Kulturelemente 124

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Thema

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Zeitschrift für aktuelle Fragen

Josef Schwitzer – Ingo Stermann

Poste Italiane s.p.a. Spedizione in Abbonamento Postale - 70 % NE Bolzano

Nr. 124 2015 Euro 3,50 www.kulturelemente.org info@kulturelemente.org redaktion@kulturelemente.org

Herausgegeben von der D i s t e l – Ve r e i n i g u n g

„Schöne Kindheit? – Missbrauch“

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„Wie plastisch ist unser Gedächtnis?“ fragt Roger Pycha und beschreibt das „default system“ im Stirnhirn.

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Martin Miller beschäftigt sich mit der transgenera­ tionalen Vererbung von Kriegstraumen. Er zeigt auf, wie die Kinder der El­ tern der Kriegsgeneration zu deren Eltern wurden.

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Was sind Opfermütter, Machtmütter, narzistische Mütter und lieblose Mütter? Zur Klassifizierung und zu psychologischen Lösungsansätzen äußert sich Lois Schützenhöfer.

Welche verschiedenen Arten des Missbrauchs begegnen dem Psychiater in seiner Tätigkeit? nestisch glaubhaft von einer glücklichen Kind­ heit. (Natürlich ist überlegenswert, ob eine unglückliche Kindheit eher für einen erfolgrei­ chen Berufsweg hin zum Psychiater prädispo­ niert als eine glückliche?) Das Thema Missbrauch führt also zu etlichen Zweifeln und unbequemen Fragen, aber Kultur ist per definitionem unbequem -zumindest aus psychoanalytischer Sicht- , und wer sich für seine angestammte Kultur engagiert (und das tun Psychiater!), sollte solchen Fragen nicht nur nicht ausweichen, sondern sogar den Mut zu noch unbequemeren Antworten aufbrin­ gen. Das bedeutet in diesem Kontext, das allzu leichtgängige Allerweltswort „Miss­ brauch“ mit seiner eindeutigen Aufteilung in Opfer und Täter, Gut und Böse, Eigenverant­ wortung und Dienstleistungsanspruch in Fra­ ge zu stellen, besser auszuhorchen und sei­ nen realen Materialisierungen nachzugehen. *** Dabei trifft man auf eine Kernerfahrung psy­ chiatrischen Arbeitens im Erwachsenenalter: In jeder Lebensgeschichte gibt es abträgli­ che, beeinträchtigende, verletzende und ver­ gewaltigende Erlebnisse und Akteure. Auf der anderen Seite stehen die Überlebens- und Anpassungsfähigkeit sowie die Kreativität ei­ nes jeden einzelnen Menschen, mit solchen Anforderungssituationen umzugehen. So öff­ nen sich hier zweiflügelig die Tore der Psy­ chopathologie zur einen und die der Resilienz und salutogenetischen Dynamismen zur an­ deren Seite. Zusammen bieten sie eine ambi­ valente Aussicht auf die nie ganz zu erfassen­ de Wirklichkeit menschlichen Krankens und Gesundens, nicht verwaltungsgenehm kalku­ lierbar, aber auch nicht per se katastrophal: „Non ogni male viene per nuocere!“

Foto: Anna Gruber

Der Titel wirft diverse Fragen auf: Was ist Missbrauch? Wo beginnt er, sich vom Ge-Brauch zu unterscheiden? Ist nicht überhaupt der Ge-Brauch von Menschen, zumal von minderjährigen Menschen, schon an sich missbräuchlich, weil man Menschen doch nicht wie Werkzeuge gebrauchen sollte? Andererseits: Ist nicht das Gefühl des Gebrauchtwerdens ein von vielen Menschen sehnsüchtig vermisstes Erlebnis, ein Beweis des Nichtalleinseins und damit eine versteckte conditio humana? Der Untertitel fragt dann nach den Erfahrun­ gen des Psychiaters zum Thema. Psychiater sind nicht gerade Fachleute für glückliche Kindheiten. Eher kann ihre Berufserfahrung sie dahin bringen, das Konzept „Glückliche

Kindheit“ insgesamt in Frage zu stellen und es gesellschaftskritisch als eine medial und politisch dienliche Worthülse ohne viel Gehalt anzusprechen, denn nicht viele Menschen, die zu einem Psychiater gehen, berichten anam­

EINE positive Perspektive ist freilich sicher zu konstatieren, kann nahezu axiomatisch ange­ nommen werden: Jede Krankheit, jede Funk­ tionseinschränkung zwingt den Organismus zu komplexen Kompensations-, Anpassungs-, Lern- und Differenzierungsprozessen. Für das betroffene Lebewesen bedeutet das also eine Vermehrung oder Entfaltung anderer, nicht geschädigter und bisher weniger entwickelter Fähigkeiten, und diese zwar abweichende, aber nicht automatisch fehlgehende Entwick­ lung kann aus dem einzelnen Individuum einen

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Wie schlimm eine Kindheit sein kann, erzählt eindringlich der Reiseautor Andreas Altmann

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Von der Holzhütte als Refugium in Kindheitstagen berichtet Helga Johanna Zelger.

Die Ergebnisse der Schreibwerkstätte für Kinder von Bettina Gartner im Rudolf Stolz Museum in Sexten im Rahmen zur Ausstellung „Weißes Album“ von Uta Reinhardt lassen sich in der Galerie nachlesen.

Die Kindergärtnerin und Fotografin Anna Gruber aus St. Pankraz lässt die Leser_innen in verlassene Innenräume voller Ahnungen und Erinnerungen blicken.


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