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B.8 Berlin als Zentrum systemrelevanter Chip-Industrie aufbauen: Mikroelektronik und Photonik stärken, Halbleiterhersteller ansiedeln
B.8 Berlin als Zentrum systemrelevanter Chip-Industrie aufbauen:
Mikroelektronik und Photonik stärken, Halbleiterhersteller ansiedeln
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Wir schreiben das Jahr eins nach dem Corona-Ausbruch und die
Fließbänder vieler Automobilhersteller von Audi bis Volkswagen über
Ford und Toyota stehen still. Grund für dieses teure Desaster ist ein
Mangel an Chips für die Steuerungselektronik, denn die Halbleiterbranche kommt mit der Produktion nicht hinterher. Auch Industrieunternehmen anderer Branchen wie Siemens leiden darunter. Es gibt kaum noch Bereiche hoher Wertschöpfung, die auf Elektronik verzichten können, ja oftmals gibt gerade sie den entscheidenden Innovationsvorschub. Die Havarie des Containerschiffs „Ever Green“ und damit die
Blockade des Suezkanals im Frühjahr 2021 führen das Problem der „just in time“ getrimmten Lieferketten der Industrie wie unter einem
Brennglas vor Augen. Für die ohnehin schon mit Lieferengpässen kämpfende Halbleiterindustrie ist eine Störung der Lieferketten ein zusätzliches Problem. Patrick Lepperhoff, Experte für Lieferkettenmanagement bei der Unternehmensberatung Inverto, warnt, der Chipmangel in der
Autoindustrie könnte sich noch verschärfen.
Die meisten Elektronikkomponenten kommen aus Asien. Wenn etwa keine Chips mehr aus der Region geliefert werden können, dann hat insbesondere die Autoindustrie in Deutschland ein Problem.“
PATRICK LEPPERHOFF Experte für Lieferkettenmanagement bei der Unternehmensberatung Inverto
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die globalen Lieferketten und die Blockade des Suezkanals beweisen, dass die Produktionsstätten wieder ins eigene Land geholt werden müssen. Das haben China und die USA schon vor Corona erkannt. Systematisch haben sie den Aufbau dieser Schlüsselindustrie in ihren Ländern massiv forciert und sind heute Marktführer: China mit 35,1 Prozent Marktanteil und die USA mit 19 Prozent. Deutschland erreicht dagegen gerade einmal 3,3 Prozent. Wenn Deutschland in Zukunftsbranchen führend und nicht nur Verbraucher sein will, dann braucht es Unabhängigkeit und eine starke eigene Produktion von Mikroelektronik. Die derzeitige technologische Entwicklung zeigt, dass das Wachstum nach oben offen ist. Die Nachfrage wird dank Digitalisierung und Technologien wie autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz (KI), Internet of Things, Industrie 4.0 oder Quanteninformationsverarbeitung auf absehbare Zeit noch größer werden, als die bisherigen Unternehmen Infineon, Taiwan Semiconductor (TSMC), Samsung, Tokyo Electron, Intel,
Nvidia, Qualcomm, Broadcom oder Texas Instruments abdecken können.
Um die steigenden Datenmengen der neuen Technologien mit Höchstgeschwindigkeit verarbeiten zu können, gibt die Photonik der Mikroelektronik den nächsten Schub, weshalb die Photonik bei der Re-Industrialisierung dringend mitberücksichtigt werden muss und zwar weit über das bisherige Maß der Clusterförderung von Berlin und Brandenburg hinaus. Eine Konzentration auf photonisch-elektronische Mikrochips birgt die Chance, die bisherigen Versäumnisse Deutschlands aufzuholen und Weltmarktführer zu werden. Der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik sieht bei der Politik allerdings noch keine Strategie und wirbt deshalb mit einem Positionspapier eindringlich dafür. Einer der Autoren des VDE-Papiers, Prof. Dr.-Ing. Christian Schäffer, Professor für Hochfrequenztechnik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, verweist auf ein Positivbeispiel:
Die Japaner haben einen 5-Jahresplan für fortschrittliche optische Übertragungstechniken EXAT aufgelegt, den sie durchziehen, um ihre starke Position in der Photonik und
Elektronik auszubauen und ihre Industrie fit für die Zukunft zu machen.“
PROF. DR.-ING. CHRISTIAN SCHÄFFER Professor für Hochfrequenztechnik

Vor dem Hintergrund, dass wir mit unserem „Blue Deal 2030“ fordern, den industriellen Sektor in Berlin zu stärken, ist es nur folgerichtig, Unternehmen der Mikroelektronik und Photonik in die Hauptstadt zu holen und sie bei der Herstellung von photonisch-elektronischen Mikrochips zu unterstützen. Jüngst erklärte Intel-Chef Pat Gelsinger, man wolle 20 Milliarden US-Dollar für neue Fertigungstechnologien und -standorte in den USA und Europa investieren. „Bis 2030 will Intel 20 Prozent seiner Kapazität in der EU installieren. 1.600 neue Arbeitsplätze sollen entstehen und die Investitionen auf das Umfeld wie das Baugewerbe abstrahlen“, so Christin Eisenschmid, Geschäftsführerin der Intel Deutschland GmbH.Wer jetzt proaktiv und engagiert ist, gewinnt das Rennen. Berlin muss sich bewegen und Intel, aber auch andere wie den weltgrößten Auftragsfertiger TSMC oder den führenden Speicherchiphersteller Samsung zum Bau einer Mega-Chip-Fabrik in der Hauptstadt oder der Metropolregion Berlin-Brandenburg bewegen. Samsung ist gerade auf der Suche nach einem neuen Standort in den USA. Apple hat sich
bereits festgelegt. Mit mehr als einer Milliarde Euro will der Konzern in München das neue Europäische Zentrum für Chipdesign aufbauen. Der bayerische Halbleiterhersteller Infineon hat Werke in Dresden, in Süd- und Westdeutschland. Jüngst begannen die Bauarbeiten für eine neue Chipfabrik in Villach, Österreich. Auch in Berlin müssen die Bagger so schnell wie möglich anrollen. Es muss den wachsenden weltweiten Bedarf an Halbleitern jetzt nutzen und Unternehmen der Branche mit einem langfristigen Masterplan, strategischer Industriepolitik und Anschubfinanzierungen offensiv anwerben. Die Zeichen stehen auf blau, um bei den großen Halbleiterherstellern für eine Produktionsstätte in Berlin zu werben und die Metropole zum Zentrum systemrelevanter Chip-Industrie aufzubauen. Die EU und der Bund wollen die Branche mit Milliardensummen unterstützen. So gaben Anfang Dezember 2020 19 EU-Staaten bekannt, bis 2023 rund 145 Milliarden Euro investieren zu wollen. Einzig der rot-rot-grüne Senat ist träge, wie unsere Anfrage vom Januar 2021 ergab (Drucksache 18/26377). Auf unsere Frage, ob der Senat konkrete Ansiedlungsgespräche zur Ansiedlung einer Mega-Chip-Fabrik unternimmt, antwortet die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe:
Aktuell bestehen landesseitig keine konkreten Ansiedlungsgespräche zum Aufbau einer Mega-Chip-Fabrik in Berlin.“
SENATSVERWALTUNG FÜR WIRTSCHAFT, ENERGIE UND BETRIEBE
Anders die USA, wo politischer Wille und Engagement den taiwanesischen Apple-Chiphersteller TSMC dazu gebracht haben, eine Fabrik in Arizona bis 2024 für zwölf Milliarden US-Dollar zu bauen.
Die AfD-Fraktion in der Hauptstadt fordert:
Um die Abhängigkeit deutscher Schlüsselindustrien und Zukunftsbranchen von Herstellern aus Übersee zu reduzieren, braucht es eine starke Halbleiterindustrie vor Ort. Berlin kann und muss hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Mit einem langfristigen Masterplan und strategischer Industriepolitik muss jetzt eine Anwerbeoffensive für die Ansiedlung von systemrelevanten Halbleiterproduzenten gestartet und der Ausbau photonisch-elektronischer Mikrochips intensiv unterstützt werden. Um den schlafenden Senat zu bewegen, haben wir diese Forderung deshalb mit einem Antrag im Abgeordnetenhaus Anfang April 2021 erhoben (Drucksache 18/3553).