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Die Suche nach dem Spaßfaktor

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Die Suche nach dem

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Spaßfaktor Interview: Frank Andres, Foto: Niklas Koch, Matthias Rhomberg

Wann waren Sie zuletzt bei einer Kulturveranstaltung live vor Ort?

Das weiß ich gar nicht mehr genau, allerdings ist mir ein Konzert beim poolbar Festival in Feldkirch letzten Sommer stark in Erinnerung geblieben.

Hätten Sie es zu diesem Zeitpunkt für möglich gehalten, dass Corona noch länger ein Thema bleiben wird?

Ich habe vermutet, dass uns die Wintermonate wieder einschränken werden, was sich leider bewahrheitet hat. Und was die Situation langfristig für den ganzen Kultursektor und in Folge für die Gesellschaft bedeutet, kann man noch gar nicht absehen. Dem entgegenzuwirken ist enorm wichtig. Bei dem Konzert von Nneka letzten Sommer, das ja zugunsten der Gesundheit der Besucher*innen bis ins Detail durchorganisiert war, wollte ich mit Freund*innen unbedingt zur Musik tanzen, das ging gar nicht anders, weil wir so inspiriert waren durch den Ort, die Musik, die Atmosphäre, das Beisammensein. Ich war sehr überrascht, dass ich mich zum ersten Mal ernsthaft gefragt habe: „Darf ich das jetzt überhaupt?“ Mirjam Steinbock (47) ist Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg. Die marie sprach mit ihr über Live-Erlebnisse, digitale Plattformen, wie die neuen Corona-Regeln unser Kulturleben beeinflussen werden und natürlich über das liebe Geld.

Hatten Sie Hemmungen sich zur Musik zu bewegen?

Dieser Drang, mit meinem Körper Freude zu zeigen, ist etwas Urnatürliches für mich. Das ist das verbindende Element zwischen mir und den anderen. Es entsteht ein Resonanzraum, der meist für alle spürbar ist und den ich als heilsam empfinde. Klatschen, sich bewegen und tanzen gehören unbedingt dazu. Aber gleichzeitig war ich mir nicht sicher, ob das für die anderen Besucher*innen auch gut ist oder ich für andere eventuell ein Risiko darstelle. Das ist schon verrückt, oder?

Das heißt, Sie haben seit Sommer 2020 keine Kulturveranstaltung mehr besucht. Wie sehr haben Sie das Kulturleben vermisst?

Wahrscheinlich habe ich mehr Veranstaltungen besucht vor dem zweiten Kulturlockdown. Erschütternd finde ich aber, dass ich mich nicht mehr daran erinnere. Es braucht einen Freiraum, damit Kunst und Kultur spürbar werden und etwas auslösen kann. Diese Begegnung, die wie eine Initialzündung wirkt, uns zum Nachdenken, zum Lachen bringen oder zu Tränen rühren kann, braucht Raum für all unsere Regungen. Wir sind aktuell aber derart eingeschränkt und in größter Anspannung, dass das komplett im Widerspruch zum Potential des Kulturlebens steht. Und zurück zu Ihrer Frage: Ich vermisse es schmerzlich!

Kulturleben via Livestream im Internet kann also nicht funktionieren?

Doch, ergänzend schon. Es gibt da ganz gute Plattformen, bei denen man von zuhause aus selbst interaktiv werden und sich in einem Chat mit anderen Zuhörer*innen unterhalten kann. Applaus ausdrücken, sich doch irgendwie verbinden ist – wenn auch eingeschränkt – möglich. Bei dem Vorarlberger Format „Stream in“ hat das ähnlich gut funktioniert, das Theatergarage-Team um Armin Weber hat sich in die Thematik unglaublich reingewühlt.

Das ist zwar schön, aber wo bleibt das Geld, der Lohn für die Arbeit?

Guter Einwand. Beim Konzert von David Helbock im Spielboden Dornbirn über die Plattform dringeblieben.de war für die Besucher*in sofort sichtbar, wie viel Geld für das Konzert gezahlt wird, was eine große Dynamik ausgelöst hat. Der Eintritt wurde mit dem Austritt eingehoben, das fand ich neu und gut. Man erkennt und begreift, dass auch ein Live-Konzert im Internet einen Wert hat und sich in Geldeinnahmen niederschlägt.

Aber ganz ehrlich. Das kann doch niemals ein Ersatz für ein echtes Live-Erlebnis sein?

Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Das Gefühl des Miteinanders kann das Internet nicht abfangen. Beim analogen Mu-

Poolbar Festival / Matthias Rhomberg / rhomberg.cc

sik-Erlebnis bist du in einem Raum mit anderen Menschen. Jeder von uns hat schon erlebt, was alles im Publikum passieren, welche Gänsehautmomente entstehen können. Johannes Rausch vom Theater der Figur und zugleich das weise Urgestein der IG Kultur Vorarlberg hat einmal gesagt: „Wenn wir in diesem Live-Erlebnis zusammen mit vielen anderen Menschen sind, dann ergibt sich daraus eine neue Person namens Publikum.“ So etwas ist im digitalen Raum nur spürbar, wenn das Gesamtpaket stimmt.

Seit 15. März ist Kulturleben in Vorarlberg wieder eingeschränkt möglich. Es dürfen indoor nur maximal 100 Besucher*innen an einer Veranstaltung teilnehmen, es gilt eine FFP2-Maskenpflicht, man braucht einen negativen Corona-Test, es gilt die Zwei-Meter-Abstand-Regel, Sperrstunde ist um 20 Uhr und es gibt keine Gastronomie. Wie viel Spaß macht Kulturarbeit unter diesen Rahmenbedingungen?

Ich habe mit so vielen Mitgliedern in der IG Kultur gesprochen, die sich genau das fragen. Wie soll ich meinem Publikum Spaß vermitteln, wenn ich selbst keinen empfinde? Aber trotz aller Widrigkeiten gibt es Einrichtungen in Vorarlberg, die den Menschen genau dieses lang vermisste Kulturerlebnis bieten wollen. Und sie nehmen Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen und bieten den Raum, der in Datenerhebungen als der beschrieben wird, in dem die wenigsten Infektionen zu verzeichnen sind. Eine Studie der TU Berlin beweist, dass die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus, allerdings ohne Berücksichtigung der neuen Mutationen, in Theatern halb so groß ist wie im Supermarkt.

Die IG Kultur Vorarlberg ist eine Interessensgemeinschaft für autonome Kulturarbeit. Und dort findet sehr viel ehrenamtlich statt. Das bedeutet, dass viele Kulturschaffende einem anderen Brotberuf nachgehen. Wie soll da ein Kulturbetrieb mit einer Sperrstunde um 20 Uhr funktionieren?

Sehr schwierig. Wenn ich zum Beispiel an den „kulturverein bahnhof Andelsbuch“ denke, bei dem alle Arbeiten ehrenamtlich getätigt werden, ist das schlichtweg unmöglich. Wenn eine Veranstaltung spätestens um 19 Uhr enden muss, weil beispielsweise Besucher*innen aus dem Montafon pünktlich zur Sperrstunde um 20 Uhr zuhause sein müssen, ist das ein Wahnsinn. Entsprechend früh muss man beginnen und das schließt ganz viele Besucher*innen aus. Es ist ja zudem nicht einmal klar, ob unser Publikum unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt noch ins Theater oder ins Konzert gehen wird. Bedenklich ist es für den Amateurbereich, der ja ganz eng mit dem professionellen Bereich zusammen arbeitet. Für „Wenn wir in diesem Live-Erlebnis zusammen mit vielen anderen Menschen sind, dann ergibt sich daraus eine neue Person namens Publikum.“

Erwachsene im Laienbereich ist trotz der Öffnungsschritte in der Modellregion Vorarlberg gar nichts möglich. Für kleine und mittlere Einrichtungen verunmöglichen die Publikumsobergrenzen und das Konsumationsverbot ein Öffnen der gemeinnützigen Einrichtung. Das ist wirtschaftlich nicht tragbar und ausreichende Rücklagen hat eine gemeinnützige Einrichtung, die keine Gewinne machen darf, auch nicht.

Führen die Einschränkungen durch das Corona-Virus zu einem Kahlschlag in der Vorarlberger Kulturszene?

Das ist durchaus möglich. Durch das gesetzlich verordnete Nichtstun herrscht neben dem permanenten Bestreben, Möglichkeiten und innovative Ansätze zu finden, auch eine große Müdigkeit in der Vorarlberger Kulturszene. Und wir fragen uns, wie belastbar sind die Kulturschaffenden und auch das Publikum. Ich sehe da ein unglaubliches Versäumnis unserer Landesregierung und verstehe einfach nicht, warum nicht mit mehr kulturpolitischem Weitblick agiert wird. Man hätte nur in die Nachbarregionen schauen müssen, wo in Zukunftsprojekte investiert wird, wie beispielsweise die Schweiz mit ihrem Aufruf an Kultureinrichtungen, jetzt Transformationsprojekte einzureichen, um zukunftsfähig zu bleiben. Oder das Bundesland Kärnten, das in enger Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft für >>

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Kulturinitiativen in Kärnten/Koroška (IG KIKK) Stipendien für Kulturinitiativen und deren Entwicklung anbietet. Dabei wird auch Recherche oder das Ausprobieren neuer Formate unterstützt, es muss nicht alles gleich vorzeigbar sein. Da wird investiert, so etwas brauchen wir jetzt. Hier in Vorarlberg hingegen wird gespart, der politische Wille geht ganz offensichtlich andere Wege.

Auf der Homepage der IG Kultur findet sich eine wunderschöne Grafik mit den Fördermöglichkeiten für Kunstschaffende. Mir als Laie fehlt der Durchblick. Wie geht es Ihnen?

Wenn man sich nicht dauernd mit diesem Thema beschäftigt, wird man von der Materie erschlagen, aber uns geht es mittlerweile genauso. Die Frustration unter den Kulturschaffenden ist enorm groß, weil dieses Fördergeflecht kaum mehr zu entwirren ist. Jahrzehntelang wurde in der Förderpolitik nicht berücksichtig, wie der Kultursektor arbeitet und welche Mittel und auch Erhöhungen in Fördergeldern es braucht. Ein Kulturbudget in Zeiten der Krise zu kürzen, ist im Grunde eine Kampfansage an das gesamte Kulturschaffen. Es bräuchte vielmehr eine Verdoppelung des Budgets, um vor allem den autonomen Kulturbereich aus dem Prekariat herauszubekommen. Und man muss wissen, dass dieses Thema Teil des Arbeitsprogramms der Landesregierung bis 2024 ist.

Apropos faire Bezahlung: Wäre es da nicht schon längst an der Zeit für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens?

Oh ja, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle könnte uns enorm entlasten und in jene Kraft bringen, die wir so notwendig brauchen, um neu starten zu können.

Infobox

Die IG Kultur Vorarlberg ist die Interessenvertretung autonomer Kulturinitiativen. Sie wird von einem ehrenamtlich tätigen Vorstand und von einer hauptamtlich tätigen Geschäftsführerin geführt und informiert, vernetzt und berät aktuell rund 50 Kultureinrichtungen. Dieses Jahr feiert sie ihr 30-jähriges Jubiläum. www.igkultur-vbg.at

Das kulturelle Leben kann zumindest in eingeschränktem Umfang wieder stattfinden. Alle aktuellen Veranstaltungs-Termine gibt es im Internet unter kulturzeitschrift.at/monatsprogramm Wenn Corona es zulässt, gibt es ab der Mai-Ausgabe wieder wie gewohnt den Veranstaltungskalender. ! ...–

Ausstellung WASSER vom 6.- 30. April 2021 im WirkRaum Dornbirn

Wasser ist für uns Mitteleuropäer/innen ein so gewöhnliches Gut, dass wir kaum einen Gedanken daran verschwenden. Aber: Für die Produktion der Jeans, die ich anhabe, braucht es 8000 Liter Wasser. Ein Brunnen in Burkina Faso kostet rund 1500 Euro. Der Klimawandel verursacht Naturkatastrophen mit viel zu viel an Wasser. Sauberes Wasser ist für viele nicht selbstverständlich. Der WirkRaum der Caritas (Bahnhofstraße 9, Dornbirn) widmet sich mit dieser Ausstellung den Themen virtuelles Wasser, Brunnenbau und Wasser als Lebensgrundlage. Interessierte können aus einem umfangreichen Programm auswählen und vor Ort die Ausstellung besichtigen. So., 7. April 2021 Leiterin Nicole Kantner und die Kinderbotschafter/innen der Caritas bauen im Rahmen eines Workshop einen Brunnen. Laminierte Regentropfen können symbolisch in den Brunnen gelegt werden. Do., 15. April 2021 um 18 Uhr Vortrag „Wasser ist Lebensgrundlage“ Die Auslandshilfe und die vielfältige Arbeit rund um das Thema Wasser, Lösungen im globalen Süden, Michael Zündel – Caritas Auslandshilfe Fr., 23. April 2021 um 16 Uhr Die unendliche Brunnengeschichte von Burkina Faso in WORT und BILDERN, 70. Brunnen-Jubiläum Moderation: Jimmy Gut, Projekt Brunnenbau: Heribert Gut Do., 29. April 2021 um 18 Uhr und Fr., 30. April um 16 Uhr Vortrag „Wir bauen Brunnen“ Projekt des 3. Aufbaulehrganges der HAK Bregenz, Erdal Palta Freitag, 30. April 2021 um 16 Uhr Finissage der Ausstellung Malerin Margit Seeberger präsentiert ihre Bilder zum Thema Wasser: Das Zusammenspiel von „Erde – Mensch – Himmel – Wasser“, 50 Prozent des Verkaufserlöses kommt dem Brunnenbau in Burkina Faso zu Gute. Anschließend Projektvorstellung Brunnenbau von Erdal in Kenia

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