L ausgabe 8

Page 1

Journal fĂźr Literatur Journal littĂŠraire Herausgeber: LKS Literarischer Kreis e. V. Vol | 08


2


L Journal fĂźr Literatur Journal littĂŠraire

3


Impressum Herausgeber: Verein LKS Literarischer Kreis e. V. c/o Susanna Bur Blumenstr. 20 66111 Saarbrücken

Kontakt: literarischerkreis@gmail.com www.lksev.wordpress.com

Redaktion: Stefan Weigand Susanna Bur

Grafische Gestaltung: Stefan Weigand Susanna Bur Titelbild: Digitale Malerei, Susanna Bur

Erscheinungstermine: Das Journal erscheint vierteljährlich. Nächste Ausgabe: 15. Juni 2015

ISSN 2197-9316 Copyright©: Für die Inhalte der jeweiligen Texte sowie grammatikalische und stilistische Fehler sind die Autorinnen und Autoren selbst verantwortlich. Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte und Pflichten verbleiben bei den Autorinnen/Autoren sowie Fotografinnen/ Fotografen. Ungeachtet der Sorgfalt, die auf die Erstellung von Text, Abbildungen und Programmen verwendet wurde, können weder die Autorinnen/Autoren oder Herausgeber für mögliche Fehler und deren Folgen eine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung übernehmen.

4


Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................... 7 Einsamkeit, Birgit Burkey ................................ ................................................................ ......................................... ......................................... 8 Warten, Birgit Burkey ................................ ................................................................ ............................................... ............................................... 9 Zwischen Tür und Angel, Birgit Burkey ................................ ................................................. ................. 11 Simons Heimkehr, Bodo Bickelmann Bickelmann................................ ...................................................... ...................................................... 12 Eigene Verständigung, Edith Hornauer ................................ .................................................. .................. 28 Meinen Mädels, Edith Hornauer ................................ ............................................................ ............................ 29 Ohne doppelten Boden, Edith Hornauer Hornauer................................ ................................................. ................................................. 30 So ist das Leben, Edith Hornauer ................................ ........................................................... ........................... 31 Wien intim, Heike S. Rogg ................................ ................................................................ ...................................... ...................................... 32 Mein anderes Ich, Werner Thöne ................................ ............................................................ ............................ 50 Freier Fall, Elin Bell ................................ ................................................................ ................................................ ................................................ 54 Kosmischer Tanz, Elin Bell ................................ ................................................................ ..................................... ..................................... 55 Brima Glima, Erwin Altmeier ................................ ................................................................ ................................. ................................. 56 Psst, Erwin Altmeier ................................ ................................................................ ................................................ ................................................ 59 Schade, Hans Hans--Joachim Grötschel ................................ ........................................................... ........................... 61 Zum Frühlingsanfang, Hans Hans--Joachim Grötschel ................................ .................................... .... 62 Der Wetterfrosch, Hans Hans--Joachim Grötschel ................................ ........................................... ........... 63 Brief an Molly, Hans Hans--Joachim Grötschel ................................ ............................................... ............... 64 Der Amtsschimmel wiehert, Barbara Würtz Würtz................................ ........................................... ........................................... 66 Winter, Barbara Würtz ................................ ................................................................ ............................................ ............................................ 68 Gesichter, Barbara Würtz ................................ ................................................................ ....................................... ....................................... 69 Und dann und wann ein weißer Elefant, Barbara Würtz ........................ 70 Die Christrose, Barbara Würtz Würtz................................ ................................................................ ................................................................ 71 Der Maulwurf, Barbara Würtz ................................ ................................................................ ................................ 72 altern, Heinz Heinz--Josef Scherer ................................ ................................................................ ..................................... ..................................... 74 annehmen, Heinz Heinz--Josef Scherer ................................ .............................................................. .............................. 75 Richtige Adressaten, Heinz Heinz--Josef Scherer ................................ .............................................. .............. 76 Schafsherde Schafsherde--Menschenherde, Heinz Heinz--Josef Scherer ................................ 77 Verzeichnis Autorinnen, Autoren ................................ ........................................................... ........................... 78

5


VOR WORT

Foto: Erwin Altmeier

6


Frühling - endlich - und woran denke ich zuerst? Nun, an ein Gedicht von Eduard Mörike, das ich einmal auswendig lernen musste und niemals mehr vergessen werde: Er ist's Frühling lässt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte; Süße, wohlbekannte Düfte Streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, Wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Frühling, ein wenig wissenschaftlich: 1. Mit dem steigenden Licht verändern sich die Menschen, es wird vermehrt Serotonin und Dopamin ausgeschüttet. Diese sorgen für ein allgemein besseres Befinden und bewirken eine leichte Euphorie. Auch der Wunsch nach einem Partner ist bei den meisten Menschen im Frühling stärker, verursacht unter anderem durch vermehrte Hormonausschüttung. 2. Im Gegensatz dazu stellt sich bei manchen Menschen die Frühjahrsmüdigkeit ein, verursacht durch das im Blut vorhandene Schlafhormon Melatonin. Trotz aller Untersuchungen durch die Wissenschaft ist beides nicht bewiesen. Entscheiden wir uns also für die Euphorie, den Winterschlaf haben wir hinter uns! Susanna Bur

7


Einsamkeit Birgit Burkey

Einsamkeit verstrĂśmt ihren fauligen Duft aus schattigen BlĂźten. Sonnenlose Stunden welken dahin. Glanzverwehrte Zeit verpuppt sich, und wartet, auf die Geburt eines Schmetterlings.

8


Warten Birgit Burkey

Auf unserer Haut tragen wir noch die Spuren dieser Nacht, nun trennt uns der Tag. BerĂźhrungen verblassen, Lippen verdursten. KĂśrper warten, warten bis die Nacht sie wieder eint.

9


Foto: Susanna Bur


Zwischen Tür und Angel Birgit Burkey

Zwischen Tür und Angel ein Quäntchen Liebe. Zeitgestohlene Küsse, dem Leben entrissen. Strukturlos gleiten Stunden. Ungeplant lodert Sehnsucht zwischen undefinierten Wänden, wann kommst du wieder?

11


Simons Heimkehr Bodo Bickelmann

Simon blieb stehen und betrachtete das Haus auf der anderen Straßenseite. Es war ein ziemlich unscheinbares Haus, mehrgeschossig, schmucklos grau verputzt – doch was ihn dort erwartete, machte ihm Angst. Hätte er bloß vorher angerufen! So, wie er es sich vorgenommen hatte. Mehrmals! Doch jedes Mal war er davor zurückgeschreckt, weil er sich fragte, wie er seinem Bruder beibringen sollte, dass er noch lebte, wenn nicht von Angesicht zu Angesicht. Die meisten Fenster des Gebäudes waren mit altmodischen, welligen Gardinen verhängt. Sie verursachten in Simon das Gefühl, als werde er beobachtet. Vielleicht von seinem Bruder? Angenommen, Johann sah von einem dieser Fenster aus zu ihm herunter: Würde er erkennen, wer da auf der Straße stand? Seufzend ging Simon weiter zur Ampel an der nächsten Kreuzung. Im Gehen schlug ihm die Tüte mit dem Brückenmodell gegen die Beine. Er hatte es aus Sydney mitgebracht. Ein Holzmodell der Harbour-Bridge. Es war vielleicht ein bisschen groß, und er wusste nicht, ob Johann Platz für so was finden würde. Trotzdem hoffte er, ihm damit eine Freude zu machen, ihm damit das Leben, das Simon am anderen Ende der Welt geführt hatte, gewissermaßen greifbar zu machen. Dann stand er vor dem Haus und vor den Klingelschildern. Eines davon zeigte den Namen seines Bruders: Johann Weber. Offenbar wohnte er unterhalb des Dachgeschosses. Erneut hatte er das Gefühl, als werde er beobachtet, als lehne

12


sich oben jemand aus dem Fenster, doch als er hinaufsah, war da niemand. Also weiter! Was er jetzt tun musste, war auf die Klingel drücken. Er betrachtete das rechteckige Kästchen mit dem Namensschild und dem cremefarbenen Knopf. Klingeln! Und dann? Als Nächstes käme dann die Stimme aus der Sprechanlage: »Wer ist da?« Und Simon? Was würde er antworten? Würde er einfach seinen Namen sagen? Würde er sagen: »Hallo Johann, ich bin’s, dein Bruder. Ich bin am Leben. Und ich bin gekommen, um zu sterben.«? Es war absurd. Sollte er nicht besser auf eine der anderen Klingeln drücken und behaupten, er müsse ein Päckchen abliefern? Aber dann sah er durch die schmale Scheibe, die in das Holz der Haustür eingelassen war, eine Gestalt, die sich von drinnen näherte. Gleich würde die Tür aufgehen, und Simon konnte hinein, ohne zu klingeln. Tatsächlich kam ein Mann heraus - nein, nicht sein Bruder, viel jünger. Es war ein Mann mit dünnem blondem Haar und beigefarbenem Mantel. Er sah dem draußen Wartenden misstrauisch ins Gesicht und blieb so vor der Tür stehen, dass Simon nicht an ihm vorbei konnte. Erst als die Falle hörbar ins Schloss geschnappt war, nickte er, ob aus Zufriedenheit oder zum Gruß, und ging davon. Jetzt wagte Simon nicht mehr, sich als jemand vom Paketdienst auszugeben. Er hob den rechten Arm, mühsam, als hänge ein Gewicht daran, drückte auf die Klingel und schloss die Augen. Was sollte er sagen? Was sollte er sagen? Wie nach Jahren oder einem langen Schlaf hörte er auf einmal

13


eine Stimme, ein Genervtes: »Ja, was ist denn?« Sein Finger hielt noch immer den cremefarbenen Knopf gedrückt. Erschrocken zog er ihn zurück. »Entschuldige. Ich wollte nicht ...« »Wer ist denn da?« Die Stimme klang vertraut nach all der Zeit, nur brüchiger und heiserer, als er sie gekannt hatte. »Johann? Ich bin’s. Simon. Dein Bruder!« Er hatte ein langes Schweigen erwartet, stattdessen kam prompt: »Und warum machst du einen solchen Lärm? Denkst du, ich sei taub geworden?« Dann summte der Türöffner. Zwei, drei Sekunden lang. Simon war verblüfft. Hatte Johann ihn verstanden? Vielleicht war er tatsächlich schwerhörig geworden? Denn offensichtlich dachte er, es komme jemand zu Besuch, mit dem er jede Woche Karten spielte. Oder etwas Ähnliches. Im letzten Moment drückte er gegen die Tür. Es gab keinen Aufzug, er musste Treppen steigen. Dazu, dass er außer Form war, kam die Beklemmung, weil er den Augenblick der Fassungslosigkeit nun doch noch vor sich hatte. Er keuchte schwer, blieb mehrmals stehen und lehnte sich an das Geländer. Am liebsten hätte er sich hingesetzt, hier auf die Treppenstufen, hätte sich ausgeruht und wäre wieder hinabgestiegen. Aber oben war anscheinend jemand ungeduldig. »Sag mal, hast du das Treppensteigen verlernt auf deine alten Tage?« Simon blickte durch den Schacht nach oben und sah in ein Gesicht, in dem er vieles von sich selber wiederfand. Unwillkürlich dachte er: So grau und schlaff bin ich wohl auch geworden. Er wartete, bis sich sein Atem etwas beruhigt hatte, dann rief er: »Na, erkennst du mich noch?«

14


»Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du besser in Form. Aber sonst - warum sollte ich dich nicht erkennen?« Simon schüttelte den Kopf. Das war doch keine Art, mit diesem Wiedersehen umzugehen! Selbst, wenn es dadurch für Johann - vielleicht sogar für beide - einfacher wurde: Es verletzte ihn. Allerdings konnte er jetzt nicht mehr fliehen. Als er endlich oben angekommen war, stand sein Bruder vor ihm, lächelte spitzbübisch und streckte ihm die Hand entgegen. Simons erster Impuls war es, nach der Hand zu greifen, um sie zu schütteln, doch plötzlich fand er das schrecklich unangemessen, und er hob die Arme, alle beide, und drückte Johann an sein Herz. »Na, bist heute aber ganz schön rührselig!«, sagte sein Bruder, als er sich wieder aus der Umarmung befreit hatte. »Aber komm erst mal rein. Wir müssen ja nicht hier im Flur stehen bleiben!« Johann führte Simon in sein Wohnzimmer, wo es nach Alkohol und Tabak roch. Die Gardine vorm Fenster war schmutzig grau und trübte das hereinfallende Tageslicht. »Setzt dich!« Johann zeigte auf einen ausgeleierten grünen Sessel. »Möchtest du was trinken? Wie wär’s mit einem Schnaps zur Feier des Tages?« Simon hatte eigentlich nicht vorgehabt, schon am Nachmittag einen zu picheln, aber plötzlich fand er die Vorstellung, sich ein klein wenig zu betäuben, sehr verlockend. Nachdem sie miteinander angestoßen hatten, und Johann hinterm Couchtisch auf einem schmalen grünen Sofa Platz genommen hatte, griff Simon in die mitgebrachte Tüte und nahm das Holzmodell heraus. »Hier! Für dich! Die Harbour-Bridge. In klein natürlich.« Er

15


holte tief Luft, bevor er fortfuhr: »Die Echte steht in Sydney.« Er wollte noch mehr sagen, wollte erzählen, wie es ihn dorthin verschlagen hatte, wie er jahrelang mit Blick auf diese Brücke im Büro gesessen hatte, doch Johann fiel ihm ins Wort: »Ach, dort hast du Urlaub gemacht?« »Urlaub? Nein, dort hab ich die letzten dreißig Jahre gelebt!« Johann kniff blinzelnd die Augen zusammen. »Hihi!«, sagte er und griff nach einer Schachtel Zigaretten, die auf dem Couchtisch lag. »Hihi!«, sagte er noch einmal, zündete sich eine an und meinte dann bedächtig: »Ja, so kommt’s einem manchmal vor.« Simon hatte Lust, aufzuspringen und seinen Bruder am Kragen zu packen. Was spielte der bloß für eine Komödie! Aber vielleicht würde es ja helfen, wenn er selber offen sagte, was er fühlte? »Ich freue mich, dich wiederzusehen!« Erneut kniff Johann blinzelnd die Augen zusammen. »Ich freue mich auch. Noch einen Schnaps?« Simon schüttelte den Kopf. »Sicher, dass du keinen willst? Du bist heute irgendwie komisch drauf. Na, ich nehm mir jedenfalls noch einen, wenn du nichts dagegen hast!« Er stand auf, ging zum Schrank, nahm die Flasche und brachte sie mit an den Tisch. »Übrigens, hast du auch letzte Woche diese Sendung im Fernsehen gesehen?« Diese Sendung im Fernsehen? Letzte Woche? Eine Welle von Ärger stieg plötzlich in Simon auf. Er ärgerte sich, weil es für seinen Bruder so gar nichts Besonderes zu sein schien, dass er ihn nach all der langen Zeit besuchen kam. Genauso gut hätte er

16


Foto: Erwin Altmeier

ihm ins Gesicht sagen können: »Och, ich hab dich nicht vermisst!« Oder war es Absicht? Wollte er ihm genau das zu verstehen geben? Vielleicht weil Johann seinerseits verletzt war? Immerhin hatte Simon all die Jahre nicht das Geringste von sich hören lassen - da war es verständlich, dass Johann jetzt so tat, als sei es ihm egal. Also versuchte Simon einzulenken. »Ich muss mich wirklich bei dir entschuldigen! Dass ich mich nie gemeldet hab! Aber weißt du: Am Anfang hatte ich zu viel mit mir selbst zu tun, dann wollte ich warten, bis ich was erreicht habe, ich wollte mich nicht als Verzweifelter oder Hilfesuchender melden. Und dann ... schien es zu spät zu sein. Da war schon so viel Zeit vergangen, dass ich annehmen musste, auf die eine oder andere Weise hättet ihr mit der Sache abgeschlossen. Wahrscheinlich hattet ihr mich für tot gehalten? Jedenfalls hab ich nicht gewagt, das Ganze nochmal aufzurühren.«

17


Er hielt inne, sah seinen Bruder an, begegnete seinem Blick und las den Zweifel darin, um nicht zu sagen reinen Unglauben. Klang alles nur wie eine Ausrede? »Habt ihr mich für tot gehalten?«, fragte er noch einmal. Johann blinzelte und nahm sein Schnapsglas in die Hand, stellte fest, dass es leer war, und goss sich nochmal nach. Dann sagte er leise: »Du bist krank, stimmt’s?« Wow! Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Ja, er war krank, und das war auch der Grund dafür, dass er zurückgekommen war. Weil er in der Heimat sterben wollte, bei einem Menschen, der ihm nahe stand. Simon fühlte sich beschämt. »Hirntumor!«, sagte er. »Vielleicht noch ein paar Monate. Höchstens.« »Ah!«, machte Johann. Auf eine gewisse Weise schien er erleichtert zu sein. »Hirntumor!« Er nickte langsam vor sich hin. Schließlich sagte er: »Kannst du noch arbeiten? Du hast immer so viel Freude dran gehabt!« »Mit Geige spielen war Schluss für mich an dem Tag, als ... Du weißt schon!« »Ja, aber das meinte ich nicht.« »Sondern?« »Na, die Arbeit! In der Werkstatt!« »In welcher Werkstatt?« Johanns Gesichtsausdruck wechselte von Verblüffung über Schmerz zu Mitleid. Schließlich machte er eine wegwerfende Handbewegung. »Seit wann weißt du’s?« »Das mit dem Gehirntumor?« »Ja.« »Seit drei Monaten.«

18


»Seit drei Monaten?«, fuhr Johann auf. »Warum hast du denn nicht früher was gesagt?« »Naja, es war nicht einfach, nach all der langen Zeit wieder Kontakt aufzunehmen. Ich hatte ja überlegt, ob ich anrufen soll. Oder schreiben. Aber dann dachte ich, es sei besser, von Angesicht zu Angesicht mit dir zu reden.« Er machte eine Pause, wartete, ob Johann etwas sagen wollte, doch der schwieg. Schließlich fragte Simon: »Wann sind unsere Eltern eigentlich gestorben?« Sein Bruder saß mit geneigtem Kopf, traurig sah er von schräg unten zu ihm hoch. »Hast du das vergessen? Durch den Tumor?« »Vergessen? Ich hab’s nie gewusst!« Johann stöhnte auf und raufte sich die Haare. »Woran kannst du dich denn überhaupt erinnern?« »An so ziemlich alles, denke ich. Bisher hab ich keine größeren Ausfallerscheinungen.« »Bis du sicher?« »Ja! Bin ich! Dagegen kommst du mir allmählich reichlich seltsam vor!« Er war jetzt laut geworden, aber Johann beharrte auf seiner Fragerei. »Die Werkstatt?« »Welche Werkstatt? Ich hab die letzten dreißig Jahre in einer Fleisch-Export-Firma in Sydney gearbeitet! Hier! Das Holzmodell! Die Harbour-Bridge in Sydney! Dort lebe ich! Hab ich jedenfalls. Seit dreißig Jahren!« Johann starrte ihn an. Er wirkte aufrichtig betrübt. Schließlich erhob er sich mit einem leisen Ächzen, ging zum Schrank und zog eine Schublade heraus. Eine Minute oder zwei wühlte er da-

19


rin herum, dann kam mit einer vokabelheftgroßen Fotografie zurück. Sie zeigte einen Mann, in dem Simon sich selbst zu erkennen glaubte, allerdings zu einer lang zurückliegenden Zeit. Es konnte ungefähr die Zeit gewesen sein, kurz bevor er weggegangen war. Aber mit dem Foto stimmte etwas nicht, denn er war darauf in einer Umgebung zu sehen, die ihm völlig unbekannt war. Auf diesem Foto stand er hinter einer Werkbank, an der Wand im Hintergrund hingen Hämmer und Sägen, und in den Händen hielt Simon voller Stolz eine Geige. In solch einer Werkstatt hatte er sich niemals aufgehalten. Die Geige allerdings! Plötzlich wurde ihm ganz heiß - die Geige, ja, die kannte er! Es war die Violine, die sein Lehrer ihm geschenkt hatte; das Instrument, das er im Frust zerschlagen hatte. Worauf er sich auf und davon gemacht hatte, und weder dem Lehrer noch den Eltern jemals wieder unter die Augen getreten war. Auf dieser Aufnahme war die Violine heil. Verwundert drehte er das Foto um, als müsse er auf der Rückseite eine Erklärung finden wie bei einem Zaubertrick, wenn man hinter den Vorhang schaut. Aber die Rückseite war leer. Weißes Fotopapier, sonst nichts. »Erinnerst du dich jetzt?« »Wann ist das aufgenommen worden?« »Nachdem du sie repariert hattest.« Mit großen Augen sah er Johann an. »Ich habe sie nicht repariert!« »Und wie erklärst du mir dann dieses Foto?« Simon zuckte mit den Schultern. »Das ist nicht echt.« Johann richtete sich seufzend auf, dann ließ er sich nach hinten, gegen die Rückenlehne des Sofas, fallen. »Du bist ganz

20


schön hartnäckig!« Simon fühlte sich gekränkt, weil sein Bruder ihn offenbar für unzurechnungsfähig hielt. Oder hatte er sogar recht damit? Hatte der Tumor in seinem Kopf schon solchen Schaden angerichtet, dass er sich eine falsche Vergangenheit zurecht phantasierte? Aber nein! »Warte!«, rief er und fuhr mit der Hand in die Innentasche seines Regenmantels. »Ich hab auch ein Foto!« Er zog die Brieftasche hervor, klappte sie auf und hielt Johann die Fotografie einer Teenagerin unter die Nase. Das Mädchen hatte Simons wasserblaue Augen, aber einen dunkleren Teint und tiefschwarze Haare. »Wer ist das?«, fragte sein Bruder. »Meine Tochter!« »Deine Tochter?« »Ja, meine Tochter! Allerdings ist sie inzwischen ein paar Jahre älter.« »Seit wann hast du eine Tochter?« Jetzt wurde es Simon endgültig zu viel. »Mensch, ich bilde mir das doch nicht ein!«, brüllte er. »Ich lauf doch nicht mit dem Foto einer Fremden in der Brieftasche herum!« »Na gut!« Auch Johann wurde laut. »Wenn das deine Tochter ist, dann ruf sie jetzt an! Sie kann das ja dann sicher bestätigen!« Er sprang auf, stöhnte, fuhr sich mit der Hand an den Rücken, dann ging er, ein wenig schief, zu einem Schränkchen, auf dem das Telefon stand. Simon sah ihm erschrocken zu. Er brachte kein Wort heraus, bis sein Bruder wieder bei ihm war und ihm den Apparat unter die Nase hielt. »Das geht nicht!«, flüsterte er.

21


»Ach?«, rief Johann in unverminderter Lautstärke. »Sie redet nicht mehr mit mir.« »Soso!« »Sie hat Talent, weißt du? Sie hat wirklich Talent! Aber ich wollte nicht, dass es ihr genauso geht wie mir.« Als er zu seinem Bruder hochsah, hatte er Tränen in den Augen. »Ich hab ihr verboten, sich zu bewerben. Ich wollte nicht, dass sie enttäuscht wird! Und jetzt ... weiß ich nicht einmal, ob sie sich doch noch beworben hat ...« Johann hielt ihm immer noch das Telefon entgegen. Er machte ein Gesicht, als glaube er kein Wort, aber die Tränen seines Bruders schienen ihn zu verunsichern. Eine Weile saßen, standen sie sich so einander gegenüber. Bis sie das Geräusch eines Schlüssels in der Wohnungstür hörten. Beide wandten den Kopf in Richtung Flur. Gleich darauf erschien eine junge Frau auf der Schwelle zum Wohnzimmer. Als sie die zwei aufgebrachten Alten sah, blieb sie abrupt stehen. Sie hatte Ähnlichkeit mit dem Mädchen von Simons Fotografie, allerdings ohne den asiatischen Einschlag. Zunächst wechselte ihr Blick von einem zum andern, dann musterte sie Simon mit wachsender Neugier. In der rechten Hand hielt sie einen Autoschlüssel mit einem Anhänger in Violinenform. Nach einer Weile sagte sie: »Sie müssen Simon sein!« Noch bevor der Angesprochene antworten konnte, brauste Johann auf: »Was heißt hier müssen? Kennst du deinen Onkel nicht mehr?« Mit einem nachsichtigen Lächeln erwiderte sie: »Doch, natürlich kenne ich ihn!« Dann trat sie näher an Simon heran, beugte sich zu ihm hinab

22


und drückte zum Gruß ihre Wange an die seine, erst die rechte, dann die linke, und dabei flüsterte sie ihm ins Ohr: »Ich bin Katja, seine Tochter.« Als sie sich wieder aufgerichtet hatte, betrachtete Johann den Bruder mit einem Blick voller Triumph. Simon ignorierte diesen Blick und sah stattdessen ein wenig unsicher zu seiner Nichte hoch, in deren Gesicht er eine stumme Bitte las. Schließlich räusperte er sich und sagte: »Schön, dich mal wieder zu sehen, Katja!« Ein klatschendes Geräusch ließ sie beide herumfahren. Johann hatte fröhlich die Hände ineinander geschlagen. »Und jetzt noch einen Schnaps!«, rief er und griff zur Flasche, die noch auf dem Tisch stand. Diesmal ließ auch Simon sich wieder einschenken. »Ich glaub, ich mach euch mal einen Kaffee!«, sagte Katja. »Bevor ihr euch noch maßlos betrinkt. Das steht einem in euerm Alter nicht mehr!« Danach saßen sie über eine Stunde zu dritt beisammen und plauderten und taten so, als sei das etwas ganz Alltägliches. Als Johann zwischendurch einmal für längere Zeit im Bad verschwand, sagte Simon zu seiner Nichte: »Er hat ein Foto von mir mit meiner Violine. In einer Werkstatt. In dieser Werkstatt bin ich nie gewesen!« Sie nickte: »Das hat er selbst aus verschiedenen Fotos zusammengebastelt. Mit irgend so einem Programm aus dem Internet. Eines Tages kam er mit dem Foto an und sagte: Ist das nicht lustig? Als das dann in seinem Kopf losging, hat er angefangen, das Foto für echt zu halten, und er hat sich zurechtphantasiert, du wärst niemals weggegangen.« Simon spürte plötzlich das Verlangen, sich aus der Flasche

23


Schnaps noch einen einzuschenken. »Ich hätte nicht gedacht, dass ihm das so wichtig ist.« »Er hat immer drauf gewartet, dass du dich mal meldest. Doch das hast du nicht getan, und da hat er angenommen, du gibst ihm die Schuld dafür, dass aus deiner Karriere nichts geworden ist.« Sie sagte das ohne Vorwurf, dennoch zog Simon den Kopf zwischen die Schultern. »Wieso sollte ich ihm die Schuld dafür geben?« Sie zuckte mit den Achseln. »Er meinte, er hat dich nie richtig unterstützt. Er war wohl eifersüchtig.« »Eifersüchtig? Davon hatte ich nichts mitgekriegt. Jedenfalls lag es nicht an ihm, dass ich die Prüfung vermasselt hatte. Ich war einfach nicht gut genug.« Die letzten Worte hatte er mehr gekrächzt als gesprochen. Das Wohnzimmer schien voller Staub zu sein, doch diese Staubpartikelchen, die zwischen den Sesseln schwebten und sich in seine Atemwege setzten, wussten Geschichten - das ahnte er jetzt jenseits der Pantoffelseligkeit, die er hier vermutet hatte. Hatte er seinen Bruder eigentlich jemals gekannt? Er war hierher gekommen, weil er nicht alleine sterben wollte. Weil er einen vertrauten Menschen bei sich haben wollte. Aber dieser Mensch schien ihm jetzt ein Fremder zu sein. Und nicht nur das: Dieser Mensch hatte auch aus Simon einen anderen gemacht. Der Simon, den sein Bruder kannte, war nicht der Simon, der hier saß und sich auf einmal unendlich verloren fühlte. Als es Zeit wurde aufzubrechen, hatte er nichts davon erwähnt, warum er eigentlich gekommen war. Er stand schon in der Tür, da sagte Johann unvermittelt: »Wann bringst du denn deine Tochter mal wieder mit?«

24


Simon sah Katjas überraschten Blick. Was sollte er jetzt sagen? »Wart einen Moment!«, rief Johann und verschwand in einem Zimmer am Ende des Flurs. Als er zurückkam, trug er einen Geigenkoffer in der rechten Hand. »Hier!«, sagte er und übergab den Koffer seinem Bruder. »Die würde ihr bestimmt Freude machen.« Simons Herz klopfte, er fing an zu schwitzen. Er betrachtete den Gegenstand, den er in Händen hielt, und ja, dicht beim Scharnier war ein Kratzer im Holz. Es war sein alter Geigenkoffer, den Johann all die Jahre hindurch aufgehoben hatte! Und der Inhalt? Das Gewicht sagte ihm: Der Kasten war nicht leer. Aber seine Violine konnte sich ja nicht darin befinden. Die hatte er zerschmettert, und das Foto, auf dem sie wieder ganz gewesen war, war eine Fälschung, das hatte Katja ihm gesagt. Er wagte es kaum, den Koffer zu öffnen, und als er es versuchte, klemmte der Verschluss. »Wurde lange nicht geöffnet?«, sagte er halb lachend, halb fragend zu seinem Bruder, doch der strahlte ihn nur an. Endlich kriegte er den Kasten auf, und als er sah, was sich darin befand, vergewisserte er sich rasch, dass Johann nicht über den hochgeklappten Deckel spähen konnte. Es war tatsächlich seine Violine, die im Koffer lag. Zerschmettert, so wie er sie damals auf dem Boden seines Zimmers hatte liegen lassen. Simon atmete erleichtert auf. Doch als er mit den Fingern seiner freien Hand über das Holz und über die Saiten strich, schien etwas aus diesen Bruchstücken in ihn hineinzufahren. »Na?«, sagte Johann und strahlte immer noch. Simon klappte den Koffer zu. Doch, er war auch der, den sein Bruder in ihm sah. Dieser Mensch war ein Teil von ihm, ein

25


wichtiger Teil, auch wenn sein Traum sich nicht erfüllt hatte. Und Johann hatte diesen Menschen für ihn aufbewahrt. »Na?« Würde sie sich freuen? Er hoffte es. Doch ... er musste plötzlich lachen. Eins hatte sein Bruder offensichtlich falsch verstanden. Aber was machte das schon! »Sie ...«, setzte er an, doch dann musste er noch mehr lachen. Sie sahen ihn beide so verdutzt an: Johann wie Katja; hatten beide ein großes Fragezeichen im Gesicht. Eigentlich war der Anblick nicht einmal so komisch, genauso wenig wie das, was ihm soeben eingefallen war, das Lachen brach aus ihm heraus, als sei es zu lange in seinem Körper eingesperrt gewesen. »Sie spielt ...«, prustete er. »Sie spielt Schlagzeug!« Und er kicherte und wieherte, bis auch sein Bruder und seine Nichte nicht mehr anders konnten, und sie alle drei gemeinsam lachten

26


27

Foto: Susanna Bur


Eigene Verständigung Edith Hornauer

Ich halte mich nicht heraus aus meinen Gedichten. In meinen Gedanken Ăśffnet sich dabei mein Herz. Und ich riskiere dass ich dann verwundbar bin.

28


Meinen Mädels Edith Hornauer

Tage lenken unsere Schritte Nachtgedanken schließen den Kreis An euch zu denken euch zu fühlen ist alles was ich will und weiß.

29


Ohne doppelten Boden Edith Hornauer

Noch habe ich sie nicht gez채hlt die Worte die ich bevor ich sie schrieb mit der Tiefe meines Gef체hls ber체hrt habe sie sind nackt meine Worte sie liefern mich aus sie zeigen meinen Willen noch ehe du sie lesen kannst es sind ehrliche Worte darum brauchen sie keine Sicherheit.

30


So ist das Leben Edith Hornauer

Leben heißt atmen heißt lebendig sein. Wir gestalten es auf unterschiedliche Weise, Leben ist laut auch leise Leben ist Freude und Leid. Ich bin immer bereit für die Chance die das Leben mir jeden Tag neu verspricht. Ich schaue dem Leben mitten ins Gesicht. Ich nehme es lachend auch weinend an. Nur so kann ich mich mit ihm arrangieren will es wenn es geht nicht so schnell verlieren. Eines vergesse ich dabei nie: Für das Leben gibt's keine Garantie.

31


Wien intim Heike S. Rogg

Der erste Tag in Wien beginnt mit frühem Aufstehen, da unsere Austria-Guide, Fremdenführerin darf man jetzt nicht mehr sagen, da fremd schlecht ist und Führer überhaupt nicht mehr geht, um neun Uhr am Schwedenplatz die Ankunft der Gruppe erwartet. Von Stockerau bis dorthin sind es etwa fünfunddreißig Kilometer Fahrt, wobei man die letzten fünf davon oftmals im Stau steht. Also starten wir um acht Uhr, bzw. wollen starten, aber der städtische Mistwagen (dt: Müllabfuhr) fährt vor Hannes her, als dieser den Bus zum Einstiegsplatz dirigiert, und entlädt erst einmal zwanzig Mistkübel (dt: Mülltonnen) in seinen scheinbar noch leeren Bauch. Da bekanntlich alle Wiener im Sommer in Urlaub sind, schaffen wir es trotzdem pünktlich am Schwedenplatz zu erscheinen. Von dort fahren wir die Ringstraße entlang, bis eine etwas nervöse Polizeistreife das Motorrad direkt vor dem Bus stoppt. Manchmal fragt man sich, ob sie wirklich wissen, was sie tun. Doch der Polizist will nichts von uns, sondern eskortiert lediglich ein paar Radfahrer den Ring empor. Allerdings liegt auf dieser Höhe auch das Palais, in dem momentan der amerikanische Außenminister mit einigen Kollegen konferiert. Vielleicht kam er ja mit dem Fahrrad an. Bei der augenblicklichen Baustellensituation wäre das bestimmt die geeignete Sicherheitsvariante zur üblichen schwarzen Limousine. Für uns geht es nach dem Stopp weiter, vorbei am Guckloch des Stadtgartens, durch das man den goldenen Johann Strauß

32


bewundern kann, vorausgesetzt, man guckt schnell genug hin. Das Imperial lassen wir links, das Grand Hotel rechts liegen, fahren an der Staatsoper vorbei, die Franz Josef den Standardspruch: »Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.« bescherte, weil er sich nach seiner Kritik am Bau der neuen Staatsoper für den folgenden Selbstmord des Baumeisters verantwortlich fühlte. Dann entlassen wir die Gruppe zum ersten Mal zu Füßen von Maria Theresia. Während unsere Austria-Guide mit ihnen jetzt den HofburgTrakt erkundet, bleibt Hannes, den Blick fest in den Rückspiegel geheftet, sollte ein Polizist unvermittelt auftaucht, einfach stehen. In den zwanzig Minuten Wartezeit schafft man es kaum, den Ring zu umrunden. Siebzehn Euro pro angefangener Stunde Parkgebühr sind aber auch Wucher. Nachdem alle zurück im Bus sind, führt uns der Weg weiter den Ring entlang. Wir sehen Parlament, Rathaus, Universität, Börse und Roßauer Kaserne, den kompletten Historismus der Ringstraße vom Ende des 18. Jahrhunderts. Die Frage nach Freigang in Höhe des wieder erreichten Schwedenplatzes wird überhört, denn für uns geht es weiter zum Hundertwasser-Haus. Wie immer müssen die Fahrgäste möglichst schnell aussteigen und wir kreiseln ein wenig ums Viertel, bis wir zur Abholung wieder bereitstehen dürfen. Weiter geht die Reise zum Schloss Belvedere, einem der schönsten Aussichtspunkte auf die Stadt. Prinz Eugen, ein kleiner hässlicher Mann, den der französische Kaiser nicht in seiner Armee haben wollte, ging zu den Österreichern und wurde dort ein erfolgreicher Feldherr. Da er sich schlauerweise prozentual an der Kriegsbeute beteiligen ließ, sammelte er Millionen an

33


und baute sich dieses Lustschloss. Weil er aber frau- und kinderlos blieb, erbte eine Nichte das Vermögen und brachte es innerhalb kürzester Zeit mit einem jungen Mann durch. So gelang das Belvedere in den Besitz der Habsburger. Zuletzt nutzte es der, vor hundert Jahren in Sarajevo ermordete, Thronfolger Franz Ferdinand, der dort eine Art Schattenkabinett bildet und auf den Tod Franz Josefs wartete. Aber auch er wurde von dem alten Kaiser überlebt. Auch hier ist ein Ausstieg vorgesehen. Wir kreiseln jetzt nur kurz, denn an der nächsten Ampel links und gleich wieder links dürfen wir im Schweizer Garten warten. Den Abschluss der Rundfahrt an der Albertina darf Hannes zusammen mit unserem offiziellen Austria-Guide und deren Wagenkarte wirklich noch anfahren. Da diese aber mit Guide den Bus verlässt, warte ich auf den Tag, an dem wir die Strafe für die nunmehr verbotene Ausfahrt zahlen müssen. Während Hannes und ich die unendliche Geschichte der Parkplatzsuche fortsetzen, haben unsere Fahrgäste noch einen anderthalbstündigen Stadtspaziergang vor sich. In Anbetracht der Tatsache, dass draußen fast dreißig Grad Wärme herrschen, ist das Buskreiseln im klimatisierten Bus zumindest heute eine mehr als angenehme Alternative…

34


Schloss Schönbrunn, Quelle: Wikipedia

Du mein Schönbrunn, mein liebes Schönbrunn… Der zweite Tag der Wien/Budapest Reise beginnt eine Stunde später als der gestrige. Heute begleitet uns kein Austria-Guide, wir sind auf uns selbst angewiesen. Auf dem Programm stehen Schloss Schönbrunn und der Prater. Wäre eine lockere Tour, wenn nicht - ja wenn nicht Wien fast nur noch aus kilometerlangen Baustellen bestünde, und es bereits um neun Uhr beinahe dreißig Grad hätte. Allerdings sind wir zum einen ortskundig und zum anderen, gibt es nette Kellner, die man fragen kann. Ein solcher gab uns auch den Tipp, einfach auf der Autobahn zu bleiben und dann den Grünberg runter zu fahren. Genialer Vorschlag. Außer der einen oder anderen roten Ampel hält uns nichts auf. Nicht einmal der Busbegleiter am Einstiegsplatz vor Schönbrunn, denn er schickt uns weiter. Ja, ich weiß ein Einstiegsplatz ist zum Einsteigen gedacht, nicht zum Aussteigen. Aber morgens um neun steigt man vor Schönbrunn in der Regel aus und nicht ein. Und eigentlich wollen wir unseren siebzehn Fahrgästen, die zum Teil schlecht zu Fuß sind, den weiten Weg vom Parkplatz ersparen. Gut gedacht von den Betreibern, wenn der Bus schon auf dem Parkplatz

35


Foto: Erwin Altmeier



steht, bleibt er auch da und zahlt die entsprechenden Parkgebühren. Es muss schön sein, eine Lobby an der richtigen Stelle zu haben. Wir wollen da aber weder halten noch parken und so hält Hannes nicht ganz regelkonform auf der anderen Seite der Schlossbrücke. Die Fahrgäste, die bereits in den Startlöchern stehen, verlassen eilends der Bus und wir fahren weiter zu unserem geheimen Parkplatz am Rande der Stadt. Dort verweilen wir die nächsten drei Stunden und dank unserer vielfältigen Wienerfahrung gibt es sogar Frühstück und Kaffee im Bus. Schloss Schönbrunn liegt im 13. Bezirk von Wien, in Hitzing. Zunächst als Kattermühle gebaut, erwarb der Wiener Bürgermeister, Hermann Bayr, den Besitz und ließ sich dort einen Herrensitz bauen. 1569 verkaufte er das Gelände an Kaiser Maximilian II. Dessen Sohn, Matthias, erblickte 1619 während einer Jagd durch das dortige Waldgebiet eine eingefasste Quelle und rief aus: »Welch ein schöner Brunnen!« Somit hatte sein Jagdgebiet einen Namen. Bequem, wie Kaiser nun mal waren, ließ er den Besitz einzäunen und Wild für die Jagd einsetzen. Das vereinfachte die Jagd, denn das Wild konnte nicht flüchten. Dieses Gehege begründete gleichzeitig den Beginn des Schönbrunner Tiergartens. Im 17. Jahrhundert sollte der Herrensitz zu einem Schloss umgebaut werde, aber die Pläne des Baumeisters Fischer-Erlau daraus ein zweites Versailles zu machen, scheiterten wie so oft am Geld. Kaiser Karl VI., als dessen Lieblingssommersitz die Favorita galt, schenkte den Besitz kurzerhand seiner Tochter Maria Theresia. Diese wiederum konnte die Favorita nicht leiden und ließ sie gleich nach dem Tod ihres Vaters in eine Elite-

38


schule für angehende Beamte umwandeln. Jetzt brauchte sie aber eine neue Sommerresidenz und bestimmte, Schönbrunn wird gebaut. Da sie aber mit Friedrich dem Großen in einem siebenjährigen Clinch um Schleswig-Holstein lag, fehlte wiederum das Geld, denn das benötigte sie für diesen Krieg. Also ließ sie Angebote einholen und entschied sich für das preiswerteste. Nikolas von Pakassi, kaiserlicher Hofarchitekt, erhielt den Zuschlag und verbaute billiges und minderwertiges Material, was hohe Reparaturkosten zur Folge haben sollte. Auch war die Gesamtplanung etwas kurzsichtig geraten, denn als Maria Theresia Mutter von sechzehn Kindern wurde, erwies sich das neue Schloss schnell als zu klein. Jetzt kam ein Kunstgriff ins Spiel, der die ursprüngliche Symmetrie des Gebäudes zerstörte. Man senkte die Decken der »Bel Etage«, hob die Böden des darüberliegenden Geschosses an und schuf auf diese Weise ein weiteres Stockwerk mit einem Raummaß von knapp zwei Metern. Da die Räume aber auch Licht brauchten, mussten Fenster eingebaut werden, die jegliche Symmetrie aufhoben, denn man sieht sie in den beiden Außenflügeln nicht aber über der Mittelfront. Die dortige Große Halle und den Spiegelsaal, beließ man in der ursprünglichen Höhe. Die Große Galerie mit dem Spiegelsaal diente als Bühne für Hofbälle. Bereits beim Eintreffen konnte man feststellen, ob es eine rauschende Ballnacht oder ein kurzer Abend werden würde. Da die Kronleuchter mit vielen tausend Kerzen bestückt wurden, die man nicht einfach nach dem Runterbrennen austauschen konnte, sah man an der Länge der aufgesteckten Kerzen, wie lang oder kurz der Ball geplant war. Im Zuge der Geburt von Kronprinz Rudolf fiel einer dieser Kronleuchter zu Boden, was man angesichts der späteren Ereignisse im Nachhinein als

39


böses Omen deutete. Im Februar 1945 traf eine Bombe die Große Galerie und zerstörte die dortigen Deckengemälde. Später wurden sie von einem Bühnenmaler nach den ursprünglichen Vorlagen restauriert. Zu Schönbrunn gehört aber noch die Wagenburg, die in den ehemaligen Stallungen installiert ist. Dort kann man die Kutschen, Wagen und Autos der Habsburger bewundern. Ein wenig Gänsehaut verbreitet dabei der kaiserliche Leichenwagen, der zuletzt 1989 beim Begräbnis von Ex-Kaiserin Zita aus dem Museum geholt wurde. Ergänzt wird dieses museale Erlebnis durch eine Ausstellung mit Bildern der Pferde und Hunde von Kaiserin Elisabeth. Hätte man mehr Zeit zur Verfügung, könnte man auch den Schönbrunner Tiergarten bewundern. Der Grundstein zu diesem Zoo wurde 1552 mit dem ersten Elefanten gelegt, der dort einzog. Der Pavillon in der Menagerie enthielt im Untergeschoss ein Labor, in dem Kaiser Franz I. alchimistische Versuche unternahm, Gold herzustellen. Da der Gesamtkomplex der Menagerie symbolhaft Astrologie und Alchemie darstellte, galt er in dieser unveränderten Form als Talisman und Garant für den Fortbestand der Monarchie. 1889 wagte als Erster der damalige Leiter des Tiergartens, die Anlage zu erweitern. Somit zerstörte er den Talisman und es klingt makaber, aber in diesem Jahr nahm sich der österreichische Kronprinz Rudolf das Leben und läutete damit den Untergang der Monarchie ein. 1945 trafen dreihundert Bomben den Tierpark, wovon zweihundert in Tiergehegen explodierten. Von 3500 Tieren überlebten nur 1500, die nach dem Krieg wie alle Wiener Hunger leiden mussten, bis sie durch ein Dekret von der russischen Armee aus Armeebeständen versorgt wurden.

40


Nach dem Zweiten Weltkrieg häuften sich die Proteste von Tierschützern, weil die Tiere in den alten, barocken Anlagen nicht artgerecht lebten. Nach vielem Hin und Her in der Frage den Tierpark zu schließen oder umzubauen, ist mittlerweile eine artgerechte Anlage entstanden, die mit aufsehenerregenden Neuzüchtungen Furore macht. Aber auch der Schönbrunner Schlosspark und das dortige Palmenhaus sind sehenswert, wenngleich ein Fahrgast der letzten Gruppe, als Fachmann auf dem gärtnerischen Gebiet meinte, der Park sein vernachlässigt und völlig verunkrautet. Vieles dort müsste abgeräumt und neu angelegt werden. Böse, wer jetzt denkt, ob das wohl damit zusammenhängt, dass große Teile dieses Parks noch kein Eintrittsgeld kosten. Unsere Gruppe wird von alldem nur einen Bruchteil sehen können, denn man bräuchte Tage, um das Gelände zu erkunden. Wir aber werden kurz vor eins den Versuch wagen, zurück in Richtung Schloss zu fahren, ein Weg, der wiederum durch eine Baustelle weitgehend blockiert wird. Sollten wir es dann geschafft haben, einigermaßen pünktlich am Einstiegsort zu stehen und dort auch halten zu dürfen, wer weiß, ob er nach Mittag nicht zu einem Ausstiegsplatz wechselt, werden wir in Richtung Prater aufbrechen.

Im Prater blüh’n wieder die Bäume Nachdem Schönbrunn besichtigt ist, steigt unsere Gruppe ordnungsgemäß und pünktlich in den Bus. In der Schönbrunner Straße stehen die Autoschlangen bis weit in Richtung Innenstadt und Hannes entschließt sich, durch die Felberstraße über den

41


Foto: Erwin Altmeier

Westbahnhof in Richtung Wienzeile zu fahren. Ich bin am Überlegen, ob es nicht mittlerweile gehaltvoller ist, die Baustellen zu kommentieren, anstatt der Sehenswürdigkeiten, denn es gibt mit Sicherheit mehr davon. Auf der Ausweichstrecke kommen wir aber schnell voran und erreichen die Wienzeile, die rechts am Wienfluss entlang in die Innenstadt führt. Das erste, was zu bemerken ist, ist in Höhe der Kettenbrückengasse der Naschmarkt. Der Naschmarkt ist der größte innerstädtische Markt Wiens. Er existiert seit 1780 als Bauernmarkt, auf dem überwiegend Milchprodukte verkauft wurden. Daher kann man seinen Namen auch von der »Asch« ableiten, den Eschenholzfässern, in denen früher die Milch transportiert und angeboten wurde. Ein anderer Erklärungsansatz begründet sich in der vormaligen Lage dieses Marktes, der in seinen Ursprüngen auf Höhe des heutigen Karlsplatzes lag. Der war damals ein Mist- und Aschenablageplatz. Ab etwa 1820 begann man exotische Früchte anzubieten, was

42


aufgrund der hohen Preise dafür als Naschwerk angesehen wurde. Man kann also davon ausgehen, dass die findigen Wiener das ursprüngliche Wort »Asch« zu einem, dem Anlass entsprechenden Wort »Nasch« ergänzt haben. Heute werden auf dem Markt die Woche über Obst, Gemüse, Backwaren, Fisch und Fleisch angeboten. Jeden Samstag ab fünf Uhr morgens findet am Beginn dieses Marktplatzes ein großer Flohmarkt statt. Viele sagen, dass man dort die Dinge kaufen könne, die einem die Woche über geklaut wurden. Diebstahl ist ein hohes Gefahrenpotential, wenn man zwischen den dortigen Menschenmengen bummelt, da etliche Taschendiebe unterwegs sind. Es ist also ratsam, die Wertsachen mehr als gut zu verstauen. Ich bin noch nicht mit der Beschreibung des Naschmarktes fertig, als auf der linken Seite ein Gebäude mit zwei grünen Dächern auf den Dachgauben ins Bild kommt. Das Theater an der Wien. Von außen wirkt es kaum größer als ein Wohnhaus, beherbergt aber im Inneren 1129 Sitz- und fünfzig Stehplätze. Außerdem natürlich eine Bühne und die gesamten Theaterräumlichkeit die dazugehören. Im hinteren Teil des 1801 eröffneten Theaters hatte Beethoven während seines Wien Aufenthaltes einen seiner neunundsechzig Wohnsitze und schrieb dort Teile der Oper »Leonore«. In dem Theater fanden viele Uraufführungen bekannter Operetten statt, wie z.B. Die Fledermaus, Der Bettelstudent, Gasparone, Der Vogelhändler, Der Zigeunerbaron und andere. Auch die 2., 3., 5., und 6. Sinfonie von Beethoven wurden hier dem Publikum zum ersten Mal zu Gehör gebracht. Im Jahr 1983 wurde mit Peter Weck ein bekannter Schauspieler Intendant des Theaters an der Wien, der 1992 verantwortlich

43


war für die Uraufführung des Musicals »Elisabeth«. Doch auch hier schneidet eine weitere Sehenswürdigkeit mir das Wort ab, denn unmittelbar hinter dem Theater erscheint die goldene Blätterkuppel der Sezession. Diese Kugel besteht aus einem Blätterwerk vergoldeter Bronze und heißt in Wien der »Krauthappel« (Kohlkopf). Das bedeutendste Gebäude des Wiener Jugendstils ist ein Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst und zeigt im Untergeschoss das berühmte BeethovenFries von Gustav Klimt. Aufgrund der glatten Außenwände, die geometrisch perfekt aufeinander aufgebaut sind, nennt der Wiener es auch »assyrische Bedürfnisanstalt«. Den Blick schnell auf die rechte Seite werfend, sehen wir die beeindruckende Karlskirche. Dieser bedeutende Kirchenbau aus dem Barock bildet mit seiner Anlehnung an die Hagia Sophia und den imitierten Trojansäulen die zentrale Verbindung zwischen Rom und Byzanz. Der Bau selbst ging auf ein Versprechen Kaiser Karls zurück, der 1713 während der letzten Wiener Pestepidemie gelobte, dem Pestheiligen Karl von Borromäo eine Kirche zu bauen. Dieser Karl von Borromäo ist auf dem Kuppelfries dargestellt und die Säulen zeigen Motive seines Lebens. Ein, bei der letzten Renovierung aufgebauter Fahrstuhl in die Kuppel, wurde, nachdem man festgestellt hatte, dass die Touristen gern den Arbeitern bei der Restaurierung der Malereien zusahen, nach Abschluss der Arbeiten nicht wie geplant abgebaut. Heute kann man damit gegen das entsprechendes Entgelt, den Innenraum von oben betrachten. Vorbei geht es am Musikverein, in dem die Wiener Philharmoniker zu Hause sind und wo aus dem Goldenen Saal das

44


Neujahrskonzert übertragen wird, über den Schwarzenberg Platz. Dort sieht man rechts auf den »Russen« hinter dem Hochstrahlbrunnen, und links auf das Palais des Kaiserbruders »Luzi Wuzi«. Wir erreichen den Stadtgarten. Diesen umrunden wir, sehen noch die Münze, die Einmündung der Wien in die Donau unterhalb der Urania bevor wir in Richtung Praterstern abbiegen. Nachdem ich noch die Geschichte des ehemaligen kaiserlichen Jagdgebietes mit Rennbahn und Würstel-Prater erzählt habe, vom Brand des Riesenrades mit der nachmaligen Reduzierung der Gondeln berichte und endlich mit meinen Erklärungen am Ende bin, dürfen die Fahrgäste aussteigen und das Ganze selbst in Augenschein nehmen. Hannes und mir ist dieses Vergnügen einfach zu teuer, denn die Fahrt mit dem Riesenrad kostet 9,50 Euro und will man gar die kaiserlichen Herrschaften in Wachs bewundern, wird man auf die Schnelle 21,50 Euro los. Also harren wir im Schatten auf die Rückkehr unserer Gruppe, die heute nicht lang auf sich warten lässt, denn es ist einfach viel zu heiß, um sich auf dem Pratergelände rumzudrücken.

Spiel Zigan, spiel Zigan Es ist Freitag, der fünften Tag unserer Reise, und auf dem Programm steht ein Ausflug nach Budapest. Jetzt ist die ungarische Hauptstadt eine wunderschöne und sehenswerte Stadt, doch mit einem Tagesausflug können wir ihr nicht gerecht werden. Schon auf der Hinfahrt nach Wien hatte Hannes vorgewarnt, dass dieser Tag anstrengend wird, denn um nach Budapest zu

45


kommen, müssen wir erst einmal etwas über dreihundert Kilometer fahren. Da das Tempolimit für Busse in Ungarn auf achtzig reduziert ist, sitzen wir für vier Stunden im Bus, bevor wir die ungarische Hauptstadt erreichen. Mit einer Punktlandung nehmen wir um elf Uhr unsere örtliche Fremdenführerin, vermutlich heißt diese jetzt HungariaGuide, auf und starten gleich zur Stadtrundfahrt. Der erste Stopp ist auf dem Gellertberg. Heute gibt es für Hannes einen Sonderpreis. Da der Automat für die Busparkscheine gerade repariert wird, schickt ihn der Parkplatzwächter an den für PKW. Er soll vierhundert Forint einwerfen für die halbe Stunde. Ein echtes Schnäppchen, denn sonst kostet es eintausendfünfhundertfünfundsiebzig Forint. Wie es scheint, bekommen wir langsam Mengenrabatt. Unsere Gruppe läuft mit Guide um den Berg herum und lässt sich den Ausblick auf Budapest erklären. Burg, Fischer Bastei, Stefans Basilika und Parlament bilden ein wunderschönes Panorama. Wobei Bischoff Gellert, nach dem der Berg benannt wurde, dies bestimmt nicht genoss, als er in einem mit Nägeln gespickten Fass den Berg runtergestoßen und in der Donau ersäuft wurde. Der Weg ist zwar nicht weiter anstrengend, aber die heutige Schwüle mit über dreißig Grad lässt ihn beschwerlich werden. Die Fahrgäste lassen sich nach Rückkehr gleich wieder in den klimatisierten Bus fallen. Dort dürfen sie aber nicht lange verweilen, denn der nächste Zielpunkt sind die Fischer Bastei und das Burgviertel. Dort heißt es aussteigen und zum Rundgang aufstellen. Erstes Stöhnen wird vernehmbar. Nach anderthalb Stunden kehren sie zu-

46


47


rück und eigentlich wäre jetzt Zeit zum Essen. Aber wir haben ja noch die Pester Seite vor uns. Dort herrscht wie immer dichter Verkehr, aber wir müssen über Ring- und Radialstraßen durch Pest. In der Andrassy Straße sind Fahrbahnen gesperrt, denn vor drei Tagen brannten der Dachstuhl und die oberste Etage des neu restaurierten Andrassy-Palais innerhalb weniger Minuten ab. Jetzt besteht im näheren Umkreis Lebensgefahr durch fallende Trümmer, die von oben kommen könnten. Wir umrunden den Heldenplatz ersparen unserer Gruppe aber heute den Ausstieg, denn man müsste selbst ein Held sein, in der sengenden Sonne sich die Geschichte der einzelnen Helden anzuhören. Dafür fahren wir am Gundel, dem Zoo und einem sehr schönen Thermalbad vorbei, wieder zum Heldenplatz zurück, um uns endlich in Richtung Markthallen durch den einsetzenden Verkehr zu schlagen. Die Gruppe hat Hunger, immerhin ist es mittlerweile fünfzehn Uhr, und daher ist es eine schlechte Kombination, dass unsere Guide an den alten Kaffeehäusern vorbei fährt und deren Geschichte erzählt. Die Businsassen möchten praktisch satt werden und nicht länger theoretisch gefüttert. Aber auch das letzte Hindernis wird bravurös genommen und endlich bekommen sie neunzig Minuten Freizeit, um in den historischen Markthallen einkaufen und essen zu gehen. Hannes findet heute sogar auf Anhieb einen Parkplatz, was an ein Wunder grenzt. Nachdem alle gesättigt zurück sind, beginnt der Auszug aus der Stadt. Hatte Hannes befürchtet, dass halb Ungarn auf dem Weg zum Balaton, Budapest verlässt, immerhin haben wir gelernt, dass zwanzig Prozent der Ungarn in der Hauptstadt leben, ist er angenehm überrascht, wie schnell er auf die Autobahn ge-

48


langt. Jetzt nur noch die etwa dreihundert Kilometer zurücklegen, dann landen wir pünktlich um zwanzig Uhr beim Abendessen im Hotel. Dort gibt es heute "Waldviertelbüffet" wie der Katalog der anderen Gruppe ausweist. Wenn man dann weiß, dass das Waldviertel immer das Armenviertel Österreichs war, muss ich wohl kaum weiter schreiben.....

49


Mein anderes Ich Werner Thöne

Migräne »Migräne« gehörte in meiner Jugend nicht zu meinem Wortschatz. Das Wort kannte ich nicht. Ich hatte einfach nur »Kopfweh«, das mich in meinem Leben oftmals ausbremste und viele Aktivitäten beeinträchtigte oder gar unmöglich machte, leider bis heute. Was will mein Körper mir sagen, auf was will er mich hinweisen? Bis heute gibt es für mich auf diese Fragen keine Antwort. »Migräne« lautete im Laufe der Zeit die Diagnose. Das Wort empfand ich zunächst als äußerst »unsexy« und vermied es im täglichen Sprachgebrauch. In der Migräne sah ich eine Krankheit, die nach meinem damaligen Verständnis nur Frauen in den Wechseljahren betraf und keine Männer. Erst recht nicht so junge Kerle wie mich! Erst im Laufe der Jahre entwickelte sich bei mir ein Bewusstsein für dieses unheimliche Phänomen. Heute bin ich erheblich aufgeklärter und weiß viel mehr über diese Krankheit. Bin ich schmerzfrei, vermisse ich sie. Dann kommt sie unangemeldet und macht mir das Leben schwer. Wir führen ein Doppelleben, wir zwei. Sie geht sogar mit mir ins Bett, mag es dunkel und quält mich manchmal entsetzlich. Morgens wird sie früher wach als ich und weckt mich, indem sie auf meinem Schädel hämmert. Wie ein Specht im Baum, pocht sie dann unerbittlich auf eine Gesichtshälfte. Ich fühle eine ganze Armee kleiner Hämmer, die sich an meinem Kopf zu schaffen machen. Kleine Dachnägelhämmer wie auf dem Cover der LP von Pink Floyd,

50


beherrschen für einen Vormittag meinen Kopf! Meine private Domina. Früher bezahlt mit Praxisgebühr und heute mit Medikamenten-Zuzahlung. Oder ich muss hochwertige Medikamente gleich selbst ganz bezahlen. Ja Migräne muss man sich scheinbar leisten können. Gehe ich zu einem Arzt meines Vertrauens, hat sie sich versteckt und ich muss erklären, was in so einem Fall in mir vorgeht. So als wenn es sie nicht gäbe, bringt sie mich in Erklärungsnot. Und deren hilfloses Achselzucken! »Da muss man eine Prophylaxe machen«, lautete ein wissens-schwangerer Rat. Was folgte, war eine Medikamenten-Lotterie. »Fangen wir mal damit an, nehmen sie dreimal täglich... bla bla bla…«. Ist natürlich alles gut verträglich, Balsam für Leber, Nieren und meinen Magen! »Fahren sie mit offenem Seitenfenster Auto«? Mit Dieser schwerwiegenden Arztfrage wurde ich einmal konfrontiert. »Im Sommer, natürlich«, antwortete ich. »Das wird es sein, da könnten die Schmerzen herkommen«, war die ernst gemeinte Antwort des Arztes. Mit dieser Antwort hätte er vermutlich die 1 - Million Euro-Frage bei Günther Jauch locker beantwortet. Einmal kam es zu einer »schicksalhaften« Situation, die an Komik nicht mehr zu überbieten war. Ich wurde mal wieder bei einem »Migränearzt« vorstellig und erwartete fachkundige Hilfe. Gleich an der Rezeption fragte mich eine nette Arzthelferin, wie ich denn so mit meiner Migräne umgehen würde! Sie habe auch öfters solche Kopfschmerzen und wisse sich nicht mehr zu helfen…! Geduldig erzählte ich ihr meine Methoden und was ich da einnehme. Nach meinem »Fachvortrag« war ich mir nicht mehr sicher, ob ich hier richtig bin und wer hier der Patient ist… Die eigentliche Audienz bei dem »Facharzt« in dieser Praxis geriet dann zu einem Höflich-

51


keitsbesuch… Wie zwei Staatsmänner im Fernsehen beim Fotoshooting. Nur fehlten der obligatorische Händedruck und die Kamera. Einmal mehr stellte ich fest, dass die Migräne nur unzureichend erforscht ist und die Ärzte in dieser Richtung nur wenig Ahnung haben. Und die keine Ahnung haben, geben sich keine Mühe und haben deshalb ja auch keine Ahnung! Als Patient entwickelt man im Laufe der Zeit mehr Wissen über seine Krankheit als der Arzt. Ist auch irgendwo verständlich, weil man sich selbst, seine Stärken und Schwächen und seinen Körper ja am besten kennt. Nun ja, und die wenigsten Ärzte leiden ja selbst an Migräne. Jedenfalls hat sie alle bisher überlistet. Lässt sie sich ein paar Tage nicht blicken, meldet sie sich und signalisiert mir: »Mach dich gefasst, morgen früh klopfe ich wieder bei dir an«. Dann muss ich sie mit Aspirin anfüttern. Manchmal reicht das nicht und ich muss diesen Hausdrachen mit dem Wirkstoff Triptan zufrieden stellen. Inzwischen weiß ich, welche Medikamente in welcher Dosierung für mich hilfreich sind. Sie stellt auch noch Ansprüche, ist schlau, lästig und anhänglich! Wie eine Mistel im Baum. Ein Schmarotzer, der von meiner Energie lebt. Beeinflusst mein Leben, mischt sich in alles ein. Sie gibt sich egoistisch und unberechenbar. Und meine Kur, die mir ja helfen sollte! Die Ärzte dort hatten noch weniger Ahnung und gingen überhaupt nicht auf meine Situation ein. Man hielt mir psychosomatische Gespräche und wollte mein Innerstes nach außen kehren, quasi meine Persönlichkeit umkrempeln. Was für ein Ansinnen! Nach fünf Wochen bot man mir eine Verlängerung an. Als ob die Kurärzte eine Erleuchtung heimsuchte und sie unbedingt ihre neuesten Erkennt-

52


Foto: Erwin Altmeier

nisse über mich ausgießen wollten. Dankend lehnte ich ab und fuhr nach Hause. Wie erleichtert ich mich fühlte. Daheim konnte ich wieder »Werner« sein! Heute habe ich sie durchschaut, und arbeite m i t ihr, ohne je ihr Geheimnis zu lüften. Wenn ich sie schon nicht loswerde, heiße ich sie in meinem Kopf ironisch willkommen. Gerne nimmt sie meine »Einladung« an. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Fester Bestandteil meiner Persönlichkeit. Ich muss mit ihr klar kommen, kann mich von ihr nicht scheiden lassen. Sie hat mich ausgesucht, ihr Leben mit mir zu verbringen. Warum gerade mit mir? Bin ich für sie so attraktiv, ihr Freund? Gerne würde ich auf sie verzichten. Sie entlassen zu irgendjemand anderen. Ich mag sie nicht. Eine Trennung ist leider nicht möglich! Eine seit Jahrzehnten gewachsene Hass-Liebe.

53


Freier Fall Elin Bell

Schwebte auf weißen Wolken Fühlte mich in Sicherheit Glaubte mich stärker als das Leben Falle Wie eine Marionette Zu frei Zu zerbrechlich

54


Kosmischer Tanz Elin Bell

In tiefblauer Weite Drehen sich Leuchtende Galaxien Silberne Spiralen Staubige Nebelscheiben Frei Geheimnisvoll Inspirierend In lautlosem Tanz Anmutige Bewegung In kosmischen R채umen Zusammengehalten In endlosem Ballett

55


Brima Glima Erwin Altmeier

Sie sind Saarländer? Dann ist Ihnen alles, was ich nachfolgend bräsentiere, schon glar wie Gloßbrühe und Sie haben kein Broblem damit – schließlich sind Sie ja in diesem gleinen Ländchen aufgewachsen. Allen anderen, die ganz sicher bei der Überschrift und auch bei den hier erkannten Rechtschreibfehlern schdudzig geworden sind, will ich einmal erglären, was Sie bei einem Besuch des Saarlandes von den Einheimischen zu hören bekommen – sogar von schbrachlich geschulten Schbrechern des Saarländischen Rundfungs. Ganz abgesehen davon, dass hierzulande ein schbezieller Dialekt geschbrochen wird, erkennt man den Saarländer auch beim Hochdeutschschbrechen. Wir sind wohl nicht als harte Typen über den Drampelpfad der Zeitgeschichte gewandert … oder sie hat uns weichgeglopft. ;-) Der typische Saarländer schbricht nämlich beschdimmte Buchschdabenfolgen brinzipiell nicht hart, sondern weich aus. Diesem Brinzip des Sprechens begegnet man auf Schritt und Dritt. So wird in der Schbortreportage aus dem “Trainer, der vom Platz flog”, ein “Drainer, der vom Blatz flog”. Der Saarländer träumt auch nicht – er dräumt! In einer Partnerschaft ist er dreu, er drinkt gerne (“Brost!”), genießt das – wettermäßig und zwischenmenschlich gesehen – brima Glima im Land und drifft sich oft mit Freunden. Das Wort “Greisverkehr” bedeutet im Saarland keineswegs, dass man auch noch Sex im Alter hat. Die Menschen hier sind musikalisch und viele schbielen ein Inschdrument, zum Beischbiel Glavier, Glarinette, Drommel o-

56


der Driangel – immer mit dem Ziel, einen schönen Glang zu broduzieren. Bisweilen bläst der Saarländer aber nicht etwa Drompete, sondern Drübsal auf Noten – wenn er mal keinen Blan oder einfach nur schlechte Schdimmung hat. Musik ist jedenfalls für viele eine dreibende Graft. Für mich übrigens auch. Sie dreibt mich immer wieder ins Saarbrücker Schdaatstheater. Besonders wenn Oper auf dem Schbielblan bzw. auf dem Brogramm schdeht, nehme ich gerne Blatz und genieße die schönen Schdimmen der Sobranistinnen. Meine Hits: “La Draviata”, “Der Droubadour” und “Dristan und Isolde”. Leider gibt es auch bei uns hier in der Brovinz Menschen, die nicht mit gutem Bedragen brahlen können – manche entwickeln als Drickbedrüger griminelle Energie oder werden zum Driebtäter. Voll grass! Viele Saarländer sind schbortlich aktiv. Die einen halten sich auf dem Drimmpfad fit, andere drainieren auf dem Drampolin. Der Saarländer drotzt jedem Schdurm mit geradezu breußischer Disziblin und ihm fällt nie ein Zacken aus der Grone. Wenn er Glamotten kauft, achtet er darauf, dass kein unnötiges Geld verbrasst wird (der Geldbeutel ist nicht mehr so brallvoll wie noch vor Jahren) und alles schön breiswert ist. Wenn nicht, gibt es eben nur Gleingram und keine neue Grawatte, kein Drikot für den Gleinen und kein brachtvolles Gleid für die Ehefrau, auch wenn sie mit ihrer Branke droht, einen Grawall anzettelt, ihm an den Gragen geht oder sogar einen Ehegrieg heraufbeschwört. Gutes Essen wird im Saarland groß geschrieben … und genossen, bis man blatzt. Danach wird dann der Briester gerufen. Tja, so dragisch kann es enden!

57


Erwin Altmeier

58


Psst! Erwin Altmeier

An einem Sonntagnachmittag in Nancy: Ich hatte bereits Platz genommen im Saal des Opernhauses, als ich eine Schulklasse hereinkommen sah (schätzungsweise 4. Grundschulklasse). Die Kinder besetzten die komplette Reihe vor mir und ich befürchtete Schlimmes. Aufgeführt wurden zwei Opern von Rachmaninov, eine davon ein wirklich ganz schwerer Brocken und mir war klar, dass wegen der zu erwartenden Unruhe und Störaktionen der Kids ein Operngenuss unmöglich sein würde. Was ich erlebte, war dann Folgendes: Die Kinder (überwiegend Jungen) gaben während der fast 3 Stunden keinen einzigen Laut von sich, hampelten auch nicht auf ihren Plätzen herum, sondern verfolgten die Aufführung offensichtlich mit Interesse. Eine so disziplinierte Schulklasse hätte ich nicht für möglich gehalten. Und die Erwachsenen? Rechts von mir saß eine junge Dame, die ihr Smartphone nicht stummgeschaltet hatte. So hörte dann nicht nur sie, sondern auch der gesamte 2. Rang des Opernhauses ein lautes Klingeln – natürlich ausgerechnet während einer leisen Stelle der Oper. Wer nun erwarten würde, dass es der jungen Frau peinlich gewesen wäre, irrt sich. Sie schaltete selbst nach dieser Störung das Gerät nicht ab und so kam das Publikum später in den Genuss eines zweiten Anrufes. Links neben mir saß ein Ehepaar in meinem Alter, das mich einerseits durch häufiges Hantieren an den Smartphones überraschte (das, was ich eigentlich von den Kids erwartet hätte) und durch ebenso häufiges störendes Kommentieren der Aufführung. Ein “Pssst!”

59


Foto: Erwin Altmeier

in Richtung der beiden brachte mir nur einen intensiven gehässigen Blick der Dame ein. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich auf der Stelle gestorben. Am Ende hätte ich ihr gerne etwas gesagt, aber mein Französisch ist leider zu schlecht. Vielleicht hätte ich ihr auf einem Blatt Papier ein blaues “Q” überreichen sollen – mit der Überschrift “Bleu de Q”. Aber das hätte sie ja vermutlich wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht verstanden!

60


Schade Hans-Joachim Grötschel

Schade, leider kann ich nicht alle Einladungen annehmen! Begründung:

Ach, könnt ich mich teilen, wie wär das doch fein, dann müßt‘ ich hüpfen, auf je einem Bein; Bedenk ich es recht, das kann nicht gut gehen, ich glaube, Ihr werdet es sicher verstehen. Als Mann hat man da echt ein großes Problem, ich frage mich nur, wie sollt ‘s richtig gehen. Teilt man nach links, oder teilt man nach rechts, heraus kommt in jedem Fall‘ nur schlecht‘s. Denn die Nase tut laufen und die Beine steh’n, und darum kann es nun wirklich nicht gehen“!

61


Zum Frühlingsanfang Hans-Joachim Grötschel

Diese Pflanze blüht in meinem Garten, die Anderen, lassen noch auf sich warten. Bei diesem schönen, süßen Duft; Da möchte‘ ich gern‘ verweilen. Doch leider kann ich nur das Bild Und nicht den Duft noch teilen. Hans-Joachim Grötschel

Ach wär‘ ich doch ein Bienchen klein, ich würd‘ den Nektar schlürfen; Den Blütenstaub den steckt‘ ich ein, in Taschen an den Hinterbein’n. Ja, daraus macht‘ dann Honig ich, und stünd‘ er dann auf deinem Tisch, so laß ihn dir gut schmecken. Doch leider ist es nur ein Gruß, der Frühling will dich necken.

62


Der Wetterfrosch Hans-Joachim Grötschel

Ich brauch‘, ’nen neuen Wetterfrosch, der Alte ist krepiert. Kein Wunder, daß es immer noch; schneien tut und friert. Sein Quaken schon sehr heiser klang, ich hatt‘ mir nichts gedacht. Meine Tochter ‘Rike, schon etwas bang‘, hatt‘ einen Strickschal ihn gemacht. Und als dann der Frosch in seinem Glas, die Leiter nicht mehr schafft, … Frau Lisa mitleidsvoll, gibt Ihm noch was; in Pipette, Bronchial-Hustensaft. Wenn so ein grasgrüner Hoppemann zitternd, am Boden liegen tut, … Mit etwas Ruhe und Wärme dann, geht’s Ihn sicher, bald wieder gut. Dem Frosch im Einmachglas ist sicher kalt, da er nicht mal nach Fliegen schnappt. Drum hat Sohn Mäx‘chen aus Sorge halt, einfach den Deckel zugemacht. Der neue Frosch, wenn ich’s nur wüßt‘ war nicht grün, nein er war grau. Die Rike, hat verliebt ihn gleich geküsst, wird nun im Frühjahr seine Frau. Drum trau‘ keinem Fernseh-Wetterfrosch, von wegen Wetter, voll ist nun das Maß. Jetzt steht ein neuer grüner Wetterfrosch, auf der Fensterbank im deckellosen Glas. 63


Brief an Molly Hans-Joachim Grötschel

Ach liebe Molly sei nicht traurig, weil dein Frauchen fiebert schaurig. Ihre Stimme ist schön, doch leider rostig, kommt schon mal vor, wenn Nächte frostig. Was heißt hier „Wau“, du hast schon recht, deine Treue die ist echt. Ja, ich weiß, sie hat ‘nen Virus, jetzt bring‘ ihr bitte noch Papierus. Ich mein‘ die schnellen Taschentücher, jetzt hat sie Zeit mal für ’n paar Bücher. Und wenn sie zu sehr läuft, die Nase, die letzte Rettung wär‘ ‘ne Vase. Deck‘ sie gut zu, denn sie muss schwitzen, ich weiß, du tust gern‘ bei ihr sitzen. Dann wird dein Frauchen schnell gesunden, hab‘ Geduld, leider dauert es noch Stunden; bis wir dann im Wald spazieren und du läufst voraus auf allen Vieren.

64


Foto: Hans-Joachim Grรถtschel

65


Der Amtsschimmel wiehert Barbara Würtz

Im Amtsanzeiger wird empfohlen Auskunft können Sie holen bei Herrn Weinmann Er nimmt Ihre Fragen an Wählen Sie 1563 Es meldet sich Meier - männlich Herr Weinmann ist nicht da Zwei Monate ist er weg. - Aha Können Sie mir helfen weiter Nein, leider Da müssen Sie fragen in diesem Raum Frau Lindenbaum Wählen Sie 1562 Sofort wähle ich 1562 Es meldet sich: Meier - männlich Ich habe mich nicht verwählt Meier antwortet gequält: Frau Lindenbaum ist heute nicht hier Nur an Tagen deren vier Heute ist der 5. Tag an dem sie nicht kommen mag Am Montag wähle ich 1562

66


Es meldet sich Meier - männlich Frau Lindenbaum ist da morgens nur Und jetzt ist Nachmittag 14.00 Uhr Dienstagmorgen ich wähle 1562 Hier Lindenbaum – weiblich Endlich! Ich bin nur zwei Tage auf Arbeit dann eine Woche vom Dienst befreit Nach einer Woche wähle ich 1562 Hier Lindenbaum, aber ich bin krank Ich han die Fregg und bin für die nächste Zeit weg. Die Moral von der Geschicht´ Wundere dich nicht.

67


Winter Barbara Würtz

Graue Schneewolken türmen sich vor das Himmelsblau Dämmerung schiebt sich heran Mystisches Licht blitzt auf Schatten huschen zwischen Büschen und Bäumen kommen näher ziehen sich zurück entschwinden in die dunkle Nacht Plötzlich prasselt Eisregen Schwer gewordene Äste knistern, krachen, brechen ab fallen polternd zur Erde Schatten der Nacht fließen ein in Träume Leichte Winde schwingen dünne Zweige gegeneinander Silberhelle Töne erklingen zu zarten Melodien

68


Gesichter Barbara Würtz

Schlafenszeit für einen müden Arbeiter Der Fernseher des Nachbarn dröhnt weiter Er hört nicht gut an seinem Ort Ich verstehe fast jedes Wort Mein Fenster steht weit offen Wirtshausgänger sind besoffen Lärmend ziehen sie vorbei Eingehakt in einer Reih´ Der Köter der Wirtsfrau bellt womit er die letzten Gäste verprellt Mit laut heulendem Motor fährt quietschend ein Auto vor Der Rentner nebenan geht ins Bett Leiser wird die Welt

69


Und dann und wann ein weißer Elefant Barbara Würtz

Jeden Tag der gleiche Trott ist das langweilig, mein Gott Jeden Tag neidische Kollegen auf so verschiedenen Wegen Jeden Tag derselbe Mist und niemals geküsst Jeden Tag die raue Welt die niemand so recht gefällt Jeden Tag derselbe Mann der oft nicht mehr so richtig kann Aber dann und wann ein weißer Elefant

70


Die Christrose Barbara Würtz

Mitten im Winter blüht sie im Garten die elegante Eisprinzessin Strahlendes Weiß zwischen sattem Blättergrün verschmolzen mit dem Schnee Der Frost kann der Winterkönigin nichts anhaben Ihre Blätter verfärben sich vom makellosen Weiß zu Grün bizarre Samenbehälter bilden sich In jeder Form ihres Blumen-Daseins betört die Christrose als Schönheit aber – ihre Blüten, Blätter, Wurzeln sind sehr giftig

71


Der Maulwurf Barbara Würtz

Ein Maulwurf in meinem Garten Jeden Morgen ein neuer Erdhaufen Ein fleißiges Tier - und Er steht unter Artenschutz Was tun, um ihn zu vergrämen Rat geholt habe ich mir bei Verwandten und Freunden Landschaftsgärtnern und Golfplatzbesitzern Ich hab´ in die Röhren gesteckt: Haare von Mensch und Hund Er ließ sich nicht vergrämen Knoblauchzehen und Tuja-Zweige Er ließ sich nicht vergrämen Essig, Diesel und Terpentin Er ließ sich nicht vergrämen Petroleum und Stinkbomben Er ließ sich nicht vergrämen Teuren Maulswurfschreck erworben solar- und batteriebetrieben Er ließ sich nicht vergrämen

72


Lebendfangfalle aufgestellt Er blieb in seiner RĂśhre Eines Morgens lag der dicke Maulwurf leblos vor der TerrassentĂźr Ein Geschenk meiner Katze

73


altern Heinz-Josef Scherer

Bewahre was du an Gutem empfangen und zehre von ihm in mageren, d端rftigen Zeiten. F端ge dich dem Unab辰nderlichen. Erkenne und nutze die dir verbleibenden Ressourcen. Mache sie zum Ausgangspunkt deiner weiteren Lebendigkeit. Lerne das Eine von dem Anderen zu unterscheiden und altere so gelassen und in W端rde.

74


annehmen Heinz-Josef Scherer

Nimm das, was sich dir wohlwollend darbietet und für dich bestimmt ist, auch an sonst nimmt es ein anderer, der es mehr zu würdigen weiß. Für dich ist es dann zu spät und du gehst leer aus. Willst du das?

75


Richtige Adressaten Heinz-Josef Scherer

Suche dir nach Möglichkeit für deine Begegnungen, deinen Austausch, deine dir wichtigen Anliegen, Botschaften usw. die richtigen Adressaten. Schau bei dieser Wahl - ohne der möglichen Gefahr von Arroganz anheimzufallen - genau hin. Sei mitunter zu Kompromissen bereit, doch prüfe, zu welchen und wie weit du gehen willst. Übe Geduld bei der Suche und sei, findest du nicht gleich die geeigneten, vorübergehend (wie überhaupt) dein eigener. Sei kritisch, aber auch tolerant und versuche hinter allem die Würde eines jeden zu erkennen und zu achten.

76


Schafsherde - Menschenherde Heinz-Josef Scherer

Da stehen sie auf der Wiese: friedfertig, friedvoll wie wohlmeinende Brüder und Schwestern. Warum schafft es der Mensch nicht, sich mit seinesgleichen zu versöhnen, zu vertragen? Es ist u.a. seine Gier nach mehr, sein Neid, seine Egozentrik, sein Narzissmus, seine Angst vor sowie seine Intoleranz gegenüber dem Unbekannten, Fremden – vor/gegenüber dem, der anders aussieht, anders spricht, anders denkt, anders glaubt…anders ist.

77


Verzeichnis: Redaktion, Autorinnen und Autoren

Erwin Altmeier

Heike S. Rogg

Fotograf, Autor erwinaltmeier@gmail.com www.erwinaltmeier.com

Autorin heikerogg@aol.de

Elin Bell

Heinz-Josef Scherer

ars-poetica@gmx.de www.elinbell.wordpress.com

Dipl.-Soziologe/Systemischer Therapeut und Berater Autor, Poet Jozsy@web.de

Bodo Bickelmann Autor Werner Thöne

bodobickelmann@web.de

Verwaltungsangestellter, Autor werner-thoene@t-online.de Susanna Bur Redakteurin, Autorin, Layout literarischerkreis@gmail.com www.bur-verlag.de

Stefan Weigand

Birgit Burkey

Redaktion, Layout nfo@bur-verlag.de, www.bur-verlag.de

Autorin, Poetin b.burkey@t-online.de Barbara Würtz Malerin, Grafikerin, Autorin, Kalligrafin bee.wuertz@gmail.com

Hans-Joachim Grötschel Dipl. Des. / Innen- / Architekt AKS hgroetschel@web.de

Edith Hornauer sonne346@googlemail.com

78



Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.