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B.2 Vertane Chancen
B.2 Vertane Chancen
Ideologie versus Wirtschaftskraft
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Anstatt schöne Plakate für 1,2 Millionen Euro zu drucken, hätte Rot-Rot-Grün das Geld sinnvoller einsetzen sollen. Denn nette Motive sind es nicht, was Investoren anzieht. Das zeigen die jüngsten Beispiele eindrücklich. So wollte Google in Berlin-Kreuzberg einen Start-up-Campus im ehemaligen Umspannwerk eröffnen. Junge Unternehmer hätten dort ein Mentoring-Programm absolvieren und wichtige Kontakte knüpfen können. Das Konzept ist für Google nicht neu, betreibt es doch ähnliche Zentren z.B. in London, Madrid und Tel Aviv. Aber Rot-RotGrün zog es vor, Klientelpolitik zu betreiben und dem Protest von „Aktivisten“ gegen den Google-Campus nachzugeben. Florian Nöll, Chef des Deutschen Start-up-Verbands, sieht Kreuzberg damit als "erste No-go-Area für Tech-Unternehmen".
Die Berliner Politik nimmt es zwar gerne mit, wenn es positive
Entwicklungen gibt. Aber wenn es Probleme gibt, dann duckt sie sich weg.“
FLORIAN NÖLL Chef des Deutschen Start-up-Verbands
Die Start-up-Szene hätte sich in der Vergangenheit nicht dank, sondern trotz der rot-rot-grünen Politik positiv entwickelt, sagt Nöll. Da kann man erahnen, wie der Wirtschaftszweig boomen würde, wenn die politischen Hemmnisse beseitigt würden.
Das Digitalunternehmen Hypoport AG, Anfang der 2000er ein Finanz-Start-up, war bis vor kurzem eines der großen Dax-Unternehmen in Berlin. Börsenwert: Eine Milliarde Euro. Doch nach einem Streit mit dem Berliner Senat zog das Unternehmen seinen Firmensitz 2019 aus Berlin ab und siedelte nach Lübeck über. Insgesamt beschäftigt der Konzern 1.600 Mitarbeiter, 330 davon bis 2019 in Berlin. Was war geschehen? Das Unternehmen wollte seinen Firmensitz in der Klosterstraße kaufen und verhandelte vier Jahre lang mit dem Senat, dem das Gebäude einst gehörte. Es kam zur Unterzeichnung des Kaufvertrages, doch in letzter Minute machte der Senat eine Kehrtwende und Gebrauch von seinem Vorkaufsrecht.
Dass ausgerechnet die Politik einem Konzern seinen Firmensitz wegnimmt, das ist in keiner anderen Stadt in Deutschland vorstellbar.“
RONALD SLABKE Hypoport-Chef


Dem Unternehmen ist dadurch ein Schaden von einer halben Million Euro entstanden. „Noch vor ein paar Jahren hätte uns das das Genick gebrochen.“ so Slabke. Der rot-rot-grüne Senat schafft es nicht nur, Firmen aus Berlin zu vergraulen, sondern nimmt auch in Kauf, sie zu ruinieren. Der Schaden für Berlin wird über diesen Verlust hinaus ein immenser Imageschaden sein. Für Hypoport steht fest: "Wir siedeln in Berlin nur noch an, was unbedingt nötig ist. Neue Geschäftsbereiche bauen wir hier sicherlich nicht auf.“
Auch das 600-Millionen-Euro-Projekt von Siemens, mit dem sich Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Bürgermeister Michael Müller (SPD) gerne rühmen, wäre Ende 2018 fast geplatzt. Siemens will auf seinem historischen Firmengelände im Nordwesten Berlins bis 2030 einen Innovationscampus, die „Siemensstadt 2.0“, bauen und somit zahlreiche Arbeitsplätze und Möglichkeiten für Innovationen schaffen. Doch der Senat pochte lieber auf Denkmalschutz, so dass Siemens seinen Technologiepark für Elektromobilität, künstliche Intelligenz und andere Zukunftsfelder fast an einem anderen Standort in Europa, den USA oder Asien verwirklicht hätte.
Die Bekundungen der Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne): "Wir wollen Potenziale nutzen, Innovationen fördern, Wachstum ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen. Wir übernehmen Verantwortung, um der wachsenden Berliner Wirtschaft gute und zukunftssichere Rahmenbedingungen zu bieten.“ gehen leider an der Realität vorbei. In den Chor halbherziger Bekenntnisse reiht sich auch der regierende Bürgermeister (SPD) ein:
Die Berliner Industrie mit ihren vielen Hidden Champions ist ein wichtiges Rückgrat unseres Wirtschaftsstandortes. Sie steht für
Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Ihre Stärkung ist für meinen
Senat und die anderen Akteure im Steuerungskreis zentrales wirtschaftspolitisches Ziel.“
MICHAEL MÜLLER regierender Bürgermeister (SPD)
Der Umgang mit Investoren wie Google, Siemens und anderen hat gezeigt, dass dem Senat eine bestimmte Ideologie wichtiger ist als eine prosperierende Berliner Wirtschaft. Die jüngste Chance, die
Rot-Rot-Grün vertan hat, ist die größte Automesse Europas, die Auto-Leitmesse IAA nach Berlin zu holen. Bei der Bewerbung um die IAA gab es vom autofeindlichen Senat keine breite Rückendeckung. Ein Grünen-Parteitag stimmte dagegen, die zuständige Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) ging auf Distanz und wollte nicht Mitglied des Berliner Bewerbungsteams sein. Die Signale waren klar und der Vorstand des Verbandes der Autoindustrie (VDA) entschied sich Anfang 2020 für München. Somit gehen eine halbe Milliarde Euro Umsatz jährlich zukünftig nicht nach Berlin, sondern nach München. Grund für die Entscheidung war laut VDA das fehlende Vertrauen in die Berliner Politik, obwohl Berlin das beste Konzept für eine neue IAA vorgelegt hatte.
Nicht nur die Wirtschaftsverbände und Kammern sind verärgert, auch die IG Metall findet für das Handeln des Senats klare Worte: „Kunde droht mit Auftrag“. Das sei die Prämisse der Berliner Behörden und Verwaltungen. War der Wegfall der IAA schon ein Schlag, sind nun auch die Leitmessen „Premium“ und „Neonyt“ der „Fashion Week“ weg und mit ihr 240 Millionen Euro pro Jahr. Die etwa 70.000 Fachbesucher, nationale und internationale Journalisten werden ab Sommer 2021 in Frankfurt die Messe besuchen. Der Frankfurter Veranstalter hat große Pläne, denn sie wollen die Messe zu einer Modemesse mit europäischem Format weiterentwickeln: "Ziel ist es nicht, sich mit deutschen Städten zu messen, sondern mit Mailand und Paris.“
Die Beispiele zeigen, dass Berlin dringend eine weitsichtige, ambitionierte und engagierte Wirtschaftspolitik braucht. Denn nur eine kluge Wirtschaftspolitik ohne Ideologieballast kann die richtigen Stellschrauben bewegen, um die Wirtschaftskraft turboartig anzukurbeln. Das Gegenteil ist derzeit der Fall.
Es ist kein Naturgesetz, dass stets andere Bundesländer den
Zuschlag für Großinvestitionen bekommen. Wir können es uns nicht leisten, Investoren zu verschrecken. Berlin ist noch immer auf jeden zusätzlichen Arbeitsplatz dringend angewiesen, um den
Rückstand gegenüber anderen Regionen aufzuholen.“
CHRISTIAN AMSINCK Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg
Berlin braucht eine investorenfreundlichere Politik.


Tesla Megafabrik in Grünheide, Brandenburg
7.000 bis 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze hätten auch direkt in Berlin mit einer Ansiedlung von Teslas Megafabrik entstehen können. Doch auch diesen Milliardendeal hat Berlin verpatzt. Zwar schrieb Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) Elon Musk in 2018 einen Brief und schlug ihm vor, die neue Fabrik in Marzahn, Berlin-Buch oder Tegel zu bauen, doch engagiert hat sich letztlich das Land Brandenburg und bekam den Zuschlag.
Der Senat hat eine Reihe von Wirtschaftskonzepten entwickelt: • Masterplan Industriestadt Berlin 2010-2020 • Masterplan Industriestadt Berlin 2018 – 2021 • Stadtentwicklungsplan (StEP) Industrie und Gewerbe von 2011 • Stadtentwicklungsplan (StEP) Wirtschaft 2030
und einen zweimal pro Jahr tagenden Steuerungskreis Industriepolitik seit 2010 eingerichtet.
Pläne sind schön und gut, aber es kommt auf die Taten und Ergebnisse an. So könnte man die Umsetzung der Konzepte zusammenfassen. Im Rahmen des Masterplans Industriestadt Berlin 2010–2020 wollte man die Zahl der Industriebeschäftigten von 100.000 auf 190.000 fast verdoppeln. 2009 lag die Zahl der Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe bei etwa 116.000. Zehn Jahre Steuerungskreis und Masterplan später waren es laut Statistikamt immer noch etwa 116.000. Mit einer Politik, die Investoren vergrault, ist das kein Wunder. Auch die Beseitigung des Fachkräftemangels steht auf der Agenda der Masterpläne. Doch das Problem ist nach wie vor eines der drängendsten der Industrie, da der Senat selbst in den Masterplänen nur in begrenztem Rahmen denkt, anstatt die Industrie zur Chefsache zu machen und die Stärkung der Wirtschaft als großes Ganzes zu begreifen, an dem alle Ressorts gemeinsam und koordiniert arbeiten.