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Du brauchst megagute Freunde

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„DU BRAUCHST GUTE FREUNDE“

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Philipp Lingg, der frühere Frontmann des holstuonarmusigbigbandclub, meldet sich mit dem Song „Egalien“ und ab November mit einem neuen Album auf der Musikbühne zurück. Gemeinsam mit der marie begibt sich der heute 36-Jährige auf eine sehr persönliche Entdeckungsreise auch abseits musikalischer Pfade.

Text und Fotos: Frank Andres

Treffpunkt Gasthaus Adler in Schoppernau. Ein heißer Sommertag. Entspannt sitzt Philipp Lingg unter einem kühlen Kastanienbaum. Mit Sonnenhut und sommerlichem T-Shirt. „Das ist für mich eine historische Stätte. Hier habe ich als Achtjähriger erstmals gemeinsam mit meinem Vater ein 20-Minuten-Programm aus Wälderliedern und Jodlern für Touristen aus Deutschland, Holland und Belgien gespielt“, erzählt er. Ein Bilderbuchstart für ein entspanntes Gespräch über Zivildienst, Weltreise, Lehrjahr und den Sehnsuchtsort „Egalien“.

Seine Zeit als Zivildiener:

Ich habe meinen Zivildienst im Sozialzentrum Bezau gemacht. Das war eine megaschöne Zeit. Da habe ich viel für mein späteres Leben gelernt. Ich erlebte die ungefilterte Aufmerksamkeit von reifen Menschen, die ihre Emotionen sofort und ohne Scham rauslassen. Das war unglaublich fantastisch. Mir hat auch die Arbeit mit und am Menschen gefallen. Da bekommst du hautnah mit, was ein Mensch am Ende seines Lebens wirklich braucht. Das Wichtigste ist Zuneigung, Zuhören und im weitesten Sinne für den anderen da sein. Kontakt und Berührung.

Studienjahre:

Ich bin dann weg aus Vorarlberg. Mein Ziel war es, in Wien gratis Gesangsunterricht zu bekommen [lächelt]. Ich bin deshalb zu diversen Professorinnen und Professoren gegangen und habe an deren Türen geklopft, vorgesungen und gefragt, ob sie mich unterrichten wollen. Ingrid Doll hat dann zu mir gesagt: „Komme in einem Monat wieder und bringe ein ärztliches Attest mit.“ Ich habe dann nebenbei Musikwissen-

„Es war schwierig herauszufinden, wer es wirklich gut mit dir meint und wer nicht.“

schaften studiert und bin als außerordentlicher Student auf die Musikuni gegangen. Ein Jahr später habe ich die Aufnahmeprüfung für Musikerziehung an der Universität für Musik und darstellende Kunst gemacht. Ab diesem Zeitpunkt war ich ordentlicher Student. Geduld und Demut waren meine Jahre des Studierens. Bis zum Abschluss hat es aber lange gedauert, weil ich nebenher viel gearbeitet habe und auf Tour gewesen bin. Ich habe zusätzlich Psychologie und Philosophie fürs Lehramt studiert. Mein Studium schloss ich dann 2016 ab. Montag bis Mittwoch war ich jeweils an der Uni und von Donnerstag bis Sonntag auf Tour.

Als Musikschullehrer am Gallus:

Um das Studium abzuschließen, musste ich unter Aufsicht ein Probejahr an einer Schule machen. Das war das Gymnasium in der Gallusstraße in Bregenz. Ich war hocherfreut Schüler unterrichten zu dürfen. Das war eine wunderbare Zeit. Mir war wichtig, mit ihnen einen respektvollen Umgang zu pflegen. Mein Konzept war es, sie dort abzuholen, wo sie Musik machen und hören. Die Schüler sind großteils mit Youtube-Playlists aufgewachsen. Was da aktuell angesagt war, war auch das, was sie gehört haben. Da habe ich gelernt, dass es für einen modernen Musikunterricht andere Ansätze braucht. Mozart ist natürlich sehr wichtig, aber ich muss meine Schüler zuerst an einer anderen Stelle abholen. Sie müssen zuerst begreifen, was Musik wirklich bedeutet. Nach einem Jahr am Gallus bin ich wieder gegangen. Es gab schlichtweg nicht mehr genügend Musikstunden. Da habe ich zu mir gesagt: Wenn diese Schule mich nicht mehr als Lehrer will, dann soll mich auch keine andere bekommen [lächelt]. Mein längerfristiger Plan ist es, mit 55 Jahren wieder in den Schulbetrieb einzusteigen. Dann habe ich hoffentlich genügend Wissen über Musik.

Seine Weltreise:

Ich habe am 1. Februar 2016 meine Diplomarbeit abgegeben und bin danach einfach für vier Monate auf Weltreise gegangen. Ich habe Menschen besucht, die mit mir studiert haben. Ich war in Neuseeland, auf Hawaii, Mexiko, Guatemala, Costa Rica, Nicaragua. Ich hatte nie die Möglichkeit ein Erasmus-Jahr zu machen, weil ich ständig auf Tour gewesen bin. Darum war diese Reise für mich eine Art Belohnung. Eine Woche nach meiner Rückkehr absolvierte ich dann meine Abschlussprüfung. Zum Glück mit zwei Einsern.

Sein Weg in die Selbstständigkeit:

Nach dem Probejahr an der Schule habe ich beschlossen, mich selbstständig zu machen. Mir war es wichtig, kopftechnisch am Leben zu bleiben. Deshalb mache ich so viele unterschiedliche Projekte. Mit meinem Vater, mit Christoph Mateka (Freund seit dem ersten Studientag) und Martin Grabher, mit Evelyn Fink-Mennel, George Nussbaumer oder dem Autor Rainer Juriatti. Mir ist es wichtig, offen für neue Menschen zu sein, für die ich vorher keine Zeit hatte.

Über Segen und Fluch des Erfolgs mit dem hmbc: Der Erfolg ist passiert, weil es im Hintergrund keine große Plattenfirma, kein großes PR-Budget, keine Werbefirma gegeben hat, die uns gepusht hat. Es gab „nur“ ein Video, das Nikolaus Küng mit mir gemeinsam ausgearbeitet hat. Da ich Text und Melodie von „Vo Mello bis ge Schoppornou“ geschrieben habe ist das Lied eine Art musikalisches Baby. Und es geht mir bis heute nicht auf den Sack, wenn ich das Lied live spiele. Jedes Mal ist es anders. Für mich war und ist der Song ein Segen. Damit umzugehen, musste ich erst lernen. Da sitzt du in einem Lokal und jemand redet zwei Sätze mit dir und glaubt dich schon ewig zu kennen. Dabei kennt er mich >>

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nur aus diversen Medien. Das Distanz-Nähe-Verhältnis war für mich am Anfang sehr schwierig. Ich wusste nicht damit umzugehen. Durch die Bekanntheit vor allem in sozialen Medien wirst du angreifbar und Zielscheibe für Menschen, die es nicht so gut mit dir meinen. Diese negativen Kommentare bleiben in deinem Hirn gespeichert, auch wenn du 10.000 positive und nur eine negative Rückmeldung bekommst. Durch den Erfolg war es zudem möglich, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die sonst nicht auf mich aufmerksam geworden wären.

Über das Ende des hmbc:

Ich glaube, dass jeder in seinem Beruf die Freiheit haben muss, aufzuhören. In meinem Fall haben das viele Menschen nicht verstanden. Wichtig war aber, dass ich es verstanden habe.

Über echte Freunde:

Mir war klar, das Einzige, was ich wirklich muss, ist essen, schlafen, atmen, singen und jemanden gerne haben. 2014 war für mich ein Schnitt in viele Richtungen. Plötzlich hatte ich Zeit darüber nachzudenken, was die letzten Jahre passiert ist. Da hat mir mein Psychologie-Studium gar nichts geholfen. Du brauchst Schiedsrichter. Das waren und sind bei mir megagute Freunde. Es war schwierig herauszufinden, wer es wirklich gut mit dir meint und wer nicht. Der naive und leichtgläubige Schoppernauer hat nicht gewusst, wie das Leben da draußen ist.

Über die Corona-Zeit:

Ich habe zwei Streaming-Konzerte im Internet gemacht. Es ging mir darum, anderen mitzuteilen, dass das Leben weitergeht. Irgendwie. Ich habe mich am Anfang zu sehr von den Medien leiten lassen. Dann kam aber der Zeitpunkt, dass ich mir dachte, es kann so nicht weitergehen. Ich brauchte zirka einen Monat, um meine Gedanken zu sortieren. Danach habe ich entschieden, keine Medien mehr zu konsumieren und nur noch für die Familie da zu sein. Die Familie hat mich gelehrt, dass sie das Wichtigste in meinem Leben ist. Alles andere ist zweit-, dritt- oder sechstrangig. Das bedeutet nicht, dass ich keine Musik mehr mache. Ich habe sie einfach mei ner Bedürfnispyramide angepasst.

Über sein neues Lied „Egalien“:

Ich habe die Melodie vor vier Jahren geschrieben. Der Text entstand aber viel später. Und zwar heuer am 27. Mai um 1 Uhr in der Nacht. Ich bin aufgewacht und in mein Studio gegangen. In kurzer Zeit war der Songtext fertig. „Egalien“ ist für mich ein utopisch anmutender Sehnsuchtsort. Wenn du darüber nachdenkst, gibt es den Ort gar nicht. Aber dadurch, dass ich das Lied geschrieben habe, gibt es ihn plötzlich. Auch wenn er nur im Kopf ist. Jeder kann sich sein „Egalien“ selbst konstruieren. Egal ob am Meeresstrand, an der Bregenzerache oder am Kalbelesee. Für mich ist „Egalien“ ein Ort, an dem alles möglich ist.

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