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Er ist überall

Im Wald, an der Bushaltestelle, am Wegesrand: Müll ist allgegenwärtig. Und er wird mehr, auch wenn wir ihn fleißig wegräumen und verschwinden lassen. Die marie hat sich dem Thema angenommen und die beiden Straßenmeister Jürgen Jeitler und Dieter Thurnher begleitet.

Text: Christina Vaccaro, Fotos: Christina Vaccaro, Johannes Blacha, Jürgen Jeitler

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Hoffentlich hilft dieser Text, dass irgendwo irgendwer vielleicht darüber nachdenkt, Müll zu vermeiden.

Das Saubermachen beginnt um 7 Uhr. Zigarettenstummel, Redbulldosen, vermehrt Take-Away-Verpackungen und nun auch Masken – achtlos weggeworfen. Täglich aufgelesen. Aus dem Weg geräumt. Aus den Augen, aus dem Sinn? Ohne die Straßenmeisterei würde es . . . ja, wie würde es aussehen in Vorarlberg?

Jürgen Jeitler und Dieter Thurnher so wie ihre Kollegen haben eine gute Ahnung davon, was sich unsereiner vermutlich nicht vorstellen kann. „Es ist unglaublich, was an Müll anfällt“, erzählt Jürgen Jeitler, der seit rund sieben Jahren den Bezirk Haselstauden in Dornbirn von Abfall befreit. Zwischen 18 und 23 Kilometer läuft er täglich ab, fischt Dosen aus Bächen, Plastiktüten unter Büschen hervor. Doch meist liegt der Müll sehr „prominent“ auf der Straße, mitten am Gehsteig, direkt neben dem Mülleimer. Littering nennt man das – das achtlose Wegwerfen und Liegenlassen von Abfällen wie Verpackungen, Zeitungen, Zigarettenstummel, usw. an ihrem Entstehungsort in der Natur und im öffentlichen Raum, ohne die dafür vorgesehenen kostenlosen Entsorgungsmöglichkeiten wie öffentliche Abfalleimer zu nutzen. Davon gibt es in Vorarlberg übrigens tausende. Es ist also nicht gerade so, dass es schwierig wäre, eine Entsorgungsmöglichkeit zu finden. Speziell an Bushaltestellen oder am Bahnhof, wo besonders viele Zigarettenstummel zu finden sind.

Das ist das eine: Man ist zu faul, um Abfall in den dafür vorgesehenen Eimern zu entsorgen.

Dann gibt es noch das andere: alles, was nicht in die öffentlichen Eimer gehört. An vorderster Front: der Haushaltsmüll. Jürgen Jeitler findet in Mülleimern, die neben größeren Wohnsiedlungen platziert sind, regelmäßig – das heißt täglich – Haushaltsmüll. Etwa Kaffeekapseln, gesammelt in einer Plastiktüte, die man dann bequem an der Bushaltestelle deponiert (wenn aus Platzgründen nicht im Mülleimer, dann wird der Sack dran gehängt

oder einfach daneben hingestellt). Biomüll – Kartoffel- und Orangenschalen zum Beispiel. Zeitungen, insbesondere ungewollte Werbung, die morgens schnell aus dem Briefkasten mitgenommen und dann bei nächster Gelegenheit dem öffentlichen Restmüll zugeführt wird. Dafür sind die Mülleimer nicht gedacht. Jürgen Jeitler angelt eine Reklame aus einem Abfallkübel und zeigt auf die nahe gelegene Wohnsiedlungsanlage: „Wenn das zehn Leute jeden Tag machen, habe ich jedes Mal zehn Zeitungen hier drinnen. Es wäre mir ein Anliegen, dass neben Wohnsiedlungen kein Haushaltsmüll im Restmüll landet.“

„Da kannst du nichts machen“

Es findet sich auch Skurriles (nicht, dass es das besser macht). Ein über ein Meter langer, toter Aal, eine Gummipuppe im Bikini, ein Keuschheitsgürtel. Letztere beiden sind vielleicht noch die „lustigen“ Ausnahmen (je nach Humor). Gang und gäbe sind Lebensmittel, die noch genießbar wären. Schinken originalverpackt. Ein Baguette vom Vortag. „Da tut mir das Herz weh“, sagt Jeitler. „Essen wirft man nicht weg. Das hat man mir als Kind beigebracht.“ Unser Gespräch driftet in Richtung Take-Away. Ich erzähle von einem Lokal in Zürich, bei dem man das Essen einen Franken billiger bekommt, wenn man selbst ein Gefäß mitbringt. Jeitler pflichtet mir bei, sagt: „die Leute sind verwöhnt ohne Ende... viele Leute, viel Müll.“ Er war bereits Zeuge davon, wie Personen mit Anhänger in den Wald fahren, um dort Müll abzuladen. Er sammelte während des ersten Lockdowns an einem Vormittag 36 Masken ein. Ist das Red Bull im Angebot, findet er am nächsten Tag 100 Red Bull-Dosen. 100. In einem Bezirk. In den letzten beiden Tagen hat er eineinhalb Kubikmeter Müll eingesammelt. In den letzten vier Wochen an die 100 Bierflaschen. An Wochenenddiensten sind es in acht Stunden 200, sagt er.

Neben der Pressstation zeigt mir Dieter Thurnher, der gemeinsam mit zwei Kollegen für den Stadtbezirk zuständig ist, mehrere alte Reisekoffer. Gefunden, neben Abfalleimern. Abgestellt, anstatt zum Bauhof gebracht. Er muss sie mitnehmen, also nimmt er sie mit. Der Wagen der Straßenmeisterei wiegt um die 250 Kilogramm. Mitunter kommen nochmal so viel oder mehr dazu (Biomüll ist schwer). Wir laufen durch die Eisengasse. Thurnher zeigt auf zur Abholung herausgestellte Restmüllsäcke neben den Biomüllsäcken. Heute wird aber nur Biomüll abgeholt. „Die Leute lesen die Pläne nicht“, kommentiert er kurz. „Da kannst du nichts machen.“ Wenn bis zum Wochenende noch die Restmüllsäcke draußen stehen, muss er sie mitnehmen. „Ich wünsche mir, die Menschen würden mehr darauf achten, was sie und wo sie es hinwerfen.“

Was gar nicht geht: Spritzen. An Drogenplätzen, mitunter in der Nähe von Schulen oder in Parks. Die Mitarbeiter der Straßenmeisterei sind sehr sensibel darauf. Es ist das erste, was sie morgens wegräumen.

Bekommen sie Dank? „Manchmal“, sagt Thurnher. „Es sind meist ältere Menschen, die sich bei mir für meine Arbeit bedanken. Den Jungen ist es, leider, ziemlich egal.“

Es ist 11 Uhr. Ich habe genug Eindrücke gesammelt, doch Jürgen Jeitler, Dieter Thurnher und ihre Kollegen werden noch weiter sauber machen, bis 16 Uhr. So wie morgen. Und übermorgen. Still, unauffällig, mit ihren Straßenmeister-Wagen und den Aufnehme-Zangen. Damit wir nicht sehen müssen, was wir gedankenlos hinterlassen. Mein letzter Gedanke ist jedoch ein anderer: Ihre Arbeit verdient jeden Respekt dieser Welt. Und: Hoffentlich hilft dieser Text, dass irgendwo irgendwer vielleicht darüber nachdenkt, Müll zu vermeiden. >>

Räumen täglich unseren Müll weg: Dieter und Jürgen

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Zahlen

• 7,6 Milliarden Menschen produzieren jährlich rund zwei

Milliarden Tonnen Haushaltsabfälle (Quelle: Sensoneo’s Smart Waste Management Solution) • In Vorarlberg fallen jährlich pro Person über 70 kg Siedlungsabfall, über 20 kg Sperrmüll und fast 1 kg Problemstoff an (Quelle: Abfallwirtschaftsdaten Vorarlberg 2018) • In Vorarlberg wurden 2020 fast 150.000 Tonnen an kommunalen Abfällen gesammelt – 364 kg pro Person (Quelle: Vorarlberger Gemeindeverband) • In Vorarlberg fallen jährlich pro Person 75 kg Restmüll, 73 kg Altpapier, 46 kg Bioabfall, 28 kg „Gelber Sack“ (Kunststoff, Materialverbunde), 23 kg Sperrmüll, 17 kg

Altglas und 7 kg Altmetall an; nicht enthalten in dieser

Auflistung: Abfall aus Altstoffsammelzentren und Bauhöfen (Grünschnitt, Altholz, Alteisen, etc.) (Quelle: Vorarlberger Gemeindeverband) • In Österreich wurden im Jahr 2018 bei insgesamt knapp 2800 Flurreinigungsaktionen rund 1000 Tonnen an Abfall mit der Hilfe von über 160.000 Freiwilligen eingesammelt.

Typischerweise Getränkeverpackungen, Take-Away-Produkte, sonstige Kunststoff- und Metallverpackungen,

Papier, Zigarettenstummel und Lebensmittelreste (Quelle: Umweltbundesamt) • In der DreckSpotz-App von GLOBAL 2000 sind über 105.800 Stück Littering-Abfälle dokumentiert – überwiegend Zigarettenstummel, gefolgt von Plastik (Quelle: GLOBAL 2000) • Von den 0,95 Millionen Tonnen an Kunststoffen, die in

Abfällen enthalten sind, wurden 2018 circa 72 Prozent thermisch verwertet (Quelle: Umweltbundesamt)

Abfallvermeidung

„Der erste Schritt zur Verringerung des Abfallaufkommens ist die Abfallvermeidung.“ (Umweltbundesamt). Wichtige Schritte dazu sind: • Ersatz von Schadstoffen durch weniger gefährliche Stoffe • Schließen von Stoffkreisläufen (Cleaner Production) • langlebige, umweltfreundliche Produkte, die sich leicht reparieren lassen (Ökodesign) • Material sparende Dienstleistungen • nachhaltiger Lebensstil und effizienter Konsum • Reparatur, Weitergabe und Wiedernutzung von Produkten (Repair und ReUse)

Literatur, Links & Co

• PLASTIKATLAS. Daten und Fakten über eine Welt voller

Kunststoff. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, und GLOBAL 2000, Wien (2019). Kostenlos zum Herunterladen: www. global2000.at/sites/global/files/2019-Plastikatlas-Oesterreich.pdf • GLOBAL 2000 sammelt seit 2017 Daten zu Müll in der

Natur über die DreckSpotz-App (https://www.global2000. at/dreckspotz)

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