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L Journal f端r Literatur

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Impressum Herausgeber: Verein LKS Literarischer Kreis e. V. c/o Dr. Harald Klein Buchenweg 6 66287 Quierschied

Kontakt: literarischerkreis@gmail.com www.lksev.wordpress.com

Redaktion: Stefan Weigand Susanna Bur

Grafische Gestaltung: Stefan Weigand Susanna Bur Coverfoto: Jörg Bur

Erscheinungstermine: Das Journal erscheint vierteljährlich. Nächste Ausgabe: 15. September 2015

ISSN 2197-9316 Copyright©: Für die Inhalte der jeweiligen Texte sowie grammatikalische und stilistische Fehler sind die Autorinnen und Autoren selbst verantwortlich. Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte und Pflichten verbleiben bei den Autorinnen/Autoren sowie Fotografinnen/ Fotografen. Ungeachtet der Sorgfalt, die auf die Erstellung von Text, Abbildungen und Programmen verwendet wurde, können weder die Autorinnen/Autoren oder Herausgeber für mögliche Fehler und deren Folgen eine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung übernehmen.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................... 7 Im Spreewald, Amadeus Firgau ............................................... 8 Lieber Wind, Elin Bell ............................................................ 24 Wortsplitter, Elin Bell .............................................................. 25 Wetter ist nicht gleich Wetter, Susanna Bur ............................ 26 Langsam, Birgit Burkey ........................................................... 32 Ungestillt, Birgit Burkey.......................................................... 33 Summersound, Birgit Burkey .................................................. 34 Weisgerber, Barbara Würtz ..................................................... 36 Der Zeitungsleser im Restaurant, Barbara Würtz................... 37 Frühlings-Erwachen, Barbara Würtz ...................................... 38 Farbenzauber, Barbara Würtz ................................................. 40 Unterwegs im Frühling, Barbara Würtz ................................. 41 Eis-Variation, Barbara Würtz.................................................. 42 Zwischenmahlzeit, Barbara Würtz ......................................... 43 Ein stiller Freund, Bodo Bickelmann ...................................... 44 Das Ungesagte, Lisa Szygula .................................................. 58 Kleine Schwester, Lisa Szygula............................................... 59 Schwestern, Lisa Szygula ........................................................ 60 Ohne Titel, Lisa Szygula.......................................................... 62 B-Tonung, Erwin Altmeier ...................................................... 65 ‚du‘, Heinz-Josef Scherer ........................................................ 68 du hast dich, Heinz-Josef Scherer ........................................... 69 Frauen - Mann, Heinz-Josef Scherer ....................................... 70 Eine Stunde des Friedens, Jörg Bur ........................................ 74 Verzeichnis .............................................................................. 80

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VOR WORT

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Liebe Leserinnen und Leser, Literatur und visuelle Kunst haben vieles gemeinsam: Sie erlauben uns Dinge zu sehen, die wir nie zuvor gesehen haben, zu fühlen, wie wir nie zuvor gefühlt haben und etwas zu erleben, von dem wir nie geglaubt haben, dass es möglich sei. Sie verleihen uns Flügel, die uns über alle Grenzen hinaustragen, durch Zeit und Raum in reale und fiktive Welten. Sie konfrontieren uns aber auch mit der Wahrheit, wecken unsere dunklen Seiten in uns, aber auch Hoffnung und Wege zum Licht aus dem Dunkel. Kunst zu schaffen bedeutet sehr mutig zu sein, denn die Künstler geben viel von ihrer Persönlichkeit preis und zögern oft, sich ihrem kritischen Publikum auszuliefern. Immer mit der Frage beschäftigt: Was ist wert, ist gut genug, um für immer abgedruckt zu sein? Es ist fast unmöglich dies zu definieren, Kunst ist nicht vertikal sondern horizontal, lebt von der Vielfalt. Wir laden Sie ein, mit uns auf Reisen zu gehen. Susanna Bur Redaktion

Foto: Susanna Bur

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Im Spreewald Amadeus Firgau

Der Spreewald ist durchzogen von Kanälen, Rinnsalen, Seen und, wie der Name schon sagt, der Spree. Manche Bereiche wurden trocken gelegt und landwirtschaftlich genutzt, es gibt aber noch Reste der einst riesigen Auenwälder, die man nur mit einem Kahn oder dergleichen durchqueren kann. Ich war per Auto nach Lübbenau gekommen und lud – nach einer Nacht in einer kleinen Pension – am Ufer der Spree Paddelboot und Einmannzelt aus. Ich wollte nach Norden, vielleicht bis zum Neuendorfer See, und dann auf anderen Wasserwegen in einer großen Schleife über Burg wieder zurück. Zwei alte Männer saßen rauchend am Ufer und sahen zu, wie ich das Zelt in meinem Boot verstaute. Der eine sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Der andere lachte heiser und zog wieder an seiner Pfeife. Der erstere stand auf, pinkelte in den Fluss und kam dann zu mir. »Du fährst ganz alleine?« Ich nickte. »Du wirst dich verfahren.« »Ich habe eine Karte«, entgegnete ich. »Und ein GPS-Gerät.« Er tätschelte mir die Schulter. Ich kam mir blöd vor. »Du wirst dich verirren«, wiederholte er. »Irgend wann steckst du fest, und rund um dich ist Sumpf.« »Die Sümpfe sind doch längst trocken gelegt.« Wieso erzählten die mir solchen Unsinn? Der andere Alte nahm die Pfeife aus dem Mund und rief: »Die Bludniki könnten ihm helfen, oder?«

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»Bludniki?« fragte ich. Vielleicht eine Art Wasserpolizei, dachte ich. »Irrlichter«, erklärte der Alte, der sich noch immer auf meine Schulter stützte. »Die führen dich wieder raus aus dem Sumpf.« »Irrlichter! Alles klar.« Ich seufzte. Wenigstens gelang es mir, meine Schulter von seiner Hand zu befreien und mich aufzurichten. »Wenn ich eines sehe, dann grüße ich es von Ihnen, okay?« Der Alte schmunzelte. »Du denkst, ich bin senil. Oder besoffen.« »Beides, Korla!«, rief der andere Alte. »Beides!« Er musste so lachen, dass ihm die Pfeife aus der Hand fiel. Betroffen hob er sie auf und schaute in den Pfeifenkopf, ob noch Glut vorhanden war. Er paffte ein paar Male, und als wieder Rauchwölkchen aufstiegen, rief er: »Sag ihm, dass man die Bludniki bezahlen muss!« »Man muss die Bludniki bezahlen«, sagte der Alte neben mir. »Sonst führen sie einen noch schlimmer in den Sumpf.« »Ich werd’s mir merken«, murrte ich. Wieso konnten die beiden mich nicht einfach in Ruhe mein Boot packen lassen? Der Alte neben mir haute aufmunternd auf meine Schulter, dann schlurfte er zurück zu seinem Kumpel auf der Bank. Er konnte wohl Gedanken lesen. Zwei Tage war ich schon unterwegs. Zunächst ging es vorbei an Wiesen und kleinen Siedlungen, was mich enttäuschte, denn ich wollte den dichten, ursprünglichen Spreewald erleben. Ständig begegneten mir Ausflügler. Jemand wollte mir saure Gurken verkaufen – eine Spezialität dieser Gegend. »Oh Gott«, dachte ich. »Ich wollte, ich könnte erleben, wie es früher aussah!« In der Ferne donnerte es. Das klang, als braue sich ein Gewitter zusammen – hoffentlich nicht hier im offenen

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Gelände! Allerdings waren keine größeren Wolken am Himmel, was mich beruhigte. Dann aber glitt ich hinein in das Grün der Erlenbruchwälder. Das Wasser flimmerte unter den überhängenden Zweigen im Dämmerlicht. Man konnte nicht weiter als fünf Meter in den Wald sehen, so dicht wuchsen Bäume und Gras. Manchmal tauchten am Ufer Landestege auf, mit kleinen Blockhäuschen dahinter. Die Giebel waren mit geschnitzten Pferdeköpfen geschmückt. Manchmal begegneten mir auch Leute in Kähnen, die sie mit einer langen Stange durch die Kanäle schoben. Sie grüßten freundlich, die Älteren redeten unter einander in dieser seltsamen Sprache – Sorbisch, wie ich mittlerweile wusste. Auf einem Steg saß ein Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre, und planschte mit den braungebrannten Füßen im Wasser. Zeit für eine Pause, dachte ich. Ich band mein Boot fest, holte einen meiner wasserdichten Beutel mit Essensvorräten und setzte mich zu ihr auf die heißen Holzplanken. Den Müsliriegel, den ich ihr anbot, fand sie lecker. Ich fragte sie nach den Bludniki. Sie lachte. Sie hatte ein hübsches Lachen. »Bludniks? So ein Quatsch. Die gibt es ebenso wenig wie sprechende Schlangen oder den Plon. Das sind Märchen, wie sie meine Oma erzählt.« Ihr Spaghettiträger rutschte über die braungebrannte Schulter. Ich fragte mich, ob sie überall so braun war. »Ich liege hier oft in der Sonne«, sagte sie. »Bloß mit dem Bikini an.« Sie konnte wohl Gedanken lesen. Ich fuhr erst am Nachmittag weiter, sie winkte mir zum Abschied. Es war schwül geworden, die Luft stand heiß und feucht auf dem Wasser, die Stechmücken sirrten aufdringlich und nutz-

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ten jede Möglichkeit. Immer häufiger zweigten Kanäle, Nebenarme oder ein Fließ ab – oder sie führten heran. Das Wasser floss hier so träge, dass ich nicht immer entscheiden konnte, was der Fall war. Solange ich gegen die Strömung paddelte, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war, so aber war ich auf GPS und die Karte angewiesen. Dummerweise hatte mein GPS-Gerät den Geist aufgegeben. Zwar zeigte das Kontroll-Lämpchen, dass es in Betrieb war, aber es lieferte keine Information, wo ich mich befand. Selbst als ich neue Batterien rein steckte, streikte es. Ich packte es weg und wählte das Fließ mit der deutlichsten Strömung. Einmal fuhr ich mindestens eine halbe Stunde einen Nebenarm entlang, bevor ich merkte, dass ich mit der Strömung trieb. Ich kehrte um und sah erst jetzt, dass es mehrere Zuläufe gab, zwischen denen ich jetzt wählen musste. Nach einer Stunde oder so wurde dieses Fließ immer enger, dann auch flacher und endete in einem überschwemmten Waldgebiet. Also kehrte ich erneut um und versuchte einen anderen Weg. Der führte mich mehr nach Osten – glaubte ich, denn der Himmel hatte sich bewölkt, ich konnte die Sonne nicht sehen. Wenn ich wenigstens einen Menschen getroffen hätte! Aber diese Gegend war bis auf mich anscheinend menschenleer, Tiere gab es umso mehr. Ich beobachtete zwei Fischotter, die mich ebenso neugierig anglotzten wie ich sie. Immer wieder sah ich Ringelnattern, die sich wegschlängelten, wenn ich näher kam. Reiher und andere größere Vögel, deren Namen ich nicht kannte, wateten zwischen den Binsen oder unter den Erlen umher. Einmal stieß zwanzig Meter vor mir ein Fischadler herab und krallte sich einen Fisch, der an der warmen Wasseroberfläche geträumt hatte.

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Bild: quelle wikipedia commons

Es wurde dunkel, ich suchte mir eine erhöhte, trockenere Stelle für mein Zelt aus. Ich war dankbar für die Abendbrise – sie ließ keine Stechmücken aufkommen. So verbrachte ich eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen strahlte die Sonne durch die Zweige, Vögel zwitscherten, Ringelnattern schlüpften durchs Gras und schlängelten im Wasser davon. Überall blühten gelbe Sumpfdotterblumen. Mein GPS zeigte noch immer nichts an, aber dank der Sonne fand ich mich wieder zurecht. Ich packte mein Zeug zusammen und paddelte nach Norden weiter. Ich sang sogar ein Lied. Ich hatte von dem Mädchen mit den braunen Schultern geträumt, was kein Wunder war. Im Traum hatte sie aber keine Jeans und Top mit Spaghettiträgern an, sondern einen Kittel aus grobem Stoff, der durch einen Gürtel über den Hüften zusammen gehalten wurde. Wie aus einem dieser Mittelaltermärkte entsprungen, die man jetzt überall sieht.

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»Hallo, Kelten-Girl!«, hatte ich gesagt. Aber sie sah mich stumm aus ihren grüngelben Augen an. Grüngelb? Das war mir vorher gar nicht aufgefallen, ich hatte anderes im Sinn, als ihre Augenfarbe zu erkunden. Grüngelb. Dann sagte sie: »Von wegen Kelten. Die würden sich nicht hertrauen.« In ihrem Schoß lag zusammengeringelt eine kleine Schlange. »Magst du sie streicheln?« Aber ich traute mich nicht, sie sah giftig aus. Mittags kamen mir zwei Männer auf einem Stocherkahn entgegen – einer saß im Bug, der andere stand hinten und schob den Kahn mit seinem Stecken vorwärts. Sie waren ungefähr zwanzig und trugen kurze Kinnbärte. Seltsam waren ihre weiten Hosen, die sie mit Stricken statt eines Gürtels festgebunden hatten. Trotzdem hatte ich den Eindruck, sie schon mal gesehen zu haben. Ich gaffte sie an, sie gafften mich an – wahrscheinlich weil ich nur meine Boxershorts anhatte. Sie redeten sie mich in dieser seltsamen sorbischen Sprache an und deuteten auf mein Paddelboot und konnten sich nicht einkriegen, als ob es etwas ganz Besonderes wäre. Ich grinste hilflos. Da winkten sie mir zu und fuhren weiter. Im Kahn lag ein mageres Schwein, dessen Hinterund Vorderläufe jeweils zusammengebunden waren. Es drehte den Kopf und schaute mich an. Das glaubt mir keiner, dachte ich, wenn ich erzähle, wie die Leute hier noch leben! Wieso treffe ich keine normalen Menschen? Jemand im Hawaii-Hemd zum Beispiel? Aber eigentlich war ich froh – ich hatte mir ja gewünscht, eine Zeitlang keine Ausflüglerscharen und Parkplätze am Ufer zu sehen. Aber ext-

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rem war das schon. Gut, dass ich genug Proviant für eine Woche hatte. Nachmittags bezog sich der Himmel wieder. Dies war wieder eine Gegend, wo man kaum eine Strömung ausmachen konnte. Die Erlen standen weniger dicht, der Boden war bedeckt mit Binsenbüscheln, an den erhöhten Stellen mit Moos und Wollgras. Die Stechmücken wurden wieder zudringlich. Einmal schlug ich so wild um mich, dass mein Boot kenterte. Die Eskimorolle klappte nicht, das Fließ war hier nur knietief. Also stieg ich ins Wasser, zog das Boot an Land und ließ das Wasser herauslaufen. Das Zelt war nass, auch meine Klamotten, die ich nur so in den Fußraum gestopft hatte. Proviant, Kamera, Ausweise etc. in den wasserdichten Behältern waren trocken geblieben. Als ich alles wieder verstaut hatte und ins Boot steigen wollte, merkte ich erst, dass an meinen Beinen Dutzende von Blutegeln hingen. Das ist eines der ekligsten Erfahrungen, die man haben kann, finde ich. Aber ich behielt die Fassung. Manche ließen sich noch leicht abreißen, die anderen hatten sich festgebissen und saugten mein schönes Blut. Im Proviantbeutel hatte ich einen Salzstreuer, damit bestreute ich die Biester, bis sie losließen und ins Wasser plumpsten. Aber die Bisswunden juckten nicht nur, sie bluteten – meine Beine waren gestreift von dünnen, roten Rinnsalen. Meine gute Stimmung war dahin. Das Wetter wurde auch nicht besser, im Gegenteil. Missmutig paddelte ich im Nieselregen – ab und an unterbrochen von richtigem Regen – und hoffte, bald wieder in dichteren Wald zu kommen, wo ich an einer trockenen Stelle mein Zelt aufschlagen konnte. Aber es wurde dunkel, und noch immer paddelte ich – ob nach Norden, Osten oder sonst wohin, ich hatte keine Ahnung. Zuletzt gab ich auf, weil

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ich nichts mehr sah, und ließ mich treiben, in der Hoffnung, dass die Strömung, falls es eine gab – mich wieder ins offene Wasser brachte. Und dann steckte ich fest. Was konnte ich tun? Nichts! Also zog ich mein Regencape dichter über mich und versuchte im Sitzen zu schlafen. Ich musste wohl eingedöst sein, denn ich schreckte auf, weil ich etwas gehört hatte. In der Nähe schnaufte ein großes Tier. Ich lugte unter meinem Cape hervor. Es hatte aufgehört zu regnen, war aber immer noch zu dunkel, um viel zu erkennen. Aber ein Dutzend Schritte weiter stapfte ein riesiges dunkles Wesen durch den Morast. Es war gehörnt und sah aus wie eine Kuh, nur mit einem höheren Buckel. Gab es hier wilde Rinder? Ich wusste, dass in manchen polnischen Wäldern noch welche zu finden waren, aber hier? Das Vieh wandte mir den Kopf zu und schnaufte wieder. Er schien mich nicht zu mögen. Schließlich trollte es sich und verschwand. Nun erst sah ich das kleine Licht, das in einiger Entfernung über dem Boden tanzte. Ich vermutete, dass dort ein Wanderer mit seiner Laterne unterwegs war, offensichtlich auf sicherem Boden. »Hallo!«, rief ich, doch das Lichtchen bewegte sich weiter. Der Mann dort musste wohl taub sein – oder hatte er Angst vor mir?« »Hallo! Hilfe!«, rief ich. »Laufen Sie nicht weg! Bitte!« Das Lichtchen blieb auf der Stelle. Na also! Jetzt war die Gelegenheit, hinzulaufen. Ich war schon mit einem Bein aus dem Boot, da fiel mir ein, dass ich meine Sachen nicht einfach im Stich lassen wollte. Außerdem: Dort war der Weg vielleicht sicher, aber hier? Ich sah ja keinen Meter weit!

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Also blieb ich sitzen. Und dann geschah das Erstaunliche: Das Lichtchen kam näher, hüpfte hin und her, kam noch näher und schwebte schließlich wenige Meter vor mir. Da war kein Mensch, keine Laterne, einfach nur das kleine Licht, ein kleines, grüngelbes Flämmchen. »Ein Irrlicht!«, sagte ich betroffen. »Du bist ein Irrlicht!« Jetzt fielen mir die Ratschläge der beiden alten Männer ein, und ich musste lachen. »Du wolltest mich tiefer in den Sumpf führen, was?«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass Irrlichter keine Lebewesen waren, sondern durch Sumpfgas erzeugte Lichterscheinungen. »Ich sollte in diesem verdammten Morast ersaufen, was?« Ich begann zu heulen, weil mir jetzt meine Lage erst richtig bewusst wurde. Vorher war ich zu erschöpft gewesen, um mir Gedanken darüber zu machen, wie tief ich tatsächlich im Schlamassel steckte. Das Lichtchen tanzte vor mir auf und ab. Das machte mich stutzig. »Bist du ein Bludnik?«, fragte ich. »Wie wär’s, willst du mir hier raushelfen? Ich kann dich auch bezahlen.« Da umrundete das kleine Licht mein Boot und schwebte halb links hinter mir ein Stück weit davon. »Es kann ja nichts schaden«, murmelte ich und stieß mit dem Paddel gegen die Binsenbüschel vor mir, bis ich mein Boot frei hatte und wenden konnte. Das Lichtchen schwebte noch an derselben Stelle. Ich paddelte vorsichtig darauf zu. Doch bevor ich es erreichte, verschwand es. Kurz darauf tauchte es wieder auf – weiter entfernt. Ich fuhr vorsichtig hinterher. Ab und zu streifte ich Binsenbüschel, einmal musste ich das Paddel in den Boden stecken, um das Boot über eine zu seichte Stelle zu schieben. Wieder verschwand das Lichtchen und tauchte bald danach wieder woanders auf.

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Bild: quelle wikipedia commons

So ging es einige Zeit. Ich merkte, dass ich allmählich in breiteres Fahrwasser gelangte; sehen konnte ich allerdings noch immer nichts. Schließlich hatte ich das Gefühl, dass mein Boot zwischen Bäumen dahin glitt – ich war wieder endlich im Wald. Entweder hatte ich sagenhaftes Glück, oder das Lichtchen war tatsächlich eines dieser Bludniks. Das Lichtchen verharrte. Als ich näher kam, huschte es außer Reichweite hin und her, aber es wollte nicht weiter. »Du möchtest bezahlt werden, wie?«, fragte ich. Ich kramte in meinem Brustbeutel. Da waren zusammengerollt einige feuchte Geldscheine, aber keine Münzen. Ich holte einen Fünfeuroschein heraus und legte ihn ans Ufer: »Da hast du!« Das Lichtchen huschte weiter hin und her.

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»Passt dir der Schein nicht?« Es mochte wohl kein Papiergeld. Ich suchte in meinen Hosentaschen, im Rucksack – keine Münzen. Da fiel mir der kleine Anhänger ein, den ich durchlocht an einer Kette um den Hals trug, eine alte italienische 100-LiraMünze, Andenken an eine verjährte Ferienbekanntschaft. Ich fädelte die Münze aus der Kette und legte sie ans Ufer. Das Lichtchen verschwand, die Münze war weg. Ich saß wieder allein im Dunkeln. Aber wie sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte ich in der Ferne ein anderes Licht – größer, sanfter, es huschte nicht unruhig hin und her, sondern verharrte zuverlässig an seiner Stelle. Ich tauchte das Paddel ein und bewegte mich vorsichtig darauf zu, immer in Sorge, ich könnte einen Baumstumpf rammen oder mir den Kopf an einem Ast stoßen. Als ich näher kam, sah ich, dass das Licht von einer Laterne ausging, die neben der Tür eines kleinen Holzhauses hing. Auch ein Steg war da. Ich machte mein Boot fest und kletterte auf den Steg. Erst musste ich mich strecken und meine Beine gerade stellen; ich war vom langen Sitzen ganz verkrampft. Dann humpelte ich den Steg entlang auf das Häuschen zu. Gegen den dunklen Nachthimmel sah ich die Umrisse der beiden Pferdeköpfe, die den Giebel schmückten. Vom Stall hinter dem Haus drang das verschlafene Grunzen von Schweinen. Auch stank es nach ihnen. Aus einem kleinen Fenster schimmerte Licht. Ich wollte ans Fenster klopfen, da merkte ich, es war keine Glasscheibe, sondern eine Art halb durchsichtiger Haut. Früher spannte man Schweinsblasen in die Fensterrahmen, fiel mir ein. Aber das war doch früher!

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Ich ging um das Haus herum, fand seitlich die Tür und klopfte. Die Tür ging auf, im Licht der Laterne stand eine Frau mit grauen Zöpfen. Sie trug den hier üblichen Kittel aus grobem Stoff und musterte mich streng. Ich versuchte ein freundliches und zugleich hilfsbedürftiges Gesicht zu machen. Da sagte sie etwas in dieser Sprache, die ich nicht verstand. Ich machte eine hilflose Geste. Sie wiederholte ihre Frage. Auch nicht besser. Schließlich gab sie auf und winkte mich in die Wohnstube. Was heißt Wohnstube. Hier spielte sich offenbar das ganze Leben ab. Es gab eine Feuerstelle und einen niedrigen, grob gearbeiteten Tisch mit vier Hockern an der einen Wand, zwei Kisten mit irgendwelchem Zeug an der anderen Wand, und entlang der dritten reihten sich Schlafstellen – einfach Stroh auf dem Boden, Decke drüber und noch eine zum Zudecken. Zwischen den Kisten war eine Tür, sie führte wohl zum Schweinestall oder zur Latrine, dem Geruch nach zu schließen. Ich machte ein dankbares Gesicht und wartete ab. Die Frau musterte mich erneut streng von oben bis unten, dann wies sie auf einen der Schemel, wo ich mich gehorsam hinsetzte. Aus der einen Kiste holte sie einen Kanten dunkles Brot und ein Stück Speck, das legte sie auf den Tisch vor mich hin. Ich schaute etwas ratlos, weil ich nichts dabei hatte, um Stücke abzuschneiden. Auch sie schaute ratlos oder eher erstaunt und zunehmend mitleidig, weil ich kein Messer hatte. Offensichtlich hat hier jeder immer ein Messer dabei. Ohne Messer ist man nur ein halber Mensch, anscheinend. Sie seufzte und holte ihr Zweitmesser aus der Truhe, ihr eigenes behielt sie im Gürtel. Die Tür ging auf, herein trat – das Mädchen mit den braunen Schultern! Sie trug den groben Kittel und schien gar nicht überrascht, mich hier zu sehen, sondern grinste ganz frech herüber.

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Wahrscheinlich hatte sie mein Boot am Steg gesehen. Aber was machte sie hier? Zunächst redete sie ein bisschen mit der älteren Frau, dann setzte sie sich zu mir an den Tisch. »Pass auf, dass du nicht auf die Hausschlange trittst!«, sagte sie und zeigte auf ein Knäuel unter dem Tisch, dicht neben meinem linken Fuß. Ich zuckte zurück. »Ist sie giftig?« »Nein, aber trotzdem.« Die ältere Frau setzte sich zu uns und forderte mich mit Gesten auf, doch endlich von dem Speck und Brot zu essen. Auch stellte sie mir einen Krug mit Wasser hin. Bald kaute ich mit vollen Backen und verschob das Nachdenken, wie das Mädchen hierher kam, auf später. Das Mädchen riss sich ein paar ihrer langen Haare aus. »Halt mal das Ende!«, sagte sie. Dann begann sie aus den Haaren einen ganz dünnen Zopf zu flechten, eher einen Faden. Und als sie fertig war, holte sie eine durchbohrte Münze aus ihrer Kitteltasche, fädelte sie auf, knotete die Enden zusammen und hängte sich die Münze um den Hals. »Hübsch, nicht?« Das war doch meine Münze! Ich wollte mich vorbeugen, um nachzuschauen. Da schubste sie mich weg: »Du stinkst, mein Lieber! Du riechst nach altem Schweiß!« Das fand ich ungerecht. Der ganze Raum stank nach Schweinestall, und sie machte mir Vorwürfe! »Und der Schweinestall?«, fragte ich empört. Sie lachte. Ihre Augen funkelten grüngelb. Grüngelb – also hatte ich im Traum richtig gesehen! »Man sollte Schweinsköpfe an den Giebel schnitzen«, sagte ich mürrisch. »Nicht Pferdeköpfe!«

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»Das sind keine Pferdeköpfe«, wies sie mich zurecht. »Das sind Schlangen. Mit Krönchen.« »Mit Krönchen? Ich finde, sie sehen wie Pferdeköpfe aus.« Sie schaute mich nachdenklich an, ich kam mir blöd vor »Wieso kannst du hier als einzige Deutsch?«, fragte ich mit vollem Mund, um das Thema zu wechseln. Sie lächelte und spielte mit ihrem neuen Anhänger. Das regte mich erneut auf, vielleicht auch, weil ich so müde war, dass mir der Kopf summte. Ich sagte: »Zu dem Speck würden saure Gurken gut passen! Habt ihr keine?« »Saure Gurken?«, fragte sie. »Eine Spreewälder Spezialität!«, hielt ich ihr vor. »Ach so, die! Aber Gurken werden hier erst im sechzehnten Jahrhundert eingeführt.« »Hä?« Sie lachte und schubste mich. »War nur Spaß.« Ich schaute sie misstrauisch an. Tatsächlich – diese Wohnverhältnisse sahen echt mittelalterlich aus. Mir dämmerte der Verdacht, dass hier irgendwo eine Kamera versteckt war und alles aufzeichnete, zur schadenfrohen Unterhaltung des Fernsehpublikums. Also tat ich ganz cool und gähnte. »Tut mir Leid, dass ich müde bin«, sagte ich. »Ich hatte einen schlimmen Tag.« Die ältere Frau hob die Augenbrauen, als sie mich gähnen sah, und wies auf eine der Schlafstellen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen; hundemüde war ich tatsächlich, das brauchte ich nicht zu schauspielern. Ich legte mich hin, angezogen, wie ich war, und musste wohl augenblicklich eingeschlafen sein. Jedenfalls erinnere ich mich an sonst nichts mehr. Ich wachte auf, weil mir die Sonne in die Nase schien und ich

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niesen musste. Ich lag im trockenen Gras. In der Ferne hörte ich ein Auto, es musste dort eine Straße geben! Als ich mich verwirrt aufrichtete, fand ich, dass ich nach altem Schweiß stank. Da erst fiel mir die vorige Nacht ein. Ich sah mich um – keine Hütte, kein Wald, kein Moor. Es gab aber einen Steg, an dem war mein Boot angebunden, wohlbehalten und unsere Weiterreise erwartend. Am Rand des Stegs stand ein Schraubglas mit Spreewälder Gurken, daneben lag ein Sträußchen Sumpfdotterblumen.

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Amadeus Firgau Und seine 5 fantastischen „Sorla“-Romane Spannend und skurril, dramatisch und mystisch ist der abenteuerliche Weg, den Sorla zu gehen hat. Dabei lernt er, dass das Leben unter Menschen gefährlicher sein kann als was er bisher in der Wildnis unter Ungeheuern aller Art erlebte. „Sorla, beruhige dich. Schlangen sind etwas Wunderbares, Mächtiges!“ „Alle sagen, Schlangen sind böse.“ „Nein. Cheruchtquale sind böse, der Schwarze Woul möge Anod ihm heimleuchten! - ist böse, aber Schlangen?“ „Und Chrebil? Würdest du einen Chrebil heilen?“ „Natürlich. Wie kannst du fragen!“ „Und wenn er Aistiken töten will, oder dich?“ Kräuter-Liska fasste nach der Schere, die am Band von ihrem Gürtel hing, und hielt sie hoch, dass sie vor Sorlas Augen blitzte. „Dann allerdings wäre ich gezwungen, ihm den Lebensfaden abzuschneiden“, sagte sie knapp. Amadeus Firgau veröffentlichte unter anderem fünf Fantasy-Romane, die „Sorla“Reihe. Sie begeistern auch Leser, die sonst keine Fantasy mögen. Der erste Band erzählt Sorlas Kindheit in der Wildnis und bei den Gnomen. In jedem der folgenden Bände ist Sorla einige Jahre älter, entsprechend ändern sich Probleme und Schauplätze. Neben skurrilen, berührenden, fantastischen Ereignissen und spannender Handlung geschieht durchaus auch Erschreckendes. Doch die Glücksgöttin Atne stellt Sorla nicht nur vor fast unlösbare Aufgaben, sondern gewährt ihm durch überraschende Wendungen immer wieder einen Ausweg. Die Bücher sind als Print und E-books erhältlich

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Lieber Wind Elin Bell

Lass uns gemeinsam fest umschlungen Mein Sehnen tragen durch die Luft Lass mein Schlagen hörbar sein Hier und weiter bis zum Horizont Lass uns Berge überfliegen In Quellen, Flüsse, Meere fließen Lass mein heißes Klopfen Unberührten Raum erstürmen Dunkelheit durchdringen Wenn nachts der Mond So kalt am Himmel steht Lass uns über Dünen Sanft pulsierend leise atmen Goldenen Sand Im Rhythmus meines Trommelns Hoch zu weißen Wolken wehen Lass das Klingen meines Pulses Ein Echo finden in der Menge Dass ein zweites Herz Ganz sacht berührt Den Takt erfühlt Mit mir vibriert

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Wortsplitter Elin Bell

Auf meinem Blatt Zerspringen Worte In tausend Splitter Sie laufen umher In meinem Gedicht Nach Belieben Auch zwischen den Zeilen Beginnen zu rufen Seufzen und klagen Fragil Zerrissen Allein Mit meiner Feder Fange ich sie ein Erfinde neue Worte F체ge sie zusammen Frakturen heilen Bruchlinien vernarben Angst Vor neuem Zerbrechen L채sst Vorsicht aufkommen

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Wetter ist nicht gleich Wetter Susanna Bur

Grundsätzlich bin ich der Meinung, die Meteorologen sind sich nur bei einer Vorhersage wirklich sicher: Nachts ist es dunkel und tagsüber hell. Wetter ist immer, deshalb ist es auch ein dankbares Gesprächsthema. Und das Beste ist auch noch: Das Wetter ist an allem Schuld, von der Migräne bis hin zur Naturkatastrophe – es kann sich noch nicht einmal gegen diese Anschuldigungen wehren, weshalb auch, es grinst sich eins und tut was es will. Auch ich ärgere mich oft über das Wetter. Als moderner Mensch will ich es einfach nicht hinnehmen, dass mein Balkon mir heute einreden will, dass es regnet. Nein, ich will ihm nicht glauben, ich tue das, was heute gang und gäbe ist, ich frage das Internet, welches Wetter wir haben. Wäre doch gelacht, wenn ich meinen Balkon nicht austricksen kann. Ich google also »Wettervorhersage« und freue mich über die Riesenauswahl an Möglichkeiten. Ich entscheide mich für eine Website, die damit prahlt, dass sie diejenige ist, die in den Jahren 2011, 2013 und 2014 das Prädikat »beliebteste Website in der Kate-gorie Wetter und Verkehr« verliehen bekam. So richtig mit Brief und Siegel und einem gläsernen Pokal. Ferner war sie Testsieger bei der Stiftung Warentest für beste Prognose und gute Suchfunktion. Bei ÖkoTest wurde sie mit der Note gut (1,9) ausgezeichnet. Hier muss ich richtig sein und anders als auf meinem Balkon finde ich eine im-mens große Auswahl an Wetter. OK, dass der Balkon mir nicht sagen kann, wie das Wetter in Paris, London

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oder New York gerade ich ist, sehe ich ihm nach, aber er bekommt heftige Konkurrenz: Ich suche Saarbrücken und werde fündig! Stündliche Werte kann ich abrufen, heute 13-14°, teilweise sonnig, teilweise bedeckt mit leichtem Regen. Gut, bis jetzt behielt mein Balkon recht und kann noch mithalten. Doch ich gebe nicht auf. Ich scrolle auf der Website weiter runter und finde unter der Rubrik »Relevante Städte« eine Auflistung weiterer Orte des Saarlandes, wie Neunkirchen, Blieskastel, Lebach, Dillingen usw. und, ich werde einen Moment stutzig, denn in der Liste stehen auch London, New York City, Palma de Mallorca. Ich grüble darüber nach, in welcher Relevanz jetzt New York City zu Lebach oder Dillingen steht. Ich komme nicht dahinter, kann daran liegen, dass ich nicht wirklich weiß, was Relevanz bedeutet. Aber ich weiß mir zu helfen, ich bin ja im Internet, also schnell mal das Wort »Relevanz« googeln. Und siehe da, ich werde bei Wikipedia fündig: »Relevanz ist eine Bezeichnung für die Bedeutsamkeit oder Wichtigkeit, die jemand etwas in einem bestimmten Zusammenhang beimisst.« Ich Dummerchen, wieso bin ich nicht gleich auf den Zusammenhang gekommen: Lebach, Dillingen, St. Ingbert, New York sind halt Großstädte unter sich. Doch ich halte mich nicht weiter bei Relevanz auf, weiterscrollen, die Website hat noch viel zu bieten, denn ich sehe in waagerechter Anordnung 5 Überschrif-ten mit vielen weiterführenden Links und spüre in diesem Augenblick Mitleid mit meinem armen kleinen Balkon und seinen beschränkten Möglichkeiten.

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Unter der ersten Überschrift »Wetter« finde ich die Unterpunkte Videovor-hersagen, Wetterlexikon, Wetterwarnungen, wetter.com Deutschland, Schweiz, Österreich und Espana. Die nächste Überschrift heißt »Wetter Tools«. Sie bietet Homepagewetter, Profiwetter und wetter.com Desktop App. Das mit dem Profiwetter interessiert mich, ich klicke auf den Link, lande auf einer neuen Seite und lese: »Sie wollen mehr? Dann sind Sie hier genau richtig! Ihre Vorteile - wetter.com noch schneller - gänzlich ohne Werbung - Profiwetterkarten - Niederschlagsradar-Prognose für Deutschland - 1-stündige Satellitenbilder Noch kein Mitglied von wetter.com? Dann registrieren Sie sich jetzt kostenlos und nutzen Sie Vorteile wie: - personalisierten Userbereich - Wetterletter - Teilnahme an unserem Fotogewinnspiel - Homepagewetter - u.v.m. Das Profiwetter auf Rechnung ist nur für die Dauer von 1 Jahr möglich. Wenn Sie sich gleich für mehrere Monate anmelden, sparen Sie. Z. B. 12 Monate für 49,90€, statt 68,40€« Sparen ist immer gut und eigenes Wetter für nur knapp 50€ im Jahr, das überlege ich mir noch. Doch jetzt erst mal zurück zu den verbleibenden anderen Überschriften.

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Foto: susanna Bur

Es wird noch spannender, die nächste lautet »Mobiles Wetter«. Hier gibt’s iPhone Wetter, iPad Wetter, Android Wetter, Windows Mobile Wetter und wetter.com mobil. Im Augenblick ist es mir zu viel, aber später will ich unbedingt herausfinden, ob das iPad Wetter mir für heute mehr Sonne bietet, als das Android Wetter. Erst mal schnell zur nächsten Überschrift »Videos«. Die einzelnen Links führen zu Wetternews, Deutschlandwetter, Schweizwetter, Regionalwetter, Österreichwetter, Reisewetter, Gesundheitswetter, Wetterwissen und Lifestyle. Lifestyle! Wieso Lifestyle? Ich klicke den Link an, eine neue Seite öffnet sich und mir springt folgende Werbung entgegen: »Ärzte und Diätindustrie schockiert, warum? For-scher entdecken eine unglaubliche Methode zur Fettverbrennung, 12 kg in 30 Ta-gen.« Mag ja interessant sein, vielleicht gibt es auch eine Relevanz zum Wetter, aber ich kehre zurück zur Seite mit den Überschriften.

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Als nächstes kommt die Überschrift »Ratgeber«, mit den Unterpunkten Grillwetter, Gartenwetter, Pollenflugwetter, Routenwetter, Biowetter, Sonnenschutz und Zeckenwetter. Ich hoffe doch sehr, dass die Zecken für ihr persönliches Wetter auch nicht mehr als 50€ im Jahr zahlen müssen. Das waren die Überschriften, jetzt muss ich nur noch die vielen, vielen weiter-führenden Links anklicken, mir ein paar Stunden Zeit zum Lesen nehmen, da-mit ich heute alles über das Wetter von Saarbrücken bis New York in Erfahrung bringe, mit stünd-lichem Update, versteht sich. Halt nein, ich bin noch nicht mit den Überschriften durch: Ganz unten auf der Seite befindet sich ein dick umrahmtes großes Kästchen mit dem Gefahrstelle-Verkehrs-schild – also ein Ausrufezeichen in einem Dreieck. Rechts daneben ist ein Schirmchen abgebildet und in Großbuchstaben mit einem Hyperlink versehen steht dort: »Regen-Liveticker«. Ich nehme allen Mut zusammen, klicke drauf und lese: Saarbrücken heute 13-14°, teilweise sonnig, teilweise bedeckt mit leichtem Regen. Morgen frage ich wieder meinen Balkon, das geht schneller und er hat sowieso recht.

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Der Orangenkrieg wie aus einer Mücke ein Elefant wird Satire Susanna Bur ISBN 978-3-944306-08-7 www.bur-verlag.de Auch als E-Book erhältlich Was passiert, wenn sich ein Ehepaar scheiden lassen will. Nur so, aus Spaß, weil es ihnen wie ein Abenteuer erscheint, eine Abwechslung in ihrem Ehealltag bedeutet. Während Olivia und Lukas verliebt wie eh und je diesen Schritt geplant in Angriff nehmen und so gar keine Probleme damit haben, lösen sie in ihrem sozialen Umfeld, ja sogar in der halben Welt ein Chaos aus. Der Grund dafür sind ihre 16 Orangenbäumchen, die sie selbst gezogen haben aus einer wohl nicht ganz ungefährlichen Orange aus Málaga.

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Langsam Birgit Burkey

Mein Herz tickt langsamer als deines, dehnt Minuten genussvoll aus, trommelt auf neuen Wegen Richtung Zukunft. Mein Herz tr채gt leichter als deines, wirft Ballast fr체her hinab, pocht liebevoll und frei durch Tag und Nacht.

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Ungestillt Birgit Burkey

Ungestillt kriecht meine Zeit Ăźber traumbewachsene BĂśden. Wachsam begleite ich ihren Weg und verliere mich in Ungeduld, wenn Ziele sich im Chaos winden.

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Summersound Birgit Burkey

S ommerflügelschläge auf der Haut U nd Ozeanduft im salzgekrönten Haar. M eerbetört lausche ich Winden, die M itreißend über Wellen toben. E bbe, Flut, Licht und Wolkenspiele, R egenschauerferne Sonnenzeiten, S orgenfreie Glücksgedanken O hne zwangsgeprägten Alltag. U mhüllt von Blauhimmelseide N eige ich mein Herz und lege es in D eine sandgeformten Hände.

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Foto: Susanna Bur


Weisgerber Barbara Würtz

Zarte Farben zeigt das Motiv Der Zeitungleser Ein Gemälde von Albert Weisgerber Ich kann es bewundern im Saarlandmuseum Täglich geöffnet von 10.00 bis 18.00 Uhr Unten im Keller hängen seine Zeichnungen Natürlich werden oben die wunderbaren Gemälde gezeigt Genussvoll und mit Freude betrachte ich die Gemälde Lebendig dargestellt vor allem seine Selbstbildnisse Ein Gemälde gefällt mir besonders: Der Zeitungleser im Restaurant Sehr düster scheint mir das Umfeld des Protagonisten Es ist mir sehr genehm, die Ausstellung mit Freunden zu besuchen Recht mühsam aber ist die Bildbeschreibung

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Der Zeitungleser im Restaurant Barbara Würtz

Ein vornehmer Herr in einem Gasthaus schwarze Seidenjacke, Zylinder, zeitunglesend eine angezündete Zigarre im rechten Mundwinkel Auf sein Mittagsmenü wartend allein an einem Vierertisch dieser bedeckt mit einer verwaschenen Tischdecke darauf eine Menage, Wasser- und Whisky-Flasche Außen am Fenster eine verhüllte Gestalt die mit weit aufgerissenen Augen späht Diffuses Licht dringt durch die trüben Scheiben erhellt kaum die Szene im Restaurant Der Gast genießt einen bereitstehenden Aperitif Sobald der Herr seine Lektüre beendet hat, wird er wohl das Journal zur Seite legen und sich genüsslich seiner Speise widmen

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Frühlings-Erwachen Barbara Würtz

Noch hält sich die Dämmerung an der Dachrinne fest Vogelmelodien künden den neuen Tag Blütenknospen schauen der Sonne entgegen leuchten weiß und rosa Lila Fliederblüten wehen ihren Duft mir zu Ich schlage die Augen auf

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Foto: Erwin Altmeier


Farbenzauber Barbara Würtz

Der Frühling lächelt mir zu mit all seinen Farben Junges Blättergrün der Bäume Silberne Weidenkätzchen im Sonnenlicht Gelbe Löwenzahnblüten am Wegrand Schlüsselblumen in sattgrünen Wiesen Weiße Sternmagnolien an Sträuchern Rot-weiße Blüten an Magnolienbäumen Neben Häusern das rosafarbene Blütenmeer der japanischen Zierkirsche Lilafarbene Fliederbüsche in Gärten Leuchtendes Gelb der weiten Rapsfelder Das frühe Jahr zeigt sein Lächeln

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Unterwegs im Frühling Barbara Würtz

Bäume mit kahlen Ästen begleiten meine Fahrt Sträucher in erwachendem Grün Das Murmeln der Blies im Hintergrund Erstes Gelb am Wegrand Löwenzahn in voller Blüte In Sonnenstrahlen leuchten silberne Weidenkätzchen Rechts der Straße weite Wiesenflächen in saftigem Grün Ein Milan zieht seine Kreise und weist mir den Weg

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Eis-Variation Barbara Würtz

Eis mit Leberwurst aus eigener Herstellung mit besten Zutaten Verwöhnen Sie Ihren Liebling Freuen Sie sich, wenn er diesen Leckerbissen genüsslich verzehrt Ihr Hund

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Zwischenmahlzeit Barbara Würtz

Häppchen für den kleinen Hunger mit vorzüglichem Geschmack Hühnchenfleisch zusätzlich mit Q10 oder Putenfleisch zusätzlich mit Zink und Traubenextrakt Nur das Beste für Ihren kleinenWildfang Schnurrrrr

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Ein stiller Freund Bodo Bickelmann

Dann wurde es holprig. Muli holte sich blaue Flecken an den Schultern und den Knien, und wenn der Wagen durch ein Schlagloch fuhr, schlug er mit dem Kopf auf dem Kofferraumboden auf. Er versuchte, sich Halt zu verschaffen, indem er die Füße gegen die Seitenwand stemmte, aber er hätte auch die Hände gebraucht, um sich mit ihnen auf der anderen Seite abzustützen, und seine Hände waren hinter seinem Rücken zusammengebunden. »Ich war’s nicht!«, hatte er geschrien, als sie ihn packten, und Pelle mit dem Revolverknauf nach seinem Kopf ausholte. Aber sie hatten ihm nicht geglaubt, und so war es schon immer gewesen - wenn ein anderer etwas behauptete, und Muli behauptete das Gegenteil, glaubte man garantiert dem anderen. Nur einer hatte ein Gesicht gemacht, als zweifle er daran, dass Muli ein Verräter sei. Das war sein stiller Freund gewesen, der Kerl mit der Knollennase, der meistens etwas abseitsstand und nie was sagte. Muli kannte nicht mal seinen Namen, er hatte auch noch nie mit ihm gesprochen, dennoch - seit jenem verpatzten Coup, für den sie ihm schon mal die Schuld gegeben hatten, wusste er: Die Knollennase war sein Freund. Muli hatte so gehofft, diesmal endlich seine Stimme zu hören. Er würde ihn verteidigen, würde den anderen klarmachen, dass es nicht Muli sein konnte, der sie verraten hatte. Aber sein Freund schwieg, und Muli konnte es ihm nicht verdenken. Er war eine Randfigur, genau wie Muli - niemand würde auf ihn hören. Er würde sich nur selbst verdächtig machen.

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Schließlich blieb der Wagen stehen. Eine Tür wurde geöffnet und schlug wieder zu, Schritte näherten sich als leises Kratzen am Boden. Muli zog die Knie an. Seine einzige Chance würde es sein, dem Henker die Füße in den Leib zu rammen, sobald sich die Kofferraumklappe weit genug auftat. Aber damit würde der Henker natürlich rechnen. Er war ein Profi, er würde vorbereitet sein. Und selbst, wenn er ihn erwischte: Wie sollte Muli mit seinen im Rücken gefesselten Händen aus dem Kofferraum hinausgelangen - schnell genug, um dem Henker zu entwischen, bevor der sich wieder aufgerappelt hatte? Falls er überhaupt zu Boden ging ... Trotzdem zog Muli die Knie bis dicht an den Bauch heran. Er spannte die Muskeln in den Beinen an und konzentrierte sich. Er war es gewohnt, dass die Chancen gegen ihn standen. Und ja, er war es gewohnt, dass er verlor, aber noch nie hatte ihn der Tod herausgefordert - vielleicht gab ihm das die Kraft, die ihm bis hierhin immer abgegangen war. Und nein: Es konnte doch nicht hier zu Ende sein! Das Kratzen am Boden verstummte vorm Kofferraum. Ein trockenes Klack - die Klappe wurde entriegelt. Muli zog die Knie noch fester an und starrte auf den hellen Streifen, der sich zeigte. Dann wurde der Streifen mit einem Schwung breiter, und Muli stieß die Füße in den Spalt. Der Stoß ging ins Leere, und gleich darauf schlugen seine Waden schmerzhaft auf der Kante des Kofferraums auf. »Sachte! Sachte!«, sagte eine nuschelige Stimme, die ihm völlig fremd war. Aber das Gesicht dazu, das kannte er: Es war sein stiller Freund. Er griff nach Mulis Oberarm, aber nicht grob, wie es wohl der Henker tun würde, sondern wie einer, der

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einem Kumpel dabei half, aus dem Kofferraum zu klettern. Muli sah sich um. Der Wagen stand am Rande eines Waldwegs. Zu beiden Seiten Heerscharen von Baumstämmen, viele davon breit genug, um einem Augenpaar und einer Waffe in der Hand Versteck zu bieten. »Sind wir allein?« Knollennase nickte und drückte die Kofferraumklappe ins Schloss. Muli kaute auf der Unterlippe. Die nächste Frage wollte ihm nicht von der Zunge, aber er musste sie stellen. »Bist du der Henker?« Im Gesicht des stillen Freundes zuckte etwas wie ein müdes Lächeln. »Komm!«, sagte er und fasste Muli kurz am Arm. »Ich will dir etwas zeigen.« Muli blieb stehen und beugte die Unterarme hinter dem Rücken hervor zur Seite. »Die Fesseln?«, fragte er. »Später!« Muli sah sich wieder um. Suchte nach verräterischem Blitzen auf Metall. Sein stiller Freund wirkte so sanft. Ganz und gar nicht wie ein Henker. Aber wenn er nicht der Henker war, warum waren sie dann hier? Muli ging voraus, in die Richtung, die der andere ihm zeigte. Mürbe Zweige knackten unter ihren Schuhen, sie gingen immer tiefer in den Wald hinein. Wenn er jetzt zu laufen anfing? Einfach rannte und Knollennase dadurch zwang zu zeigen, wer er war? Ein Schuss - das wär’s gewesen. Oder eben Stille hinter ihm - nur seine eigenen Schritte, die das Laub aufwirbelten, und ab und zu das Flattern eines aufgescheuchten Vogels.

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Foto: Susanna Bur


Doch er ließ es bleiben. Er spürte wie noch nie, wie er an jeder einzelnen Minute seines Lebens hing, wie er dem Tod nicht noch entgegenlaufen wollte. Das war das eine. Das andere war das Gefühl, das sein stiller Freund ihm still vermittelte, dass er einen Plan habe, wie er Mulis Leben retten würde; und dass nur dieser Plan ihm wirklich helfen konnte. Am Geräusch der Schritte hörte er, dass Knollennase dicht hinter ihm ging, dennoch warf er ab und zu einen Blick über die Schulter, wie um sich zu vergewissern, dass der andere noch da war. Er sah dann meist nur seinen Haaransatz und seine Stirn und seine Nase, nie begegnete er seinem Blick, der unentwegt, wie’s schien, zu Boden zeigte. Was war es, was ihn denken ließ, dass dieser Mann sein Freund sei, selbst wenn er der Henker war? »Ich hab euch nicht verraten!« Die Antwort war ein Seufzen. »Du glaubst mir doch! Ich weiß, dass du mir glaubst!« »Ich glaube dir!«, kam es endlich aus dem Mund des stillen Freundes, doch es kam so gleichgültig, dass Muli ganz eng in seiner Brust zumute wurde. So war es wohl - es spielte keine Rolle, wer ihm glaubte, und wer nicht. Er war ja nur ein Unsichtbarer, einer der an einer Ecke Schmiere stand und fror, während die anderen drinnen die eigentliche Arbeit machten. Eine Arbeit, von der man ihm kaum etwas sagte; nur wie hoch sein Anteil war, das sagte man ihm, wenn alles glatt gelaufen war. Unsichtbar und austauschbar. Einer, den man gut gebrauchen konnte, wenn es einen Sündenbock zu finden galt. »Möcht wissen, wer mich angeschwärzt hat.« Er murmelte das nur so vor sich hin. Auch sein stiller Freund würde es nicht

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wissen. Niemand würde es wissen, außer dem Boss und dem verräterischen Feigling selbst. Doch kaum waren seine Worte draußen, da räusperte Knollennase sich auf eine Art und Weise, dass Muli abrupt stehen blieb. »Du weißt es? Sag, dass du es weißt!« Er hatte sich umgedreht und suchte den Blick des stillen Freundes, der ihm zunächst auswich. Doch Muli blieb beharrlich, bis Knollennase endlich seinen Blick erwiderte. »Ich weiß es.« »Wer war es?« »Einer, von dem niemand glauben würde, dass er dich verleumdet.« Muli zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt kann ich mir das von jedem vorstellen, außer von ...« Durch die vorhin so eng gewordene Brust schien jetzt ein Wind zu pfeifen wie durch einen ausgehöhlten Schacht. »Du?« Sein Gegenüber nickte. »Warum?« »Das erfährst du früh genug! Jetzt erstmal weiter!« Als Muli sich nicht rührte, hob Knollennase drohend die Pistole, und in einem neuen, verzweifelt eisigen Ton fauchte er: »Weiter!« Muli drehte sich um. Zu benommen, um an Widerstand zu denken, setzte er Fuß um Fuß voreinander. Einmal, da hatte er jemand sagen hören: »Du gehst kaputt, wenn du keinen Menschen hast, dem du vertrauen kannst!« Die Worte waren nicht für ihn bestimmt gewesen - er hatte niemanden, der sowas zu ihm sagen würde -, er hatte sie nur zufällig mit angehört, doch sie schienen wie auf ihn gemünzt, zeigten sie

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ihm doch die große Wunde seines Lebens. Eine Wunde, die offen lag, aus der das Blut vor seine Füße tropfte und seine Wege glitschig machte, bis er glaubte, er hätte endlich einen Freund gefunden. Einen stillen Freund. Damals war was schiefgegangen, es hatte eine Schießerei gegeben, und der Boss warf Muli vor, er hätte nicht aufgepasst, hätte die anderen zu spät gewarnt. Dabei war es nicht seine Schuld gewesen. Die Planung war schlecht. Von seinem Platz aus hatte er die Cops nicht früher sehen können, und den Platz hatte man ihm zugewiesen. Pelle flippte aus, als Muli das zu sagen wagte. Pelle hatte ihn dort hingestellt, und jetzt brüllte er: »Was glaubst du, wer du bist, du Arschloch? Hat dich jemand gefragt? Du sollst die Augen offen halten und die Klappe zu. Das ist alles, was du tun sollst. Aber nicht mal das kriegst du gebacken.« Er brüllte, bis der Boss dazwischenging. »Das reicht!«, sagte er, nicht einmal laut, das hatte er nicht nötig, auf seine Stimme waren sie geeicht. »Er weiß schon, wer er ist. Nicht wahr, das weißt du?« Muli nickte eingeschüchtert. Dann sagte der Boss: »Und jetzt raus!« Es klang wie ein Peitschenhieb. Muli ließ den Kopf sinken und trottete zur Tür. Ein paar Minuten später, als er draußen wartete, ging die Tür noch einmal auf, und Knollennase kam heraus. Er suchte etwas, hektisch wühlte er in Schubladen, und dann, als er wieder auf dem Weg zur Tür war, blieb er plötzlich stehen und sah Muli an. Für einen Moment wirkte er unentschlossen, dann steckte er eine Hand in die Innentasche seiner Jacke, und zog einen Flachmann daraus hervor. Wortlos reichte er ihn seinem Gegenüber, dem von allen anderen Ausgestoßenen. Muli nahm den Flachmann dankbar an, schraubte den Verschluss auf, trank einen Schluck, und fragte, bevor er ihn wieder schloss: »Du auch?«

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Knollennase schüttelte den Kopf. Mit einem zufriedenen Lächeln steckte er das Fläschchen wieder in die Tasche. Von da an schien er Mulis Freund zu sein, ein stiller Freund, der nie was sagte, sondern mit den Augen zwinkerte, mit sicherem Gespür immer gerade dann, wenn Muli »Bullshit« dachte und es nicht zu sagen wagte. Ein Freund? Bullshit! Ein Spion war er, und Muli fragte sich, ob er auch jetzt in seinem Rücken zwinkerte. Bestimmt hatten sie das damals so besprochen, als er selber vor der Tür gewartet hatte. Doch andererseits ... hatte Knollennase, indem er Muli verleumdet hatte, den Boss angelogen. Was war das nun wieder? Unvermittelt blieb er stehen. Er wollte es jetzt wissen, er würde seinen falschen Freund zur Rede stellen. Lieber sollte ihn der andere jetzt gleich erschießen, als dass er sich noch länger von ihm an der Nase herumführen lassen würde. Als er sich umdrehte, blickte er in die Mündung der Pistole. Knollennase hielt sie in der rechten Hand. Mit der linken zeigte er knapp an Muli vorbei. »Da rüber!«, sagte er. »Nur noch die paar Meter, dann sind wir da.« Muli schaute in die Richtung, die der andere ihm wies. Dort stand ein Baum, natürlich, aber dieser eine Baum war mächtig groß, und er stand einzeln, wie auf einer Lichtung, als hielten die anderen Bäume Abstand zu ihm, aus Respekt vor seiner Größe oder seinem Alter. »Da, zu dem bekackten Baum soll ich? Wozu? Willst du mir etwa zeigen, wie groß und mächtig so ’ne bekackte Eiche sein kann, bevor du mich über den Haufen knallst?« »Das ist ’ne Buche, und wenn du willst, knall ich dich gleich hier über den Haufen. Aber nicht dort!« Muli starrte Knollennase an. Was war denn das nun wieder?

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Foto: Susanna Bur


War das eine Chance? Er zweifelte. Aber vielleicht musste er ja wirklich nicht sterben, wenn er nur zu dieser ... blöden ... blöden ... Buche ging! Ein paar Meter vom Baumstamm entfernt, unter den weit ausladenden Ästen blieben sie stehen. »Weiß du, was ein Henker ist?«, fragte Knollennase und sah in die Krone hinauf. »Ein Henker ist jemand, der einen anderen tötet, egal, was er von ihm hält, oder wie er zu ihm steht. Ein Henker tötet, weil man es ihm befiehlt.« Muli folgte Knollennases Blick. Erst jetzt bemerkte er einen dicken Ast, der ein gutes Stück unterhalb der anderen Äste vom Stamm abzweigte. Sein ganzer Körper spannte sich an, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er wird mich hier nicht abknallen, das hat er gesagt. Er hat nur gesagt, dass er mich nicht abknallen wird! Knollennase sah weiter in die Krone hinauf. Als er fortfuhr, hörte es sich an, als spreche er viel mehr zu sich selber als zu Muli. »Ein Freund von mir hatte den Cops was gesteckt. Angeblich jedenfalls. Die anderen sagten, es sei an mir, ihn umzubringen. Als Beweis meiner Loyalität.« Er seufzte und schwieg einen Moment. »Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen, aber ich habe es getan. Ich sagte mir, er ist ein Verräter, er hat es verdient zu sterben, er muss sterben. Aber überzeugt war ich nicht davon. Ich war nur feige. Ich hatte Angst, dass sie mich ebenfalls töten, wenn ich mich weigere, Sie hatten mir eine Pistole gegeben, die ich danach wegwerfen sollte, und damit habe ich ihn erschossen. Hier, unter diesem Baum war das.« Muli beugte unmerklich die Knie, machte sich bereit, sich auf den Feind zu stürzen, trotz seiner im Rücken gefesselten Hände. Er wusste, wie aussichtslos das war, aber jetzt kam es nur noch

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darauf an, nicht aufzugeben. »Inzwischen glaube ich, sie hätten mich nicht umgebracht. Tatsächlich waren sie beeindruckt. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass ich das tun würde: Einen Freund töten, auch wenn er ein Verräter war. Von da an dachten sie, ich hätte keine Skrupel. Von da an war ich der Henker.« Und plötzlich wandte er sich wieder Muli zu, der, schon halb im Sprung, zurückschrak und das Gleichgewicht verlor. Knollennase streckte ihm die freie Hand entgegen, fing ihn damit auf und stützte ihn, bis er wieder geradestand. Muli duckte sich und zerrte an den Fesseln. Er rechnete mit einem Faustschlag, doch dann bemerkte er den seltsamen Blick, der auf ihm ruhte. Knollennase sah ihn an und schien ihn doch nicht anzusehen - als schaue er durch ihn hindurch, vielleicht in die Vergangenheit oder in die Zukunft, und er wirkte traurig und gleichzeitig erleichtert. »Danach habe ich sie noch mehr beeindruckt. Wenn es gefährlich wurde, wenn es auf Leben und Tod ging, dann war ich immer als Erster dabei. Sie hatten ja keine Ahnung, warum.« Knollennase seufzte, steckte die Pistole in die Jackentasche, zog stattdessen ein Messer hervor und ließ die Klinge aus dem Griff schnellen. Muli machte einen Schritt zurück. »Die Fesseln!«, hörte er sein Gegenüber sagen. »Ich hab es dir versprochen.« »Ich trau dir nicht mehr!« Knollennase zuckte mit den Schultern, und plötzlich war er hinter Muli, packte dessen linken Unterarm, zog ihn vom rechten fort, und dann war die Spannung zwischen Mulis Knöcheln weg, und den rechten Arm konnte er nach vorne ziehen. Als Knollennase auch den linken freigegeben hatte, wirbelte

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55 Foto: Erwin Altmeier


Muli zu ihm herum, nur um schon wieder in einen Pistolenlauf zu blicken. »Was soll das alles? Ist das ein perverses Spiel? Willst du mich in den Wahnsinn treiben?« Knollennase schüttelte den Kopf, dann drehte er die Waffe um, hielt sie jetzt am Lauf und drückte den Griff in Mulis rechte Hand. »Du bist der einzige Mensch, dem ich vertraue«, sagte er, zog Mulis Hand mit der Pistole drin zu sich heran und setzte sich selbst die Mündung auf die Brust. »Enttäusch mich nicht!«

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Gromek will lesen Kriminalroman Bodo Bickelmann ISBN: 978-3-944306-14-8 Auch als E-Book erhältlich ISBN 978-3-944306-15-5 „Mein Name ist Gromek. Ich bringe Menschen um — das ist mein Job. Ich hasse es. Endlich habe ich die Chance auszusteigen. Dafür soll ich jemandem das Leben retten. Doch diesen Mann habe ich erschossen. Schon vor langer Zeit. Mit seinem Tod hatte alles angefangen.“ Leseprobe und Infos

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Das Ungesagte Lisa Szygula

Das Ungesagte sagt oft mehr, als tausend dumme Worte. Drum kannst du dir die Sätze spar'n, die von der bÜsen Sorte! Das Ungesagte sagt oft mehr, als tausend liebe Worte. Drum sei mal still und red' nicht nur, egal an welchem Orte! So ist die Weisheit gar nicht schlecht: Schweigen ist auch manchmal Gold. Deshalb folg' ich diesen Worten, red' mal nichts, auch wenn ich's wollt'!

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Kleine Schwester Lisa Szygula

Selbst der größte Held wird weich, bei seiner kleinen Schwester. Sie macht dir das Leben reich, deine kleine Schwester. Klaro gibt's auch manchmal Streit, mit deiner kleinen Schwester. Doch ohne sie kommst du nicht weit. Du brauchst deine Schwester! Tröstet wie's sonst keiner kann, deine kleine Schwester. Nimmt dich fest in ihren Arm, deine kleine Schwester. Steht zu dir in jeder Stund' deine kleine Schwester. Verteidigt dich mit ihrem Mund, deine kleine Schwester. Ich bin froh, dass ich dich hab MEINE kleine Schwester. Ich geb' dich nie wieder ab, denn du bist MEINE SCHWESTER.

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Schwestern Lisa Szygula

Es ist ein Band, das niemals reißt. Meistens Liebe, zuweilen Streit. Schwestern Es ist ein Band, das immer da. Tag um Tag und Jahr um Jahr. Schwestern Es ist ein Band, das immer hält. Es geht um Rückhalt, nicht um Geld. Schwestern Es ist ein Band, das kann sich dehnen. Es geht um Helfen, bei Problemen. Schwestern Es ist ein Band, das niemals bricht. Wenn man zusammenhält und manchmal dicht. Schwestern Es ist ein Band, das niemals kracht. Es geht um Beistand, bei Tag und Nacht. Schwestern

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Es ist ein Band, das stets besteht. Reißt es mal an, wird’s schnell genäht. Schwestern Es ist ein Band, das nie verschwindet. Und das ist gut, weil’s uns verbindet! Schwestern

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Ohne Titel Lisa Szygula

Niemand sieht über den Tellerrand Kelle für Kelle mit Hass gefüllt von Suppenkaspern und Ulknudeln, die weismachen wollen nicht bloß einzelne Faule, sondern alle verderben den guten Geschmack! Die Guten müssen leiden, weil Einzelne verdorben sind! Viele Münder bleiben geschlossen, schließen sich ohne zu probieren an und hassen mit! Nur wenige probieren und schmecken den Hass, benutzen ihr Gehirn und tuen was! Schmecken wird mir solch' eine Suppe nie! -bevor wir's vergessen: JE SUIS CHARLIE!

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Lisa Szygula

Ja ich bin da! Eine Sammlung von Gedichten. Broschiert und als E-Book bei amazon „Ich habe meiner Gedichtesammlung den Titel "Ja ich bin da!" gegeben, weil ich finde das dieser am Besten ausdrückt, was ich mit meinen Gedichten sagen möchte. Nämlich das ich hier bin, auf dieser Welt, und das ich es gerne bin.Dies zeigen auch viele meiner Gedichte.Sie finden Jahreszeitengedichte, Liebesgedichte aber auch manche Nonsensgedichte in diesem Buch.Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim lesen! „

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Fot: Erwin Altmeier

Foto: Erwin Altmeier


B-Tonung Erwin Altmeier

Schon seit geraumer Zeit fällt mir auf, dass es offenbar zur Rhetorik-Ausbildung von Nachrichtensprechern und Moderatoren in Rundfunk und Fernsehen gehört, Präpositionen, Konjunktionen und Artikel in einem Satz besonders zu betonen, auch wenn dies gar keinen Sinn macht. Und es macht fast nie einen Sinn! Ganz offensichtlich soll die Sprache dadurch lockerer klingen und die Aufmerksamkeit der Hörer gesteigert werden. Für mich wirkt es aber einfach nur lächerlich. Nun ja, ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, dass fast kein Fernseh- oder Radiomensch mehr normal spricht. Was mich allerdings interessieren würde, ist die Frage, ob Moderatoren und Sprecher keine beruflichen Chancen hätten, wenn sie sich weigern würden so zu sprechen. Achten Sie einmal auf die Sprache bei Nachrichten oder in Reportagen! Nachfolgend liste ich einige Beispiele auf – ausnahmslos Originalzitate aus TV und Radio (die Betonung lag dabei jeweils auf den groß geschriebenen Wörtern bzw. Silben): “Der Spieler stand IM Abseits.” “Ein Blick AUF die Zwischenzeit …” “Ob es FÜR eine Medaille reicht?” “Ja, er ist AUF Medaillenkurs.” “Der Weltmeister kommt AUS Slowenien.” “Die Schwimmer stehen jetzt AM Rand des Beckens.” “Der Ball flog ZUM Tor und prallte AN die Stange.” “AN diesem Tag schauten alle AUF den Rasen.”

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“Das Tor fiel IN der 32. Minute.” “Sie hat den Weitsprung ÜBERlegen gewonnen und wartet jetzt AUF den nächsten Wettbewerb.” “Wir halten Sie AUF dem Laufenden.” “Sie räumt MIT den Gerüchten auf.” “…wobei es IM Norden schon wieder etwas wärmer wird.” “Eine ÜBERzeugende Leistung!” „Er strebt an, NACH Israel zu kommen.” “Diese Entwicklung vollzog sich ÜBER Millionen Jahre.” “Es war das zweite Mal IN der Geschichte.” “Darmstadt spielt VON rechts nach links.” “AN der Frankfurter Börse fielen etliche Aktien AUF einen historischen Tiefstand.” “Hier die Tabelle IN der 3. Liga!” “Wir schalten jetzt um ZUM Fußballspiel NACH Hamburg. Dort stehen die Fußballer schon AUF dem Rasen und das Spiel beginnt IN Kürze.” “… der Trainer VON Mönchengladbach”. “Den 1. FC Saarbrücken finden wir IN der unteren Tabellenhälfte AUF Rang 12.” “Morgen UM 18 Uhr die Sportschau hier BEI uns!” “Und jetzt ZUR Tagesschau!” “Europawelle Saar MIT den aktuellen INformationen AUS der Region!” “IM November kann Juncker seine Arbeit aufnehmen.” “DIE Nachrichten – IM Studio: Stefan …“ „Die Amerikaner gedenken ihrer gefallenen Soldaten an PROminenten Orten mitten IN den Städten.“ „BEI Facebook herrschen neue Datenschutzbestimmungen.“ „… die AKtuellsten Bilder AUS der Nacht“

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„DER 21. Spieltag der Fußballbundesliga ist beendet.“ „Wir schauen mal AUF die Karte!“ „Er wurde AUF Bewährung entlassen.“ „Die Aktionäre werden AM Erfolg beteiligt.“ „4 Mrd. Euro wurden INS schnelle Breitbandnetz investiert.“ „…ein Schlagabtausch MIT dem besseren Ende für Deutschland“ „IM November kann Juncker seine Arbeit aufnehmen.“ „…der Trainer VON Mönchengladbach“ „AN meiner Seite: Rüdiger Cerne“ „IN Guatemala ist ein neues Feuer ausgebrochen.“ „… AM kommenden Wochenende IN Frankfurt“ „… IN der ATP-Weltrangliste AUF Platz 38“ „Ich begrüße Sie ZUR Tagesschau.“ „Wir müssen Investieren“. „Heute Nacht liegen Wolken ÜBER dem Saarland.“ Schade, dass sie nicht UNTER dem Saarland liegen – denn dann hätten wir ja alle mal auf Wolken schweben können!

Zum Schluss noch ein mehrfach gehörter Wunsch im Anschluss an die Verkehrsmeldungen: “Ich wünsche EINE gute Fahrt!” Bei der zweiten soll es dann wohl krachen!? Na, dann bedanke ich mich jetzt BEI Ihnen FÜR Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch EINEN guten Tag!

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‚du‘ Heinz-Josef Scherer

Wenn der Tag sich befreit aus den engen, beklemmenden, hektischen, lärmenden Zwängen – dahin geronnen sich lösenden Atem verschafft. Die Stille das Ankommen zulässt, ja fordert. Die Klauen des zuvor unumgänglich Scheinenden sich öffnen – ein reines, ungeschminkt-demaskiertes Selbst erlauben. Dann wird es dir leicht und du lässt es zu – dies an dich gerichtete, zärtliche ‚du’.

Foto: heinz-Josef Scherer

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du hast – dich Heinz-Josef Scherer

Du bist nicht wohlhabend, du bist nicht reich. Warum beschwerst du dich? Du hast die Sonne, den Mond, das Licht, den Wind, die Farben, den Wald, das Feld, den Himmel über und die Erde unter dir. Du hast deinen Glauben, deine Hoffnung ... du hast – dich.

Foto: heinz-Josef Scherer

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Frauen – Mann Heinz-Josef Scherer

Sie mögen beim Mann das,was man ‚romantisch’ nennt, aber auch seinen Sinn für das Reale/Rationale/Nüchterne – Anteile eines ‚Machos’ sowie eines (netten, verständnisvollen usw.) ‚Softis’– eine wohldosierte Portion Humor (sie will – wichtig(!) – auch zum Lachen gebracht werden), gepaart mit dem erforderlichen Maß an Ernsthaftigkeit und (dadurch auch) Einschätzbarkeit. Achte – lieber Mann – darauf, dass du dich in deiner Absicht der Annäherung günstig irgendwo dazwischen

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oder hin und her pendelnd, das heißt, ihre Gunst fördernd und (nach Möglichkeit) sichernd anzusiedeln vermagst – so schwierig dies im Einzelfall auch möglicher- bis wahrscheinlicherweise sein mag.

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Heinz-Josef Scherer’

Sehnsucht nach dem innern Land - Kurzgeschichten/Erzählungen/ Stories/Gedichte/Aphorismen/Beobachtungen/ Ansichten/Autobiographisches/ Photographien von ISBN 978385438102-0 172 Seiten, € 18,40€ erhältlich beim Autor oder über den Verlag www.united-pc.eu ‘Belletristik-Sonstiges/Allerlei’ sowie bei Amazon Sehnsucht nach dem innern Land ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, Erzählungen, Stories, Gedich-ten, Aphorismen, Beobachtungen, Ansichten – von momenthaft empfundenen ‚Seelentupfern’ und autobiographischen Texten. Der Autor sieht mit einem durchaus kritischen wie auch liebend-warmen Auge auf das Leben, wie es sich ihm darbietet. Er positioniert sich auf der Distanz schaffenden Meta-Ebene ebenso wie als direkt am Geschehen Beteiligter. Gegenstand sind universale, gemeinhin gültige Menschheitsthemen wie Heimat(suche), Alter(n), Vergänglichkeit, Einsamkeit, Sehnsucht, Hoffnung, Sinnsuche und -findung, Identität, Liebe, Sexualität, Natur und viele andere, welche in unverwechselbar individualisierter Form auf den Punkt gebracht werden. Ein Teil der Texte und Gedichte ist mit aussagekräftigen wie stimmungsvollen Fotografien unterlegt. Das vorliegende Werk versteht sich – und dies vor allem – als berührend-authentische Liebeserklärungan das Leben in Lyrik und Prosa.

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Heinz-Josef Scherer

Deine Ewigkeit - Imperativ des Lebens Beobachtungen, Ansichten, Reflexionen, Gedichte, Aphorismen, Photographien ISBN 13: 978-1511628310 ISBN 10: 1511628316 116 Seiten, € 9,80 Deine Ewigkeit — Imperativ des Lebens ist eine Sammlung kurzer prägnanter Texte von A wie ‚Ankommen’ bis Z wie ‚Zeit des Abschieds’, die in unterschiedlicher Form an die Leserin/den Leser herangetragen werden. Themen sind Daseinsbereiche verschiedener Art, welche einen repräsentativen Querschnitt der Lebenswelten eines jeden abbilden. Es finden sich Beobachtungen, Ansichten, Reflexionen, Gedichte, Aphorismen — entstanden aus Eingebungen und Einsichten innerhalb des Alltagshandelns, diese jedoch zwangsläufig überdauernd, allein aufgrund ihrer Tiefe an Bedeutung sowie ihrer Generalisierbarkeit. Ein Teil der Texte ließe sich durchaus dem Oberbegriff der ‚Ratgeber- und Lebenshilfeliteratur’ zuordnen, was jedoch der Leserin/dem Leser überlassen bleiben soll. Ergänzend, untermalend bedarf es der Erwähnung der Wirkkraft einzeln beigefügter Bilder/Photographien, welche der Autor bei seinem Unterwegssein festhielt und als Quellen der Inspiration dienten. erhältlich beim Autor, im Buchhandel, bei amazon

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Eine Stunde des Friedens Jörg Bur

François schloss die Haustür auf. Mimi schlüpfte an ihm vorbei in den Hausflur, schüttelte ihr Fell aus und lief sogleich in die Küche. »Na ihr beiden, schon wieder zurück vom Spaziergang?» hörte er Claire aus der Küche rufen. François zog seine Jacke aus, hing sie an die Garderobe und ging ebenfalls in die Küche. »Das Wetter ist heute einfach zu ungemütlich, selbst Mimi hatte keine Lust zu laufen.» Claire gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Der Briefträger hat einen Brief für dich abgegeben.» François nickte, goss sich einen Kaffee ein, nahm einen Teller mit Keksen in die Hand und ging in sein Arbeitszimmer. Mimi folgte ihm und legte sich sogleich auf ihre Decke neben dem Schreibtisch. Er stellte den Kaffee ab, nahm einen Keks und tunkte ihn hinein. Das Briefkuvert trug den Stempel des Instituts, für welches er als Historiker arbeitete. Sein Fachgebiet waren die napoleonischen Kriege. François öffnete den Umschlag, nahm die Fotokopie eines Briefes heraus, den ein britischer Soldat während des Krieges an seine Frau geschrieben hatte, und begann zu lesen. Die Handschrift war nicht gerade leicht zu entziffern. Nach zweimaligem Lesen nahm er einen weiteren Brief zur Hand. Dieser stammte von einem französischen Soldaten. Beide Männer hatten an dem selben Gefecht teilgenommen und in Briefen an ihre Frauen davon berichtet. François legte beide Briefe nebeneinander, las sie Abschnitt für Abschnitt im Wechsel. An-

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schließend lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und lies das Beschriebene vor seinem geistigen Auge zu Bildern und Klängen werden. Jean-Michel Vallont beendete sein Gebet, nahm die Zügel seines Pferdes und stieg in den Sattel. Während seine Kameraden es ihm gleich taten, holte er unter seinem Kürass ein kleines Säckchen hervor. Es war mit Kräutern gefüllt, deren Geruch ihn stets an sein Haus in der Bretagne, seine geliebte Madleine und die Kinder erinnerte. Das Säckchen duftete zwar nur noch schwach, aber für einen Augenblick befand Jean-Michel sich wieder in der Küche jenes kleinen Landhauses, wo durch das offene Fenster der Duft all der Kräuter aus dem Garten hereinströmte. Das Signal zum Antreten erklang und er lenkte seinen Wallach zwischen den Bäumen hindurch auf das offene Feld davor. Sean McKenna schaute sich um. Von dem Feld, das sich vor ihnen befand, war nicht allzu viel zu sehen. Überall waberte Rauch, eine Folge des schweren Artilleriefeuers, welches noch bis vor einer viertel Stunde alles in einen ohrenbetäubenden Lärm gehüllt hatte. Sean und seine Kameraden hatten sich flach auf den Boden gelegt und abgewar-tet, bis der Beschuss zu Ende war. Nun machten sich alle bereit für den Angriff. Wer ihnen gegenüber stand, konnte er nicht sehen. Es herrschte eine fast gespenstige Ruhe. Seine Einheit hatte sich zu einer Linie formiert und wartete auf weitere Befehle. Nachdem sie die ersten hundert Meter im Schritttempo zurückge-legt hatten, kam der Befehl zur Attacke. Jean-Michel gab seinem Pferd die Sporen und preschte los. Allmählich lichtete sich der Rauch und er konnte die englische Soldaten sehen. Sie hatten sich zu einer Linie formiert, was den Angriff seiner Ein-

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heit begünstigte. Mit einem laut geschrieenen »Vive La France» hielten Jean-Michel und seine Kameraden auf die Reihen der Engländer zu. Mehrere Kürassiere stürzten im Kugelhagel der gegnerischen Gewehrsalven von und mit ihren Pferden zu Boden, doch schon hatten sie das Feld überquert und ritten mitten hinein in die Linien der britischen Infanteristen. Hier aus nächster Nähe waren sie als schwere Reiterei den fussläufigen Soldaten eindeutig überlegen. Sean prüfte noch einmal den Zustand seiner Waffe, als er ein grollendes, anschwellendes Geräusch vernahm. Er blickte auf und sah aus den sich allmählich verziehenden Pulverschwaden heraus eine gewaltige Anzahl von Kürassieren in gestrecktem Galopp direkt auf sie zuhalten. Befehle wurden gebrüllt, Gewehrsalven abgefeuert, doch um ein Karree zu bilden, welches den besten Schutz gegen eine Kavallerie Attacke bot, war es zu spät. Die ersten Reiter durchbrachen ihre Reihen und schlugen mit langen Säbeln auf jeden ein, der sich ihnen in den Weg stellte. Panik brach aus. Immer schneller lösten sich die Reihen auf, während seine Kameraden versuchten, den Säbelhieben zu entgehen, die Kürassiere von ihren Pferden zu reisen oder einfach Hals über Kopf flüchteten. Bald darauf hatten die Kürassiere die Reihen der englischen Infanteristen aufgerieben. Viele lagen tot oder verletzt auf dem Schlachtfeld, nur wenige hatten sich durch Flucht retten können. Diejenigen, die nicht geflohen und noch am Leben waren, wurden von den Kürassieren auf einem kleinen Hügel zusammen getrieben. Ein französischer Offizier bedeutet ihnen, sich zu setzen, was Sean und seine Kameraden auch unverzüglich taten. Etwas abseits saß ein Kürassier auf seinem Pferd und zündete sich in aller Ruhe eine Pfeife an. Er war von beeindruckender

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Größe und Sean konnte nicht umhin, ihn in seiner prachtvollen Uniform auf dem mächtigen Pferd sitzend zu bewundern. Sean nahm seine eigene Pfeife aus der Uniformtasche. Tabak und Zunderbüchse konnte er jedoch nicht finden. Beides war wohl während des Gefechts verloren gegangen. Er zuckte mit den Achseln, wollte sich gerade umschauen, ob ein Kamerad ihm aushelfen könnte, als ihm jemand Tabakbeutel und Zunderbüchse vor die Nase hielt. Sean schaute auf und erkannte den Kürassier, den er eben noch auf seinem Pferd sitzend bewundert hatte. Der Franzose bedeutet ihm, beides zu nehmen. Sean nickte dankend, stopfte sich seine Pfeife und entzündete sie. Der Kürassier gab Sean mit einem Handzeichen zu verstehen, sich zu erheben und ihm zu folgen. Einige Meter weiter blieb der Franzose stehen und schaute über das Schlachtfeld. »Comment tu t'appelle?» Sean sprach zwar nicht all zuviel Französisch, doch die Frage nach seinem Namen verstand er durchaus. »Je m'appelle Sean McKenna» antwortete er. Der Kürassier lachte und schaute Sean grinsend an. »Je m'appelle Jean aussi – Jean-Michel Vallont». Er reichte Sean die Hand. Dieser nahm sie und lachte ebenfalls. Es entspann sich ein Gespräch zwischen beiden, geführt in einer Mischung aus radebrechendem Französisch, rudimentären Englisch und Zeichensprache. Beide waren verheiratet, hatten Kinder und betrieben eine kleine, aber einträgliche Landwirtschaft. Unter anderen Umständen hätte sie dies vielleicht zu Freunden gemacht. Nach ca. einer Stunde traf französische Infanterie ein. JeanMichel verabschiedete sich von Sean, wünschte ihm alles Gute, das er den Krieg überleben und zu Frau und Kindern zurückkeh-

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ren möge. Sean wünschte ihm das Gleiche. Dann stieg der Kürassier auf sein Pferd, grüßte und ritt davon. Sean begab sich zurück zu seinen Kameraden, wo er wieder Platz nahm und dem sich immer weiter entfernenden Jean-Michel nachschaute. François öffnete die Augen. Aus einem Holzkästchen nahm er eine Pfeife hervor, stopfte und zündete sie an. Er stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Was aus Sean McKenna geworden war, vermochte er nicht zu sagen. Das Schicksal JeanMichel Vallonts hingegen kannte er sehr genau. Dieser hatte den Krieg überlebt, war zu Familie und Haus in der Bretagne zurückgekehrt. Während all der Jahre, die er noch lebte, stand er oft Pfeife rauchend am Fenster, den Blick aufs Meer gerichtet. So wie François Vallont es ebenfalls gerne tat, in jenem Landhaus in der Bretagne, am selben Fenster stehend, die selbe Pfeife rauchend wie einst sein Vorfahre. François dachte noch lange an die beiden Männer, die sich im Wahnsinn des Krieges begegneten und denen eine gemeinsame Stunde vergönnt war. Eine Stunde des Friedens.

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