Abendprogramm PASSING – IT'S SO EASY, WAS SCHWER ZU MACHEN IST

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PASSING – IT’S SO EASY, WAS SCHWER ZU MACHEN IST

INSZENIERUNG RENÉ POLLESCH

URAUFFÜHRUNG 29. FEBRUAR 2020 KAMMER 1

KARTEN UNTER 089 / 233 966 00 WWW.KAMMERSPIELE.DE




K T

: Ich bin es leid, an euren Schicksalsfäden zu weben.

: Ja, gibt es nicht was Konkreteres? Transportieren die auch Strom? Oder Wasser? Warum kann Theater nicht wie ein Flugblatt sein! Wenn die Liebe eine Brücke sein kann, warum nicht das Theater ein Flugblatt? Warum stehen Romeo und Julia nicht viel eher draußen auf einer Brücke, im Sturm, weil solche Sensationen das Gefühl ja eher befördern. Und warum ist nicht das Theater indessen wie ein Flugblatt! Ja, auch wenn es am Boden liegt. Aber dort kann es ja auch gelesen werden. Von denen die am Boden liegen. Warum es nicht für die Propagandamittel erobern? Kann es nicht an die zweite Stelle treten aller Propagandamittel? Nach diesem Internet.

K

: Passing heißt Durchgehen als. Ich frage jetzt aber, warum geht hier „Fertig“ als „Ende“ durch? Wenn doch Passing eigentlich

eine ganz gute Frage ist gegen den gesunden Menschenverstand. Der sagt nämlich, wie du fühlst ist eine Wahrheit über dich, und du fühlst als Frau. Deine Sexualität ist eine Wahrheit über dich. Und wenn du jetzt versuchst durchzugehen als ein anderer, dann fragt diese Gesellschaft zu recht: Bist du noch bei Sinnen? Wie kannst du nur? Deine Trennung von mir war das Schlimmste. Ich kann mich nicht an irgendwas erinnern, das schlimmer war. Auch nicht in der Bibel. Keine der Menschheitsplagen dort kommt an das heran, was passierte, als du dich von mir getrennt hattest. Ich hatte keine Ahnung, dass das überhaupt zu trennen war. Es kam völlig überraschend. Die Apokalypse war nirgendwo am Horizont. Das Gelingen war das, womit ich hauptsächlich beschäftigt war. Alles Wissen, das man zusammengetragen hatte, war es nur um des Gelingens willen. Die das tun, um zu scheitern, die, die das Wissen zusammentragen, um zu scheitern, oder mit dem Scheitern am Horizont, solche

Motive kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wissen heranzuziehen, um zu scheitern. Ein bestimmtes Wissen über die Welt oder über dich.

B

: Und ein Satz wie: „Das war sie also die Geschichte von A und B. Es war das Ende.“ Dieses Interesse am Scheitern ist immer die bürgerliche Sicht. Das Interesse an dem Schicksal der einzelnen Personen, die dann ihrem Schicksal unterliegen; man sieht sie scheitern oder ihr Glück finden, egal. Die Welt wird immer vorgestellt als unveränderbar. In den Abgrund der Begriffe schauen tut das nicht. In den Abgrund der Menschen schauen sehr wohl.

K

: Dass gerade Wissenschaftlerinnen aus unserem Bekanntenkreis voll von bitterem Zynismus sind, obwohl sie eigentlich dafür arbeiten, positive Veränderungen zu bewirken. Dass die Reaktionen auf die großen Schrecken derzeit eigentlich viel destruktiver

sind als die Schrecken selber. Zu sagen: „Das Spiel ist vorbei, es ist zu spät. Es ist sinnlos zu versuchen, irgendetwas besser zu machen.“ Das ist alles so destruktiv. Die Gegenwart ist ja nicht nur ein flüchtiger Punkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, nein es gibt ja wohl mehr als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es gibt vielleicht noch viel mehr Dinge in der Zeit.

M

: Und hör auf, meine Gefühle zu interpretieren, da sind keine. Die sind da genausowenig wie eine Figur in einem Theaterstück, die gibt es nicht, das sind nur Sätze, ausgedacht von einem Idioten.

T

: Dass es sich um Figuren handelt und um Handlung in einem Film oder in einem Theaterstück, das bleibt unsichtbar. Sie sind eben nicht zu greifen. Wohl aber die Schauspieler. Aber das Theater hatte immer einen Hang zu dem, was nicht zu greifen ist, was nicht präsent ist.

M

: Ausgerechnet das Theater. Es ist so schön normal gewesen mit dir. Und jetzt plötzlich ist wieder Drama angesagt. Aber dieses Drama, du, ihr seid mir zu sehr Kirche. Es genügt nicht, hier voreinander auf seelische Erschütterungen zu lauern. Dieses Theater ohne den Abgrund der Begriffe ist mir zu heilig. In den Abgrund von Personen zu sehen ist mir zu flach, wenn ich vorher Bekanntschaft mit dem Abgrund der Begriffe gemacht habe. Wir dürfen uns nicht als Abgründe begegnen. Das ist einfach nur bürgerlich. Das ist hier zu heilig! Es genügt nicht, auf seelische Erschütterungen zu lauern.

T

: Nein! Auf Sportplätzen wissen die Leute, die ihre Billette kaufen, genau, was sich begeben wird und genau das begibt sich dann, wenn sie auf ihren Plätzen sitzen: nämlich dass trainierte Leute mit Verantwortungsgefühl, so, als machten sie es hauptsächlich zu ihrem eigenen Spaß, in der ihnen angenehmsten Weise ihre besonderen Kräfte

entfalten. Keine seelischen Erschütterungen. Das erinnert die Leute nur an die Kirche. Viel eher sehen, wie es mit den Leuten gut oder abwärts geht. Das erinnert die Leute an ihre Kämpfe vom Vormittag. Man kommt ja nicht hierher um der Normalität zu entfliehen. Die Normalität ist doch das Geilste. Aber sie muss natürlich jedem zustehen.

B

: Wir brauchen keine Abgründe. Stattdessen in die Abgründe der Begriffe blicken! Warum nur abstrakt und leblos unterrichtet werden? Du unterrichtest mich ja auch nicht leblos. Mit dieser Erregung, die ein Gegenüber auslöst: Äußerungen ausgeben, sich äußern, Texte schreiben. Mit dieser Liebe für die sportlichen Spielzüge seiner Gegenüber. Diese Erregung für den Abgrund der Begriffe in die man sein Gegenüber taucht. Und zwar leidenschaftlich.

K

: Theorien bringen gar nichts, außer im Angesicht des Bodenlosen. Es gibt nur

Theorie in Schlamm und Durcheinander. Woanders wird sie nicht gebraucht.

T B K

: Wir sind: Die Glorreichen Sieben. : Wie kommt denn diese Frau hierher?

: Ruhe jetzt! Die Frage ist doch vielmehr, wie kommen diese 6 Männer hier her? „Glorreich“ in Verbindung mit denen ist doch wirklich lächerlich.

K

: Was sagt ihr, wenn ich versuche als Mann durchzugehen? Ihr sagt, „kann man mal machen“. „Aber es muss aufhörn dann später“, „eine einmalige Sache, aber nicht ein ganzes Leben!“ Aber, antworte ich, es ist das ganze Leben, das ich will. Ich will nicht den Flicken, ich will den ganzen Rock. Also Rock jetzt im alten Sinne, das Wort steht für jeden Anzug, hat nichts mit Mini zu tun. Und nichts mit Rock ’n’ Roll. Ich brauche nicht 1 Tag als Mann. Ich verlange nach dem

ganzen Leben. Als Mann. Was sagt ihr, wenn ich versuche, unsichtbar zu sein. Ihr sagt, kann man mal machen. An dem NichtUnterschied zur Sichtbarkeit zu arbeiten, aber begrenzt, wie etwas, das man sich überwirft, und das tut man nicht mit dem ganzen Leben. Aber, antworte ich, ich werfe mir etwas über für immer, ich will der einsame Mann in der einsamen Masse sein. Warum? Damit ich nicht unterschieden werde. Was wollen die nur immer mit Identitätspolitik! Es geht ja gerade NICHT um den authentischen Ausdruck unserer Identitäten. Es geht ums Passing.

K

in: München 20er Jahre. Soviel ist hier drinnen ja gar nicht möglich. Aber draußen ja auch nicht.


TECHNISCHER DIREKTOR

Klaus Hammer

URAUFFÜHRUNG 29. Februar 2020, Kammer 1

TECHNISCHER LEITER

Richard Illmer LEITER DER BÜHNENTECHNIK

AUFFÜHRUNGSRECHTE Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

Hans-Björn Rottländer LEITER DER BÜHNENMASCHINERIE

Ulrich Heyer LEITER DER BELEUCHTUNGSABTEILUNG

Christian Schweig LEITER DER TONABTEILUNG

Wolfram Schild LEITER DER VIDEOABTEILUNG

Nicolas Hemmelmann LEITERIN DER MASKENABTEILUNG

Brigitte Frank

QUELLEN LITERATUR

Erwin Piscator: Zeittheater. Das politische Theater und weitere Schriften. 1915 – 1966. Ausgewählt und bearbeitet von Manfred Brauneck und Peter Stertz. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1986 Brigitta Kuster: Grenze filmen. Eine kulturwissenschaftliche Analyse audiovisueller Produktionen an der Grenze Europas, Bielefeld: transcript 2018 Hans Ulrich Gumbrecht / Jürgen Klein (Hg.): Präsenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012.

LEITERIN DER KOSTÜMABTEILUNG

Donna J. Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Campus Frankfurt / New York 2018.

Beatrix Türk

FILM

LEITER DER REQUISITE

Stefan Leeb LEITUNG DER DEKORATIONSWERKSTÄTTEN

Rainer Bernt, Fabian Iberl KONSTRUKTEUR

Adrian Bette, Jonas Simon SCHREINEREI

Norma Rae – Eine Frau steht ihren Mann. Regie Martin Ritt. Los Angeles: Twentieth Century-Fox, 1979. Two-Minute Warning. Regie Larry Peerce. Los Angeles: Universal Pictures, 1976. Die unglaubliche Geschichte des Mister C. Regie Jack Arnold. Los Angeles: Universal International Pictures, 1957. Tarantula. Regie Jack Arnold. Los Angeles: Universal International Pictures, 1956.

Erik Klauß TAPEZIEREREI

Gundula Gerngross SCHLOSSEREI

Friedrich Würzhuber MALSAAL

Evi Eschenbach, Jeanette Raue, Frederic Sontag THEATERPLASTIK

Gabriele Obermaier SPEZIALEFFEKTE  /  E LEKTROWERKSTATT

Stefan Schmid

IMPRESSUM HERAUSGEBER

Münchner Kammerspiele Spielzeit 2019/20 Intendant: Matthias Lilienthal Geschäftsführender Direktor: Oliver Beckmann FOTO

Thomas Aurin REDAKTION

Tarun Kade GESTALTUNG

Double Standards Berlin und Annika Reiter, Münchner Kammerspiele


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