Grazer Anwältin Karin Prutsch, 47, vertritt „Medizin-Opfer“. Als deren letzte Hoffnung.
E
r wird an einem Heiligen Abend Mitte der 1940er-Jahre geboren. Doch die Botschaft des Jesu-Kindes hat KAGes-Vorstandschef Karlheinz Tscheliessnigg offensichtlich nie erreicht. Zumindest im Fall des 15-jährigen Georg P., der gegen eine lebensbedrohende Krankheit kämpft und eine lebensrettende Spritze braucht.
scher Gutachter. Die Ärztinnen, die Georg am LKH Univ.-Klinikum in Graz – sie sind Spezialisten – schwören auf die Wirksamkeit der Spritze. Deren Anträge auf Genehmigung weist Karlheinz Tscheliessnigg als KAGes-Vorstandschef schroff zurück und ab. Das ist die Situation seit 2017. Die Familie ist verzweifelt. „Georg fragt sich, warum er nicht weiterleben dürfe.“
Georg wird seit zwei Jahren von der Grazer Anwältin Karin Prutsch vertreten. Er leidet an spinaler Muskelatrophie (SMA), Muskelschwund, der meist tödlich verläuft. Georg braucht eine teure Spritzentherapie, damit er überlebt. Private Spender haben das bisher ermöglicht. Seine Mutter Claudia Polic freut sich, dass die Therapie mit Spinraza wirkt: „Er legte dank des Medikaments an Gewicht zu, kann wieder greifen und feste Nahrung schlucken, muss nicht mehr beatmet werden.“
KAGes-Nein zur Spritze
KAGes-Vorstandschef Karlheinz Tscheliessnigg lehnt die Behandlung ab. Laut Studien soll das Medikament nur bei kleinen Kindern wirksam sein. Die Behandlung muss lebenslang erfolgen. „Georg hat eindeutig von den Spinraza-Gaben profitiert“, bewertet ein medizini-
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Vor wenigen Wochen fand eine neuerliche Verhandlungsrunde vor dem Zivilgericht in Graz statt. Karin Prutsch will die Steirischen Krankenanstalten Gesellschaft (KAGes) dazu bringen, die Therapiekosten zu übernehmen. Ergebnis gab es leider keines, es wurde wieder einmal vertagt. Doch Georg ist nicht allein. Er bekam Unterstützung von weiteren SMA-Betroffenen – in Form einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude. Der medizinische Gutachter: Die Fortsetzung der Therapie sei zielführend und die nächste Spritze sei bald nötig. Ein rascher Gerichtsentscheid sei dringend erforderlich, betont der Gutachter. Würde die KAGes dazu verpflichtet, die Kosten zu tragen, wäre das
Karlheinz Tscheliessnigg kam vor knapp zwei Jahren gewaltig unter Beschuss: Als die Medien von gravierenden Fehlern mit tödlichem Ausgang bei HerztransplanKAGes-Chef Karlheinz tationen am Tscheliessnigg Grazer Univ.Klinikum berichteten. Er aber war nicht bereit, Mängel einzugestehen, alles sei „Stand der Technik“. Er wies jede Verantwortung von sich. Es kam dennoch am Klinikum zum Stopp für Transplantationen. Foto: Werner Stieber
Retterin in Not
Foto: zVg
wegweisend für andere Spitäler. Wer ist dieser Karlheinz Tscheliessnigg? Er ist/war Herzchirurg und war Initiator für den mittlerweile eröffneten Neubau der Chirurgie in Graz. Tscheliessnigg und seine Mitstreiter gingen an die Öffentlichkeit und zeigten schwerste technische und bauliche Mängel der alten Chirurgie auf. Er ging als Klinikvorstand der Herzchirurgie in Pension, die steirische Landesregierung – genauer formuliert, der von ihr dominierte KAGes-Aufsichtsrat – „belohnte“ Tscheliessnigg mit dem hoch dotierten Posten des KAGesVorstandsvorsitzenden. Polemische Anmerkung: Mit nicht einmal vier Monatsgehältern ließe sich EINE lebensrettende Injektion finanzieren.
Überlebenskampf Zurück zum 15-jährigen Georg und seinem Überlebenskampf. Als Zeuge gibt Karlheinz Tscheliessnigg in der Verhandlung folgendes zu Protokoll: „Die beiden behandelnden Ärztinnen – eine Universitätsprofessorin und Oberärztin – waren nach wie vor der Meinung, dass die medizinische Indikation vorliegen würde. Beide sind Fachärzte für Neurologie. Der Finanzvorstand und ich haben dann in der Verhandlung aber aufgrund der mangelnden Evidenz der Therapie für die Altersgruppe des Klägers, also von Georg, die Behandlung nicht bewilligt.“ Tscheliessnigg: „Wir haben vor unserer Entscheidung keine Untersuchung des Patienten durchgeführt. Wir sind beide keine Fachärzte für Neurologie und schon gar nicht für Kinderneurologie.“ Und es kommt noch ärger: „Der Grund für die Ab-
lehnung des Antrages des Klägers waren keine wirtschaftlichen Motive, sondern allein unsere Überzeugung, dass die Behandlung beim Kläger nicht medizinisch indiziert ist. Die Eltern des Klägers haben sogar angeboten, die Behandlung durch Spendengelder zu finanzieren. Wir haben das aber trotzdem abgelehnt, weil wir eben von der mangelnden medizinischen Indikation ausgegangen sind.“ In den Krankenhäusern der KAGes werden, so der KAGes-Chef, sieben Kinder mit Spinraza behandelt, die den Kriterien hinsichtlich der Evidenz der Therapie entsprechen. Von den Patienten, die derzeit bei der KAGes behandelt werden, sei keiner bei Therapiebeginn älter als sechs Jahre alt gewesen, so Tscheliessnigg. Der KAGes-Vorstandschef bezieht sich in seiner Verantwortung vor Gericht immer auf das „Innovationsboard“, ein Beirat in der KAGes. Er muss aber eingestehen, dass dieser kein Stimmrecht hat, sondern nur er selbst die Entscheidung getroffen hat.
Vereidigt Rechtsanwältin Karin Prutsch zeigt sich in der Verhandlung über eine Aussage von Tscheliessnigg erschüttert, die er in einem Gespräch mit den Eltern von Georg gemacht hat: „Ich muss das Geld einem anderen wegnehmen, damit ich die Therapie von Ihrem Sohn zahlen könnte. Es fehlt dann bei einem anderen, der vielleicht eine größere Chance hätte als Ihr Sohn. (Anmerkung: zu überleben) Das kann ich nicht tun. Ich müsste dann auch andere in der Steiermark behandeln. Sie bekommen von mir keinen Behandlungsvertrag.“ Karin Prutsch erwirkt eine Vereidigung des 74-jährigen KAGes-Chefs: „Ich schwöre, dass ich die Wahrheit …“ In seiner Zeugenaussage versucht der pensionierte Primar, seine Aussagen zu relativieren. Diese seien tatsächlich so gefallen, aber eben stark verkürzt wiedergegeben. Anwältin Karin Prutsch hat nun bei Gericht den Antrag auf einstweilige Verfügung „für die Durchführung einer medizinischen Behandlung“ gestellt. Die Entscheidung des Gerichts soll noch im Jänner erfolgen. Folgt der Richter dem Antrag, so muss dann die KAGes die Therapie bezahlen. „Das wäre ein historisches Urteil“, hofft die Anwältin.
Dezember 2020 / Jänner 2021
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