Informationsbrief August 2019

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oder »Retterliebe i?« Rechthabere lisation

d Evange Bekenntnis un in Kassel am 19.10.2019 othmann mit Thomas K zany und Ulrich Par 7 siehe S. 26/2

Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Predigt zu Römer 9,1–29 Gedanken zum Fest Michaelis und aller Engel Zivilreligion oder Gemeinde Jesu Christi? Die Ehe – göttliches Mandat oder gesellschaftliches Konstrukt? Credo zu den drei Artikeln Gottes Wege mit der Diakonie-Gemeinschaft in Puschendorf Aus Kirche und Gesellschaft Aus dem Pietismus Konferenz Bekennender Gemeinschaften Buchrezension

ISSN 1618-8306

August 2019 Nr. 317

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Personen

Kirche in Deutschland

Kirche weltweit

Johannes Kuhn wurde 95

Vollbach neuer Präsident der sächsischen Landeskirche

Methodisten gegen »Homo-Ehe«

Der frühere Rundfunk- und Fernsehpfarrer Johannes Kuhn (Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart) wurde 95. Bundesweit bekannt wurde der 1924 in Plauen im Vogtland Geborene Ende der 1960erJahre durch die Moderation der ARD-Bibelquizsendung »Reise nach Jerusalem« sowie der späteren ZDF-Serie »Pfarrer Johannes Kuhn antwortet«. Von 1961 bis zum Ruhestand 1989 war er Rundfunkbeauftragter der württembergischen Landeskirche. Mit der Morgenandacht »Das geistliche Wort« im damaligen Süddeutschen Rundfunk erreichte Johannes Kuhn eine Millionenhörerschaft. Er wurde 1989 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Altbischof Kruse wurde 90

Der frühere EKD-Ratsvorsitzende und berlin-brandenburgische Altbischof Martin Kruse (Berlin) wurde bereits im Frühjahr 90. 1977 wurde er Nachfolger von Kurt Scharf als Bischof der damaligen Westregion der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Nach der deutschen Wiedervereinigung war er dann Bischof für die gesamte berlin-brandenburgische Kirche in Ost und West. Ratsvorsitzender der EKD war er von 1985 bis 1991. Bedeutung hatte für ihn das Thema: »Glauben heute: Christ werden – Christ bleiben« und die Pietismus­ forschung. 2

Der Braunschweiger Oberlandeskirchenrat Hans-PeterVollbach (47) ist neuer Präsident des Landeskirchenamtes der sächsischen Landeskirche. Er folgt auf Johannes Kimme (65), der in den Ruhestand trat. Theologinnen fordern Quote

Anscheinend geht Quote vor Qualität. Der Konvent evangelischer Theologinnen in Deutschland will sich für eine Frauenquote in allen kirchlichen Leitungsämtern einsetzen. Denn ohne Quote werde die Parität nicht so schnell erreicht werden können. Während deutschlandweit durchschnittlich jede dritte Pfarrstelle von einer Frau besetzt sei, seien Frauen mit 21 Prozent in der mittleren Leitungsebene unterrepräsentiert. Auf der bischöflichen Ebene sehe es mit knapp 30 Prozent besser aus. Württembergische Pfarrer gegen Segnung gleich­ geschlechtlicher Paare

335 Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg haben auf einer Unterschriftenliste erklärt, dass sie keine Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare vornehmen werden. Das teilte Dekan Ekkehard Graf (Marbach am Neckar bei Stuttgart) am 2. Mai mit. »Für eine vom Wort Gottes nicht gedeckte Segnung« stünden die Theologen nicht zur Verfügung, so Graf.

Die weltweit rund zwölf Millionen zählende Evangelisch-methodistische Kirche lehnt gleichgeschlechtliche »Ehen« weiterhin ab. Bei ihrer Generalkonferenz in St. Louis bestätigten die Delegierten mit 438 zu 384 Stimmen ihre bisherige Haltung. Praktizierte Homosexualität gilt weiter als nicht vereinbar mit der christlichen Lehre. Die Ordination homosexueller Menschen zu Geistlichen und auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sind auch weiterhin nicht erlaubt. Baptist Denton Lotz †

Der frühere Generalsekretär des Baptistischen Weltbundes (BWA), Denton Lotz, ist in Forestdale (US-Bundesstaat Massachusetts) im Alter von 80 Jahren verstorben. Von 1988 bis 2007 war er Generalsekretär des BWA. Von 1970 arbeitete er als Missionar in Europa. 1980 kehrte er in die USA zurück.

Ökumene NAK Gastmitglied der ACK

Die Neuapostolische Kirche (NAK) ist Gastmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland. Die ACKMitgliedskirchen haben der Aufnahme mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit

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zugestimmt. In Deutschland hat die NAK rund 330 000 Mitglieder in 1700 Gemeinden und damit mehr als alle evangelischen Freikirchen zusammengenommen.

Pietismus Günter Blatz verlässt »Die Apis«

Der Personalvorstand des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg »Die Apis«, Günter Blatz (57, Weinstadt bei Stuttgart) wird zum 1. September Pfarrer der württembergischen Landeskirche. Der seit 2004 als Personalvorstand tätige Blatz will sich eigenen Angaben zufolge vor seinem Ruhestand einer neuen beruflichen Herausforderung stellen.

auch euer Vater barmherzig ist!« (Lukas 6,36). Zur ÖAB gehören 23 Kirchen, Werke und Verbände aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, dem Elsass und Polen.

Ethik Justizministerin: Zwei Mütter für ein Kind

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD, inzwischen EU-Abgeordnete) will lesbische Paare bei der Geburt eines Kindes gleichstellen. Die Partnerin der Frau, die ein Kind zur Welt bringt, soll automatisch als »Mit-Mutter« mit allen Rechten und Pflichten anerkannt werden, sofern beide »verheiratet« sind oder in einer eingetragenen Partnerschaft leben.

Bibel Losung für 2022: Johannes 6,37

Die Jahreslosung für 2022 lautet: »Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen« (Johannes 6,37, Einheitsübersetzung [katholisch]). Darüber hinaus legten die über 20 Delegierten der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) sowohl die Bibellesepläne als auch die Monatssprüche für 2022 fest. Die Jahreslosungen für 2020 und 2021 lauten: »Ich glaube; hilf meinem Unglauben!« (Markus 9,24) und: »Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie

Ethik Ärztepräsident gegen Lockerung bei Sterbehilfe

Der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer, Frank ­Ulrich Mont­gomery, hat vor ­einer Lockerung des Gesetzes zur Sterbehilfe gewarnt. Paragraph 217 des Strafgesetzbuches stellt seit 2015 die »geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung« unter Strafe. Montgomery sagte, er hoffe sehr, dass das Bundesverfassungsgericht diese Regelung bestätige.

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«


kurz+bündig Homosexualität: Länder ­gegen »Therapien«

Mehrere Bundesländer setzen sich für ein Verbot so genannter Konversionstherapien für Homosexuelle ein. Die Bundesregierung soll ein Verbot und auch Strafen für Anbieter sowie Schadenersatzansprüche für Betroffene prüfen, heißt es in einem im Bundesrat vorgestellten Antrag, hinter dem sieben Länder stehen. Auch sollten diese »Heiler« und ihre Organisationen keine öffentlichen Gelder mehr erhalten. In Baden-Württemberg drängen die zusammen mit der CDU regierenden Grünen ihren Koalitionspartner, ein Verbot von Konversionstherapien im Bundesrat zu unterstützen. Für manche seriös seelsorgerlich-therapeutische Organisation, wie etwa »Wüstenstrom« (Tamm bei Ludwigsburg) könnten rasch unangenehme Zeiten anbrechen.

Islam Zahl der Gefährder unverändert hoch

Trotz erheblicher Bemühungen zur Abschiebung gefährlicher Islamisten ist die Zahl der salafistischen Gefährder nicht gesunken. Anfang Februar hielten sich in Deutschland 446 Islamisten auf, denen die Sicherheitsbehörden zutrauen, »dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten«. 330 von ihnen befanden sich zum Stichtag 1. Februar nicht in Haft. 2018 wurden nach Angaben aus dem Bundesinnenministerium bundesweit 52 Islamisten abgeschoben.

Fachschule in Schwäbisch Hall hat neue Direktorin

Kultur

Neue Direktorin der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Schwäbisch Hall ist Cornelia Becker. Die 49-jährige ausgebildete Erzieherin und promovierte Soziologin folgte auf Martin Berger, der nach 20 Jahren in den Ruhestand ging. An der Fachschule werden 250 Schülerinnen und Schüler unterrichtet.

Kirchenmusikpreis für John Rutter

Diakonie

Der britische Komponist John Rutter (73) erhält den diesjährigen, mit 5000 Euro Abtreibungsverbot dotierten Preis der Europäin Alabama unterzeichnet ischen Kirchenmusik. Die Alabamas republikanische Stadt Schwäbisch Gmünd Gouverneurin Kay Ivey hat (bei Stuttgart) ehrt ihn dadas Gesetz unterzeichnet, mit mit für seine Verdienste um dem Abtreibungen in diesem die geistliche Musik. Seine US-Bundesstaat in fast allen Kompositionen seien von Fällen verboten werden. Ob großer suggestiver Kraft, die das Gesetz in Kraft treten Profis, Laien und Publikum kann, ist nicht sicher, da es der gleichermaßen berühren. Rechtsprechung des obersten Ausbildung US-Gerichts widerspricht. Allerdings hat Präsident Donald Trump das Gericht mit Krelingen mit neuem Leiter neuen, konservativen RichNeuer Leiter des Geistlitern besetzt. Deshalb hoffen chen Rüstzentrums Krelingen Abtreibungsgegner, dass das (Walsrode) wird ab Oktober Gericht seine Rechtsprechung 2019 Pfarrer Ralf Richter (55). ändert. Er tritt die Nachfolge von 4

Pastor Martin Westerheide an, der das Rüstzentrum seit September 2008 leitete und in den Ruhestand tritt. Richter ist Pfarrer der Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Peking.

Jubiläum: Bahnhofsmission Stuttgart seit 111 Jahren

Die von beiden Kirchen getragene Bahnhofsmission in Stuttgart gibt es seit inzwischen 111 Jahren. Sie hat zehn haupt- und 60 ehrenamtliche Mitarbeiter. Ihre Arbeit ist vielfältig. Bei ihr stranden z. B. Obdachlose, Asylbewerber und Notleidende. Täglich betreuen die Mitarbeiter etwa 100 Menschen. Außer dass sie Anlaufstelle ist, leistet sie auch Reisehilfe, etwa bei Menschen mit Handicap und bei alleinreisenden Kindern.

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Aus Lehre und Verkündigung Die Versuchung ist eben darauf gerichtet, aus den Heiligen, d. h. den der Welt Entnommenen, wiederum Welt zu machen; darauf, das Reich Gottes in seinen Bestandteilen zu sprengen, und eben die Besten – diejenigen, welche Gott am nächsten stehen, Christum am hellsten

erkennen und von ihm besonders zur Arbeit an seinem Wort berufen sind – ihm und seinem Werk zu entziehen, sie zu Fall zu bringen. Die Tendenz der Versuchung ist dabei allezeit auf einen definitiven Fall gerichtet. August Friedrich Christian Vilmar (1800-1868)

Wer die höchste Freude, die ein Mensch auf Erden haben kann, genießen will, der suche die Nähe G ­ ottes und Jesu Christi.

Während die Christen ­ihrem Christus vor allem wegen seines Wortes folgen (Johannes 6,68f.), folgt die nichtchristliche Menschheit dem ­Antichristen vor allem wegen seiner Wunder.

Johann Evangelista Gossner (1773–1858)

Wenn nicht geschieht, was wir wollen, wird geschehen, was besser ist. Martin Luther

Landesbischof i. R. Gerhard Maier

Wir kommen nicht durch die Vernunft zum Glauben, sondern durch den Glauben zur Vernunft.

Wenn ich in den falschen Zug steige, nützt es nichts, im Gang gegen die Fahrtrichtung zu laufen. Ich werde immer am falschen Ort ankommen.

Hans-Joachim Eckstein

Nicht vieles Wissen, sondern nur Gehorsam führt zur wirklichen Gotteserkenntnis. Hans Bruns (1895-1971)

Wenn eine falsche Lehre aufkommt und die christlichen Lehrer untätig dabeisitzen und nichts tun oder davonlaufen und fliehen, haben sie die schreckliche Bezeichnung »Mietlinge« verdient, die sich überhaupt nicht um die Herde Christi kümmern.

Dietrich Bonhoeffer

Das, was die Evangelisten darstellen, ist zwar ihr Zeugnis, aber nicht ihre Erfindung. John Stott (1921-2011)

John Stott (1921-2011)

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Warum nicht alle gerettet werden –– Wie wir glauben können Predigt zu Römer 9,1––29 Johannes Frey

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn Jesus Christus. Am zehnten Sonntag nach Trinitatis (25. August 2019) begeht die Kirche den »Israelsonntag«. Wir werden an die bleibende Gültigkeit der Verheißungen Gottes an die Nachkommen Abrahams erinnert. Zugleich tritt uns der Widerstand dieses Volkes gegen Gottes Weg zum Heil für alle Menschen mahnend vor das Auge. Der wichtigste Zeuge unseres Herrn Jesus Christus war der Apostel Paulus. Paulus war Israelit – nicht nur der Abstammung nach, sondern er war es von ganzem Herzen. Darum hat ihm dieser Widerstand seines Volkes gegen seinen Messias tiefe Not bereitet. Und er ringt mit dieser Not in den Kapiteln neun bis elf im Römerbrief. Wir betrachten heute den ersten Teil dieses Ringens in den Versen eins bis 29 im neunten Kapitel. Wir hören die wichtigsten Verse (Zum besseren Verständnis wird empfohlen den ganzen Abschnitt Römer 9–11 im Zusammenhang zu lesen.): 3 Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brü­ der, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, 4 die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 denen auch die Väter gehören und aus denen Christus her­ kommt nach dem Fleisch, der da ist Gott

Johannes Frey Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen. 6 Aber ich sage damit nicht, dass Gottes Wort hinfällig geworden sei. Denn nicht alle sind Israeliten, die von Israel stam­ men; 7 auch nicht alle, die Abrahams Nachkommen sind, sind darum seine Kinder. Sondern nur »was von Isaak stammt, soll dein Geschlecht genannt werden« (1.Mose 21,12), 8 das heißt: nicht das sind Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind; sondern nur die Kinder der Verheißung werden als seine Nachkommenschaft anerkannt. 14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! 15 Denn er spricht zu Mose (2.Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« 16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Herr, zeige uns dein Erbarmen! In Jesu Namen. Amen. Ihr Lieben, dieses Kapitel beginnt mit einer herzzerreißenden Klage: »Ich sage die Wahrheit, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe.« Paulus weint um sein Volk. Weint er, weil der Glaube ihn unter seinen Leuten einsam macht? Weint er, weil er das, was ihm wichtig ist, nicht mit denen teilen kann, die ihm wichtig sind? Nein, Paulus weint nicht um Israel, weil es sein Volk ist. Paulus weint um Israel, weil es Gottes Volk ist. Paulus leidet nicht unter seinem Verlust. Das ist ja schon ein Verlust, wenn die Leute, zu denen du gehörst, deinen Glauben nicht teilen. Das ist ja schon ein Verlust, wenn die Gemeinschaft, mit der du dich identifizierst, einen Weg geht, den du nicht mitgehen kannst. So waren es deutsche Patrioten, die am meisten darunter litten, dass das deutsche Volk Adolf AUGUST 2019

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Hitler nachlief. Die Geschwisne von Gott erwählten Brüder ter Scholl, der Graf von Staufverloren gehen sollten. Er ist fenberg und die Verschwörer nicht nur bereit sein Leben für des 20. Juli 1944 liebten ihr sie zu geben. Er ist bereit für Volk so sehr, dass sie ihr Leben sie seine Ewigkeit zu geben. dafür einsetzten, um ihr Volk von seinem verderblichen Weg Wie viel sind uns die abzubringen. ­Menschen wert, die Der Apostel Paulus liebt ­Christus am Kreuz erwor­ sein Volk noch viel mehr. Er ben hat durch sein bitteres ist stolz darauf, ein Israelit zu Leiden und Sterben? sein. Und es ist ein herber VerWas treibt uns um, die wir uns lust für ihn, dass er mit seinen seine Jünger nennen? Womit Stammverwandten keine Gebeschäftigen wir uns – wähmeinschaft im Glauben haben rend um uns her Menschen kann. Aber das ist nicht seine verloren gehen – Menschen, eigentliche Not. für die Gottes Sohn am Kreuz Paulus leidet nicht zuerst verblutet ist? unter seinem Verlust. Er leidet Jesus hat auch an sie geunter dem Verlust Gottes. Isradacht, als er rief: »Es ist vollel ist Gottes Volk. Gott hat diebracht!« Aber es ist ja nicht ses Volk als sein Volk erwählt. vollbracht, solange die BotGott hat dieses Volk auf wunschaft sie nicht erreicht. Es ist derbare Weise geschaffen. ja nicht vollbracht, solange sie Gott hat unendlich viel daran nicht von Jesus hören. Es ist gewandt, das Herz dieses Vol- Der Apostel Paulus nicht vollbracht, solange sie kes zu gewinnen. auf einem Gemälde von nicht an Jesus glauben.1 Gott ist selbst ein Glied die- Bartolomeo Montagna (1482) Darum hat Jesus auch zu ses Volkes geworden. Gottes uns gesagt: »Gehet hin!« Sohn war ein Israelit. Gott hat Denn er will alle! Gehen wir? um dieses Volk geworben. Gott hat seinen Sohn Worauf warten wir? Haben wir etwa Wichtigeres für dieses Volk zuerst an das Kreuz schlagen las- zu tun? sen. Und dieses sein Volk geht Gott verloren. Er will alle. Doch zuerst will er Israel. Israel Paulus sieht dies Volk mit Gottes Augen. Und gehört die Verheißung. Israel gehört der Bund darum ist sein Schmerz so unerträglich groß. mit den Vätern. Und der Bund vom Sinai. Und auch der Neue Bund von Golgatha gehört zuSiehst du die Menschen mit Gottes Augen? erst Israel. Stört ihr Unglaube dich, weil der Unglaube der Das ist das erste, was zu Israel zu sagen ist. anderen dich zum Außenseiter macht? Oder hast du schon bedacht, dass Gott diese Menschen Aber Israel steht draußen. mit dem Blut seines Sohnes sich zum Eigentum Ist die Verheißung damit hinfällig? erkauft hat? Hast du bedacht, dass Gott seine Erfüllt Gott seine Verheißung nicht? ganze Existenz an die Rettung dieser Menschen Die Antwort die Paulus gibt, ist geradezu gesetzt hat – und sie gehen verloren! paradox, widersinnig. Weil die Verheißung gilt, Das kann ein Gotteskind nicht kalt lassen. eben darum steht ein Teil Israels draußen. Der Anblick jedes einzelnen Menschen, der Die Verheißung begründet den Vorrang Israohne Jesus dahingeht, müsste uns einen Stich els vor allen andern Menschen. Aber die Verheiins Herz versetzen. Er müsste uns die Tränen in ßung ist zugleich die Grenze für Israel. Das ist die Augen treiben. das zweite, was zu Israel gesagt werden muss. Und ich will es euch sagen: Wenn ich inneDas war schon am Anfang so, bei den Söhhalte und über die Menschen nachdenke, wenn nen Abrahams. Abraham hatte zwei Söhne – ich darüber nachdenke, was der Herr für mich Isaak und Ismael. Aber nur Isaak wurde zum und für sie getan hat, und wenn ich bedenke, Stammvater des Volkes Gottes. Ismael stand dass das alles vergeblich sein sollte – dann macht draußen. Und seine Nachkommen stehen bis es mich in der Tat immer wieder tief traurig. heute draußen. Denn nur Isaak war der Sohn Aber dem Apostel Paulus kommen nicht nur der Verheißung. Ismael kann sich nicht darauf die Tränen. Er kann es nicht ertragen, dass sei- berufen, dass er von Abraham abstammt. Denn INFORMATIONSBRIEF 317

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der Segen Abrahams wird nicht durch das Blut zu Gott gekommen, weil wir besser wären, sonAbrahams erlangt, sondern nur durch die Ver- dern nur, weil es Gott gefallen hat, uns zu sich heißung Gottes. zu ziehen. Das wird noch deutlicher wenn wir auf die Der Apostel nimmt uns alles aus der Hand, Söhne Isaaks sehen. Beide stammen von dem- worauf wir uns berufen könnten, alles, worauf selben Vater – von Isaak, dem Sohn der Verhei- wir uns etwas zugutehalten könnten. Wir sind ßung. Beide sind von derselben Mutter gebo- einfach nur abhängig von Gottes Erbarmen. ren – von Rebekka, der Frau, die Gott selbst zur Aber gerade das ist unsere Chance. Ja, nur Mutter seines Volkes erwählt hat. deswegen können wir wirklich auf Gottes ErbarUnd doch empfängt nur der eine die Ver- men zählen. heißung – und der andere steht draußen. Und Weil alles an Gottes Erbarmen liegt, und die Entscheidung, wer drinnen ist, eben nur an Gottes Erbarmen, und wer draußen ist, ist nicht auf- mm Die Verheißung nur darum ist überhaupt Glaube grund ihres Verhaltens gefallen, gilt denen, die glaumöglich. Nur darum können wir sondern das hat Gott entschieden, unseres Heils gewiss sein. bevor sie irgendetwas getan hat- ben. Denn die VerDenn wenn es an meinem Wolten, len oder Laufen läge, wenn Gotheißung kann nur »damit der Ratschluss Gottes be­ im Glauben empfan- tes Gnade davon abhinge, dass ich stehen bliebe und seine freie Wahl richtig glaube, oder dass ich gut – nicht aus Verdienst der Werke, gen werden. Sonst handle, oder dass ich wirklich ernst sondern durch die Gnade des Beru­ wäre es ja nicht nach ihm suche, oder dass ich Jefenden« (Römer 9,11f.). wirklich treu nachfolge, dann Verheißung, sondern sus Die Verheißung gilt also nicht könnte ich niemals sicher wissen, allen Nachkommen Abrahams, Anspruch. Und vor ob ich gut genug war – ach, was sondern nur bestimmten, eben Gott gibt es keinen sage ich: Dann könnte ich sicher den Nachkommen Isaaks und Jasein, dass ich niemals in den Himkobs. Und auch da nicht allen, Anspruch. mel komme. Denn ich weiß gesondern in Kapitel vier haben wir nau, dass mein Wollen oder Laugelesen: Die Verheißung gilt denen, die glauben. fen völlig unzulänglich ist. Ja, mein Wollen oder Denn die Verheißung kann nur im Glauben Laufen ist oft genug sogar richtig verkehrt. Und empfangen werden. Sonst wäre es ja nicht Ver- auch mein Glauben und meine Liebe zu Gott heißung, sondern Anspruch. und meine Nächstenliebe kann Gott im besten Und vor Gott gibt es keinen Anspruch. Fall nur mangelhaft nennen. Das ist das Dritte, was Paulus uns hier zu sagen hat: So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen (Römer 9,16). Denn Gott sagt: »Wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich« (Römer 9,15). »So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will« (Römer 9,18). Das heißt: Gott ist vollkommen frei. Er ist niemandem zu irgendetwas verpflichtet. Niemand kann sich etwas bei Gott verdienen. Alles, was Gott gibt, ist Geschenk. Jetzt geht es aber nicht mehr nur um Israel. Es geht um uns –– um alle. Israel kann aus seiner Abstammung keine Ansprüche an Gott ableiten. Es kann sich nur von Gott beschenken lassen. Und die Christen, die durch Jesus in die Gemeinschaft mit Gott gekommen sind, können sich nicht über Israel erheben, das draußen steht. Denn wir sind nicht 8

Aber nun lässt Gott uns seine Gnade verkünden. Wir brauchen nicht mehr darüber nachzudenken, warum der eine gerettet wird und der andere nicht. Du brauchst auch nicht mehr darüber nachzudenken, ob du gerettet wirst, ob du durchhalten wirst, oder ob du erwählt bist. Du darfst den Ruf von Jesus hören: »Folge mir nach.« Du darfst seine Zusage hören: »Deine Sünden sind dir vergeben.« An seinem Tisch, beim Heiligen Abendmahl, darfst du es hören und fühlen und schmecken: Er meint dich! Es gilt dir. Glaube ihm. Und wenn du es nicht glauben kannst, dann gilt es trotzdem. Eben darum darfst du es glauben! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. W

1) Zum folgenden siehe Römer 10,9–17 und Kolosser 1,24. AUGUST 2019

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Engel haben Konjunktur … Jesus Christus …? Viel weniger! Gedanken zum Fest Michaelis und aller Engel B e r n h a r d B o n k h o ff

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nd es begab sich, als Josua bei Jericho war, dass er seine Augen aufhob und gewahr wurde, dass ein Mann ihm gegenüberstand und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. Und Josua ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden? Er sprach: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht? Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst, ist heilig. Und so tat Josua. Josua 5,13–15 Engel haben Konjunktur. Wo? In Gartencentren und Baumärkten werden sie gekauft und kommen auf das Grab auf dem Friedhof: Weißer Zementguss, darauf die Botschaft: Ich denk an dich! Oder: Du fehlst mir! Engel haben Konjunktur. Als Trauspruch oder als Taufspruch nach Psalm 91,1: Dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen. Pass gut auf dich auf! Gerade auch bei denen, die Kirche und Glaube bereits lange nicht mehr brauchen und vielleicht sich sogar von der Kirche getrennt haben. Aber so ein Engelbild im Zimmer oder einen »Engelrufer« am silbernen Kettchen um den Hals. Man weiß ja nie, wozu das gut ist! Engel haben Konjunktur.

Bernhard Bonkhoff Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 317

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Und das gilt nicht nur draußen vor der Tür. Der Engelkult hat auch Konjunktur mitten in der evangelischen Kirche. Es ist selbstwachsender, von keinem Theologieprofessor oder einer Kirchenleitung genährter Kult, ein echter Selbstläufer. Wo kommt das her, was ist die Ursache? Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments kennt selbstverständlich die Engel. Und weil Gottes Wort von den Engeln als Boten Gottes weiß, haben wir als Christen Kenntnis davon. Und bitte aus keiner anderen Quelle irgendeiner Volksfrömmigkeit und außerbiblischen Überlieferungen, denn im Gartencenter und im Möbelmarkt gibt es nicht nur Engel in Zementguss, sondern auch Buddhafiguren aus dem gleichen Material zum Schmuck des Vorgartens. Übrigens ist das Wort »Engel« ein eingedeutschtes Fremdwort aus dem Griechischen und heißt Bote. Die Engel sind grundsätzlich nicht in eigenem Auftrag unterwegs, sondern sind Boten Gottes. Das begründet ihre Botschaft. Und das begrenzt auch ihre Botschaft. Michael, der Engelfürst, sagt zu Josua: Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf zu stehst, ist heilig. Und das tat Josua. Er tat es in einer ganz brennend heißen, entscheidenden Situation. Er soll die Stadt Jericho erobern. Aber Jericho war fest verschlossen, so dass niemand heraus- und hineinkommen konnte. Das war eine Nummer zu groß für Josua und sein Heer. Aber dann hat er den großen starken Engel Gottes gesehen mit seinem blanken Schwert. Und der sagt: Ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Wer Gott an seiner Seite hat, der ist immer in der Mehrheit. Josua fürchte dich nicht. Zieh deine Schuhe aus, denn der Herr mit aller seiner Macht ist hier. Dieser Ort ist ein heiliger Ort. Heute hat dir der starke Gott deine Feinde in deine Hand gegeben. Der Herr sprach zu Josua: Siehe, ich habe Jericho samt seinem König und seinen Kriegsleuten in deine Hand gegeben. 9


Die Mauern von Jericho werden fallen. Bevor berufen sind. Sein ist die Macht. Und wir tun die Schlacht um Jericho noch beginnt, ist die gut daran, dass wir seinen Segen Sonntag für Schlacht bereits entschieden. Der Bote Gottes, Sonntag empfangen in der Schar derer, die Gotder Engel des Herrn, ist präsent. Sein Name ist tesdienst feiern. Sein ist die Herrlichkeit, deren Michael, das heißt: Wer ist wie der Herr unser Glauben auf die Engel abfärbt und auf alle BoGott? (Psalm 113,5) ten Gottes wie Mose, als er auf dem Sinai die Die echten Engel Gottes sind Gottes Werk. Zehn Gebote Gottes empfängt. Diese HerrlichUnd sie künden immer von Gott. keit umgibt Jesus auf dem Berg Sie verkündigen nicht sich selbst. mm Die echten Engel der Verklärung. Er ist das Licht Sie haben keine neueren und besse- Gottes sind Gottes der Welt. Wer ihm nachfolgt, der ren Botschaften neben Gottes Wort wird nicht wandeln in der Finsund über Gottes Wort hinaus. Sie Werk. Und sie künternis, sondern wird das Licht verlangen niemals, dass wir sie ver- den immer von Gott. des Lebens haben. ehren und einen eigenen Kult um Sie verkündigen Die echten biblischen Ensie betreiben. Wir rufen sie auch gel stehen vor Gott und singen nicht an im Gebet und bitten sie nicht sich selbst. Sie Gottes Lob. Und sie stellen uns auch nicht um etwas, worum wir haben keine neueren auch vor Gott. Und darum heißt Gott nicht zu bitten wagen. Engel es im Lied der Kirche: »Möchund besseren Botsind kein Selbstzweck. Als der Sete ich wie die Engel immer vor her Johannes (Offenbarung 19,10) schaften neben Got- dir stehen und dich gegenwärauf die Knie fällt, um den Boten tes Wort und über tig sehen.« Und darum versetzt Gottes zu verehren, sagt der zu sich die Christenheit, wenn sie ihm: Tu es nicht! Ich bin dein und Gottes Wort hinaus. das heilige Mahl feiert, in Gottes deiner Brüder Mitknecht, die das Reich und singt mit dem Chor Zeugnis Jesu haben. Bete Gott an! Nicht nur der Engel: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr für uns, sondern auch für die Engel gilt das erste Zebaoth. Alle Lande sind seiner Ehre voll. HoGebot Gottes: Du sollst keine anderen Götter sianna in der Höhe. Gelobt sei, der da kommt, haben neben mir! Der moderne Engelglaube als im Namen des Herrn!« Ersatzprodukt des echten Gottes- und ChrisWeil seit der Aufklärung die Engel zu den tusglaubens führt nicht dazu, dass Gott besser dauernden Opfern in weiten Teilen der evanund leidenschaftlicher bekannt und geehrt wird, gelischen Kirche und Theologie gehört haben, sondern führt von Jesus Christus und seiner konnte es geschehen, dass am Rand und auKirche weg ins Private, ins Religiöse und damit ßerhalb der evangelischen Kirche ein Engelkult ins Unverbindliche. Da zieht niemand mehr die entstand, der nun eine große Konjunktur hat. Schuhe aus, sondern nur noch die Pantoffeln So soll es nicht sein unter euch. Unser Herr sind an: Trautes Heim, Glück allein. »Und wenn nicht Engel, sondern Jesus Christus ist unser du denkst, es geht nicht mehr, kommt von ir- Herr und Meister. Er allein ist Gottes Heil für gendwo ein Lichtlein her.« Solche Sprüche aber diese Welt. Das steht fest. Ihm sei die Ehre. stellen uns nicht vor Gott. Solche Tröster sind Immer wieder sendet er uns seine Boten, höchstens billige Vertröster auf irgendeinen gerade auch in schwierigen Situationen. DieSankt-Nimmerleins-Tag. Echter, christlicher se Boten sagen uns die Botschaft, die wir uns Glaube sieht anders aus. Der fühlt sich anders nicht selber sagen können. Es ist das Wort, das an. Biblisch begründeter und gelebter Glaube uns sagt: Der Herr ist hier! Setze dein ganzes baut auf und wird fest durch die Kraft seiner Vertrauen auf ihn und bete ihn an. Er ist deine Stärke. Mit Gott wollen wir Taten tun. Unser Hilfe von deiner Jugend an. Er wird dich nicht Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. verlassen noch versäumen. Denn Gott ist am Werk. Und wir sind ihm nicht Und weil im Kreuz Jesu Christi und in seiner zu gering: Er heißt uns seine Kinder. Auferstehung alles Heil für uns ist, darum lass Jedem Menschen, so sagt es die Schrift, stellt den gerade so beliebten Engelkult einfach lieer seinen Boten an die Seite. Sein Heiliger Geist gen und setz dein Vertrauen nicht darauf. wird uns vor dem Bösen bewahren und uns zu Gottes Engel wollen nicht angebetet werden. allem Guten stärken. Boten Gottes verbinden Sie geben Gott die Ehre. Und wir tun gut daHimmel und Erde und sind unterwegs auf der ran, es auch zu tun. Amen. W Himmelsleiter. Wir selbst sollen in ständiger Verbindung mit Gott stehen und unser Leben Passende Lieder: EG 142; EG 165,2.4; EG 143,1–4.8; EG 445,5–7; EG 331 unter seinen Augen führen, denn sein ist das Psalm 148 ewige Reich, zu dem wir durch Jesus Christus Lesung: Lukas 10,17-22 10

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Zivilreligion oder Gemeinde Jesu Christi? Karl Baral

»Es besteht keine Staatskirche«, so lautet der Grund-Satz des Staatskirchenrechts unseres Staates (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV). Für das deutsche Staatskirchenrecht gilt insbesondere das Prinzip der Nichtidentifikation: Der Staat darf sich nicht mit einer Religion oder Weltanschauung identifizieren. Woher nimmt er dann seine Werte? Sagt doch das berühmte »Diktum« des am 24.2.2019 verstorbenen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Während die Mehrzahl der Staaten diese Voraussetzungen in den jeweiligen Religionen oder Ideologien, mit denen sie sich identifizieren, finden und ihnen die Werte entnehmen (also die islamischen Staaten dem Islam und die kommunistischen Staaten dem Marxismus-Leninismus), ist das in einem weltanschaulich neutralen Staat nicht möglich. Hier hat das Grundgesetz unseres Staates eine geniale Lösung, die zugleich die freiheitlichste Ordnung von allen gewährt: Es setzt voraus, dass da Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften sind, deren Glieder Staatsbürger sind und die von ihrer jeweiligen Religion oder Weltanschauung geprägt und von dort Wertvorstellungen mitbekommen haben. Diese Staatsbürger werden gewählt und bringen ihre jeweiligen Wertvorstellungen ins Parlament ein, wo sie – als Kompromiss mit anderen – in die Gesetze einfließen. Dies allerdings setzt voraus, dass es Kirchen, Religionen und Weltanschauungen gibt, die überhaupt wissen, was sie glauben, und denen ihr Glaube wichtig ist, die sich aber daran halten, dass sie nicht Oberreligion sind, noch als Teil oder Anhängsel des Staates dessen Interessen ausführen oder gar beides verbinden – in einem Selbstverständnis als Zivilreligion, etwa im Sinn eines Wortes des früheren EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, Kirche sei »Fortsetzung des Staates mit religiösen Mitteln«.1 Ein solches Verständnis stört und zerstört das vom Grundgesetz unseres Staates gegebene Staatskirchenrecht. INFORMATIONSBRIEF 317

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Dessen Gegenentwurf ist nämlich eine Zivilreligion. Eine Zivilreligion ist »die Religion oder Oberreligion einer Civitas, eines Staates und der Gesamtheit seiner Bürger, die als Grundkonsens des funktionierenden Staats und der funktionierenden Gesellschaft vorausgesetzt werden«,2 und zwar nicht nur – wie es fälschlicherweise teilweise gelehrt wird – bei demokratischen Staaten oder bei solchen, bei denen eine Trennung von Staat und Kirche vorhanden ist, was ja bei einer Zivilreligion sowieso nicht wirklich der Fall ist. Obwohl solche Oberreligionen in allen Weltreichen schon der alten Welt – etwa Assur, Babylon, Persien, Alexanders Reich, Rom – vorhanden waren, stammt der Begriff der Zivilreligion von dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau. In seiner Schrift »Du Contract Social« (Vom Gesellschaftsvertrag) hat er damit seine Vorstellungen von einer politischen Ordnung entworfen. Er war der Ansicht, dass diese eine religiöse Grundlage braucht, um Werte zu bekommen, die der Staatsbürger in tiefster Inbrunst verehrt und ihnen dient – wenn nötig bis zur Hingabe des Lebens, also nicht nur aus Pflicht. Und zwar muss diese Grundlage von allen Staatsbürgern anerkannt sein; andere religiöse oder weltanschauliche Lehren dürfen vertreten werden, aber nur in den Grenzen dieser Zivilreligion des Staates, der gesellschaftlichen Oberreligion. Das Christentum kann nach Rousseaus Ansicht diese Religion nicht sein, weil dessen erste Loyalität nicht dem Staat und dem Staatsoberhaupt gehört, sondern Jesus Christus. Wie kann dann nach seinem System diese »Zivilreligion« gefunden werden? Anders als der englische Philosoph Thomas Hobbes, der ebenfalls vom Gesellschaftsvertrag sprach, hatte Rousseau ein positives Menschenbild. Nach ihm weiß eigentlich jeder, was dem Wohl des Ganzen entspricht. Der »Vertrag« ist eine Fiktion, angeblich ist sein Inhalt schon von Geburt dem Menschen mitgegeben. Wie werden in diesem System die leitenden religiösen Vorstellungen und Werte des Staates festgestellt, also erhoben, was jeder Mensch im Tiefsten für 11


richtig hält? Nach Rousseau ist ihre Festlegung allein die Aufgabe des Staatsoberhauptes; er hat also (in der Sprache der 1968er ausgedrückt) das »richtige Bewusstsein« davon, was jeder in der Gesellschaft im Tiefsten glaubt und zu glauben hat. Im Übrigen darf jeder glauben, was er will, aber nicht sagen, außer dem eigenen Glauben gebe es kein Heil; das darf man nur von der Zivilreligion sagen. Und zwar ist dieser vom Staatsoberhaupt vorgegebene Glaube ein ›doppelter Glaube‹, nämlich zum einen ein allgemeiner Gottesglaube, ein vager Gottesbegriff, der von allen zu akzeptieren ist, zum anderen ein Moralglaube, der ebenfalls inhaltlich vom Staat vorgegeben ist (wie z. B. heute Gender-Mainstreaming, das in Deutschland als Staatsziel eingeführt wurde, nicht einmal vom Parlament, sondern per Kabinettsbeschluss). Dieser doppelte Glaube muss nach Rousseau völlig unduldsam durchgesetzt werden; wer diese Glaubensartikel nicht akzeptiert, wird aus dem Staat ausgewiesen oder mit dem Tode bestraft. Außer dem ›doppelten Glauben‹ kennzeichnet Rousseaus Zivilreligion die mangelnde Unter­ scheidung von Persontoleranz und Sachtoleranz. Das christliche Menschenbild achtet die Person des Menschen, sein Innerstes, zu dem auch der Glaube gehört. Ein Christ weiß, dass es Wahrheit gibt, aber er achtet die Person des anderen, auch wenn er anderer Ansicht ist. Er achtet die Person des anderen, auch wenn er sachlich anderer Meinung ist als dieser. Ein totalitärer Zugriff auf das Innere des Menschen ist auch dem Staat nach christlicher Lehre verboten. Rousseau allerdings genügt das nicht, er will gerade Zugriff auf das Innere, will Anerkennung seiner Zivilreligion einschließlich ihrer dogmatischen und ethischen Glaubensartikel aus innerster Überzeugung; er will also nicht nur Toleranz, sondern Akzeptanz seiner Vorgaben. Wir kennen die entsprechende Diskussion darüber wegen der Akzeptanzforderung in staatlichen Bildungsplänen, die der Staatsrechtler Winterhoff zu Recht als verfassungswidrig gekennzeichnet hat. Diese vom Staatsoberhaupt verordnete (nach Rousseau verbindlich festgestellte) Zivilreligion ist die verpflichtende Oberreligion über allen Re­ ligionen und Weltanschauungen. Religionsfreiheit gilt nur in ihren Grenzen. Obwohl eine zivilreligiöse Ordnung – wie gesagt – der Ordnung des Grundgesetzes widerspricht, hat sie sich in Deutschland mehr und mehr ausgebildet und überlagert zunehmend das staatliche, politische und mehr und mehr auch das kirchliche Leben in Deutschland. 12

Wie Karl Richard Ziegert aufgewiesen hat, wurde die in den USA ausgebildete Zivilreligion nach dem Krieg in Deutschland installiert – nach jahrelanger Vorbereitung und unter massiver Mitwirkung des Theologen Karl Barth, dessen theologischen Anschauungen eine christliche Zivilreligion nahelegen; nicht von ungefähr hat er sich schon 1937 auf einer ökumenischen Konferenz für einen christlichen Totalitarismus eingesetzt. Ganz anders Jesu Wort Johannes 18,36: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Und so war der Leitsatz der Kirchenkonferenz von Treysa im August 1945: »Verkündigung heute ist eine politische Aufgabe.« Hier wurde eine politische Vereinnahmung der Kirche auf den Weg gebracht, ihr eine zivilreligiöse Aufgabe zugeschrieben und die eigentlich kirchliche Verkündigung und Seelsorge zurückgedrängt. Es ist der Anfang eines neuen Verständnisses, das der frühere Ratsvorsitzende der EKG, Wolfgang Huber, so ausgedrückt hat: Die Kirche sei »die Fortsetzung des Staates mit religiösen Mitteln«.3 Vollends vollendet wurde die Installation der Zivilreligion durch die Stuttgarter Schulderklärung vom 18. Oktober 1945, an deren Zustandekommen u. a. der englische Bischof George Bell, Freund Dietrich Bonhoeffers, dem auch Bonhoeffers letztes Wort vor seiner Hinrichtung galt, durch Termintricks an der Teilnahme verhindert wurde (ganz im Sinn eines schon Jahre zuvor geäußerten Wunsches von Karl Barth), dagegen wurde (wie auch in Treysa) Karl Barth dazugenommen, der eigentlich nicht zu dem Gremium gehört hätte.4 Es ging hier nicht mehr – wie in der christlichen Seelsorge – um Beichte und Lossprechung von Schuld, sondern um eine politisch und kirchenpolitisch verwertbare Erklärung und zivilreligiöse Indienstnahme der Kirche. Kein Wunder, dass die katholische Kirche ein entsprechendes Ansinnen ihr gegenüber ausdrücklich abgelehnt hat, und auch nur ein Teil der Landeskirchen haben diese Erklärung unterzeichnet, auch alle Freikirchen und der pietistische Gnadauer Verband haben die Unterschrift abgelehnt. Zwar wurde die Arbeit der evangelischen Kirche in der gemeindlichen Praxis von Verkündigung und Seelsorge nicht von einem Tag auf den anderen verändert. Immerhin gab es noch viele Pfarrer, die sich an die Heilige Schrift und das Bekenntnis gebunden wussten und entsprechend ihre Verkündigung und Seelsorge als rechte Gemeindehirten ausübten; denen es ein Anliegen war, das rettende Evangelium verlorenen Seelen zu bringen und sie zur Freude in Christus zu führen. Die auch wussten um Jesu Wort »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« AUGUST 2019

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(Johannes 20,36); die auch wussten um die da- Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland mit zusammenhängende biblische Zwei-Äonen- erlebte und bei denen verschiedene Positionen Lehre, die Luthers Zwei-Reiche-Lehre geprägt gegenübergestellt wurden, wie es ja eine echte hat und die davor warnt, die staatliche und die Demokratie erfordert, ist einer großen Einigkeit kirchliche Aufgabe zu vermengen, weil sonst der meisten im Bundestag vorhandenen Parteien beide ihre Bestimmung nicht erfüllen. gewichen. Aber die Grundrichtung war seit jenen EntWenn es um die zivilreligiösen Ziele geht, scheidungen von Treysa und Stuttgart 1945 sieht man gern auch über Rechtsbrüche hinweg, vorgegeben, und so konnte Ziegert feststellen, wie die mit Schule Schwänzen verbundenen »dass das Jahr 1960 für die deutschen Verhält- Greta-Freitagsdemos zeigen; weniger übersieht nisse eine Art ›Satteljahr‹ war: man, wenn es um staatlich verAb jetzt konnte und musste alles mm Der Mensch mag ordneten Sexualkundeunterricht gesellschaftlich Streitige schon zwar angehören oder Moscheebesuch geht; da durch den publizistischen Filter kann es schnell zu Bußgeldern der vom Linksprotestantismus welcher Religion oder oder gar Gefängnis für Eltern öffentlich besetzten Zivilreligion Weltanschauung er gehen, die eigentlich nach Artilaufen, der die traditionell religiökel 6 Grundgesetz zu Recht ihr will, aber das alles se Arbeit der Kirchen, der eigenen Elternrecht wahrnehmen oder und der katholischen Welt, zwar muss in den Grenzen sich auf Glaubensfreiheit (Art. 4 noch nicht antastete, aber auf der geschehen, die die Grundgesetz) berufen. Ebene öffentlicher Artikulation Ähnlich steht es um die Meinur das von ›Religion‹ durchließ, Oberreligion vorgibt. nungs- und Pressefreiheit. Was was den eigenen politischen Inteals Hassrede verfolgt oder bei ressen nützlich sein konnte.«5 Facebook gesperrt wird – dabei gelten für ÄuDiese Zivilreligion, die 1945 für Deutschland ßerungen, die der Zivilreligion entsprechen, aufs Gleis gestellt wurde, verändert nun mehr erfahrungsgemäß ziemlich andere Maßstäbe als und mehr Staat und Kirche. Den Staat, weil die- für solche, die die zivilreligiösen Vorgaben und ser sich nun faktisch doch mit einer Religion, Engführungen mit ihren ideologischen Vorgaeiner zivilen Oberreligion identifiziert – wobei ben ablehnen. Der einst so freiheitliche Staat ein Staat mit solch einer Oberreligion eine Ten- scheint immer intoleranter und engführender zu denz zum Totalitären hat. Eine Religion will ja werden. Zugang zum Herzen des Menschen, zur Person: Und auch an der Dritten Gewalt, der JurisdikDer Mensch mag zwar angehören welcher Reli- tion, geht der zivilreligiöse Umbau nicht vorbei. gion oder Weltanschauung er will, aber das alles Während nach der kontinentalen Rechtstramuss in den Grenzen geschehen, die die Ober- dition, in der auch das Grundgesetz steht, die religion vorgibt; etwa das Gender-Staatsziel usw. Gewaltenteilung wichtig ist und die Gerichte an wird unerbittlich durchgesetzt; was Bibel und Gesetz und Recht gebunden sind, scheint auch Bekenntnis oder Wissenschaft zu dieser Ideolo- in Deutschland mehr und mehr ein angelsächsigie sagen, interessiert nicht; zwar droht nicht die sches Verständnis von der Rechtsbildung durch Todesstrafe wie bei Rousseau, aber man stirbt so- Richter, die sich auch am gesellschaftlichen Konzusagen einen zivilen Tod; Leute mit solch ande- sens orientieren, eine große Rolle zu spielen. So ren Ansichten werden kaum – wenn überhaupt sagt der Rechtshistoriker Michael Stolleis tat– gleichberechtigt ins Öffentliche Fernsehen auf- sächlich über das Bundesverfassungsgericht, dass genommen. Wenn sie sich politisch engagieren, es »die Zivilreligion des westlichen Verfassungswerden sie nicht entsprechend den Vorgaben des staats« formuliert.6 Grundgesetzes über Demokratie und RechtsZiegert schreibt: »Das Bundesverfassungsgestaat behandelt, sie finden – auch wegen Be- richt nimmt sich die Befugnis, sich ›zu einem drohung durch gewalttätige Gruppen wie etwa mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung nicht Antifa – kaum noch Räume, die sie für politische mehr vereinbaren Praeceptor aufzuschwingen‹.«7 Wenn zum Beispiel die Einführung einer Veranstaltungen brauchen. Auch LebensrechtsDemonstrationen können weithin wegen solcher »Ehe für alle« eigentlich verfassungswidrig war, gewaltanwendender Gruppen nur unter Polizei- wie ein Verfassungsrechtler feststellte, und jeschutz stattfinden. Und die Medien sind weithin mand dieses Gesetz vor das Bundesverfassungssehr unausgewogen und scheinen ebenfalls die gericht bringt (was leider bisher noch nicht geschehen ist. Kein Klageberechtigter erhebt Klage zivilreligiösen Vorgaben zu unterstützen. Ein hartes Ringen zwischen den Großpar- dagegen), ist nicht einmal sicher, ob das Gericht teien im Bundestag, wie man sie in den ersten die Verfassungswidrigkeit feststellt – wegen der INFORMATIONSBRIEF 317

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Besetzung des Gerichts, man könnte auch sagen: Weil das Gericht sich möglicherweise nicht an die Vorgaben des Verfassungsgebers hält, sondern sich als Entscheider darüber versteht, was das (zivilreligiöse) Gesellschaftsbewusstsein zu Recht als Recht ansieht; es entscheiden also dann Leute mit dem ›richtigen Bewusstsein‹. Das steht wohl hinter dem Wort eines Richters, von dem Peter Hahne in einem seiner Bücher berichtet: »Wer schützt eigentlich unser Grundgesetz vor dem Verfassungsgericht?!«8 Aber auch die Kirche, die sich zivilreligiös versteht, wurde und wird nach und nach verändert. Da ist die Politisierung der Botschaft, der Verkündigung und des Gottesdienstes. Die Verbindlichkeit der Heiligen Schrift und das Bekenntnis der Kirche werden mehr und mehr verlassen. Das Bibelverständnis ist in den Bekenntnisschriften klar definiert: Die Bibel ist Gottes Wort und allein Quelle und Maßstab der kirchlichen Lehre; andere Verständnisse haben also kein Heimatrecht in der evangelischen Kirche. Wo das nicht so gehalten wird, hat die Kirche keine Vollmacht, ein wirkliches Gemeindewachstum gibt es dann nicht, sondern die Kirche verweltlicht. Wolfgang Huber hat »die Selbstsäkularisierung der Kirche ein[ge]räumt«; sie sei »›der Preis‹, der in gerechtfertigter Weise ›zu zahlen war‹« für die Übernahme der zivilreligiösen Aufgabe der öffentlichen Wirksamkeit.9 Biblische Begriffe – z. B. »Freiheit« – werden umgedeutet und zivilreligiös umdefiniert. Klare ethische Vorgaben der Bibel werden verlassen, die Kirche meint segnen zu können, was nach der Bibel Gott nicht segnet. Das Pfarrerbild der Zivilreligion ist nicht der Hirte, der seine Herde, die ihm anvertraut ist, versorgt, sondern der Funktionär, der von der oberen und mittleren Ebene der Kirchenorganisation seine politischen Vorgaben empfängt und umsetzt. Deshalb können Pfarrstellen abgebaut werden, aber nicht in erster Linie, um zu sparen, sondern auch um die kirchliche Verwaltung weiterzuentwickeln.10 Die Zusammenlegung von Gemeinden erschwert dann auch das Bestehen und Entstehen von Richtungsgemeinden, etwa solcher, die sich noch bekenntnisgebunden verstehen und einen entsprechenden Pfarrer wählen. Überhaupt geht der Weg der zivilreligiösen Botschaft und der Aufbau einer zivilreligiös sich verstehenden Kirche von oben nach unten (»updown«), nicht von den »Schäflein, die ihres Hirten [Jesus] Stimme hören« (Luther) aus, nicht von der bibellesenden Gottesdienstgemeinde aus nach »oben« in der Kirchenorganisation, 14

wie es nach Bibel und Bekenntnis richtig ist (die Kennzeichen der Kirche sind Wort und Sakrament, Augsburger Bekenntnis Artikel 7). Eine Zivilreligion will alle in ihrem Bereich erreichen – sonst wäre sie keine Zivilreligion. So ist auch der »Kurswechsel« des früheren Ratsvorsitzenden der EKD, Professor Wolfgang Huber, »hin zur vollen Kooperation mit den Evangelikalen«11 zu verstehen. Diese haben sich seither mehr und mehr von der Position der »Stillen im Lande« verabschiedet, nicht nur als Staatsbürger, da waren sie bisher schon auch seit der Reformation engagiert, sondern auch als Kirchen und Gemeinden, die doch Teil des Reiches Jesu sind, das »nicht von dieser Welt« ist. Die politische Aufgabe, wie sie in der Kirchenkonferenz von Treysa 1945 eingepflanzt wurde, wurde auch hier ein Stück weit übernommen. Zudem macht sich auch die entsprechende Transformationstheologie im Pietismus und unter Evangelikalen breit, die die Transformation der Gemeinden und Gemeinschaften betreibt – sie sollen Werkzeuge werden zur Transformation der Gesellschaft auf dem Weg zur Transformation der Welt.12 Und auch die bisher noch nicht von der Zivilreligion eingefangenen Kirchen, insbesondere kleinere Kirchen, besonders auch lutherischer Prägung, die bisher bei ihrem Bekenntnis geblieben sind, müssen damit rechnen, dass versucht wird, sie ebenfalls in den zivilreligiösen Zug mitzunehmen, sie in die politische und gesellschaftsdiakonische Arbeit hineinzuziehen und von ihrem Haupt Jesus Christus als ihrer obersten Instanz und damit von der Heiligen Schrift als einzigem Richter, Regel und Richtschnur (so die Konkordienformel) abzudrängen. W

1)

Zitiert aus: Karl Richard Ziegert, Die Verkäufer des perfect life, Berlin 2015, S. 5 und 352. 2) Karl Baral, Zivilreligion oder Christusnachfolge? Nürnberg 2019, S. 20. 3) Ziegert, Die Verkäufer des perfect life, Berlin 2015, S. 5 und 442. 4) Zu diesen Konferenzen (kurz) Baral, Zivilreligion oder Christusnachfolge? S. 55ff. bzw. S. 60ff., sowie ausführlich: Ziegert, Zivilreligion, S. 175–206. 5) Ziegert, Zivilreligion, S. 228. 6) Zitat nach Ziegert, Zivilreligion, S. 34. 7) Ziegert, Zivilreligion, S. 327. 8) Peter Hahne, Niemals aufgeben, Wesel 2015, S. 52. 9) Ziegert, Die Verkäufer des perfect life, S. 424. 10) Ziegert, »Dieses Spiel ist aus«, in: Deutsches Pfarrerblatt 10/2014, S. 559f. 11) Ziegert, Die Verkäufer des perfect life, S. 367. 12) Siehe dazu Tübinger Pfingst-Aufruf zur Erneuerung eines biblisch-heilsgeschichtlichen Missionsverständnisses »Welt­ evangelisierung oder Weltveränderung?« von 2013, sowie Karl Baral, Handbuch der biblischen Glaubenslehre, 4. Aufl. Nürnberg 2016, S. 227–232. AUGUST 2019

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Die Ehe –– göttliches Mandat oder gesellschaftliches Konstrukt? Werner Thiede

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or rund zwei Jahren hat der Bundestag die Öffnung der Ehe beschlossen: Bekanntlich dür­fen seither auch gleichgeschlechtliche Paare standesamtlich heiraten. Das bedeutet eine Öff­nung des Ehe-Begriffs, der sich traditionell rund um die Welt auf heterosexuelle Paare be­ zo­gen hat. Es liegt also eine revolutionäre Umdefinition von Ehe vor. Ob das als kultureller Fort­ schritt oder als kulturelle Dekadenz gewertet wird, hängt von der je­wei­ligen liberalen oder konservativen Position ab. Die Spaltung in dieser Wertung geht quer durch die Ge­sell­schaft und auch durch Theologie und Kirche. Wenn ein solch gra­ vierender Eingriff in ein allent­ halben hochgeschätztes Institut wie die Ehe vorge­nom­men wird, sind kritische Rück­fragen selbstverständlich, ja ist Streit programmiert.

Reformatorische Entscheidungen Der Streit1 beginnt schon bei der Frage, inwieweit die Ehe überhaupt mehr sein soll als eine staatlich geregelte Angelegenheit. Hatte nicht Martin Luther die Ehe als »ein weltlich Ding« eingestuft? Liegt dann nicht die »Öffnung der Ehe« letztendlich auf der Linie dieser Ein­stu­fung? Derart weltlich hat der Reformator keineswegs gedacht. Zwar waren Hoch­zeit und Ehe für ihn in der Tat »ein weltlich Ge­schäft« (Bekenntnisschriften der Ev.-Luth. Kir­ che, 8. Auflage 1979, [BSLK], 528,6f.), weshalb ihnen kein sak­ ramentaler Charakter zu­ kommt. Unab­hän­gig von kirchlich-klerikalen Aspekten gelten ihm aber von An­fang der Schöpfung an Mann und Frau als heterosexuell an­ ein­ ander

gewiesen, wie das seine Schrift »Vom ehe­lichen Leben« (1522) unter­streicht: »Es ist nicht ein freies Er­ messen oder Rat­ schluss, sondern ein not­wen­dig, natür­lich Ding, dass alles, was ein Mann ist, ein Weib haben muss, und was ein Weib ist, muss einen Mann haben.«2 Diese »weltliche« Selbst­ ver­ ständlich­ keit war für den Re­formator nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite betonte er den Ehestand »als einen gött­li­chen, seli­gen Stand«.3 Von daher wertete er etwa das homosexu­elle Ansin­nen der Be­wohner Sodoms als wi­derna­tür­lich und per­ vers (WA 43,57). Philipp Me­lanchthon dachte nicht anders; er unterstrich vielmehr den Ge­ horsam gegen Got­ tes Gebot als not­ wen­ diges Kenn­zeichen evan­gelischer Kir­che.4 Freilich wussten schon die Reformatoren: Es gibt Menschen, die »zum ehelichen Stand nicht tüchtig sind«, ohne doch vom Geist Gottes zur Ehe­losigkeit oder sexu­eller Enthaltsamkeit befähigt zu sein (BSLK 613,41f.). Nun hat Luther zwar von der kirchli­chen Schul­digkeit ge­spro­ chen, dem Begehren nach kirchlicher Trauung und Segnung zu will­fah­ren (BSLK 529,6–9), aber dabei vor­aus­gesetzt, dass Mann und Frau »nach gött­li­cher Ordnung zum heiligen Stand der Ehe grei­ fen« – und dass Theologie und Kir­che diesen Stand als Gottes »Ordnung und Se­gen nicht ver­rücken noch ver­derben lassen« (BSLK 530,33f.; 534,13f.). Eine Ehe zwischen Gleichgeschlecht­ lichen hätte er jedenfalls als eine solche Verrückung, als solch ein Ver­derbnis gewertet. Über­ haupt war der Paar-Se­ gen auf bib­li­schem Hintergrund für die Refor­matoren mit dem Gedan­ ken der Fort­ pflanzung ver­ knüpft (BSLK 533,40ff.; 534,7ff.).

Die Folgen der »68er«

Werner Thiede Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 317

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Es waren erst die berühmten 68er Jahre des 20. Jahrhunderts, die gesellschaftlich eine sexual­ ethische Liberalisierung ein­ läu­teten. Ab 1969 waren nur noch homosexuelle Hand­lun­gen mit Part­nern unterhalb des Er­wach­senenalters strafbar. Den modernen Änderungen des Zeitgeis­ tes lief die Evangelische Kirche in Deutschland 15


(EKD) sozusagen Schritt für Schritt hin­ter­her.5 1971 veröffent­ lich­ te sie ihre »Denkschrift zu Fragen der Sexualethik«. Als Haupt­funk­tion des Sexuellen wurde damals nicht mehr die Fortpflanzung begriffen, sondern die Part­nerschaft als solche. Die Ehe wurde selbstverständlich als heterosexuelle Geschlechts­ge­mein­schaft betrachtet und Homo­se­xualität noch als sexuelle Fehlform abgewertet. Der Zeit­ geist schritt weiter. So setzte sich Volker Beck schon in den frühen 90er Jahren für das Modell einer »Ein­ getragenen Partnerschaft« ein, nicht ohne zu warnen: »Wenn man hofft, [so] die Schwulen zu treuen Ehe­part­nern zu machen, muss und wird die schwule Beziehungsrea­lität den Gesetzgeber enttäu­schen.«6 1993 verab­ schiedete dann die bayerische Lan­des­synode ihre »Fürther Erklärung«: Darin bekundete sie nach wie vor, dass die Auffassung dem bibli­schen Gesamtzeugnis widerspreche, es sei in die Wahl des Einzelnen gestellt, ob er homose­xuelle oder heterosexuelle Praxis und Partner­ schaften vollziehe. Gleichwohl seien homophile Men­schen in seelsorgerlicher Beglei­tung dort, wo eine Veränderung dieser Prägung und Nei­gung unmöglich erscheine, zu einem verant­wortli­chen Umgang mit ihrer Homosexualität zu ermu­ tigen und möglicherweise auch zu segnen, Letzte­res aber nicht gottes­ dienstlich, denn im Handeln der Kirche und im öffent­lichen Be­wusst­sein müsse »die Unterschei­dung zur In­sti­tution Ehe deutlich bleiben«.7 1994 fiel der § 175 des deutschen Strafgesetzbuchs gänzlich. Dennoch sahen füh­ rende Theo­logen wie Wolfhart Pannenberg und Trutz Rendtorff gleich­ge­schlechtliche Prakti­ken weiter, und zwar bis zu ihrem Tode, kritisch.8 1996 veröffentlichte die EKD ihre Orientie­rungshilfe »Mit Spannungen leben«. Hier wurde zwar immer noch an der Überzeu­gung fest­gehalten, es gebe »keine bib­lischen Aussagen, die Homo­ se­xua­lität in eine positive Beziehung zum Willen Got­tes setzen – im Gegenteil«. Das Papier blieb darum auch skeptisch hinsicht­lich der Mög­lich­ keit, homo­ sexuelle Partnerschaften zu segnen oder gar gleichge­ schlechtlich Orientierte ein Pfarramt be­klei­den zu lassen. Gleichwohl wurde jetzt gesagt, es gebe in den bibli­schen Aus­sagen eine kaum aufzuhe­bende Span­nung zur Frage der Homo­sexualität, die folglich »ausge­halten und in allen kirch­ lichen Entschei­ dun­ gen zur Geltung ge­bracht werden« müsse.9 2001 tat der Staat den nächsten Schritt und führte die schon längst geforderte »Eingetragene Part­ ner­ schaft« ein. Kirchlicherseits musste das formal akzeptiert werden. 2004 kam dazu die »Empfehlung der Bischofskonferenz der 16

VELKD für den dienstrechtlichen Umgang mit Ein­getragenen Lebenspartnerschaften und gleichge­schlechtlichen Lebensgemeinschaften von Pfar­rern und Pfarrerinnen«, die nurmehr von einer »Ordnungsfrage« sprach. Und diese Frage wurde EKD-weit 2010 durch ein zeitgeistkonformes Pfarrergesetz geklärt, das seither Ehen Gleichgeschlechtlicher sogar im Pfarrhaus zulässt, sofern die jeweilige Landeskirche entspre­ chende Regelungen trifft. Immerhin kritisierten daraufhin acht protestantische Alt­ bischöfe, dass gesellschaftlich veränderte Gewohnheiten und Normen der Lebensführung, die den bibli­schen Normen der Kirche weithin widersprächen, auch im Bereich ihrer Kirchen vielfach nicht mehr hinterfragt würden.10 Um diese Zeit rief der Rat der EKD eine Kommission zusammen, die eine neue sexual­ ethi­ sche Grundsatzerklärung erarbeiten sollte. Geleitet wurde sie von dem Ethiker Peter Dabrock, der er­klär­ter­ma­ßen »ein kontextloses Zitieren ein­zelner alt- und neutesta­mentli­cher Spitzen­sätze gegen homo­­sexuelle Menschen und Praktiken« ablehnt.11 Aber 2013 erschien dann die Orien­tierungshilfe der EKD zu Ehe und Familie, die so unerwartet viel Kritik in Kir­ che und Ge­sell­schaft erfuhr, dass jene DabrockKommission schließlich aufgelöst wurde. 2015 ver­ öffentlichte die Mehrheit jener Kommissionsmitglieder dann ihre Ergebnisse einfach in Ge­ stalt des Buches »Unverschämt schön. Sexual­ethik: evangelisch und lebensnah«.12 Darin wird unver­blümt ge­sagt, die gott­ge­gebene Ord­nung der Ehe zwischen Mann und Frau solle nicht zum Maßstab gemacht werden.

Das Ja der EKD zur »Ehe für alle« Das entspricht der »Orientierungshilfe« der EKD von 2013 mit dem abstrakten Titel »Zwi­ schen Autonomie und Ange­wie­senheit. Familie als ver­läss­liche Ge­mein­schaft stärken«.13 Die­ se Schrift sollte die Orientierungshilfe »Mit Spannungen leben« von 1996 endlich ablösen. Ihre Intention, der staatlichen Rege­ lung ent­ sprechend Ehe, Familie und gleichgeschlechtliche Partnerschaften als gleichartig zu be­han­ deln, gab erkennbar dem gesell­ schaftlichen Plurali­ sie­ rungsdruck in Sachen »Lebensformen« weiter nach.14 Im Zentrum steht für die neue Per­spektive ein Bibelvers aus dem Alten Testament: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei« (1.Mose 2,18). Das Nicht-allein-Sein, also In-Beziehung-Sein wird hier ab­ strahiert vom biblisch gemeinten Mann-Frau-Verhältnis betrachtet, so dass auch gleich­ ge­ schlechtliche Formen des Zusammenlebens grundsätzlich AUGUST 2019

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als akzeptabel gelten, sofern sie nur mit dem Ehe wird es in der katholischen Kirche nicht geethi­ schen Aspekt der Treue und Verbindlich- ben. Dasselbe gilt übrigens auch für sämtliche keit verknüpft sind.15 »Das Miteinander in Ehe katho­lisch-orthodoxen Kirchen. Damit kommt und Familie ist wichtig, ist aber nicht die einzig die »Ehe für alle« für die beiden größten Kon­ mögliche Lebensform«, heißt es explizit. fes­sionen der Welt­christenheit definitiv nicht in 2017 kam es bekanntlich zum neuesten Frage. Hieraus ergibt sich, dass die provo­kantSchritt von Seiten des Staates: Seither gibt es liberale Haltung der evan­gelischen Kirchen das die so ge­nannte »Ehe für alle«. Es öku­menische Miteinander beschäist freilich noch nicht die Ehe für mm Jedenfalls handigt. In ihrer Radi­kalität hat sie die wirk­lich alle: Helmut darf nach wie delt es sich um Qualität zum Spalten – nach außen vor weder seinen Hund noch seine wie nach innen. Cousine noch das minderjährige eine fortgesetzte Nachbarskind heira­ ten. Jedenfalls Säku­larisierungs­ Die auf die Schrift hören handelt es sich um eine fortgebewegung auf setzte Säku­larisierungsbewegung Die streitbaren protestantischen auf ethischem Gebiet, und ihr ethischem Gebiet, Positionen in Sachen Ehe lassen hat eine ebensolche Selbstsäkula- und ihr hat eine sich grob in drei Lager mit ihrisierung der evangelischen Kirrer jeweiligen Begrün­ dungslogik che Schritt für Schritt entspro- ebensolche Selbstein­teilen. Das erste Lager ist das chen. Tatsächlich hatte der Rat säkularisierung betont biblisch orien­ tierte. Hier der EKD, dessen einstiger Vorsit­ der evangelischen wird die Heilige Schrift in ihrem zender Wolf­gang Huber während Textsinn sehr ernst genommen seiner Amtszeit mehrfach vor einer Kirche Schritt für und darum die historisch-kritische Selbstsäkularisie­ rung der Kirche Schritt entsprochen. Methode mit gewissem Argwohn gewarnt hatte,16 am Tag vor der betrachtet. Dem­gemäß wird regis­ Bundestags­ab­stim­mung mit ihrem triert, dass sich die Bibel durchweg absehbaren Ergebnis nichts Besseres zu tun, als kritisch gegenüber homosexuel­ len Praktiken zu jenem bekannten Votum zu er­mu­tigen, zu äußert. Das bestä­tigt selbst der Erlanger Ethidem es tags darauf kam. Im Deutschen Pfar­rer­ ker Peter Dabrock, der diesem Lager durchaus blatt hieß es einige Monate zuvor noch: »Die kritisch gegenüber­steht: »Homo­sexualität wird Kirchen haben für die moderne Gesell­ schaft auf breiter Front in der Bibel abge­lehnt.«20 Aneinen beson­deren Stellen­wert, weil sie ethi­sche ders sehen könnte man das in der Tat nur – mit Traditio­ nen nachhaltig pflegen.«17 Von einer dem Neutestamentler Klaus Ber­ger formuliert »nachhaltigen Pflege« des tra­ ditionsreichen – unter Anwen­ dung her­ meneu­ tischer VerbieEhe-In­ stituts kann jeden­ falls in der so »fort­ gungen und exe­geti­scher Zu­rechtlegungen.21 schrittlichen« EKD Kirche kaum mehr die Rede So wird etwa gern be­ hauptet, die bib­ li­ schen sein, wenn ihr Rat sich gera­dezu an die Spitze Ver­ werfungen von Homose­ xua­ lität im Alten des Umbruchs im Ehe-Ver­ ständ­ nis stellen zu und Neuen Testament trä­ fen heu­ tige gleichmüssen meint. geschlechtliche Partner­ schaften nicht, sofern Die Folgen der anhaltenden Selbstsäkula- diesen eine ethi­sche Be­zie­hungs­qualität innerisierung der Kirche, zu der übrigens auch ihr wohne. Doch es gibt die Ansicht, histo­risch sei Ein­ schwenken auf die Digitalisierung zählt, es nicht unbedingt aus­zu­schlie­ßen, dass es auch sind wenig erstaunlich: Über all die Jahre hat schon im jüdischen und hellenistischen Raum die evan­ gelische Christenheit in Deutschland ethisch ver­bind­liche Partner­schaf­ten homo­phi­ stetig Mitglieder verloren – und zwar insgesamt len Cha­rak­ters ge­geben habe.22 Im Übrigen deutlich mehr als die römisch-katho­ li­ sche, in liegt auf der Hand: Wo so apo­dik­tisch wie in der es zum Thema »Gleichgeschlechtlichkeit« der Tora (3.Mose 18,22 und 20,13) und im allerdings auch bro­delt.18 Aber Papst Franzis- Römer­brief (1,24ff.)23 gesagt wird, gleich­ ge­ kus hat erst kürzlich klargemacht: Die Men­ schlecht­liche Praxis miss­falle Gott, dort erübrigt schen sprechen heutzutage von vielen Formen sich die Frage ihrer ethischen Ge­staltung. Für von Familien, und doch sind einzig Mann und die Juden Jesus und Paulus war es ganz selbst­ Frau die Fami­lie als Ebenbild Gottes.19 Diese ver­ständlich, dass ihre befrei­ende Bot­schaft das Formulierung ist erkennbar gegen die EKD- heilige Gesetz als göttliche Interessensbe­ kun­ »Orien­tie­rungs­hilfe« von 2013 gerichtet. Auch dung keineswegs durchstreicht (Matthäus 5,17; wenn der Papst bei anderer Gelegenheit sagte, Römer 7,12 und 8,4; vgl. 7f.). Für den Apos­ er wol­le nicht über Homosexuelle richten, so ist tel ist Homose­xualität eher ein Ausdruck von die Gesamtlinie klar: Eine gleichgeschlechtliche exem­pla­rischer Unfreiheit als von ge­leb­ter Frei­ INFORMATIONSBRIEF 317

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heit: Er führt in Römer 1 gleichge­schlechtliche Pra­ xis als ein Para­ debeispiel für menschliche Sündhaf­ tigkeit an – also die sexu­ elle Ver­ keh­ rung als ein Exemplum für die Verkehrtheit des Gottes­ verhältnisses, das den Zorn Gottes be­dingt. Wenn Kirchen­lei­tungsorgane seit der »Fürther Erklärung« (1993) verlauten lassen, dass Homosexua­lität nicht mehr als Sünde betrachtet werden könne und dürfe, haben sie zumindest Paulus nicht auf ihrer Seite. Theo­ logisch bedeuten Versuche historisch-kritischer Entkräftung der paulinischen Kritik, mit dem Sündenbeispiel aus Römer 1 implizit auch die Gnadenbotschaft von der Sün­denvergebung in Römer 3 und 4 zu relativieren. Und tatsächlich arbeitet liberale Theologie heutzutage er­ staunlich penetrant daran, dem Wort vom Kreuz und der paulinischen Recht­ ferti­gungs­bot­schaft ihr Gewicht zu rauben. Ist es theo­logisch wirklich abwegig, auch in unse­rer Zeit zu sagen, praktizierte Homosexualität sei aus biblischer Sicht als Sünde zu wer­ten, sofern gleich­zeitig von der Vergebung eben auch dieser Sünde um Christi willen gespro­chen wird? Die Frage wäre zu stellen, ob sich vielleicht sogar eine geordnet gelebte Homose­xualität (geordnet gelebte Homosexualität bedeutet, auf ein Ausleben dieser zu verzichten, Red.) mit Luthers tief­sinniger Formel simul justus et pecca­ tor zusammenbringen ließe, die besagt, dass wir alle lebens­ lang auch als Gerechtfertigte nicht sündenfrei existieren. Selbst­ verständlich darf die Rechtfertigung des Sünders nicht mit der Rechtfertigung der Sünde verwechselt werden. Der Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung24 wird allerdings im Protes­tan­tismus unterschiedlich gesehen. Luther hat da dem Evangelium, der Gnadenbotschaft ein deutlich stärkeres Gewicht zugemessen als dem Gesetz des »neuen Gehorsams«.25 In einem Brief konnte er daher einmal drastisch schrei­ben: »Wenn ich doch so etwas wie eine auffal­lende Sünde aufzuwei­sen hätte, nur um damit den Teu­fel zu fop­pen, damit er erkennt, dass ich keine Sünde anerkenne und mir keiner Sünde bewusst bin!« (WA BR 5, 518f.) Über dieses Lutherwort lohnt es sich nachzudenken – gerade mit Blick auf die moderne These, manche Menschen könnten gar nicht anders als homosexuell empfin­den. In diesem Zusammenhang wäre auch an eine ande­re Aussage im Römer­brief zu erinnern: »Gott hat alle eingeschlossen in den Unge­hor­sam, da­mit er sich aller er­barme« (Römer 11,32). Könn­te es vielleicht sein, dass liberale Theologie mit ihrer Sicht auf die Homo­sexualität vom Er­barmen Gottes womöglich mehr verstanden hat als ihre »gesetzliche« Kritik? In dieser Hin­sicht sei Pau18

lus noch ein weiteres Mal zitiert: »Alles ist mir erlaubt« (1.Korinther 6,12) – wobei dann auch der nächste Vers nicht unter­ schlagen werden darf: »Der Leib aber nicht der Hure­rei!« Hieraus ergibt sich die Frage, ob verant­ wortlich gelebte Homose­xualität pauschal als Hure­rei zu be­zeichnen wäre – oder eben nach heutigem Erkenntnisstand eher nicht. Tiefer noch greift die Frage, ob die Berufung aufs Schriftprinzip nicht konse­quent und ganz in Luthers Sinn auf die »Mitte der Schrift« zu achten hätte, statt in biblizisti­scher Manier einzel­ne Textstellen hervorzuholen. Die­se Mitte ist unbestritten der lebendige Christus selbst; er ist auch der Herr der Schrift. Solange homophil empfindende Chris­ten­men­schen das Ringen um ihre sexuelle Aus­richtung im gelebten Glauben an Christus ver­or­ten, wird man ihnen bib­lische Orientiertheit nicht pauschal absprechen dürfen. Das heißt, bei unterschiedlichen Schrift­ verständnissen kommt man zu keinen definitiven Er­geb­nis­sen. Das Paradigma von Lager Nr. 1 hat eine Logik, die für ein Denken in ande­ren Para­digmen nicht zwingend sein muss. Umso mehr ist es nun erforderlich, auch die beiden anderen Lager zum Streitthema in der evangelischen Kirche in Augenschein zu nehmen. W Der zweite Teil dieses Beitrags wird im nächsten Informationsbrief veröffentlicht. 1) Vgl. Werner Thiede, Streitfall Ehe in protestantischer Sicht. Zerreißprobe oder Toleranz-Übung? in: B. Stubenrauch u. a. (Hg.): 500 Jahre Reformation – wo steht die Ökumene? Münster 2018, 251–262; Ingrid Braun, Was gilt in der Kirche?, in: ABC-Nachrichten 1/2018, 24f. 2) Martin Luther, Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff. (= WA) 10, 2, 275ff. »Der Schutz von Ehe und Familie als göttliche Stiftungen war ein Hauptanliegen der Reformation« (Reinhard Slenczka, Neues und Altes, Bd. 4, Reformation gegen Deformation in der Kirche, Neuendettelsau 2016, 172; vgl. 205ff.). 3) BSLK 612,23–31 (in heutigem Deutsch). Außerhalb der Ehe sei jegliche Sexualität unkeusch (613,46f.). 4) Siehe Melanchthons Apologie zu CA 13 (BSLK 294,14–21) – und näherhin Werner Thiede, Im Aufblick zur himmlischen Kirche. Melanchthons ökumenischer Einsatz aus evangelischer Sicht, in: M. Fricke/M. Heesch (Hg.), Der Humanist als Reformator, Leipzig 2011, 345–370. 5) Zu Recht konstatiert Thomas Kaufmann, es seien »Themen wie die Befürwortung der Homosexualität oder der Demokratie immer erst dann von evangelischer Seite gefördert worden, als die gesellschaftlichen Debatten darüber schon weitgehend gelaufen waren. Die evangelische Kirche nimmt eine Vorreiterrolle für sich in Anspruch, dabei repräsentiert sie nichts anderes als den Hauptstrom« (Was feiern wir da eigentlich?, in: idea Spektrum 44/2016, 16–19, hier 16). Vgl. insgesamt Klaus Fitschen, Liebe zwischen Männern? Der deutsche Protestantismus und das Thema Homosexualität, Leipzig 2018. 6) Volker Beck, Legalisierung schwuler und lesbischer Lebensgemeinschaften, in: Demokratie und Recht 1991, 446–464, hier 457. 7) https://landessynode.bayern-evangelisch.de/downloads/ Further_Erklaerung_1993.pdf (Zugriff 17.6.2018). 8) Vgl. Wolfhart Pannenberg, Maßstäbe zur kirchlichen Urteilsbildung über Homosexualität (1994), in: ders.: Beiträge zur AUGUST 2019

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Ethik, Göttingen 2004, 99–102; Trutz Rendtorff, Selbstbestimmung und Institution. Ethisch-theologische Implikationen der Kontroverse um ›Homosexualität und Pfarrerberuf‹, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 38 (1994), 190–202. 9) http://www.ekd.de/EKD-Texte/spannungen_1996_schluss. html (Zugriff 9.1.2017). 10) »Widernatürliche Lebensweise«, in: Christ & Welt 3/2011, 3. 11) Vgl. Peter Dabrock, Zum Gebrauch der Bibel in der Theologischen Ethik. Erörterungen angesichts der aktuellen Debatte um Homosexualität, in: Ökumenische Rundschau 3/2012, 275–286, bes. 285f. 12) Peter Dabrock u. a., Unverschämt schön. Sexualethik: evangelisch und lebensnah, Gütersloh 2015. 13) Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2013. 14) Matthias Pankau kommentiert, »Freiheit wird dabei mit Beliebigkeit verwechselt, so dass sich die evangelische Kirche einmal mehr der Welt und ihren Wegen anbiedert« (Die EKD und der Zeitgeist, in: idea Spektrum Nr. 25 vom 19.6.2013, 16–18, hier 18). 15) »Durch das biblische Zeugnis hindurch klingt als ›Grundton‹ vor allem der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht« (Punkt 51 der »Orientierungshilfe«). Man vergleiche damit das EKD-Papier zu Ehe und Familie von 1994: https://www.ekd.de/22781.htm (Zugriff 17.6.2018). Kritisch dazu Slenczka, a.a.O. 375ff. Dass mit dem alleinigen Merkmal der Entsprechung zur Treue Gottes ernsthaft genug nach dem göttlichen Willen und nach dem Gesamtcharakter der von ihm gesegneten Liebe gefragt sei, bezweifelte vor über 20 Jahren noch die Kirchenleitung der VELKD: Die Ehe als Leitbild christlicher Orientierung, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 42 (1997), 183–250. 16) Siehe https://zeitzeichen.net/archiv/interview/wolfganghuber-mein-glaube/ (Zugriff 15.6.2018). 17) Martin Vetter, Salz der Erde, Licht der Welt. Aktuelle Herausforderungen einer öffentlichen Kirche, in: Deutsches Pfarrerblatt 1/2017, 9–13, hier 11.

18) 2018 forderte Weihbischof Ludger Schepers (Essen) auf dem Katholikentag, die Kirche müsse ihre Schuldgeschichte anerkennen und einen neuen Umgang mit Homosexuellen pflegen, da Schwule und Lesben »von Gott gewollt« seien (http:// www.queer.de/detail.php?article_id=31156). 19) http://www.faz.net/aktuell/politik/franziskus-eine-familieentsteht-nur-aus-mann-und-frau-15643425.html (Zugriff 16.6.2018). 20) Dabrock, Gebrauch, a.a.O. 285. Ulrich Wilckens unterstreicht, dass bei Paulus »eine soziokulturelle Erklärung nicht ausreicht«; es gehe vielmehr »um das Gewahrwerden der in der Schöpfung gegenwärtig-wirksamen Macht des Schöpfers und das praktische Wahrnehmen seines Willens im Tun« (Der Brief an die Römer, 1. Teilband, Neukirchen-Vluyn, 2. Auflage 1987, 110f.). Vgl. auch A. Goddard/D. Horrocks (Hg.), Homosexualität. Biblische Leitlinien, ethische Überzeugungen, seelsorgerliche Perspektiven, Gießen 2016. 21) Vgl. Klaus Berger, Bis der Notarzt kommt. Zurück zur Bibel?, in: FAZ Nr. 214 vom 14.9.2004, 33. 22) Angeführ wird dann etwa die in 1.Samuel 18 bis 2.Samuel 1 geschilderte Männerfreundschaft, aber auch an die in einer Phase altgriechischer Kultur gepflegte »Knabenliebe« zu 12- bis 18-Jährigen: »Sie war die einzige sexuelle Beziehung, für die eine geistig seelische Verbundenheit notwendig und unabdingbar war, während der sexuelle Kontakt sekundär blieb […]« (Carola Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 1993, 163). 23) Paulus kann sich in seiner Haltung zur Homosexualität »mit seinen Adressaten und einer breiten Tradition einig wissen« (Klaus Haacker: Der Brief des Paulus an die Römer, Leipzig, 4. Auflage 2012, 57). Siehe auch Helmut Burkhardt, Ethik, Bd. II/2, Gießen, 2. Auflage 2014, 117ff. 24) Vgl. Werner Thiede, Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung, Darmstadt 2017, 62ff. 25) Vgl. Wilfried Joest, Gesetz und Freiheit. Das Problem des tertius usus legis bei Luther und die neutestamentliche Parainese, Göttingen 1951.

Credo zu den drei Artikeln

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uch wenn so vieles dagegen sprechen will: Aber – ich glaube! Ich glaube in Gott, den Vater – unbeschreibbar, unaussagbar, unbegreiflich – mit unseren Sinnen nicht zu fassen, nicht zu verstehen – genial großartig in seiner Schöpferart! Er, der Liebhaber aller Menschen und der Ursprung allen Lebens – er hat die Welt als Wunderwerk erschaffen, jeden einzelnen Menschen unverwechselbar einmalig, mit ganz viel Liebe und Fürsorge: auch mich! Darüber darf ich mich freuen! Ich glaube in Jesus Christus, seinen Sohn, unseren Herrn, meinen Heiland – Ausdruck der Liebe Gottes, die Fleisch angenommen hat in dem Juden Jesus von Nazareth. Er lebte Liebe vor, sprach in Vollmacht von Gott, seinem Vater in den Himmeln – wirkte Wunder in dessen Namen – tat Gutes, wo er konnte. Er geriet in Konflikt mit den Oberen der Juden und der Römer, erlitt Erniedrigung, Spott und Hohn – und wurde gekreuzigt im Auftrag von Pontius Pilatus. All meine Schuld, alles, was mich von INFORMATIONSBRIEF 317

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Gott trennt, hat er am Kreuz getilgt. Am dritten Tage danach wurde er von Gott wundervoll auferweckt zu neuem Leben, erschien immerhin mehr als 500 Leuten und wurde aufgehoben in die Himmel. Er sprach: »Ich lebe, und ihr sollt auch leben!« Darauf darf ich mich verlassen. Ich glaube in den Heiligen Geist, die unbändige Wirkkraft Gottes, die aktiviert und motiviert und mobilisiert und hineinzieht in den lebendigen Glauben in Gott, den Vater. Dieser Geist Gottes bewegt und beflügelt mich, baut und richtet mich auf, tröstet und heilt meine Seele. Er gibt mir zu verstehen: Ich bin nie allein. Gott sorgt für mich, er vergibt mir um Jesu Christi willen. Er schenkt mir die je nötigen Lebenskräfte. In Gott bin ich geborgen in Zeit und Ewigkeit. Er wird mein Leben schließlich vollenden in seinem Friedensreich! Dessen darf ich sicher sein. in: Hans-Gerd Krabbe, Gottesdienstbuch zum Kirchenjahr, Göttingen 2006, S. 268 19


Gottes Wege mit der DiakonieGemeinschaft in Puschendorf Friedrich Rössner

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ie Diakonie-Gemeinschaft in Puschendorf bei Nürnberg ist ein evangelisch-pietistisches, durch Diakonissen geprägtes Werk mit verschiedenen Arbeitsbereichen und Projekten. Sie ist aus den 1926 gegründeten »Jägersburger Dia­konissen« entstanden. Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs konnte sich die Schwesternschaft in Puschendorf in Franken ansiedeln und hat hier tiefe Wurzeln geschlagen. Aus bescheidenen Anfängen ist ein Werk mit einem Gästehaus, einem Alten- und Pflege­ heim und einer großen Veranstaltungshalle geworden. Die große Zahl der Diakonissen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ermöglichte verschiedenste Einsatzmöglichkeiten im In- und Ausland. Von der leitenden Krankenschwester bis zur Missionarin in Thailand war alles geboten. Es gab eine Bibelschule und viele geistlich-seelsorgerliche Angebote im Gästehaus. Doch in Puschendorf ist – wie bei vielen anderen Diakonisseneinrichtungen – der Nachwuchs nach und nach versiegt. So fand sich die Schwesternschaft zum Jahrtausendwechsel in einer Situation wieder, sich auf eine immer älter werdende Gemeinschaft mit einem abnehmenden Aktionsradius einzustellen. In dieser Situation erinnerten sich die Schwestern an ihren Leitspruch aus dem 2. Korintherbrief: »Weil uns Barmherzigkeit widerfahren ist, werden wir nicht müde.« Das brachte einen Gebets- und Nachdenkprozess in Gang. Am Ende dieser Phase hatte man den Eindruck, dass Gott mit dem Werk weiter machen will. Und weil man Veränderungen bei den Puschendorfer Diakonissen schon immer gewohnt war, haben sich die Schwestern an grundlegende Veränderungen ihres Werkes gemacht: Es wurde eine Stiftung zur Versorgung der älter werdenden Schwesternschaft gegründet; es wurde die Gemeinschaft auch für Nichtschwestern geöffnet; es wurde darüber nachgedacht, ob es eine neue Form der Diakonisse geben könnte. Genau in dieser Zeit meldeten sich allein lebende Frauen mittleren Alters und fragten an, ob sie in der Gemeinschaft mitleben könnten. Gott ist kreativ und gut. Er sandte Frauen (und Män20

ner), die bereit waren, die anstehenden Veränderungen aktiv mitzugestalten. So wächst die Zahl der Mitglieder der Dia­ ko­ nie-Gemeinschaft gerade recht stetig an. Menschen, die teilweise schon lange innerlich mit dem Werk verbunden waren oder die ganz neu auf die geistliche Gemeinschaft aufmerksam geworden sind, beginnen, die DiakonieGemeinschaft Puschendorf aktiv zu gestalten. Gott wirkt segensreich durch die Kreativität und geistliche Tiefe vieler neuer Mitglieder. Die Zukunft wird zeigen, was aus dieser aktuellen Aufbruchsituation werden wird. Einzigartig für eine Diakonissenschaft dürfte die Veränderung ihres Verständnisses einer »Schwester« sein. Schwestern ohne Tracht und ohne Gütergemeinschaft, die auch in ihren Berufen bleiben, leben nun gemeinsam mit Diakonissen in Tracht und mit Gütergemeinschaft. Für beide Formen ist die Schwesternschaft heute offen. Das nimmt die geistliche und menschliche Herausforderung unserer Zeit für allein lebende Frauen auf. Sie können sich einer Schwesternschaft lebenslang anschließen, müssen nicht mehr alleine glauben. Diese Lebensform geht sogar für Frauen mit Kindern. Aus einer Gemeinschaft von Diakonissen wird also gerade eine »Schwesternschaft«! 1926 wurde im »Gemeinschaftsgruß«, dem Periodikum des Gemeinschaftsverbandes, ein Aufruf mit folgenden Worten gestartet: »Liebe Jungfrauen aus unseren Gemeinschaftskreisen! […] Sind solche unter euch, die da glauben, daß sie einen Drang vom Herrn zum Dienst in der Diakonie [Dienst an Leib und Seele] in sich tragen, die rufen wir auf, sich […] bei Herrn Pfarrer Link […] zu melden.« Daraufhin melden sich die ersten Diakonissen. Fast hundert Jahre später lädt die Schwesternschaft in Puschendorf wieder aktiv Frauen ein, die glauben, dass sie eine Berufung zum gemeinsamen Leben haben. Wer sich genauer über die Diakonie-Gemeinschaft Puschendorf informieren möchte, wer das Werk unterstützen oder mitgestalten möchte, findet die wesentlichen Informationen unter www.diakonie-puschendorf.org. W AUGUST 2019

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Aus Kirche und Gesellschaft Österreich: Ehemaliger Diakonie­ chef ist neuer lutherischer Bischof

Hannoversche Landeskirche ermöglicht Trauung Homosexueller

Michael Chalupka folgt auf Michael Bünker

Die Entscheidung der Synode fiel einstimmig

Oft mussten sie wählen, bis der neue evangelisch-lutherische Bischof in Österreich feststand. Das war 1968 als Oskar Sakrausky zum Bischof gewählt wurde, nicht anders; damals waren sogar noch mehr Wahlgänge nötig. Erst nach dem zwölften Wahlgang stand für die Synode der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses fest, dass Pfarrer Michael Chalupka Nachfolger von Bischof Michael Bünker wird, der mit 65 in den Ruhestand geht und das Amt von 2008 an innehatte. Der ehemalige Diakonie-Direktor Chalupka (59) gilt als linksliberal. Er erhielt 47 der 62 Stimmen und damit die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Auf Pfarrer Andreas Hochmeir (Wallern/Oberösterreich), der als theologisch eher konservativ gilt, entfielen 14 Stimmen; eine Stimme war ungültig. Der dritte Kandidat, Superintendent Manfred Sauer (Villach/Kärnten) hatte seine Kandidatur nach dem sechsten Wahlgang zurückgezogen. Nach seiner Wahl äußerte sich Chalupka unter anderem zu Streitthemen in Österreich. Was die Streichung des Karfreitags angeht, so sagte er in Richtung Regierung, sei »viel Vertrauen verspielt worden«. Zum Streit um die Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften kündigte er an: »Mir ist es wichtig, auf die Einheit zu achten, aufeinander zuzugehen, Brücken zu bauen, das ist uns allen aufgetragen.« Demnach steht die Einheit über der Wahrheit. In der Kirche kann das nur als Irrweg angesehen werden. Die Synode hatte im März mit 45 gegen 18 Stimmen beschlossen, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine Segnung im Gottesdienst zu ermöglichen. Chalupka will sich auch globalen Themen, wie etwa dem Klimawandel widmen. Von 1994 bis 2018 war Chalupka Direktor der evangelischen Hilfsorganisation Diakonie Österreich und danach Geschäftsführer der Diakonie Bildung, die evangelische Kindergärten und Schulen betreibt. Die Evangelische Kirche A. B. in Österreich hatte 2018 rund 278 000 Mitglieder in 191 Gemeinden. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 19/2019 vom 8. Mai 2019, S. 12)

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Die hannoversche Landeskirche ermöglicht die kirchliche Trauung homosexueller Partnerschaften. Eine entsprechende Handreichung für Gottesdienste beschloss die Synode der größten Landeskirche Deutschlands am 15. Mai. Die Entscheidung fiel einstimmig bei einer Enthaltung. Damit werden gleichgeschlechtliche Paare vor dem Traualtar gleich behandelt wie heterosexuelle. Beide Formen der Trauung sind damit in Deutschlands größter evangelischer Landeskirche völlig gleichgestellt. Bereits seit 2014 gab es die Möglichkeit einer Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. In acht der 20 Mitgliedskirchen der EKD gilt die »Trauung für alle«, etwa in Oldenburg, Bremen, Hessen-Nassau, Baden und der Evangelisch-reformierten Kirche. Auf Empfehlung des Bischofsrates wird es bei der »Trauung für alle« einen »Gewissensvorbehalt« für Pastoren geben. So werde kein Pastor verpflichtet, die »Trauung« zweier Gleichgeschlechtlicher gegen die eigene Überzeugung zu vollziehen. Wie lange wird dieser »Gewissensvorbehalt« wohl Bestand haben? Der »Trauung« Homosexueller hatte auch die gemäßigt konservative Gruppe in der Synode »Lebendige Volkskirche« zugestimmt, die mit 40 der 75 Synodalen die größte Synodalgruppe ist. Deren Vorsitzender, Fritz Hasselhorn (Sulingen), erklärte gegenüber idea, seine Gruppe habe keine theologischen Einwände gehabt, jedoch den Gewissensvorbehalt unterstützt. Theologische Einwände wären bei einer derartigen Angelegenheit aber sehr wohl am Platz gewesen und das Versagen der Zustimmung. (Quellen der Nachricht: ideaSpektrum 21/2019 vom 22. Mai 2019, S. 28, Nord; Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 21/2019 vom 26. Mai 2019, S. 3, nach epd)

Altbischof Gerhard Müller wurde 90

Der braunschweigische Altlandesbischof Professor Gerhard Müller konnte seinen 90. Geburtstag begehen. Der gebürtige Marburger war von 1982 bis 1994 Bischof der heute rund 335000 Mitglieder zählenden Landeskirche. Davor war er viele Jahre Professor für Kirchengeschichte in Erlangen, wo er auch seinen 21


Ruhestand verbringt. Von 1990 bis 1993 war er außerdem Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Er mahnte die Kirchen immer wieder, sich auf ihren geistlichen Auftrag zu konzentrieren. Im Rückblick auf das Reformationsjubiläum 2017 zog er ein negatives Fazit. Von einem »Wiederaufblühen des christlichen Glaubens« habe er »wenig bemerkt«. Er selbst habe seit früher Kindheit von den Schriften Luthers profitiert und als Konfirmand Luthers »Kleinen Katechismus« auswendig gelernt. Als Landesbischof i. R. hatte sich Gerhard Müller – entgegen der Mehrheit in der EKD – zusammen mit sieben weiteren Altbischöfen gegen homosexuelle Partnerschaften im Pfarrhaus ausgesprochen. Altlandesbischof Gerhard Müller trug auch die »Salzburger Erklärung« der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften mit. Sie wendet sich gegen die Propagierung der Abtreibung als »Menschenrecht«, gegen aktive Sterbehilfe und die Gender-Ideologie. Gerhard Müller ist Herausgeber des vielbändigen theologischen Fachlexikon »Theologische Realenzyklopädie«.

DEA wendet sich gegen Verbot von »Konversionsthearapien«

(Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 19/2019 vom 8. Mai 2019, S. 29, Nord)

(Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 20/2019 vom 15. Mai 2019, S. 7)

Arbeitsgemeinschaft »Confessio« gegen Segnung gleichgeschlechtli­ cher Paare

In zwei Landeskirchen wurde eine neue Spitze gewählt

Württembergische Pfarrer, die der Arbeitsgemeinschaft »Confessio« angehören, wollen sich mit Segnungsgottesdiensten für gleichgeschlechtliche Paare nicht abfinden und tun damit recht. Die Landessynode hatte der Einführung solcher Gottesdienste zugestimmt (vgl. zur gottesdienstlichen Segnung Gleichgeschlechtlicher in Württemberg auch Informationsbrief Nr. 316, Juni 2019, S. 22). Die Arbeitsgemeinschaft fordert deshalb, »den bekenntniswidrigen Beschluss nicht umzusetzen«. In dem Papier, das von mehr als 20 Pfarrern beschlossen worden sei, wird zu Recht an die negative Bewertung homosexueller Praktiken in der Bibel erinnert. Da die Kirche nicht segnen könne, was Gott nicht segne, sei der Synodalbeschluss falsch und »vermessen«. Für »Spott auf die Wahrnehmung jedes mündigen Christenmenschen« hält es Confessio, wenn ein gleichgeschlechtliches Paar in eine Kirche einziehe und die Kirche gleichzeitig erkläre, es handle sich nicht um eine Trauung. Der Synodalbeschluss sei »bekenntniswidrig, verfassungswidrig und somit nichtig«. (Quelle der Nachricht: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 15/2019 vom 14. April 2019, S. 2, nach epd)

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Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) hat sich zu Recht dagegen gewandt, so genannte »Konversionstherapien« gesetzlich zu verbieten. Sie sollen Homosexuellen helfen, ihre sexuelle Neigung zu verändern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), selbst homosexuell und in einer solchen Partnerschaft lebend, hat eine Fachkommission berufen, die ein Verbot solcher Therapien erarbeiten soll (vgl. auch Informationsbrief Nr. 316 vom Juni 2019, S. 4). Der Vorsitzende der DEA, Präses Ekkehart Vetter (Mülheim/Ruhr), und deren Generalsekretär Hartmut Steeb (Stuttgart) wandten sich in einem Brief an die Fachkommission. Der DEA zufolge schließt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung den Wunsch Einzelner ein, »sich mit ihren konflikthaft erlebten homosexuellen Impulsen und Gefühlen auseinanderzusetzen und dafür Beratung und therapeutische Angebote in Anspruch zu nehmen«. Eine ergebnisoffene Beratung müsse auch eine Entscheidung für den heterosexuellen Lebensentwurf zulassen.

Kurhessen-Waldeck bekommt erstmals Bischöfin, in Mitteldeutscher Kirche folgt der Bischöfin ein Bischof Die Evangelische Kirche von KurhessenWaldeck bekommt erstmals eine Bischöfin, die bisherige Diakoniewissenschaftlerin Professorin Beate Hofmann (55, Bielefeld). Sie wird Nachfolgerin von Bischof Martin Hein (Kassel), der nach 19 Jahren in den Ruhestand geht. Beate Hofmann, Professorin für Diakoniewissenschaft an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel lag deutlich vor ihrer Mitbewerberin, der Pröpstin für Nord-Nassau, Annegret Putkammer (55, Herborn) und übertraf die nötige Zweidrittelmehrheit. Einen neuen Bischof bekommt die Mitteldeutsche Kirche: Friedrich Kramer. Der 54-jährige bisherige Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt folgt auf Bischöfin Ilse Junkermann. Friedrich Kramer setzte sich im dritten Wahlgang gegen die sächsische Superintendentin Ulrike Weyer (Plauen) und den Pfarrer Karsten Müller (Halle/Saale) durch. Der in Greifswald geborene Kramer studierte Theologie in Berlin, war Gemeindepfarrer in SachsenAnhalt und dann zwölf Jahre Pfarrer für StuAUGUST 2019

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dentenseelsorge in Halle/Saale, bevor er 2009 Studienleiter für Theologie und Politik an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt sowie deren Präsident wurde. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 20/2019 vom 15. Mai 2019, S. 30, Ost)

Britischer Kirchenhistoriker ­Diarmaid MacCulloch erhielt ­Leopold-Lucas-Preis Den alle zwei Jahre treuhänderisch von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen vergebenen Leopold-Lucas-Preis erhielt in diesem Jahr der seit 1997 an der Universität Oxford lehrende Professor für Kirchengeschichte Diarmaid MacCulloch. Der mit 50  000 Euro dotierte Leopold-Lucas-Preis erinnert an den 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt verstorbenen jüdischen Gelehrten und Rabbiner Leopold Lucas. Mit diesem Preis werden hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung und Philosophie gewürdigt. Diarmaid MacCulloch sieht Religion weltweit auf dem Vormarsch. Die vor 50 Jahren

unter westlichen Akademikern beliebte These, der zufolge sich die Welt säkularisieren werde, habe sich nicht bestätigt. Als Beispiele nannte er, dass sich amerikanische Präsidenten inzwischen als »wiedergeboren« bezeichneten und in der islamischen Welt religiöse Führer die Politik kontrollierten. Europa ist dem Kirchenhistoriker zufolge in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Eine Wiederbesinnung auf das in Europa angestammte Christentum ist wohl tatsächlich nicht zu beobachten. Dennoch, ohne Religion ist man da aber beileibe nicht. Glauben auch viele, selbst ein nicht geringer Prozentsatz der Kirchenmitglieder, nicht – mehr – an den dreieinigen Gott, so hängen sie vielfach einer Ersatzreligion an, die sich grob, zum einen an einer geradezu Digitalisierungsversessenheit und zum andern in einer »Klimareligion« zeigt, die deren Anhänger das Klima retten lassen will; die großen Zuwächse der »Grünen« bei der Wahl zum EU-Parlament am 26. Mai und bei den gleichzeitig stattfindenden badenwürttembergischen Kommunalwahlen sind Ausdruck dafür. (Quelle der Nachricht: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 20/2019 vom 19. Mai 2019, S. 2, nach epd)

Aus dem Pietismus »Ich habe meine Firma immer als Gottes Betrieb gesehen, nicht als meinen persönlichen« Der Verleger Friedrich Hänssler ist im gesegneten Alter von 92 Jahren heimgegangen –– Ein Nachruf Nur wenige Wochen nach Vollendung seines 92. Geburtstages ist Anfang Mai nach kurzer Krankheit Friedrich Hänssler heimgegangen. Mit ihm verstarb eine große Verlegerpersönlichkeit, ein aufrichtiger Christenmensch, ein einflussreicher, im Pietismus verwurzelter Theologe und vorzüglicher Musikkenner. Er selbst verstand sich als Bibel- und Musikmissionar. Mit der preisgekrönten Gesamteinspielung von Johann Sebastian Bachs Werk auf 172 CDs, was freilich ein verlegerisches Risiko war, und mit den Liederbuchserien »Jesu Name nie verklinget« und »Feiert Jesus«, die jeweils eine Millionenauflage erreichten, konnte er Verlags- evt. sogar Musikgeschichte schreiben. Doch von INFORMATIONSBRIEF 317

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Erfolg zu Erfolg taumelte der Vater von sechs Kindern nicht. Vor allem aufgrund technischer Defekte geriet der Verlag in wirtschaftliche Schwierigkeiten und so musste Friedrich Hänss­ ler 2002 an seinem 75. Geburtstag Insolvenz anmelden. Doch Friedrich Hänssler gab nicht auf. »Niemals aufgeben, auch wenn es hoffnungslos aussieht, Gott hat einen Plan und lässt dich niemals allein!« Das war die Überzeugung des evangelischen Verlegers. Am Schluss wurde es gut: Der insolvente Hänssler Verlag wurde in die Stiftung Christliche Medien integriert und gehört nun schon seit Jahren zum 2007 gegründeten SCM-Verlag. Nach seinem Studium der evangelischen Theologie und der Musikwissenschaft trat er 1951 in den Verlag ein und übernahm 1959 den von seinem Vater Friedrich Hänssler Senior (1892–1972) geführten Verlag. Damals war dieser ein ausschließlicher Musikverlag. Friedrich Hänssler Senior hatte diesen 1919 in StuttgartPlieningen gegründet – aus einer Not heraus: 23


Für sein Lied »Auf Adlers Flügeln getragen« fand er keinen Verleger. In der Zeit von 1939 bis 1945 geriet der Verlag mit den Nationalsozialisten in Konflikt, weil er den zwar jüdisch geborenen, jedoch zum Protestantismus konvertierten und großartige Kirchenmusik schaffenden Felix Mendelssohn Bartholdy (Oratorien: »Paulus« und »Elias«) im Programm hatte. 1941 traf ihn ein Verlagsverbot. Nach Kriegsende konnte er seine Arbeit wieder aufnehmen. Eine starke Verbundenheit mit Israel zeichnete Friedrich Hänssler aus. Dafür wurde er mit der Auszeichnung »Gerechter unter den Völkern« bedacht. Das ist freilich nur eine der zahlreichen Auszeichnungen, die er erhielt, wobei er nicht viel Aufhebens darum machte. Hinzu kommen das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg, die Brenz-Medaille in Silber und damit die höchste Ehrung der württembergischen Landeskirche. Friedrich Hänssler hat diese Ehrungen, wie wohl kaum ein zweiter, verdient, betrachtet man, abgesehen von seinem verlegerischen Tun die zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten und das damit verbundene große Engagement in Kirche, Pietismus (Kirchen)Musik und Kultur. Er war in der Kammer für Publizistik der EKD und leitete 22 Jahre den Württembergischen Brüderbund (heute Christusbund). 1977 hatte er erstmals am Nationalen Gebetsfrühstück in den USA teilgenommen. Davon angetan wurde er zusammen mit dem langjährigen Landtagsabgeordneten Rudolf Decker (Böblingen) Initiator des Gebetsfrühstücks im Bundestag. Für Menschen in Verantwortung und Politik war Friedrich Hänssler Ermutiger und Seelsorger. Mit dem bedeutenden Kirchenmusiker, dem weltbekannten Bach-Interpreten Helmuth Rilling, den er seit Studienzeiten kannte, verband ihn eine bis an sein Lebensende währende Freundschaft. Für beide ist Johann Sebastian Bach der größte Komponist aller Zeiten. Bis 1972 war Hänssler ein reiner Musikverlag. Erst dann kamen profilierte evangelische Bücher hinzu, Bibelübersetzungen und Bibelkommentare. Für einige Jahre verlegte er auch das Losungsbuch der Herrnhuter Brüdergemeine. Auch wenn der Buchverlag mit der Zeit an Umfang die Musikabteilung übertraf, so nahm er im Musikbereich keine Abstriche vor. Der schon bald expandierende Verlag zog zunächst nach Neuhausen auf den Fildern und von dort 1999 nach Holzgerlingen. Im Rückblick auf die Verlagsinsolvenz und dessen Verlust sagte Friedrich Hänssler vor seinem 90. Geburtstag: »Manche Leute wundern sich, 24

wenn ich das sage, aber: Ich habe meine Firma immer als Gottes Betrieb gesehen, nicht als meinen persönlichen. Deshalb konnte ich damit umgehen, dass sie mir genommen wurde.« So machte Friedrich Hänssler denn auch als Berater im Verlag weiter. 2016, nach 65 Jahren, wurde er, 89-jährig, verabschiedet. Wohl keiner der zahlreichen Mitarbeiter im Verlag hat so viel gelesen wie er; er wollte sich selbst davon überzeugen, was veröffentlicht wird. Als im April der Verlag sein 100-jähriges Bestehen feierte, konnte Friedrich Hänssler krankheitsbedingt nicht mehr teilnehmen. In seiner Rede zu diesem Anlass, die er selbst nicht mehr vortragen konnte, wünschte er der Kirche, »dass sie wieder Stimme wird, Dienerin und Bevollmächtigte Gottes, Botschafterin der Worte ewigen Lebens, Fackelträgerin in der Finsternis unserer Welt, Wegzeiger im einsamen Gelände«. Über sich selbst sagte er: »Ich bin mir ganz sicher: Ansehen habe ich nur, weil Jesus mich angesehen hat.« Auch der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« war er verbunden; deren Informationsbrief bezog und las er über Jahrzehnte. Aus der Bibel und seinem damit verbundenen, tief verwurzelten Glauben, schöpfte Friedrich Hänssler seine Zuversicht. »Wenn ich nicht täglich in der Heiligen Schrift lese, bin ich nur ein halber Mensch.« Diesen Glaubensmut und die feste Überzeugung, nach dem Abscheiden bei Jesus zu sein, hat er, wie seine Familie mitteilte, auch »in seinen schweren letzten Stunden« sich bewahrt. Nun darf er schauen, was er geglaubt und in vielfältiger Weise bekannt hat. In sehr persönlich gehaltenen Nachrufen haben im Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea) Weggefährten aus (klassischer) Musik (Professor Helmuth Rilling), Liedermacherszene (Professor Manfred Siebald), Wirtschaft (Professor Friedhelm Loh), christlicher Publizistik (Pfarrer Helmut Matthies), Politik (Volker Kauder, MdB) und Berliner Gebetsfrühstück (Christian Greving, von 2000 bis 2002 Assistent Friedrich Hänsslers) den Heimgegangenen gewürdigt. (Quellen des Nachrufs: ideaSpektrum 2019 vom 15. Mai 2019, S. 8, 16f., 18f.; Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 20/2019 vom 19. Mai 2019, S. 18, von Marcus Mockler, epd)

Diakonievorstand Joachim Drechsel wurde 65 Auf 65 Lebensjahre kann Joachim Drechsel zurückschauen. Der 1954 in Reichenbach im Vogtland Geborene ist noch bis Anfang 2020 Vorstandsvorsitzender der Stiftung des AUGUST 2019

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Deutschen Gemeinschafts-Diakonissenverbandes (DGD), in dem acht DGD-Kliniken und die DGD-Akademie zusammengeschlossen sind. Drechsel, promovierter Theologe, war von 1981 bis 1988 Lehrbeauftragter an der Evangelischen Fakultät der Universität Halle, anschließend Sekretär des Evangelisch-Kirchlichen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes in der DDR. 1983 leitete er die Gnadauer Brasilienmission (Schwieberdingen bei Stuttgart), bevor er 1994 zur DGD nach Marburg wechselte. Er war einer der wenigen Christen aus dem Osten, die nach der Wiedervereinigung eine gehobene Position im Westen übernahmen. 2017 erhielt Joachim Drechsel für seine Verdienste um Diakonie und Kirche mit dem Goldenen Kronenkreuz die höchste Auszeichnung der Diakonie. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 20/2019 vom 15. März 2019, S. 14, Von Personen)

Sächsischer Gemeinschaftsverband bekommt neuen Inspektor

Cornelius Haefele neuer Personalvorstand der Apis Neuer Personalvorstand des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg »Die Apis« wird ab 1. September der Theologe und Lebensberater Cornelius Haefele (48, Gomaringen bei Tübingen). Er folgt auf Günter Blatz, der diesen Posten 15 Jahre lang innehatte und nun Pfarrer der württembergischen Landeskirche ist. Haefele studierte evangelische Theologie in Tübingen und am deutschen Zweig der Columbia International University in Korntal. Darauf war er sieben Jahre im hautamtlichen Dienst bei den Apis beschäftigt. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Lebensberater. In den vergangenen zwölf Jahren war er in den Bereichen Verkündigung, Mitarbeiterfortbildung, Seelsorge und Lebensberatung, Psychotherapie und Coaching tätig. Der Verband »Die Apis« hat 300 Gemeinden und Gemeinschaftsgemeinden in Württemberg und dem bayerischen Allgäu. Er erreicht monatlich rund 13000 Besucher.

Jörg Michel löst Mattias Dreßler nach 32 Jahren ab

(Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 16/2019 vom 17. April 2019, S. 36, Südwest)

Der hessische Theologe und Naturwissenschaftler Jörg Michel (52, Biebertal bei Gießen) ist der neue Landesinspektor des Sächsischen Gemeinschaftsverbandes. Der Diplombiologe wuchs in Hessen auf und arbeitet dort nach Studium und Promotion zunächst als Naturwissenschaftler an den Universitäten Gießen und Cottbus-Senftenberg. Nach einem berufsbegleitenden Theologiestudium war er von 2009 bis 2015 Studienleiter für den Bereich »Naturwissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung« an der Evangelischen Akademie Meißen. Zudem übernahm er von 2013 bis 2015 kommissarisch die theologisch-pädagogische Leitung beim Haus der Kirche in Dresden. Seit 2016 hat er eine Firma für Unternehmenskommunikation, die er aber mit der Übernahme seines neuen Amtes nicht weiterführen will. Er gehört auch dem Bruderrat (Leitung) des bundesweit tätigen Gemeindehilfsbundes (Walsrode) an. Michels Vorgänger Matthias Dreßler (65) war im Juni 1987 zum Inspektor (Leitender Prediger) gewählt worden. Der Sächsische Gemeinschaftsverband, in dem sich 80 Hauptamtliche und 2000 Ehrenamtliche engagieren, arbeitet heute an 405 Orten und erreicht jede Woche rund 9 000 Personen.

Er lebte für die Bibel

(Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 10/2019 vom 7. März 2019, S. 30, Ost)

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Ulrich Fick mit 95 verstorben Der ehemalige Generalsekretär des Weltbundes der Bibelgesellschaften (United Bible Societies; UBS), Ulrich Fick, ist im Alter von 95 Jahren in Schorndorf bei Stuttgart heimgegangen. Der 1923 in Heilbronn Geborene war von 1973 bis zu seinem Ruhestand 1989 Generalsekretär der UBS. In diesem Amt koordinierte er von der damaligen Zentrale in Stuttgart aus weltweit mehr als 100 Bibelgesellschaften. Ab 1956 war er erster Rundfunkpfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Von 1961 bis 1967 war er Programmdirektor des evangelischen Missionssenders »Radio Voice of the Gospel« in Äthiopien. Anschließend war er im Kollegium des Stuttgarter Oberkirchenrats Leiter des Referats für Mission, Ökumene und Öffentlichkeitsarbeit. Ulrich Fick erhielt mehrere internationale Auszeichnungen für seine theologische und publizistische Arbeit, unter anderem zwei Ehrendoktorwürden: Budapest 1979 und Manila 1982. Auch in seinem lange währenden Ruhestand widmete sich Ulrich Fick der weltweiten Verbreitung der Bibel. (Quellen der Nachricht: ideaSpektrum 16/2019 vom 17. April 2019, S. 37, Südwest und Württembergisches Pfarrerverzeichnis, Ausgabe 1988, S. 38)

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Veranstaltung der Bekenntnisbewegung

Retterliebe oder Rechthaberei? »Evangelisation braucht Bekenntnis und Bekenntnis verlangt E ­ vangelisation« Bekenntnistag am 19. Oktober 2019 in Kassel mit Ulrich Parzany und Thomas Kothmann Vor drei Jahren rief Ulrich Parzany das »Netzwerk Bibel und Bekenntnis« ins Leben. Einige fühlten sich an den Aufbruch der Bekenntnisbewegung 1966 erinnert, als Evangelisten wie Gerhard Bergmann und wissenschaftliche Theologen wie Professor Walter Künneth die Gläubigen dazu aufriefen, bei dem alten Evangelium der Bibel zu bleiben und weiterhin dem auferstandenen Herrn Jesus Christus zu vertrauen – und sich nicht beirren zu lassen durch eine Theologie, die ein Christentum ohne den lebendigen Christus propagierte und wenig später eine unheilige Allianz mit der Ideologie des Neomarxismus eingehen sollte. Die Früchte dieser Verbindung ernten wir heute indem die Enkel der 68er, nach dem »Marsch durch die Institutionen« auf Kanzeln und Kathedern, Bischofsstühlen und Ministersesseln angekommen, dem vernünftigen Denken und dem biblischen Glauben zugleich den Abschied geben zugunsten einer Zivilreligion, die durch die Abschaffung aller Gegensätze – zwischen gut und böse und zwischen wahr und falsch und aller Unterschiede – zwischen Geschlechtern und Kulturen und Religionen – den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten versuchen. In dieser schönen neuen Welt braucht es keine Evangelisation mehr, denn mit der Sünde ist

ja auch das Gericht abgeschafft und Rettung nicht mehr nötig. Und Bekenntnisse können bei der allgemeinen Harmonisierung aller Gegensätze nur stören. Aber die Wirklichkeit richtet sich weder nach den Wünschen der Mächtigen noch nach wechselnden Mehrheiten. Und der lebendige Gott wird die Ordnungen seiner Schöpfung nicht aufheben, weil die Menschen es gerne anders hätten. Gottes Urteil über die Sünde steht unverändert und sein Gericht fällt nicht aus. Aber die Kirche hat das unglaubliche Vorrecht und die heilige Pflicht, den Weg zur Rettung aus dem Gericht zu weisen, indem sie Menschen zum Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus ruft, wie die Bibel ihn bezeugt. Wie 1966 steht auch heute neben dem Evangelisten der wissenschaftliche Theologe: Dr. Thomas Kothmann ist Professor für Religionspädagogik und als zweiter Obmann (Vorsitzender) der Gesellschaft für innere und äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche in Neuendettelsau verantwortlich für das Magazin CA, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Grundlagen der Kirche in Bibel und Bekenntnis ebenso klar wie verständlich dem Zeitgeist entgegenzusetzen.

Wem es ein Anliegen ist, dass der Ruf zum Glauben auch in Zukunft weiterhin in biblischer Klarheit und gewinnender Liebe erklingt, und an seinem Teil dazu beitragen möchte, der wird an diesem Tag Ermutigung und Wegweisung erfahren. Zugleich ist der Tag eine gute Gelegenheit, die glaubensstärkende Gemeinschaft mit anderen bekennenden missionarisch gesinnten Christen zu erleben. Darum schreiben Sie diesen Termin schon jetzt in Ihren Kalender! Laden Sie ein! Sie können dazu beitragen, dass möglichst viele Christen und Gemeinden am Segen dieser ­Veranstaltung teilhaben. Als Hilfe dazu werden wir einen Handzettel erstellen, den Sie zum Weitergeben an Freunde und Bekannte oder im Hauskreis und zum Auslegen in Kirche und Gemeindehaus schon jetzt in beliebiger Anzahl in der Geschäftsstelle bestellen können (Anschrift auf der vorletzten Seite). AUGUST 2019 INFORMATIONSBRIEF 317 26


Kinder willkommen Haben Sie Kinder? Bringen Sie sie mit. Es gibt einen Eltern-Kind-Raum mit ­Tonübertragung, in dem die Kinder spielen können, ­während Sie die Vorträge über Kopfhörer verfolgen können.

Programm 10 Uhr Ankommen – Kaffee und Begegnung 10.30 Uhr Eröffnung 10.45 Uhr »Es gilt ein frei Geständnis in dieser unsrer Zeit …« Christliche Glaubensverantwortung heute (Professor Dr. Thomas Kothmann) 11.45 Uhr Kaffeepause 12 Uhr »Retterliebe oder Rechthaberei?« (Pfarrer Ulrich Parzany) 12.30 Uhr Aussprache 13 Uhr Mittagessen wird g ­ ereicht. Eine ­Spende zur Deckung der Kosten wird erbeten. 14 Uhr Was können wir tun? Gespräch mit den Referenten über das am Vormittag Gehörte, praktische Folgerungen, bewährte und neue Wege, das Evangelium zu bezeugen. 15 Uhr Kaffeepause Gelegenheit zu Seelsorge und Beichte 16.15 Uhr »Die Wahrheit wird euch frei machen« –– Abendmahlsgottesdienst Predigt: Pastor Johannes Frey Vorsitzender der Bekenntnis­bewegung 17.45 Uhr Ende

Übernachtung Benötigen Sie eine Übernachtungsmöglichkeit vom 18. auf den 19. bzw. vom 19. auf den 20. Oktober in Kassel? Dann wenden Sie sich an Dr. med. Holger Tubbesing (0561/61929) holger.tubbesing@web.de Tagungsort L4 – Evangelische Gemeinschaft Kassel e. V. Leuschnerstraße 72b 34134 Kassel

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Anreise mit dem ­Zug Zielbahnhof ist »Kassel-Wilhelmshöhe«. Von dort aus:

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Anreise mit dem Auto Über die Frankfurter Straße und Leuschner­straße oder die Eugen-Richter-Straße und ­Leuschnerstraße. Parkplätze sind vorhanden.

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Konferenz Bekennender Gemeinschaften Evangelium statt Zivilreligion –– Kirche muss Kirche bleiben Thesen der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den ev. Kirchen Deutschlands (KBG)

1. Christen sind immer auch Teil der Gesellschaft. Daher besteht die Versuchung, die Inhalte des christlichen Glaubens und Lebens an die jeweiligen demokratisch legitimierten gesellschaftspolitischen Prozesse und ihre Vorgaben anzupassen. 2. Dieser Versuchung war die Evangelische Kirche in ihrer Geschichte vielfach erlegen in Zeiten verschiedener Ideologien, wie zum Beispiel in der Zeit des Rationalismus, (National)Sozialismus, Kommunismus, Feminismus u. a. 3. Auch heute ist festzustellen, dass evangelische Kirchenleitungen, Synoden und Gremien sich von zeitgeistbestimmten demokratisch legitimierten Mehrheitsentscheidungen in Gesellschaft und Politik leiten lassen, auch wenn sie im Widerspruch zum Wort Gottes und dem christlichen Bekenntnis stehen. 4. Hier vollzieht sich »Zivilreligion«: Die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung bestimmt weitgehend kirchliche Entscheidungsprozesse in Fragen des Glaubens und der Ethik. Dabei gilt: Auch Parlamente und Synoden können irren. 5. So wird zum Beispiel die bibel- und bekenntniswidrige »Ehe für alle« kirchenamtlich unterstützt. 6. Der Ruf zum Glauben an Jesus Christus als den einzigen und wahren Erlöser wird relativiert mit dem Hinweis, dass Juden, Moslems und Christen denselben Gott anbeten. Jesus Christus ist dann nicht mehr »der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Johannes 14,6).

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7. Innerweltliche Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung (Klimadebatte) und die damit gegebenen moralischen Forderungen haben Vorrang vor der Verkündigung der großen Hoffnung der Erlösung der Welt von der Macht des Todes zum ewigen Leben durch Jesu Kreuz und Auferstehung. 8. Der biblische Ruf zur Umkehr, der Ruf aus der Sünde und Trennung von Gott, die aktive missionarische Weitergabe der Grundlagen des Glaubens und des Evangeliums wird ersetzt durch regelmäßige polit-moralische Forderungen zur Verwirklichung des Reiches Gottes, der Weltverbesserung und demgemäß angepasster Religiosität im Sinne einer Wohlfühlreligion. 9. Wir halten daran fest, dass Kirche heute nur Kirche sein kann, wenn sie das Wort Gottes als bleibende Autorität und Norm ernst nimmt, wenn sie festhält an den unverrückbaren Glaubensinhalten und ihrem Bekenntnis, wenn allein Jesus Christus als Mitte kirchlichen Handelns bezeugt wird. 10. Wenn die Zivilreligion das kirchliche Leben und Handeln bestimmt, verliert die Kirche ihre Identität und macht sich überflüssig. Die evangelischen Landeskirchen in Deutschland sind auf dem Weg zivilreligiöser Anpassung. Wir fordern daher eine Erneuerung der Kirche, eine dringende Umkehr zu Schrift und Bekenntnis, damit Kirche Kirche bleibt. Kassel, 1. Juni 2019 gez. Pastor Ulrich Rüß, Vorsitzender

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Buchrezension Digitalisierung als Weltanschauung Wie die rigorose Vernetzungspolitik mit 5G-Mobilfunk ideologische Züge offenbart Kaum ist Werner Thiedes Broschüre zu Digitalisierung und 5G-Mobilfunk erschienen (»Die digitale Fortschrittsfalle«, 90 Seiten, 6,- Euro, siehe Besprechung im Informationsbrief Nr. 313, Dezember 2018, S. 28ff., inzwischen schon 2. Auflage), kommt aus seiner Feder auch schon eine digitalisierungs­kritische Folgebroschüre im selben Verlag heraus. Das – und überhaupt das Verlagsprogramm, das eine ganze Reihe von Schriften zur Digitalisierung aufweist – macht deutlich, welche Dringlichkeit diesem Thema eignet. Das schon deshalb, weil in weiten Teilen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft quer durch sämtliche Schichten und Parteiungen hinweg Vorzüge und Unausweichlich­ keiten fortschreitender Digitalisierung angepriesen werden, deren Schattenseiten und Verlierer jedoch kaum ernsthaft zur Sprache kommen. Diese Verlierer des ausgreifenden technologischen Um- und Ausbaus haben eben keine durchdringende, starke Lobby in einer von »Überwachungskapitalis­mus« dominierten, ja beherrschten Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur. In dieser neuen Broschüre geht der Theologieprofessor Werner Thiede zwar dasselbe Thema wie in seiner ersten an, aber »aus etwas anderer Perspektive«, nämlich als Weltanschauungsexperte (S. 5): Als solcher zeigt er auf, wie »digitale Revolution gegenwärtig ihren ideologischen Kern offenbart«, »den sie wie jede andere Revolution auch hat« (ebd.). Zumal die Digitalisierung nicht weniger als eine Revolution ist, wohnt ihr ein Totalitarismus inne, ja sie zeigt sich als »neue Religion«. Nun erlaubt Totalitarismus keinen Widerstand, und Religion kann kaum infrage gestellt werden. Digitale Optimierung trägt zudem die Verführung zum Totalitären in sich (S. 44). Im Rahmen des digitalen Paradigmas erhalten Mahner kaum Raum und werden Hinweise auf gesundheitliche Risiken (etwa mangelnder Strahlenschutz) ignoriert oder abgetan. Selbst Hinweise auf die Anfälligkeiten des »Netzes« für das Eindringen Unbefugter und deshalb mangelnde (Daten)Sicherheit werden gern übergangen. Der Schutz der Bewohner steht aber grundrechtlich vor wirtschaftlichem Erfolg und Wachstum – was geflissentlich übergangen wird. Aufgabe der INFORMATIONSBRIEF 317

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Kirche(n) wäre es in dieser gesamtgesellschaftlichen Situation, aufgrund einer an der Heiligen Schrift orientierten Ethik zu intervenieren. Doch dies unterbleibt großenteils, wie Thiede moniert: Lieber springen Kirchen auf den »Digitalisierungszug« auf, machen sich stark für Hotspots und W-Lan in Gemeindehäusern, ja für Sendemasten auf Kirch­türmen – wobei mit Geldeinnahmen und mit missionarischen Chancen im Internet argumentiert wird, ohne dass sich die Verantwortlichen darauf besinnen, welcher Schaden angerichtet wird. Nicht von ungefähr haben über 90 000 Menschen (darunter viele Wissenschaftler, z. B. Ernst Ulrich von Weizsäcker) einen internationalen Appell unterzeichnet, der einen Stopp beim Ausbau des gesundheitlich riskanten 5G-Mobilfunks fordert. Weil der Anspruch der Digitalisierung im Grunde ein totalitärer ist, der formen und steuern will, ist »der Internetzentrismus zu einer Art Religion geworden« – die meisten »Internetdenker huldigen einem imaginären Gott eigener Schöpfung und wollen die Wahrheit nicht erkennen« (S. 62). Werner Thiede weist darauf hin, dass damit stillschweigend eine revolutionäre Veränderung der christlichen Botschaft einher geht: An die Stelle der gnadenhaften Erlösung des Menschen, die durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ermöglicht ist, tritt in der »Digitalreligion« die »Selbsterlösung durch die Technik« (ebd.). In Anbetracht dessen, dass der »Digitalismus« tendenziell totalitäre und ersatzreligiöse Züge trägt, erscheint es schwierig, dass er in dem Maße ins kritische Blickfeld gerät, wie dies derzeit immerhin beim Umweltschutz im Allgemeinen geschieht. Dabei hat auch das Digitale eine ökologisch problematische Dimension, wie die Broschüre verdeutlicht. Dennoch hat Thiede die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass sich Verantwortungsträger gegenüber ethischen, medizinischen und baubiologischen Argumenten nicht dauerhaft verschließen, sich vielmehr schützend vor die durch die Digitalisierung zunehmend Bedrängten stellen, ja zum Widerspruch ermutigen, wo Freiheit und Selbstbestimmung bedroht und Wahrheiten unterdrückt werden. Kann es nicht doch noch zu einer gesellschaftspolitischen Besinnung kommen, die sich gegen mächtige Internet- und Mobilfunk-Konzerne und deren Lobby stellt? Wann werden endlich Alternativtechnologien näher geprüft mit dem Ziel, dass alternative 29


Technologien unbedingt mit angeboten werden müssen? Thiede ruft auch dazu auf, sich angesichts der Digitalisierung, die seelische Zer­ streuung, ja »digitale Demenz« bewirkt, wieder mehr auf den inneren Menschen zu besinnen und sich so zumindest individuell aus der Herrschaft des Digitalen zu befreien. Viel Material hat der Pfarrer und Publizist in seiner neuesten Broschüre verarbeitet: fast 300 teils umfangreiche Fußnoten zählt seine Broschüre; vier Seiten umfassen seine Literaturhinweise, wobei in dieser Liste nicht einmal alle von ihm eingesehene und zitierte (Fach-)Literatur genannt ist. Die auch preislich recht günstig gehaltene Broschüre ist sehr zu empfehlen. Sie kann direkt beim Verlag oder auch im Buchhandel bezogen werden. Walter Rominger

Werner Thiede Digitalisierung als Weltanschauung. Wie die rigorose Vernetzungspolitik mit 5G-Mobilfunk ideologische Züge offenbart Bergkamen 2019, pad-Verlag Am Schlehdorn 5, 59192 Bergkamen www.pad-verlag.de 90 Seiten, 9,– Euro ISBN 978-3-88515-304-1

Die Vorträge des Studientages 2018 von Professor Dr. Dr. Rainer Mayer zum Thema »Bekennende Kirche werden. Die Bedeutung der Seelsorge für die Kirche der Zukunft« sind zum Nachhören und zum Weiter­geben auf Tonträger erhältlich (als Audio-CD oder MP3) bei: Helmut Schlee · Gartenstraße 15 a · 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (02845) 9490950 · E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de PS: Sowohl von den Vorträgen des Studientages 2017 von Pfarrer Thomas Hilsberg zum Thema »Einer für alle: Christus allein« als auch vom Studientag 2016 mit Dr. Uwe Siemon-Netto sind noch Aufnahmen vorhanden und ­ebenfalls bei Helmut Schlee zu erhalten.

Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns« und »Ist Gott interreligiös?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden.

Mitarbeiter an diesem Heft: Pfarrer Karl Baral Kusterdinger Straße 1 72127 Kusterdingen

Pfarrer Dr. Hans-Gerd Krabbe Bernhard-Früh-Straße 11 77855 Achern-Oberachern

Pfarrer Dr. Bernhard Bonkhoff Marktplatz 11 66424 Homburg

Rektor Friedrich Rößner Diakonie-Gemeinschaft Puschendorf Konferenzstraße 4 90617 Puschendorf

Pastor Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (0421) 5228910 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de

Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de Professor Dr. Werner Thiede Richard-Wagner-Straße 8 75242 Neuhausen

Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Die Meinung des Verfassers deckt sich nicht in allen Fällen mit der des Schriftleiters.

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Geschäftsführender Ausschuss Vorsitzender Pastor Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: cmschunn@gmail.com Helmut Schlee Gartenstraße 15 a 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (0 28 45) 9 49 09 50 E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Bitte nutzen Sie nur noch Einzahlungsscheine ab Heft April 2016.

Nachsendeanträge bei der Post kommen bei der Bekenntnisbewegung nicht als Adressänderung an. Deshalb auch bei Umzügen die Adressänderung durch untenstehenden Abschnitt an die Geschäftsstelle weitergeben.

Impressum: Herausgeber und Verlag: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. – zweimonatlich, kostenlos – Redaktion: Walter Rominger Satz und Layout: Grafisches Atelier Arnold, Dettingen an der Erms Druck: BasseDruck, Hagen ISSN 1618-8306 Fotos/Abb. auf Seite: 3: Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, StagiaireMGIMO | 5 o.: Wikimedia Commons, public domain; m.: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Gabriel Cork | 7: Wikimedia Commons, public domain | 30: pad-Verlag | restliche privat.

Für Neubestellung, Adressänderung und Abbestellung ausschneiden und einsenden an: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Geschäftsstelle: Mehlbaumstraße 148, 72458 Albstadt Bei Neubestellung des Informationsbriefes erhalten Sie von uns eine Einwilligungs-Erklärung, die Sie bitte ausfüllen und unterschrieben an die Bekenntnisbewegung zurück schicken. Personenbezogene Daten unserer Bezieher werden in einer sicheren Datenbank gespeichert. Die Daten sind vor fremdem Zugriff sicher geschützt. Die Daten werden ausschließlich zur eigenen Bestell-, Liefer- und Spendenabwicklung verwendet. Weitergehende Daten werden nicht gespeichert. Nicht mehr benötigte Daten werden turnusgemäß gelöscht (gemäß Datenschutzrecht).

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(Zutreffendes bitte ankreuzen)

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Neue Adresse (nur bei Adressänderung): Name Vorname Straße/Haus-Nr.

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Rechtfertigung ist dies Wunder, dass Christus an unsere Stelle tritt und wir an die seine. Emil Brunner (1889 – 1966)


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