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Leidenschaft ohne Ausweg
Filmemacher und Einzelkämpfer Alfred Ninaus: „Hinfallen ja, aber aufgeben nie.“ Ein Leben lang auf Geldsuche.
Als Bub hat er jeden Sonntag seinen Zieheltern das Geld für eine Kino-Eintrittskarte abgerungen. Und gebannt im Dorfkino im heutigen Bad Waltersdorf im Dunkeln das Geschehen auf der Leinwand verfolgt. „Ich bin vier Kilometer davon entfernt in einem kleinen Bauerndorf namens Hohenbrugg als Ziehkind ab dem dritten Lebensjahr aufgewachsen. Und ich habe Zieheltern gehabt, die mich keinen Tag spüren haben lassen, dass ich ein fremdes Kind bin. Sie haben mir fast jeden Wunsch von den Augen abgelesen und meistens auch erfüllt. Ich war einfach ihr Herzbinkerl.“
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Alfred Ninaus, geboren 1952 in Wien, schwärmt gern von seiner Kindheit. „Da habe ich bei allen möglichen Liedern im Radio mitgesungen, zu Hause aus Lehm Figuren und Köpfe gebastelt und eine Puppentheaterbühne bespielt.“ Er lernte Gitarre, gründete die Boyband „Blue Rivers“ (Jeans, blaue Hemden) und trat in der Umgebung von Waltersdorf bei Heurigen und in Tanzcafés zum 5-Uhr-Tee auf. „Und natürlich hat mir die Gitarre geholfen, Mädchen zu beeindrucken.“

Das Fotografi eren und sein Interesse für Filme blieben aber ungebrochen. Mit 15 schrieb er ohne Wissen seiner Eltern an den damaligen ORF-Fernsehdirektor Helmut Zilk. Er sei 15 Jahre und möchte Kameramann werden. Wie wird man das? „Jessas, Fredi, was hast denn angestellt“, sorgte sich seine Mutter, als der „Herr Fernsehdirektor“ ihm zurückschrieb. Er müsse einen einschlägigen Beruf erlernen, entweder die Lehre der Fotografi e, den Besuch einer grafi schen Schule oder der Filmakademie. Das werde zumindest fünf Jahre dauern und erst danach könne er mit viel Glück Kameramann werden – stand da geschrieben.
„Ich habe dann Fotograf bei der Firma Toth in Hartberg gelernt“, erzählt Alfred Ninaus. Bereits in dieser Zeit entstand seine Idee für den ersten Kurzfi lm mit dem Titel „Christina“, eine Liebesgeschichte. Ein Mädchen vom Land verliebt sich in einen gut aussehenden sionelle 16-Millimeter-Kamera zur Burschen von der Stadt. In Rück- Verfügung, mit dem gesamten blenden – vom Abschied bis zum Filmmaterial, inklusive Entwicklung. Kennenlernen – erzählt der Möchte- „Ich konnte mein Glück gar nicht gern-Regisseur die Geschichte. Der fassen, als mich die Süd-Ost TagesFilm war in schwarzweiß gedreht post angerufen hat.“ und hat 13 Minuten gedauert. „Im Jahr 1970 anlässlich der 800-Jahr- Über mehrere Wochenenden drehFeier von Waltersdorf durfte ich te Alfred Ninaus mit Freunden so den Film vor mehreren hundert Be- seinen ersten Film. Dann stand der suchern aufführen“, schildert Alfred Schnitt bevor und er wusste wieder Ninaus seine „Premiere“. nicht weiter. Per Autostopp ging es Die Vorgeschichte dazu war fi lmreif. Sendung „In eigener Sache“ mit „Mir hat ja das Geld für den Helmut Zilk. Nach der SenFilm gefehlt“, so Ninaus. Ein dung passte er Helmut Zilk Journalist der damaligen ab, verfolgte ihn bis zum Süd-Ost Tagespost nahm Auto und sprach ihn dort sich seiner Probleme an an. „Kommen’s morgen am und schrieb die Story Vormittag in mein Büro, „Jungfi lmer will Film so um 10 und dann drehen – Es mangelt schauma mal, wie wir an Geld!“. Ein Wiener das lösen können.“ Filmproduzent, der in nach Wien. Dort gab es die Livejenen Tagen in Graz war, „Als Kakaotrinker hat las den Artikel. Dieser er mir einen Kaffee anrief die Redaktion der geboten. Das war mein Zeitung an und erklärte erster. Er hat dann hersich bereit, ihm zu helfen. um telefoniert und bald Er stellte für die gesamte war die Sache geklärt“, Drehzeit eine profes- vom 21.11.1998


„Kalte Quellen, heiße Vulkane“ Erstlingsfi lm „Lauf, Hase lauf“

„Ennstal“: Dachstein um 4:30 Dreh zu „Zukunft Erzberg“




v.l.: „Seifenblasen“: in der Hauptrolle die Grazerin Marisa Mell (†); Auftritt in der TV-Sendung „Spotlight“ bei Peter Rapp; Szene für „Drogen-Film“




schildert Alfred Ninaus. „Ich durfte an mehreren Wochenenden im neu erbauten ORF-Zentrum am Küniglberg kostenlos mit einer ORF-Cutterin meinen ersten Film schneiden. Ich war damals mit meinen 18 Jahren mit Sicherheit der jüngste Filmemacher von Österreich. Die Premiere war, wie gesagt, in Waltersdorf und von da an habe ich gewusst: Das ist meine Welt. Ich werde Filmregisseur!“
Alfred Ninaus‘ Schicksal für seine Leidenschaft war damit vorgezeichnet. Stets hatte er Ideen für einen Film, aber kein Budget dafür. So war es auch bei den Dreharbeiten für seinen ersten Kino-Spielfi lm „Lauf, Hase, lauf“. Es ging um zwei Buben im Alter von 12 und 13 Jahren, die in einem Holzbarackenlager in Graz in den Murfeld-Auen aufwuchsen. Das Umfeld dort war kriminell und die beiden Buben selbst kamen dadurch auf die schiefe Bahn.
Auf seiner „Schnorrer-Tour“ gelang es Ninaus, dem damaligen steirischen Kulturlandesrat Kurt Jungwirth bei einem Sprechtag 40.000 Schilling abzuringen. Beim Filmbeirat im Unterrichtsministerium blitzte der Jungfi lmer mit seinem Förderungsantrag allerdings ab. „Mit den Dreharbeiten hatte ich aber bereits begonnen und so gleich Schulden von 200.000 Schilling gehabt“, so Ninaus. Wieder pilgerte er zum ORF. Der damalige Intendant hieß Ernst Wolfram Marboe. Dort durfte er seinen Film schneiden. Und damit gelang ihm der Durchbruch.
Es folgte eine Einladung in die Sendung „Club Ö3“, wo er für seinen Film werben konnte. Wiener Filmkritiker zeigten sich von „Lauf, Hase, lauf“ beeindruckt, bezeichneten das Erstlingswerk von Alfred Ninaus als auffällig und gut. Deren euphorische Kritik führte dazu, dass der Filmbeirat des Unterrichtsministeriums nachträglich die offenen Kosten bewilligte. Mehr noch – auch der Kinostart mit mehreren 35-Millimeter-Kinokopien und die Teilnahme an mehreren internationalen Filmfestivals wurden ebenfalls gefördert. Alfred Ninaus: „Mit einmal war ich komplett schuldenfrei. Was für ein tolles Gefühl.“
Ein „Zustand“, der erwartungsgemäß nur bis zum nächsten Filmprojekt andauerte – „Die österreichische Eisenstraße“, eine sechsteilige Serie als Fernsehdokumentarfi lm. Die Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich hatten ihm als Steirer die fi nanzielle Unterstützung bereits zugesagt. Nur der damalige steirische Kulturreferent Peter Schachner-Blazizek wollte keinen Schilling aus dem Budget des Landes beisteuern. „Mit einigen Gleichgesinnten habe ich mich kurzerhand vor die Burg gesetzt und einen Sitzstreik abgehalten.“ Zur selben Zeit, nur wenige hundert Meter entfernt am Hauptplatz, streikten 10.000 Schweinebauern wegen des zu niedrigen Schweinepreises. Nach dem Ende sind einige in die Burg und bei Ninaus vorbeigekommen. „Sie haben sich gleich mit mir solidarisiert.“ Die damalige Landeshauptfrau Waltraud Klasnic erfuhr davon und holte ihn und seine Frau zu sich und sagte ihnen ihre Unterstützung zu. Kurze Zeit später kam auch ein „Ja“ von Peter Schachner-Blazizek. Das Projekt war damit gerettet. Seiner Beharrlichkeit – manche sprechen auch von „lässig und stur“ – konnte sich kaum einer der Filmförderer entziehen.
„Ich habe gefürchtet, dass ich irgendwann völlig verarmt und vereinsamt im Alter ein Hungerleiderdasein erleben werde.“ Doch es kam anders. Ganz entscheidend war da seine Frau, eine Lehrerin. Ein Haus in Eggersdorf und zwei Kinder sind sein „Reichtum“. „Wir sind rundum zufrieden.“
Die 1982 gegründete RANFILM, mit der er an die 100 Filme, Dokus, Kurzfi lme, TV-Spielfi lme und Kinofi lme produziert hat, führen seit 2018 seine beiden Kinder. Tochter Stephanie, 33, studierte Theater, Film- und Medienwissenschaften. Sohn Matthias, 25, absolvierte mit 22 ein Kurzprogramm der New Führen RANFILM seit 2018: Sohn Matthias, 25, und ...



Kleine Zeitung vom 21.11.1998
Yorker Filmakademie. „Ich hätte nie gedacht, dass sie einmal RANFILM übernehmen wollen.“ Und der Nachwuchs gibt kräftig Gas. RANFILM hat nun ein Büro in Wien und die beiden produzieren gerade ihr erstes internationales „Universum“ – ... Tochter Stephanie, 33
eine Doku über den Hudson River. „Und für die nächste ,Universum‘Folge schaut‘s auch gut aus.“
Auszug aus RANFILM-Produktio-
nen (seit 1982): Peter Rosegger – Vom Waldbauernbub zum Dichter; Erzherzog Johann – Menschenfreund und Visionär; Die Österreichische Eisenstraße – 6 Teile; Der Erzberg; Das Vulkanland; Mythos Ausseeerland; Burgen und Schlösser in Österreich, Leopold Khor – Small is Beautiful; Österreichs und Südtiroler Bergdörfer. Spielfi lme wie Vinzenz; Kruzifi x; Von Pontius zu Pilatus; Ich wollte leben; Abenteuer eines Traumes; Lauf, Hase Lauf; Seifenblasen.

Kameramann Reinhold Ogris (li.) Lipizzanerheimat Serie „Schlösserstraße“ „Hudson River“ für „Universum“


