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Interview mit Lavan Mohammed, Zivildienerin ........................................pag
Interview mit Lavan Mohammed Zivildienerin
von ViktoriaGross
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Lavan, stammend aus dem irakischen Kurdistan, ist am 1. Oktober 2021 Teil unseres Zivildienerteams geworden. Wir haben sie interviewt.
Wie heißt dein Herkunftsland? Ich komme aus Erbil, der kurdischen Hauptstadt im Norden von Irak. Kannst du es ein bisschen beschreiben, vielleicht geographisch, kulturell, politisch usw.? Ja, also man kann sich das so vorstellen wie Lavan Mohammed hier in Südtirol. So wie Südtirol ein selbständiges Gebiet innerhalb Italien ist, so ist auch die Kurdische Region im Staat Irak eigenständig samt eigener Regierung und eigenem Parlament. Es wird hauptsächlich kurdisch gesprochen, d.h auch in den Schulen wird kurdisch gelehrt und arabisch bleibt nur Zweitsprache. Der Großteil der Bevölkerung beherrscht sie aber nicht. Kurdistan an sich ist ein nicht genau begrenztes Gebiet, welches sich über die Türkei, Syrien, Iran und Irak streckt. Was hast du in deinem Land gemacht? Ich habe 12 Jahre lang die Schule besucht und danach 4 Jahre lang Ingenieurwissenschaften studiert. Nach meinem Universitätsabschluss hat es leider große wirtschaftliche Probleme gegeben, weshalb es leider keine Arbeitsmöglichkeiten als Ingenieurin für mich gab. Also habe ich einige Monate beim IMC (International Medical Corps) gearbeitet und bei IOM (International
Organisation for Migration) in der Verwaltung als Migrantenassistentin. Dort haben wir gemeinsam mit dem Konsulat Migranten geholfen, sich Dokumente und Visas zu besorgen. Nach weiteren Arbeitserfahrungen in lokalen Firmen habe ich mich dann schließlich entschlossen nach Italien zu kommen. Wo hast du so gut deutschgelernt? Ich habe aus eigener Initiative deutsche Sprachkurse besucht, weil ich in der Arbeit mit dieser Sprache konfrontiert war. Als ich dann nach Bozen gekommen bin und mit meiner Familie im deutschsprachigen Girlan gewohnt habe, habe ich mich natürlich sprachlich deutlich verbessert. Wieviele Sprachen sprichst du? Meine Muttersprache ist kurdisch. In einer Privatschule in Irak habe ich auch Arabisch,Türkisch und Englisch gelernt. Zurzeit lerne ich italienisch. Was ist dein Aufgabenbereich im Verein La Strada-Der Weg? Montags, mittwochs und freitags arbeite ich für das Projekt “Banco Alimentare” und Dienstag und Donnerstag arbeite ich mit dem Projekt “Alba”, wo ich die Büroarbeit machen darf. Verwaltungsaufgaben gefallen mir, deshalb fühle ich mich wohl. Wie ist für dich das Leben in Bozen? Was gefällt dir besonders an dieser Stadt und was nicht? Insgesamt gefällt es mir sehr gut. Südtirol hat eine große Ähnlichkeit mit der Landschaft meiner Heimat, denn auch dort haben wir viele Wiesen und Berge. Ich bin viel gereist und habe viele Orte gesehen, wie zb. Deutschland, Syrien, Holland, Türkei usw. Aber hier gefällt es mir sehr gut und hier möchte ich bleiben. Hast du auch Freundschaften? Gibt es etwas was dir kulturell hier besonders gut gefällt, Möglichkeiten für junge Personen... Freunde habe ich nicht so viele, nur wenige. Die Menschen sind sehr nett und versuchen, mit mir zu kommunizieren. Was mir hier aufgefallen ist und besonders gut gefällt, ist der Zusammenhalt in den Familien und dass die Leute füreinander sorgen und aufeinander schauen. Das ist ähnlich wie in meiner Heimat und in meiner Familie. In vielen anderen Ländern ist das nicht so. Von der Kultur und den Möglichkeiten die es gibt, habe ich noch nicht so viel gesehen, denn ich bin erst seit Juni dieses Jahres hier.
Hast du hier bei uns etwas gefunden, was es in deiner Heimat selten oder nicht gibt? Ja, die Freiheit. In meinem Heimatland dürfen Frauen bestimmte Orte nicht alleine besuchen und das ist für mich schwer zu akzeptieren. Der Grund dafür ist nicht, dass diese Orte besonders gefährlich für Frauen wären; es ist eher eine kulturell bedingte Haltung. Hier kann ich mich frei bewegen und niemand sagt mir, was ich tun darf und was nicht. Glaubst du, dass dies mit eurer Religion verbunden ist? Die Leute behaupten es, aber ich glaube es nicht. Die Männer behaupten zu wissen was Frauen tun dürfen und was nicht, halten sich aber selbst nicht an die Regeln, wie z.B. Alkoholkonsum usw. Ich bin selbst Muslim, sowie auch der Großteil meiner Landsleute. Deine Familie ist auch hier. Ist es schwierig für deine Familie so weit von zu Hause entfernt zu wohnen? Am Anfang war es eine große Überwindung, die Heimat zu verlassen und ganz neu anzufangen. Es stimmt, wir leben weit weg von unserem Zuhause, aber es ist nicht so als wäre es eine andere Welt, die man nicht erreichen kann. Wenn man eine gute Arbeit und etwas Geld hat, dann kann man es sich leisten in andere Orte zu fahren um jemanden zu besuchen oder Urlaub zu machen. Vor 20 Jahren war es noch sehr schwierig, aber jetzt ist es einfach, in ein anderes Land zu fahren. Hier in Italien haben wir das große Problem der Gewalt an Frauen und der Frauenmorde. Wie ist die Situation in deiner Heimat? Wir haben Gesetze, die Frauen schützen und deshalb glaube ich auch, dass es heutzutage bestimmt besser ist als früher, auch wenn es immer wieder zu Verstößen gegen die Regeln kommt.
Lavan in traditioneller kurdischer Kleidung

Also ich bin mir sicher, dass es bei uns in Kurdistan besser ist als in vielen anderen Ländern aber wie es genau im Vergleich zu Italien ist, das weiß ich nicht. Etwas Eigenartiges was dir hier passiert ist? Ja, das mit meinem Führerschein. Ich habe erfahren, dass ich ihn nur ein Jahr lang benützen darf und dann wird er ungültig, weil Irak und Italien die Anerkennung dieses Dokuments noch nicht geregelt haben. Ist das nicht komisch? Gibt es einige Dinge die du von deiner Heimat vermisst? Ja, meine Freunde und das Essen (lacht). Wir essen in meiner Heimat zwar viel was man hier auch isst, aber es gibt hier nicht die Spezialitäten die es in Erbil und der kurdischen Kultur gibt. Wir haben wunderschöne türkische, syrische, jordanische Restaurants, welche sehr besondere Spezialitäten zubereiten die es hier leider nicht gibt. Zu Hause kochen wir auch manchmal kurdisch, aber das ist nicht dasselbe. Ein bisschen Sehnsucht ist noch da…
