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Wir sind infiziert

Medizin gegen das Social Media-Virus

Es ist ansteckend und die meisten

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von uns sind schon infiziert. Social

Media heißt das Virus. Welche Aus

wirkungen hat die Ansteckung und welches Medikament gibt es dage

gen?

Termine absprechen und mit Freund*innen chatten per WhatsApp, Urlaubsfotos posten und lustige Memes anschauen auf Instagram, Rezepte und Geschenkideen suchen auf Pinterest, den Alltag in Snaps miteinander teilen über Snapchat und abgedrehte Videoclips auf Tiktok oder YouTube ansehen: Freund*innen, Ablenkung und Unterhaltung sind durch Social Media immer und überall verfügbar.

Meine Bekannte Carina erzählte kürzlich, dass sie sich bis vor Kurzem von Facebook und WhatsApp erfolgreich ferngehalten hatte. Jetzt ist aber auch sie bei den beiden Diensten vertreten. „Unter meinen neuen Arbeitskollegen war ich die einzige Social Media-Verweigererin. Aber wer will schon von Anfang an anders oder Außenseiter sein?“ Während sie mir das erklärt, schielt sie mit einem Auge auf ihr von Mirjam Beitz Smartphone, um zu checken, ob eine neue Nachricht gekommen ist. Soziale Medien fordern von uns, ständig online zu sein und sofort zu antworten. Das merkt auch Carina: „Ich fühle mich schon unter Druck - man muss immer erreichbar sein“, sagt sie.

Wer sich einmal mit dem Social-MediaVirus angesteckt hat, wird bei Unachtsamkeit immer mehr davon vereinnahmt. Das Handy ist permanent dabei. Und zwar nicht nur bei meiner Bekannten Carina, seit sie ein Facebook-Profil und WhatsApp hat, sondern bei vielen von uns. Während der Hausaufgaben oder der Arbeit liegt es neben uns auf dem Schreibtisch und zieht unsere Blick auf sich, wenn das aufleuchtende Display signalisiert: „Du verpasst was, wenn du nicht schaust, was gerade auf WhatsApp, Facebook und Co los ist!“.

Na gut, für einen kurzen Moment den Stift aus der Hand legen und die neuesten Nachrichten checken dauert ja nicht lange. Wenn man das Handy dann sowieso in der Hand hat, kann man ja schnell noch - aber der kurze Moment dauert plötzlich doch länger. Auf dem Heimweg tippen wir nebenbei fleißig Nachrichten und während eines Treffens mit dem*r besten Freund*in entstehen unzählige Selfies. Auf der Toilette ist das Handy eine moderne Alternative zur Zeitung, die Opa dort zum Zeitvertreib liest. Vor dem Schlafengehen wird zum Abschluss des Tages noch ein YouTube-Video gestreamt, vielleicht auch zwei oder drei… oder

vier. Sich vollständig auf die zu erledigende Arbeit, beim Treffen auf den*die Freund*in oder in einer ruhigen Minute einfach mal auf sich selbst zu konzentrieren ist quasi unmöglich und verliert an Bedeutung. Unter diesem Gesichtspunkt ist es verständlich, dass das zur Ruhe kommen mittels Meditation oder Yoga inzwischen Trend ist – angeleitet von einer Yoga-Lehrerin auf YouTube.

Es herrscht ein kritischer Unterton bei Diskussionen über Social Media. Aber vollständig verbannen sollten wir die Sozialen Medien trotzdem nicht, denn es gibt auch positive Aspekte. Informationen werden über Social Media genauso verbreitet wie Neuigkeiten oder Diskussionsanregungen. In einem geschützten Raum können auf Social Media Jugendliche oder andere Gruppierungen unter sich sein und in Austausch

kommen – egal wann, egal wo. Soziale Kontakte werden somit gestärkt und neue Gleichgesinnte gefunden.

Das Social Media-Virus hat uns fest im Griff. Es ist zwar nicht annähernd so zerstörerisch wie Corona, aber trotzdem wünschen wir uns an manchen Tagen ein Medikament dagegen. Und zwar dann, wenn in der Klassengruppe auf Whats App wieder unsinnig gespamt wird oder wenn Missverständnisse im Messenger zum Streit ausarten. Wie wäre es mit einem Medikament, das zeitweise wirkt? Eine Möglichkeit, sich mal kurz aus dem Würgegriff des Virus zu befreien und frei atmen zu können? Das Mittel heißt „Digital Detox“. Einfach mal ausschalten, einfach mal auf den Power-Button drücken und „Herunterfahren“ auswählen. Das Handy eine Woche lang unbenutzt lassen ist die Königsdisziplin und zu Beginn der Umstellung eine utopische Idee. Aber Digital Detox funktioniert auch einfacher: Es kann ausreichen, den Flugmodus zu aktivieren oder die Internetverbindung auszuschalten. Wer im Notfall erreichbar bleiben möchte, kann somit weiterhin per Anruf kontaktiert werden. Weitere Optionen sind Digital Detox-Zeiten oder -Räume.

Vor dem Schlafengehen schnell noch WhatsApp auf neue Nachrichten checken oder bei Facebook durch den Newsfeed scrollen, artet oft zu längeren Aktivitäten am Handy aus, als geplant. „Ab jetzt ist das Handy im Bett tabu“ könnte eine selbstauferlegte Digital Detox-Maßnahme lauten. WhatsApp und Facebook kurz vor dem Schlafengehen zu benutzen, ist dann nicht mehr erlaubt. Das sorgt auch erwiesenermaßen für besseren Schlaf. Die Weckfunktion des Handys wird entweder früher am Abend gestellt oder ein separater Wecker gekauft. „Vor Schulbeginn wird das Handy nicht genutzt“ könnte eine andere Regel sein, die den Morgen weniger stressig macht. Erst bei der Umsetzung dieser Idee wird klar, wie oft wir während des Anziehens, Zähneputzens und Frühstükkens kurz etwas am Handy nachschauen.

Wir sind schon infiziert, aber wer das Bedürfnis nach weniger Stress hat und durchschnaufen möchte, der*die kann den Morgen nach dem Aufstehen ohne Symptome durchleben, indem er*sie Digital Detox nutzt.

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