Kultur
„Die Welt ist meine Galerie“ Camillo Stepanek arbeitet mit Holz aus Niederösterreich, fährt mit seinen Werken im Kleintransporter nach Marokko, in New York hängt er sich ein Bild um: Wie ein ehemaliger Banker seinen Traum verwirklicht. Text: Viktória Kery-Erdélyi
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Fotos: Stephanie Korherr, Lena Horvath
r war plötzlich gefesselt, erzählt er. Seine Augen und Gedanken verloren sich in den Maserungen, „den magischen Lebenslinien“, wie Camillo Stepanek beschreibt. Die Faszination galt einer Holzdecke, die er eines Tages in einem Haus in Niederösterreich entdeckte und die – wenn auch nicht sofort und linear – sein Leben in neue Bahnen lenkte. Noch vor dem Lockdown besuchen wir den Künstler in seiner Wiener Wohnung, wo seine großformatigen Arbeiten zu vibrieren scheinen. „Pop Art Nouveau“ nennt er den Stil, den er selbst kreierte. Die dynamischen Linien in Gold und Silber schwimmen und tanzen in einem Meer aus kräftigen Farben. Es wirkt, als fiele es den Werken schwer, an Wände gelehnt auf ihre Auftritte zu warten. So geht es auch Camillo Stepanek. In den vergangenen Jahren tat der junge Niederösterreicher viele große Schritte zur Verwirklichung seiner Träume. Ausstellungen in New York, St. Petersburg, Dubai und Paris befanden sich bereits in der Pipeline, dann kam Corona. Es trifft ihn, wie auch andere Kreative, aber
langes Innehalten scheint nicht seinem Charakter zu entsprechen. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich ein Werk mit einem Band um den Hals hängt und in die Welt hinausmarschiert. Das tat er schon vor Jahren in New York, 2020 tut er es etwa in Wien, Salzburg und Kitzbühel während des ersten Lockdowns. Das Schöne im Kleinen. Dabei fing sein Leben alles andere als exzentrisch an. Aufgewachsen ist Camillo Stepanek in Blumau-Neurißhof, einer kleinen Gemeinde im Bezirk Baden – als Spross eines Familienunternehmens für Teppich reinigung. Ein Kunstlehrer fördert sein Talent, das Kreative brodelt in ihm, „aber ich hatte nach der Matura noch nicht den Mut, ich selbst zu sein“, erzählt er. „Wir leben nicht in einer für Träume offenen Gesellschaft“, sagt er später im Interview. Er beginnt ein Wirtschaftsstudium an der Fachhochschule in Wien, seinen Blickwinkel verändert ein Geschenk zum Bachelor: eine dreitägige Reise nach New York. „Ich habe mich dort das erste Mal richtig frei gefühlt.“ Für ihn ist sofort klar: Parallel zum Masterstudium will 70
GAR NICHT SCHEU. Parallel zu seiner ersten Ausstellung 2017 in New York spazierte Camillo Stepanek mit seinem Werk durch die Stadt, „damit meine Kunst nicht nur jenen vorbehalten ist, die Eintritt zahlen“.
er jede Minute seiner Freizeit der Kunst widmen und so schnell wie möglich nach New York. Er heuert bei einem Kredit institut in Connecticut an, fährt bei Kunstwettbewerben in den USA erste Erfolge ein. Inspiration für seine Arbeiten schöpft er schon damals aus der Natur, er ist aber noch ein Suchender. „Ich wusste: Mein Stil wird zu mir kommen.“ Dann entdeckt er die eingangs beschriebene Holzdecke. Gefesselt vom Anblick der Maserungen, beschließt er, sie sozusagen vor den Vorhang zu holen. „Das sind die Lebenslinien des Baumes, sein Lebenslauf, den er und sein Umfeld formen“, beschreibt Camillo Stepanek. Mit hauchzarten Gold- und Silberplätt-