Rehabilitation als Gamechanger für den Verlauf einer MS
Seite 08
Schmerz
Neurologische Erkrankungen Hautgesundheit
VERANTWORTLICH FÜR DEN
INHALT DIESER AUSGABE:
IN DIESER AUSGABE
Wenn die Haut mitfühlt
VORWORT
Fühlen – Schlüssel zur Wahrnehmung, Warnsignal und Wegweiser zur Gesundheit
Das Fühlen ist für unser Leben von entscheidender Bedeutung, um uns selbst und unsere Umwelt wahrzunehmen. Es verbindet uns mit der Welt, aber auch mit uns selbst, und hilft bei Entscheidungen. Was sagt mein Bauchgefühl? Fühle ich mich sicher, oder besteht eine Gefahr? Wir entscheiden in Sekundenbruchteilen.
Es gibt viele Arten des Fühlens, angenehme und weniger angenehme. Meist unterscheiden wir körperliche und seelische Gefühle. Dem emotionalen Fühlen ordnen wir Freude, Liebe, aber auch Trauer, Angst und Verzweiflung zu. Körperlich denken wir an streicheln, wohlige Wärme, aber auch an Schmerzen oder Hunger und Durst. Doch ganz so einfach ist es nicht immer. Menschen erleben Gefühle sehr unterschiedlich. Es gibt hochsensible Menschen, die ihre Umwelt sehr heftig wahrnehmen; Menschen, die bei Zahnärzt:innen extrem leiden – und wieder andere, die weniger fühlen.
leidet man laut, in anderen wird Zurückhaltung erwartet. Abgesehen davon besteht zwischen seelischen und körperlichen Gefühlen eine Verbindung – sie werden zum Teil in ähnlichen Regionen des Gehirns verarbeitet.
Dr.in med. Lela Ahlemann im Interview über die Verbindung von Haut und Psyche
Diagnose Schizophrenie –weniger Vorurteile, mehr Au lärung
Lisa Isabella Grabner über ihren persönlichen Weg mit der Erkrankung 10
Project Manager: Anna-Lena Müller
Business Developer: Paul Pirkelbauer, BA
Lektorat: Sophie Müller, MA
Grafik und Layout: Juraj Príkopa
Managing Director: Bob Roemké
Fotocredits: wenn nicht anders angegeben bei
Shutterstock
Medieninhaber: Mediaplanet GmbH, Bösendorferstraße 4/23 · 1010 Wien · ATU, 4759844 · FN 322799f FG Wien
Impressum: mediaplanet.com/at/impressum/
Distribution: Der Standard Verlagsgesellschaft m.b.H.
Druck: Mediaprint Zeitungsdruckerei Ges.m.b.H. & Kontakt bei Mediaplanet: Tel: +43 676 847785 241
Der Ausdruck des Gefühls hat viel mit genetischer Veranlagung, Kultur und Erziehung zu tun. In manchen Gesellschaften
Menschen, die intensiv emotional leiden, können das wie körperlichen Schmerz spüren. Manche nehmen deshalb mit Erfolg Schmerzmittel, was nicht zu empfehlen ist. Stress und emotionale Belastung wirken negativ auf das Immunsystem, den Hormonhaushalt und den gesamten Körper. Körperliche Empfindungen und Schmerzen verändern die Psyche. Chronische Schmerzen verursachen Stress und machen depressiv und ängstlich.
Andersherum: Wenn ich mich in eine weiche Decke kuschle, fühle ich mich wohl. Mit
Erste Hilfe für die Seele
Eine Initiative von pro mente Austria
Wer Erste Hilfe für die Seele leistet, braucht keinen Verbandskasten, keine Medikamente und keinen Defibrillator.
Was Sie für die Erste Hilfe für die Seele brauchen, haben Sie schon bei sich: Ihre Stimme, Ihre Ohren, Ihre Augen, Ihre Hände und Ihre Intuition.
Erste Hilfe für die Seele
Wie Sie in seelischen Krisen helfen können
Aufeinander zugehen
Zuhören, miteinander reden oder schweigen
Zeit nehmen Sparsam sein mit gut gemeintem Rat
Einfach da sein und geduldig sein
Nicht bewerten
Anna-Lena Müller Project Manager Mediaplanet GmbH
Priv.-Doz. Dr. Günter Klug Psychiater und Psychotherapeut, Präsident pro mente Austria
Entgeltliche Einschaltung
positiven Gefühlen glauben wir gut umgehen zu können, wir schenken ihnen aber dennoch oft wenig Beachtung. Bei Schmerzen reagieren wir stärker – ängstlich, dass etwas nicht stimmt. Hierbei gibt es viele verschiedene Arten. Am vertrautesten sind uns der akute Schmerz bei Verletzungen, dumpfe, ziehende Muskelschmerzen bei Verspannungen und Zerrungen oder Kopfschmerzen und Migräne. Weniger vertraut sind brennende, stechende elektrisierende oder schneidende Nervenschmerzen – oder taube, kribbelnde, unangenehme Gefühle wie sie bei Neuropathien oder Bandscheibenproblemen auftreten. Auch spastische Schmerzen nach einem Schlaganfall oder bei Lähmungen sind intensiv, Parkinson sticht durch Steifheit hervor. Ebenso zeigt die Haut als unser
größtes Organ unglaubliche Vielfalt wie Stechen, Brennen oder Kribbeln etc. Plötzlich fühlt sich die Decke nicht mehr wohlig, sondern kratzig schmerzhaft an. Starke Folgen haben langanhaltende Schmerzen. Sie können alle Erkrankungen verschlechtern und den Schlaf rauben. Die Lebensqualität sinkt – und psychische Folgen wie Depression, Angst, geringe Lebensfreude, geringere Leistungsfähigkeit und Erschöpfung treten auf. Was kann man also tun? Bei Schmerzen braucht es so rasch wie möglich fachliche Abklärung.
Positiven Gefühlen mehr Aufmerksamkeit zu schenken führt dazu, Positives besser wahrzunehmen und zu genießen. Langfristig entwickelt sich dann eine positivere Einstellung, die auch in schwierigen
Zeiten hilft. Achtsamkeit hilft, Gefühle besser wahrzunehmen. Dies nimmt die Angst und ermöglicht Distanz. Also: Emotionale und körperliche Schmerzen sollten immer abgeklärt und behandelt werden. Gegen das, was bleibt, lohnt es sich nicht anzukämpfen – wichtig ist die Akzeptanz dessen. Weniger Aufmerksamkeit auf das Negative senkt das Leiden. Pflegen Sie hingegen Ihre positiven Gefühle!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre, Ihr Priv.-Doz. Dr. Günter Klug.
So wirkt Neuromodulation gegen chronische Schmerzen
Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Wilhelm Eisner setzt als Neurochirurg an der MedUni Innsbruck seit Jahrzehnten auf Neuromodulation, um die chronischen Schmerzen seiner Patient:innen zu lindern. Wie das funktioniert, erklärt der Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) hier.
Ao. Univ.-Prof.
Dr. med. Wilhelm
Eisner
Neurochirurg an der Med.-Uni. Innsbruck und Präsident der ÖSG
FOTO: ZVG
Was können sich Patient:innen unter Neuromodulation vorstellen?
Die Neuromodulation ist ein therapeutisches, medikamentfreies Verfahren zum Behandeln schwerer chronischer Schmerzen. Dazu muss man wissen, dass jede der rund 80 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) im Körper in hoher Frequenz – wir reden von Hunderten Signalen pro Sekunde – Statusinfos ans Gehirn absetzt, wo dieser Signalstrom von noch einmal so vielen Nervenzellen verarbeitet wird.
Ist die Impulsweiterleitung zwischen den Nervenzellen in Körper und Gehirn gestört, entstehen neben einer Gefühlsstörung häufig brennende Schmerzen. Bei der Neuromodulation nutzen wir deshalb elektrische Impulse/Ströme, um die schmerzverursachende gestörte Nervenaktivität gezielt zu beeinflussen und zu ersetzen.
Wie funktioniert der Vorgang genau?
Dies funktioniert ähnlich wie ein Herzschrittmacher, der dem Herz den Takt zum Schlagen vorgibt: Bei der Neuromodulation implantieren wir eine Art Schmerzschrittmacher (Generator, Batterie) in den Körper. An diesem hängt ein dünner, unter der Haut verlegter Draht (Elektrode) aus Platin, der je nach Art des chronischen Schmerzes direkt außerhalb des Rückenmarks, an der Hirnhaut oder bei der Tiefen Hirnstimulation (THS) tief im Gehirn endet. Der Generator erzeugt einen schmerzlosen,
energiearmen (niedrige Spannung) elektrischen Impuls und ersetzt somit das gestörte Signal der Nervenzellen.
Was heißt das für Patient:innen? Mit der Neuromodulation haben wir seit mehr als 50 Jahren gute Erfahrungen bei der Therapie von Schmerzpatient:innen gemacht. Sie ist sicher und wirkt. Das heißt, die Patient:innen benötigen weniger Schmerzmedikamente – und der Aufwand für deren Einnahme entfällt. Stattdessen müssen sie sich einem kleinen Eingriff unterziehen, der meist in Teilnarkose erfolgt. Nach einem kurzen stationären Aufenthalt beginnt die etwa einwöchige Testphase. Wirkt die Stimulation wie erhofft, werden die endgültigen Komponenten implantiert. Die sind ca. 15 Jahre funktionstüchtig. Fällt vorzeitig etwas aus, was äußerst selten passiert, wird es ersetzt.
Können Patient:innen nach dem Einsetzen des Schmerzschrittmachers alles machen?
Die Neuromodulationstechnik sitzt komplett im Körperinneren – es besteht also keine Infektionsgefahr über Keime von außen, und Unverträglichkeiten sind extrem selten. Die Patient:innen können damit arbeiten, bergsteigen, schwimmen, tauchen, fliegen.
Wie ist es mit MRT-Untersuchungen? Mit den meisten Implantaten ist eine
Untersuchung per Magnetresonanztherapie (MRT) möglich.
Sie sagten, die Therapie wird bereits seit mehr als 50 Jahren angewendet – Gibt es auch Neuerungen?
Technologie und Technik werden kontinuierlich verbessert. Heute besteht sogar schon die Möglichkeit, aus der Ferne zu behandeln (Telemedizin). Das heißt, dass die Patient:innen zur Behandlung zuhause bleiben und ich sie zur Nachsorge oder zum Anpassen der Programmierung in Echtzeit in einem sicheren Videochat treffe. Dank eines ausgeklügelten Sicherheitssystems – wir arbeiten mit einer geklonten Oberfläche – ist das eine vor Hacker:innen sichere Verbindung. Die Telemedizin reduziert damit Aufwand und CO2-Emissionen.
Können Patient:innen das Implantat steuern? Ja, das ist per App möglich.
Bei welchen Erkrankungen kann man mit der Neuromodulation Symptome lindern? Wir setzen die Tiefe Hirnstimulation bei Morbus Parkinson, essenziellem Zittern (essenzieller Tremor, ET), Dystonie, Tourette, Chorea Huntington, Cluster-Kopfschmerz, Schmerzen nach Schlaganfall und schweren Nervenverletzungen ein, wo sie die gestörte Mobilität wieder normalisiert und schwerste Schmerzen beseitigt.
erstehilfefuer dieseele.at
Entgeltliche Einschaltung
Gürtelrose – stärkere Schmerzen als nach einer OP
Jede:r Dritte erkrankt im Laufe des Lebens an Gürtelrose (Herpes Zoster), einer oft sehr schmerzhaften Nervenentzündung. Von vielen wird Gürtelrose als vermeintlich harmlos eingeschätzt – Expert:innen zählen sie aber zu den Erkrankungen mit den stärksten Schmerzerlebnissen in der Humanmedizin.
So blumig ihr Name klingt, so tückisch ist die weit verbreitete Nervenentzündung: Gürtelrose wird vom Varizella Zoster Virus verursacht – jenem Erreger, der bei der Erstinfektion Windpocken hervorruft (auch bekannt als Varizellen, Feuchtblattern oder Scha lattern). Nach dem Abklingen der Varizellen zieht sich das Virus in die Nervenwurzeln des Rückenmarks sowie der Gehirnnerven zurück – und verbleibt dort ein Leben lang. Kommt es später zu einer Schwächung des Immunsystems, kann es aufgrund einer Virus-Reaktivierung zum Ausbruch von Gürtelrose kommen. Das bedeutet: Wer schon einmal Windpocken hatte, kann an Gürtelrose erkranken. Und das betrifft mehr als 99 Prozent der Erwachsenen ab 50 Jahren.
Typisch für eine
Gürtelrose ist ein Bläschenausschlag, der üblicherweise einseitig auftritt.
Über 50-Jährige verstärkt betroffen Gürtelrose kann in allen Altersgruppen auftreten. Bei Menschen ab 50 Jahren kommt
Entgeltliche Einschaltung
es häufiger zu einer Virus-Reaktivierung, da die Leistungsfähigkeit des Immunsystems mit fortschreitendem Alter abnimmt. Ein Gürtelrose-Ausbruch beginnt oftmals mit unspezifischen Krankheitszeichen wie Müdigkeit, Gliederschmerzen und manchmal auch leichtem Fieber. Nach zwei bis drei Tagen folgt dann meist der typische Bläschenausschlag. Dazu kommen häufig Juckreiz sowie brennende oder stechende Schmerzen.
Oft monate- oder sogar jahrelange Schmerzen
Diese Schmerzen werden von Betroffenen oftmals stärker eingestuft als die Schmerzen nach einer Operation. Entsprechend negativ wirken sie sich auf Schlaf, Lebensfreude, Stimmung, Arbeitsfähigkeit oder soziale Beziehungen zu anderen Menschen aus. Bleiben die Schmerzen über einen längeren Zeitraum bestehen, spricht man von einer Post-Zoster-Neuralgie. Dabei handelt es sich um Nervenschmerzen in der vormals betroffenen Hautregion, die monate-, manchmal jahrelang anhalten können.
Risiko für Menschen mit Vorerkrankungen Gürtelrose ist aber nicht ausschließlich für Menschen über 50 ein Thema. Unabhängig vom Alter sind Erwachsene mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheumatoider Arthritis und chronischen Lungen- oder Nierenerkrankungen oder mit einer Immunsuppression besonders gefährdet, an Gürtelrose zu erkranken. Bei immungeschwächten Personen besteht zudem eine höhere
Selbsthilfe hilft!
Wahrscheinlichkeit für das wiederholte Auftreten einer Gürtelrose.
Schutz vor Erkrankung und Komplikationen Schutz vor einer Gürtelrose und möglichen Komplikationen kann eine Impfung bieten. Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt und informieren Sie sich in Ihrer Apotheke, ob eine Impfung zum Schutz vor Gürtelrose für Sie empfohlen ist. Weitere Informationen finden Sie unter www.guertelrose-info.at, auf Facebook unter Gürtelrose-Info.at, auf dem YouTube-Kanal Gürtelrose-Info sowie in der PodcastReihe Betrifft Gürtelrose mit der ehemaligen TV-Moderatorin Martina Rupp.
Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt über Ihr persönliches Gürtelrose-Risiko und darüber, ob eine Impfung für Sie empfohlen ist
Hermine Hofner (68) erhielt ihre Diagnose Morbus Parkinson vor 14 Jahren. Im Interview berichtet sie, wie Selbsthilfe beim Bewältigen der Diagnose und des Lebens mit der neurodegenerativen Erkrankung hilft – und warum sie selbst Österreichs Tischtennis-Selbsthilfegruppe für an Parkinson Erkrankte gründete.
Hermine, wie kam es zu Ihrer Diagnose?
Ich hatte schon zwei, drei Jahre lang Hüftschmerzen und der Fuß machte kleinere Schritte, als ich wollte. Ich schrieb es dem Älterwerden zu. Im Büro, ich war Gemeindesekretärin, sagte meine Kollegin: „Schreib bitte größer, ich kann fast nichts mehr lesen!“ Am PC machte ich häufiger Fehler, dachte schon an Legasthenie. Als dann eine Schulter tiefer hing als die andere, ging ich zum Arzt. Die Diagnose war rasch gestellt, und ich bekam sofort Medikamente.
Wie geht es Ihnen heute?
Schlechter, trotz stärkerer Medikamente. Mein Körper wird steifer, das Bücken mühsamer. Ich bin öfter auf Hilfe angewiesen, zum Beispiel beim Anziehen. Wobei ich nie sage, dass ich dies und das nicht mehr kann, sondern mir immer vor Augen halte, was ich noch kann. Und das ist nicht wenig.
Wieso gründeten Sie eine Tischtennis-Selbsthilfegruppe?
Uns Parkinson-Patient:innen wird immer geraten, etwas ganz Neues anzufangen, das uns fordert –körperlich und geistig; oder eine einst liebgewesene
Sache, die im Lauf des Lebens vernachlässigt worden ist, wieder aufzunehmen. Bei mir war das Tischtennis. Das haben wir als junge Eltern mit unseren zwei Kindern viel gespielt – und mir hat das immer Spaß gemacht. 2021 besuchte ich die Parkinson-Tischtennis-WM in Berlin, 2022 gründete ich die Gruppe Parkinson Table Tennis Austria, damals noch unter anderem Namen.
Wofür ist Tischtennis bei Parkinson gut? Laut Studien kann Tischtennisspielen als Therapie den Fortschritt der Erkrankung verlangsamen, da es die Bewegungskoordination fördert. Ich habe das selbst erlebt: Anfangs musste ich mich noch an der Platte stützen, der Schläger zitterte in meiner Hand. Doch mit jedem Training wurde ich sicherer: Das Gleichgewicht ist wieder da, der Tremor weg. Noch dazu habe ich Gesellschaft. Zwar gleicht kein Parkinsonverlauf dem anderen, doch der Austausch mit Leidensgenoss:innen, das Mutmachen und die praktischen Tipps zur Alltagsbewältigung helfen. Da es viele Therapien gibt, halten wir uns so auf dem Laufenden.
Das Ziel ist es, mit sportlicher Aktivität möglichst lange beweglich zu bleiben. Die Verbindung von
Parkinson verstehen –mit Parkinson leben
Informationen für Betroffene und Angehörige
In über 20 Kurzvideos beantwortet Dr. Volc häufige Fragen zur Parkinson-Krankheit.
sportlichen sowie gesundheitlichen Aspekten und dem Spaß am Spiel stärkt das Selbstbewusstsein und hilft, die soziale Isolation zu überwinden. Was brauchen Selbsthilfegruppen, um erfolgreich zu sein?
Der Erfolg hängt immer von der Gruppenleitung ab – eine gute zu finden, ist nicht leicht. Unsere Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit als ParkinsonPatient:innen sinkt mit dem Krankheitsverlauf, und wir können diesen Job meist nicht (lange) ausüben. Bei den pflegenden Angehörigen steigt die Belastung auch parallel zur Verschlimmerung unserer Krankheit, das heißt, für das Leiten einer Gruppe fehlt ihnen auch oft Zeit und Kraft. Grundsätzlich brauchen wir außerdem mehr Akzeptanz, die wiederum mehr Wissen zu unserer Krankheit voraussetzt: Gerade die parkinsontypischen Gleichgewichtsstörungen werden uns oft noch als ‚Betrunkenheit‘ angekreidet.
Was raten Sie Betroffenen in Bezug auf Gespräche mit Neurolog:innen?
Ich rate ihnen, jegliche Scheu oder gar Scham abzulegen und über alles zu sprechen, was die Krankheit mit sich bringt. Ein Tagebuch, in dem man die Befindlichkeiten festhält, hilft sich bewusst zu machen, was mit der Zeit nicht mehr geht – der Verlust von Fähigkeiten ist schleichend. So können sich auch die Mediziner:innen ein besseres Bild vom Verlauf machen und die Behandlung passgenau zuschneiden.
Morbus Parkinson: Therapieerfolg hängt auch vom Mitwirken der Patient:innen ab
In Österreich leben etwa 25.000 Menschen mit Morbus Parkinson1. Diese Zahl wird sich bis zum Jahr 2040 wahrscheinlich verdoppeln. Das sagt Prof. Dr. Walter Pirker der Klinik Ottakring in Wien. Im Interview erklärt der Neurologe, worauf es bei der Wahl der passenden Therapie für Parkinson-Patient:innen ankommt.
Wie äußert sich Morbus Parkinson? Bei dieser neurodegenerativen Erkrankung gehen in einem schleichenden Prozess Nervenzellen verloren – hauptsächlich im Mittelhirn. Das führt zu einem Mangel des Botenstoffs Dopamin. Infolgedessen kommt es zu den typischen Kernsymptomen: Zittern (Tremor), Steifigkeit, Bewegungsarmut. Hinzu können viele nichtmotorische Symptome kommen, beispielsweise psychische. Grundsätzlich gilt deshalb: Kein Morbus Parkinson gleicht dem anderen.
Wie wird die Erkrankung behandelt?
Wir gleichen den Dopaminmangel aus – mit Medikamenten, die das Dopamin ersetzen. Hier ist als Wirkstoff vor allem die Aminosäure L-Dopa zu nennen, ein Vorläufer von Dopamin. Aber: Diese Substanz baut der Körper sehr rasch ab, sodass die Medikamentengabe mit dem sich verschlimmernden Krankheitsverlauf zunehmend häufiger erfolgen muss, um stabil zu therapieren. Reichen Tabletten dafür nicht mehr aus, setzen wir Pumpen ein, die die nötige Wirkstoffmenge automatisch unter die Haut spritzen oder per Schlauch in den Magen abgeben (gerätegestützte Therapien).
Bei Parkinson ist darüber hinaus körperliches Training ein Gamechanger: Wer dreimal pro Woche Sport macht, senkt das Risiko, an Parkinson zu erkranken und für
einen schweren Verlauf der Erkrankung. Welchen Sport man macht, ist im Grunde egal, Hauptsache er strengt an. Bei Problemen mit Verkrampfungen, Haltung und Gleichgewicht hilft Physiotherapie, beim Handling von Gerätschaften im Alltag Ergotherapie und bei Beschwerden mit Sprache und Schlucken Logopädie.
Worauf kommt es bei der Wahl der passenden Therapie an? Wichtig bei allen Therapien ist, dass die Patient:innen einen aufgeklärten Zugang dazu bekommen – hier sind wir Mediziner:innen gefragt. Wir müssen die Therapie erklären und informativ aufzeigen, was sie den Betroffenen bringt. Denn gerade der Erfolg der nichtmedikamentösen Therapien steht und fällt schließlich mit deren Mitwirken. Dies setzt jedoch Wissen voraus.
Gibt es hier Verbesserungsbedarf?
Die zwischenmenschliche Zuwendung, wie ich sie mir für jede:n meiner Patient:innen wünsche, kommt in unserem Gesundheitssystem aus Zeit- und Kostengründen leider oft zu kurz. Doch es gibt erste ‚Parkinson Nurses‘, die sich um den großen Informations- und Gesprächsbedarf unserer Patient:innen kümmern. In größerer Zahl könnten sie landesweit deutliche Verbesserungen bringen.
Was raten Sie Patient:innen zur Vorbereitung auf das ärztliche Gespräch? Hilfreich ist es, an einem der Tage vor dem jährlichen ärztlichen Gespräch 24 Stunden lang die eigene körperliche und geistige Verfassung zu beobachten – und uns Neurolog:innen die ‚Checkliste‘ der bestenfalls stündlich erfassten Beobachtungen mitzubringen. Anhand dessen können wir uns ein realistisches Bild vom individuellen Fortschritt der Erkrankung machen und die Therapie gegebenenfalls anpassen.
HILFESTELLUNGEN BEI MORBUS PARKINSON
• Bei Fragen zu Morbus Parkinson: Website der Österreichischen ParkinsonGesellschaft (ÖPG)2
• Bei Bedarf nach Austausch unter Gleichgesinnten: Linkliste der Selbsthilfegruppen3
• Bei Fragen zum Thema „Fortgeschrittener Morbus Parkinson“: Videokurs mit Univ.-Prof. Dr. Walter Pirker4
1 Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) 2 www.parkinson.at 3 www.parkinson.at/links 4 selpers.com/parkinson/fortgeschrittener-morbus-parkinson
Schmerz ist nicht gleich Schmerz
Schmerzen sind ein Grundbestandteil des körpereigenen Schutzsystems. Wie sie entstehen und welche Arten von Schmerz es gibt, erklärt Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Wilhelm Eisner, Neurochirurg an der MedUni Innsbruck und Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG), im Interview.
Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Wilhelm
Eisner
Neurochirurg an der Med.-Uni. Innsbruck und Präsident der ÖSG
Was ist Schmerz und wie fühlt er sich an?
Schmerz ist eine unangenehme, sowohl sensorische als auch psychische Empfindung in Verbindung mit einem aktuellen oder potenziellen Gewebeschaden. Dabei kann er sich unterschiedlich anfühlen: Ein Schnitt mit einem Brotmesser brennt hell. Eine Prellung ist dumpf und diffus. Eine entzündete Wunde schmerzt hell und dunkel, brennt und zieht.
Wie entsteht Schmerz?
Alle Wahrnehmungen und Reaktionen des menschlichen Körpers werden über Sinneszellen (Sensoren) vermittelt. Hintereinander geschaltete Sinneszellen senden Impulse in Form elektrischer Entladungen von der Körperperipherie zum Gehirn. Das übersetzt die Informationen der Sinneszellen in wichtige Informationen für das Gesamtsystem. Die Aussage ‚Die Musik spielt im Gehirn‘ beschreibt das gut. Denn im Gehirn erfolgt eine über Jahrmillionen gewachsene Bewertung der ankommenden Impulse als angenehm oder unangenehm. Von hier geht auch die Antwort aus: entweder Zuwendung oder Flucht. Impulse nach der Irritation eines Gelenks beispielsweise werden sensorisch und emotional als unangenehm wahrgenommen. Der gesamte Organismus wendet sich dem sofort und umfassend zu: Motorische
(Bewegungseinschränkung), verbale (Schreien, Schimpfen) und emotionale Reaktionen (Weinen) lassen auch die Umgebung sofort reagieren – mit Hilfe und Trost. Warum ist Schmerz überlebenswichtig? Schmerzen sind wesentlicher Bestandteil des körpereigenen Schutzsystems. Es gilt immer, die Unversehrtheit des Gewebes zu bewahren und schädigende Noxen (Stoffe, Faktoren oder Ereignisse) zu erkennen, bevor der Schaden dauerhaft wird. In der ärztlichen Praxis spielt Schmerz als Symptom und als chronische Schmerzkrankheit eine Rolle – beide müssen ursachenbezogen und fachspezifisch erkannt und behandelt werden. Laut WHO muss eine Schmerztherapie jeden Schmerz wirkungsvoll und effektiv behandeln können. Dass dies nicht immer der Fall ist, wissen wir alle.
Welche unterschiedlichen Arten von Schmerz gibt es?
Schmerzen lassen sich unterteilen in:
• nozizeptiv (drückender, ziehender, stechender Schmerz – verursacht von mechanischen, thermischen und chemischen Gewebeschäden oder Entzündungen)
• neuropathisch (oft chronisch kribbelnde, taube Schmerzen infolge von
geschädigtem, überempfindlichem oder fehlfunktionierendem Gewebe, verursacht durch eine Schädigung des schmerzleitenden Nervensystems)
• noziplastisch (schwerste, brennende Schmerzen ohne erkennbaren Schaden im Nervensystem).
Allodynie ist Schmerz infolge eines normalerweise nicht schmerzhaften Reizes. Hyperalgesie ist eine vermehrte Empfindlichkeit auf Reizung beziehungsweise Stimulation bei Berührung und auf nicht schmerzhafte Temperatur oder einen geringen Schmerz. Hyperpathie wird als ein schmerzhafter Zustand infolge einer Überreaktion auf einen insbesondere wiederholten Reiz bei erhöhter Schmerzschwelle charakterisiert. Dysästhesie ist eine unangenehme, abnormale Wahrnehmung –entweder spontan oder infolge eines Reizes.
Ein Schmerz kommt selten allein? Zu einem schweren und langen schmerzhaften Geschehen gehört mehr als die sensorische Wahrnehmung und psychische Empfindung: Oft entwickelt sich ein Teufelskreis um den Schmerz. In der Schmerzspirale führen Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit, Autonomieverlust und Schlafstörungen zu Depressionen, Angst, Immobilität und Anorexie.
Prof. Dr. Walter Pirker Neurologe, Klinik Ottakring Wien
INTERVIEW
„MS ist nicht das Ende“ – Sportmoderatorin
Anna Kraft im Interview
Die Fernsehsportmoderatorin Anna Kraft wurde vor zehn Jahren mit der Diagnose Multiple Sklerose konfrontiert. Mit ihrem Buch über die Aufarbeitung der Erkrankung möchte die ehemalige Leichtathletin anderen Betroffenen Mut machen.
Text Verena Bittner-Call
Frau Kraft, wann und wie hat sich Multiple Sklerose (MS) bei Ihnen bemerkbar gemacht?
MS hat mich vor zehn Jahren schlagartig überfallen. Ich war beim Friseur und musste etwas länger auf dem Stuhl sitzen. Als ich aufstand, war mein Bein eingeschlafen. Darüber machte ich mir erstmal keine Gedanken, aber dieses Kribbeln im Bein wurde nicht besser, obwohl ich mich bewegte. Zuhause dachte ich, mit einer heißen Dusche würde das schon weggehen. Als ich trotz des heißen Wasserstrahls nichts spürte, sagte ich zu meinem Partner: „Jetzt habe ich mir einen Nerv eingeklemmt – und das Wasser wird auch nicht heiß.“ Aber es dampfte schon. Ab hier war klar, dass ich in meiner rechten Körperhälfte nichts spüre. Mein Arm spielte auch nicht mehr mit. Da ich am nächsten Tag einen wichtigen Dreh hatte und ich meine rechte Hand nicht richtig bewegen, nicht einmal einen Stift halten, geschweige denn laufen konnte, fuhr ich ins nächstgelegene Krankenhaus. Ich wollte in der Orthopädieambulanz fragen, ob sie mir den Rücken einrenken könnten. Doch ab diesem Tag kam ich zweieinhalb Wochen nicht mehr aus dem Krankenhaus. Das war der 15. Dezember 2015 – der alles verändert hat.
Wurde die Diagnose MS rasch gestellt?
Ja. Die Ärzt:innen reagierten sehr schnell, weil ich auch schon eine hängende rechte Gesichtshälfte hatte und damit der Verdacht auf Schlaganfall bestand. Es wurde also gleich eine MRT durchgeführt. Nach weiteren Untersuchungen bekam ich am 16. Dezember meine Diagnose. Diesen Tag werde ich nicht vergessen.
Sind Ihnen davor keine Symptome aufgefallen?
Rückblickend, das haben auch die Bilder gezeigt, gab es schon mehrere Läsionen. Es gab das eine oder andere Symptom, aber das hatte ich nie weiter beachtet. Ich bin keine Person, die sich sehr schnell ärztlich untersuchen lässt. Ich glaube, das kommt noch aus meiner aktiven Leichtathletikzeit.
Wie ist es Ihnen ergangen, als Sie die Diagnose bekamen?
Die Diagnose hat mich überfahren. Ich konnte mit MS, diesen zwei großen Buchstaben, nichts anfangen. Die Ärztin sagte: „Es ist Multiple Sklerose, eine chronische Erkrankung, die unheilbar ist, aber mit der es sich gut leben lässt.“ Ich verstand zuerst nicht, was die Ärztin sagte. Ich hatte ein Rauschen in den Ohren und mir kamen die Tränen. Als ich meine Eltern anrief, wurde mir erst richtig klar, wie schlimm die Erkrankung dann wohl doch sei. Meine Mutter war so erschlagen, dass sie das Telefon an meinen Vater weitergab. Der sagte nur: „Wir kommen sofort.“ Meine
Anna Kraft, ehemalige Leichtathletin, Sportmoderatorin im deutschen Fernsehen sowie Autorin
Ich hatte Angst, auf meine Krankheit reduziert zu werden. Dabei bin ich doch viel mehr. Ich bin Sportmoderatorin, Mutter, Frau.
Eltern haben sich noch am selben Tag ins Auto gesetzt und sind 600 km zu mir nach München gefahren. Die heftige Reaktion meines Partners, der eigentlich der positivste Mensch ist, den ich kenne, zeigte mir, wie schwer es doch ist. Und das war für mich besonders schlimm.
Hätte Ihr Umfeld besser reagieren können?
Das war alles gut so, wie es war. Die Reaktion meiner Liebsten hat für mich die Krankheit eingeordnet. Meine Eltern hatten allerdings ein dramatisches Bild der MS im Kopf, mit dem ich aufräumen möchte. Wir sind zum Glück mit den Medikamenten, die wir mittlerweile haben, gut aufgestellt.
Wie ging es Ihnen mit der Aufarbeitung der Diagnose?
Die Aufarbeitung war ein langer Prozess. Anfangs habe ich die MS wie eine ungebetene Gästin im Flur stehen lassen. Ich wollte sie ignorieren, wollte mein altes Leben zurück. Ich hatte Angst, auf meine Krankheit reduziert zu werden. Dabei bin ich doch viel mehr. Ich bin Sportmoderatorin, Mutter, Frau. Erst nach zwei Jahren habe ich die MS akzeptiert – heute hat sie ein Gästezimmer und kommt nur raus, wenn es sein muss. Im Freundeskreis sprach ich früh darüber, wenn auch nicht gleich, weil es mir peinlich war. Beruflich outete ich meine Erkrankung erst nach sechs Jahren. Und dann kam das Buchprojekt, das für mich auch ein psychologischer Akt, ein Akt des Loslassens, ein Stück Therapie war, was
mich viele Tränen gekostet hat. Es war wie ein Meer mit großen Wellen. Danach war – und ist es jetzt immer noch – ruhig. Ich hoffe, mit dem Buch anderen Betroffenen Mut als das Vorbild zu machen, das ich selbst gern gehabt hätte.
Haben Sie nach der Diagnose psychosoziale Begleitung in Anspruch genommen?
Anfangs war ich nicht offen dafür. Heute sehe ich das anders. Jede:r sollte diese Hilfe annehmen, wenn Bedarf besteht. Das macht das Leben leichter.
Wie waren die Reaktionen auf das Buch? Die waren überwältigend. Besonders freut mich, dass es viele Menschen gibt, denen mein Buch helfen kann. Das nehme ich jetzt in meiner Funktion als MS-Botschafterin ein bisschen mit. Dieses „Connecten“ untereinander gibt mir viel Kraft und zeigt: Auch wenn wir alle ein krasses Schicksal haben, ist es zusammen nicht so schwer.
Hat sich Ihr Stressmanagement durch die Erkrankung geändert?
Ich übe noch. Ich habe schon vorher gesund gelebt, mit viel Bewegung. Jetzt muss ich bewusster auf Pausen achten, v. a. wegen der Fatigue, die mehr als normale Erschöpfung ist. Mein Job als Moderatorin ist nicht ideal für die MS, aber ich brauche ihn genauso wie meine Familie. Ich achte heute mehr auf mich.
Was möchten Sie Menschen mit Multipler Sklerose mitgeben?
MS ist nicht das Ende. Sie kann ein ganz toller Anfang sein. Das hätte ich gern irgendwo lesen wollen, als ich die Diagnose bekam. Vielleicht hätte es mir ein bisschen die Schwere genommen.
Schwelende Multiple Sklerose: Erfolg mit Signalwirkung
Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass bestimmte Wirkstoffe gegen die schwelende Multiple Sklerose wirksam sein könnten. Was das für MS-Patient:innen bedeutet, erklärt der Neurologe AO. Univ.-Prof. Dr. Fritz Leutmezer.
Neurologie, AKH Wien und Präsident der ÖMSG
Wie kann man Multiple Sklerose beschreiben?
MS ist eine Autoimmunerkrankung. Dabei handelt es sich um eine Überaktivität des Immunsystems: Die Abwehrzellen, die normalerweise gegen Bakterien oder Viren vorgehen, greifen körpereigene Zellen an. Bei Rheuma ist es Knorpelgewebe, bei Schuppenflechte die Haut, und bei MS sind es Nervenzellen. Typischerweise tritt die MS schubhaft auf: Immer, wenn es zu einer Überaktivierung des Immunsystems kommt, wandern Abwehrzellen ins Gehirn.
Dort verursachen sie eine Entzündung, die zum Absterben von Nervenzellen führt und klinische Beschwerden – von Lähmungen über Seh- bis hin zu Gefühlsstörungen – auslöst. Das Immunsystem reguliert sich dann selbst wieder, womit die Entzündungen abklingen. Aufgrund der Reservekapazitäten des Gehirns können die geschädigten Funktionen durch Um- und Neulernen teilweise oder gänzlich wiederhergestellt werden. Diese Form der MS ist mittlerweile gut behandelbar. Gleichzeitig nisten sich aber Abwehrzellen schon mit dem allerersten Schub im Gehirn ein und verursachen über die Jahre eine langsam fortlaufende Schädigung von Nervenzellen. Mit zunehmendem Alter kommen zu diesen Schädigungen auch normale Alterungsprozesse dazu, sodass oft gar nicht mehr klar unterschieden werden kann, ob eine Verschlechterung durch die MS oder die Alterungsprozesse zustande kommt. Jedenfalls führt die unterschwellige, permanente Entzündung zu einer langsamen und kontinuierlichen Schädigung der Nervenzellen, die in einer ebenso langsamen und schleichenden Verschlechterung von Beschwerden zum Ausdruck kommt – daher der Name: Progrediente oder Schwelende MS.
Was macht die Schwelende MS so schwer therapierbar?
Bei der Therapie der schubhaften MS konnten in den letzten 20 Jahren massive Fortschritte erzielt werden. Therapien regeln dabei direkt im Blut die Immunaktivität zuverlässig herab. Man kann die Erkrankung zwar nach wie vor nicht heilen, aber man kommt einer Heilung mit dem Einsatz der richtigen Mittel zum richtigen, also möglichst frühen, Zeitpunkt schon recht nahe.
Die Schwelende MS hingegen findet im Gehirn statt, das durch die Blut-HirnSchranke sehr gut geschützt ist. Dieser Schutzmechanismus bewirkt aber auch, dass die heute verfügbaren Medikamente für die schubförmige MS kaum auf die Entzündungsprozesse im Gehirn einwirken können, weil sie schlicht nicht dorthin gelangen, wo sie wirken müssten. Man arbeitet deshalb seit Jahren an Medikamenten, die die Blut-Hirn-Schranke passieren können, um die langsam vor sich hin schwelenden Entzündungsprozesse im Gehirn besser kontrollieren zu können.
Mit Blick auf Ihre Erfahrung in der Forschung: Welche Erwartungen haben Sie in Hinblick auf mögliche Verbesserungen für MS-Betroffene?
Erstmalig konnte im Rahmen internationaler Studien mit schubfreien MSPatient:innen nachweislich die Zunahme der Behinderung gebremst werden. Man muss Betroffene aber trotzdem vor überzogenen Erwartungshaltungen schützen: Damit lässt sich MS weder heilen oder stoppen, noch lassen sich bereits vorhandene Schäden beheben. Ihre Erkrankung wird sich weiter verschlechtern, nur eben etwas langsamer. Eine erfolgreiche Zulassung würde nicht nur Hoffnung
auf Verlangsamung der Behinderungsprogression, sondern auch eine Signalwirkung bedeuten. Das Interesse für weitere Forschung und Entwicklung in diesem Bereich wird sich erhöhen, was mittelfristig zu neuen und hoffentlich noch wirksameren Therapien führen könnte.
Was bedeutet Schwelende MS für die Betroffenen?
Die große Herausforderung für die Betroffenen ist das Bewusstsein darüber, wie sich ihr Gesundheitszustand Jahr für Jahr verschlechtert – ohne, dass man das objektiv abbilden kann. MS-Schübe lassen sich aufgrund der Narben, die sie im Gewebe hinterlassen, mit einer MRT gut sichtbar dokumentieren. Bei der schwelenden MS ist das Absterben der Nervenzellen überwiegend diffus, weshalb es mit bildgebenden Verfahren nicht adäquat erfasst werden kann. Das führt dazu, dass Patient:innen eine Verschlechterung erleben, die für Ärzt:innen nicht objektivierbar nachvollzogen werden kann. Neben der Erkrankung selbst kann so auch das Unverständnis zu einer Belastung werden – gerade dann, wenn existenzielle Fragen, wie etwa eine Berufsunfähigkeitspension, im Raum stehen.
Wie geht man mit diesem Wissen um die Verschlechterung der eigenen Gesundheit um?
Die Frage betrifft im Grunde nicht nur MS-Patient:innen, sondern in letzter Konsequenz jede:n von uns. Wie gehen wir damit um, dass wir älter und schwächer werden und irgendwann versterben? Bei MS-Patient:innen ist das ein Prozess, der schneller verlaufen kann. Es gibt Patient:innen, die sich aufgeben, und Patient:innen, die einen schweren Krankheitsverlauf haben, aber das Leben im Rahmen ihrer Möglichkeiten genießen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Neben Aspekten, die die Erkrankung bremsen – ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung und natürlich auch Medikation – ist es wichtig, hier anzusetzen. Institutionen wie die MS-Gesellschaft und Selbsthilfegruppen, die motivierend unterstützen, leisten einen entscheidenden Beitrag für die Lebensqualität der Betroffenen.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse erklären, warum sich MS-Symptome im Laufe der Zeit verschlechtern können –auch unabhängig von Schüben.
Jetzt entdecken auf ms-perspektivwechsel.de
Dieser Link führt zu einer von Sanofi Deutschland betriebenen Website. Die dort bereitgestellten Informationen können für Österreich abweichen.
AO. Univ.-Prof. Dr. Fritz Leutmezer Facharzt für Neurologie, Oberarzt an der Universitätsklinik für
Entgeltliche Einschaltung
Rehabilitation als Gamechanger für den Verlauf einer MS
Dr.in Eva Schubert-Vadon ist Neurologin an der Klinik Maria Theresia am Radkersburger Hof mit Schwerpunkt auf neurologischen und orthopädischen Erkrankungen. Im Interview erklärt sie, wie sich eine patient:innenzentrierte Rehabilitation positiv auf den Verlauf einer Multiplen Sklerose (MS) auswirkt und worauf es dabei ankommt.
Warum ist die Wahl individueller Maßnahmen zur Behandlung und Rehabilitation bei MS besonders herausfordernd?
Die Natur der Autoimmunerkrankung selbst ist die Herausforderung: Die MS ist eine Erkrankung, bei der sich das Abwehrsystem des Körpers (Immunsystem) gegen körpereigene Strukturen im zentralen Nervensystem (ZNS), also in Gehirn und Rückenmark, richtet.
Dahinter stecken chronische Entzündungen, die Nervenleitungen beeinträchtigen. Signale vom Gehirn an verschiedene Körpersysteme kommen dort deshalb nur verlangsamt oder gar nicht mehr an. Das äußert sich durch verschiedene Symptome: Muskellähmungen, Empfindungs-, Seh-, Geschmacks-, Gleichgewichts-, Blasenfunktions- und kognitive Störungen. Da die Strukturschäden im ZNS von Patient:in zu Patient:in variieren, gleicht keine MS der anderen.
Herausfordernd ist zudem, dass wir zur Diagnose der MS zwar bildgebende Verfahren einsetzen und die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) untersuchen, doch die Antwort auf die Frage, was im ZNS tatsächlich vorgeht, liegt hinter der BlutHirn-Schranke. Wir sind deshalb vor allem auf die Beobachtung der MS angewiesen,
um von den sichtbaren und gefühlten Anzeichen auf Verlauf, Krankheitstyp und passende patient:innenkonzentrierte Maßnahmen zur Therapie und Rehabilitation zu schließen.
Worauf kommt es dabei an?
Je mehr wir über die Patient:innen und ihre Krankheitsgeschichte wissen, desto besser können wir die MS bewerten. Ich möchte Patient:innen deshalb dazu ermutigen, sich mit ihrer MS auseinanderzusetzen und mit uns Ärzt:innen offen über alles zu sprechen, was mit der Krankheit in Verbindung stehen könnte. Das detaillierte Wissen um jedwede körperliche oder gefühlte Veränderung verschafft uns bessere Chancen, den degenerativen Fortschritt der in Schüben verlaufenden MS frühzeitig zu verlangsamen. Denn wir wissen längst, dass die Degenerationsprozesse bei einer MS unterschwellig fortschreiten – also schubunabhängig stattfinden (Stichwort: „Progression Independent of Relapse Activity“, PIRA).
Was bringt die moderne MS-Rehabilitation? Das ZNS kann MS-bedingte Strukturschäden dank seiner Neuroplastizität in gewissem Maß kompensieren
(Neurorehabilitation). Es ist demnach in der Lage, neue Wege zur Signalweitergabe zu erlernen, um körperliche und kognitive Defizite bis zu einem gewissen Grad auszugleichen. Der Lernprozess lässt sich erfahrungsgemäß sehr gut in einer Rehabilitationsmaßnahme anschieben, wo interdisziplinäre Teams individuell und „hands-on“ an sowie mit MS-Patient:innen arbeiten. Eine kompakte Reha von vier Wochen wirkt bestenfalls über Monate und ist einmal im Jahr ratsam. Wobei sich ihre Wirkung verlängern lässt, wenn die Patient:innen das vermittelte Wissen auch daheim anwenden. Die bisherige MS-Forschung hat uns nicht nur wertvolle Erkenntnisse, sondern auch immer bessere Therapien und Medikamente beschert. Während MS-Patient:innen mit einer Diagnose von vor 40 Jahren mit großer Sicherheit nicht ohne Rollstuhl auskommen, sieht das bei heute diagnostizierten Patient:innen ganz anders aus: Auch wenn die MS noch nicht heilbar ist, landen Betroffene nicht mehr zwingend im Rollstuhl. Ich habe sogar Patient:innen erlebt, die sich dank moderner MS-Medizin und Reha wieder aus dem Rollstuhl herausgearbeitet haben.
Mehr Informationen fi nden Sie unter: www.radkers burgerhof.at
Kunst und Kultur als Therapie bei Multipler Sklerose
Mit 37 Jahren wurde bei Perpeta Multiple Sklerose diagnostiziert. Innerhalb von zwei Tagen verlor sie die Kontrolle über ihre Hände und entwickelte Sensibilitätsstörungen im Rumpf. Nach drei Wochen im Krankenhaus besserten sich zwar die Symptome im Rumpf, doch die Einschränkungen in den Händen blieben. Im Interview erzählt Perpeta, wie sie mit der Diagnose umging und welche Rolle Kunst in ihrem Alltag spielt.
Wie hast du die Diagnose erlebt?
Zur Anfangszeit dachte ich, mein Leben sei vorbei. Zu den Einschränkungen kamen Depression und sehr viel Angst. Das Negieren, Wegschauen und Verharmlosen meiner Familie war eine große zusätzliche Belastung. Ich musste lernen, mit der MS zu leben, nicht gegen sie. Das kann man aber nur, wenn man sie annimmt. Zum Glück standen mir eine Psychotherapeutin und zwei wirklich gute Freunde zur Seite, die mir sehr halfen, alles wahrzunehmen – die MS anzunehmen und ihr den Raum zu geben. Dies ist für mich bis heute die Königsdisziplin im Umgang mit der Erkrankung: Egal, wie unangenehm, schmerzhaft oder einschränkend – alles darf Raum bekommen. Doch ich darf nicht darin versinken.
Gerade zu Beginn bin ich in Verzweiflung, Schmerz, Trauer und Angst untergegangen. Ich hatte nicht MS – ich war sie! Das ist die große Gefahr: dass die Krankheit die Identität übernimmt.
Wie fühlen sich Sensibilitätsstörungen in den Händen an?
In meiner Kindheit gab es an Kindergeburtstagen ein Spiel: mit klobigen Skihandschuhen mit Messer und Gabel essen oder mit einem Stift schreiben. Das Gefühl ist
ähnlich. Zusätzlich habe ich ein Dauerprasseln in den Händen.
Welche Rolle spielt Kunst für dich im Umgang mit MS?
Ich war schon immer ein sehr kreativer Mensch, habe geschrieben, gezeichnet, gemalt, Musik gemacht. Dann bekam ich das große Geschenk, Mal- und Gestaltungstherapie machen zu dürfen, wodurch ich den Zugang zu diesen Ressourcen wiedergefunden habe.
Damit hat bei der Bewältigung dieser existenziellen Krise die Kunst eine große Rolle gespielt. Sie eröffnet mir die Möglichkeit, diffizile Gefühle zu transformieren und einen Weg aus der Starre zu finden. Durch Sound-Collagen und Bilder kann ich dem Ausdruck geben, wofür Worte fehlen. Das Unkontrollierbare in den abstrakten Arbeiten ist dabei ein Äquivalent zur Unkontrollierbarkeit der MS.
Mein Kunstschaffen ist eine Art Transformation von Schmerz, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Angst. Jedes Mal, wenn ein Werk entsteht, steigt ein Phönix auf. Meine Einschränkungen sind sehr unberechenbar – ich versuche mich ihnen anzupassen. Da ich nicht immer einen Stift oder Pinsel halten kann, habe ich mit Geldruck begonnen. Dafür kann ich auch mit Ellbogen und Faust arbeiten.
Ich habe auch schon Bilder gemacht, bei denen ich nur noch ein Schaschlik-Spießchen mit der Faust halten konnte. Falls das alles nicht funktioniert, vertone ich
Textpassagen meiner tiefsten Empfindungen. Vor kurzem habe ich Improtheater ausprobiert, was nicht nur sehr Spaß macht, sondern auch ein Training ist, auf Unvorhersehbares zu reagieren, wie bei der MS. Wenn gar nichts geht, versuche ich diesem Nichts beim Meditieren Raum zu geben.
Wie erlebst du die Unterstützung durch die MS-Gesellschaft?
Die MS-Symposien liefern mir aktuelle evidenzbasierte Informationen. Dieses Wissen ist für mich ein wertvolles Tool für selbstbestimmtes Agieren. In Phasen besonderer Herausforderung sind Psychotherapie und Sozialberatung Rettungsbojen. Für Kunstschaffende eröffnete die Ausstellung #sichtbarmachen einen Raum, sich außerhalb der Erkrankung zu zeigen und gesehen zu werden – mit und trotz MS!
Täglich erhält mindestens ein Mensch in Österreich die Diagnose Multiple Sklerose. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen mit MS und ihre Angehörigen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. www.msges.at/jetztspenden
Am 30. Mai ist Welt-MSTag – unterstützen Sie uns!
Ihre Spende hilft direkt dort, wo sie gebraucht wird.
Dr. in Eva SchubertVadon
Neurologin an der Klinik Maria Theresia am Radkersburger Hof
Informationen Sie unter: www.radkers burgerhof.at
Der Klimawandel geht unter die Haut!
Die Klimaerwärmung ist ein globales Problem mit weitreichenden Folgen – nicht nur für Umwelt und Ökosysteme, sondern auch für unsere Gesundheit – und damit nicht zuletzt für die Haut, das größte Organ des menschlichen Körpers und zugleich die wichtigste Schutzbarriere gegen äußere Einflüsse.
Unsere Haut fühlt Wärme, Kälte und Schmerz, sie schwitzt bei Hitze, pigmentiert bei UV-Strahlung und juckt und brennt bei Mückenstichen, Allergenen und anderen Reizen, die über die Epidermis in den Körper eindringen. Das war zwar schon immer so –doch viele dieser äußeren Einflüsse haben in den letzten Jahren spürbar an Intensität zugenommen.
„Der Klimawandel ist weder neu, noch abstrakt, sondern eine sehr konkrete Realität. Die Auswirkungen auf die Hautgesundheit sind vielfältig und dennoch unterschätzt“, so die Klimaforscherin Prof.in Helga Kromp-Kolb beim Auftaktpressegespräch zum „Monat der Hautgesundheit 2025“, einer Awareness-Initiative des Vereins big5health und der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV), die einmal jährlich im Mai die Hautgesundheit in den Fokus rückt.
Schutzschild Haut unter Druck Unsere Haut ist von einer Vielzahl an Bakterien, Pilzen und anderen Mikroorganismen besiedelt, die zusammen das Hautmikrobiom bilden. Diese natürliche Schutzbarriere ist entscheidend für die Abwehr von Krankheitserregern und eine gesunde Hautfunktion. Steigende Temperaturen, veränderte Luftfeuchtigkeit, vermehrte Schweißproduktion, Luftverschmutzung und intensivere UV-Strahlung können das sensible Gleichgewicht unseres Hautmikrobioms stören.
UV-Belastung und vermehrtes Schwitzen als fühlbare Stressoren
Die Zunahme der UV-Strahlung zählt zu den gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels. Bereits ein leichter Anstieg der durchschnittlichen Sonneneinstrahlung führt zu einer verstärkten Belastung der Hautzellen, was die Wahrscheinlichkeit für Mutationen und die Entstehung von Hautkrebs erhöht. „Sonnenbrand, Hautkrebs und beschleunigte Hautalterung
nehmen zu. Prävention ist wichtiger denn je: Sonnenschutz, atmungsaktive Kleidung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr sind essenziell“, appelliert Prim. Robert Müllegger, Leiter der Dermatologischen Abteilung im Universitätsklinikum Wiener Neustadt und Präsident der ÖGDV. Neben der Pigmentierung der Haut ist auch unsere natürliche Temperaturregulation – das Schwitzen – eine sichtbare, aber vor allem spürbare Reaktion auf das Klima. Schweiß verändert den pH-Wert der Haut und schafft ein feuchteres Milieu. Manche Mikroorganismen vermehren sich unter diesen Bedingungen stärker, während andere verdrängt werden. Die Folge: Das empfindliche Gleichgewicht des Hautmikrobioms gerät bei vermehrtem Schwitzen leichter aus der Balance.
Hitzewellen, insbesondere in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit, erschweren zusätzlich die körpereigene Temperaturregulation und können Hautreaktionen wie Hitzepickel fördern und Pilzinfektionen begünstigen.
Oxidativer Stress, neue Allergene und Krankheitserreger Der Klimawandel bringt nicht nur mehr Hitze, sondern auch eine Zunahme an Umweltbelastungen mit sich. Feinstaub, Ozon und andere Luftschadstoffe nehmen insbesondere in urbanen Gebieten zu. Dies kann in unseren Hautzellen zu oxidativem Stress, einem Ungleichgewicht zwischen schädlichen freien Radikalen und schützenden Antioxidantien, führen. Diese Imbalance kann unsere Zellen schädigen und Entzündungsreaktionen auslösen. Aber nicht nur auf der Haut, sondern auch auf den Schleimhäuten spüren wir die Folgen des Klimawandels: Allergien werden stärker und immer häufiger – zum einen durch den Pollenflug, der immer früher beginnt, und zum anderen durch die Einwanderung von Pflanzen und Tieren aus wärmeren Regionen, die neue Allergene nach Österreich bringen.
Prof. Stefan Wöhrl, Leiter des Floridsdorfer Allergiezentrums in Wien, sieht dramatische Veränderungen für Menschen mit Allergien: „Verlängerte Pollenflugzeiten, neue Allergene und steigende Belastungen treffen rund 20 Prozent der Bevölkerung. Höhere CO2-Werte wirken auf Pflanzen wie Dünger, die Pollenmenge steigt und neue Pflanzenarten wie Ragweed breiten sich aus.“
Ähnliches gilt für Infektionskrankheiten, die über Hautstiche oder -bisse übertragen werden. „Die WHO spricht zu Recht von der größten Gesundheitsbedrohung der Menschheit“, warnt Prof. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der MedUni Wien.
Menschen mit vorgeschädigter Haut besonders betroffen
Betroffene von chronischen Hauterkrankungen, wie Psoriasis und Neurodermitis, spüren die Auswirkungen des Klimawandels hautnah. Zwar kann etwa ein Mehr an Sonnenlicht in der warmen Jahreszeit die Beschwerden einiger chronisch entzündlicher Hauterkrankungen verbessern, eine übermäßige UV-Belastung, vermehrtes Schwitzen und eine Verschlechterung der Symptome durch oxidativen Stress gleichen diese positiven Effekte jedoch mehr und mehr aus.
Die Klimakrise hinterlässt also längst spürbare und sichtbare Spuren auf unserer Haut. Au lärung zum richtigen Umgang mit den zahlreichen Folgen für unsere Hautgesundheit – und unseren gesamten Organismus – ist wichtiger denn je.
Mach deine Haut klimafit!
In Blogbeiträgen auf www.meinehautgesundheit.at, im Fernsehen, in Kurzvideos in den Sozialen Medien und im Podcast „Hautfit“ kann man sich dieses Jahr darüber informieren, wie Hitze, Sonnenstrahlung, Allergene und neue Krankheitserreger die Haut auf die Probe stellen – und man erfährt, wie man die Haut vor den Folgen des Klimawandels schützen kann.
Eine Initiative von big5health
Mehr Informationen finden Sie hier:
Wenn die Haut mitfühlt
Unsere Haut ist viel mehr als nur eine Hülle – sie ist ein sensibles Sinnesorgan, das uns mit der Welt verbindet. Über Millionen von Nervenendigungen nimmt sie Berührungen, Temperatur, Schmerz und Juckreiz wahr. Diese Reize werden direkt ins Gehirn weitergeleitet und können dort intensive emotionale Reaktionen auslösen, von Geborgenheit bis hin zu tiefer Anspannung. Im Interview gibt Dr.in med. Lela Ahlemann wertvolle Einblicke in die Hautgesundheit, ihre Bedeutung für unser Wohlbefinden und die Zusammenhänge zwischen Haut und Psyche.
Dr. in med. Lela Ahlemann Fachärztin für Dermatologie-Venerologie, Phlebologie und Proktologie in der Hautarzt-Praxis
Hagen
BUCHTIPP
ISBN: 978-3-7459-2345-2
@dr.ahlemann
dr-ahlemann.de
Wie beeinflusst unsere Haut unser Fühlen und Empfinden? Erkrankungen wie Neurodermitis oder chronisches Ekzem, bei denen starker Juckreiz auftritt, können das Empfinden massiv verändern. Juckreiz ist nicht nur körperlich belastend – er raubt Schlaf, beeinflusst die Konzentration und kann zu depressiven Verstimmungen führen. Auch das Schmerzempfinden verändert sich. Bei entzündlichen Hauterkrankungen wie Psoriasis ist die Haut überempfindlich, selbst leichte Reize können als schmerzhaft empfunden werden. All das zeigt: Unsere Haut beeinflusst, wie wir uns fühlen – körperlich wie seelisch.
Eine Hauterkrankung ist Akne. Wie beeinflusst Akne das emotionale Fühlen und Selbstempfinden der Betroffenen?
Akne ist für viele nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern eine große psychische Belastung. Im Jugendalter, wenn das Selbstbild noch im Au au ist, kann unreine Haut zu sozialem Rückzug, Scham und geringem Selbstwertgefühl führen. Manche vermeiden Blickkontakt, andere trauen sich nicht mehr ins Schwimmbad oder auf Partys – das geht tief. Auch Erwachsene mit sogenannter Spätakne fühlen sich oft stigmatisiert. In einer Gesellschaft, in der glatte Haut mit Attraktivität, Erfolg und Gesundheit assoziiert wird, empfinden viele Betroffene ihr Hautbild als Makel, selbst
bei leichter Form. Haut und Psyche sind eng miteinander verwoben.
Was sind die häufigsten Ursachen für Akne? Was kann man dagegen tun? Akne entsteht durch eine Kombination aus übermäßiger Talgproduktion, Verhornungsstörungen an den Porenausgängen, bakterieller Besiedlung und entzündlicher Reaktion. Hormone spielen nicht selten eine Rolle – insbesondere in der Pubertät, aber auch bei Zyklusschwankungen oder hormonellen Störungen wie PCOS. Auch ein Mikronährstoffmangel, wie z. B. Eisenmangel, Zinkmangel oder Biotinmangel, kann ursächlich sein. In einigen Fällen macht es Sinn, diese und weitere Werte im Blut zu untersuchen.
Eine konsequente, nicht überreizende Hautpflegeroutine ist das A und O: nicht zu aggressiv reinigen, milde Produkte verwenden – und Geduld haben. Ernährung kann ebenfalls eine Rolle spielen: Stark zuckerhaltige Lebensmittel und Milchprodukte können Akne fördern. Und: Hände aus dem Gesicht – das ständige Drücken verschlimmert meist nur das Hautbild. Sollte die Haut nicht besser werden, ist eine frühzeitige hautärztliche Untersuchung ratsam – je früher man gezielt behandelt, desto weniger bleiben Narben. Das gilt für die Haut genauso wie für das Selbstwertgefühl.
Körpereigener Wirkstoff hilft bei Akne – Lactoferrin als vielversprechende Option bestätigt
Nahezu jeder Mensch macht im Laufe des Lebens Erfahrungen mit Akne. Zwar tritt die Hauterkrankung häufig in der Pubertät auf, doch sie kann auch später – etwa durch hormonelle Veränderungen – erneut auftreten und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
Für Frauen besteht in solchen Fällen oft die Möglichkeit einer hormonellen Behandlung mit der Antibabypille. Diese Therapie wird jedoch nicht selten aufgrund von Kinderwunsch oder möglichen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme wieder abgesetzt. Auch Therapien mit Antibiotika oder Isotretinoin stehen zur Verfügung, diese bergen jedoch teils erhebliche Risiken und sind für Kinder, Schwangere oder stillende Frauen meist keine Option. In vielen Fällen bleibt den Betroffenen daher nur, die Symptome und den damit verbundenen Leidensdruck zu ertragen. Ein körpereigener Wirkstoff bietet nun neue Hoffnung: Lactoferrin – ein Eiweiß, das natürlicherweise in verschiedenen Körperflüssigkeiten und besonders in Muttermilch hochkonzentriert vorkommt. Der Name leitet sich von den lateinischen Wörtern lac (Milch) und ferrum (Eisen) ab und verweist auf die Fähigkeit des Proteins, Eisen zu binden.
Im Labor konnte Lactoferrin bereits entzündungshemmende Eigenschaften unter Beweis stellen. Zwei aktuelle klinische Studien bestätigen nun auch seine Wirksamkeit bei Akne: In der ersten Studie nahmen Betroffene über zwölf Wochen täglich 200 mg Lactoferrin in fermentierter Milch ein. Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte sich eine signifikante Reduktion der Hautläsionen und des Schweregrads der Akne. Gleichzeitig verringerte sich die Talgproduktion, ohne die Hautfeuchtigkeit oder den pH-Wert negativ zu beeinflussen.
In einer zweiten Untersuchung wurde eine Kombination aus Lactoferrin, Vitamin E und Zink über drei Monate hinweg verabreicht. Auch hier kam es zu einer deutlichen Verbesserung des Hautbildes im Vergleich zur Placebogruppe.
Text Werner Sturmberger
Lactoferrin erweist sich somit als gut verträgliche, vielversprechende Option zur innerlichen Unterstützung bei Akne. Es lässt sich problemlos mit anderen Präparaten kombinieren und ist insbesondere für Menschen geeignet, die auf hormonelle oder medikamentöse Therapien verzichten möchten oder müssen.
in
Dr.
med. univ. Kerstin Ortlechner Dermatologin in Wien
Sonnenschutz –So geht‘s richtig!
Zum Sonnenschutz zählen wir kosmetische Produkte und mechanische Mittel wie Kleidung und Sonnenschirm. Dass Sonnenschutz wichtig ist, wissen die meisten – dennoch holen sich viele noch immer einen Sonnenbrand. Warum er gefährlich ist und wie er sich vermeiden lässt, erklärt die Wiener Dermatologin Dr.in med. univ. Kerstin Ortlechner im Interview.
Warum ist Sonnenschutz so wichtig?
Sonnenschutz ist ein Muss für alle, das ganze Jahr über: Denn die UV-Strahlung der Sonne führt nicht nur zu Bräune, sondern auch zu Sonnenbrand. Und dieser schadet der Haut immer – über kurz oder lang. Sonnenverbrannte Haut reagiert mit Rötungen und Brennen. Beides sind Zeichen einer Entzündung, die unbedingt zu vermeiden ist. Doch das geht nur, indem man Sonne entweder meidet oder sich ausreichend schützt.
Welche Schäden kann UV-Strahlung anrichten?
UV-A-Strahlung lässt die Haut vorzeitig altern. UV-B-Strahlung sorgt für Bräune und Sonnenbrand. Beide können zu Hautkrebs führen.
Wie entstehen Sonnenschäden wie Altersflecken oder auch Hautkrebs?
Die Strahlen verformen das Kollagen und Elastin in den Hautzellen. Infolgedessen leidet die Hautstruktur: Die Haut wird vorzeitig dünner, trockener und brüchiger. Es bilden sich schneller Falten. Hinzu können Pigmentverschiebungen kommen, die frühzeitig zu Sonnen- beziehungsweise Altersflecken führen, weil die farbstoffproduzierenden Zellbestandteile (Melanozyten) geschädigt werden. Zerstört das Sonnenlicht gar die DNA der Zelle, sind unwiderrufliche Veränderungen (Mutationen) die Folge: Dies führt zu unkontrolliertem Zellwachstum – Krebszellen (weißer und schwarzer Hautkrebs) entstehen.
Welchen Unterschied macht die Hautfarbe beim hauteigenen Lichtschutz?
Vorweg: Es macht keinen Unterschied, ob helle oder dunkle Hautfarbe – jede Haut kann von der Sonne geschädigt werden. Aber ja, die hellen Hauttypen mit wenig Hautfarbstoff (Melanin) bekommen schneller einen Sonnenbrand, die dunklen langsamer. Denn das Melanin wirkt wie ein
Sonnenschirm. Je mehr davon in der Haut ist, desto besser ist der Eigenschutz. Die Natur hat das sehr smart gelöst: Menschen, die dort leben, wo sie tagtäglich viel Sonne abbekommen, haben viel Melanin in der Haut und sind so von vornherein besser geschützt. Das heißt auch: Je heller die Haut ist, desto nötiger ist extra Sonnenschutz.
Wie funktioniert kosmetischer Sonnenschutz?
Es gibt physikalisch und chemisch wirkende Sonnenschutzmittel, mitunter werden diese auch kombiniert.
• Physikalischer Sonnenschutz legt sich, häufig als weißlicher Film, auf die Haut wie Schindeln auf ein Dach und reflektiert die Strahlen der Sonne. Diese können dadurch die Schutzschicht nicht durchdringen. Da entsprechende Mittel nur auf der Haut liegen, sind sie jedoch kaum wasserfest und leicht abzureiben. Das heißt: Man muss viel öfter nachschmieren, um den Schutz durchgehend aufrechtzuerhalten.
• Chemische Sonnenschutzmittel dagegen dringen in die obere Hautschicht ein. Die UV-Strahlen werden absorbiert, in Wärme umgewandelt und dann vom Körper abgegeben.
Wie wählt man den richtigen Hautschutz? Am besten ist ein Gespräch mit Dermatolog:innen. Denn es geht dabei nicht nur um die Hautfarbe, sondern auch darum, wie die Haut beschaffen ist. Wir unterscheiden fettige Haut, Mischhaut oder trockene Haut, normal empfindliche oder sensible Haut. Auch die Hautbehaarung spielt bei der Wahl des Sonnenschutzmittels eine Rolle. Körperliche Aktivitäten sind zudem ein wichtiger Punkt, der die richtige Wahl beeinflusst.
Jede Haut hat ganz eigene Bedürfnisse – und für diese gibt es inzwischen auch sehr gute Sonnenschutzmittel. Je nach
Hauteigenschaften und daraus resultierendem Schutz- und Pflegebedarf der Haut schlägt man bestenfalls zwei Fliegen mit einer Klatsche.
Und auch für alle, die Medikamente einnehmen, die die Haut lichtempfindlicher machen, oder die an einer Hauterkrankung leiden, gilt: Es gibt passende Sonnenschutzmittel – und damit keine Ausrede, dass man keinen Sonnenschutz verwenden kann oder darf.
Was muss man zum Lichtschutzfaktor (LSF) wissen?
Der LSF verlängert die natürliche Eigenschutzzeit der Haut, also die Zeitspanne, in der die Haut ohne Schutz unbeschadet in der Sonne bleiben kann. Beim nordischen Hauttyp beispielsweise geht man von einer Eigenschutzzeit von 10 bis 15 Minuten aus. Ein sehr hoher LSF von 50 verlängert diese Aufenthaltsdauer um das 50-Fache.
Welche Anwendungsfehler sind häufig?
Der schlimmste Fehler ist gar kein Sonnenschutz! Viele überschätzen die Menge beziehungsweise die Wirkung ihrer aufgetragenen Sonnenschutzmittel. Meist wird zu wenig geschmiert. Denn es ist nicht nur das Wasser, das die Mittel abwäscht. Es kommt auch zu Abrieb, beispielsweise beim Überstreifen von Kleidung, Abtrocknen und Anlehnen an Mitmenschen oder Sonnenstuhl.
Wie schütze ich mein Baby richtig vor Sonne?
Babyhaut hat noch gar keinen Eigenschutz. Die natürliche Hautbarriere reift erst. Das macht Babyhaut höchst empfindlich. Babys gehören deshalb unbedingt in den Schatten – ausnahmslos. Sonnenschutz sollte mit Kleidung & Co. realisiert werden. Wird auch kosmetischer Schutz nötig, beispielsweise im Urlaub am Meer, dann ist ein physikalisch wirkendes Mittel ratsam, das extra für Babyhaut gemacht wurde.
@dr.ortlechner
kerstinortlechner. com
Text Doreen Brumme
Diagnose Schizophrenie –weniger Vorurteile, mehr Au lärung
Liebe Leser:innen, mein Name ist Lisa Isabella, ich bin 31 Jahre alt und wohne seit 2018 in Wien. Ich bin seit 2023 Mutter, arbeite seit einigen Jahren als Schnittassistentin beim Film und werde im Herbst meinen Bachelor in Montage an der Filmakademie Wien abschließen.
Ich bin ein sehr empathischer und feinfühliger Mensch, was sich positiv wie negativ äußern kann. Seit neun Jahren lebe ich mit der Diagnose paranoide Schizophrenie. Nach zwei Psychiatrieaufenthalten und psychotischen Phasen habe ich mich und meine Diagnose besser kennengelernt – mithilfe von Psychoedukation und Unterstützung meines Hilfsnetzwerks: Fachärzt:innen (Psychiater, Psychotherapeutin), Medikamente, Selbsthilfegruppe, Freunde und Familie. Psychische Gesundheit und Aufklärung liegen mir sehr am Herzen, weshalb Sie nun diese Zeilen lesen.
Wieso ist es dir wichtig, offen über psychische Gesundheit zu sprechen?
Vor über neun Jahren erhielt ich bei meinem ersten Psychiatrieaufenthalt meine Diagnose – damals war die Welt noch eine andere, was psychische Gesundheit betrifft. Ich fühlte mich damals sehr alleine und unverstanden; habe mich selbst nicht verstanden. Die Diagnose war ein Schlag ins Gesicht, wobei ich nicht wirklich begreifen konnte, was sie für mich und mein Leben bedeuten würde. Ich war geprägt vom Stigma, das in der Gesellschaft vorherrscht(e). Wie viele Menschen hatte ich falsche Vorstellungen von Schizophrenie im Kopf. Doch nun betraf es mich selbst, ich musste mich damit auseinandersetzen: Also begann ich zu recherchieren. Menschen, die eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis haben, werden in Viertel unterteilt. Ein Viertel kann ein sehr stabiles Leben führen, zwei Viertel brauchen mehr Unterstützung, und nur ein Viertel hat einen schweren Verlauf. Da ich dem ersten Viertel angehöre, sehe ich es als meine Verantwortung, offen darüber zu sprechen. Ich habe die Möglichkeiten dazu, andere haben dieses Privileg nicht. Außerdem habe ich über diese Offenheit meine tiefsitzende Scham überwunden. Ich möchte meinen Leidensgenoss:innen Mut machen und Menschen au lären, die keine Berührungspunkte haben. Wobei immerhin jede 100. Person in Österreich und zwei Prozent der Weltbevölkerung davon betroffen sind.
Haben Menschen oft falsche Vorstellungen von Schizophrenie?
Ja, denn auch ich hatte falsche Vorstellungen. Schizophrenie kann sich auf verschiedene Arten zeigen, das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich – darum spricht man vom schizophrenen Formenkreis. Es ist eine Ansammlung verschiedener Erkrankungen mit unterschiedlichen Symptomen. ABER es bedeutet NICHT, dass man an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leidet (dabei hat man zwei oder mehrere verschiedene Persönlichkeiten), wie oft der
Irrglaube herrscht. In der ICD-11 (International Classification of Diseases) sind die verschiedenen Formen, die verschiedenen Klassifikationen von Schizophrenie nachzulesen.
Leider werden Angst und falsche Vorstellungen, das Stigma, oft durch die Medien generiert, die in reißerischen Schlagzeilen von Straftaten berichten, die Menschen mit Schizophrenie begangen haben sollen. Ja, es gibt schlimme Schicksale, es gibt Menschen, die auf der Straße laut mit sich selbst reden, das kann irritierend sein, das kann man nicht verleugnen, aber viel öfter sind es Menschen wie Sie, die davon betroffen sind. Mit einer solchen Diagnose läuft man jedenfalls Gefahr, in die Einsamkeit abzugleiten, da braucht es viel Hilfe von außen. Das Ziel sollte sein, in einer menschenfreundlichen Gesellschaft zu leben, um dieser Einsamkeit auf verschiedenen Ebenen, persönlich wie professionell, entgegenwirken zu können. Doch wichtig ist zu betonen: Eine Diagnose ist nur ein Teilaspekt eines Menschen. Den Menschen macht noch viel, viel mehr aus.
Wie fühlt sich die Schizophrenie für dich an?
Doch wichtig ist zu betonen:
Eine Diagnose ist nur ein
Teilaspekt eines Menschen.
Den Menschen macht noch viel, viel mehr aus.
Es hat sich wie ein Einriss angefühlt: Plötzlich konnte ich in der Psychose meinen eigenen Wahrnehmungen und mir selbst nicht mehr trauen. Ein grausames Kop ino und Gedankenkreisen haben sich eingeschlichen, paranoide Gedanken – das hatte sich bei mir schon vier Jahre vor der Diagnose gezeigt. Die Jahre davor hatte es sich wie eine Depression angefühlt: Einmal im Jahr hatte ich eine Phase, in der ich sehr depressiv war, es nicht mehr aus dem Bett schaffte, antriebslos und hoffnungslos war. Doch plötzlich hatte das Kind einen Namen und meine Welt war nicht mehr dieselbe. Und wer glaubt, dass man sich in so einer Phase ‚zusammenreißen‘ kann, irrt sich gewaltig. Es braucht viel Unterstützung und Verständnis von außen, um aus so einer Phase wieder rausfinden zu können.
Das musste ich mir selbst auch immer vor Augen führen, wenn ich z. B. beim Dating ablehnende Erfahrungen gemacht habe. Das hat mir gezeigt, dass Au lärung einfach das A und O ist.
Warum war es dir wichtig, den Film Sensory Overload zu drehen?
Der Wunsch, eine Dokumentation darüber zu machen, kam auf, um mit Stigmata aufzuräumen, aufzuklären und vor allem anderen Betroffenen Mut und Hoffnung zu schenken – um Schizophrenie sichtbar zu machen. „Sensory Overload – Diagnose: paranoide Schizophrenie“ ist meine Abschlussarbeit an der Filmakademie Wien und zugleich mein persönlicher Weg mit der Erkrankung – ab dem Zeitpunkt der Diagnose bis heute. Anfänglich war nicht der Plan, einen so persönlichen Film zu machen, doch weil fast niemand bereit war, offen vor der Kamera darüber zu sprechen, änderte ich meinen Ansatz. Wenn ich von anderen Offenheit vor der Kamera verlange, muss ich auch selbst dazu bereit sein. Mit dieser hybriden Dokumentation möchte ich einen offenen und aufgeklärten Raum für Schizophrenie mitgestalten. Ergänzend zum Film wird es auch einen Podcast geben, um das Thema aus verschiedenen Perspektiven weiter zu beleuchten und den Dialog darüber zu vertiefen.
In der Psychose nahm ich mein Umfeld und die Energien der Menschen viel stärker wahr – ich bezog zufällig erscheinende Situationen immer auf mich. Wenn zum Beispiel in der Öffentlich ein Missgeschick passierte, z. B. jemandem fiel etwas runter, gab ich mir sofort die Schuld dafür. Ich fühlte mich von Menschen komisch angesehen. Wenn im Fernsehen eine Serie lief, bezog ich alles davon auf mich. Das ging so weit, dass ich mich nicht mehr vor die Tür traute und Panikattacken in Menschenmassen bekam. In der Psychose fing ich z. B. auch in meinem Elternhaus an, den Keller umzuräumen und ‚kindersicher‘ zu machen, obwohl ich damals noch kein Kind hatte. Das war vor allem auch für meine Familie eine schwere Zeit. Generell sind Angehörige und Freund:innen in solchen Situationen oft hilflos und überfordert. Dafür gibt es Anlaufstellen wie die HPE oder den Psychosozialen Notdienst, Promente und bestimmt noch viele mehr. Sich Hilfe zu holen ist keine Schande oder Schwäche, ganz im Gegenteil – es erleichtert die Situation für alle Beteiligten und zeigt Stärke! Ich hoffe, ich konnte Ihnen eine ersten Überblick über das Thema geben und dass Ihre Neugier, sich weiter über Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis zu informieren, an dieser Stelle nicht endet!