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Impressum
26 | Veränderter Schwarzmarkt
„Die Zielgruppen der Kontakt- und Anlaufstelle haben sich im Laufe der Jahre erweitert“, erklärt Karin Pfister. Sie ist seit 2019 Obfrau des Vereins. „Zunächst waren fast nur drogenkonsumierende Menschen – nicht zuletzt aufgrund des damaligen akuten Bedarfs – Adressat*innen der Angebote der Einrichtung. Mittlerweile werden die Angebote auch von anderen Menschen in unterschiedlichsten prekären Situationen genutzt.“ Suchtkranke Menschen ohne fixe Wohnung haben die Möglichkeit, mit Hilfe der Sozialarbeitenden, eine Post- bzw. Meldeadresse zu nutzen. Der Bedarf ist steigend und macht die prekäre Situation am Wohnungsmarkt im Land sichtbar. 2016 waren es 105 Menschen; 2019 bereits 136. Steigende Mietpreise verhindern sicheres Wohnen, die Voraussetzungen für einen Zugang zu gemeinnützigem Wohnbau sind schwer zu erreichen.
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Momentan beschäftigt den Verein besonders die Veränderung am Schwarzmarkt. So verbreiten sich etwa speziell synthetische Cannabinoide, hochdosierte Ecstasy-Tabletten und die „Neuen-Psychoaktiven-Substanzen“. Aus diesen Entwicklungen ergeben sich neue Anforderungen und eine erweiterte Angebotspalette in der Suchthilfe. Karin Pfister: „Die Abgabe von Naloxon, eines Opioidantagonisten und eine Erste-Hilfe-Maßnahme bei Opioidüberdosierung, soll das Harm-Reduction-Angebot um eine Maßnahme erweitern. Zusätzlich wäre eine Erweiterung hin zum Angebot des Drug Checking eine gesundheitsfördernde sowie den aktuellen Entwicklungen entsprechende Maßnahme.“ Multiplikator*innen/Expert*innen der Suchthilfe fordern schon seit längerem Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dieses Angebot umzusetzen.
Die Zahlen mögen niederschmetternd sein – nämlich seit Jahrzehnten gleichbleibend. Jeder Gescheiterte ist ein trauriges Ergebnis mehr in der Statistik, jeder Einzelne einer zuviel. „Man darf nicht zu hohe Erwartungen haben und sich nur an Zahlen orientieren“, sagt Ingo Broeg. „Jeder, der gerettet wird, zählt.“ Und das Schönste ist, wenn jene Menschen zu Besuch in den Kasernplatz kommen, die es geschafft haben. Die ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, vielleicht sogar Familie haben. Für nur einen Einzigen lohnen sich dann 30 Jahre Ehrenamt.
Der Spritzentausch ist in den letzten 5 Jahren exponentiell gestiegen. Vor allem seit dem Jahr 2018 steigt die Zahl der Spritzenausgaben stark, von damals noch 57.536 ausgegebenen Spritzen ist die Zahl im Jahre 2020 auf 76.281 Spritzen gestiegen. Die Rücklaufquote – darunter wird die Rückgabe der benutzten Spritzen verstanden – liegt konstant bei über 98%.
Auch die Anzahl der Besucher*innen der Anlaufstelle steigt stetig seit 2016. Lediglich im Jahr 2020 ist die Besucher*innenzahl gesunken, dies hängt mit der Corona-Pandemie bedingten Schließung des Kontaktcafés zusammen. Waren es im Jahre 2016 noch 7.243 Kontakte in der Anlaufstelle, so waren es im Jahre 2019 8.708. Dieses Jahr wurden bereits
11.626 Spritzen ausgegeben und es fanden 452 Kontakte statt.
Grundlegende Richtung
Die Straßenzeitung marie versteht sich als Sprachrohr für die Anliegen von Randgruppen unserer Gesellschaft. marie ist ein Angebot zur Selbsthilfe für Menschen an oder unter der Armutsgrenze, die ihren Lebensmittelpunkt in Vorarlberg haben. Ziel ist die Förderung des Miteinanders von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Die Hälfte des Verkaufspreises von 2,80 Euro verbleibt den Verkäufern. marie ist ein parteiunabhängiges, soziales und nicht auf Gewinn ausgerichtetes Projekt.
Redaktion
marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-Maximilian-Straße 18, 6845 Hohenems, Telefon: 0677 61538640, eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at, Internet: www.marie-strassenzeitung.at Redaktion: Frank Andres, Christina Vaccaro MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Daniela Egger, Daniel Furxer, Simone Fürnschuß-Hofer, Guntram Gärtner, Christine Mennel, Daniel Mutschlechner, Hans Platzgumer, Brigitta Soraperra, Gerhard Thoma
Zeitungsausgabestellen:
Dornbirn: Kaplan Bonetti Sozialwerke, Kaplan-Bonetti-Straße 1, Montag, Mittwoch und Freitag von 8 bis 9 Uhr Bregenz: dowas, Sandgrubenweg 4, Montag und Donnerstag 8.30 bis 10.30 h Feldkirch: Caritas-Café, Wohlwendstraße 1, Montag bis Freitag 8.30 bis 14 h Bludenz: do it yourself, Kasernplatz 5-7/3b, Montag und Mittwoch 14 bis 16 Uhr
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Kontakt: anzeigen@marie-strassenzeitung.at
Medieninhaber und Herausgeber
Verein zur Förderung einer Straßenzeitung in Vorarlberg, ZVR-Zahl 359044778 6833 Klaus, eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at
Externe Beiräte
DSA Markus Hämmerle, DSA Heidi Lorenzi, Cornelia Matt, Mag. Peter Mayerhofer, Dr. Claudio Tedeschi
Druck: Russmedia Verlag GmbH, Schwarzach
Auflage: 15.000 Exemplare, Erscheinungsweise monatlich
Layout/DTP/Bildbearbeitung
:TAGWERK Grafik|Design Monika Dür
Bankverbindung & Spendenkonto
Raiffeisenbank im Rheintal, IBAN: AT94 3742 0000 0648 3580, BIC: RVVGAT2B420 © 2021 marie. Alle Rechte vorbehalten.
Die nächste marie erscheint am 30. April.
© Victor Marin
WIE GEHT ES EIGENTLICH DER KUNST UND KULTUR?
Eine Bestandsaufnahme von Brigitta Soraperra
Ein winziger Virus und eine zunehmend nicht nachvollziehbare Krisenpolitik haben die „Kulturnation Österreich“ seit einem Jahr lahmgelegt und womöglich dauerhaft beschädigt. Ein Kanzler, der Kulturbegeisterte und Kulturschaffende als „Kulturverliebte“ bezeichnet, dies aber keineswegs positiv meint, entscheidet mit seinem Regierungskabinett, dass Kunst und Kultur nicht „systemrelevant“ sind. Gleichzeitig gibt es Studien, die besagen, dass Menschen, die regelmäßig kulturelle Veranstaltungen besuchen, geistig gesünder bleiben und länger leben1. Diese Regierung schafft es dann auch, im Jahr 2020 erst nach vielen Wochen des kulturell ignoranten Krisenmanagements und mithilfe eines Wechsels der zuständigen Personen, die ernsthaften existentiellen Sorgen der ca. 150.000(!) im Kulturbereich tätigen Menschen im Land zu sehen und auch in diesem Sektor mit Hilfspaketen zu reagieren. Wohlgemerkt einem Sektor, der gemäss einer Untersuchung vom Juni 2020 in direkten und indirekten Wertschöpfungseffekten vor Corona immerhin 9,8 Milliarden Euro erwirtschaftete, was knapp 3% des österreichischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.2 Mit dem Verbot von Veranstaltungen in mittlerweile bereits drei Lockdowns gingen für viele Kulturschaffende die Existenzgrundlagen von heute auf morgen verloren. Besonders die Freie Kulturszene treffen die Pandemie-Maßnahmen bis ins Mark, da ihre Protagonist*innen nicht durch die Möglichkeit von Kurzarbeit abgesichert sind wie etwa Angestellte in den größeren Kultur-Betrieben. Sie bewegen sich schon unter „normalen“ Umständen immer am Rande des Existenzminimums. Die marie hat sich deshalb bei Vorarlberger Künstlerinnen und Künstlern erkundigt, wie es ihnen geht. Es zeigt sich ein ernüchterndes Bild – ohne Aussicht auf Veränderung trotz „Modellregion“ und ersten Öffnungsschritten im März. Und was macht das Land Vorarlberg? Es kürzt das Kulturbudget für das Jahr 2021 auf insgesamt 23,4 Millionen3 und stockt die einzige Branche, die während des vergangenen Jahres boomte, nämlich die Baubranche, mit zusätzlichen 30 Millionen auf 190 Millionen Euro4 auf…
1www.wissenschaft-aktuell.de/artikel/An_Kultur_Interessierte_leben_laenger1771015590772.html 2„Ökonomische Bedeutung der Kulturwirtschaft und ihre Betroffenheit in der COVID-19-Krise“ abzurufen unter https://www.bmkoes.gv.at/Service/Publikationen/Kunst-und-Kultur/berichte-studien-kultur.html 3vorarlberg.orf.at/stories/3080600/ 4Pressemitteilung Land Vlbg, am 02.02.21 1 Wie hat sich Corona und die damit verbundenen politischen Maßnahmen im vergangenen Jahr auf dein Leben ausgewirkt?
2Wovon hast du gelebt?
3Wie schaut es aktuell bei dir aus?
4Wie schätzt du die Krisenpolitik der Bundesregierung ein? Was hat oder hätte dir geholfen?
Das sind die vier Fragen, die die marie insgesamt 21 Vorarlberger Kulturschaffenden quer durch alle Sparten gestellt hat. >>