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Happy End mit Hindernissen
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Die in Ghana geborene Aida Fattah (29) ist eine Doula. Doch bis sie diesen in Österreich relativ neuen Beruf erlernen konnte, musste sie einen weiten Weg hinter sich bringen. Als Siebenjährige war sie mit ihrem Bruder nach Vorarlberg gekommen, weil ihre Mutter sich in einen Nenzinger verliebt hatte. Mit den beiden Kindern aus ihrer ersten Ehe zog sie daraufhin zu ihrer neuen Liebe – mit Folgen für die ganze Familie.
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Text: Brigitta Soraperra Fotos: Petra Rainer
Dass die Luft nach Schnee roch, als sie im März 1998 in Innsbruck mit ihrer Mutter und ihrem zwei Jahre älteren Bruder aus dem Flugzeug stieg, daran erinnert sich Aida Fattah noch ganz genau. Ihre Mutter hatte vor der Abreise nur von einem Ferienaufenthalt gesprochen und Aida hatte sich auf das fremde Land gefreut und auf ein Wiedersehen mit Johny, dem zweiten Ehemann ihrer Mutter. Dieser hatte bereits einige Zeit bei ihnen in Ghana gelebt und war dann angeblich nur kurz nach Europa gereist. Als Aida und ihr Bruder dann in Nenzing in der kleinen Wohnung im oberen Stock seines Elternhauses angekommen waren, erklärte die Mutter den beiden Geschwistern, dass dies nun ihr neues Zuhause sei.
Sehnsucht nach Afrika
Für Aida begann damit eine schwere Zeit. Sie hatte Heimweh und Sehnsucht nach ihren Freundinnen und Freunden und nach ihrer Großmutter, die in ihrem ghanaischen Heimatort Tema im Nachbarhaus lebte. Nun war sie in einem Land, dessen Sprache sie nicht kannte, und ging in einem Dorf zur Schule, in dem sie und ihr Bruder die einzigen dunkelhäutigen Kinder waren. Obwohl sie sehr herzlich aufgenommen wurden und neben einer verständnisvollen Lehrerin mit Johnys Mutter auch eine liebevolle neue Oma bekommen hatten, vermisste Aida das Leben in Afrika. Mandelfrüchte mit den Zähnen aufbeißen, den Kern mit Steinen rausschlagen und in den Mund stecken, davon träumt sie auch noch heute.
Geburt in Accra
Aida Fattah wurde 1991 in Accra, der Hauptstadt von Ghana, geboren. In einem Geburtshaus, erzählt sie, wie es in ihrer westafrikanischen Heimat seit jeher der bevorzugte Geburtsort sei. Ihr Vater und ihr damals zweieinhalbjähriger Bruder waren dabei, gleich nach ihrer Geburt gingen alle wieder nach Hause. Aidas Eltern lernten sich kennen, als ihre Mutter noch ins Gymnasium ging. Für die Heirat brach sie die Schule ab und konvertierte zum Islam. Aidas Vater ist Ägypter, er hatte als jugendlicher Soldat am Sechstagekrieg zwischen Israel und Ägypten teilgenommen und sich später in Ghana als allererster Pizzabäcker des Landes niedergelassen. Aidas Mutter ist Tochter einer Ghanaerin und eines Italieners und damit eine „Obroni“, ein Mischling mit brauner Hautfarbe. In Ghana werden so die Weißen, aber auch die zahlreichen hellhäutigen Menschen bezeichnet, die aus binationalen Verbindungen hervorgegangen sind.
Kindheit mit Stromausfall
Die Ehe der Eltern ging in die Brüche, als Aida ein Jahr alt war. Ihre Mutter baute danach eine Bar und ein Restaurant auf, die zum beliebten Treffpunkt von weißen und hellhäutigen Menschen wurden, die sich in Ghana gerne unter sich treffen. Dadurch konnte sie ihrer Familie einen relativ hohen Lebensstandard ermöglichen, obwohl Aidas Vater keinen Unterhalt zahlte und auch die Großmutter und der bei ihr lebende Sohn ihrer anderen Tochter versorgt werden mussten. Aida und ihr Bruder besuchten einen privaten Kindergarten und später eine Privatschule. Englisch ist die landesweite Amts- und Unterrichtssprache. Aus jener Zeit erinnert sich Aida an angstbesetzte Situationen, wenn der Strom wieder einmal ausgefallen war, was in Ghana mehrmals täglich passieren konnte. Aber auch an ihre Oma, die für die drei Enkel kochte und ihnen alles beibrachte, was sie zum Leben brauchten. Die Mutter arbeitete viel, der Vater, der mit kriegsbedingten posttraumatischen Belastungsstörungen kämpfte, nahm sein vierzehntägiges Besuchsrecht nur sporadisch wahr.
Die „Ghana Bar“
Eine Großcousine der Großmutter war bereits in den 1950er Jahren nach Vorarlberg ausgewandert und führte in Nenzing die landesweit bekannte „Ghana Bar“. Dort lernte Aidas Mutter auch ihren zweiten Mann kennen, als sie Ende der 1990er Jahre für ein paar Monate aushalf. Wahrscheinlich wollte ihre Mutter schon damals prüfen, ob die Familie in Europa ein besseres Leben haben könnte, denkt Aida heute. Zunächst aber zog Johny zu ihnen nach Afrika und wollte dort ein gemeinsames Leben aufbauen, konnte aber beruflich nicht Fuß fassen.

Schwierige Schulzeit
Aidas Schulzeit in Vorarlberg wurde schwierig, als sie die 4. Volksschulklasse wiederholen musste und sie mit dem neuen Klassenlehrer nicht klarkam. Er legte ihrer Mutter einen Schulwechsel nahe, obwohl Aida zu diesem Zeitpunkt bestens >>
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integriert war, fließend Deutsch und noch besser Dialekt sprach. Sie war keine gute aber auch keine grundsätzlich leistungsschwache Schülerin und scheiterte lediglich an Mathematik. In der neuen Schule in Bludenz erlebte sie dann erstmals offenen Rassismus. Einzelne Mitschüler schikanierten sie und bezeichneten sie als „Neger“. Auch ihr Bruder erlebte damals Übergriffe, von denen er zuhause aber kaum erzählte. Aida biss die Zähne zusammen und hielt durch. Nach ein paar Jahren machte sie erfolgreich die Hauptschulabschlussprüfung in Feldkirch. Als es um die Berufswahl ging, wollte sie „am liebsten etwas mit kleinen Kindern“ machen, aber ohne Matura konnte sie nicht Kindergärtnerin werden. So entschied sie sich für eine Lehre als Kellnerin.
Große Liebe und neues Leben
Im Jahr 2008 folgte dann eine einschneidende Begegnung: Aida lernt den einige Jahre älteren Johannes kennen. Sie verlieben sich und als sich ein Baby ankündigt, ist Aida zwar erst 17, doch das junge Paar freut sich auf das Elternsein. Die junge Restaurantfachfrau will gerne noch vor der Geburt ihren Lehrabschluss machen, aber die Schwangerschaft ist körperlich anstrengend und sie muss die Schule kurz vor dem Abschluss abbrechen. Gemeinsam mit ihrem Freund, von dessen Großvater sie ein kleines Maisäßhäuschen im Bregenzerwald geschenkt bekommen, bereitet sie sich nun auf den neuen Lebensabschnitt vor. Sie renovieren, legen eine Warmwasserleitung, bauen ein Bad ein und werden gerade noch rechtzeitig fertig, als die Wehen losgehen. Aida ist nun 18 Jahre und „zum ersten Mal so richtig glücklich“. Die Geburt ist trotz ihres jungen Alters ein beeindruckendes und stärkendes Erlebnis für sie, alles läuft leicht und problemlos ab, das Muttersein erfüllt sie und sie erlebt ein ungewohntes Selbstbewusstsein.
Die Urkraft des Weiblichen
Wie das trotz der schwierigen Schwangerschaft möglich gewesen sei, frage ich nach. „Weil es rundum die Geburt von meinem Sohn einen ganz intensiven Austausch mit meiner Mutter gegeben hat. Wir haben viel über früher geredet und sind uns einfach nähergekommen. Auch die Erzählungen meiner Oma aus meiner Kindheit, dass wir vom Stamm der Frafras abstammen und damit etwas ganz Besonderes sind, oder von der Urkraft des Weiblichen kamen mir wieder in den Sinn.“ In Ghana sei es üblich, dass die Frauen und die Generationen sich gegenseitig stärken, wenn eine Frau schwanger ist, dass Wissen und Erfahrungen ausgetauscht werden und den Schwangeren damit Mut gemacht werde. „Eine Geburt wird in Ghana als etwas ganz Natürliches gesehen“, sagt die heute 29-Jährige, „jede Frau trägt die Fähigkeit in sich, Kinder auf die Welt zu bringen. Sie wird als Löwin bezeichnet“ lacht Aida. Dieses Löwin-Sein und das Glück des Mutterseins genießt sie selber auch bei ihren folgenden Geburten, denen 2012 und 2016 zwei weitere Söhne entstammen.

Das Glück im Zufall
Nach dem dritten Kind erwacht in Aida dann zunehmend das Bedürfnis, wieder einem Beruf nachzugehen. Ihre tiefe Liebe zu Kindern, aber auch zu Schwangeren und die Erfahrungen rundum ihre eigenen Geburten führen sie zum Wunsch, Hebamme zu werden. Wieder scheitert sie an den Vorgaben. Ohne Matura hat sie keinen Zugang zu den Fachhochschulen. Da ebnet ihr der Zufall den Weg. Bei den Recherchen im Internet stößt sie auf den Beruf der Doula und erkennt schlagartig, dass das genau das ist, was sie machen will. Und – wie der Zufall weiter mitspielt – wird genau zu diesem Zeitpunkt die allererste Dou-

la-Ausbildung in Vorarlberg angeboten. „Für mich ein absoluter Glücksfall“, sagt Aida, die vor kurzem ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat.
Eine Freundin auf Zeit
Auf die Frage, wie sie ihre Tätigkeiten beschreiben würde, antwortet die frisch Diplomierte: „Eine Doula ist eine Geburtsbegleiterin, sie ist eine Art Freundin auf Zeit. Sie ist für ein schwangeres Paar da, begleitet es während der Schwangerschaft, geht zu verschiedenen Kontrollterminen mit, ist – falls gewünscht – bei der Geburt dabei und kümmert sich auch in der ersten Zeit nach der Geburt um das Wohl der jungen Familie“. Aida erklärt begeistert, dass sie ihre Berufung gefunden hat. Aus ihrer ghanaischen Heimat bringt sie auch Wissen und Praktiken ein, die der jungen Mutter vor und nach der Geburt helfen, mit den körperlichen Veränderungen umzugehen. Das sogenannte „Vaginal Steaming“ beispielsweise, ein Dampfsitzbad für Frauen jeden Alters, das Beruhigung und Reinigung des Unterleibs sowie Heilung bei etwaigen Geburtsverletzungen ermöglicht, oder das in Ghana übliche „Bauchabbinden“ nach der Geburt. „Es reguliert den Beckenboden, wenn er durch den Geburtsvorgang aus dem Lot geraten ist, was manchmal passieren kann.“
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Hand in Hand in der Geburtshilfe
Vor kurzem hat Aida ihr erstes Paar begleitet. Leider durfte Bildungshaus Batschuns Ort der Begegnung 2020011 RUP Inserat Marie Cheddar 88x125 RZ.indd 1 sie aber bei der Geburt selber im Kreißsaal nicht dabei sein, 05.03.20 13:55 die diensthabende Hebamme war dagegen und berief sich auf Corona-Auflagen. „Dabei ist absolut klar, dass ich nur als Begleiterin und vertraute Person dabei bin und keinesfalls in die Philosophieren im Herbst und Winter Arbeit der Fachpersonen eingreife“, stellt Aida klar. „Es wäre 14. Sept., 5. Okt., 9. Nov. und 14. Dez. ab 19.30 h schön,“ sagt sie weiters, „wenn sich auch in Vorarlberg ein MitDr. Peter Natter, Dornbirn einander entwickeln könnte, wie es in anderen Ländern bereits — geschieht.“ Dort bildeten Doulas nicht nur für die Gebärenden Alles Frauensache? | Seminar für Frauen und ihre Partner, sondern auch für die professionellen GeSa 3. Okt. 9.00 – 17.00 h burtshelfer*innen eine willkommene Unterstützung. Ich stelSonja Hämmerle, Feldkirch le es mir ungefähr so vor, wie der Einsatz der von der Caritas — ausgebildeten Hospizbegleiter*innen in Vorarlberg. Sie werden von den Krankenhäusern für Nachtwachen und die stundenweise Betreuung von Schwerkranken hinzugezogen, um die Das dürfen wir nie vergessen! Kinder im KZ | Musik und Poesie So 4. Okt. 11.00 – 12.00 h Mechthild Neufeld von Einsiedel | Ida Ruoss, Grabs | Fachpersonen zu entlasten. „So ein direktes Hand-in-HandTextzusammenstellung: Dr. in Gabriele Krüger | D Arbeiten könnte auch in der Geburtshilfe allen zugutekom— men“, sagt Aida, bevor sie glücksstrahlend in der Dornbirner Weg der weisen Frauen | Jahresgruppe 2020/2021 Hebammenpraxis verschwindet, wo sie heute einen Praxistag 10. – 11. Okt. / 6. – 7. Feb. 2021 / 24. – 25. Apr. 2021 absolvieren wird. Jamila M. Pape, Mentorin Dances of Universal Peace | D —
Die Corona-Krise als Chance? Vortrag/ Gespräch
Factbox:
Ende September startet der 2. Vorarlberger Doula-Ausbildungslehrgang: www.eu-doula-ausbildung.com. Kontakt zu den aktiven Doulas in Vorarlberg:
www.doulas-vorarlberg.at
Di 20. Okt. 19.30 h Dr. Simon Burtscher-Mathis Moderation: Dr. Johannes Schmidle —
Info, Ort und Anmeldung:
bildungshaus@bhba.at | T 055 22 /44 2 90 - 0 www.bildungshaus-batschuns.at