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Ein Armutszeugnis
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Er ist motiviert, den Lehrerberuf zu ergreifen. Sein Wunsch, Wissen an die nächste Generation weiterzugeben, wird jedoch gleich zu Beginn hart auf die Probe gestellt. Simon Köldorfer (32, aus Dornbirn) schreibt in einem Gastbeitrag für die marie, wie er als Neulehrer mit bürokratischen Hindernissen begrüßt wurde. Eine Kritik, die nach Veränderung im Bildungsbereich ruft.
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Text: Simon Köldorfer, Illustration: iStock
Als Lehrer wird man aktuell sehr häufig auf die Corona-Situation angesprochen. Gerade als Neulehrer stellen die immer neuen, und als Techniker oft nicht logisch nachvollziehbaren, Verordnungen eine besondere Herausforderung dar. Insbesondere da die Politik der letzten Jahrzehnte die Digitalisierung nicht nur verschlafen, sondern schlichtweg ignoriert hat (Österreich ist EU-Schlusslicht was den Internet-Ausbau betrifft!). Dies büßen wir aktuell im Distance Learning-Unterricht. Auch die fehlende Bereitstellung von Equipment für Lehrer und Schulen, die Online-Unterricht abhalten sollten, stellt eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. Ein Grund, weshalb ich gleich zu Arbeitsbeginn fast einen ganzen Monatslohn in eine entsprechende Ausrüstung investiert habe, um adäquaten Unterricht abhalten zu können. Keine Angst, mein Monatslohn fällt aktuell gering aus. Geringer als der meiner Schüler, wenn sie nach der Matura zu arbeiten beginnen. Dazu aber später mehr.
Die Schwierigkeiten, die mit der aktuellen Corona-Situation einhergehen, waren für mich aber absehbar und als „junger“ Techniker, der mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und diese im täglichen Berufsleben einsetzt, hat mich das Ganze nicht ganz so stark belastet wie manch erfahrene Lehrerkollegen. Auch die anfangs unterschätzten Aufgaben eines Klassenvorstandes, der ich nun bin, verblassen im Angesicht grober Unwägbarkeit der österreichischen Bürokratie und deren Verwaltungsstrukturen. Ich hatte in meinem Berufsleben schon mit sehr vielen Behörden in Ländern auf der ganzen Welt zu tun, und ähnlich lange Bearbeitungszeiten sowie der Umfang an Fehlinformation hatte ich bisher erst einmal erlebt: im Sudan.
Aber alles der Reihe nach. Nachdem ich nach rund zehn Jahren Berufstätigkeit im technischen Bereich den Beschluss fasse, mich neu zu orientieren, antworte ich auf eine Mail mit einem Stellenangebot meiner alten Schule. Das Bewerbungsgespräch verläuft sehr gut und die Bedingungen für eine Anstellung scheine ich zu erfüllen. Die Bewerbung erfolgt direkt beim Ministerium, die offenen Lehrerstellen werden in Österreich in der Wiener Zeitung und online auf einer Bewerbungsseite ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist von sechs Tagen verpasse ich beinahe, da online zuerst keinerlei Informationen abrufbar sind, auch nicht
Bereits Ende Juli tritt das dritte Glied im Bildungsverbund, die Pädagogische Hochschule (PH), in mein Leben. Ich werde aufgefordert, mich bei der PH zu einem Weiterbildungskurs anzumelden. Ab diesem Zeitpunkt komme ich mir vor wie Asterix und Obelix, die versuchen, „Passagierschein A39“ zu erhalten. Denn bei welchem Kurs ich mich anmelden muss, kann mir zuerst niemand sagen. Eine Mitarbeiterin der PH teilt mir schließlich mit, dass ich innerhalb der ersten fünf Unterrichtsüber den Start der Bewerbungsfrist. Nachdem ich Mitte Mai jahre zusätzlich zu meinem Bachelorstudium der Elektrotechsämtliche Daten an das Bildungsministerium übermittle, pas- nik ein acht Semester langes Bachelorstudium an der PH absolsiert ein ganzer Monat lang gar nichts, bis ich Mitte Juni erneut vieren muss, um nach Ablauf der Frist weiterhin an der HTL in die HTL eingeladen werde. Die Bewerbung ist erfolgreich unterrichten zu dürfen. Selbst die Schulleitung ist von dieser und ich werde um eine mündliche Zusage gebeten. Bei der Fra- Erfordernis überrascht, insbesondere weil das sechste Semester ge nach dem Gehalt werde ich an die Bildungsdirektion verwie- ein Vollzeit-Semester ist, und somit die Lehrperson der Schule sen. Aufgrund sehr vieler Lehrer in meinem Verwandten- und fehlt. Die Ausbildung kann aber nur begonnen werden, wenn Bekanntenkreis, die alle mit ihrem Einkommen auskommen, man über einen Dienstvertrag verfügt, was erst seit Mitte März gebe ich meine mündliche Zusage. Ein weiterer Monat vergeht, auf mich zutrifft. Die Frist läuft dennoch ab dem ersten Arehe ich Mitte Juli bei der Bil- beitstag – ein Faktum, welches der Bildungsdirektion bisweilen dungsdirektion nachfrage, ob unbekannt war. „Auch die anfangs ich denn nicht zeitnah einen Arbeitsvertrag unterschreiben Einen Negativ-Höhepunkt stellte die sogenannte „Einführungswoche“ der PH in der ersten Septemberwoche dar. Den unterschätzten müsse. „Der Arbeitsvertrag ersten Kurs mit dem Titel „Zeitmanagement“, den ein unter
Aufgaben eines wird erstellt, sobald im August die Schulen Rückmeldung Mitteilungsdefizit leidender Schrei-Yoga-Enthusiast abhält, hätte ich unter normalen Umständen bereits nach den ersten
Klassenvorstan- geben, wer bei ihnen als neue Lehrkraft zu arbeiten beginnt, paar Minuten verlassen. Auch die weiteren Kurse glänzen nicht durch Qualität, sondern lediglich durch Zeitaufwand. Die eindes, der ich nun und wird dann voraussichtlich zige, sehr positive Ausnahme stellt eine Rechtsbelehrung dar, bin, verblassen im im Dezember zur Unterschrift an Sie weitergeleitet.“ Auf meidie von einem Abgesandten der Bildungsdirektion gehalten wird. Angesicht grober ne Rückfrage, wie dies rechtlich aussieht, dass ich bis dahin Die Schulleitung sowie die Bildungsdirektion bemühen sich aktuell intensiv um eine Entrümpelung des PH-Curriculums, Unwägbarkeit der keinen gültigen Vertrag habe, aber es bedarf mehr, um in Zukunft Personen mit entsprechenösterreichischen folgt die Antwort: „Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werder Qualifikation für den Lehrerberuf zu gewinnen. Insbesondere weil viele HTL-Lehrer in den technischen Gegenständen
Bürokratie und den ja für die geleistete Arbeit bezahlt.“ „Was werde ich denn kurz vor der Pensionierung stehen. Neben einer Bildungsreform ist auch eine Verwaltungsderen Verwaltungs- verdienen?“, frage ich zurück. reform lange überfällig, Dienstvertag und Gehalt müssen vor strukturen.“ „Das kann ich so nicht sagen, ich muss erst Ihre Unterlagen Dienstantritt stehen. Personen mit finanziellen Verpflichtungen kommen schwer acht Monate mit dem Gehalt eines 21-jähauf anrechenbare Vordienst- rigen PH-Absolventen durch. Investitionen in die Schule 4.0 zeiten durcharbeiten.“ Weitere werden zudem darüber entscheiden, ob Österreich beim TheNachfragen bleiben bis in den Herbst unbeantwortet, bis ich ma Bildung nicht auf der Strecke bleibt. Mitte Oktober schließlich meinen ersten Gehalt von 2700 Euro Brutto (Besoldungsstufe ohne Berufserfahrung) erhalte. Nach mehrmaliger Nachfrage wird mir schließlich mittgeteilt, ich müsse einen Antrag auf Anerkennung der Vordienstzeiten einreichen. Dies geschieht im Dezember, nachdem ich zuvor mehr als einen Monat versucht habe, das entsprechende Formular zu erhalten und von jedem bisherigen Arbeitgeber zusätzlich zum Dienstzeugnis noch eine Dienstzeitbestätigung einholen musste. Bis zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich noch nicht, was ich effektiv verdiene.