ATTR-Amyloidose: Detektivischer Spürsinn ist gefragt
Seite 12
CTX: Manfred Bauer ist einer von 30 bis 40 Betroffenen
Seite 14
BPDCN-Patientin Becki: „Ich will meine Kinder aufwachsen sehen“
Seite 19
Gentherapie: neue Hoffnung für LHON-Patienten
Seite 27
SPIN2030: eine Agenda für
Kleiner Kämpfer
Joschua ist zwei Jahre alt. Ein Entdecker, ein Schlawiner, lebensfroh, neugierig, süß – und schwer krank. Joschua hat Mukoviszidose.
Seltene Erkrankungen sind häufig! Dies mag zunächst paradox anmuten, da laut Definition weniger als fünf von 10.000 Menschen von einer als selten geltenden Erkrankung betroffen sind.
Eva Luise Köhler Vorsitzende des Stiftungsrates der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen
„Um es zu verdeutlichen: Vier Millionen Menschen, diese Anzahl ist vergleichbar mit der Einwohnerzahl des Bundeslandes Rheinland-Pfalz oder rund der Hälfte aller Schulkinder in Deutschland – ein Alter, das leider viele von einer seltenen Erkrankung betroffene Kinder nicht erreichen.“
Die Waisen der Medizin
Angesichts der großen Zahl von etwa 8.000 verschiedenen bekannten Erkrankungen betrifft dies jedoch allein in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen. Um es zu verdeutlichen: Vier Millionen Menschen, diese Anzahl ist vergleichbar mit der Einwohnerzahl des Bundeslandes Rheinland-Pfalz oder rund der Hälfte aller Schulkinder in Deutschland – ein Alter, das leider viele von einer seltenen Erkrankung betroffene Kinder nicht erreichen. D enn für die meisten Erkrankungen gibt es noch keine Heilung, oft nicht einmal einen Therapieansatz. Sie verlaufen chronisch, gehen teilweise mit schweren Beeinträchtigungen einher und führen noch viel zu oft zum Tod.
Aufgrund der Seltenheit ist das Wissen zu vielen Erkrankungen gering, sind Informationen nicht verlässlich, Experten rar. Auf dem Weg zur richtigen Diagnose erleben Betroffene eine belastende Odyssee von Arzt zu Ärztin: Im Schnitt dauert es sieben lange Jahre, bevor sie wissen, was hinter ihrem Leiden steckt. Was das an persönlichem Leid in den Familien und zudem an Zeit, Aufwand und Kosten bedeutet, kann man erahnen. Diese einschneidenden Erfahrungen verbinden die Menschen mit seltenen Erkrankungen, weil sie trotz ihrer ganz unterschiedlichen Krankheitsbilder vor sehr ähnlichen Problemen stehen. Es macht sie zu den Waisenkindern der Medizin.
Zentren für Seltene Erkrankungen sind hier wichtige Anlaufstellen. Mittlerweile gibt es bundesweit schon 36 dieser Einrichtungen, in denen mit interdisziplinären Fallkonferenzen, dem Einsatz von Lotsen und vor allem mit viel Engagement und Beharrlichkeit aller Beteiligten über den fachspezifischen Tellerrand hinausgeschaut wird.
Diese und weitere Verbesserungen konnten nur gemeinsam erreicht werden: Seit
mehr als 15 Jahren setzt sich die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für die Belange der Menschen mit seltenen Erkrankungen ein. Wir tun dies zusammen mit engagierten Medizinern und Forschern, mit anderen Stiftungen und fördernden Partnern und im Schulterschluss mit der Patientenselbsthilfe. Zu ihr gehören Eltern, die sich im Kampf um das Leben ihrer Kinder zusammengeschlossen haben, oder selbst Betroffene, die beraten, Hilfesuchenden zur Seite stehen, mit ihrem Know-how unterstützen – und das oft ehrenamtlich, neben dem Beruf und der Pflege des Kindes oder ihrer Angehörigen. Unter dem Dach der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V., deren Schirmherrschaft mir ein Herzensanliegen ist, haben sich mittlerweile mehr als 130 Patientenorganisationen zusammengeschlossen. Sie geben den Betroffenen eine Stimme, bündeln deren Anliegen und tragen diese in die Politik, in das Gesundheitswesen, die Medizin.
Und auch in Wissenschaft und Forschung, wo der Schlüssel zum medizinischen Fortschritt liegt: Forschung schenkt Hilfe, Hoffnung und immer öfter auch Heilung. Daher zeichnet die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung in jedem Jahr ein beispielhaftes Vorhaben mit einem Forschungspreis für seltene Erkrankungen aus. Und deshalb haben wir mit der Alliance4Rare ein Netzwerk auf den Weg gebracht, das den medizinischen Fortschritt und den immensen Forschungsbedarf zu seltenen Erkrankungen in der Kinder- und Jugendheilkunde zusammenführt. Denn wir sind überzeugt: Wir müssen heute handeln, weil die Seltenen dringend auf die „Medizin von morgen“ angewiesen sind.
Mehr über das Leben mit einer seltenen Erkrankung erfahren Sie in diesem Magazin. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Eva Luise Köhler .
Leben mit... Magazin Healthcare Mediapartner GmbH | Pariser Platz 6a | 10117 Berlin | www.healthcare-mediapartner.de Herausgeberin Franziska Manske Redaktionsleitung Benjamin Pank Layout Elias Karberg Coverbild privat Druck BNN Badendruck GmbH Kontakt redaktion@lebenmit.de | www.lebenmit.de
Alle Artikel, die mit “Gastbeitrag”, Advertorial" oder "Mit freundlicher Unterstützung" gekennzeichnet sind, sind gesponserte Beiträge. Die Texte der Ausgabe schließen alle Geschlechter mit ein. Zur besseren Lesbarkeit wird jedoch nur eine Geschlechtsform verwendet.
Advertorial
Kyowa Kirin engagiert sich für
Menschen
mit seltenen Erkrankungen
„Meine ersten Hautprobleme begannen 2004“, berichtet eine junge Patientin. Sie litt zu dieser Zeit unter regelmäßig wiederkehrenden Hautausschlägen und Schmerzen. Erst Jahre später wurde bei ihr eine Mycosis fungoides diagnostiziert, eine seltene onkologische Erkrankung, die in Europa einen von 110.000 bis einen von 350.000 Menschen betrifft.1 „Ich befand mich fast zehn Jahre lang in einer Grauzone“, erinnert sie sich. Ihre anfänglichen Hautauffälligkeiten wurden zunächst als Ekzem und auch als Schuppenflechte lokal mit Salben behandelt. Erst ein Zufallsbefund führte zur richtigen Diagnose. Diese Geschichte ist kein Einzelfall: Der Weg bis zum Befund bei diesem Krankheitsbild dauert durchschnittlich zwei bis sieben Jahre.2 Die junge Frau ist eine von rund 30 Millionen Betroffenen, die aktuell mit einer seltenen Erkrankung in Europa leben.3 Kyowa Kirin ist ein weltweit tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, das dort unterstützen möchte, wo es bislang nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten gibt. Hierzu zählt insbesondere der Bereich der seltenen Erkrankungen.
Das Unternehmen wurde 1949 in Japan gegründet und entwickelt seit dieser Zeit innovative Therapien in den Bereichen Nephrologie, Neurologie, Onkologie und Immunologie. Die Forschungsund Entwicklungsarbeit sowie die Wirkstoffproduktion stützen sich dabei auf Verfahren der Spitzen-Biotechnologie aus eigenem Hause.
Das Unternehmen gilt als Pionier in der Behandlung des nur selten auftretenden Phosphatdiabetes (X-chromosomale Hypophosphatämie, XLH) – einer genetisch bedingten und zumeist vererbten Störung des Phosphatstoffwechsels. XLH ist eine chronische, fortschreitende Erkrankung, welche die Gesundheit von Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenken der Betroffenen beeinträchtigen kann.4,5 Deren Lebensqualität wird durch den Phosphatdiabetes häufig erheblich eingeschränkt – sowohl im Kindes- wie auch im Erwachsenenalter.6,7
Kyowa Kirin setzt sich ebenfalls für die Versorgung von Menschen mit tumorinduzierter Osteomalazie (kurz: TIO) ein. Hierbei handelt es sich – anders als beim Phosphatdiabetes – um eine erworbene Erkrankung, die durch kleine, langsam wachsende, zumeist gutartige Tumore verursacht wird.8,9 Infolge der Tumorbildung steht den Betroffenen über das Blut zu wenig Phosphat zur Verfügung, der Phosphatstoffwechsel ist gestört.8,9 Besteht die TIO unbehandelt fort, erleiden die Patienten zumeist Symptome, die denen der XLH ähneln – mit vergleichbaren Effekten auf die Mobilität, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude der Betroffenen.10
Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz therapeutischer Antikörper zur Behandlung seltener onkologischer Erkrankungen. Hierzu zählen die bereits angesprochene Mycosis fungoides und das deutlich seltener auftretende Sézary-Syn-
drom – beides Unterformen des kutanen T-ZellLymphoms (kurz: CTCL).
Kyowa Kirin verfolgt ein klares Ziel: sämtlichen Menschen, mit denen es sich im Austausch befindet, ein Lächeln zu schenken – nicht nur durch die Entwicklung neuer Wirkstoffe, sondern auch durch gelebte Partnerschaften, konsequenten Umweltschutz und ein positives Arbeitsumfeld für sämtliche Mitarbeiter. Das Unternehmen sucht weltweit den Austausch mit Betroffenen und Beteiligten, um gemeinsam und kontinuierlich bessere Antworten auf Patientenbedürfnisse zu finden. Auf diese Weise konnte Kyowa Kirin das Leben von zahlreichen Menschen mit seltenen Erkrankungen positiv verändern. Das Unternehmen wird sich auch zukünftig für eine bessere Zukunft einsetzen, getrieben von dem Ansporn „Make people smile“..
5 – Beck-Nielsen SS, et al. FGF23 and its role in X-linked hypophosphatemia-related morbidity. Orphanet Journal of Rare Diseases. 2019;26;14(1):58.
6 – Imel, EA. Congenital Conditions of Hypophosphatemia in Children. Calcified Tissue International. 2021;108:74–90.
7 – Marcucci, G, Brandi, ML. Congenital Conditions of Hypophosphatemia Expressed in Adults. Calcified Tissue International. 2021;108:91–103. 8 – Brandi ML, et al. Challenges in the management of tumor-induced osteomalacia (TIO). Bone. 2021;152:1160-64. 9 – Florenzano P, et al. Tumor-Induced Osteomalacia. Calcified Tissue
Foto: gpointstudio
Alagille-Syndrom
„Ein kleines Stück Leben“
Berit Hullmann und ihr Mann freuten sich auf ihr zweites Wunschkind. Die Familie schwebte im Familienglück. So hätte es weitergehen können. Ist es aber nicht. Denn ihre zweite Tochter kam mit der seltenen Generkrankung Alagille-Syndrom zur Welt. Statt zum PEKiP und zum Babyschwimmen ging es in der Kinderklinik ein und aus. Im Alter von einem Jahr brauchte Lilly eine neue Leber.
Frau Hullmann, Lillys Start ins Leben war nicht leicht. Bitte erzählen Sie davon.
Meine Schwangerschaft mit Lilly verlief erst mal bilderbuchmäßig – wie auch die erste. Bei einer Routinekontrolle in der 34. Woche fand mein Gynäkologe das Ultraschallbild auffällig und schickte mich direkt weiter in die Uniklinik. Hier wurde zuerst diagnostiziert, dass Lillys Darm verengt war – was genau dahintersteckte, sollte nach der Geburt sofort abgeklärt werden. Deshalb habe ich mich für einen geplanten Kaiserschnitt zwei Wochen vor dem errechneten Termin entschieden. Was mir das erste Mal richtig Sorgen bereitet hat, war, dass sie bei ihrer Geburt sehr klein war. Sie wog zwei Kilo und war 42 Zentimeter groß – obwohl sie kein Frühchen war. Am ersten Lebenstag wurde sie direkt operiert und bekam einen künstlichen Darmausgang. Doch dann fingen die Probleme erst an. Sie nahm kaum zu, ihre Leberwerte waren stark erhöht.
Welche Erklärung hatten die Ärzte für die schlechten Leberwerte?
Erst mal keine konkrete. Es standen verschiedene Vermutungen im Raum, von Gallengangsatresie über Mukoviszidose bis hin zu Krankheiten, bei denen sie nur eine sehr, sehr kurze Lebenserwartung gehabt hätte. Die ersten zehn Wochen nach ihrer Geburt hat Lilly im Krankenhaus verbracht. Entlassen wurden wir dann ohne konkrete Diagnose.
Wann kam es schließlich zur Diagnose, und wie haben Sie darauf reagiert?
Die Diagnose Alagille-Syndrom haben wir bekommen, als Lilly acht Monate alt war. Eine sehr erfahrene Genetikerin an der Uniklinik Essen hat die Testung veranlasst, weil sie bei Lillys Symptomen dieses Syndrom vermutete. Wir waren bei dieser Diagnose erleichtert, sie war von all den Krankheiten, die wir bis dahin als Verdachtsdiagnose bekommen hatten, noch die beste –sofern man das überhaupt sagen darf. Und die Ärzte wussten jetzt, womit sie es zu tun haben, was immer besser ist, als im Nebel zu stochern.
Schnell stand fest, dass Lilly eine Spenderleber brauchen würde, um zu überleben … Lillys Leberwerte wurden zusehends schlechter, ihre Haut und ihre Augen wurden immer gelber und sie plagte ein schrecklicher Juckreiz. Sie nahm kaum zu, brauchte Spezialnahrung und mit jedem Infekt musste sie ein bis zwei Wochen ins Krankenhaus. Zunächst wurde sie bei Eurotransplant gelistet. Dafür musste sie viele Untersuchungen mitmachen, einmal quer durch alle medizinischen Fachbereiche durch. Dann haben mein Mann und ich uns als Lebendspender testen lassen. Bei meinem Mann passten die Werte am besten. Die Ärzte wollten nicht abwarten, bis sich ihr Zustand stark verschlechtert, daher hat die Klinik die Transplantation kurz nach ihrem ersten Geburtstag geplant. Über den ganzen Weg von der Geburt bis zur Transplantation habe ich ein Buch geschrieben, es heißt „Ein kleines Stück Leben“ und ist bei Amazon erhältlich.
Am 5. Oktober 2015 war es dann so weit. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Das war ein schöner, sonniger Herbsttag, an dem ich ruhelos über das Krankenhausgelände getigert bin. Es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass mein Mann und meine Tochter gleichzeitig auf dem OP-Tisch lagen. Meine Schwester und meine Schwiegermutter haben mit mir an der Klinik gewartet. Ich glaube, wir alle haben diese langen Stunden wie in Trance erlebt.
Konnte nach der Operation endlich ein Familienalltag, der nicht von ständigen Krankenhausaufenthalten geprägt ist, einkehren?
Lilly war acht Wochen nach der Transplantation im Krankenhaus, die ersten zehn Tage auf der Intensivstation. In ihren ersten Lebensjahren war sie auch immer wieder mal stationär in der Klinik, mit Lungenentzündungen oder Infekten. Aber mittlerweile haben wir ein recht normales Familienleben mit mal mehr und mal weniger Stress und Sorgen.
Wie geht es Lilly heute, und welche Therapien bekommt sie?
Sie ist eine recht freche Zweitklässlerin, die immer einen schlauen Spruch auf den Lippen hat. In der Schule kommt sie gut klar, sie geht gern schwimmen und tanzen. Die Krankheit ist in unserem Alltag nicht mehr so sehr präsent, zum Glück. Sie bekommt morgens und abends natürlich ihre immunsupprimierenden Medikamente, hat einmal pro Woche Ergotherapie und muss regelmäßig zur Blutentnahme.
Was möchten Sie anderen Eltern von chronisch kranken Kindern mit auf den Weg geben? Es ist wichtig zu wissen, dass man nicht allein ist. Tauscht euch mit anderen Betroffenen aus. Wer mag, kann Tagebuch schreiben oder zumindest ein Notizbuch führen, um die ganzen Eindrücke festzuhalten, die da auf einen einprasseln, und auch Fragen an Ärzte oder Krankenschwestern aufzuschreiben, die einem manchmal mitten in der Nacht einfallen. Das Wichtigste ist aber, an sein Kind zu glauben. Die Kleinen sind echt zäh und kämpfen sich immer wieder durch.
Wie kam es dazu, dass Sie sich für den Verein Leberkrankes Kind engagieren?
Wie alle Eltern, die neu mit einer Krankheit des Kindes konfrontiert sind, habe ich natürlich wie wild herumgegoogelt, um alles darüber herauszufinden. Der Verein war da eine gute Anlaufstelle, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und andere Familien kennenzulernen, die ebenfalls leberkranke Kinder haben. Der Verein möchte informieren, Mut machen und Erfahrungen teilen. .
Weitere Informationen über den Verein finden Sie unter: leberkrankes-kind.de
Mehr über Lilly und ihr Leben erfahren Sie unter: babyleaks.net
Redaktion Emma Howe
Fotos: privat
Experteneinblick
Mehr Lebensqualität für ALGS-Patienten mit chronischem Juckreiz
Wer sich mit dem Alagille-Syndrom beschäftigt, erkennt Betroffene meist auf den ersten Blick, sagt PD Dr. med. Eva-Doreen Pfister. Dennoch schätzt sie, dass viele Betroffene gar nicht diagnostiziert sind, da die seltene Erbkrankheit, kurz ALGS, zu einem sehr heterogenen Krankheitsbild führt.
Frau Dr. Pfister, was passiert beim Alagille-Syndrom im Körper?
Das Alagille-Syndrom hat eine genetische Ursache, ist also bereits beim Ungeborenen im Mutterleib angelegt. Betroffen ist der Notch-Signalweg, der dafür zuständig ist, wie die Zellen während der Embryonalentwicklung miteinander agieren. Durch den Gendefekt entwickeln sich die Organe nicht regulär.
Welche Symptome treten auf?
Meist treten Kombinationen verschiedener Symptome auf: starke Neugeborenengelbsucht, Herzfehler, Gefäß- und Skelettfehlbildungen und ein ganz typisches Aussehen – ein kleinerer Kopf mit dreieckig geformtem Gesicht, auffällig breiter Stirn und schmalem Kinn. Auch die Gallenwege sind häufig nicht regulär ausgebildet, sodass die in den Leberzellen produzierten Gallensäuren nicht komplett in den Dünndarm abfließen, sondern zurück in die Leber gestaut werden. Die massiv erhöhten Gallensäuren in der Leber sorgen für extremen Juckreiz, der die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränkt: von chronisch entzündeter Haut, die gar nicht mehr heilt, über Schlaflosigkeit bis hin zu Suizidgedanken.
Wie wird das Alagille-Syndrom diagnostiziert und wie lange dauert es durchschnittlich bis zur Diagnose?
Das hängt von der Schwere der Symptome ab. Ein milder Herzfehler fällt zum Beispiel erst dann auf, wenn der Patient einmal abgehört wird – oder auch gar nicht. Ein schwerer angeborener Herzfehler hingegen kann schon eher den Verdacht auf ALGS nahelegen, vor allem in Kombination mit weiteren Symptomen. Die Diagnose erfolgt, wie bei vielen seltenen Erkrankungen, primär klinisch: durch Röntgen der Wirbelsäule, Ultraschall von Herz und Leber sowie Untersuchung der Augen. Wir als
PD Dr. med. Eva-Doreen Pfister Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leberund Stoffwechselerkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover
„Alagille-Patienten haben meist ein ganz typisches Aussehen – ein kleinerer Kopf mit dreieckig geformtem Gesicht, auffällig breiter Stirn und schmalem Kinn.“
Mit freundlicher Unterstützung von Mirum Pharma
Schwerpunktzentrum führen immer auch genetische Untersuchungen durch, um die Familie umfänglich beraten zu können.
Wie werden Alagille-Patienten medizinisch versorgt?
Primär werden Herz- bzw. Lebererkrankungen vom Kardiologen bzw. Hepatologen behandelt. Ernährungsfachkräfte ziehen wir hinzu, wenn die Gewichtszunahme unzureichend ist. Bestenfalls sind die kleinen Patienten in einem SPZ betreut, wo sie mit entsprechender Ergound Physiotherapie sowie Logopädie gefördert werden können. Auch kognitive Einschränkungen sind aufgrund der veränderten Zelldifferenzierung im Gehirn möglich. Aber auch hier gibt es kein einheitliches Bild, das sehr breite Spektrum reicht von intellektuell unterentwickelten Patienten bis zu Betroffenen mit Hochschulabschluss.
Welche neuen Behandlungsoptionen gibt es und was bedeutet das für die Lebensqualität der Betroffenen?
Bislang konnten nur die Symptome behandelt werden, etwa mit Herzkathetereingriffen und Lebertransplantationen. Eine Transplantation korrigiert zwar den Defekt, der für den enormen Juckreiz sorgt, bleibt aber trotzdem ein invasives Verfahren mit sehr vielen Risiken. Zum allerersten Mal überhaupt ist jetzt ein Medikament für ALGSBetroffene weltweit zugelassen, das bereits nach dem zweiten Lebensmonat verabreicht werden darf. Der Wirkstoff Maralixibat vermindert die Rückaufnahme von Gallensäuren aus dem Darm ins Blut und damit in die Leber. Dadurch sinkt der Juckreiz. Für Patienten mit ALGS kann das lebensverändernd sein. Ein weiteres Präparat, das ebenfalls die Rückaufnahme der Gallensäuren blockiert, ist bereits für andere seltene Lebererkrankungen zugelassen und erhält nun auch die Zulassung für ALGS. .
„Hoffnung auf ein normales Leben“
Joschua hat Mukoviszidose. Er kam mit einem verdrehten Darm zur Welt. Es folgten Operationen und viele Krankenhausaufenthalte. Leider war auch die Leber des kleinen Jungen so stark geschädigt, dass er eine Transplantation benötigte. Seine Mutter, Stefanie Sprung, berichtet über die schwerste Zeit im Leben der Familie –über Lachen, Leiden und ganz viel Lebenswillen.
Stefanie Sprung und ihr Mann René führen ein Leben wie aus einem Bilderbuch. Sie mögen ihre Arbeit und genießen die gemeinsame Freizeit als Patchworkfamilie. Gemeinsam freuen sie sich auf ihr erstes gemeinsames Kind, die vier großen Geschwister auf ihren kleinen Bruder. Die Familienidylle scheint perfekt. Bis in der 25. Schwangerschaftswoche alles anders kam.
Feindiagnostik, Gentest, Hoffnung Da Stefanie bei ihrer dritten Schwangerschaft 34 Jahre alt war, riet ihr die Frauenärztin zur Feindiagnostik. „Anfangs wollte ich das nicht. Bei meinen vorherigen Schwangerschaften war auch alles komplikationslos – warum sollte es diesmal anders sein?“ Sie entschied sich dennoch dafür. Bei der Untersuchung zeigten sich Auffälligkeiten an der Darmwand des Babys. „Der Arzt informierte uns, dass es mehrere Gründe für die Verdickung geben kann. Einer war Mukoviszidose.“ Es folgten mehrere Untersuchungen, darunter auch ein Gentest, den Stefanie und ihr Mann machen ließen. „Das Ergebnis war, dass mein Mann und ich Anlageträger für Mukoviszidose sind und dies an unser Baby weitergegeben werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass daraus eine Mukoviszidose entsteht, liegt bei 25 Prozent. Aufgrund der verdickten Darmwand waren sich die Ärzte sicher, dass Joschua die Krankheit hat. Wir haben bis zum Schluss gehofft, dass es sich nicht bewahrheitet.“
Frühgeburt, Notoperation, Transplantation In der 34. Schwangerschaftswoche bewegte sich Joschua plötzlich nicht mehr in Stefanies Bauch. „Meine Frauenärztin stellte fest, dass er die ganze Zeit schlief. Ein Anzeichen dafür, dass es ihm nicht gut ging.“ Stefanie fuhr direkt nach dem Termin beim Frauenarzt in die Klinik, wo festgestellt wurde, dass Joschuas Bauch aufgebläht war – die Ärzte vermuteten einen Darmverschluss. Am nächsten Tag musste das Baby per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden. Joschua musste beatmet werden, weil er wegen des dicken Bauchs schlecht Luft bekam. „Während ich noch leicht benebelt war,
wurde Joschua schon in den OP gebracht. Ich hatte nicht einmal die Möglichkeit, meinen Sohn in Ruhe auf dieser Welt zu begrüßen, ihn zu küssen oder in den Arm zu nehmen – das war ganz schlimm für mich. Nach der OP sagte man uns, dass ein Teil seines Darms schon abgestorben war, weil er einen verdrehten Darm hatte – das mussten sie alles herausoperieren. Er bekam einen künstlichen Darmausgang, ein Stoma. Und die Diagnose Mukoviszidose hatte sich bestätigt.“
Nach wochenlangem Krankenhausaufenthalt durfte Joschua endlich nach Hause. Die Familie hoffte auf einen Funken Normalität. Doch Joschuas Gelbsucht, die Frühgeborene oft haben, verschwand einfach nicht. „Joschua wurde im Januar geboren und war Anfang Mai immer noch gelb. Wir ließen seine Leberwerte kontrollieren und die waren sehr auffällig. Da war klar, dass es nicht mehr die normale Gelbsucht war. Joschua musste sich einer weiteren Operation unterziehen, bei der die Rückverlegung des Stomas erfolgte. Denn es war klar, dass Joschua zunehmen und stabil sein musste, falls er eine Lebertransplantation benötigte, um diese zu überleben.“
Nach der Stomarückverlegung war Joschua weitere vier Wochen im Krankenhaus. Da seine Leber nicht mehr richtig funktionierte, dauerte es lange, bis er die Medikamente verstoffwechselte. Der kleine Junge wurde immer schwächer. Lange versuchten die Ärzte, seine Leber zu erhalten, doch die Gallensäfte waren durch die Mukoviszidose so zähflüssig, dass die Leber sich nach und nach selbst zerstörte. Joschua brauchte eine neue Leber – ein Spender musste gefunden werden. „Die Ärzte teilten uns mit, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern würde, bis ein Organ gefunden wäre. Diese Zeit hatten wir nicht. Joschuas Zustand war nur noch ein Aufrechterhalten der Lebensfunktionen. Und es war klar, dass wir eine andere Lösung brauchten. Schließlich ließ sich mein Mann testen und zum Glück passten alle Parameter, die eine Transplantation möglich machten. Am 9. Juli 2021 fand die Transplantation
statt. Da war Joschua fünf Monate alt und mein Mann mein größter Held.“
Das erste Mal seit Joschuas Geburt verlief alles reibungslos. Sowohl Joschua als auch René überstanden die Operationen ohne größere Komplikationen und nach fünf Wochen durfte Joschua das Krankenhaus verlassen und die Familie hoffte, zur Ruhe zu kommen. Leider vergebens. „Es gab immer wieder Zwischenfälle: Durch Infekte verlor Joschua Elektrolyte, dann bekam er Durchfall, dann eine Pilzlungenentzündung. Das Jahr 2021 habe ich mehr Zeit im Krankenhaus verbracht als zu Hause, und ich hatte das Gefühl, dass wir aus den ständigen Krankenhausbesuchen nie wieder rauskommen.“
Doch Joschua ist ein Kämpfer. „Ich bin so stolz auf ihn. Er hat so einen großen Lebenswillen, ist zäh, beißt sich durch und vergisst dabei nie, uns mit seinem Kinderlachen zu verzaubern.“ Seit 2022 haben sie das Krankenhaus nur zu Routineuntersuchungen von innen gesehen.
Inhalation, Medikation, Vision
Inhalation und Medikamente gehören für Joschua und seine Familie zum Alltag. „Wir haben uns gut eingespielt und alle helfen mit. Joschua muss zweimal am Tag inhalieren – morgens und abends –, wenn er einen Infekt hat, sogar dreimal. Doch er macht das ganz toll. Seine Geschwister unterstützen ihn oft dabei und schauen beispielsweise während der Inhalation ein bisschen mit ihm fern.
Die letzten zwei Jahre haben uns gezeigt, dass es sich immer lohnt weiterzukämpfen, und haben uns als Familie noch enger zusammengeschweißt. Seit ein paar Monaten nimmt Joschua ein neues Medikament, das den Salzkanaldefekt korrigieren soll. Bei ihm schlägt das sehr gut an. Unsere größte Hoffnung ist, dass Joschua dank der guten medizinischen Versorgung, die es mittlerweile bei Mukoviszidose gibt, irgendwann ein normales Leben führen kann.“.
Redaktion Leonie Zell
Fotos: privat
Ihre Experten für Atemwegsgesundheit
Homozygote familiäre Hypercholesterinämie
„Unser Engel ist eine von einer Million“
Avery ist 14 Jahre alt und ein lebensfroher Teenager. Sie hat die seltene Krankheit homozygote familiäre Hypercholesterinämie (hoFH), die mit tödlichen Herzinfarkten im Kindesalter einhergehen kann. Wir sprachen mit Avery und ihrer Mutter Michelle über den Kampf ihres Lebens.
Redaktion Emma Howe
Michelle, haben Sie gemerkt, dass Avery krank ist?
Nein, Avery hatte keine Symptome und es gab keinen Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung war. Mein Mann und ich hatten beide immer einen hohen Cholesterinspiegel und in der Familie meines Mannes traten frühe Herzkrankheiten auf. Aus diesem Grund bat ich unseren Kinderarzt, Averys Lipidstatus zu kontrollieren, um zu sehen, wie hoch ihr Cholesterinspiegel war. Damals war sie sechs Jahre alt. Obwohl unser Kinderarzt unsere Familiengeschichte kannte, schlug er uns nie vor, die Lipidwerte überprüfen zu lassen. Averys Cholesterinwert lag bei 800, normal ist ein Wert unter 110. Danach wurde ein Gentest durchgeführt und die Diagnose homozygote familiäre Hypercholesterinämie gestellt.
Was haben Sie als Mutter in diesem Moment gedacht?
Ich war geschockt, als der Kardiologe uns sagte, sie sei „eine von einer Million“. Der anfängliche Schock verwandelte sich schnell in Angst und Traurigkeit, nachdem ich erfahren hatte, dass unsere Tochter, die äußerlich vollkommen gesund aussah, an einer lebensbedrohlichen seltenen Krankheit leidet. Unser Leben änderte sich innerhalb weniger Sekunden. Von diesem Moment an drehte sich alles fast ausschließlich um Averys Gesundheit und ihre wöchentlichen Lipoproteinapherese-Behandlungen, ein stundenlanges Verfahren, das das LDL-Cholesterin aus Averys Blut herausfiltert, um die Plaquebildung in ihren Arterien zu verlangsamen.
„So richtig verstanden habe ich damals meine Diagnose nicht. Ich merkte nur, dass sich mein Leben veränderte – das fand ich teilweise sehr beängstigend.“
Dann kam im Herbst 2019 die nächste Hiobsbotschaft … Ja, trotz der wöchentlichen Behandlungen, mehrerer Medikamenteneinnahmen, regelmäßiger Besuche bei Kinderkardiologen und umfangreicher medizinischer Tests erfuhren wir im Herbst 2019, dass sich Averys Zustand verschlechtert hatte und sie so schnell wie möglich am offenen Herzen operiert werden musste. Das war eine der gruseligsten Neuigkeiten, die ich je in meinem Leben erfahren hatte. Wir hatten absolut keine Ahnung, wie die Operation verlaufen würde, und ob unser kleines Mädchen es schaffen würde.
„Ich hatte Angst vor der Operation, aber ich versuchte, es positiv zu sehen. Und das Gefühl, dass ich wusste, dass meine Eltern immer an meiner Seite sind und das alles mit mir zusammen durchstehen, hat mir auch sehr geholfen und mir Kraft gegeben.“
Was geschah am Tag der Operation?
Am Morgen des 3. Januar 2020 sahen wir zu, wie sie unser kleines Mädchen zur Operation brachten – ein Schmerz, den wir nie erwartet hatten, als wir unser perfektes kleines Mädchen im Juli 2008 mit solcher Freude auf der Welt willkommen hießen. Die Stunden im Wartebereich kamen uns wie eine Ewigkeit vor, aber sieben Stunden später kam der Herz-Thorax-Chirurg, um uns mitzuteilen, dass die Operation erfolgreich war und Avery auf die Intensivstation gebracht wurde. Dort kam es zu Komplikationen und Avery wurde in einer Notoperation ein zweites Mal am offenen Herzen operiert. Avery überstand die zweite Operation gut, verbrachte die nächsten Tage jedoch sediert und intubiert auf der Intensivstation. Als ob dies nicht genug wäre, erfuhren wir, dass unsere elfjährige Avery einen Herzinfarkt erlitten
hatte. Es dauerte ein paar Wochen, bis Avery sich erholt hatte. Die ganze Zeit im Krankenhaus zu leben, war sehr schwierig und anstrengend, aber wir wollten nicht von ihrer Seite weichen. Am 22. Januar 2020 durften wir alle endlich zurück nach Hause.
Wie schauen Sie heute auf diese Zeit zurück? Ich hatte Angst um das Leben meiner Tochter, und diese lässt mich bis heute nicht los. Zum Glück wird Avery jeden Tag stärker, und doch wissen wir, dass unser Kampf noch nicht vorbei ist. Und so geht unsere Reise weiter.
Was ist Ihr größter Wunsch für Avery?
Mein Wunsch für Avery ist, dass sie glücklich und erfüllt ist. Dass sie ihre Diagnosen weiterhin positiv beurteilt und die freundliche, großzügige, schöne Tochter ist, die sie immer war. Wir sind so stolz auf sie und lieben sie mehr, als Worte sagen können!
„Mir geht es sehr gut. Ich nehme zwar Medikamente, kann aber ein normales Leben führen. Natürlich weiß ich, dass ich eine seltene Erkrankung habe, aber das ist okay. Ich besuche jeden Tag eine Kunstschule und tanze fünf- bis siebenmal pro Woche. Ich liebe Tanzen sehr, weil es mir die Möglichkeit gibt, meine Gefühle auszudrücken, und es hilft mir auch, alles zu verarbeiten, was ich erlebt habe. Mein größter Traum ist es, Ärztin zu werden, damit ich anderen Kindern mit gesundheitlichen Problemen helfen kann. Ich hatte in den letzten acht Jahren so viele großartige Ärzte, die sich um mich gekümmert haben, und ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Ärzte zu haben, die sich mit meiner Krankheit auskennen.“
Foto: privat
Experteneinblick
Alarmsignal LDL-Cholesterinwert
was dahinterstecken könnte
Die homozygote familiäre Hypercholesterinämie (hoFH) zählt zu den seltenen Erbkrankheiten. Unbehandelt steigert die hoFH das Risiko für Arterienverschlüsse und Infarkte. Dabei ist die erbliche Stoffwechselstörung wahrscheinlich gar nicht so selten, sondern wird oft einfach nicht erkannt, sagt Prof. Dr. Ioanna Gouni-Berthold.
Frau Prof. Dr. Gouni-Berthold, was sind die Ursachen einer hoFH?
Ursache der familiären Hypercholesterinämie ist am häufigsten eine Mutation des LDL-Rezeptor-Gens. Da durch den Gendefekt der Rezeptor fehlt oder keine Bindung zum Rezeptor aufgebaut wird, kann das Cholesterin nicht von der Leber aufgenommen und ausgeschieden werden, sondern verbleibt im Blut. Die Folge: massiv erhöhte Cholesterinwerte und somit ein stark erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen.
Welches charakteristische Merkmal geht mit der Erkrankung einher?
Charakteristisch sind massiv erhöhte LDL-Werte. Typische Symptome wie Trübungsringe um die Iris des Auges, Xanthome und Xanthelasmen können auch auftreten. Es fehlt leider das Bewusstsein für die hoFH. Daher ist die erste erkannte Symptomatik dann oft ein Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Wie wird hoFH diagnostiziert?
Die klinische Diagnostik erfolgt in Europa meistens nach den Dutch-Lipid-Clinic-Network (DLCN)-Kriterien. Betrachtet wird dabei unter anderem auch die Familienanamnese: Sind erhöhte LDL-Werte oder vorzeitige koronare Herzkrankheiten in der Familie bekannt? Bei einem Gesamtergebnis größer als acht gilt die Diagnose hoFH als klinisch gesichert. Außerdem sind molekulargenetische Untersuchungen anzuraten.
Prof. Dr. Ioanna Gouni-Berthold
Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie
Warum wird die Diagnose oft erst so spät gestellt?
Es fehlt einfach am Bewusstsein für diese Erkrankung. Wenn der Hausarzt beim Checkup erhöhte LDL-Werte feststellt und dann einen Zusammenhang herstellt, ist man diagnostisch auf dem richtigen Weg. In der medizinischen Literatur gibt es leider viele Fälle von Kindern mit Herzinfarkt oder Schlaganfall aufgrund von unbehandelter hoFH. Ich wäre glücklich, wenn bei jedem NeugeborenenScreening der LDL-Wert mit untersucht würde. Je früher, desto besser. Die Bestimmung von LDL-Werten wäre auch mit drei oder fünf Jahren wünschenswert.
Mit freundlicher Unterstützung von Ultragenyx
Welche Therapieoptionen standen bislang zur Verfügung?
Die LDL-Werte allein durch viel Bewegung und gesunde Ernährung signifikant zu senken, funktioniert bei der hoFH nicht. Therapieoptionen sind die Statine, Ezetimib, PCSK9-Inhibitoren, Lomitapid sowie die Lipidapherese. Es sind auch wenige Fälle von Lebertransplantationen bekannt.
Gibt es neue Therapien?
Neu zugelassen sind Lipidsenker, die unabhängig von den LDL-Rezeptoren wirken. Hierbei wird das Angiopoetin-ähnliche Protein 3 (ANGPTL3), das überwiegend in der Leber exprimiert wird, gehemmt. Dadurch kann das LDL-Cholesterin unabhängig von den LDL-Rezeptoren gesenkt werden.
Was bedeutet das für die Betroffenen?
Grundsätzlich muss bei bekannter hoFH schnell und aggressiv therapiert werden, mittels Lipidapherese kombiniert mit Lipidsenkern. Ziel sollte es sein, die LDL-Werte unter 70 Milligramm pro Deziliter und bei Patienten, die schon einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, unter 55 Milligramm pro Deziliter zu bringen. Hohe LDL-Werte haben einen kumulativen Effekt. Daher ist es wichtig, so früh wie möglich mit der Therapie zu starten. Statine können schon ab acht Jahren verabreicht werden..
Redaktion Nicole Kraß
Transthyretin-Amyloidose mit Kardiomyopathie
Unbekannte Herzschwäche mit vielfältigen Symptomen
Eine Amyloidose ist eine mögliche Ursache für eine Herzschwäche (in der medizinischen Fachsprache auch Herzinsuffizienz genannt), von der viele Menschen vermutlich noch nie etwas gehört haben. Das heißt aber keineswegs, dass Amyloidosen selten sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie lediglich weniger häufig diagnostiziert werden, weil sie sich wie ein Chamäleon hinter einem breiten Fächer von Symptomen und Symptomkonstellationen verbergen können. Für die Diagnosestellung ist daher von Ärzten detektivischer Spürsinn gefragt. Aber auch herzkranke Menschen, deren Beschwerden sich unter einer verordneten Therapie nicht bessern, sollten hartnäckig bei der Ursachenforschung mitwirken und „dranbleiben“.
Gastbeitrag
Der Begriff Amyloidose steht für eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen, die eines gemeinsam haben: Durch Ablagerungen von bestimmten Eiweißen an Organen kann es zu schweren Funktionsstörungen kommen. Eine der häufigsten Amyloidoseformen ist die Transthyretin-Amyloidose mit Kardiomyopathie (Kurzbezeichnung: ATTR-CM), bei der sich das Eiweiß Transthyretin zwischen den Herzmuskelzellen ablagert. Das
führt zu einer Verdickung der Herzwände und infolgedessen zu einem Nachlassen der Herzleistung, die mit einer klinisch relevanten Herzschwäche einhergeht. Warum sich Transthyretin ablagert, ist bislang nicht geklärt.
Oft sind ältere Menschen von der Erkrankung betroffen, vor allem Männer über 60 Jahre. Aber auch Frauen sind nicht davor gefeit, wie die nachstehende Krankengeschichte einer Patientin zeigt:
Gaby M. und ihr Mann verbringen ihre gemeinsame Zeit am liebsten im Garten. Illustrative Fotos: G. Hoffmann
ATTR-Amyloidose mit Kardiomyopathie –
Eine Patientin berichtet
Im Alter von 54 Jahren wurde bei Gaby M. eine ATTR-CM diagnostiziert. Die Patientin erzählt, dass sie schon früh Probleme mit dem Herzen hatte. So wurde sie schon im Alter von etwas über 30 Jahren wegen ihres damals zu hohen Blutdrucks behandelt. Jedoch schritten die Herzprobleme im Verlauf der Jahre fort und gipfelten 20 Jahre später in einem ersten Zusammenbruch. Um die Ursachen dafür näher abklären zu lassen, wurde Gaby M. schließlich von ihrer Hausärztin zum Kardiologen überwiesen. Der weitere Weg führte die Patientin zum Herz-MRT ins Krankenhaus, wo erstmals die Vermutung geäußert wurde, dass „eine Amyloidose im Spiel sein könnte“. Einige Zeit später folgte dann in der Klinik eine Skelettszintigraphie sowie eine Herzmuskelbiopsie, die die Verdachtsdiagnose einer ATTR-CM bestätigten.
„Sucht eine zweite oder dritte
Meinung – es ist Hilfe möglich!“
Vor der Diagnose litt Gaby M. immer wieder unter Kurzatmigkeit und größeren Wassereinlagerungen in den Beinen. Dementsprechend wurden mehrmals „radikale Entwässerungen im Krankenhaus durchgeführt“, berichtet sie. „Als dann die Diagnose ATTR-CM feststand, habe ich gedacht, dass damit alles verbunden sei. Es war eine Erleichterung, als ich dann wusste, was für eine Krankheit ich habe“, so die Patientin.
Für die Zukunft wünscht sich Gaby M., dass sie trotz der Amyloidose gemeinsam mit ihrem Mann alt werden kann. In Bezug auf ihre Herzerkrankung sagt sie: „Ich möchte jeden ermutigen, der irgendwelche Symptome verspürt, wo aber der Hausarzt nicht genau weiß, was er hat: Wendet euch weiter, sucht eine zweite oder dritte Meinung von Kardiologen. Denn es ist wirklich Hilfe möglich, und je früher, umso besser.“
Auf dem Weg zur Diagnose einer (noch) recht unbekannten Krankheit
Priv.-Doz. Dr. Sebastian Spethmann
Oberarzt in der Kardiologie am Deutschen Herzzentrum der Charité
Eine Herzschwäche entsteht oft schleichend und die Symptome sind anfangs häufig unabhängig von der zugrunde liegenden Ursache gleich: Als Warnhinweise gelten Leistungsminderung, Luftnot unter Belastung oder eine Gewichtszunahme, die meistens durch Wassereinlagerungen hervorgerufen wird. „Diese Symptome sollten unbedingt ärztlich abgeklärt werden. Wichtig ist es dabei, auch an die weniger bekannten Ursachen einer Herzschwäche zu denken. Dafür sollte einmal die genaue Krankengeschichte erfragt werden, um die Krankheitssymptome und weitere begleitende Erkrankungen zu erfahren“, erklärt PD Dr. Sebastian Spethmann, der sich als Oberarzt in der Kardiologie am Deutschen Herzzentrum der Charité unter anderem mit der Diagnose und Therapie von Amyloidosen befasst. Da sich das Eiweiß Transthyretin in verschiedenen Organen abla-
gert, können verschiedene Organsysteme wie das Herz von einer Amyloidose betroffen sein. „Treten in Kombination mit einer Herzschwäche orthopädische Erkrankungen wie ein Karpaltunnelsyndrom, eine Verengung des Wirbelkanals oder Gefühlsstörungen in den Beinen mit Kribbeln auf, sollte man unter anderem an eine Amyloidose denken“, unterstreicht Spethmann. Um dieser Erkrankung auf die Spur zu kommen, werden beim Verdacht grundsätzlich zuerst ein EKG und ein Herzultraschall, also eine Echokardiographie, durchgeführt. „Vor allem mit der Echokardiographie können wir die Funktion und die Größe des Herzens sehr genau analysieren. Dabei bekommen wir wichtige Hinweise, ob eine Herzbeteiligung einer Amyloidose besteht. Zudem wird eine Labordiagnostik gemacht“, führt der Kardiologe aus. Bestätigt sich der Anfangsverdacht, werden weitere Untersuchungen notwendig. Die Diagnosesicherung einer ATTR-Amyloidose erfolgt durch eine sogenannte Skelettszintigraphie, mit der die Ablagerungen des Eiweißes Transthyretin im Herzmuskel sichtbar gemacht werden können. Auch eine Biopsie, wie in der Patientengeschichte von Gaby M. beschrieben, kann zur Bestätigung der Diagnose eingesetzt werden.
Viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen können heute sehr gut behandelt werden und auch für die ATTR-CM steht seit einigen Jahren ein spezifisches Medikament zur Verfügung. Dabei hat die frühe Diagnose einen hohen Stellenwert, denn „je früher wir behandeln, umso besser können wir den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen“, so Spethmann. .
„Endlich weiß ich, was ich habe!“
Das Unternehmen Pfizer forscht dafür, dass auch Krankheiten, die nicht alltäglich sind, mehr Aufmerksamkeit erfahren. Denn seltene und unterdiagnostizierte Erkrankungen haben eines gemeinsam: Die Diagnose wird häufig erst gestellt, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Dabei können früh erkannte Krankheiten grundsätzlich am besten behandelt werden.
Und noch etwas ist wichtig: Erkrankte wollen wissen, worunter sie leiden. Denn erst mit der Diagnose endet für sie ein Marathon aus Untersuchungen, Hoffen, Bangen und Warten. „Gaby M. bringt ihre Erleichterung darüber, dass ihre Krankheit nun endlich einen Namen hat, mit der Schilderung ihrer Krankengeschichte auf den Punkt“, sagt Prof. C. Franzen, Medizinischer Leiter des Bereichs Seltene Erkrankungen bei Pfizer. „Für alle, die mehr wissen möchten, haben wir die typischen Symptome einer ATTR-CM im Erklärfilm Herzschwäche und es wird einfach nicht besser? anschaulich auf YouTube zusammengefasst.“
Zudem bietet die Website www.lebenmit-amyloidose.de neben Informationen rund um die Erkrankung, ihre Ursachen, Diagnose und Behandlung auch zahlreiche Tipps für den Alltag sowie Servicematerialien für Betroffene und ihre Angehörigen. Auch ein Blick auf die Website www.hilfefuermich.de/amyloidose lohnt sich: Hier sind viele Informationen verfügbar, die allesamt von einem Expertengremium geprüft sind.
„Man sollte nicht nur für die Krankheit leben, sondern mit ihr“
Cerebrotendinöse Xanthomatose (CTX) ist eine sehr seltene Stoffwechselerkrankung. In Deutschland leben schätzungsweise nur 30 bis 40 Betroffene, die diagnostiziert sind. Manfred Bauer ist einer von ihnen. Im Interview spricht er über seine Symptome und die außergewöhnlich späte Diagnose.
Redaktion Nicole Kraß
Herr Bauer, Sie haben CTX. Wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen geäußert?
Rückblickend hat sich die Erkrankung wahrscheinlich schon zehn bis 15 Jahre zuvor gezeigt. Mir wurde immer gesagt, ich hätte einen „schlampigen Gang“. Dass etwas nicht stimmt, habe ich gemerkt, als ich mit dem Tempo meiner Frau nicht mehr mithalten konnte. Bei einer Wanderung im Januar 2017 haben dann meine Beine plötzlich so gezittert, dass ich nicht mehr weitergehen konnte.
Welche Symptome hatten Sie außerdem?
Die Gangunsicherheiten wurden stärker, ich fing an zu stolpern. Dazu kamen neuropathische Schmerzen, erst an den Füßen und Beinen, dann an Händen und Armen. Dann nächtliche Krämpfe bis hin zur Spastik, auch erst an den Beinen, dann an den Armen. Die Gehstrecke wurde immer kürzer, inzwischen bin ich auf den Rollstuhl angewiesen.
Wie wurde die Erkrankung diagnostiziert? Mein erster Weg führte mich zum Hausarzt. Der hat mich zum Neurologen geschickt. Nach einigen Untersuchungen kam ich in eine Klinik und wurde komplett auf den Kopf gestellt: CTs, MRTs, Lumbalpunktion. Dann folgten weitere Tests am Friedrich-Baur-Institut in München, einer Fachambulanz für neuromuskuläre Erkrankungen. Der Cholestanol-Wert im Blut war zwar erhöht, aber nur leicht. Erst in Verbindung mit der genetischen Untersuchung hat dann ein Arzt den Zusammenhang hergestellt.
Wie hat Ihre Familie auf die Diagnose reagiert?
Am Anfang war eine große Unsicherheit. Am stärksten belastet ist meine Frau. Ich muss aber auch sagen, dass es überhaupt wichtig ist, eine Diagnose zu erhalten. Bei mir
ging das in Überschallgeschwindigkeit, in nur eineinhalb Jahren. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Betroffene warten mehrere Jahrzehnte auf eine Diagnose.
Wie werden Sie behandelt?
Ich habe sofort mit der Einnahme von Chenodesoxycholsäure angefangen. Dazu bekomme ich Physiotherapie und Ergotherapie, außerdem trainiere ich täglich am Theramed, um die Spastiken zu lösen und um die Muskulatur zu bewegen. Gegen die neuropathischen Schmerzen und gegen die Spastiken nehme ich unter anderem Cannabisprodukte.
Wie sieht Ihr Alltag mit der Erkrankung aus? Mein Alltag ist nicht vergleichbar zu vorher. Alles ist anders. Man muss sich seine Kräfte und Strecken einteilen. Ich muss mir immer überlegen, wie ich wo hinkomme und welche Kräfte ich dazu brauche. Ja, und manchmal hat man auch seine Emotionen nicht mehr so im Griff. Es wird körperlich, aber auch mental immer schwieriger.
Heilbar ist CTX nicht. Können Sie trotz der Erkrankung ein normales Leben führen?
Solange ich keinen Rollstuhl gebraucht habe, war es weitgehend „normal“. Aber auch jetzt will ich raus in die Natur. Daher habe ich mir einen klappbaren Elektrorollstuhl zugelegt. Wir sind immer gerne gewandert, am liebsten abseits der Touristenpfade. Das geht mit dem Rollstuhl nicht mehr.
Sie sind Teil der Selbsthilfegruppe ELA e. V. Wie kam es dazu?
Bei einem Reha-Aufenthalt bin ich mit einer Dame aus dem ELA-Vorstand ins Gespräch gekommen, und jetzt bin ich selbst Mitglied, das einzige mit CTX. Es ist ein Austausch
außerhalb der Medizin, ein Erfahrungsaustausch zwischen Betroffenen. Wie man den Alltag bewältigen kann, wie man mit Behörden und Krankenkassen umgeht.
Was ist ein großer Wunsch von Ihnen? Ich wünsche mir mehr Öffentlichkeit und den Austausch mit anderen CTX-Patienten, zum Beispiel über den Verein ELA (www. elaev.de). Die Krankheit sollte aber nicht im Vordergrund stehen. Man sollte nicht nur für die Krankheit leben, sondern mit der Krankheit..
CTX-Fakten
• Die CTX ist eine erbliche Störung des Gallensäurestoffwechsels, die durch Genmutationen verursacht wird. Diese Störung verhindert die Umwandlung von Cholesterin in Gallensäuren und es kommt vermehrt zu Ablagerungen von Fetten (Cholesterin und Cholestanol) im Gehirn und anderen Geweben.
• Einer von 135.000 bis 460.000 Menschen in Europa ist betroffen.
• Die Symptome können nach Altersgruppen (Neugeborene, Kinder und Jugendliche, Erwachsene) gegliedert werden. Bei Neugeborenen kann z. B. eine verlängerte Neugeborenengelbsucht oder chronischer Durchfall ein Anzeichen sein. Bei Kindern und Jugendlichen können zum chronischen Durchfall auch ein Grauer Star, Entwicklungsverzögerungen oder neurologische Auffälligkeiten hinzukommen. Typische Symptome bei Erwachsenen sind Xanthome (Fettablagerungen an Sehnen), kognitive, neurologische oder auch psychiatrische Störungen.
Foto: privat
Eine frühe Diagnose ist entscheidend!
Eine Studie mit 55 Patienten zeigte, dass das Durchschnittsalter beim ersten Auftreten der Symptome bei 9,5±9,0 Jahren und das durchschnittliche Alter bei der Diagnose bei 35,5±11,8 Jahren lag, mit einer großen Diagnoseverzögerung von 20 bis 25 Jahren.* Beim Zeitpunkt der Diagnose können bereits neurologische und psychiatrische Probleme vorgelegen haben. Eine adäquate Behandlung kann den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen und das Fortschreiten der Symptomatik aufhalten, insbesondere wenn in den frühen Phasen der Erkrankung damit begonnen wird.
Wie bei vielen seltenen Erkrankungen ist auch bei der cerebrotendinösen Xanthomatose eine frühe Diagnose entscheidend für den Verlauf der Erkrankung. Aus diesem Grund wurde die Trockenblutkarte entwickelt.
Frau Ivanchenko, woran liegt es, dass es so lange dauert, bis eine CTX diagnostiziert wird?
Laut Studien dauert die Diagnosestellung im Durchschnitt 20 Jahre. Das liegt hauptsächlich an den unspezifischen Symptomen der CTX, die auch bei vielen anderen Krankheitsbildern auftreten.
Wie verläuft die Krankheit, wenn sie nicht diagnostiziert wird?
Das ist von Patienten zu Patienten unterschiedlich. Häufig hat die unbehandelte CTX jedoch einen progressiven Krankheitsverlauf. So können bereits im Kindesalter Grauer Star, anhaltende Durchfälle und Entwicklungsverzögerungen auftreten. Fortschreitend kann es zu schweren neurologischen Komplikationen wie Demenz, Spastik, Ataxie, atypischem Parkinson-Syndrom, Osteoporose, epileptischen Anfällen sowie einer frühen Atherosklerose mit lebensbedrohlichen Folgen wie Herzinfarkten kommen.
Elena Ivanchenko Marketing Director der Leadiant GmbH
Wenn der Verdacht auf CTX vorliegt, wie wurde bisher die Diagnose gestellt?
Besteht der Verdacht, wird EDTA-Plasma abgenommen und die Plasma-Cholestanol-Konzentration bestimmt. Bei einer CTX ist dieser Wert im Blut häufig um das 3- bis 15-Fache erhöht, während der Cholesterinspiegel unauffällig ist. Abschließend erfolgt die Diagnosesicherung molekulargenetisch durch den Nachweis der Mutation des CYP27A1-Gens.
Seit Neuestem gibt es die Möglichkeit der Diagnostik durch den Trockenbluttest. Was sind die Vorteile?
Der Trockenbluttest vereinfacht die Diagnosestellung immens. Bei diesem Test werden nur wenige Tropfen Blut benötigt, um die Gallensäurevorstufen im Blut zu bestimmen. Bei einer konventionellen Untersuchung muss oftmals Blut aus der Vene entnommen werden. Man braucht mehr Blut, was vor allem bei Babys und Kindern ein Problem sein kann. Zudem muss das Blut oft auch gekühlt werden. Der Transport ist also komplizierter. Die Trockenblutkarte verträgt Raumtemperatur, kann also mehrere Tage bis zum Versand gelagert werden und ist einfach per Post zu versenden.
Ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe wird auf die Trockenblutkarte aufgebracht. Nachdem die Testkarte getrocknet ist, wird sie per Post in das Labor geschickt. Dort wird das Blut wieder aus der Filterkarte herausgelöst und für die folgenden Tests aufbereitet. Diese Tests basieren auf dem Nachweis der Gallensäurenvorstufen t-CDCA und Tetrol. Mit der gleichen Karte lässt sich bei Erhärtung des Verdachts auf eine CTX auch die molekulargenetische Untersuchung auf die CYP27A1-Mutation durchführen. Damit wird die Abklärung der Verdachtsdiagnose auf eine CTX enorm vereinfacht. Bereits nach wenigen Tagen steht das Testergebnis fest.
Dank der neuen Trockenblutkarte besteht eine realistische Chance, dass die CTX früher diagnostiziert wird und dass mehr Patienten dank passender Therapien ein nahezu normales Leben ermöglicht werden kann. Die rechtzeitige Diagnosestellung ist entscheidend, da die CTX durch eine frühzeitige Substitutionstherapie gut behandelt werden kann. Dank der Therapie kann die Symptomatik verbessert und das Fortschreiten der CTX verhindert werden. .
Weitere Informationen zu CTX, dem Trockenbluttest sowie Hilfe für Betroffene finden Sie unter: www.ctxawareness. com/de und www.leadiant.de
„Mein größter Wunsch ist es, meine Kinder aufwachsen zu sehen“
Becki ist alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern. Im März 2022 bekommt sie die Diagnose blastische plasmazytoide dendritische Zellneoplasie (BPDCN) – eine sehr seltene und meist aggressiv verlaufende hämatologische Neoplasie. Im Interview spricht sie über ihren Kampf gegen den Krebs und verrät ihre größten Wünsche für die Zukunft.
Haben Sie vorher gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Bereits im Oktober 2021 hatte ich einen komischen blauen Fleck auf dem Rücken, doch ich dachte mir da noch nichts dabei. Im Januar 2022 bemerkte ich dann weitere blaue Flecken und es wurden immer mehr. Als Hitzewallungen, Nachtschweiß und Angstzustände hinzukamen, begann ich mir Sorgen zu machen und ging zu meinem Hausarzt.
Konnte der Ihnen helfen? Er konnte weder mit den beschriebenen Symptomen noch mit den blauen Flecken etwas anfangen. Doch er schickte mich zu einer Biopsie beim Hautarzt. Zum Glück bekam ich recht schnell einen Termin. Und nachdem diese im Labor ausgewertet worden war, bekam ich die Diagnose BPDCN.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Welche Therapien haben Sie erhalten?
Ich war schockiert. Ich hatte vermutet, dass ich ein Hautlymphom habe. Als ich hörte, es ist BPDCN, ein sehr seltener Blutkrebs, war ich am Boden zerstört, und die Angst zu sterben war allgegenwärtig. Weltweit gibt es weniger als 1.500 Fälle pro Jahr. Zudem tritt es vorrangig bei älteren Männern auf. Ich frage mich immer wieder: Warum hat es ausgerechnet mich erwischt?
Hatten Sie vorher schon einmal von BPDCN gehört?
Nein, noch nie. Auch der Hautarzt, der die Biopsie gemacht hatte, kannte das nicht. Mein Hausarzt kannte über drei Ecken jemanden, der jemanden kannte, der auch BPDCN hatte.
Was hat Ihnen geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Da ich wusste, dass ich Krebs hatte, bevor es diagnostiziert wurde, konnte ich den Krebs an sich akzeptieren. Dass es BPDCN war, machte mich schon fassungslos, da die Chancen, es zu überleben, nicht die besten sind. Doch ich bin eine Kämpferin und habe auch während der schlimmsten Momente nie meine positive Einstellung zum Leben verloren. Das hat mir während der gesamten Reise sehr geholfen. Und natürlich sind da noch meine wunderbaren Kinder. Schon für sie war die Option, einfach aufzugeben, nicht möglich.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe mich über den Krebs und die Behandlung informiert. Es gibt nur wenige Behandlungsmöglichkeiten für BPDCN. Ich musste mich zusätzlichen Tests wie einer Knochenmarkbiopsie, einem Herzscan und Lungentests unterziehen, um das Ausmaß der Erkrankung und meine Eignung für eine Behandlung zu beurteilen.
Ich unterzog mich einer stationären Immuntherapie und einem 6,5-wöchigen Krankenhausaufenthalt mit Chemotherapie. Zudem erhielt ich auch eine intrathekale Chemotherapie, die direkt in die Rückenmarksflüssigkeit injiziert wurde, um zu verhindern, dass der Krebs mein Gehirn erreicht. Nachdem es mir besser ging, unterzog ich mich einer Stammzelltransplantation, für die meine Schwester meine Spenderin war. Ich danke ihr nach wie vor jeden Tag dafür – sie ist meine Heldin. Ich verbrachte von Mai bis Oktober etwa 3,5 Monate im Krankenhaus und zudem viel Zeit auf der Tagesstation. Ich habe am 21. Oktober 2022 nach einer anstrengenden Reise eine Remission erreicht. Heute nehme ich täglich viele Tabletten ein, muss aber nur für wöchentliche Untersuchungen ins Krankenhaus gehen. Dadurch habe ich endlich wieder Zeit für meine Kinder.
Wie geht es Ihnen heute und was ist Ihr größter Wunsch?
Heute bin ich krebsfrei und hoffe, dass dies ganz lange so bleibt. Ich erhole mich langsam, aber gut von all den Ereignissen der letzten Monate. Ich hatte gerade eine Knochenmarkbiopsie, die bestätigte, dass die Transplantation ein Erfolg war. Ich muss immer noch sehr vorsichtig mit Menschen umgehen, wie zu COVID-Zeiten, um zu versuchen, Krankheiten zu vermeiden. Ich ermüde sehr schnell, bekomme Übelkeit und bin in den Wechseljahren. Aber ich bin relativ gesund und werde immer stärker. Mein Wunsch ist es, anderen Krebskämpfern Mut zu machen, sie darin zu bestärken, niemals aufzugeben. Und mein größter Wunsch ist es, lange genug da zu sein, um meine Kinder aufwachsen zu sehen..
Redaktion Leonie Zell
Fotos: privat
Neue Hoffnung für BPDCN-Patienten Experteneinblick
Die blastische plasmazytoide dendritische Zellneoplasie (BPDCN) ist eine sehr seltene und meist aggressiv verlaufende hämatologische Neoplasie. Im letzten Jahr hat Dr. Daniel Schöndube zwei Patienten mit BPDCN behandelt. Bei der Seltenheit der Erkrankung sind das viele.
Welche Beschwerden macht BPDCN bei den Betroffenen?
Zu Beginn der Erkrankung haben die Patienten wenig Beschwerden. In der Regel treten Hautverfärbungen oder -knoten zuerst auf. Diese Hautmanifestationen breiten sich häufig über den Rumpf oder auch auf die Arme oder den Kopf aus. Im weiteren Verlauf kommen dann allgemeine Krankheitserscheinungen hinzu. Die Patienten gehen mit Schwäche oder anderen Symptomen zum Arzt, der dann weitere Untersuchungen vornimmt.
Warum dauert es häufig recht lange, bis BPDCN erkannt wird?
Die initiale Hautmanifestation wird oft nicht als schwerwiegend wahrgenommen, erst bei Zunahme der Hautbeteiligung oder aber bei Hinzutreten anderer Symptome erfolgt der Gang zum Arzt und eine weitere Diagnostik. Abgeschlagenheit, Knochenschmerzen, aber auch Fieber deuten dann bereits auf eine Beteiligung anderer Organe hin. Hierbei ist vor allem die Knochenmarkinfiltration zu nennen, welche zu Blutarmut oder Infektionen aufgrund der Verdrängung der normalen Blutbildung führt. Auch Manifestationen im zentralen Nervensystem sind schwerwiegend und müssen möglichst früh diagnostiziert und behandelt werden. Je mehr Organe beteiligt sind, umso belastender und auch gefährlicher ist die Therapie für die Patienten. Der Verlauf ist individuell jedoch sehr unterschiedlich.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Diagnose der Erkrankung erfolgt in der Regel an Hautproben, aber auch an Proben des Knochenmarks oder anderer beteiligter Organe. Der Pathologe wird mithilfe von Oberflächenmarkern, die sich auf den Zellen befinden, versuchen, die Erkrankung näher einzuordnen. Diese Oberflächenmarker – in der Regel mit CD (Cluster of Differentiation) und einer Nummer bezeichnet – sind membrangebundene Eiweiße, die sich in einem bestimmten Muster auf all unseren Zellen finden. Bei bösartigen Erkrankungen ändern sich diese Oberflächenmerkmale und eine bestimmte Kombination dieser Marker erlaubt es, Erkrankungen eindeutig zuzuordnen. Die Diagnose einer BPDCN kann anhand der Kombination der Marker CD123, CD4, CD56 und des Fehlens anderer Marker gestellt werden.
Dr. med. Daniel Schöndube Chefarzt Klinik für Hämatologie und Leiter Zentrum für Hämatologische Neoplasien im Helios Klinikum Bad Saarow
Was passiert nach der Diagnosestellung?
In der Regel erfolgt die stationäre Aufnahme in einem Zentrum für Hämatologische Neoplasien, verbunden mit einer umfangreichen Diagnostik, um die genaue Krankheitsausbreitung zu bestimmen. Dies beinhaltet bildgebende Verfahren, wie Computertomografie oder Magnetresonanztomografie, aber auch Knochenmarkpunktion und die Untersuchung des Hirnwassers. Bei dieser seltenen Erkrankung sind Leitlinien, in Deutschland die der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, sehr hilfreich.1
Relativ schnell sollte die Suche nach einem Knochenmark- oder Stammzellspender eingeleitet werden, um die Erkrankung nach einer initialen Therapie auch langfristig mithilfe eines neuen Immunsystems kontrollieren zu können.
Wie wurden Betroffene bisher therapiert? Die Klassifikation der Erkrankung erfolgt erst seit 2016 unter dem Namen BPDCN, vorher erfolgte die Einordnung unter verschiedenen anderen Namen. Aufgrund der Überlappung mit anderen, damals besser charakterisierten Erkrankungen, orientierte man sich an der Therapie von Blutkrebserkrankungen, wie zum Beispiel der akuten lymphatischen Leukämie. Diese Therapien waren sehr intensiv, bedeuteten oft einen langen Krankenhausaufenthalt und viele Komplikationen. Trotz initial guter
Erfolge rezidivierte die Erkrankung schnell und das Überleben der Patienten war sehr begrenzt. Die allogene Stammzelltransplantation, als Therapieoption für ausgewählte Patienten, verbesserte die Therapieerfolge, viele Patienten erreichten diesen Therapieschritt jedoch nicht.
Welche neuen Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Hier handelt es sich um sogenannte zielgerichtete Therapien. Nach der Infusion bindet das spezifische Medikament in der Regel direkt an die bösartigen Zellen, diese nehmen das Molekül auf und schädigen die Zellen, sodass diese sterben. In der Therapie der Erkrankung ist dies eine wichtige Therapieoption, insbesondere neben der allogenen Stamzelltransplantation. Die bekannten Nebenwirkungen klassischer Chemotherapie treten nicht auf. Aufgrund des spezifischen Wirkmechanismus werden Schäden an anderen Zellen und Organen möglichst vermieden. Das Ziel ist, dass eine höhere Zahl von Patienten ein gutes Ansprechen erreichen und eine allogene Stamzelltransplantation erhalten können. Diese ist weiterhin eine intensive und nebenwirkungsreiche Therapie, allerdings wird die Therapieund Krankheitskontrolle besser. Kann eine allogene Stammzelltransplantation nicht erfolgen, so kann die anfängliche zielgerichtete Therapie weitergeführt werden. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung müssen wir natürlich insgesamt die Langzeitergebnisse der Studien abwarten, um die ermutigenden Ergebnisse besser einordnen zu können. Auch erreichen nicht alle Patienten eine dauerhafte Krankheitskontrolle, sodass eine Entwicklung anderer spezifischer Therapien notwendig erscheint.
Was bedeutet das für die Lebensqualität der Patienten?
Bei Diagnosestellung haben die meisten Patienten deutliche Beschwerden. Aufgrund des guten Ansprechens der zielgerichteten Therapie sistieren diese meist relativ schnell und schreiten nicht weiter voran, es treten weniger therapiebedingte Komplikationen auf. Die Therapie kann im Verlauf in kurzen Krankenhausaufenthalten oder sogar ambulant verabreicht werden. Die weitere Lebensqualität hängt dann maßgeblich vom Ergebnis und den Nebenwirkungen der allogenen Stammzelltransplantation ab..
„Mit 15 Jahren fing mein Leben erst an“
Herr Grote, wann wurde bei Ihnen Hämophilie diagnostiziert?
Als ich ins Krabbelalter kam, das war in den 50er-Jahren, bildeten sich bei mir riesige blaue Flecke, ich hatte Einblutungen an Armen und Beinen. Der Kinderarzt wusste nicht weiter und schickte meine Eltern und mich ins örtliche Krankenhaus. Weil die Ärzte auch dort überfragt waren, wurden wir in die Uniklinik Münster überwiesen. Dort wurde dann Hämophilie diagnostiziert.
„Schaut
Als man bei Ulrich Grote Hämophilie diagnostizierte, sagten die Ärzte, dass er eine Lebenserwartung von 14 Jahren hat.
Heute ist er 68 Jahre alt.
Wie sind die Ärzte damals mit der Diagnose umgegangen?
Ich bekam Bluttransfusionen, auch per Direktübertragung von meiner Mutter, die als Überträgerin der Krankheit sowieso schon einen stark verminderten Faktor-8-Gehalt hatte. Das brachte mir also gar nichts. Doch die Ärzte wussten es damals nicht besser.
Wie hat sich die Erkrankung auf Ihre Kindheit ausgewirkt?
Ich hatte keine normale Kindheit. Meine Eltern haben mich in Watte gepackt. Ihre große Angst, die absolut nachvollziehbar war, hat mich sehr eingeschränkt. Wegen der ständigen Gefahr, Einblutungen in den großen Gelenken zu erleiden, musste ich mich äußerst vorsehen. Zudem musste ich fast wegen jedem Zahnwechsel ins Krankenhaus. Einfach Kind sein – das hatte ich leider nicht.
Was war das einschneidendste Erlebnis mit der Hämophilie?
Ich habe mir zweimal hintereinander den Kopf gestoßen und daraus ist eine Gehirnblutung ent-
Redaktion Emma Howe
standen. Zum Glück war ich damals schon unter Faktor-8. Dadurch haben die Ärzte das sehr schnell in den Griff bekommen. 1973 habe ich gelernt, mich selbst zu spritzen – das war eine Revolution. Damit fing für mich ein relativ normales Leben an.
Wie hat sich die Therapie seitdem verändert?
Ich spritze mich momentan zweimal pro Woche. Die Präparate sind so fortschrittlich, dass man es quasi nebenbei machen kann. Wenn Kinder heute mit Hämophilie auf die Welt kommen, können sie dank der modernen Therapiemöglichkeiten ein nahezu normales Leben führen – das ist natürlich unglaublich toll.
Was gibt Ihnen die größte Sicherheit im Leben? An erster Stelle steht meine Frau, meine ganz große Liebe, und meine Freunde, Verwandten sowie mein kleiner Hund. Ich genieße es sehr, Hobbys und Leidenschaften zu haben und diese auch auszuleben. Meine größte Sehnsucht war immer, so normal wie möglich zu leben, und das ist dank der modernen Therapien wahr geworden – dafür bin ich sehr dankbar. .
nicht auf das, was nicht geht“
Herr Wolf, bitte geben Sie uns einen Einblick in Ihre Kindheit und Jugend. Als Kind und Jugendlicher war ich immer sehr aktiv und hatte, tatsächlich auch aus diesem Grund, wenig Probleme oder Blutungen. Ob Schwimmen, Tennis, Tischtennis oder auch einfach nur Sport mit Freunden auf dem Bolz- oder Spielplatz, meine Muskulatur war gut genug ausgeprägt, um Verletzungen und Blutungen vorzubeugen, und Bewegung war für mich genau die richtige Ergänzung zur Prophylaxe.
Benjamin Wolf ist 33 Jahre alt und hat eine schwere Hämophilie B. Einschränken lässt er sich durch seine Erkrankung nicht.
Wie geht es Ihnen heute?
Mein Motto lautet: Ein starker Muskel stützt die Gelenke und hilft gegen Verletzungen.
Wie sieht Ihre persönliche Therapie aus und wie ist die Kommunikation mit Ihrem Arzt?
Meine Behandlung stimme ich individuell mit meinem Arzt ab. Im Hämophilie-Zentrum in Bonn bin ich bei einem sehr fortschrittlichen und proaktiven Zentrum sehr gut aufgehoben. Meine Ärzte sind immer gut für mich erreichbar. Das ist vor allem dann wichtig, wenn ich Unternehmungen wie eine Reise planen möchte. Über neue Faktorpräparate oder digitale Angebote für meine Therapie, wie zum Beispiel Apps zur Therapiedokumentation, werde ich eigentlich immer zeitnah informiert. So konnte ich an einer Testversion für eine App zur digitalen Dokumentation teilnehmen und führe nun schon viele Jahre meine Dokumentation per App durch.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen?
Das Thema Reisen und dabei spontane Entscheidungen treffen zu können ist wohl die größ-
Redaktion Leonie Zell
te Herausforderung. Work & Travel wäre für mich zum Beispiel kompliziert. Ich muss meine Urlaube gut planen, dabei helfen mir Informationen wie: Wo sind Behandlungszentren? Wie und wo bekomme ich meinen Faktor? Habe ich alle wichtigen Dokumente wie eine Zollbescheinigung dabei?
Welche Tipps möchten Sie anderen Betroffenen geben?
Schaut nicht immer auf das, was nicht geht, sondern vielmehr auf das, was geht. Es gibt viele interessante Sportarten wie Rudern oder Schwimmen. Sucht euch Hobbys und Berufe, in denen ihr trotz eventueller Einschränkungen aufgeht und die ihr gerne macht. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen und motivieren, weil es gerade jüngeren Betroffenen und deren Angehörigen aufzeigt, wie weit wir schon mit den uns zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten gekommen sind, Stichwort Heimselbstbehandlung und verlängerte Halbwertszeit der Faktorpräparate. Diese Möglichkeiten hatten die älteren Generationen noch nicht..
Foto: privat
Foto: privat
Arzt und Patient: „Zusammenarbeit und Kommunikation fördern eine optimale Behandlung“
Ein Interview mit Prof. Dr. Johannes Oldenburg.
Prof. Dr. Johannes Oldenburg Facharzt für Transfusionsmedizin, Hämostaseologie und Medizinische Genetik, Direktor des HämophilieZentrums Bonn
Was ist der Unterschied zwischen Hämophilie A und B?
Bei der Hämophilie A fehlt der Gerinnungsfaktor VIII, bei der Hämophilie B fehlt der Gerinnungsfaktor IX. Die Hämophilie A ist mit etwa 6.000 Patienten in Deutschland etwa siebenmal häufiger als die Hämophilie B mit etwa 800 Patienten. Jeweils etwa die Hälfte der Patienten hat eine schwere Verlaufsform. Die Blutungssymptome unterscheiden sich bei Hämophilie A und Hämophilie B nicht.
Welche Symptomatik ist typisch für die Erkrankung?
Insbesondere bei der schweren Verlaufsform sind Muskel- und Gelenkblutungen typisch. In seltenen Fällen können auch lebensbedrohliche Blutungen in innere Organe oder auch in das Gehirn auftreten. Diese Blutungen können auch spontan, also ohne äußeren Anlass, geschehen. Besondere Bedeutung haben die Gelenkblutungen, da diese über die Jahre zu bleibenden Gelenkschäden und Behinderungen führen können.
Wie wird die Hämophilie diagnostiziert?
In der Regel fallen Säuglinge dadurch auf, dass beim Krabbeln vermehrt blaue Flecken entstehen. Oft gibt es in der Familie aber auch schon Betroffene mit einer Hämophilie, sodass bei Neugeborenen direkt entsprechende Tests durchgeführt werden.
Wie sieht die Hämophilie-Therapie heute aus?
Die Hauptform der Behandlung ist eine vorbeugende Vermeidung von Blutungen durch die regelmäßige Gabe von Faktorenkonzentraten bzw. bei der Hämophilie A alternativ die Behandlung mit einem monoklonalen Antikörper. Diese Medikamente werden im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von den Patienten – oder bei kleinen Kindern von den Eltern – selbst zu Hause verabreicht.
Warum ist die Arzt-Patienten-Kommunikation so wichtig, und wie kann diese bestmöglich gewährleistet werden?
Die Hämophilie ist eine lebenslang bestehende Erkrankung. Die Blutungsfolgen, insbesondere der Gelenkblutungen, zeigen sich oft erst nach vielen Jahren. Daher ist es wichtig, Blutungen im Idealfall durch eine gute Behandlung nahezu vollständig zu vermeiden. Hierfür ist die Betreuung in Hämophilie-Zentren wichtig, da dort die notwendige Erfahrung mit dem Krankheitsbild bzw. -verlauf und den Medikamenten besteht. In Hämophilie-Zentren stehen in der Regel auch Teams aus Gerinnungsspezialisten, Orthopäden, Physiotherapeuten und anderen Fachdisziplinen zur Verfügung, um multidisziplinär die Erkrankung optimal zu behandeln. Ganz wichtig ist auch die Mitarbeit des Patienten selbst, denn die Behandlung erfolgt lebenslang und schon wenige Blutungen können Jahre später zu irreversiblen Gelenkschäden führen. Die Kommunikation sollte partnerschaftlich sein, da nur die gute Zusammenarbeit und Kommunikation von Arzt und Patient bei dieser chronischen Erkrankung ein gutes Behandlungsergebnis gewährleistet.
Unterstützt wird die Patienten-Arzt-Kommunikation durch moderne Apps, bei denen der Patient in Echtzeit seine Behandlung und auch seine Blutungen dokumentieren kann sowie weitere Informationen festhalten kann. Diese Apps können auch die aktuelle Faktorenaktivität und damit den Schutz vor Blutungen bzw. den Zeitpunkt der nächsten Medikamentengabe anzeigen. Das Telefon bleibt aber im Notfall das wichtigste Kommunikationswerkzeug mit dem Zentrum, um direkt die notwendigen Maßnahmen einzuleiten..
Redaktion Leonie Zell
LIBERATION MAP
Leitfaden für Patienten – Optimieren Sie Ihre Arztgespräche und Ziele
Für wen wurde die Liberation Map entwickelt?
Die Liberation Map ist für Hämophilie-Patienten und Eltern von Kindern mit Hämophilie entwickelt worden. Sie wurde gemeinsam mit Patienten und Behandlern erarbeitet und in drei europäischen Hämophilie-Zentren getestet.
Was ist die Liberation Map?
Die Liberation Map ist ein kurzes Quiz mit acht Fragen. Mittels einer Skala von 1 bis 5 können Sie Ihre aktuelle Zufriedenheit in acht verschiedenen Kategorien bewerten, um so zu erkennen, in welchen Lebensbereichen Sie sich eine Verbesserung wünschen. Am Ende des Quiz erhalten Sie eine auf Sie persönlich zugeschnittene Map.
Die treffendste Antwort ist meist diejenige, die Ihnen zuerst einfällt. Es gibt keine richtige oder falsche Antwort!
Wo finde ich zusätzliche Infos zu den Bereichen, die ich verbessern möchte?
Jede Kategorie der Liberation Map ist mit vielen nützlichen Informationen verlinkt, die Sie bei Ihrer Hämophilie-Behandlung und Ihren Zielen unterstützen können.
Kann ich meine Liberation Map speichern? Sie können Ihre persönliche Map auf dem Computer oder Smartphone speichern, ausdrucken und zum nächsten Termin mitnehmen.
Was geschieht mit meinen Daten?
Es ist keine Registrierung notwendig, um die Liberation Map zu nutzen. Entsprechend unseren Richtlinien werden Ihre Daten nicht weitergegeben oder gespeichert.
Hier geht es zur Liberation Map: www.liberatelife.de/deine-liberation-map
Lebersche hereditäre Optikusneuropathie
„Selten, aber nicht allein“
Als Nadine Rokstein 16 Jahre alt ist, bekommt sie Probleme mit den Augen. Anfangs denkt sie sich nichts dabei und geht zum Augenarzt. Dass die seltene Erkrankung LHON dahintersteckt, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.
Nadine, wann und wie haben Sie bemerkt, dass Sie nicht mehr so gut sehen können?
Das war ca. im November 2011. Ich war zu diesem Zeitpunkt 16 und wollte mich abends für eine Party fertig machen. Als ich mich schminken wollte, merkte ich beim Auftragen der Wimperntusche, dass auf dem linken Auge fast alles Dunkel war. Ich konnte kaum Licht wahrnehmen. Im Alltag ist dies kaum aufgefallen, da das rechte Auge noch nicht betroffen war und somit das linke Auge ausgleichen konnte.
Der Weg bis zur Diagnose war nicht leicht. Bitte erzählen Sie uns davon. Fünf Monate habe ich auf eine Diagnose „gewartet“. Gewartet bedeutet nicht, dass ich Däumchen gedreht habe. Es waren unzählige Tests nötig. Vor allem weil LHON oft mit MS oder einem Hirntumor verwechselt wird. Dies musste ausgeschlossen werden. Ich habe im Dezember die meiste Zeit im Krankenhaus gelegen und durfte über die Feiertage wieder nach Hause. Von Kortison-Stoßtherapien über Lumbalpunktionen bis hin zur Plasmapherese war alles dabei. Mein letzter Aufenthalt im Krankenhaus war im Februar 2012. Die Diagnose bekam ich dann Anfang März.
Die Diagnose wurde durch einen Gentest gestellt. Wie wurde dieser durchgeführt?
Von dem Gentest habe ich nichts mitbekommen. In dieser Zeit wurde mir ständig Blut abgenommen, sodass ich gar nicht sagen kann, welche Abnahme letztendlich dafür verantwortlich war. Ich habe mich über ein Pharmaunternehmen informiert, wie die Diagnostik verläuft. Da ich die Mutation 11778 habe, konnte meine Diagnostik über die Sequenzanalyse nach Sanger stattfinden. Mit dieser sind die drei typischen Mutationsformen erkennbar.
Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die Diagnose erhalten haben? Hatten Sie vorher schon einmal von LHON gehört?
Nein, LHON war mir genauso unbekannt, wie es da draußen wahrscheinlich für einige Le-
ser ist. Seltene Erkrankungen gehören leider nicht zum Lernstoff in Biologie.
Die Diagnose war wie ein Faustschlag, weil ich damit einfach nicht gerechnet hatte. Ich war vor der Bekanntmachung noch davon ausgegangen, dass es irgendwelche Tabletten geben würde und ich dann mein gewohntes Leben fortführen kann. Dass es nicht so sein würde, löste ein großes Gefühlschaos aus.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Mein Leben war von Kunst und Kreativität geprägt. Ich wollte Fotografin werden, Fotografie und Medien studieren und machte gerade einen Abschluss in Gestaltung. Dies als Sturkopf alles abzubrechen und mich von meinem Traum zu verabschieden, war nicht leicht. Plötzlich sollte ich in eine Werkstatt für behinderte Menschen, sollte auf eine spezielle Schule und ich habe Freunde verloren. Es war keine einfache Zeit und ich war weiß Gott kein einfacher Mensch. Aber ich habe mich mittlerweile gefunden.
Wie wurden und werden Sie therapiert? Damals habe ich ein Medikament bekommen, da das bei mir aber keinen Effekt erzielt hat, habe ich die Therapie abgebrochen. Für mich war das ein wichtiger Schritt. Dadurch habe ich gelernt, meine Erblindung zu akzeptieren. Es gibt jedoch Studien mit vielversprechenden Daten zu einer neuen Gentherapie. Weitere Informationen darüber findet man u. a. auf der Website der Selbsthilfegruppe PRO RETINA e. V.
Wie geht es Ihnen heute mit der Erkrankung? Mir geht es gut. Damals ist alles sehr schnell gegangen. Die Diagnose habe ich im März bekommen, das zweite Auge war schon im Februar betroffen und kurz nach der Diagnose galt ich bereits als blind. In Deutschland gilt man ab einem gemessenen Visus von zwei Prozent und weniger als blind. Das hat sich bis
Mehr von Nadine: www.instagram.com/ stoeckchen_mit_lhon, www.stockundstein. org
heute nicht mehr verändert.
Ich habe nach dem Studium der Sozialen Arbeit ein paar Jahre in dem Beruf gearbeitet. Mittlerweile studiere ich Journalismus, schreibe Kolumnen, bin Aktivistin für Inklusion und kläre auf diversen Plattformen über Sprache, Behinderungen und Antidiskriminierung auf.
Welchen Rat möchten Sie anderen Betroffenen geben?
Ihr dürft wütend, traurig und ratlos sein. All eure Gefühle sind valide. Aber mit einer Behinderung seid ihr nicht weniger wert. Und vor allem seid ihr nicht allein. Auch wenn sich das mit einer seltenen Erkrankung oft so anfühlen kann. Wir sind da draußen und wir sind ca. vier Millionen Menschen in Deutschland. Es gibt Gruppen und Selbsthilfeorganisationen, die sich mit LHON beschäftigen. Sei es auf Social Media, die PRO RETINA Deutschland e. V. oder der LHON Deutschland e. V..
LHON-Fakten
• LHON ist eine seltene, mitochondriale Erkrankung, die durch eine Sehnervstörung zu einer massiven Visusminderung im zentralen Gesichtsfeld führen kann. Dies wird durch eine Mutation im Erbgut verursacht, welche sich im Folgenden auf den Sehnerv und damit auf das Sehvermögen des Betroffenen auswirkt.
• In der Forschung geht man von einer Prävalenz von 1:50.000 auf. Man schätzt, dass es in Deutschland jährlich rund 80 Neuerkrankungen gibt.
• Männer sind rund viermal häufiger von einer LHON betroffen als Frauen.
Weitere Informationen unter: www.proretina.de und www.lhon-deutschland.de
Redaktion Emma Howe
Foto: privat
GENTHERAPIEN bei seltenen Erkrankungen der Netzhaut
GenSight Biologics ist ein französisches BiotechnologieUnternehmen, das sich auf die Entdeckung, Entwicklung und Vermarktung neuartiger Therapien für Patientinnen und Patienten mit schweren neurodegenerativen Erkrankungen der Netzhaut spezialisiert hat. Dabei fokussieren sich die innovativen Therapieansätze besonders auf Patientinnen und Patienten mit Leberscher hereditärer Optikusneuropathie (LHON) und Retinitis pigmentosa.
Neue Gentherapie für Patientinnen und Patienten mit Leberscher hereditärer Optikusneuropathie
Eine Gentherapie beinhaltet den Transfer von Genen in Zellen, entweder um defekte Gene zu ersetzen, die eine Krankheit verursachen (z. B. weil sie kein funktionsfähiges Protein herstellen), oder um therapeutische Proteine lokal zu produzieren. Für LHON-Patientinnen und -Patienten befindet sich derzeit eine Gentherapie, die aus der Forschung am Institut de la Vision in Paris hervorgeht und in einem klinischen Studienprogramm bei mehr als 200 Patientinnen und Patienten mit LHON entwickelt wurde, im europäischen Zulassungsprozess. Der gentherapiebasierte Ansatz ist so konzipiert, dass beide Augen mittels einer intravitrealen Injektion behandelt werden. Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine nachhaltige Wiederherstellung des Sehvermögens und eine weitgehende Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Der Antrag für die Marktzulassung ist eingereicht und wird derzeit von der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) begutachtet.
Neben der Gentherapie für LHON-Betroffene untersucht GenSight Biologics eine Behandlung zur Wiederherstellung des Sehvermögens bei Patientinnen und Patienten, die an Retinitis pigmentosa leiden.
Ja zum Leben –trotz seltener Erkrankung
Trotz der häufig massiven krankheitsbedingten Einschränkungen zeigen Menschen mit DuchenneMuskeldystrophie (DMD) oft eine außerordentlich lebensbejahende Haltung und ausgeprägten Lebensmut. Einer von ihnen ist Benni.
Redaktion Kristina Kempf
Benni Over ist ein Botschafter für die Orang-Utans. Seit mehreren Jahren setzt er sich für die Rettung der rothaarigen Waldmenschen und ihren Lebensraum, den Regenwald, ein und kämpft damit auch für eine bessere Welt für uns alle. Benni hat Duchenne-Muskeldystrophie, sitzt seit seinem zehnten Lebensjahr im Rollstuhl und kann nur seine Finger bewegen. Seit einem Herzstillstand im Dezember 2016 und einem lebensrettenden Luftröhrenschnitt ist Benni hauptsächlich auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Aber all das hält ihn nicht auf!
Für Benni begann alles mit einem Zoobesuch, bei dem er in die Augen eines OrangUtans blickte und sich daran erinnerte, wie er seine Seele, sein Charisma und seine Loyalität spürte. Zu Hause angekommen, erforschte er die Tiere und saugte alles Wissen auf. Der Traum war geboren, diese Lebewesen einmal zu erleben – außerhalb eines Zoos. Benni und sein Vater veröffentlichten das Kinderbuch „Henry rettet den Regenwald“ über die Orang-Utans und die Zerstörung ihres Lebensraums – vor allem durch die Abholzung der Wälder zur Palmölgewinnung. Das Buch soll die Leser für ihre Verantwortung gegenüber der Natur sensibilisieren. Jeder kann etwas tun. Man kann zum Beispiel frisch kochen und darauf achten, dass man keine palmölhaltigen Produkte im Supermarkt kauft. Das ist nicht einfach, denn Palmöl ist in einer Vielzahl von Produkten enthalten, von Fertiggerichten über Süßigkeiten bis hin zu Waschmitteln und Kosmetika. Aber der Verzicht auf Palmöl könnte die Industrie zum Umdenken zwingen.
Der Fortbestand der Regenwälder ist für uns alle lebenswichtig, denn in den Bäumen und Böden der Regenwälder sind
große Mengen an Kohlendioxid gespeichert. Wenn die Wälder abgeholzt werden, kön nen sie kein CO2 mehr aufnehmen. Der Regenwald beherbergt nicht nur zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, sondern spielt auch eine wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf.
Normalerweise hält Benni persönliche Vorträge, zum Beispiel in Schulen, und gibt sein Wissen und seine Erfahrungen weiter, auch als Denkanstoß. Bei der C OVID -Pandemie wurden er und seine Familie vor eine große Herausforderung gestellt. Aufgrund seiner Krankheit musste Benni besonders geschützt werden. Das bedeutete monatelange Isolation. Und hier kam zum Glück die Digitalisierung ins Spiel. Die Eltern von Benni organisierten Zoom-Treffen mit Freunden und Bekannten. Sie schwelgten in Erinnerungen, redeten, planten und fühlten sich dadurch wieder näher.
Doch das war Benni nicht genug. Er bot seine sonst live gehaltenen Vorträge online an. Die Zielgruppe waren Seniorenheime und Schulen. Alles konnte nun online stattfinden. Die Berichte wurden mit eindrucksvollen Videos gekrönt, sodass es für jeden anschaulich wurde, warum der Regenwald für uns alle so immens wichtig ist.
Die C OVID -Zeit war herausfordernd und Benni hat einmal mehr bewiesen, dass er neue Wege gehen und flexibel reagieren kann. Die Digitalisierung hat ihm auch geholfen, in regelmäßiger Kommunikation mit Indonesien zu stehen, sodass er immer über die neuesten Fortschritte und Entwicklungen informiert war. Lasst uns alle Benni als Inspiration nehmen. Lasst uns die Welt zu einem besseren Ort machen. Lasst uns träumen und handeln und lasst uns unseren täglichen Luxus überdenken und auf
Dinge verzichten, die unserem Planeten schaden. Benni möchte etwas bewegen und weiß: Jeder kann etwas tun, um die Welt ein bisschen besser zu machen – schließen Sie sich ihm an? .
Buchtipp
Benni liebt Orang-Utans so sehr, dass er die rothaarigen Menschenaffen unbedingt einmal in ihrer Heimat auf der Insel Borneo besuchen will – trotz der unheilbaren Erbkrankpheit DMD. Wie Benni dennoch 15.000 Kilometer weit im Rollstuhl nach Indonesien reist, davon erzählt dieses Buch. Seine Familie und Helfer machen das Unmögliche möglich und so besucht er Orang-UtanCamps, trifft Umweltschützer, begegnet den einheimischen Dayak und begeistert ganze Schulklassen mit seinem intensiven Lebensmut. Mit seiner Offenherzigkeit und seiner inneren Stärke reißt er andere Menschen mit, ohne dass er viele Worte machen muss.
Fotos: privat
WAS IST DUCHENNE
MUSKELDYSTROPHIE
(DMD)? 1–4
Jeder Tag zählt! Duchenne-Muskeldystrophie erkennen
Hinter Entwicklungsverzögerungen, speziell bei Jungen, kann mehr stecken. Auch wenn sich eine verzögerte Entwicklung in den wenigsten Fällen auf eine ernsthafte Erkrankung zurückführen lässt, kann in vereinzelten Fällen eine seltene genetische Erkrankung mit dem Namen Duchenne-Muskeldystrophie (kurz DMD) der Grund sein.
Gastbeitrag
Aber was ist DMD? Es handelt sich dabei um eine schwere und lebensbedrohende Erkrankung, die bei ungefähr einem von 3.600 bis 6.000 männlichen Neugeborenen auftritt. Durch eine Veränderung in der Erbsubstanz fehlt das Muskelprotein Dystrophin. Als Folge kommt es bei Jungen ab der frühesten Kindheit zum Abbau der Bewegungsund später zum Abbau der Atem- und Herzmuskulatur. In anderen Worten: Die Muskelschwäche nimmt im Laufe der Zeit zu und breitet sich auf den ganzen Körper aus. Einmal zugrunde gegangene Muskeln können nicht wieder repariert werden. Deswegen ist es so wichtig, die Erkrankung früh zu erkennen, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
Verlust der Gehfähigkeit Rollstuhlpflicht Lungen- und Herzkomplikationen
DMD führt zu einem progredienten Verlust der körperlichen Funktionsfähigkeit über definierte Erkrankungsstadien
Vorzeitige Sterblichkeit (3. Lebensjahrzehnt)
Die frühen Zeichen der DMD zu erkennen, ist eine Herausforderung, denn die DMD ist anfänglich schwer zu diagnostizieren und „unspezifisch“ in Form von Entwicklungsverzögerungen im Vergleich zu Gleichaltrigen. Kinder mit DMD können bei der Geburt normal erscheinen und erreichen sehr frühe Meilensteine der motorischen Entwicklung. Unspezifische Frühsymptome können jedoch bereits im Säuglingsalter auftreten. Üblicherweise treten erste Symptome im Alter von zwei bis drei Jahren auf. Bei der U7-Untersuchung können frühe Anzeichen und Symptome festgestellt werden. Die U7 erfolgt für gewöhnlich zwischen dem 21. und 24. Lebensmonat. Neben einer körperlichen Untersuchung wird besonders auf die geistige Entwicklung sowie die Entwicklung der Sprache geachtet.
Zu den frühen Zeichen einer möglichen DMD gehören Verzögerungen beim Sprechen, Bewegen und Lernen. Im Vergleich zu Gleichaltrigen wirken Kinder mit DMD weniger geschickt, schneller erschöpft und insgesamt „langsamer“. Der Kinderarzt wird bei Verdacht einen einfachen Bluttest, den sogenannten CK-MM-Test, durchführen. .
Neue App zur Unterstützung von Duchenne-Patienten und ihren Familien!
Sie oder Ihr Kind leiden an Duchenne-Muskeldystrophie?
Die neue App „Duchenne und ich“ unterstützt Sie mit wichtigen Informationen und weiteren Zusatzfunktionen
Weitere Informationen zur DuchenneMuskeldystrophie finden Sie unter: www.hinterherstattvolldabei.de, www.duchenne.de und www.ptcbio.de
1. Alle Daten auf einen Blick
2. Hilfebereich & Notfallkontakte
3. Persönliche Assistenz beantwortet Fragen
4. Keine externe Datenspeicherung
DER NEUE BEGLEITER FÜR
Dashboard
Zusammenfassende Liste relevanter Daten zu Gesundheit und Wohlbefinden
Zeitplan
Strukturieren Sie Tag und Termine, speichern Sie Medikamenteneinnahme und Aktivitäten
Medizinische Daten
Gelangen Sie mit nur einem Klick zu medizinischen Daten und fügen Sie Behandlungsdetails hinzu
Persönliche Assistenz
Lassen Sie sich von der integrierten persönlichen Assistenz offene Fragen beantworten
Notfallinformationen
Seien Sie für Notfälle gewappnet! Informationen und Ansprechpartner zu Duchenne
Privatsphäre
Die eingegebenen Daten werden nur auf Ihrem Handy gespeichert – eine externe Speicherung auf Servern erfolgt nicht
Die App „Duchenne und ich“ wird von PTC Therapeutics bereitgestellt und unterstützt. Sie soll Duchenne-Patienten und deren Angehörigen zur Seite stehen, ihren Alltag erleichtern und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen.
Hereditäres Angioödem
„Den Attacken vorbeugen“
Die plötzlichen Schwellungsattacken des Hereditären
Angioödems, kurz HAE, begannen bei Franziska von Werder bereits in der Jugend. Im Interview spricht sie über ihr Leben mit der seltenen Erkrankung.
Redaktion Leonie Zell
Franziska, Sie sind einer von etwa 1600 Patienten in Deutschland mit der Diagnose HAE. Mit welchen Symptomen hat sich die seltene, genetische Erkrankung erstmals bei Ihnen gezeigt?
Meine erste Attacke hatte ich mit 14 Jahren. Mit der Einnahme der Anti-Baby-Pille bekam ich Schwellungen im Gesicht, meine Lippe war fünfmal so dick und ich wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Da meine Mutter ebenfalls betroffen ist, war schnell klar, dass ich auch HAE habe. Dieses „Glück“ hat ja aber nicht jeder. Ich weiß, dass viele Betroffene von Arzt zu Arzt laufen und es teilweise Jahre dauert, bis sie eine Diagnose erhalten.
Wie äußern sich Attacken?
Bei mir sind es meistens Attacken in den Extremitäten, in den Händen und Füßen. Manchmal sind auch die Unterarme und Ellenbogen betroffen. In den letzten Jahren kamen Magenattacken hinzu. Dabei schwillt der Magen an, was starke Magenkrämpfe und Erbrechen zur Folge hat.
Welche Herausforderungen gibt es für Menschen mit HAE?
Die Attacken machen das Leben weniger planbar und können theoretisch auch lebensbe drohlich werden. Persönlich habe ich mich aber nie wirklich eingeschränkt gefühlt. Durch meine familiäre Vorbelastung bin ich früh von Experten betreut worden, die sich gut mit HAE auskannten. Ich hatte immer meine Akutmedikation dabei und konnte ein relativ normales Leben führen. Aber als ich in eine andere Stadt gezogen bin, habe ich auch anderes erlebt. Da musste ich den Ärzten erklären, was HAE ist und auch, dass manche Therapievorschläge nicht helfen, beispielsweise Kortison.
Wie werden Sie therapiert?
Schwellungen, beispielsweise an der Hand, sind ja auch nicht zu übersehen. Natürlich ist es mir auch etwas unangenehm, weil es nicht schön aussieht, wenn man eine dicke Ballonhand hat. Wenn jemand Außenstehendes fragt, was das ist, beantworte ich immer gern jede Frage dazu. Mir ist es wichtig, über HAE aufzuklären.
Gibt es Situationen, in denen Sie sich eingeschränkt fühlen?
Anfangs hatte ich eine Akuttherapie. Immer wenn ich eine Attacke hatte, bekam ich eine Spritze, intravenös. Später bin ich auf ein subkutanes Mittel gewechselt. Immer wenn ich eine Attacke hatte, habe ich mich subkutan gespritzt.
Wie offen gehen Sie mit der Erkrankung um? Eigentlich sehr offen. Sowohl mein Arbeitgeber als auch alle meine Freunde wissen Bescheid.
HAE schränkt mich eigentlich gar nicht ein. Durch meine Therapie kann ich ein normales Leben führen. Das Wichtigste ist, dass Betroffene schnell eine Diagnose erhalten. Denn wenn die Diagnose einmal steht, ist die Herausforderung eher eine organisatorische. Ich nehme inzwischen regelmäßig ein Medikament als Kapsel zur Prophylaxe, habe aber vorsichtshalber auch immer meine Akutmedikation dabei. Aber davon abgesehen mache ich alles, was Nichtbetroffene auch können: Ich habe studiert, ich arbeite, mache Sport, gehe feiern, fahre in den Urlaub und plane meine Zukunft. .
Was macht die Diagnose HAE oft so schwierig?
HAE ist selten und an seltene Dinge denkt man erst, nachdem man an die häufigen Dinge gedacht hat. Das ist aber nicht das eigentliche Problem, denn das geht vielen Patienten mit vielen verschiedenen seltenen Erkrankungen so. Nun kommt beim Hereditären Angioödem dazu, dass die Ausprägung ganz unterschiedlich sein kann. Es gibt also Patienten, die haben vornehmlich oder ausschließlich Schwellungen im Bauchraum. Das ist etwas ganz anderes als die Lage bei Patienten, bei denen vornehmlich die Hände schwellen oder die Lippe oder die Augen. Die gehen vielleicht auch zu ganz unterschiedlichen Ärzten. Der erste Patient geht vielleicht zu einem Gastroenterologen, weil er zu Recht denkt, da ist irgendetwas nicht richtig mit dem Verdauungstrakt, und der nächste geht vielleicht zu einem Allergologen, weil er denkt, irgendwas ist doch da, was mich andauernd anschwellen
Prof. Dr. Marcus Maurer
Angioödem-Referenz- und Exzellenzzentrum, Charité Berlin
Foto: Charité-IFA
lässt, und so ist diese unterschiedliche klinische Abbildung der Erkrankung ganz häufig ein Grund dafür, dass sie erst spät erkannt wird. Beim Hereditären Angioödem haben wir als Diagnostiker den Vorteil, dass es eine familiäre Erkrankung ist. Dass wir also die Frage stellen können, gibt es da noch andere Menschen in der Familie, die ein ähnliches Beschwerdebild haben, und wenn die Antwort Ja ist, dann muss uns das an HAE denken lassen. Aber wenn die Antwort Nein ist, muss ich trotzdem weiter daran denken, weil es sein kann – und das ist für das Hereditäre Angioödem relativ speziell –, dass dies ein Patient ist, der die Mutation erworben hat im Sinne von spontan erworben, ohne dass jemand früher in der Familie das auch schon gehabt hat. Das sind die Herausforderungen, wenn es um die Diagnostik des HAE geht..
Fotos: privat
Sag wieder „HAEllo“ zum Leben!
Menschen mit seltenen Erkrankungen brauchen besondere Unterstützung
Gastbeitrag
PHAEllo zum Leben – eine Initiative der BioCryst Pharma Deutschland GmbH
Weitere Informationen unter www.haellozumleben.de sowie auf Facebook und Instagram @haellozumleben
Approval-Nr. DE.HAE.00089 Stand 02/2023
lötzliche Schwellungen im Gesicht, im Hals, an den Gliedmaßen oder kolikartige Bauchkrämpfe – bei solchen Symptomen, die oft als Lebensmittelunverträglichkeit, Allergie oder Blinddarmentzündung fehlgedeutet werden, kann die seltene Erkrankung Hereditäres Angioödem (engl. hereditary angioedema, kurz: HAE) dahinterstecken.
HAE ist eine chronische genetische Erkrankung und gekennzeichnet durch wiederkehrende, attackenartige Schwellungen verschiedener Körperteile und Organe.
Schätzungsweise leben in Deutschland etwa 1600 Menschen mit einem diagnostizierten HAE, vermutlich gibt es aber mehr Betroffene, die (noch) keine Diagnose haben: Da die Erkrankung so selten ist, kann es für Betroffene schwierig sein, eine Ärztin oder einen Arzt zu finden, die oder der die Symptome richtig deutet. Oft vergehen Jahre bis zur gesicherten Diagnose, ArztOdyssee bei verschiedenen Fachrichtungen von Dermatologie über Allergologie bis HNO inklusive. Wichtig ist daher, sich bei unklarer Diagnose rechtzeitig an ein Zentrum für Seltene Erkrankungen oder ein HAE-Zentrum überweisen zu lassen. Denn mit dem passenden medikamentösen Management ist mit HAE ein nahezu normales Leben möglich.
im Kopf statt. Ständig kreisen Fragen: Wie lässt sich die Erkrankung gut kontrollieren und das Leben so planen, wie ich es mir vorstelle? Kann ich eine Ausbildung machen, studieren, das tolle Jobangebot annehmen? Kann ich meinen Familienalltag organisieren, unbeschwert mit Freunden ausgehen, Hobbys nachgehen, in den Urlaub fahren? Was muss ich beachten, wenn ich eine Familie gründen will? Wie schaffe ich es, weiter mutig zu sein?
Nicht zu wissen, wann die nächste Attacke kommt, kann es für Betroffene zum einen schwierig machen, ihr Leben zu planen. Zum anderen kann die ständige Sorge viel Raum im Kopf einnehmen.
Wieder „HAEllo“ zum Leben sagen können Hier setzt die Initiative „HAEllo zum Leben“ an: Über Informationen zur Erkrankung und ihrem Management, wie etwa den Behandlungsempfehlungen der aktuellen Leitlinie, Aktionswochen und digitalen Expertensprechstunden sollen Menschen mit HAE zum einen ermutigt werden, sich bei ihrem Arzt nach einem wirksamen HAEManagement zu erkundigen. Zum anderen sollen sie darin bestärkt werden, dass ein selbstbestimmtes, gutes Leben auch mit dieser Erkrankung möglich ist.
Servicematerialien und Tipps gibt es etwa zu diesen Themen:
• Trigger, die Attacken auslösen können
• Selbstbewusst im Arztgespräch
• Reiseplanung inklusive Checkliste
• Selbstachtsamkeit
• Entspannungstechniken
• Tipps für mehr Selbstbewusstsein
HAE findet auch im Kopf statt Nicht zu wissen, wann die nächste Attacke kommt, kann es für Betroffene zum einen schwierig machen, ihr Leben zu planen. Zum anderen kann die ständige Sorge viel Raum im Kopf einnehmen. Beides kann die Lebensqualität erheblich mindern. Für ein gutes Leben mit HAE ist daher nicht nur die Kontrolle der Krankheit wichtig, sondern auch, einen guten Umgang mit den Belastungen zu finden. Denn HAE findet auch
• Anlaufstellen
Da es für Menschen mit einer seltenen chronischen Erkrankung wie HAE beruhigend sein kann, zu wissen, dass sie nicht allein sind und auch andere die gleichen Fragen haben, soll ausdrücklich, gerade auf Social Media, der Austausch Betroffener untereinander gefördert werden – stets mit dem Ziel, wieder „HAEllo“ zum Leben sagen zu können. .
zum Leben!
Allergie?
Darmerkrankung? Insektenstich?
Plötzliche Schwellungen im Gesicht, im Hals, an den Gliedmaßen und Bauchschmerzattacken können die seltene Erkrankung Hereditäres Angioödem (HAE) sein.
Du weiß nicht, ob du HAE hast? Du hast schon eine Diagnose und fragst dich, wie es jetzt weitergeht?
Informiere dich bei der Patienteninitiative „HAEllo zum Leben“! Dort findest du
• hilfreiche Tipps für ein gutes Leben mit HAE
• Patienten-Insights
• Anlaufstellen
• und vieles mehr
Sag wieder „HAEllo“ zum Leben!
HAEllo zum Leben – eine Initiative der BioCryst Pharma Deutschland GmbH
Weitere Informationen unter www.haellozumleben.de sowie auf Facebook und Instagram
Zentren für Seltene Erkrankungen
Hier finden Betroffene Hilfe
Was Zentren
für Seltene Erkrankungen leisten können, wenn es keine sichere Diagnose gibt oder Experten gebraucht werden
Manche Erkrankungen sind so selten, dass sie bislang nicht einmal beschrieben sind. Andere sind zwar beschrieben, bekannt aber sind sie nicht – schon gar nicht jedem Arzt. Menschen, die eine seltene Erkrankung haben oder haben könnten, fühlen sich daher oft alleingelassen und hilflos.
Um diese Situation zu verbessern, wurden in Europa seit 2010 nationale Aktionspläne entwickelt. Der deutsche Nationale Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) benannte als zentrale Maßnahme die Einrichtung von Zentren für Seltene Erkrankungen. 36 solcher „A-Zentren“, zumeist an Universitätskliniken angesiedelt, sind seitdem in Deutschland entstanden.
Die Zentren erfüllen zwei wichtige Aufgaben:
Für Menschen, die bislang keine gesicherte Diagnose erhalten haben, werden Fallkonferenzen unter Einbindung verschiedener Fachrichtungen organisiert, die über weitere Schritte in der Diagnostik entscheiden. Sollten hierfür genetische Untersuchungen oder andere, nicht in der Routine verfügbare Methoden nötig sein, kann dies vom Zentrum eingeleitet werden.
Wurde eine Diagnose gestellt, die einer besonderen Expertise für weitere Diagnostik und Therapie bedarf, gibt es unter dem Dach eines jeden Zentrums mindestens fünf „NAMSE Zentren Typ B“: Diese verfügen über spezielles Fachwissen zu einzelnen seltenen Krankheitsbildern.
Die Zentren sind über die ganze Bundesrepublik verteilt, sodass eine gute Erreichbarkeit gegeben ist. Die standortübergreifende Zusammenarbeit in einem Netzwerk stellt sicher, dass die notwendige Expertise allen Patienten
ortsunabhängig zugänglich ist. Auch international ermöglicht dies die Einbindung in Europäische Referenznetzwerke für Seltene Erkrankungen (ERN). Sollte eine persönliche Vorstellung notwendig sein, werden den Patienten konkrete Ansprechpartner empfohlen. Die belastenden, oft einer Odyssee gleichenden Reisen zu verschiedenen Einrichtungen fallen weg.
In jedem Zentrum arbeitet ein „Lotse“ oder eine „Lotsin“. Diese legen nach der Kontaktaufnahme durch die Patienten selbst oder deren behandelnde Ärzte auf Basis der bereits vorliegenden Befunde und im Austausch mit verschiedenen Fachleuten zeitnah die nächsten wichtigen Schritte fest.
Diese Arbeitsweise der Zentren wurde in einem Projekt – TRANSLATE NAMSE, gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses – von 2017 bis 2020 erprobt und positiv bewertet: Denn bei etwa einem Drittel der Patienten, die zuvor mehrere Jahre ohne Diagnose geblieben waren, konnte mit interdisziplinärer Zusammenarbeit, dem Einsatz von Lotsinnen und Lotsen sowie moderner Diagnostik eine gesicherte Diagnose gestellt werden. Zudem wurden neue, bis dahin unbekannte Erkrankungen erkannt.
Damit für Patienten und Akteure des Gesundheitswesens erkennbar ist, dass ein Zentrum diese Leistungen verlässlich erbringt, wurde eine Begutachtung entwickelt. Acht Zentren haben diesen Prozess bislang erfolgreich durchlaufen.
Um Betroffene zudem untereinander zu vernetzen, arbeiten die Zentren eng mit Selbsthilfeorganisationen zusammen. Diese haben sich in Deutschland unter dem Dach der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. zusammengeschlossen. Da es jedoch insbesondere bei ultraseltenen Erkrankungen nicht immer Selbsthilfegruppen gibt, wird derzeit auf Initiative der Eva Lui-
se und Horst Köhler Stiftung ein Nationales Register für Seltene Erkrankungen (NARSE) etabliert. Es wird einen Überblick über die Gruppen der Patienten in Deutschland geben und ihnen ermöglichen, miteinander in Kontakt zu treten.
Leider zeigt sich immer wieder, dass die Zentren für Seltene Erkrankungen und ihre Angebote bei vielen niedergelassenen Ärzten nicht ausreichend bekannt sind. Sprechen Sie gerne mit Ihrem behandelnden Arzt darüber! Denn falls Sie, Ihr Kind, Angehörige oder Bekannte eine bislang nicht erkannte seltene Erkrankung haben oder Expertise für eine solche suchen, so sind die Zentren für Seltene Erkrankungen die richtige Adresse..
Redaktion
Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen.
se-atlas
Die webbasierte Informationsplattform se-atlas bietet einen Überblick über die 36 Zentren für Seltene Erkrankungen sowie Selbsthilfeorganisationen in Deutschland. Das Informationsangebot richtet sich an Betroffene, Angehörige, Ärzte, nicht medizinisches Personal sowie alle Interessierten.
Weitere Informationen unter: www.se-atlas.de
Forschung, Expertise und Vernetzung
Menschen mit seltenen Erkrankungen werden optimalerweise durch spezialisierte Zentren betreut, an denen auch die Fort- und Weiterbildung sowie Forschung zum jeweiligen Krankheitsbild stattfindet. Lesen Sie hier, welche Wege das UniversitätsCentrum für Seltene Erkrankungen (USE) in Dresden geht, um Menschen mit seltenen Erkrankungen bestmöglich zu versorgen.
Herr Prof. Berner, noch immer dauert es häufig lange, bis Patienten mit seltenen Erkrankungen eine Diagnose sowie eine adäquate Behandlung erhalten. Welche Rolle spielen in diesem Kontext die Zentren für Seltene Erkrankungen? Zentren für Seltene Erkrankungen sind Ansprechpartner für Ärzte und Patienten mit unklaren Erkrankungen, bei denen der begründete Verdacht auf eine seltene Erkrankung besteht. Diese Zentren versuchen, für diese Patienten den Weg zu Experten bzw. den entsprechenden Fachzentren zu ebnen oder aber, wenn es gänzlich unklar ist, in interdisziplinären Fallkonferenzen mit Experten aus vielen verschiedenen Fachgebieten nach dem bestmöglichen Weg zur Diagnosefindung zu suchen.
Was macht die Zentren aus und welche Hilfe können sie Betroffenen geben?
Das Ziel der Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen ist es, ihnen trotz und mit ihrer Erkrankung ein möglichst beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Deshalb bedürfen sie einer besonders zeitintensiven ärztlichen Zuwendung und oft einer aufwendigen Spezialdiagnostik. Denn seltene Erkrankungen weisen einige Besonderheiten auf: Dazu zählen vordringlich die geringe Anzahl an Betroffenen mit einer bestimmten seltenen Erkrankung und die weit über das ganze Land gestreute Verteilung der Betroffenen, was nicht nur die ärztliche Versorgung, sondern auch wissenschaftliche Untersuchungen – etwa in Form von Studien – erschwert. Darüber hinaus gibt es meist nur eine geringe Anzahl von Experten, die Menschen mit der jeweiligen seltenen Erkrankung versorgen und die Erkrankung weiter erforschen können. Auch sind die Wege zu guten Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten nicht immer auf Anhieb ersichtlich. Dies kann dazu führen, dass die Betroffenen sich mit ihrer Erkrankung alleingelassen fühlen und die Diagnose erst deutlich verzögert gestellt wird. Zentren leisten hier wichtige Unterstützung. Sie bündeln Expertise und vernetzen Betroffene mit behandelnden Ärzten.
Vernetzung ist ein gutes Stichwort. Warum ist das wichtig?
Um Menschen flächendeckend und unabhängig vom Krankheitsbild zu versorgen, wurden vor allem an den deutschen Uniklinika in den vergangenen Jahren entsprechende Zentrumsstrukturen aufgebaut und bundesweite Netz-
Prof. Dr. med. Reinhard Berner Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik und Sprecher des USE Dresden
Dr. Nina-Christine Knopf Fachärztin für Kinderrheumatologie und Clinician Scientist am USE Dresden
werke geschaffen. Das Dresdner Uniklinikum hat im November 2014 das USE gegründet. Als sogenanntes A-Zentrum nach den Empfehlungen des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) erfüllt das USE koordinierende und krankheitsübergreifende Aufgaben. Entscheidend für den Erfolg ist das Zusammenwirken vieler Experten in interdisziplinären Fallkonferenzen, wie es nur in einer solchen Struktur vorgehalten werden kann. Dabei hat jedes Zentrum, neben seiner zuvor beschriebenen koordinierenden Funktion, auch inhaltliche Schwerpunkte. Am USE in Dresden sind dies insbesondere Erkrankungen des Immunsystems und des Blutes, neurologische und neuropsychiatrische Erkrankungen.
Seltene Erkrankungen betreffen in acht von zehn Fällen Kinder und Jugendliche. Ihre Teilhabe am medizinischen Fortschritt hängt daher ganz entscheidend von engagierten Kinderärzten ab, die sich dem Spagat zwischen Krankenbett und Labor stellen. Frau Dr. Knopf, Sie arbeiten als Clinician Scientist und haben den Fokus seltene Erkrankungen. Wie kam es dazu?
Als Kinderrheumatologin lag mein Schwerpunkt auf den autoinflammatorischen Erkrankungen. So kam ich rasch in Berührung mit den Erkrankungen der Immundysregulation und der Immundefizienz, welche mein Interesse an der Immunologie geweckt haben. Störungen des Immunsystems können sich dabei ganz unterschiedlich manifestieren. Jeder einzelne Immundefekt ist dabei sehr selten. In der Immunologie arbeite ich daher nun mit den verschiedenen Fachdisziplinen zusammen. Dabei besteht eine enge Verbindung zwischen der klinischen Arbeit und der Forschung.
Woran arbeiten Sie momentan und was möchten Sie erreichen?
Mein Forschungsschwerpunkt liegt bei den autoinflammatorischen Erkrankungen. Aktuell leite ich eine Studie zum besseren Verständnis von Fieberschüben unklarer Genese des Kleinkindesalters – auch als SURF (Syndrom des undifferenzierten rekurrierenden Fiebers) bezeichnet. Aus Einzelzell-Genexpressionsdaten – zum Zeitpunkt des Krankheitsschubes bzw. im freien Intervall – möchten wir amplifizierte Signalwege erkennen und perspektivisch Biomarker identifizieren. Ich hoffe sehr, dass wir mit diesem Projekt zur Aufklärung dieser seltenen Endotypen beitragen und perspektivisch den Kindern schneller eine zielgerichtete Therapie anbieten können.
Warum ist die Forschung bei seltenen Erkrankungen entscheidend?
Als Kliniker beschäftigen wir uns kontinuierlich mit neuen Krankheitsentitäten des Immunsystems. Jährlich werden sowohl neue krankheitsverursachende Genvarianten entdeckt als auch neue klinische Phänotypen beschrieben. Ein besseres pathophysiologisches Verständnis ist Voraussetzung für die optimale Versorgung und bestmögliche Therapie unserer Patienten..
Redaktion Leonie Zell
Forschung
„Forschung zu personalisierter Medizin hilft Betroffenen seltener Erkrankungen. Netzwerke bringen Erkenntnisse zusammen, aus denen
neue Ansätze für Behandlungen entstehen.“
Für Menschen mit seltenen Erkrankungen ist ihr Leiden eine große Belastung. Eine Standardtherapie, die zur Krankheit passt, existiert oft nicht. Etablierte Medikamente, wie das Antibiotikum bei bakteriellen Infekten, gibt es nicht. Für Betroffene wird die Erkrankung damit vielleicht als persönliches Schicksal empfunden. Nach meiner Überzeugung braucht es genau deshalb personalisierte Ansätze schon in der Erforschung von Krankheiten. Der personalisierten Medizin kommt hier eine Schlüsselrolle zu.
Der Freistaat Sachsen ist seit 2017 Partner in einer Europäischen Förderpartnerschaft für personalisierte Medizin. Diese Zusammenarbeit ist gerade bei der weiteren Erforschung seltener Krankheiten wichtig. In diesen Netzwerken wird der Austausch und damit der Wissenstransfer verbessert. Länderübergreifende Forschungsprojekte, die sich mit neuen Therapien, Medikamenten oder Anwendungen beschäftigen, generieren weitere Erkenntnisse über seltene Krankheiten, die Betroffenen Hilfestellung geben und damit deren Lebensqualität verbessern. Derzeit bereitet das Sächsische Wissenschaftsministerium mit seinen europäischen und internationalen Förderpartnern einen EU-Antrag für eine Folgepartnerschaft im Bereich personalisierte Medizin vor, um den Rahmen der Forschungszusammenarbeit für die nächsten zehn Jahre strategisch weiterzuentwickeln. Die EU
sowie Partnerstaaten und -regionen investieren bis 2030 fast 300 Millionen Euro in die weitere Entwicklung der personalisierten Medizin, wovon auch die Forschung im Bereich der seltenen Erkrankungen profitieren wird. Dieser wichtige Teil der Lebenswissenschaften ist auch Bestandteil der Weiterentwicklung des Wissenschaftslandes Sachsen insgesamt, die das Sächsische Wissenschaftsministerium unter dem Titel SPIN2030 unterstützen und vorantreiben will. Ziel ist auch hier, die exzellente Forschung noch mehr in neues Wissen und Anwendungen zu überführen und damit auch den medizinischen Fortschritt zur Behandlung seltener Erkrankungen zu unterstützen. Schon jetzt gibt es gute Beispiele dafür: Gemeinsam mit Forschungspartnern aus Polen, Brasilien und der Schweiz entwickeln etwa die TU Dresden und das Fraunhofer IKTS Dresden eine Membran zur kontrollierten Knochen- und Geweberegeneration. Diese kann auch zur Heilung seltener knöcherner Defekte eingesetzt werden. Dieses Projekt steht exemplarisch für die Herangehensweise, die Sachsen in der Forschung verfolgt und die gerade auch mit Blick auf Forschung zu seltenen Erkrankungen vielversprechend ist. .
Sebastian Gemkow
Gastbeitrag des sächsischen Wissenschaftsministers Sebastian Gemkow
youtube.com/@spin-2030
instagram.com/spin_2030
facebook.com/spin2030agenda
linkedin.com/company/spin-2030
Alle Details sowie Videos und Bilder der Auftaktveranstaltung zu SPIN2030 finden Sie auf
In den kommenden Jahren wird die sächsische Wissenschaftslandschaft die nächsten großen Entwicklungsschritte machen. Mit der Agenda SPIN2030 unterstützt das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK) die Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf diesem Weg. Wir stellen jetzt die Weichen für die strategische Weiterentwicklung im Freistaat Sachsen in Forschung und Lehre bis 2030.
Sachsen ist seit jeher Schrittmacher und Impulsgeber für wissenschaftliche Innovationen. Mit Blick auf das Jahr 2030 und darüber hinaus stehen wir heute vor immensen Herausforderungen. Uns beschäftigen Themen wie künstliche Intelligenz, Robotik, Krebsforschung und Mikroelektronik genauso wie Nachhaltigkeit.
Was ist SPIN2030?
Das sind Sachsens Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit klugen Köpfen, die mit Dynamik und Kreativität unterwegs sind zu neuen wissenschaftlichen Durchbrüchen, die unsere Welt verändern werden. Es sind zudem unsere Studenten, die nächste Generation an Wissenschaftlern und auch künftige Fachkräfte für die Unternehmen.
Sachsen stellt jetzt die entscheidenden Weichen und investiert in den nächsten Jahren gezielt:
• 2,3 Milliarden Euro für die Hochschulen
• 788 Millionen Euro für die Forschungseinrichtungen
• 573 Millionen Euro für die Universitätskliniken
• 632 Millionen Euro für Modernisierung und Bau
Insgesamt werden bis 2025 mehr als vier Milliarden Euro bereitgestellt. Bis zum Jahr 2030 werden mindestens 17 Milliarden Euro in die sächsische Wissenschaftslandschaft investiert. Damit kann Sachsens Spitzenposition in der Forschung langfristig gesichert und ausgebaut werden. Gleichzeitig werden klare Schwerpunkte gesetzt unter anderem in den Feldern:
• Robotik und Mensch-Maschinen-Interaktion
• Biotechnologie und Genetik
• Pharmazie und Gesundheitsforschung
• Energie-, Wasserstoff- und Kreislaufforschung
• Künstliche Intelligenz und Quantencomputing
• Mikroelektronik und Halbleitertechnologien
• Materialforschung und Leichtbau
Begleitet werden die Forschungsfelder von strategischen Kooperationen und Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft..
Hinter einer Entwicklungsverzögerung bei Jungen kann mehr stecken. Könnte es Duchenne Muskeldystrophie sein? Mehr erfahren: www.hinterherstattvolldabei.de