Abendprogramm KÖNIG LEAR

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VON WILLIAM SHAKESPEARE ÜBERSETZT UND BEARBEITET VON THOMAS MELLE

INSZENIERUNG: STEFAN PUCHER PREMIERE 28. SEPTEMBER 2019 KAMMER 1

KÖNIGLEAR



ZUM ABEND A

KÖNIG

lle Zeichen stehen auf Veränderung im Reich von König Lear – es ist an der Zeit, den Machtwechsel einzuleiten. Nur die Macht tatsächlich loslassen, das kann Lear nicht – viel zu sehr ist er die Privilegien gewöhnt, die ihm sein Leben lang selbstverständlich waren. Bestimmt wird das Spiel nun von Lears Töchtern – sie sind an der Reihe und bereit, die Verantwortung für eine andere Zukunft zu übernehmen, auch wenn sie nicht wissen, was diese bringen wird. Mit dem Machtwechsel gerät die Welt wie König Lear sie kennt immer mehr aus den Fugen. Was ihm eben noch selbstverständlich war, wird nun durch die Regeln seiner Töchter blockiert. Wo er ungestört Willen und Gewalt ausüben konnte, da bekommt er von ihnen Gegenwind. In diesem Abend ist König Lear nicht alt – außer in den Augen seiner Töchter. Denn die privaten Konflikte zwischen ihm und ihnen sind politische Grundsatzfragen zwischen einem „alten Prinzip“ und dem Wunsch nach einer „neuen Weltordnung“. Sind die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht bestimmt von den Immergleichen, seit

„ES GILT, ENDLICH ZU HANDELN.“

Jahrtausenden schon? Wie hat sich die Welt entwickelt? Bedarf es nicht dringend eines Umsturzes – kalt und strukturell? Wie radikal muss der Wandel sein? Wie viel Zeit bleibt dabei für den Zweifel?


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BESETZUNG

NIGLEA

LEAR KÖNIG Thomas Schmauser GRÄFIN VON GLOUCESTER Wiebke Puls GRAF VON KENT/DER NARR Samouil Stoyanov EDGAR GLOUCESTERS SOHN Christian Löber EDMUND GLOUCESTERS BASTARD Thomas Hauser OSWALD DIENER GONERILS Anna Seidel GONERIL LEARS TOCHTER Julia Windischbauer REGAN LEARS TOCHTER Gro Swantje Kohlhof CORDELIA LEARS TOCHTER Jelena Kuljic´

INSZENIERUNG Stefan Pucher BÜHNE Nina Peller

KOSTÜME Annabelle Witt MUSIK Christopher Uhe

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LIVE-VIDEO Hannes Francke Ute Schall

REGIEASSISTENZ Elias Capelle Friederike Kötter

VIDEO Ute Schall

BÜHNENBILDASSISTENZ Maike Brunner

CO-VIDEO Hannes Francke

KOSTÜMASSISTENZ Victoria Dietrich

LICHT Stephan Mariani

INSPIZIENZ Barbara Stettner Hanno Nehring

DRAMATURGIE Helena Eckert Tarun Kade

SOUFFLAGE Jutta Masurath

REGIEHOSPITANZ Jasmin Pietsch DRAMATURGIEHOSPITANZ Suvi Schrank

ÜBERTITELUNG Yvonne Griesel SPRACHSPIEL

ÜBERSETZUNG Anna Galt PREMIERE 28. September 2019 Kammer 1 AUFFÜHRUNGSRECHTE Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

OPERATOR Clara Schneider Fernanda von Sachsen-Gessaphe


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BESETZUNG, INHALT

BÜHNENTECHNIK Marcel Homack BELEUCHTUNG Michael Barth Sebastien Lachenmaier Jan Platzcke Peter Weberschock TON Viola Drewanz Katharina Widmaier-Zorn VIDEOTECHNIK Jens Baßfeld Dirk Windloff REQUISITEN Daniel Bittner Wolfgang Staudinger MASKE Raimund Richar-Vetter Sylvia Janka Sofie Reindl-Grüger Steffen Roßmanith

TECHNISCHER DIREKTOR

Klaus Hammer TECHNISCHER LEITER

Richard Illmer LEITER DER BÜHNENTECHNIK

Hans-Björn Rottländer LEITER DER BELEUCHTUNGSABTEILUNG

Christian Schweig LEITER DER TONABTEILUNG

Wolfram Schild LEITER DER VIDEOABTEILUNG

Nicolas Hemmelmann LEITERIN DER MASKENABTEILUNG

Brigitte Frank LEITERIN DER KOSTÜMABTEILUNG

Beatrix Türk LEITER DER REQUISITE

Stefan Leeb LEITUNG DER DEKORATIONSWERKSTÄTTEN

Rainer Bernt, Fabian Iberl KONSTRUKTEUR

Adrian Bette, Jonas Simon SCHREINEREI

TAPEZIEREREI Christian Petzuch Michaela Brock

Erik Klauß

MALSAAL Evi Eschenbach Jeanette Raue Frederic Sontag

SCHLOSSEREI

TAPEZIEREREI

Gundula Diener Friedrich Würzhuber MALSAAL

Evi Eschenbach, Jeanette Raue THEATERPLASTIK

Gabriele Obermaier SPEZIALEFFEKTE  /  E LEKTROWERKSTATT

Stefan Schmid

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LEAR INHALT

ZUM ABEND

001

BESETZUNG

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ZU DIESEM HEFT

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DIE ZEICHEN STEHEN AUF VERÄNDERUNG 009

VON ELISA LEROY

EINE WEGGABELUNG

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VON CINZIA ARRUZZA, TITHI BHATTACHARYA UND NANCY FRASER

WILLIAM SHAKESPEARE THOMAS MELLE STEFAN PUCHER 036

BIOGRAFIEN

IMPRESSUM

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ZU DIESEM HEFT

ZU DIESEM HEFT T

homas Melle, Autor von „Die Welt im Rücken“ hat für die Inszenierung von Stefan Pucher Shakespeares Königsdrama neu übersetzt und bearbeitet. In diesem Heft nimmt die Komparatistin Elisa Leroy in ihrem Essay „Die Zeichen stehen auf Veränderung“ die Adaption von Thomas Melle genauer in den Blick (S. 9) „Wäre ich ein Mann, würdest du mich dann genauso hinterfragen? Nein, denn dann wäre der Pranger ein Zeichen von Stärke. Ich will mich nicht mehr entschuldigen, denn meine Freiheit ist nicht schädlich, und auch nicht mein Hunger auf Verantwortlichkeit. Ich kann nicht mehr nur Worte aufeinanderhäufen und zuschauen, wie die Haufen täglich wieder zerfallen. Seit Jahrzehnten immer nur Worte, Worte wie Bauklotztürme, Sandburgen aus Ideen – und die Sehnsucht nach einer Welt außerhalb des ewigen Kinderzimmers, in das ihr mich seit je gesteckt habt. Und wenn ich es in die Luft sprengen muss, dieses verdammte Kinderzimmer, damit die Worte endlich irgendeine Bedeutung erhalten, und wenn ich die Sprache zerreißen muss, diese verdammte Sprache, um endlich zur Konsequenz zu finden“.

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egan spricht aus, wie sie die Welt Lears empfindet: als eine Welt der sich die Macht beständig weiterreichenden Männerbünde, die den weniger Privilegierten wie Kindern eine König-der-Löwen Moral erzählt: die Machtverteilung sei verdient, gerecht und für ALLE von

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Vorteil; ein Machtwechsel würde die Welt in die Dunkelheit stürzen. Die Töchter wollen diese Erzählung nicht mehr akzeptieren und setzen mit blutigem Erfolg zur strukturell gedachten Gegenoffensive an. „Jetzt ist alles möglich“, sagen Goneril und Regan zum Schluss, als sie bei Melle als einzige noch leben, wenn alle andere tot sind. Regan und Goneril wissen: Es tut sich eine Lücke auf. Wer sie füllen will und somit für sich und andere Verantwortung übernimmt, der muss schnell sein. Jetzt handeln, auch wenn es weh tut. Doch was kommt nach dem Schnitt? Wie könnte diese zukünftige Welt aussehen? Besser, schlechter oder einfach anders?

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ährend bei Shakespeare der Untergang Lears eindeutig tragisch und seine Töchter Goneril und Regan eindeutig böse sind, stellt die Fassung Thomas Melles die Frage nach der Notwendigkeit dieser allzu grausamen Umwälzung der Verhältnisse. Doch gibt es eine Alternative zum ewigen Kampf im gleichen System? Die jüngste (in dieser Fassung älteste) Tochter Cordelia ist bei Thomas Melles nicht mehr engelhafte Unschuld sondern eine Figur, die das Spiel „Wer kriegt die Macht?“ in Frage stellt. Das Manifest „Feminismus der 99 %“ der Autorinnen Cinzia Arruzza , Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser will ganz im Sinne Cordelias eine Welt außerhalb bloßer Machtwechsel im immergleichen System visionieren. (S. 16) Der gesellschaftliche Wandel ist nötig, das Problem ist jedoch Macht – wie sie wirkt und wie sie erhalten wird. Auch der Feminismus steht an der Weggabelung


zwischen einem liberalen Feminismus, der die Welt so wie sie ist ändern und die Führungspositionen weiblich neu besetzen will, und einem Feminismus, der das bestehende System nicht akzeptieren kann und ihm ein Ende setzen muss. Einem Feminismus, der sich als Kampf für gleiche Rechte ALLER Menschen einsetzt. Für welchen Weg wir uns als Gesellschaft entscheiden hat Folgen. Das Machtvakuum bietet Momente des politischen Erwachens – alte Autoritäten verlieren ihre Unterstützung und neue Allianzen werden gebildet – aber wer wird den Prozess gesellschaftlichen Wandels bestimmen, in wessen Interesse und mit welcher Agenda? HE/TK

PS: Als besonderes Extra dieses Programmheftes hat Bühnenbildnerin Nina Peller ein Künstlerinnen-Insert gestaltet, das einen Einblick in die Assoziationsräume ihres Lear-Bühnenbildes gibt.


ESSAY

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UNTERSCHIEDE. DIE KLEINEN UND VOR ALLEM DIE GROSSEN Lear ist ein Stück über den Unterschied: zwischen alt und jung, Mann und Frau, hoch und niedrig Geborenen. Es teilt ein Wissen über Differenz, die Identität stiftet. Es verhandelt, was es heißt, voneinander unterschieden oder mit sich eins zu sein, gleichberechtigt zu sein, ohne gleich zu sein. Es ist dabei ein Stück über die Gewalt, die jeder Veränderung innewohnt,

Ein Essay von Elisa Leroy

ear ist alt. Seine Zeit ist vorbei. Er spürt es, ist selbst bereit, die Macht abzugeben, und teilt sein Erbe unter seinen Töchtern auf. Und doch gelingt es ihm nicht, loszulassen: Er besteht auf seinem Recht, gesehen und gehört zu werden – zumindest zum Schein und auf der Bühne. Wie sein Protagonist ist Lear das Stück, das nicht enden will. Lear ist Tradition und zugleich eine Geschichte über das Tradieren. Es ist eine Reflexion über den Abstand – traduttore traditore – den jede Übertragung zu ihrem Original halten muss, um zu entbergen, was in ihm an kommenden Möglichkeiten immer schon verborgen war. In Thomas Melles Übersetzung und Bearbeitung König Lear finden die Fragen und Konflikte, die William Shakespeares King Lear verhandelt, ein Echo in gegenwärtigen identitätspolitischen Auseinandersetzungen. So zeigt sie über den Umweg des alten Stoffes deren innere Widersprüche auf.

DIEZEICHEN STEHEN

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DIE ZEICHEN STEHEN AUF VERÄNDERUNG

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AUFVERÄND ERUNG

und darüber, ob das, was auf sie folgt, sich von der Gewalt befreien kann, auf die es gebaut ist. Auch Thomas Melles König Lear handelt von kleinen und großen Unterschieden. Wenn im Text die Bildfelder heutiger Ungleichheit und Unterschiedenheit aufscheinen – vom System ist die Rede, von Prekarität und Privilegien – , so scheinen diese eine von Shakespeares historischem Kontext entfernte Welt zu beschreiben. Doch wenn Lear seinen Töchtern droht „Ich lehr euch schon noch Unterschiede“, stellt König Lear dabei die Kontinuität von gesellschaftlichen und politischen Unterdrückungsverhältnissen aus, die auch in Shakespeares King Lear anklingen. Geschlecht, Alter und Klasse strukturieren in König Lear die Verteilung von Macht und Besitz in einer Weise, welche die unheilvolle Verknüpfung dieser verschiedenen Dimensionen deutlicher hörbar macht.

NEUE FIGUREN BELEBEN DAS BRETT In König Lear beleben neue Figuren das Spielbrett: Gloucester, Mutter statt Vater, füllt eine Lücke in Shakespeares King Lear, in dem die Mütter aller Kinder durch Abwesenheit glänzen. Die Ehemänner Regans und Gonerils hingegen, die bei Shakespeare vom Erbanteil der Töchter profitieren, sind keine eigenständigen Figuren mehr, sondern kommen nur noch als abwesende „Pappkameraden“ und „Zinnsoldaten“ zur Sprache. Während bei Shakespeare nur männliche


Figuren als Vererbende und Erbende in Frage kommen, bricht in Melles Bearbeitung der intergenerationelle Konflikt als Geschlechterkampf aus: Es steht der Vater gegen die Töchter und die Mutter gegen die Söhne. Lears Töchtern Cordelia, Goneril und Regan fehlt zum Regieren ein „thing“, das sie in der Bilderwelt von Shakespeares Zeitgenossen zu no-things macht. Wer „schwanzlos herumschwänzelt“, wie Kent spottet, hat kein echtes Anrecht auf die Macht – zumindest nicht ohne Unterwerfungsgeste. Der Geschlechterunterschied verdoppelt so den Generationenunterschied, der seinerseits stets ein Machtgefälle impliziert, in dem die Jüngeren den Älteren Respekt, Dankbarkeit und Liebe schulden. Denn „Verbundenheit und Emotion“, so Lear, „bildeten schon immer / Das tiefste Fundament unserer Machterhaltung“. Ein zu altes Konzept, findet Cordelia. Zu nichts berechtigt, setzt sie Lears Liebesprobe ihrerseits ein Nichts entgegen. „So young, and so untender?“ wundert sich Lear, als Cordelia ihm den verlangten rhetorischen Liebesbeweis verweigert. „So erwachsen, und so grob?“ übersetzt Thomas Melle, und entbirgt damit den Kern von Cordelias Forderung: Den Altersunterschied zu überbrücken, eine Erwachsene sein zu dürfen: „Erwachsen nah, mit wohlmeinender Distanz“. Komplex genug – doch in König Lears Welt sind mit den Unterschieden in Geschlecht und im Alter auch die feinen Unterschiede der sozialen Klassifizierung verknüpft. Edmund, der uneheliche Sohn Gloucesters, empört sich darüber,

dass seine Zeugung „Jenseits der Ehe“ nicht nur seine Mutter als untreu, sondern vor allem ihn als „bastard“, als „base“, also im Wortsinn niedrig brandmarkt, und ihn so im Unterschied zu seinem Bruder Edgar, der in den vollen Genuss des Erbes kommen wird, prekarisiert: „Ja, wie denn anders? Wieso Bastard? Was heißt da prekär?“ Es ist das Zusammenspiel dieser Unterschiede, das die Tragödie antreibt. Die Konfliktlinien verlaufen allerdings in König Lear instabil, und die gegnerischen Positionen sind mobil und austauschbar: „ein Patt, nur in bunten Rochaden“. Der Narr, in Melles König Lear kein professioneller Hofnarr, sondern der treue Diener Kent in Verkleidung, deutet im prophetischen Gedicht die Dramaturgie des Geschehens, noch bevor es voll in Gang gekommen ist: Wenn der König fällt, ist das Schachspiel vorbei UND ZU ENDE DAS ALTE EINERLEI, UND DAS SCHLICHTE, BLÖDE, EDLE SCHWARZWEISS, IST SCHLICHTWEG NICHT MEHR DER HEISSESTE SCHEISS. In der Tat: Der König ist gefallen; neue Figuren beleben das Brett, und führen ein neues „Einerlei“ auf, in dem das „blöde, edle Schwarzweiß“ allerdings keineswegs überwunden ist. Dieses lässt sich, je nach Figurenperspektive, verschieden deuten und akzentuieren: Wütende Patriarchen stehen gegen vernünftige und kompetente Jugend, malträtiertes Alter gegen zickigen Nachwuchs, berechtigter Aufstiegswunsch gegen starren Konservatismus.


DIE ZEICHEN STEHEN AUF VERÄNDERUNG

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UNSERE WORTE SCHAFFFEN WIRKLICHKEITEN

noch ehrlich beim Namen nannte, in die vertraute Gestalt des Das-wird-mandoch-wohl-noch-sagen-dürfen.

In König Lear wird die Auseinandersetzung zwischen den Generationen und den Geschlechtern mit sprachlichen Waffen geführt. Lears ungehobeltes Gefolge stört den Hausfrieden seiner frisch inthronisierten Tochter Goneril. Seine Männer wüten allerdings nicht mehr im Thronsaal, sondern mit sprachlichen Obszönitäten im Netz. Der „Männerplage“ und dem „Männermob“ will die Tochter den Garaus machen. Boys will be boys, beschwichtigt Lear: „Das sind Leute, die müssen so reden.“ „Müssen sie nicht“, findet Goneril, und zwar „Seit immer schon.“ Beide Seiten lassen sich von Gloucester, der Advokatin der gemäßigten Mitte und gewaltfreien Kommunikation, nicht besänftigen: „Das ist zu extrem und wird noch mehr Extreme bringen“, warnt sie. Es ist ebenfalls sie, die Lear auf die Bedeutung von politisch korrektem Sprechen hinweist, als er seine misogynen Ausfälle gegen die eigenen Töchter richtet: „Unsere Worte schaffen Wirklichkeiten, Lear!“ Kent, Lears treuer Diener, hat ein ähnliches Bild von Sprachgebrauch wie dieser: „Ich bin nur geradeaus, und wenn geradeaus bedeutet, irr zu sein, dann liegt es nicht an mir, sondern an den schrägen Zeiten“, findet er – und hat als Narr folgerichtig im richtigen Moment einen Blondinenwitz parat. Thomas Melle übersetzt so die Sehnsucht von Shakespeares Zeitgenossen nach einer imaginierten plainness, in der man die Dinge angeblich

JETZT NICHT ENTSCHULDIGEN Die entgegengesetzte Perspektive der beiden traditionell als bösartige Heuchlerinnen interpretierten Schwestern Regan und Goneril erhält in Thomas Melles König Lear mehr Raum. Hier beherrschen sie das Vokabular einer politischen Agenda, die für die radikale Umkehrung der Machtverhältnisse eintritt. Regan und Goneril haben in der Liebesprobe ihre Pflicht erfüllt und fordern, dass Lear seine Seite der Vereinbarung einhält. Schon bei Shakespeare bemüht sich Goneril, im respektvollen Gespräch zu bleiben: „As you are old and reverend, you should be wise“/ „Du bist alt und würdig, also bleib auch klar im Kopf!“, doch ihre vorsichtigen Ermahnungen werden von den misogynen Ausfällen des wütenden Königs übertönt. In König Lear verteidigt der König sein Recht ebenso wort- und beschimpfungsreich, seine Ausfälle werden aber durch Goneril als Teil einer „Gewaltgeschichte“ kontextualisiert, die sie als Erfahrungshintergrund für ihre Strenge andeutet: „Jetzt hart zu bleiben gegen jeden Impuls. Jetzt sich nicht / für Selbstverständlichkeiten entschuldigen“. Auch Regan äußert ihren Unwillen, weiter geschlechterrollengemäßes Verständnis zu zeigen: „Wäre ich ein Mann, würdest du mich dann genauso hinterfragen?“ Beide Schwes-


tern wollen sich für ihren Wunsch nach Freiheit und Verantwortlichkeit nicht mehr entschuldigen, und sich – erst recht vom eigenen Vater – nicht mehr als überemotionale, winselnde Schreckschrauben verunglimpfen lassen.

DIE DISRUPTION DES GANZEN In König Lear führen Goneril und Regan das Spiel um die Macht fort, wie sie es von ihrem Vater gelernt haben, im Dienst einer „Disruption des Ganzen“, die die bisher fruchtlosen faulen Kompromisse ablösen soll: „Jetzt so sein wie er“, ist das Motto. Und das bedeutet „Auge und Auge, Zahn um Zahn“: „Alter! Jahrhunderte hast du gewütet und geschrien, jetzt wirst du schweigen!“, fordert Regan, und stellt Lear – und Lear – damit als Exempel für eine lange Geschichte weiblicher Unterdrückung hin, die König Lear in den Mittelpunkt rückt. An Lear, so empfindet dieser es, vollziehen die Schwestern die Rache für Taten, die er nicht begangen hat: „Ich bin es doch, ich, Lear, euer Vater, / Was kann ich denn für Jahrtausende! Ich sprech doch nur für mich.“ Sie selbst hingegen sehen ihr Anliegen nicht als persönliche Agenda, sondern als Teil eines Prozesses, der alle Unterschiede beseitigen wird. „Das Gute, das wir versuchen“ ist, „gleiches Recht für alle Menschen aller Klassen, Farben und Geschlechter“. Der Wechsel muss allerdings „von der Warte der Schwachen aus regiert“ werden. Deswegen kann Lear die Machtübergabe trotz

aller guter Absichten aus strukturellen Gründen gar nicht selbst einleiten. Ihm fehlt die Erfahrung des Unterprivilegierten: „Das kannst du nicht wissen, das wissen nur wir. Was maßt du dir an, du hast dich nie mit unseren Augen gesehen.“ Doch wenn Unterschiede uns einander unverständlich machen, niemand für den anderen sprechen kann, wie ist dann gemeinsames Handeln möglich? Wie ist Vertretung möglich, ohne Vereinnahmung zu werden?

WEG MIT DER VERDAMMTEN MITTE Denn auch die beiden Schwestern formulieren in König Lear den Anspruch, für „die Schwachen“ zu sprechen. Darin klingt ein grundlegendes Problem politischer Repräsentation an: „Wer ist das, die Schwachen?“ fragt Lear sich. (Unter-) Privilegierung ist relativ. Lear deutet Regans und Gonerils Erfahrungshintergrund anders als die Töchter: „Ihr! Es waren Glitzerburgen, in denen ihr aufwuchst!“. Edmund, der Prekäre, aus Abstammungsgründen Ausgeschlossene, klagt an: „Die hier unten müssen beißen, kämpfen, töten, und ihr Atem ist zu knapp für euren / Parfümierten Sanftmut, für die Nächstenliebe da oben“. Ist die Auseinandersetzung zwischen Lear und seinen Töchtern nur ein Oberflächenphänomen, das ablenken soll von einem tieferen Unterschied? Beide Unterscheidungen sind doch Teil der gleichen Ordnung. Paternalistische Ver-


DIE ZEICHEN STEHEN AUF VERÄNDERUNG

achtung spricht nicht nur aus Lears Konfrontation mit seinen Töchtern, sondern auch aus der Begegnung mit Edmund, die Thomas Melle in König Lear inszeniert: „Füttert nicht den Proll!“, warnt Lear. Durch die Herabwürdigung nicht nur Edmunds fördert Lear bei allen Figuren der jüngeren Generation die Radikalisierung. Edmund fühlt sich deswegen zum Diktator berufen. „Weg mit allem Gleichgewicht und weg mit der verdammten Mitte“, fordert er als Unikat, das jenseits des Spiels der Differenzen steht, das ihn im Grunde nicht interessiert. Die Schwäche der Anderen ist Edmund dabei nur Mittel zum Zweck: „Volk, steh auf, ich bin jetzt euer Sprecher!“

ALLES SCHWARZ AUF ALLEN SEITEN Edmunds Populismus führt vor, was das hehre Ideal der „Disruption des Ganzen“ verdeckt. Auch sie kann zur machtorientierten Strategie werden, die vor allem an einem Interesse hat: Spaltung. Gloucester, in Shakespeares Tragödie der kompromissbereite Vermittler zwischen dem alternden König und den neuen Herrscherinnen, steht in König Lear für die innere Spaltung derjenigen, die versuchen, endlich trotz ihres Geschlechts am Spiel um die Macht teilzuhaben. Sie versucht, einen Mittelweg zwischen unvermitteltem gewaltsamem Umsturz und ewiger Verstetigung der Ungleichheiten zu denken, und wird Opfer ihrer eigenen

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Kompromissbereitschaft. Was bei Shakespeare der Verräter ist, der das Band der Loyalität untergräbt, welches die aristokratische Gesellschaft im Innersten zusammenhält, ist in der post-totalitären Welt von König Lear der Kollaborateur: „Dreckige Kollaborateurinnen!“, schimpfen Regan und Goneril auf Gloucester und andere Frauen, die die Grenze zwischen den Parteien im politischen Kampf nicht deutlich genau ziehen: „Warum fraternisierst du mit den Schwänzen?“ Sie rechtfertigen ihre brutale Blendung Gloucesters mit dem obersten Endzweck: „Einmal müssen wir es machen wie sie, selbst wenn es weh tut, und zwar wie nie.“ Der radikale Systemwechsel kommt so als Reproduktion des alten Spiels mit neuem Personal daher. Es steht Frau gegen Frau, Frau gegen Mann, und Mann gegen Mann, statt „Schwarzweiß“ nun „Alles schwarz, auf allen Seiten.“ Lear und Gloucester, geistig und körperlich geblendet, irren in die Heide, ohne Orientierung oder Perspektive jenseits der Unterschiede, die sie definierten.

ICH SEHE DEINE VERSEHRUNG Welche Wege führen aus der Heide? Shakespeares Lear ist ein Stück mit vielen Enden, die keine Lösung anbieten. Auch bei König Lear kehrt die verstoßene Cordelia zurück. Eine weitere Figur auf dem gleichen Brett, teilt sie die Sehnsucht ihrer Schwestern, doch weiß: „Wer nur die Figuren austauscht / Ohne die Regeln


zu ändern, spielt das alte Spiel.“ Ein versöhnlicher, fast christlicher Ton kündigt nicht die Wiederherstellung der alten Ordnung an, sondern eine solidarische Zukunft: „Wir können wieder zusammenfinden, Schwestern. Ich glaube an Euch.“ In Cordelia blitzt am Schluss des Stücks die Vorstellung eines Miteinanders auf, in dem Unterschiede keine Fehler sind und Gewalt sich nicht unaufhaltsam fortsetzt: „Sie sieht den Unterschied, und kann ihn bleiben lassen.“ Doch die Utopie bleibt aus. Gloucester und, wenig später, Lear sterben an der Einsicht in die eigene metaphorische Blindheit: „Meine Augen sind nicht mehr die besten“, klagt Lear, die tote Cordelia im Arm, während Edgar seine tote Mutter Gloucester von der Bühne schleift, zwei umgekehrte, gegenstrebige Pietàs.

KEIN PARADIES OHNE HÖLLENRITT Doch auch dieses tragische Bild bleibt nicht stehen. Eine Schraubendrehung fügt König Lear der unabgeschlossenen Serie von Enden in Shakespeare noch hinzu. Was, wenn die tabula rasa doch eine positive Umdeutung erfahren könnte? War es nicht diese Zerstörung, die den Weg frei machen sollte für den Systemwechsel, den Sturz, das Ende der faulen Kompromisse? Am Ende überleben das Gemetzel - „Kein Paradies ohne Höllenritt“ - Goneril und Regan, die, zunehmend zum Chor verschmolzen, ihre Einstellung dem Zuschauer in Rei-

men eintrichtern. Das ganze Theater erweist sich als ihre Inszenierung. Als die Schwestern den letzten Rest an Personal beseitigt haben, ist es vorbei: „Jetzt ist endlich alles möglich“. Damit übergeben sie an die Zuschauer*innen. Sie sind im Lauf des Stücks von Beobachter*innen zu Mitwisser*innen und, letztendlich, Kompliz*innen durch Empathie geworden – und müssen sich nun entscheiden. König Lear zeugt in seiner Fortschreibung von Shakespeares Tragödie davon, wie das Theater damals wie heute dem Totalitarismus der einfachen Lösung und des voreingenommenen Urteils Widerstand leistet und nach jedem Ende eine Vielfalt von Abzweigungen offen lässt. Damit trägt König Lear bei zu Lears – und Lears – Unsterblichkeit: „Symbole, so denkt ihr, müssten / Nun mal sterben? Dabei, ihr Dummerchen, werden sie doch, je öfter getötet, / Nur umso lebendiger.“

Elisa Leroy ist Komparatistin und freie Dramaturgin. Sie promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität zur Darstellung von Text und Aufführung in William Shakespeares Hamlet.


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EINE WEGGABELUNG

EINEWEGGAB ELUNG

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m Frühjahr 2018 hat Facebook-Managerin Sheryl Sandberg erklärt: »Wir wären in einer weitaus besseren Lage, wenn die Hälfte aller Länder und Konzerne von Frauen, die Hälfte aller Haushalte von Männern geführt würde.« Wir »sollten nicht ruhen, bevor wir dieses Ziel erreicht haben«. Als führende Vertreterin eines unternehmensnahen Feminismus hat sich Sandberg einen Namen gemacht (und Geld verdient), mit ihrer an Managerinnen gerichteten Aufforderung, sich auf der Vorstandsetage »durchzusetzen« (lean in). Bereits als ehemalige Stabschefin des USFinanzministers Larry Summers – des Mannes, der für die Deregulierung der Wall Street verantwortlich zeichnet – hatte sie keinerlei Bedenken, Frauen zu versichern, durch Zähigkeit errungener geschäftlicher Erfolg sei der Königsweg zur Geschlechtergleichheit.

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von Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser

m selben Frühjahr hat ein militanter feministischer Streik Spanien lahmgelegt. Mehr als fünf Millionen Demonstrantinnen folgten dem Aufruf der Veranstalter dieser vierundzwanzigstündigen huelga feminista, sich einzusetzen für »eine Gesellschaft ohne sexistische Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt […], für Rebellion und den Kampf gegen jenes Bündnis von Patriarchat und Kapitalismus, das uns gehorsam, fügsam und still sehen will«. Als die Sonne über Madrid und Barcelona unterging, erklärten die streikenden Feministinnen: »Am 8. März verschränken wir die Arme und legen jegliche produktive und reproduktive Tätigkeit nieder.« Sie seien nicht bereit, »schlechtere


Arbeitsbedingungen hinzunehmen oder uns für die gleiche Arbeit schlechter bezahlen zu lassen als Männer«.

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iese beiden Stimmen stehen für gegensätzliche Wege der feministischen Bewegung. Sandberg und ihresgleichen begreifen den Feminismus als Magd des Kapitalismus. Sie wollen eine Welt, in der sich Männer und Frauen der herrschenden Klasse gleichberechtigt die Aufgabe teilen, Ausbeutung am Arbeitsplatz und gesamtgesellschaftliche Unterdrückung zu verwalten. Das ist die erstaunliche Vision einer auf Chancengleichheit beruhenden Herrschaft: einer Herrschaft, die gewöhnliche Men- schen im Namen des Feminismus aufruft, sich dankbar zu zeigen dafür, dass eine Frau und kein Mann ihre Gewerkschaft zerschlägt, einer Drohne den Befehl erteilt, die Mutter oder den Vater zu töten, oder das Kind an der Grenze in einen Käfig sperrt. Im scharfen Gegensatz zu Sandbergs liberalem Feminismus bestehen die Organisatorinnen der huelga feminista darauf, dem Kapitalismus ein Ende zu setzen: jenem System, das den Chef hervorbringt, nationale Grenzen produziert und die Drohnen herstellt, die diese Grenzen überwachen.

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n Anbetracht dieser beiden Visionen des Feminismus können wir sagen, dass wir an einer Weggabelung stehen. Für welchen Weg wir uns entscheiden, hat außergewöhnliche Folgen für die Menschheit. Ein Weg führt zu einem verbrannten Planeten, wo menschliches Leben bis zur Unkenntlichkeit verelen-

det, wenn es überhaupt möglich bleibt. Der andere Weg weist uns in jene Art von Welt, die stets im Mittelpunkt der kühnsten Menschheitsträume gestanden hat: eine gerechte Welt, in der Wohlstand und natürliche Ressourcen von allen geteilt werden und in der Gleichheit und Freiheit nicht Ziel, sondern Ausgangspunkt sind. Der Gegensatz könnte kaum deutlicher sein. Was die Entscheidung für uns heute jedoch so dringlich macht, ist die Abwesenheit jeglichen gangbaren Mittelwegs. Wir verdanken diesen Mangel an Alternativen dem Neoliberalismus: jener außer-

WAS DIE ENTSCHEI DUNG FÜR UNS HEUTE JEDOCH SO DRINGL ICH MACHT, IST DIE ABWESENHEIT JEG LICHEN GANGBAREN MIT TELWEGS.​ gewöhnlich räuberischen, finanzialisierten Spielart des Kapitalismus, die in den letzten vierzig Jahren weltweit geherrscht hat. Indem sie die Atmosphäre vergiftet, jeden Anspruch auf demokratische Regierungsführung verhöhnt, die Kapazitäten der Gesellschaft bis zur Belastungsgrenze ausgezehrt und im Allgemeinen die Lebensbedingungen der überwiegenden Mehrheit der Menschen verschlechtert hat, hat diese Variante des Kapitalismus auch den Einsatz eines jeden sozialen Kampfes erhöht und aus nüchternen


EINE WEGGABELUNG

Bemühungen um die Durchsetzung bescheidener Reformen offene Feldschlachten um das blanke Überleben gemacht. Unter solchen Bedingungen ist die Zeit für Unentschlossenheit abgelaufen, und Feministinnen müssen Stellung beziehen: Werden wir darin fortfahren, eine »auf Chancengleichheit beruhende Herrschaft« zu verfolgen, während der Planet in Flammen steht? Oder werden wir eine neue, antikapitalistische Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit entwickeln – eine, die über die aktuelle Krise hinaus und in eine neue Gesellschaft führt?

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ieses Manifest ist ein Abriss des zweiten Weges, das heißt eines Kurses, den einzuschlagen wir sowohl für notwendig als auch für möglich halten. Ein antikapitalistischer Feminismus ist heute denkbar geworden, unter anderem weil die politischen Eliten weltweit ihre Glaubhaftigkeit verlieren. Zu den Opfern dieser Entwicklung zählen nicht nur die Mitte-links- und Mitte-rechtsParteien, die dem Neoliberalismus das Wort geredet haben – und die heute nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, der Verachtung ausgesetzt –, sondern auch ihre Verbündeten à la Sandberg, jene Vertreterinnen eines unternehmensnahen Feminismus, deren »fortschrittlicher« Anstrich mittlerweile an Glanz eingebüßt hat. Der liberale Feminismus hat mit der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 sein Waterloo erlebt, als die von viel Tamtam begleitete Kandidatur Hillary Clintons das Interesse wählen der Frauen nicht zu erwecken vermochte. Und das nicht

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ohne Grund: Clinton verkörperte die wachsende Kluft zwischen der Besetzung hoher Ämter durch Frauen aus der Elite und der Verbesserung der Lebensumstände der überwiegenden Mehrheit der Menschen. Clintons Niederlage ist unser Weckruf. Indem diese Niederlage den Bankrott des liberalen Feminismus offenbart hat, hat sie auch die Gelegenheit für eine Infragestellung dieses Feminismus von links geschaffen. Das vom Niedergang des Liberalismus hinterlassene Vakuum bietet uns die Möglichkeit, einen neuen Feminismus zu entwickeln: mit einer anderen Definition dessen, was als feministisches Thema gilt, mit einer anderen Klassenausrichtung und einem anderen Ethos – einem radikalen und transformativen.



















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BIOGRAFIEN

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WILLIAMSHAKESPEARE

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illiam Shakespeare (1564 – 1616) ist einer der meistgespielten Dramatiker unserer Zeit, dessen Arbeiten zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur zählen. William Shakespeare war als Schauspieler tätig, ehe er um 1585 nach London zog, um als Regisseur, Dramaturg und Bühnenschriftsteller zu arbeiten. 1592 wurde er erstmals als erfolgreicher Dramatiker und Schauspieler erwähnt. Er schloss sich der Lord Chamberlain’s Company an und war Mitinhaber des Globe Theaters. Die erste maßgebliche Gesamtausgabe von Shakespeares Werken ist die Folio Ausgabe aus dem Jahr 1623 mit insgesamt 36 Dramen. Die Forschung unterscheidet drei dramatische Werkgruppen: Historiendramen (z.B. „König Richard II.“, 1595), Komödien und Romanzen (z.B. „Ein Sommernachtstraum“, 1600) sowie Tragödien (z.B. „Romeo und Julia“, 1595/96). Aufgrund der schwierigen Informationslage bietet die Urheberschaft von Shakespeares Werken vielfach Anlass für Spekulationen. Die erste Spielzeit unter der Intendanz von Matthias Lilienthal wurde mit Nicolas Stemanns Inszenierung von Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ eröffnet. Mit den Inszenierungen von „Hamlet“ (Christopher Rüping), „Juliet and Romeo“ (Trajell Harrell) und „Macbeth“ (Amir Reza Koohestani) ging die Beschäftigung mit Shakespeares Werken in den folgenden Spielzeiten weiter.

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THOMASMELLE

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homas Melle, 1975 in Bonn geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, Austin (Texas) und Berlin. Er ist mehrfach ausge­ zeichneter Autor von Theaterstücken, Erzählungen und Romanen. 2004 debütierte mit „4 Millionen Türen“ (geschrieben zusammen mit Martin Heckmanns) als Dramatiker. Sein Roman „Sickster“ (2011) wurde ebenso für den Deutschen Buchpreis nominiert wie die nach­folgenden „3000 Euro“ und „Die Welt im Rücken“, die beide auf der Shortlist standen. Die Inszenierung von „Die Welt im Rücken“ am Wiener Burgtheater (Regie: Jan Bosse) mit Joachim Meyerhoff als Protagonisten zählte zur Auswahl des Berliner Theatertreffens 2018. Zweimal wurde Thomas Melle für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert: 2016 mit „Bilder von uns“, 2018 mit „Versetzung“. 2019 war er Autor für die Nibelungenfestspiele in Worms. An den Münchner Kammerspielen wurde in der Spielzeit 18/19 für die Inszenierung „Unheimliches Tal“ von Stefan Kaegi ein Roboter nach dem Vorbild von Thomas Melle angefertigt. Er also auch Ensemblemitglied. Den Text für „Unheimliches Tal“ schrieb Thomas Melle gemeinsam mit Regisseur Stefan Kaegi. König Lear ist die erste Zusammenarbeit mit Stefan Pucher.

BIO


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BIOGRAFIEN

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STEFANPUCHER

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tefan Pucher, geboren 1965 in Gießen, studierte Theaterwissenschaft und Amerikanistik in Frankfurt. Ab Mitte der 90er Jahre beschäftigte er sich in verschiedenen PerformanceProjekten mit dem Zusammenspiel von Videokunst, Musiksamples und literarischen Stoffen. Er arbeitete zeitweise auch als DJ und brachte Anfang der 1990er, zusammen mit dem Schauspieler Frank Riede, das im Selbstverlag erschienene Theater-Fanzine „Fake“ heraus. 1999 erarbeitete er am Theater Basel mit Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ erstmals einen klassischen Theatertext. Von 2000 bis 2004 war er Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich. Seine drei dortigen Inszenierungen „Drei Schwestern“ von Anton Tschechow, „Richard III“ von William Shakespeare und „Homo Faber“ von Max Frisch sowie die Inszenierung „Othello“ von William Shakespeare am Deutschen Schauspielhaus Hamburg wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. An den Münchner Kammerspielen inszenierte er erstmals in der Spielzeit 2006/07, „Trauer muss Elektra tragen“ von Eugene O’Neill, und ist seitdem regelmäßig als Regisseur zu Gast, u.a. für „Satansbraten“ von Rainer Werner Fassbinder sowie „Die Zofen“ von Jean Genet. Mit seiner Inszenierung von William Shakespeares „Der Sturm“ wurden die Kammerspiele zum Berliner Theatertreffen 2008 eingeladen. Zurzeit arbeitet Stefan Pucher u.a. am Thalia Theater Hamburg, am Deutschen Theater und sowie an der Volksbühne in Berlin. Nach der Adaption von T.C. Boyles Roman „América“ in der Spielzeit 2015/16, „Wartesaal“ nach Lion Feuchtwangers Roman „Exil“ in der Spielzeit 2017/18 und der Romanadaption „Vernon Subutex“ nach der Triologie „Vernon Subutex – Band 1, 2 und 3“ von Virginie Despentes in der Spielzeit 2018/19, inszeniert Stefan Pucher mit König Lear nun wieder einen klassischen Theaterstoff an den Münchner Kammerspielen.

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IMPRESSUM HERAUSGEBER Münchner Kammerspiele Spielzeit 2019/20 Intendant: Matthias Lilienthal Geschäftsführender Direktor: Oliver Beckmann REDAKTION Helena Eckert Tarun Kade TEXTE Der Essay „Die Zeichen stehen auf Veränderung“ ist ein Originalbeitrag für dieses Heft. „Eine Weggabelung“ stammt aus dem Buch „Feminismus für die 99% – Ein Manifest“ von Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser. Aus dem Englischen von Max Henninger. Copyright der deutschen Ausgabe © 2019 MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH. Copyright der Originalausgabe © 2019, Gius. Laterza & Figli INSERT Nina Peller

Unser Partner hinter den Kulissen: WALA Heilmittel GmbH mit den Marken Dr. Hauschka und WALA Arzneimittel.

PROBENFOTOS Arno Declair S. 19: Anna Seidel S. 20/21: Jelena Kuljic´ S. 22/23: Julia Windischbauer S. 24: Gro Swantje Kohlhof S. 26/27: Thomas Schmauser S. 28/29: Samouil Stoyanov, Thomas Schmauser S. 31: Wiebke Puls S. 32: Thomas Hauser S. 34/35: Christian Löber GESTALTUNG Double Standards, Berlin und Annika Reiter, Münchner Kammerspiele DRUCK Gotteswinter und Aumaier GmbH



KÖNIGLEAR

INSZENIERUNG: INSZENIERUNG:STEFAN STEFANPUCHER PUCHER PREMIERE PREMIERE 28.28.SEPTEMBER SEPTEMBER2019 2019 KAMMER KAMMER 1 1

KÖNIGLEAR

VON WILLIAM SHAKESPEARE ÜBERSETZT UND BEARBEITET VON THOMAS MELLE


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