung, Gelassenheit, Freundlichkeit, Leidenschaft und Wohlwollen. Dieser Kampf findet in Dir statt, so wie in jedem anderen Menschen.« Dann schwieg er wieder. Da fragte der Enkel: „Und welcher Wolf gewinnt den Kampf?“ Der alte Häuptling stocherte ein wenig in der Glut, ehe er antwortete: »Der, den Du fütterst!« Die Geschichte fasziniert mich. Welchen Wolf füttern wir eigentlich, wenn wir uns ständig Ängste einreden lassen? Wenn wir uns verhalten, als wären wir unablässig von blutrünstigen Bestien umkreist? Wenn wir unsere Gelassenheit verlieren und reagieren, wie ein aufgeschreckter Haufen Sperlinge? Das Gespräch nebenan nehme ich kaum noch wahr. Zu sehr beschäftigt mich die Geschichte vom guten Wolf. Erwachsene lachen nur zwanzigmal am Tag. Kinder hingegen vierhundert Mal und mehr. Irgendwie ist uns das Lachen abhanden gekommen. Vielleicht sind wir zu ernst geworden, um den guten Wolf füttern zu können? In anderen Gegenden der Welt ist man fröhlicher. Im Süden, zum Beispiel, treffen sich die Leute abends am Dorfplatz. Sie reden miteinander und lachen, genießen den Moment und füttern gemeinsam den guten Wolf. Sie wissen noch, wie man das macht. Die Menschen in südlicheren Ländern richten ihre Aufmerksamkeit häufiger auf die positiven Dinge des Lebens. Ist das vielleicht der Grund, weswegen wir so gerne im Süden Urlaub machen? Der Wunsch zur Ruhe kommen zu wollen, ist jedenfalls der mit Abstand wichtigste Grund für die Wahl des Urlaubszieles. Nachdenklich geworden erinnere ich mich an einen alten Spruch. Er lautet: Wo Deine Aufmerksamkeit ist, liegt Deine größte Kraft. Ich beschließe meinen guten Wolf zu füttern, zahle und trete hinaus auf die Straße.

Dominik Landolt ist ein österreichischer Komponist, Pianist und Songwriter. Er ist einer von zwei Gründungsmitgliedern des Labels »Mustache Records«, welches er zusammen mit Dominik Reisner leitet. Wir haben ihn getroffen um über seine Projekte und Zukunftspläne zu sprechen. Dominik, wo befindest Du Dich gerade? Im Moment bin ich in Tiflis und werde hier in einigen Tagen hoffentlich die ersten Meetings zu einem Projekt beginnen, welches ich mit einem Kollegen aus London umsetzen will, aber mehr darf ich noch nicht verraten. Welche Projekte hast Du sonst gerade? Als Komponist und Pianist bin ich gerade dabei, mein neues Trioprogramm »Box of Bricks« mit der Band »Toy Story« einzustudieren. Das wird spannend, weil ich versuche, die Tonsprache Olivier Messiaens mit der Stimmung der Kompositionen Frederic Mompous in einen improvisierten Kontext zu stellen. Und im Tonstudio gibt es auch viel zu tun, da allerdings Großteils Pop-Produktionen, Songwriting mit vielen lieben Kolleginnen und Kollegen wie Chris Emray, Marion Traun und Dominik Reisner, um nur einige zu nennen. Wie lassen sich die vielen verschiedenen Genres unter einen Hut bringen? Viele Leute haben mich das schon gefragt, manche haben mir auch geraten, mich auf eine Musikrichtung zu konzentrieren und die dafür »gscheit« zu machen, wie man in Österreich so schön sagt. Allerdings denke ich, dass der Vergleich, der oft gebracht wird, dass Musik eine Sprache sei, ein wenig hatscht. Musik ist nicht nur eine Sprache, Musik kann ganz viele Sprachen sein, und wenn man lernt, die unterschiedlichen Sprachen innerhalb der Musik zu sprechen, dann finde ich, kann es gar kein Problem geben, mehr als nur eine Musikrichtung »gscheit« zu machen.


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