56ER UND IHR SCHREIBTISCH einzelnen Tag Kurse. Wenn nicht in der eigenen Tanzschule in Koblenz, dann auf dem Land in Gemeindehallen. Wenn die Kinder für den Tanzkurs nicht zu Hilde kommen wollen, macht sich Hilde eben auf dem Weg zu ihnen. Meine erste Frage zum Einstieg zielt darauf ab, wie Frau Volkert zum Tanzen gekommen ist. „Ist alles ganz einfach, ich habe 1958 angefangen, hier einen Tanzkurs zu besuchen. Meine Zwillingsschwester und ich haben die beiden Volkert-Söhne geheiratet und seitdem bin ich Tanzlehrerin. So war das!“ Dieser Galopp durch die Vergangenheit kann wohl nicht alles sein. Für Hilde Volkert ist damit alles gesagt, sie nimmt sich selbst und die Geschichte ihres Hauses nicht so wichtig. Sie kokettiert und spielt alles etwas herunter. Daran merkt man, dass es ihr immer nur um das
Tanzen ging. Für die Einzelheiten und Zusammenhänge bin ich sehr dankbar, dass an dem Gespräch die langjährige Sekretärin von Frau Volkert teilnimmt. Brigitte Bach ist die gute Seele an der Seite der Chefin und steuert die Grande Dame des Tanzes durch den prall gefüllten Terminplan. Seit mehr als 20 Jahren gehört sie zum Ensemble in der Casinostraße. Das merkt 46
man auch an dem Ton, in dem beide miteinander sprechen – er ist sehr vertraut. Man kann sich aufeinander verlassen. Trotzdem bleibt man nach all den Jahren bei einem höflichen, leicht distanzierten „Sie“ in der Anrede. Mein Nachfragen zu der Geschichte der Tanzschule und dem eigenen Werdegang bringt eine erste herrlich witzige Situation. Frau Volkert setzt gemeinsam mit ihrer Sekretärin das kleinteilige Puzzle der Firmengeschichte zusammen. Hilde Volkert ist dafür zuständig, Jahreszahlen aus der Vergangenheit zu nennen, die von Brigitte Bach entweder korrigiert oder kommentiert werden. Ich verliere leider etwas den Überblick – zwischen den beiden Damen findet ein fröhliches Ping-Pong-Spiel mit Erinnerungen und Anekdoten statt. Das Gespräch fordert meine ungeteilte Aufmerksamkeit und fördert zugleich meine detektivischen Fähigkeiten. Ich setze die Fragmente der Vergangenheit wie folgt zusammen: Hilde Volkert wird samt Zwillingsschwester im April 1939 in Kaisersesch geboren. Im Jahr 1941 bringt der Vater seine Familie nach Koblenz, hier gehen sie sowie ihre Geschwister zur Schule und verbringen ihre Kindheit im Stadtgebiet. Das Tanzstudio schaut hier bereits auf eine fast hundertjährige Firmengeschichte zurück. In den Kriegsjahren pausiert das Geschäft mit der Tanzlehre. Als Hildes spätere Schwiegermutter kurz nach dem Krieg in der Mainzer Straße die familieneigene Tanzschule wiedereröffnet, nimmt Hilde gemeinsam mit ihrer Schwester Irmel an einem der ersten neuen Kurse teil. Tanz ist damals noch mehr als heute ein Ausdruck völliger Freiheit. Hilde hat von Beginn an große Freude an den verschiedenen Tanzstilen, sie hat Talent und saugt neue Schritte förmlich auf. Als die Tanzschule 1955 in die Casinostraße umzieht, gehören Hilde und Irmel schon längst zum Inventar. Die beiden Söhne der damaligen Tanzlehrerin und Inhaberin haben vier Augen auf die