Informationsbrief Dezember 2018

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Predigt zu Lukas 1,26–38 Weihnachten – ein Fest voller Symbole und Bräuche Der menschliche Körper: Ein Ersatzteillager? Über den Wert der Hausbesuche Aus Kirche und Gesellschaft Aus den Bekennenden Gemeinschaften Bekenntnistag in Kassel Buchrezensionen

ISSN 1618-8306

Dezember 2018 Nr. 313

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Kirche in Deutschland Kritik an ­Reformationsdekade

Die Feierlichkeiten zum Lutherjubiläum im vergangenen Jahr auf zehn Jahre auszudehnen, war ein strategischer Fehler. Das erklärte der Erlanger Theologe Anselm Schubert. »Man wollte einen Aufbruch feiern, aber ein Aufbruch dauert nicht zehn Jahre.«

Katholische Kirche Papst ernennt Laien

Papst Franziskus hat erstmals einen Laien an die Spitze einer wichtigen Kurienbehörde gesetzt. Er ernannte den italienischen Journalisten Paolo Ruffini zum Leiter des Mediensekretariats des Heiligen Stuhls.

Ökumene Weltkirchenrat tagt 2021 erstmals in Deutschland

Erstmals in der Geschichte des Ökumenischen Rates der Kirche (ÖRK) wird die Vollversammlung 2021 in Deutschland tagen. Die EKD hat zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und der Evangelischen Landeskirche in Baden nach Karlsruhe eingeladen. Mitbewerberin war auch das südafrikanische Kapstadt. Veranstaltungen werden auch im französischen Straßburg stattfinden, so dass es sich um die erste grenzüberschreitende 2

Vollversammlung des ÖRK handelt. Der 1948 gegründete ÖRK repräsentiert mehr als 500 Millionen Christen in 350 protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen. Die Vollversammlung ist das oberste Entscheidungsgremium. Sie findet alle acht Jahre mit etwa 4 000 Delegierten und internationalen Gästen statt.

Leitungsdienst von diesem Amt zurück. Bis zum 31. Dezember soll durch einen Ausschuss ein neuer Rektor gefunden und eingearbeitet werden.

Pietismus

Neue Geschäftsführung bei Orientierung: M

Früherer Schatzmeister Gnadaus †

Der frühere Schatzmeister des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Bankdirektor i. R. Georg Krause (Hessisch-Lichtenau bei Kassel), ist im Alter von 82 Jahren heimgegangen. Seit 1989 war er Schatzmeister von Gnadau, zunächst für Gnaudau-West, zwei Jahre später für den wiedervereinigten Gemeinschaftsverband. Er gehörte bis 2006 dem Vorstand der Dachorganisation an.

Mission

Akademie für Weltmission heißt jetzt AWM

Die »Akademie für Weltmission Korntal gGmbH (bei Stuttgart) hat sich umbenannt und heißt jetzt »AWM gGmbH« (»Akademie.Welt. Mission«). Zudem tritt der 56-jähige Traugott Hopp auf Jahresende nach 16 Jahren

Im Juni 2017 berief der Vorstand von Orientierung: M (Dortmund) Dr. Thorsten Grahn als Geschäftsführer. Dieser nahm die Berufung an mit der Perspektive, dass bis spätestens 30. Juni 2018 eine geeignete Nachfolge gefunden wird. Am 1. Juli hat Ute Kühne die Geschäftsführung von Orientierung: M e. V. übernommen. Sie kommt mit Erfahrungen in die Geschäftsführung. Wechsel im Vorstand des EDI

Seit Frühjahr hat der Evangeliumsdienst für Israel (EDI) einen neuen Vorsitzenden, Pfarrer Markus Hägele. Seit vielen Jahren war Hägele im Trägerkreis des EDI und seit drei Jahren stellvertretender Vorsitzender. Aus beruflichen Gründen hat Pfarrer Johannes Luithle, der jetzt im Hauptberuf Direktor der Liebenzeller Mission ist, seinen Vorsitz weitergereicht. Er bleibt aber im Trägerkreis des EDI. Neue Stellvertreterin ist Gabriele Miller.

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Innere Mission Stadtmission eröffnet Buchhandlung

Seit dem vergangenen Juli betreibt die Berliner Stadtmission in ihrem Zentrum am Lehrter Bahnhof die Buchhandlung »Blattgold« in den Räumen des ehemaligen Cafés »Innehalt«. Christliche Literatur steht im Fokus.

Bibel Revidierte Lutherbibel gefragt

Die revidierte Lutherbibel 2017 ist in den Jahren 2016 und 2017 über 510 000-mal verkauft worden. Darüber hinaus wurde die kostenlose Bibel-App mit dem revidierten Luthertext 211 000-mal heruntergeladen. Schwerpunkt der Arbeit der Bibelgesellschaft ist derzeit die »BasisBibel«, von der bisher das Neue Testament und die Psalmen vorliegen. Bis Herbst 2019 soll das Alte Testament abgeschlossen sein. Die »BasisBibel« soll 2020 auf den Markt kommen. Roland Werner (Marburg) erhielt als Anerkennung seiner Arbeit als Bibelübersetzer und Evangelist die Canstein-Medaille. 50 Jahre Übersetzung Gute Nachricht

»Gute Nachricht für Sie – NT 68« hieß damals die Übersetzung. Anfang der 1960erJahre hatten Theologen, aber auch Journalisten damit begonnen, das Neue Testament in ein modernes Deutsch zu

übersetzen, das auch für Kirchenferne gut verständlich sein sollte. Es dauerte aber noch weitere 14 Jahre, bis dann 1982 auch das Alte Testament und damit die ganze Bibel vorlag: »Die Bibel in heutigem Deutsch. Die Gute Nachricht des Alten und Neuen Testaments«.

Ausbildung 70 Jahre SELK-Hochschule

Die kleinste Hochschule Deutschlands, die Lutherische Theologische Hochschule der Selbständigen EvangelischLutherischen Kirche (SELK) in Oberursel (bei Frankfurt) besteht seit 70 Jahren. Zurzeit sind 21 Studenten eingeschrieben und werden von fünf Professoren und

Ehrentitel Späte, aber große ­Würdigung

Pfarrer Julius von Jan (1897–1964) erhielt posthum den Ehrentitel »Gerechter unter den Völkern«. Er wird damit für sein Engagement gegen die Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus gewürdigt. Der vom Pietismus geprägte Theologe verbrachte seinen Ruhestand in Korntal.

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«


kurz+bündig drei Dozenten für theologische Sprachen unterrichtet. Die Hochschule steht auch Studenten aus evangelischen Landeskirchen offen; die Ausbildung ist kirchlich anerkannt.

Evangelische Jugend Württemberg: Wechsel im Landesschülerpfarramt

(WHO) in ihrer »Internationalen Klassifikation von Krankheiten« (ICD) fest und korrigiert damit eine frühere Einordnung. In der 11. Auflage der ICD, die Regierungen und Behörden weltweit als Grundlage für die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen gilt, ist Transsexualität stattdessen im Kapitel Sexualgesundheit verzeichnet. Die Streichung von Homosexualität als psychische Störung im ICD erfolgte 1992 und führte in Deutschland zur Abschaffung des Strafgesetzparagraphen 175 zwei Jahre später.

Sabine Schmalzhaf (33), bislang Pfarrerin im Dekanat Herrenberg, ist neue Landesschülerpfarrerin des evangelischen Jugendwerks in Württemberg (ejw). Sie folgte auf Wolfgang Ilg (45), der seit März Professor Lebensrechtsbewegung für Jugend- und Gemeinde­trauert um Manfred Libner arbeit an der Evangelischen Der frühere BundesgeHochschule Ludwigsburg ist. schäftsführer und bayerische Landesvorsitzende der »Christdemokraten für das Leben«, Ethik Manfred Libner ist im vergangenen Spätsommer nach langer Grüne fordern kostenfreien Krankheit im Alter von 60 JahZugang zur Pille ren verstorben. Von 1995 bis Die Grünen fordern kos2005 war er Bundesgeschäftstenfreie Verhütungsmittel führer der Initiative innerhalb für Menschen mit geringem der CDU/CSU und von 2005 Einkommen. Der selbstbebis 2014 Landesvorsitzender in stimmte Zugang zu zuverlässi- Bayern. Zudem war er Gegen und individuell passenden schäftsführer der »Stiftung Ja Verhütungsmitteln müsse für zum Leben« (Meschede) und alle gewährleistet sein, heißt es mehrere Jahre stellvertretender in einem Antrag der GrünenVorsitzender des BundesverBundestagsfraktion. Demnach bandes Lebensrecht. sollen Empfänger von Transferleistungen auch nach dem Diakonie 20. Lebensjahr die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel erstattet bekommen. Zwei große diakonische ­Träger nähern sich an

Transsexualität ist für WHO keine Störung mehr

Transsexualität ist keine psychische Störung, stellt die Weltgesundheitsorganisation 4

Das evangelische Diakoniewerk Schwäbisch Hall und die Diakonie Neuendettelsau prüfen Wege einer unternehmerisch engen Zusammenarbeit.

Weiterer Gesprächspartner ist der Landkreis Schwäbisch Hall mit seinem Klinikum in Crailsheim. Die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft erforderten neue Wege.

Verlagswesen Jubiläum bei Francke

Auf 100 Jahre kann der kleine Verlag der FranckeBuchhandlung, der zwölf Mitarbeiter hat, zurückblicken. Der Marburger Verlag setzt sich der Orientierungslosigkeit entgegen. Der Verlag wurde am 1. Juli 1918 als »Reichsverlag« auf Anregung des Deutschen GemeinschaftsDiakonissenverbandes (DGB) gegründet, 1936 erfolgte die Umbenennung in SpenerVerlag, 1950 in Francke-Buchhandlung. Derzeit sind 579 Titel lieferbar.

Gesellschaft Cybersicherheit: Milliarden Daten ungeschützt

Rund 1,5 Milliarden Dokumente mit sensiblen Daten befinden sich nach Angaben von Forschern weltweit leicht zugänglich im Internet. Es handle sich um Quittungen, Gehaltsauszüge, Steuerinformationen oder Ergebnisse medizinischer Tests, heißt es in einem Bericht der Cybersicherheitsfirma Digital Shadows. Die von Privatpersonen und Unternehmen stammenden Daten seien für jedermann mit minimalen technischen Kenntnissen frei zugänglich.

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Aus Lehre und Verkündigung mm Also ist’s um die Schrift getan: wenn man meint, man hab’s ausgelernt, so muss man erst anfangen.

Martin Luther

mm Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles zur Genüge, wenn er nur Geld und Gut hat oder großes Wissen, Klugheit, Macht, Beliebtheit, Freundschaft und Ehre. Siehe, der hat auch einen Gott; aber nicht den rechten alleinigen Gott.

Martin Luther

mm Gottes Sohn, du kannst bei deinem ewigen ­Vater keine größere Gunst erflehen als nur die, dass er uns mit ähnlicher Zuneigung liebe, wie er auch dich allezeit selber mit Zärtlichkeit liebt. Besseres als dieses Geschenk würde er uns nicht zuwenden können. Christus, lenke und rette auch du mit deiner Macht alle Schwachen! Wirken willst du in uns als das lebendige Wort.

Philipp Melanchthon

Rudolf Bohren (1920–2010)

mm Die Predigt des Gekreuzigten wirkt hohl, wenn der Prediger nichts weiß vom Leiden in der Nachfolge.

Rudolf Bohren (1920–2010)

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Matthias Claudius

mm Es bedarf der Mensch, der gewöhnlich sein Leben in Zerstreuung und Leichtsinn vor sich hinlebt und immer voraneilt, ohne zu wissen, was ihn eigentlich treibt und was er eigentlich will, in seinem Leben von Zeit zu Zeit angehalten und zu sich selbst zurückgeführt zu werden; er bedarf eines Steines am Wege, auf den er sich hinsetzen und in sein vergangenes Leben zurücksehe.

Matthias Claudius

mm Es sollte unter uns m jeden Tag eine Klage m weniger und dafür m einen Lobgesang mehr geben.

mm In Kirche und Theologie gibt es einen naiven Aberglauben an die Machbarkeit der Welt, der blind geworden ist für das Ausgeliefertsein des Menschen an die Mächte. Solange es den Tod gibt, ist der Mensch nicht nur ein homo-faber, ein Macher, sondern ebenso ein Bemächtigter.

mm Dem Menschen muss etwas wahr und heilig sein! Und das muss nicht in seinen Händen und nicht in seiner Gewalt sein, sonst ist auf ihn kein Verlass, weder für andere noch für ihn selbst. Was soll doch einer für Furcht vor Göttern haben, die er selbst erfunden und gemacht hat? Und was kann er von ihnen für Trost erwarten?

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Friedrich von Bodelschwingh d. Ä.

mm Die Predigt ist nicht der Ort, wo um das Verständnis des Menschen, sondern wo um das Verständnis Gottes m gerungen wird.

Eduard Thurneysen (1888–1974)

mm Nicht durch Begriffe, sondern durch »Vorbild« bekommt ihr [der Kirche] Wort Nachdruck und Kraft.

Dietrich Bonhoeffer

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Die Ankündigung der Geburt Jesu Predigt zu Lukas 1,26––38 Johannes Frey

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nade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus ­ Christus. Amen.

Die Ankündigung der Geburt Jesu Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte:

Johannes Frey Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. DEZEMBER 2018

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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn Jesus Christus. Vielleicht denken Sie: Was geht uns Maria an? Wir sind doch nicht katholisch! Solche Gedanken wären verständlich, wenn man bedenkt, was die katholische Kirche alles aus Maria gemacht hat: die Himmelskönigin, die Sündlose, die Mittlerin aller Gnaden. Maria ist das alles nicht. Sie ist trotzdem einmalig. Kein Mensch wird sich jemals mit dieser Frau vergleichen können. In dieser Frau ist Gott auf diese Welt gekommen. Das hat es vorher so nie gegeben. Das hat es auch nachher nie so gegeben. Und das wird es auch in Zukunft niemals wieder so geben. Maria ist einmalig. Unnachahmlich. Und trotzdem ist Maria für uns alle ein Beispiel. Sie ist für uns ein Beispiel in dem, was sie ist und in dem, was sie bekommt und in dem, was sie tut.

Was Maria ist Maria ist zunächst einmal eine völlig unbedeutende Person. Maria lebt in Nazareth. Das ist nicht nur eine unwichtige Kleinstadt. Nazareth ist sogar ein wenig verrufen. So dass man fast sprichwörtlich sagt: »Kann aus Nazareth etwa etwas Gutes kommen?« Maria lebt in Galiläa. Das ist die hinterste Provinz. Die Galiläer werden in Israel damals als Juden nicht ganz für voll genommen. Denn dort in Galiläa ist die Anpassung an die heidnische Umwelt besonders weit fortgeschritten. Galiläa ist in Israel religiös und politisch am äußersten Rand. Es gehört eigentlich gar nicht mehr so richtig dazu. Maria kommt auch nicht aus einer besonderen Familie. Der Mann, mit dem sie verlobt ist, hat auch nichts Besonderes vorzuweisen. Er stammt zwar von David ab. Aber das tun viele. Und Josef ist nur ein einfacher Zimmermann. Lukas sagt auch nichts über ihre Frömmigkeit. Bei den Eltern von Johannes dem Täufer weist er auf ihre auffällige Gesetzestreue hin. Das hätte er bei Maria sicher auch getan, wenn es etwas Besonderes zu berichten gegeben hätte. Maria hätte eine von uns sein können. Aber wahrscheinlich wäre sie unter uns sogar noch ein wenig verächtlich angesehen worden. Maria ist ein ganz normales, einfaches junges Mädchen. Und zu diesem jungen Mädchen kommt nun ein Engel Gottes. Auf einmal steht er in ihrem Zimmer. Dass er zu ihr hineinkommt, ist schon an sich anstößig. Zu einer Frau geht man nicht hinein. Das wäre zu viel der Ehre. Die lässt man höchstens herauskommen, wenn man etwas von ihr will. INFORMATIONSBRIEF 313

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Und dann grüßt er sie auch noch. In der damaligen Gesellschaft ist es nicht normal, dass ein Mann eine Frau grüßt. Aber der Engel sagt nicht nur »guten Tag«. Er sagt: »Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!« Damit sind wir bei dem Zweiten:

Was Maria bekommt »Du Begnadete! Der Herr ist mit dir!« Da steht kein Wort über irgendeine Tugend der Maria. Das Einzige, was hier zählt, ist, dass Gott ihr gnädig ist. Aus Gnade macht Gott dieses einfache junge Mädchen zur Mutter seines Sohnes. Aus Gnade darf Maria als Werkzeug Gottes dienen. Da lernen wir die Art Gottes kennen. Gott sucht nicht nach Leuten, die sich besonders qualifiziert haben. Gott sucht sich als seine Mitarbeiter mit Vorliebe Menschen, die man als untauglich weggeschickt hätte, wenn sie sich für eine größere Aufgabe beworben hätten. Als Gott sein Evangelium über die ganze Welt ausbreiten wollte, da hat er sich einen Mann dafür ausgesucht, vor dem die Christen einander warnten – den Christenhasser Saulus. Der hätte es sogar nach seiner Bekehrung bei uns nicht zum Pfarrer bringen können. Er wäre nämlich schon bei der Gesundheitsprüfung beim Amtsarzt durchgefallen. Aber Gott wartet nicht auf Leute mit Mitarbeiter-Qualitäten, sondern Gott schafft sich seine Mitarbeiter selbst, so wie er sie braucht. Als Gott sein Volk aus Ägypten befreien wollte, da wählte er einen Mann, der sich durch Jähzorn und politische Dummheit für diesen Job schon endgültig disqualifiziert hatte. Mose, der von sich selbst sagen musste: »Ich kann das nicht. Ich kann ja nicht einmal ordentlich reden.« Keiner der großen Zeugen Gottes, kein Prophet und kein Apostel, kein Reformator und kein Bekenner kann von sich sagen: »Gott hat mich ausgesucht, weil ich so tüchtig bin.« Sondern es ist umgekehrt: Wenn Gott einen ausgesucht hat, dann macht er ihn so tüchtig, wie es nötig ist. Der erste evangelische Missionar in Indien, Bartholomäus Ziegenbalg, hatte aufgrund seiner schwachen Gesundheit schon große Probleme gehabt, Schule und Ausbildung durchzustehen. So einen schickt man nicht als Missionar nach Übersee. Doch ausgerechnet er wurde zum Begründer der evangelischen Kirche in Indien und war außerdem ein berühmter Sprachwissenschaftler. Gott sucht sich seine Leute ganz unten. Es gibt nichts, wodurch sich jemand für Gott qualifizieren könnte. Ja, es scheint so, als könnte Gott die 7


Ungeeigneten sogar besser gebrauchen als die Eine tüchtige Pfarrfrau hat einmal geschriebesonders Befähigten. Darum braucht niemand ben: »Ohne Jesus kann ich nicht einmal einen zu denken: »Für mich ist bei Gott kein Platz.« Pfannkuchen backen.« Das heißt ja nicht, dass »Mit mir kann er nichts anfanihre Pfannkuchen erst durch gen.« Das gibt es nämlich nicht. mm Das, wodurch Gott die ein Gebet genießbar geworden Gott hat mit dir auch etwas vor. Maria brauchen konnte, wären. Aber sie wollte damit saAuch du sollst Jesus zur Welt gen, dass sie wirklich nichts tun bringen. Nicht so wie Maria das war ihr Glaube. »Ich kann, was nichts mit Jesus zu natürlich. Aber auf irgendeine bin des Herrn Magd. Mir tun hat. Sie ehrt ihren Herrn, Weise sollst auch du Jesus zur sie ihre Familie gut vergeschehe, wie du gesagt indem Welt und zu den Menschen sorgt. Und für die Familie ist es bringen. Maria war auserwählt, hast.« Des Herrn Magd. eine Hilfe zum Glauben, wenn der Welt ihren Erlöser zu brin- Das ist der Sinn ihres sie erlebt, dass der Haushalt gen. Und du bist auserwählt, für die Mutter nicht der Ledasselbe für einzelne Menschen Lebens. benszweck ist, sondern dass sie zu tun. Gott hat mit dir etwas vor – wie mit Ma- auch mit ihren Pfannkuchen die Liebe, die Gott ria. Es kommt nur darauf an, was du tust, wenn ihr schenkte, an ihre Familie weitergibt. er dich anspricht. Darum sieh, was Maria tat, als Wenn wir uns Gott zur Verfügung stellen, dann Gott sie ansprach. Das ist das Dritte: bestimmt ein Grundanliegen alle unsere Entscheidungen, nämlich das Anliegen, dass Jesus zu den Menschen kommt. Was Maria tut Sich Gott zur Verfügung stellen, das ist nicht Wenn man sich bei Gott nicht qualifizieren immer leicht. Das kostet Mut. Für Maria war muss, dann hätte Gott ja im Prinzip auch je- schon der erste Schritt nicht leicht – dass sie ein des andere Mädchen als Mutter seines Sohnes uneheliches Kind kriegen musste. Was danach aussuchen können. Warum nimmt er Maria? kam, war noch viel schwerer. Erst hatte sie für Es gab sicher noch mehr unbedeutende junge ihr Kind nicht einmal ein Bettchen, sondern nur Mädchen, die mit einem der zahlreichen Nach- einen Futtertrog in einem Viehstall. kommen Davids verlobt waren. Was war das be- Dann wurde ihr Sohn nicht König, sondern nur sondere an Maria? Prediger. Und schließlich musste sie mit anseDas, wodurch Gott die Maria brauchen konnte, hen, wie er als Verbrecher verurteilt einen graudas war ihr Glaube. »Ich bin des Herrn Magd. samen Tod am Kreuz gestorben ist. Mir geschehe, wie du gesagt hast.« Des Herrn Dabei hatte der Engel doch versprochen: »Sein Magd. Das ist der Sinn ihres Lebens. Eine Magd Reich wird kein Ende haben.« Maria hat viele tut nicht ihren Willen, sondern den Willen ihres Tränen geweint auf ihrem Weg mit Gott. Aber Herrn. Maria lebt dafür, dass der Wille Gottes sie hat mit ihrem Glauben Recht behalten. Als geschieht – auch wenn sie noch gar nicht be- sie wusste, dass sie den Sohn Gottes unter ihrem greift, was Gott mit ihr vorhat. Herzen trug, da hat sie gesungen: »Meine SeeEines ist Maria schon klar: Sie wird jede Menge le erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Schwierigkeiten bekommen, wenn sie vor der Gottes, meines Heilandes; denn er hat die NiedHochzeit schwanger wird. Ihr Verlobter wird sie rigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun vielleicht verlassen. Die Leute werden mit dem an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.« Finger auf sie zeigen. Ihre Familie wird entsetzt Das ist so geschehen. Denn der Engel hat auch sein. Die Geschichte mit dem Engel wird ihr Recht behalten mit seiner Botschaft von Jesus. doch keiner glauben. Denn Jesus, der gekreuzigte Jesus lebt. Und Aber Gott hat es so beschlossen. Und Maria sein Reich besteht heute und in alle Ewigkeit. steht ihrem Gott zur Verfügung. Das ist ihr Weil Jesus auferstanden ist und weil er der Herr Glaube: Herr, mach mit mir, was du willst. Ich der Welt ist, darum ist seine Mutter die wichgehöre ja dir. Gott braucht Menschen, die sich tigste Frau der Weltgeschichte. Um Jesu willen ihm zur Verfügung stellen. Durch solche Men- ist sie das. Gott hat sie dazu gemacht. schen kommt er in diese Welt. Nur da, wo Men- An sich war sie genauso unwichtig wie irgendschen sich Gott zur Verfügung stellen, kann einer von uns. Aber Gott hat sie aus Gnaden Gottes Liebe sich auswirken. auserwählt und groß gemacht. Und was hat sie Wenn wir uns Gott zur Verfügung stellen, dann dazu getan? Nur das: Sie hat Gott mit ihr mabekommt unser Leben eine einheitliche Rich- chen lassen, was er wollte. Darin ist sie das Vortung: Alles, was wir tun, hat das eine Ziel, dass bild für uns alle. Amen. W Jesus zu den Menschen kommt. 8

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Weihnachten –– ein Fest voller Symbole und Bräuche Walter Rominger

Zur Entstehung des ­Weihnachtsfestes Im Gegensatz zu Ostern und Pfingsten gibt es für das Weihnachtsfest im Alten Testament keinen Hinweis. Historisch lässt sich über das Datum der Geburt Jesu nichts sagen. Es ist ein erst spät entstandenes Fest. In den ersten Jahrhunderten der Kirche gibt es noch keinen Hinweis darauf. Seine Entstehung ist wohl immer noch nicht restlos geklärt. Doch in Rom ist es im zweiten Drittel des 4. Jahrhunderts entstanden. Seinen Ursprung dürfte es in der Konfrontation des Christentums mit dem Heidentum haben und da in den geweihten Nächten um die Wintersonnwende. Ursprünglich war die Haltung der Christen gegenüber Geburtstagen ablehnend, da Heiden Geburtstage feierten. Demgegenüber begingen Christen wegen Tod und Auferstehung Jesu die Sterbetage. Doch am 25. Dezember feierten die Römer den »Ge-

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 313

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burtstag der unbesiegten Sonne«. Gegen diesen heidnischen Sonnenkult stellte dann die Kirche das Fest der Natalis Christi (Geburt Christi), der »Sonne der Gerechtigkeit« (Maleachi 3,20) und des »Lichtes der Welt« (Johannes 8,12). Kaiser Aurelian (Kaiser von 270–275) hatte den 25. Dezember zum Tag der Sonne bestimmt. Wenn der römische Bischof den 25. Dezember dann zum Tag der Geburt Christi bestimmte, sollte damit der Sieg Christi, der wahren Sonne, über den heidnischen Kult verdeutlicht werden. Damit war Weihnachten zum Symbol für den Sieg des Christentums im Römischen Reich geworden. So wurde Weihnachten – im Westen noch mehr als im Osten – zum Hauptfest der Kirche. Die [Alte] Kirche, vor allem des Ostens, hat das Epiphaniasfest begangen. Im Osten feierte man am 6. Januar das Fest der Erscheinung Jesu (Epiphanias). Als dann um 330 Weihnachten in Rom am 25. Dezember gefeiert wurde, da breitete sich dieses Fest auch nach Osten aus. Und als sich Weihnachten mehr und mehr durchsetzte, bedeutete dies, dass das Epiphaniasfest verändert, zurückgedrängt und teilweise sogar verdrängt wurde. Zu den bekanntesten Festtagen gehört Epiphanias heute gewiss nicht. Durchgesetzt hat sich Weihnachten als Fest der Geburt Christi gegen allen (anfänglichen) kirchlichen Widerstand, der bis ins 4. Jahrhundert dauerte, aufgrund dogmatischer Gründe. Denn als Fest der Menschwerdung eignete sich dieses Fest zur Abwehr arianischer und damit 9


verbundener Irrtümer. Dabei ging es im Kern um die Frage: Ist Jesus »eines Wesens mit dem Vater« [Gott dem Vater] (Nicänum 325). Das Konzil von Nicäa hatte im Jahr 325 die wesenhafte Einheit bzw. Gleichheit (Homoousia) von Gott-Vater und Sohn festgelegt (vgl. Philipper 2,6). So feierte die Kirche zu Weihnachten die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, der im menschlichen Fleisch in diese Welt kommt (Johannes 1,14). In der Überzeugung, Christus ist die wahre Sonne, ist mit enthalten, dass die Menschwerdung Christi auch Erlösung von Natur und Kosmos beinhaltet. Weihnachten entwickelte sich zum volkstümlichsten aller christlichen (Haupt)Feste. Deshalb ist auch kein anderes Fest im Festkalender der Kirche mit so vielen (Volks)Bräuchen umgeben wie Weihnachten, von denen manche nicht einmal (direkt) etwas damit zu tun haben, die aber richtig verstanden und eingesetzt, darauf hinweisen können, und keineswegs hinderlich zu sein brauchen. Jedenfalls zeigen die mit Weihnachten verbundenen Volksbräuche die Popularität des Festes, weisen aber auch eine Kehrseite und Gefahr auf: Weihnachten steht in der Gefahr, säkularen und rein kommerziellen Interessen geopfert zu werden – und ist dies teilweise bereits. Auch die überfüllten Gottesdienste am Heiligen Abend zur Christvesper und auch zur Christmette zeigen die Popularität des Festes in weiten Teilen der Kirchenmitglieder an, wobei am eigentlichen Christfest (25. Dezember) die Kirchen meist recht leer sind, vom zweiten Weihnachtsfeiertag, dem Stephanustag (26. Dezember) ganz zu schweigen, woran sich auch eine Säkularisierungstendenz zeigen durfte.

zahlreichen Weihnachtsbräuche führen umso mehr zur christlichen Weihnachtsfeier hin und veranschaulichen diese umso besser, je deutlicher sie deren Zusammenhang mit den Geburtsgeschichten Jesu zeigen (Matthäus 1 und 2, Lukas 2).

Bräuche und Symbolik zur Weihnacht

Der Adventskranz –– Hinführung zum Weihnachtsfest In der Vorweihnachtszeit, die eine Zeit der Buße und Besinnung ist, gehört der noch recht junge Adventskranz, der, zum einen zum Christfest hinführt und zum andern, als »Krone« und »Siegeskranz« gedeutet, den Aspekt des adventus, nämlich des kommenden Herrschers zum Ausdruck bringt, welcher im vielleicht bekanntesten Adventslied »Macht hoch die Tür […]« (Evangelisches Gesangbuch Nr. 1, von Georg Weissel) leitend ist. Angestoßen hat den Adventskranz aus religionspädagogischem Interesse Johann Hinrich Wichern (1808–1881), der Begründer des Rauen Hauses in Hamburg, einem Heim für verwahrloste Jugendliche. Seit 1838 zählte Wichern bei seinen täglichen Andachten im Rauen Haus die Tage bis zum Weihnachtsfest an einem Kerzenkronleuchter ab, wobei er jeden Tag eine

Setzte sich das Weihnachtsfest in der Kirche erst nach Widerständen durch, weil seine Ursprünge ja mit Heidnischem in Verbindung gebracht wurden, gibt es auch unter ernsten Christ (und nicht allein bei den Zeugen Jehovas) heutzutage die Meinung, Advents- und Weihnachtsbräuche seien unwichtig, wenn nicht gar schädlich, weil sie (letztlich) heidnisch seien. Manche dieser Bräuche sind noch recht jung; sie wurden in den letzten etwa 200 Jahren von missionarisch gesinnten Christen angestoßen und bringen zum Ausdruck, wie sich biblische Verheißung in Christus erfüllt hat. Doch richtig verstanden bringen Weihnachtsbaum, -sterne, Krippe und Krippenspiele, Weihnachtssingen (Quempas), selbst die Weihnachtsbescherung wichtige Glaubenswahrheiten zur Geltung. Die 10

Lesungen und vielfältiges Liedgut zu Weihnachten Gängige Lesungen zu den Feiern zu Weihnachten, die mit der Christvesper am Heiligen Abend beginnen sind: Lukas 2,1–14(20), Jesaja 9,1–6, Johannes 1,1–8, Titus 2,11–14. Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes wird in vielen Liedern besungen. Diese Lieder wirken auch über den Kirchenraum hinaus. In diesen Zusammenhang gehört auch das Weihnachtssingen (Quempas). Choräle und geistliche (Volks)Lieder zu Weihnachten gibt es in vielen Ländern und unterschiedlichen vom Christentum mitgeprägten Kulturen. Teilweise wurden deutsche Weihnachtslieder in andere Sprachen übersetzt (»Stille Nacht«, am Ende des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts entstanden, trat seinen Siegeszug an und schon bald gab es die englische Version »Silent Night«) als auch fremdsprachige ins Deutsche. Solche Lieder, und genauso, und womöglich noch mehr, wirkt die geistliche Kirchenmusik etwa von Heinrich Schütz, Georg Friedrich Händel (»Messias«) und Hugo Distler, vor allem aber die sechs Kantaten des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach und spricht nicht allein kirchliche Insider an, sondern auch solche, die wohl »Klassikliebhaber« sind, ansonsten aber der Kirche entfremdet sein können.

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neue Kerze entzündete. Die Kerzen für die vier Adventssonntage waren durch ihre weiße Farbe und Größe hervorgehoben, die für die Werktage waren kleiner und rot. An den heutigen Adventskränzen sind nur noch die vier Kerzen für die Adventsonntage übrig geblieben. Als Tannenkranz verbreitete er sich dann in der evangelischen Jugendbewegung zwischen den beiden Weltkriegen. Theodor Fliedner (1800–1864), der Gründer der Kaiserswerther Diakonie und der modernen Diakonissenschaft, begann 1846 mit der katechetischen Tradition der Advents- oder Verheißungsbäume. Wie der Adventskranz hatten auch sie zunächst mehrere Kerzen und wurden in der Adventszeit nach und nach mit bis zu 28 Sternen oder Karten geschmückt, welche mit biblischen Verheißungen und Erfüllungen beschriftet waren. Bei der Andacht wurden diese verlesen und bis zum anderen Tag auswendig gelernt. Dieser Brauch fand auch Eingang in die Sonntagsgottesdienste, wobei dann auch die Anzahl der Kerzen teilweise auf vier reduziert wurde. Durchgesetzt hat sich der Adventskranz. Dass dieser ursprünglich Zählhilfe und Adventskalender war und an die prophetischen Verheißungen des Alten Testaments zum Kommen Jesu erinnern will, durfte vielen nicht mehr bekannt sein. Der Weihnachtsbaum Auch wenn der Weihnachtsbaum noch recht jungen Datums ist, so hat er doch eine jüdische oder christliche Begründung. Beim Einzug Jesu in Jerusalem (Johannes 12,12) begrüßten die Menschen ganz begeistert mit (Palm)Zweigen Jesus als den Messias (der Palmsonntag erinnert daran). Beim Propheten Hesekiel (17,22–24) heißt es, Gott breche ein zartes Reis und pflanze es auf einem erhabenen Berg. »Auf dem hohen Berg Israels will ich’s pflanzen, dass es Zweige gewinnt und Früchte bringt und ein herrlicher Zedernbaum wird, so dass Vögel aller Art in ihm wohnen und alles, was fliegt, im Schatten seiner Zweige bleiben kann.« In Hosea 14,9 heißt es von Gott: »Ich will dich erhören und führen, ich will sein eine grünende Tanne, von mir erhältst du deine Früchte.« Das Tannengrün erinnert an Gottes Verheißungen und die Begrüßung Jesu beim Einzug in Jerusalem. Vorläufer der geschmückten Weihnachtsbäume gab es bei den mittelalterlichen Krippenspielen in der Kirche. Ein Paradiesspiel gehörte dazu, welches die Vertreibung aus dem Paradies mit zum Thema hatte. Dazu wurde ein immergrüner Baum als »Paradiesbaum« geschmückt: mit roten Äpfeln (Apfel der Versuchung im PaINFORMATIONSBRIEF 313

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Auch wenn der Weihnachtsbaum noch recht ­jungen Datums ist, so hat er doch eine jüdische oder christliche Begründung. Das Tannengrün erinnert an Gottes Verheißungen und die ­Begrüßung Jesu beim Einzug in Jerusalem.

radies) und Rosen. Und er ist auch Baum des Kreuzes und weist auf die Erlösung hin. Nachgewiesen ist der Weihnachtsbaum zuerst im 16. Jahrhundert im Elsaß. Im 19. Jahrhundert breitete er sich von Deutschland in andere Länder aus. Spätestens im 17. Jahrhundert wurde aus dem »Paradiesbaum« in der Kirche der Christbaum in den Wohnstuben zur Kinderbescherung, was durch einen Brief der Lieselotte von der Pfalz (1652–1722) belegt ist, in welchem die Herzogin von den Weihnachtsfeiern aus ihrer Kindheit um 1660 in Hannover berichtet und einen mit Kerzen geschmückten Buchsbaum erwähnt. Doch weil sich nicht alle Familien die teuren »Paradiesäpfel« leisten konnten, 11


nahmen sie Kartoffeln als Ersatz, wie einer Aufzeichnung Friedrich des Großen von 1755 zu entnehmen ist. In dieser heißt es, dass »manche Leute um die Weihnachtszeit grüne Fichten in die Stuben bringen und selbige mit vergoldeten Erdäpfeln putzen lassen, um den Kindern eine Gestalt von Paradiesäpfeln vorzuspiegeln«. Mit der durch Thüringer Glasbläser erfundenen Glaskugel trat die ursprüngliche Symbolik der Paradiesäpfel in den Hintergrund. Die Glaskugeln weisen auch auf die Geschenke der Weisen aus dem Morgenland hin (Gold, Weihrauch, Myrrhe; vgl. Matthäus 2,11). Die Symbolik des Baumschmucks, das gilt nicht nur für Paradiesäpfel und Glaskugeln, sondern für allen Schmuck am Weihnachtsbaum, ist kaum noch bekannt und der Baumschmuck deshalb vor allem Dekoration. Die am Christbaum aufgehängten Strohsterne erinnern an Christus als dem »Morgenstern«, an den Stern, der den Weisen den Weg zu Krippe wies und an das Stroh in der Krippe. An dieser Stelle soll auch der beliebte Herrnhuter Stern Erwähnung finden. Dieser entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Internaten der Herrnhuter Brüdergemeine. Ein Mathematiklehrer ließ sie bauen, um geometrisches Verständnis zu vermitteln. Der echte Herrnhuter Stern – von damals bis heute – hat 25 Sternspitzen, 17 viereckige und acht dreieckige. So verbreitet er bis heute auf der ganzen Welt die Weihnachtsbotschaft. Jedes Jahr werden etwa 600 000 Herrnhuter Sterne in einem Betrieb der Herrnhuter Brüdergemeine im ostsächsischen Herrnhut hergestellt (Herrnhuter Sterne GmbH, Oderwitzer Straße 8, 02747 Herrnhut, Telefon 035873/364-0; Fax 035873/364-35; www.herrnhuter-sterne.de). Das am Weihnachtsbaum aufgehängte Gebäck geht ursprünglich auf die Oblaten als dem eucharistischen Lebensbrot zurück. Die Kerzen weisen auf Christus, das wahre Licht, hin (vgl. Johannes 1,4f.). Die Krippe Seit etwa dem Jahr 60 wird die Weihnachtsgeschichte nach Lukas (Kapitel 2,1–40) in den christlichen Gemeinden gelesen. Dadurch werden Bethlehem und die Krippe bekannt und zu einem Pilgerort. Am Ort der Geburt Jesu beginnt die wiederkehrende gottesdienstliche Feier der Christgeburt. Justin der Märtyrer (100–165) erwähnt Geburtshöhle und Krippe in Bethlehem im Jahr 155. Origines (185–254) schreibt 246, dass jeder in Bethlehem, sogar Heiden, den Ort, wo Christus geboren wurde und die Krippe darin er gelegen hat, zeigen 12

könne. Somit gehen Krippen bereits auf die Alte Kirche zurück. Eine der ältesten bekannten Darstellungen der Christgeburt befindet sich auf einem Wandbild der Priscilla-Katakombe in Rom und entstand 230–240 n. Chr. Auf dieser Darstellung ist neben Mutter und Kind der (heidnische) Prophet Bileam zu erkennen. Er deutet auf einen Stern, was auf die alttestamentliche Weissagung hinweist: »Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn, aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen« (4.Mose 24,17). Ebenfalls in der Priscilla-Katakombe und aus derselben Zeit ist die Anbetung der Magier zu sehen (»Heilige drei Könige«). Auf dieser Darstellung deutet Bileam die Christgeburt, indem er auf den Stern deutet. Die Magier bringen Gaben, was als Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen von Psalm 72,10 und Jesaja 60 zu deuten ist. Um die 100 Jahre später kommen dann, wohl mit Hinblick auf Jesaja 1,3, Ochs und Esel auf den Darstellungen dazu, obwohl diese in den Evangelien nicht erwähnt sind. Die erste Krippe war im Jahr 354 in Rom in der Kirche S. Maria Magiore vor dem Altar aufgestellt. Franz von Assisi zelebrierte im Wald bei Greccio die Weihnachtsgeschichte als Krippenfeier. Entstanden sind Weihnachtskrippen dann im 16. Jahrhundert im römisch-katholischen Kulturbereich (in Venedig bereits im 15. Jahrhundert). In Kirchen wurden Krippen seit dem 16. Jahrhundert aufgestellt und seit dem 18. Jahrhundert auch in Wohnstuben. Sie veranschaulichten die Geburtsgeschichte Christi und sollten beim Betrachter das Gefühl auslösen, er sei Teilnehmer. In einer Zeit, zu der die meisten noch Analphabeten waren, ist dies als wichtig einzuschätzen. Dass die Krippen seit dem 18. Jahrhundert in die Wohnstuben kamen, hängt mit einem Verbot öffentlicher Krippendarstellungen in Österreich zusammen. Das Verbot durch die österreichischen Regenten Maria Theresia (1717–1780) und Joseph II. (1741–1790) und in Bayern durch König Maximilian I. Joseph von Bayern (1756–1825) führte ganz einfach dazu, dass die Krippen von den Kirchen in die Familien auswanderten und dort einen Siegeszug antraten. Krippenspiele Wie bei der Weihnachtskrippe, so ist auch bei den Krippenspielen (Hirtenspielen, Dreikönigsspielen) das Leitmotiv die Veranschaulichung der Geburtsgeschichte. Bei diesen geistlichen Schauspielen, die ursprünglich von ErwachseDEZEMBER 2018

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nen aufgeführt wurden, soll die Heilsgeschichte dramatisch dargestellt werden. In unserer Zeit sind es zumeist Kinder (der Kinderkirche), die in der Weihnachtszeit ein Krippenspiel aufführen. Weihnachtsfeiertage Auch die Weihnachtsfeiertage können zu den Bräuchen gerechnet werden, die sich um Weihnachten gebildet haben. Der 24. Dezember, der Heilige Abend, hat sich, was den Kirchenbesuch anlangt, zum wichtigsten Weihnachtsfeiertag entwickelt, obwohl er doch nur der Vorabend zum Christfest ist. Durch Anordnung der preußischen Könige, beginnend mit Friedrich I. (1657–1713) wanderte die nächtliche Christmette aus feuerpolizeilichen Gründen immer weiter nach vorne. Zunächst war sie um 15 Uhr und unter Friedrich dem Großen ab 1784 bereits um 14 Uhr, »damit alles um 4 Uhr abgethan sey u. also die zur Besorgniß gereichende Anzündung der kleinen Lichte wegfallen möge«. Am 26. Dezember, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, wird an den Erzmärtyrer Stephanus gedacht und am darauffolgenden Tag, dem dritten Weihnachtsfeiertag, an den Apostel und Evangelisten Johannes. Dieser dritte Weihnachtsfeiertag wurde bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts gefeiert, wie sich an Johann Sebastian Bachs (1685–1750) Weihnachtsoratorium von 1734 zeigt. Weil die Menschen mehr arbeiten und weniger feiern sollten, wurde der dritte Feiertag in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts abgeschafft, was auch die beiden anderen Hauptfeste, Ostern und Pfingsten betraf. Die Weihnachts-Oktav umfasst den achttägigen Zeitraum vom Fest der Geburt Christi bis zum so genannten Oktavtag an Neujahr. Neujahr ist der Tag der Beschneidung und Namensgebung Jesu. Weihnachtsgeschenke Geschenke zu Weihnachten wollen eigentlich ausdrücken, dass Gott die Menschen mit Jesus, ihrem Erlöser, beschenkt hat. Die Geschenke erinnern auch an die Weisen aus dem Morgenland, die dem neugeborenen König Geschenke brachten (Gold, Weihrauch, Myrrhe). Martin Luther hat empfohlen, sich am Christfest zu beschenken. Er übertrug den Brauch, zum Nikolaus (6. Dezember) Geschenke zu erhalten, auf das Christfest. Da er die Heiligenverehrung ablehnte, musste er auch Geschenke am Gedenktag des Bischofs Nikolaus von Myra (erste Hälfte des 4. Jahrhunderts) ablehnen. Doch gerade bei den Geschenken ist die Verweltlichung INFORMATIONSBRIEF 313

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besonders weit vorangeschritten. Heutzutage werden Weihnachtsgeschenke kaum noch als Dank für das von Gott durch Jesus gemachte Geschenk wahrgenommen. »Sternsingen« Das »Sternsingen« um den 6. Januar (Epiphanias, Erscheinungsfest) ist ein katholischer Brauch. Kinder gehen dann als die heiligen drei Könige verkleidet in die Häuser und sammeln für Notleidende in armen Ländern. Weitere Bräuche zum Weihnachtsfest Diese haben nicht direkt etwas mit der Weihnachtsbotschaft zu tun. Sie stehen dieser aber auch nicht entgegen. Richtig eingesetzt können sie der Weihnachtsbotschaft dienlich sein und so auf das Wunder der Weihnacht hinweisen. WW Adventskalender: Er hat die Funktion, die einstmals der Adventskranz hatte, als noch für jeden Tag der Adventszeit eine Kerze angezündet wurde, die aber kaum noch bekannt sein dürfte: Er war Zählhilfe. Damit weist er doch auf die Geburt Christi hin. WW Weihnachtsgebäck: Dies dürfte in Verbindung mit dem am Weihnachtsbaum aufgehängten Gebäck stehen, welches ursprünglich Oblaten waren und an das eucharistische Lebensbrot erinnerten. WW Weihnachtsmarkt: In immer mehr Städten werden in der Advents- und Weihnachtszeit Weihnachtsmärkte veranstaltet. Diese dienen im Großen und Ganzen dem Kommerz und weisen damit nicht auf den hin, um den es beim Christfest geht. Wie bei den Weihnachtsgeschenken ist bei den Weihnachtsmärkten die Verweltlichung deutlich erkennbar. Somit ist Weihnachten ein Fest voller Symbolik, die allerdings vielfach kaum mehr bekannt ist, das aber trotz oder vielleicht besser ausgedrückt, gerade wegen seiner Volkstümlichkeit, die kein anderes christliches Fest in solchem Maße aufweist, auch weitgehend Säkularisierung und Konsum zum Opfer zu fallen droht oder bereits ist. W Eingesehene Literatur Cullmann, Oscar, Die Entstehung des Weihnachtsfestes und die Herkunft des Weihnachtsbaums, 4. Auflage Stuttgart 1994, 1. Auflage 1990 (Quell Verlag). ELThG, I, S. 20f. »Advent« (von K. H. Bieritz); III, S. 2136 »Weihnachten« (von A. Noordegraaf/M. Herbst); III, S. 2136f. »Weihnachtsbräuche« (von A. Rössler), Wuppertal 1992 und 1994 (Rolf Brockhaus Verlag). ideaSpezial 9/2017, Weihnachten und Jahreswechsel, S. 5; S. 6–9 »Unsere Advents- und Weihnachtsbräuche – Zeichen der Verheißung« (von Thomas Gandow). RGG³, VI, Sp. 1564 »Weihnachten« (von W. Krönig), Tübingen 1962 (Verlag J. C. B Mohr/Paul Siebeck).

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Der menschliche Körper: Ein Ersatzteillager? Organentnahme: Ohne Zustimmung und moralische Pflicht? Ulrich Eibach

Ich besuche als Klinikseelsorger Herrn B., 42 Jahre, drei Kinder, der im lebensbedrohlichen Zustand auf eine Transplantation wartet. Tags darauf werde ich in die neurochirurgische Intensivstation gerufen. Herr H., 58 Jahre, liegt infolge einer Hirnblutung im Sterben. Anwesend sind Frau H., die Tochter und ein Freund von Herrn H. Sie wurden informiert, dass eine Hirntoddiagnostik eingeleitet wurde, weil Herr H. als Organspender in Frage komme. Frau H. bittet um ein Gespräch über Organspende. Sie wisse nicht, ob das dem Willen ihres Mannes entspreche. Die Tochter meint, dass der Vater dem zustimmen würde. Bei dem Gespräch musste ich immer an Herrn B. denken, der als Empfänger des Organs in Frage käme. Das Gespräch endet damit, dass sie nochmals nach Hause fahren und bis zum nächsten Tag eine Entscheidung fällen wollen. Ich rechnete mit einer Zustimmung zur

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Organentnahme. Aber die Angehörigen entschieden sich dagegen. Sieben Monate später ist der Gedächtnisgottesdienst für in der Klinik Verstorbene. Frau H. und ihre Tochter sind gekommen, auch um mir für das Gespräch und die Aussegnungsfeier zu danken. Es sei für sie die richtige Entscheidung gewesen.

Ist der Hirntod der Tod des Menschen? Manche Menschen fragen, ob der Mensch bei der Organentnahme schon wirklich tot ist. Um brauchbare Organe für eine Transplantation zu erhalten, muss man sie möglichst »lebensfrisch« entnehmen. Deshalb hat man im »Transplantations-Gesetz« den Tod des Menschen mit dem Tod des gesamten Gehirns gleichgesetzt. Dies ist eine nicht unproblematische Definition, denn sie besagt, dass allein das Gehirn Träger des Menschseins ist. Der endgültige Tod ist aber der unwiderrufliche Zusammenbruch der Ganzheit des Lebensträgers. Lebensträger ist der Organismus, die ganze Leiblichkeit. Ihr Tod folgt meist erst zeitlich versetzt auf den Tod des Herzens oder des Gehirns. Würde man mit der Organentnahme bis dahin warten, so wären die meisten Organe für eine Transplantation unbrauchbar. Deshalb behandelt man potentielle Organspender intensivtherapeutisch so, dass die Körperfunktionen bis DEZEMBER 2018

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zur Entnahme der Organe möglichst gut erhalten bleiben. Dies besagt nicht, dass der Tod des Menschen durch die operative Organentnahme verursacht wird. Das Problem liegt vielmehr umgekehrt darin, dass der endgültige Tod durch die Behandlungen über den Zeitpunkt des Hirntods hinausgezögert und erst bei der Organentnahme zugelassen wird. Das Leben wird also künstlich verlängert zwecks Gewinnung von Organen für andere Menschen. Menschenleben wird dabei bloß als Mittel zum Zweck anderer, wenn auch einem eindeutig guten Zweck behandelt. Wenn der Organspender dem nicht ausdrücklich zugestimmt hat, stellt sich die Frage, ob sein Körper dann trotzdem von anderen als »Ersatzteillager« gebraucht werden darf und ob seine über den Tod hinaus geltende Würde so verletzt wird. Man muss sich in einem kognitiven Akt gegen die sinnliche Wahrnehmung klar machen, dass der »Organspender« kein lebender Patient mehr, sondern so etwas wie ein »behandelter Leichnam« sein soll. Aber Tote behandelt man nicht mehr medizinisch, wenigstens nicht um ihrer selbst willen. Wird der hirntote Mensch, wenn er dem nicht vorweg eindeutig zugestimmt hat, zum »Eigentum anderer bzw. der Gesellschaft«, die über die Verwendung des Körpers verfügen dürfen? Dagegen bestehen erhebliche ethische und juristische Bedenken. Es besagt auch, dass Menschen und nicht Gott der »Besitzer« des Lebens und des Körpers ist. Die menschlichen Probleme der Organentnahme ergeben sich vor allem aus dieser Manipulation des Sterbens zum Zweck der Organerhaltung. Es handelt sich meist um Menschen mit plötzlich einbrechender tödlicher Krankheit oder Verletzung. Die Angehörigen werden auf eine Intensivstation gerufen und in dieser belastenden Atmosphäre mit dem baldigen Tod eines geliebten Menschen konfrontiert. Nicht wenige befinden sich in einem »Schockzustand«. Sie erleben, dass ihr vom Tode bedrohter Angehöriger intensivtherapeutisch behandelt wird und lebt. Zugleich wird ihnen mitgeteilt, dass er bald oder schon hirntot und deshalb auch als Mensch tot sei und nur zum Zweck der Organentnahme am Leben erhalten werde. Sie sollen dann darüber befinden, ob der »Patient« einer Organentnahme zustimmen würde oder – wenn man über seinen Willen nichts weiß – nach ihrem Ermessen darüber entscheiden. Oft wird ihnen erst später bewusst, was diese Entscheidung für sie bedeutet. Häufig ist ihnen nicht klar und wird ihnen auch nicht gesagt, dass sie im Falle einer Zustimmung zur Organentnahme den endgültigen Tod des Menschen nicht miterleben können, er ihnen intensivtherapeutisch INFORMATIONSBRIEF 313

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behandelt entzogen wird, sie nicht am Sterbeund Totenbett verharren und dann vom Toten Abschied nehmen können. Das stellt für viele Menschen eine zusätzliche seelische Belastung dar, die die Trauer deutlich negativ beeinflussen kann. Daher ist zu fragen, ob die Bedürfnisse der Angehörigen immer eindeutig gegenüber der Chance, das Leben anderer Menschen zu retten, zurückzutreten haben, ob die Zustimmung zur Organentnahme eine moralische Pflicht und ihre Verweigerung ein Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe ist.

Organspende: Ein Akt der Nächstenliebe? Es ist einheitliche Auffassung der Kirchen, dass gegen die Organentnahme keine grundsätzlichen Bedenken bestehen. In der Auferweckung von den Toten wird die irdische Person bewahrt, erneuert und vollendet (vgl. 1.Korinther 15,35ff.). Die Unversehrtheit des Leichnams ist dafür nicht Voraussetzung. Dies ist aber im Judentum, dem Islam und in Religionen der Fall, in denen der Ahnenkult eine bedeutsame Rolle spielt (z. B. Shintoismus in Japan). Weil keine grundsätzlichen theologischen Bedenken gegen die Organspende bestehen, haben die deutschen Kirchen die Organspende 1990 als Akt der Nächstenliebe empfohlen. In welcher Weise wird dabei der Begriff »Nächstenliebe« verwendet? Liebe ist eine Qualifizierung von Beziehungen unter Personen. Nächstenliebe im eigentlichen Sinne setzt vo­ raus, dass zwischen Geber und Empfänger von Liebesgaben ein Mindestmaß an personaler Beziehung besteht. Das Verhältnis von Spender und Empfänger ist bei der Organspende aber völlig versachlicht. Die Vergabe des Organs wird durch eine Institution (Eurotransplant) organisiert. Der Spender bleibt dem Empfänger anonym. Zudem ist der »Spender« zum Zeitpunkt der Organspende »hirntot« und zu keinen personalen Akten wie der Liebe mehr fähig. Er kann und hat als Toter nichts mehr zu verschenken, wenn der tote Körper nicht mehr sein Besitz ist und der Körper es – wenigstens aus christlicher Sicht – auch nie war. Die Organspende ist eine moralisch verantwortliche Entscheidung im Umgang mit dem eigenen Leben. Bei ihr sollte daher immer das Geschick der Menschen in angemessener Weise bedacht werden, deren Leben durch eine Organspende gerettet oder erleichtert werden kann. Die Ablehnung der Organentnahme sollte jedoch nicht als »Egoismus«, Unbarmherzigkeit, Rücksichtslosigkeit gegenüber diesen 15


Menschen eingestuft werden. Ein solcher Vor- diesem Bedenken gehört auch, dass man die wurf kann nur erhoben werden, wenn es ein Belastungen, die in der konkreten Situation für Anspruchsrecht anderer auf die Organe eines die Angehörigen entstehen können, nicht als toten Menschen und eine eindeutige moralische Gesunder vorweg absehen und einplanen kann. Pflicht gibt, Organe zu spenden. Das käme ei- Alle Zustimmungen zur Organentnahme sollner Behandlung des Körpers, also des Trägers ten daher unter den Vorbehalt gestellt werden, personalen Lebens als »verwertbares Material« dass die dem Sterbenden in Liebe verbundenen und einer »Vergesellschaftung« des Körpers als Menschen dem in der jeweiligen Situation wirk»Organreservoir« nahe. Niemand hat eine ein- lich zustimmen können. Das besagt nicht, dass deutige sittliche Verpflichtung, seine Organe die Angehörigen nicht herausgefordert sind, für andere zu spenden oder als die Entscheidung des Sterbenden Angehöriger der Organentnahme mm Es gibt keine ernsthaft zu bedenken und ihre zuzustimmen. Wohl aber gibt es sittliche Pflicht zur Bedürfnisse auf diesem Hinterein moralisches Recht der einem grund kritisch zu prüfen. Menschen in Liebe verbundenen Organspende. Sie Angehörigen, den Sterbenden bis ist auch kein Akt Keine Organentnahme zum sinnlich erfahrbaren Tod zu persönlicher Nächs- ohne Zustimmung! begleiten. Wer zu Lebzeiten eine Zustim- tenliebe, sondern nur Es gibt keine sittliche Pflicht mung zur Organentnahme erteilt, ein Akt verantwortzur Organspende. Sie ist auch kein sollte klären, ob das zugleich beAkt persönlicher Nächstenliebe, sagt, dass Organe auch gegen den lichen Umgangs mit sondern nur ein Akt verantwortWillen der Angehörigen entnom- dem toten Körper. lichen Umgangs mit dem toten men werden dürfen. Von einem Körper. Voraussetzung einer EntMenschenbild aus gesehen, in dem die Autono- scheidung über eine Organentnahme ist, dass mie das ist, was den entscheidenden Inhalt der man sich über die Möglichkeit eines plötzlichen Menschenwürde ausmacht, würde eine Nicht- Todes Gedanken macht und sich über die Umbeachtung einer Zustimmung als Missachtung stände bei einer Organentnahme informiert. der Würde betrachtet werden können. Die AnDazu kann niemand rechtlich genötigt wergehörigen und ihre Bedürfnisse spielen dann den, doch gibt es eine moralische Pflicht, die keine Rolle. Ich habe Menschen kennengelernt, Möglichkeit einer Organentnahme zu bedenderen Trauerprozess dadurch sehr belastet war, ken und möglichst eine Entscheidung für oder die ihren Verstorbenen Vorwürfe machten, dass wider sie zu fällen. Es ist nicht verantwortlich, sie ohne Rücksprache mit ihnen eine solche nahe Angehörige darüber im Unklaren zu lasEntscheidung gefällt haben. Selbst dann, wenn sen. Wenn es gute Beziehungen zu ihnen gibt, ein Mensch einer Organentnahme zugestimmt ist die Entscheidung mit ihnen zu besprechen hat, ist zu fragen, ob er an seiner Entscheidung und auf ihre Einstellung zur Organentnahme festhalten würde, wenn er wüsste, wie schwer es Rücksicht zu nehmen. Das schließt ein, dass den in Liebe verbundenen Angehörigen fallen jede einmal gefällte Entscheidung jederzeit rekann, seine in gesunden Tagen ohne wirkliche vidierbar sein muss und dass sie unter den VorKenntnis dieser schweren Situation gefällte Ent- behalt gestellt wird, dass in Liebe verbundene scheidung anzunehmen. Welcher Mensch wür- Angehörige ihr in der konkreten Situation des de dann seine frühere Entscheidung gegen die plötzlichen Todes zustimmen können. eindeutig gegenteiligen Bedürfnisse der ihm in Es gibt keinen moralischen Anspruch andeLiebe verbundenen Mitmenschen unbedingt rer auf die Organe eines Toten und keine modurchsetzen? ralische Pflicht zur Spende von Organen, hinter Wenn man von einem christlichen Menschen- denen die Pflichten gegenüber den Angehöribild ausgeht, in dem die Beziehungen zu Gott gen völlig zurückzutreten haben. Daher muss in und den Menschen und nicht die Autonomie einem Gespräch mit den Angehörigen ermittelt die grundlegende Dimension des Menschseins werden, welche Entscheidung für sie tragbar ist, ausmachen, dann bleibt die Achtung »autono- und zwar auch dann, wenn eine Zustimmung mer« Entscheidungen immer eingeordnet in von des sterbenden Menschen zur Organentnahme der Liebe bestimmten Beziehungen und ist ihnen vorliegt. Dies ist in einem einfühlsamen Geuntergeordnet. Dann darf man nicht »autonom« spräch mit den Angehörigen zu ermitteln, in eine Organspende verfügen, ohne die Einstel- dem sie wirklich ergebnisoffen informiert und lung der Angehörigen dazu angehört und sie beraten und in dieser schweren Situation auch bei der Entscheidung bedacht zu haben. Zu in ihren seelischen Bedürfnissen angenommen 16

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Es gibt keinen moralischen Anspruch anderer auf die Organe eines Toten und keine moralische Pflicht zur Spende von Organen, hinter denen die Pflichten gegenüber den Angehörigen völlig zurückzutreten haben. Daher muss in einem Gespräch mit den Angehörigen ermittelt werden, welche Entscheidung für sie tragbar ist.

und nicht zu einer sofortigen Entscheidung gedrängt werden. Dabei ist zu bedenken, dass selbst nächste Angehörige hinsichtlich einer Organentnahme unterschiedlicher Meinung sein können. Dies erschwert eine Entscheidungsfindung und macht eine besondere Behutsamkeit im Gespräch nötig. Deshalb ist zu empfehlen, dass zu diesen Gesprächen Personen hinzugezogen werden, die sich in solchen schweren Situationen in den Krankenhäusern auskennen und die auch von den Angehörigen als »neutrale« Berater und Anwälte ihrer Bedürfnisse anerkannt werden können. Hierfür bieten sich insbesondere erfahrene Krankenhausseelsorger an. Diese Überlegungen besagen, dass die bisher in Deutschland geltende »Zustimmungslösung« zur Organentnahme nicht wie in anderen Ländern (z. B. Spanien, Niederlande) durch eine »Widerspruchslösung« ersetzt werden sollte. Dagegen bestehen erhebliche theologische und ethische Bedenken. Die »Widerspruchslösung« besagt, dass ein fehlender Widerspruch gegen eine Organentnahme als Zustimmung betrachtet werden darf. Realität ist jedoch, dass die immer noch nicht hohe Zahl der schriftlichen Äußerungen zur Organentnahme darauf beruht, dass es nicht leicht ist, sich mit einem möglichen plötzlichen Tod und den dazu nötigen Entscheidungen zu befassen und darüber mit Angehörigen zu sprechen. Man kann daher aus einem fehlenden Widerspruch nicht folgern, dass ihm insgeheim eine Zustimmung zugrunde liegt. Es muss der Öffentlichkeit weiterhin bewusst gemacht werden, dass es keine sittliche Pflicht INFORMATIONSBRIEF 313

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zur Zustimmung zu Organentnahmen gibt, wohl aber eine Verpflichtung, in dieser Sache eine Entscheidung zu fällen, diese schriftlich festzuhalten (Organspende-Ausweis), sie nahestehenden Menschen mitzuteilen und mit ihnen zu besprechen. Wir sollten uns dabei bewusst sein, dass der Mangel an Organspendern nicht in erster Linie schuld daran ist, dass das Leben von Menschen nicht durch Organtransplantationen gerettet werden kann. Am Ende des irdischen Lebens steht immer der Tod, den der Mensch letztlich nie besiegen wird, dem nur Gott »gewachsen« ist. Deshalb ist, ein lebensrettendes Organ zu empfangen, nichts, was man beanspruchen kann, sondern ein unverdientes Geschenk Gottes und von Menschen. Die Organentnahme ist für alle Beteiligten eine belastende Tätigkeit. Es ist daher verständlich, dass sie sich Klarheit wünschen, dass der Hirntod mit dem Tod des Menschen identisch ist. Diese Klarheit besteht allerdings aus wissenschaftlicher Sicht nicht. Ich bin dennoch der Meinung, dass bei eindeutig festgestelltem Hirntod Organe entnommen werden dürfen und dass das ethische Problem primär darin besteht, dass bei ins Auge gefasster Organentnahme das Sterben für den Sterbenden und nicht zuletzt für seine Angehörigen in belastender Weise manipuliert wird. Daher können Organ­entnahmen nur ethisch gerechtfertigt sein, wenn sowohl der sterbende Mensch als auch seine Angehörigen – nach angemessener Beratung und Bedenkzeit – dem eindeutig zugestimmt haben. W 17


Über den Wert der Hausbesuche Peter Osterkamp

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as ist die Frage in einer Zeit, die sich gewaltig verändert hat: Wie gehen wir als Kirche mit unseren Mitgliedern um. Schicken wir eine schriftliche Mitteilung oder senden wir ein Faltblatt ins Haus möglichst noch mit einem Überweisungsträger oder haben wir eine menschlichere Kommunikationspraxis? Das ist heute oft eine Form der Kommunikation. Auf diese Weise kann man auch anonym mit seiner Gemeinde in Kontakt treten. Aber eine bessere Form ist ein persönlicher Besuch, sei es durch den Pastor, einem Mitglied des Presbyteriums oder durch einen Menschen des eigens dafür eingerichteten Besuchskreises.

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Es kommt jemand an die Tür, eventuell nach vorheriger Anmeldung, streckt seine Hand aus zum Gruß, hat einen offenen Blick. Hoffentlich ein hörendes Ohr, einen Mund der antwortet, eine Stimme, zu der der Besuchte Kontakt aufnehmen kann. Würde man diese Arbeit nur auf den Gemeindepastor beschränken, würde man ihn überfordern. Bei bis zu 3 000 Gemeindegliedern pro Pfarrstelle (Messzahl der Landeskirche) kommt er allein nicht durch. Da empfiehlt es sich, Kontakte, aber intensive mit einer kleineren Mitarbeiterzahl, zu halten, die dann wiederum nach draußen gehen. Wa­ rum? Weil Gemeindemitglieder oder so genannte Laien oft Fähigkeiten haben, die ein Pastor nicht hat. In unseren oft unüberschaubaren Gemeinden ist das schwierig geworden. Deshalb sind Mitarbeiter aus einem Besuchskreis auch aus einem anderen Grund notwendig, weil sie DEZEMBER 2018

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oft die Fähigkeiten haben, glaubwürdiger zu Freude eines anderen Menschen. Damit wird sein und nicht im Verdacht stehen, dass sie von deutlich, dass wir eigentlich gesandt sind, das Berufs wegen so reden und einladen müssen. uneingeschränkte Erbarmen unseres Herrn JeJa, durch den Mund und das Leben bewusster sus Christus in unsere Umgebung hineinzutraZeugen soll das Evangelium zu den Menschen gen. Menschen sind im Regelfall durch ein perin den Häusern. sönliches Gespräch zu gewinnen. Es ist schließlich unverkennbar, dass die Wurzeln der Hausbesuche im Neuen Testament lie- Da gibt es die Mitarbeiter gen. Und wenn wir einmal bedenken, wie vieIhnen können wir in einer guten Atmosphäre le Gespräche Jesus geführt hat, mit Menschen bei einem Treffen die Aufgaben beschreiben, die unterschiedlichen Charakters, dann können wir zu erledigen sind. So ein »Besuchsdiensttreffen« nur staunen. Da durften Menist dann eine Zurüstung für den schen vor ihm klagen, schreien mm Menschen ­brauchen Dienst. Dann bitten wir darum, und bitten und jedes Mal ist Je- Menschen, die ihnen ein bis zwei Besuche im Monat sus auf ihre Bedürfnisse eingezu machen. Diese Besucherinbeistehen und sie gangen. nen oder Besucher, die von sich Also, Menschen haben Men- ­begleiten. Merken wir gering denken und Hemmunschen nötig. Eine Feststellung, haben, weil sie sich für undas noch? Oder machen gen die wir heute vergessen haben. geeignet halten, können fragenWenn Paulus im Galaterbrief wir nur unsere Kirchenden Menschen oft eher helfen, im 6. Kapitel im Vers 2 schreibt: und Gemeindehausweil sie besser verstanden wer»Einer trage des anderen Last«, den. dann weist er uns an die Men- türen weit auf, läuten Und wie oft soll das Treffen der schen, die mit uns leben, die eventuell und sagen uns, Besuchsdienstmitarbeiter statt­einsam und verlassen sind. Die- die Menschen können finden? Möglichst einmal im se Menschen sind beunruhigt Monat um sich auszutauschen, oder verärgert. Sie zahlen zwar ja kommen. So geht das ermutigende Erfahrungen weiKirchensteuern, bleiben aber nicht! terzugeben und Enttäuschundennoch mit ihren kritischen gen und Schwierigkeiten losFragen und angefochtenem Dasein belastet und zuwerden. Wer Seelsorge übt, Besuchsdienst einsam, weil ihnen keiner zuhört. ist Seelsorge, sollte selber auch Seelsorge erfahWir kennen alle das Wort Jesu, aus Matthäus ren können. Dabei ist Vertraulichkeit und Ver25: »Ich bin krank gewesen und ihr […]« schwiegenheit selbstverständlich. »Was ihr gut getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir ge- Die Ankündigung tan.« Noch einmal, beim Besuchsdienst geht es um ein helfendes Gespräch, das die Aufgabe des Es gibt viele Argumente, die für einen BeBeistehens in den Grundsituationen des Lebens such sprechen, möglichst ein Besuch der angevom Evangelium her wahrnimmt. kündigt wurde. Das geht per Telefon, die NumDiese Grundsituationen sind uns Menschen mern und Listen der Gemeindemitglieder hat aufgegeben, wir müssen sie bewältigen, aber oft das Gemeindebüro/Pfarramt. reicht die Kraft dazu nicht. Diese GrundsituaOder man wirft ein Kärtchen in den Briefkastionen kennen wir alle, unser Leben zu Hause, ten mit der Aufschrift: lieben, hassen, leiden, streiten oder geschieden WW Ihre evangelische Kirchengemeinde möchte sein, das Alter und das Alleinsein. Sie besuchen. Wir haben eine Gruppe von Jeder befindet sich in einer solchen GrundEhrenamtlichen, die beauftragt und eingesituation in der uns Aufgaben zur Bewältigung führt sind in unserer Gemeinde Besuche zu gestellt sind. machen oder Menschen brauchen Menschen, die ihnen WW Zurzeit besuchen wir neu Hinzugezogene beistehen und sie begleiten. Merken wir das oder noch? Oder machen wir nur unsere Kirchen- WW Wir besuchen die Mitglieder einer bestimmund Gemeindehaustüren weit auf, läuten eventen Altersgruppe. Als Mitglied unseres Betuell und sagen uns, die Menschen können ja suchsdienstes möchte ich Sie gerne am […] kommen. So geht das nicht! Sondern ein Geum […] in Ihrer Wohnung besuchen. meindemitglied oder der Pastor nimmt vom Es grüßt Sie freundlich Evangelium her Anteil an den Leiden und der Name, Handynummer. INFORMATIONSBRIEF 313

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Das Gespräch Da haben wir sicher am ehesten Probleme, denn bevor der Besucher etwas sagt, hat das Gespräch schon begonnen. Freundlich, offen, vielleicht mit einem kleinen Mitbringsel, ein Blümchen oder ein Fingerkreuz, das ich sehr gerne mitnehme, ermöglicht einen guten Anfang. »Ich heiße Peter Osterkamp und komme von der evangelischen Kirchengemeinde am Ort. Ich hoffe, dass ich Sie nicht allzu sehr störe.« Fängt der Besuchte bei dem Wort Kirche gleich an zu schimpfen, lassen wir ihn ruhig ausreden. Wir könnten ihm entgegnen: »Offenbar haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht.« Und schon ist man in einem guten Gespräch, das dem zu Besuchenden die Möglichkeit gibt, das was ihm auf dem Herzen liegt loszuwerden. Der Mensch, der von uns besucht wird, muss die Möglichkeit haben, angenommen und wenn es möglich ist begleitet zu werden. Das kann durch unsere Einladung zu den Gottesdiensten oder zu einem der Gemeindekreise sein. Übrigens fragen sich die meisten, die besucht werden, warum kommen Sie ausgerechnet zu mir? Da gibt es Zielgruppen wie z.  B. Tauf­ eltern, Alleinstehende, Kranke, Trauernde usw. Dabei geht es doch darum, menschliche Kontakte herzustellen, um den Besuchten ganz in den Mittelpunkt des Gespräches zu stellen, und nicht unsere Ansichten oder unsere eigene Person. Das Interesse am Besuchten und Verständnis für seine Lage. Und wenn wir uns äußern, dann nicht von oben herab, sondern so, dass derjenige spürt: Hier ist jemand, der mich annimmt und der Zeit hat. Also jemand, der Anteil nimmt an meinem Ergehen oder auch an meinen Leiden. Wir werden indirekt zu Begleitern. Als Jesus seine Jünger nach Emmaus begleitete, sprachen sie auf dem Weg all ihre Zweifel und Bedenken offen aus. So gehen wir auch

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den Weg eines Menschen mit und lassen ihn seine Kritik an Kirche, seine Zweifel und seine Schwierigkeiten aussprechen ohne gleich dazwischenzufahren. Und viele gutgemeinte Bezeugungen des Evangeliums scheitern im Grunde genommen daran, dass das Christliche zu bald und das heißt nicht genügend menschenbezogen gesprochen wird. Jeder weiß heute wie wichtig das Zuhören ist, aber auch wie schwierig. Das werden wir immer wieder einüben müssen. Zum Beispiel in einem Mitarbeiterkreis, im Rollenspiel oder noch fachlicher in einigen Supervisionsgesprächen, die natürlich die Kirche den Mitarbeitenden kostenlos anbietet. Zuhören heißt nicht schweigendes Hören, sondern Mitdenken. Es ist eine innere Mitbeteiligung. Die Gefahr dabei ist groß, dass wir nur mit einem »halben Ohr« zuhören. Unser Dienst heißt anhören, so wie die Liebe zu Gott damit beginnt, dass wir sein Wort hören und uns geborgen wissen. Und dieses mit eigenen Worten weiterzuvermitteln. Noch einmal, Menschen haben Menschen nötig, und nicht eine anonyme Kirche, wo man nur noch zum Gottesdienst geht und anschließend ohne Kontakte wieder in die eigene Häuslichkeit verschwindet. Dass unsere Kirchen immer leerer werden, hat auch den Grund in der Anonymität. Der Pastor hat keine Zeit Besuche zu machen oder zieht andere Arbeitsbereiche vor. Und solange wir nicht begreifen, dass wir missionarisch arbeiten, unsere Mitglieder besuchen und sie einladen müssen, werden unsere Kirchen noch leerer werden. Komisch, dass die Freikirchen an dieser Stelle Zulauf haben. Ich wünsche Ihnen und mir für meine Gemeinde, dass die Liebe Jesu uns zu den »Anderen« schickt. W

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Aus Kirche und Gesellschaft zusammen bleiben wollen und sich für diese Herausforderung Gottes Begleitung wünschen. Was für ein seltsames Bibelverständnis. Wichtig sei dem Dekan: Kein Pfarrer sollte gegen seine Überzeugung zum Segen gezwungen werden. (Quelle der Nachricht: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 33/2018 vom 19. August 2018, S. 28, gb/Isabella Hafner)

Skandalös: In Belgien sind die Sterbehilfe-Fälle erneut gestiegen

Dekan Gohl lässt nicht locker »Das Thema ist noch nicht durch«, dessen ist sich der Ulmer Dekan Ernst-Wilhelm Gohl sicher. Gohl ist Synodaler des Gesprächskreises »Evangelium und Kirche« (Kirchliche Mitte). Das Thema – damit meint er die in der Herbsttagung 2017 knapp gefällte Entscheidung, dass Württemberg gleichgeschlechtlichen Paaren die Segnung weiterhin verweigern wird. Der Gesamtkirchengemeinderat der sechs Ulmer Kernstadtgemeinden will sich damit nicht abfinden und hat beschlossen, dass es in Ulmer Kirchen sehr wohl Segnungen homosexueller Paare geben soll – allerdings erst, sobald das Kirchenrecht dies möglich macht. Wann dies der Fall sein könnte, ist ungewiss. Fest steht nur, dass die Synode in dieser Legislaturperiode nicht noch einmal über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare abstimmen kann. Ende 2019 finden die nächsten Kirchenwahlen in der württembergischen Landeskirche statt. Aber es gibt andere Möglichkeiten, etwa eine Änderung der Gottesdienstordnung, über die der Oberkirchenrat in Stuttgart entscheidet. In den sechs Ulmer Kirchengemeinden leben längst Mitglieder öffentlich ihre Homosexualität, darunter Kirchengemeinderatsmitglieder und Pfarrer, berichtet Gohl. Ein gleichgeschlechtliches Paar sei vom Synodalbeschluss so »tief verletzt« worden, dass es aus der Kirche ausgetreten sei. Er könne es nicht mit seinem biblischen Verständnis vereinbaren, Paaren den Segen vorzuenthalten, die ein Leben lang INFORMATIONSBRIEF 313

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2 309 Menschen kamen im Jahr 2017 durch die Hand von Ärzten zu Tode In Belgien steigt die Zahl der Fälle von aktiver Sterbehilfe weiter. Das geht aus dem Zweijahresbericht der Föderalen Kontroll- und Evaluationskommission zur Euthanasie hervor. Demnach kamen im vergangenen Jahr 2309 Menschen durch die Hand von Ärzten zu Tode. Das ist ein Plus von 13,9 Prozent im Vergleich zu 2016 mit 2028 registrierten Fällen. Laut dem Vorsitzenden der Kommission, Wim Distelmans (Brüssel), nehmen auch immer mehr ältere Menschen Sterbehilfe in Anspruch, die unter einer Summe von Krankheiten leiden, einer so genannten Poly Pathologie, also beispielsweise nicht mehr sehen und hören können und gleichzeitig inkontinent sind, was viele nicht akzeptieren wollen. Die Definition von Poly Pathologie ist unter Bioethik-Experten umstritten. Sie kritisieren, dass das auf fast jede Person über 70 Jahren zutreffe. Deshalb sei oft nicht klar nachzuvollziehen, ob die Krankheiten der

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Grund für den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe seien oder möglicherweise auch Einsamkeit. Der belgische Bioethiker und Philosoph Professor Willem Lemmens (Antwerpen) warnte unlängst vor drastischen Veränderungen. Euthanasie werde mittlerweile von manchen als »Grundrecht« und der Tod als »therapeutische Lösung« bezeichnet. Ihm zufolge werden Kritiker des Euthanasiegesetzes in Belgien als unmenschlich und unmoralisch bezeichnet. Sie könnten ihre Bedenken oft nicht mehr laut äußern. In Belgien ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Umständen seit 2002 kein Straftatbestand mehr. Damals gab es 24 Euthanasiefälle. Nach Angaben der Euthanasie-Kontrollkommission haben von 2002 bis 2017 17062 Personen Sterbehilfe in Anspruch genommen. Seit Februar 2014 gibt es in Belgien keine Mindestaltersgrenze für aktive Sterbehilfe mehr. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 33/2018 vom 15. August 2018, S. 13)

Früherer Diakonie-Präsident Karl Heinz Neukamm † Im Alter von 89 Jahren ist bereits im August der frühere Präsident des Diakonischen Werks der EKD, Karl Heinz Neukamm in Nürnberg, wo er seinen Ruhestand verbrachte, verstorben. Das Lebensmotto des gebürtigen Franken war »Ein Christ ist immer im Dienst«. Von 1984 bis 1994 war er an der Spitze des Diakonischen Werks der EKD. Er setzte sich nachdrücklich für die evangelische Profilierung der Diakonie ein. In seine Amtszeit fiel auch die Wiedervereinigung der Diakonischen Werke in beiden Teilen Deutschlands 1991. Er förderte den Aufbau diakonischer Einrichtungen im früheren Ostblock. Außer der Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Lutherischen Akademie in Budapest erhielt er das Bundesverdienstkreuz und den Verdienstorden der Republik Ungarn. Im Ruhestand war Neukamm von 1994 bis 2000 Beauftragter des Rates der EKD für Fragen der Spätaussiedler und der Heimatvertriebenen. Nach seinem Theologiestudium war Neukamm zunächst Gemeindepfarrer in Beerbach (Mittelfranken) und ab 1962 Landesjugendpfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Von 1967 bis 1984 leitete er eine der größten diakonischen Einrichtungen, die Rummelsberger Anstalten bei Nürnberg. Zudem war er von 1975 bis 1984 ehrenamtlicher Präsident des Diakonischen Werkes Bayern. Über viele Jahre arbeitete er am »Feste-Burg-Kalender« mit. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 33/2018 vom 15. August 2018, S. 14, Von Personen)

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Klinik Hohe Mark hat neuen Ärztlichen Direktor und neuen Chefarzt Die christliche Fachklinik Hohe Mark (Oberursel bei Frankfurt) hat einen neuen Ärztlichen Direktor. Der Chefarzt der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik, Martin Grabe (58), hat das Amt zusätzlich übernommen. Er ist seit 1993 in der Klinik tätig, seit 1998 als Chefarzt. Grabe folgt auf Professor Arnd B ­ arocka (65), der in den Ruhestand trat. Barocka war zudem Chefarzt in der Abteilung Allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialpsychiatrie und Suchtmedizin. Diese Aufgabe hat Professor Martin Steffens (49) übernommen, der bislang Chefarzt der Rheinhessen-Fachklinik Alzay war. Ihm liegt die psychische Gesundheit von Familien besonders am Herzen. Steffens ist evangelischer Christ und engagiert sich im Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und akademischen Berufen SMD. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 33/2018 vom 15. August 2018, S. 27, Hessen)

Neuer Landesrabbiner in Stuttgart Yehuda Pushkin (43) ist seit 1. September Landesrabbiner in Stuttgart und Nachfolger von Netanel Wurmser, der nach fast 16 Jahren in den Ruhestand getreten ist. Pushkin ist Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). (Quelle der Nachricht: Südwestpresse vom 11. Juli 2018, Südwestumschau, nach epd)

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Aus den Bekennenden Gemeinschaften

Kultur des Lebens gegen Kultur des Todes »Marsch für das Leben« 2018 –– Beobachtungen und Eindrücke bei »der größten Demonstration Pro Life« Seit Jahren gehen in Berlin im Frühherbst Tausende auf die Straße, um öffentlich gegen einen kaum mehr wahrgenommenen Notstand ihre Stimme zu erheben: gegen die tausendfache Abtreibung in unserem Land. In diesem Jahr waren es wieder 5 500 Christen, quer durch alle Konfessionen, geeint aber im Eintreten für das ungeborene Leben, die am 22. September dem Aufruf des »Bundesverband[es] Lebensrecht e. V.« folgten und zum 14. »Marsch für das Leben«, »der allerfriedlichsten Demonstration in ganz Berlin«, so Mechthild Löhr vom Vorstand der Lebensrechtler, aufbrachen und die, um dabei sein zu können, oft lange Anreisen nicht scheuten. Zunehmend rückt aber neben dem Lebensbeginn auch dessen Ende in den Focus des Interesses: die angestoßene Neudiskussion zur Organspende, die darauf hinauslaufen könnte, dass der Mensch leicht zum »Ersatzteillager« wird (siehe dazu den Aufsatz von Professor Ulrich Eibach »Der menschliche Körper: Ein Ersatzteillager? Organspende: Ohne Zustimmung und moralische Pflicht?« in diesem Heft, Seite Seite 14ff.), dürfte dem neue Brisanz verleihen. Und wieder kam es während der etwa vierstündigen Veranstaltung zu Störungen durch zahlenmäßig nicht gerade viele, aber lautstarke, zumeist relativ junge Randalierer. Die Parolen die sie brüllten, sind in all den Jahren dieselben geblieben. Sie sind »unterste Schublade« und man geniert sich, diese auch nur zu nennen. Mit acht Hundertschaften musste die Polizei die Veranstaltung vor übermäßigen Störungen und Übergriffen schützen. Die Beamten haben diese Aufgabe gut gelöst. INFORMATIONSBRIEF 313

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Welche Brutalität die Randalierer teilweise an den Tag legten, erhellt daraus, dass sie einen bejahrten Teilnehmer umstießen. Doch erfreulich ist, dass alle Altersklassen beim »Marsch für das Leben« vertreten sind; in diesem Jahr war der älteste Teilnehmer über 90. Obwohl es also Tausende sind, die bei dieser Veranstaltung dabei sind, übergehen die (meinungsbildenden) Medien, die, wenn es ihnen passt, selbst über Kleinveranstaltungen berichten, den »Marsch für das Leben« (was nicht in den Leitmedien erscheint, hat nicht stattgefunden) oder aber ihre (Kurz)Berichte sind negativ konnotiert. Von einer fairen Berichterstattung kann in aller Regel mitnichten die Rede sein. Eine ganze Anzahl kirchenleitender Persönlichkeiten hatten schriftliche Grüße gesandt, etwa die evangelischen Bischöfe Otfried July (Stuttgart) und Carsten Rentzing (Dresden) sowie der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), Ekkehart Vetter (Mülheim/Ruhr); von römisch-katholischer Seite kamen schriftliche Grüße unter anderem von Erzbischof Stephan Burger (Freiburg) und Weihbischof Thomas Maria Renz (Rottenburg/ Neckar) sowie von Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (Köln). Bischof Rudolf Voderholzer (Regensburg) beteiligte sich am »Marsch für das Leben«; ebenso mischte sich trotz vielfacher anderer Verpflichtungen der Berliner Erzbischof Heiner Koch unter die »Marschierer«. Politische Prominenz glänzt in aller Regel durch Abwesenheit. Der frühere Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) wäre gerne persönlich beim »Marsch« dabei gewesen. Er musste kurzfristig seine Teilnahme absagen, hat aber ein Grußwort gesandt, das, bei »der größten Demonstration Pro Life«, wie sich die Vorsitzende des »Bundesverband[es] Lebensrecht e.   V.«, Alexandra Maria Linder (Weuspert/ Sauerland) ausdrückte, vorgelesen wurde. Darin 23


brachte Singhammer deutlich zum Ausdruck, in Deutschland brauche es keine Werbung für Abtreibung, sondern für das Leben. Bewegend sind allemal die Zeugnisse, die bei der Kundgebung, die in diesem Jahr beim Berliner Bahnhof Lehrter Straße (Hauptbahnhof) stattfand, laut werden. Eine seit zwölf Jahren in der Schwangeren Beratung Tätige zeigte auf, dass Frauen in dieser Konfliktsituation echte Empathie nötig haben. Ihnen sei zu zeigen: Du bist nicht allein. Sie schloss ihr Statement mit dem Hinweis: Frauen im Schwangerschaftskonflikt seien nicht frei, sondern hätten Angst. Eine Frau, gebürtig aus Schwarzafrika, dreifache Mutter, berichtete, wie ihr die »Aktion Lebensrecht für Alle e. V.« (ALfA) Mut gemacht habe, auch ihr drittes Kind zu bekommen. Abtreibung ist kein Weg, rief sie in die Menge. Leider geht es nicht immer so gut aus, wie am folgenden Kurzbericht deutlich wird. Ohne dass der Freund es wusste, hat eine ganz junge Frau abgetrieben. Er selbst, inzwischen nicht allein ein anerkannter Pianist, sondern auch vierfacher Familienvater, war selber Kind einer erst 16-jährigen unverheirateten Mutter, die ihn zur Adoption freigab. Jedes Kind ist ein Geschenk, so das Fazit des Kurzberichts. Nach der Bekanntgabe von Hartmut Steeb (Stuttgart), dem Generalsekretär der DEA und Stellvertretenden Vorsitzenden des »Bundesverband[es] Lebensrecht e.   V.«, im vergangenen Jahr durften 100 000 wegen Abtreibung nicht das Licht der Welt erblicken (die Dunkelziffer liegt freilich weit höher), legten die Versammelten eine Schweigeminute für die ungeborenen Kinder ein. Diese wurde durch Lärm von der Gegenseite gestört. Im Anschluss an die Schweigeminute spielte die Band »KÖNIGE & PRIESTER« den passenden Song »Aus deiner Hand bin ich«. Wenn auch die Rockklänge der Band allein schon wegen der Lautstärke nicht jedermanns Sache sein durften, so gebührt den Band-Mitgliedern dennoch großer Dank: Sie sind betont »Pro Life«; und dazu kommt noch ein praktischer Grund: Mit ihrer lauten Musik übertönten sie so manche Störung. Ein Grußwort aus den USA, auch wenn dieses nicht frei vom amerikanischen Machbarkeitsgedanken war, sollte Mut zur Fortsetzung und zum Nicht-Nachlassen machen: »We are the Pro Life Generation«. In den USA ist in den letzten Jahren die Pro Life-Bewegung stark gewachsen. Das, so hieß es im Grußwort, schaffen wir auch in Deutschland; gemeinsam schaffen wir das; das trägt dazu bei, die Kultur des Todes zu beenden. An dieser Stelle sei auch erwähnt, wie international die größte Demonstration 24

Pro Life in Deutschland »besetzt« war; Lebensrechtler aus Österreich, der Schweiz, aus Spanien, Polen, den Niederlanden und den USA waren zugegen. Die »Jugend für das Leben« – wie gut, dass es gar nicht so wenige junge Lebensschützer gibt – berichtete von ihrer im Sommer durchgeführten »Pro Life-Tour« von München nach Salzburg, eine etwa 200 Kilometer lange Wanderung mit Info-Abenden und Kundgebungen (z. B. auf dem Marienplatz in München) und lud zur dreiwöchigen im kommenden Sommer ein, die von Augsburg nach Bozen führt und dabei durch drei Länder kommt (Deutschland, Österreich, Italien). Die »Jugend für das Leben« geht auch in Schulen, so dass Schüler von Schülern lernen. Für diese Jugendbewegung kann man sich nur dankbar zeigen. Sieben »Forderungen für mehr Lebensschutz«, abgedruckt auf an die Teilnehmer verteilten Karten, sind an die Politiker gerichtet. Mit diesen werden diese auch an geltendes Gesetz erinnert: An zwei grundlegende Artikel des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« (Art. 1, Abs. 1) und: »Jeder hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit« (Art. 2, Abs. 2) sowie an das Verbot für Werbung für Abtreibung (§ 219a StGB). Aus den sieben Forderungen geht hervor, dass der Schutz des Lebens an dessen Beginn und dessen Ende sehr wichtig ist. Dann setzte sich der Demonstrationszug unter Polizeischutz in Bewegung. Die Teilnehmer zogen mit Transparenten und weißen Kreuzen etwa 90 Minuten durch Berlins Straßen. Dass er zum Teil durch wenig belebte Straßen ging, ist zu bemängeln. Liturg beim abschließenden ökumenischen Gottesdienst war der Berliner Weihbischof Dr. Matthias Heinrich. Die Predigt hielt der evangelische Bischof aus Greifswald, Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Die Predigt wird im Informationsbrief 314 im Februar 2019 veröffentlicht), die Band »KÖNIGE & PRIESTER« spielte. Erfreulich ist, dass mit Hans-Jürgen Abromeit ein Bischof einer evangelischen Landeskirche (Nordkirche, Sprengel Mecklenburg und Pommern) die Predigt hielt und damit eine klare Haltung zum Lebensschutz einnimmt, die ja in den evangelischen Landeskirchen alles andere als klar ist. Während des Gottesdienstes traten immer wieder Störungen auf. Grundlage der Predigt von Bischof Abromeit, die unter dem Thema stand: »Einer trage des andern Last« war Galater 6,1–4. Der Bischof rief zu Geschlossenheit auf; Einzelkämpfertum sei in diesem Falle fehl am Platz. Er erinnerte an die frühchristliDEZEMBER 2018

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che Zwölf-Apostel-Lehre (Didache, etwa 130 n. Chr.), die in einer Zeit, als Aussetzen oder Abtreibung unerwünschter Kinder unter den Heiden zur Geburtenkontrolle üblich war, als Unterschied zu diesen festhielt: Christen machen keine Abtreibung. Weil Gott das Leben geschaffen habe, sei dieses heilig. Gegen eine Kultur des Todes stellt die Didache eine des Lebens. Der Bischof berichtete von einer 15-jährigen, die schwanger wurde, deren Mutter, die selbst alleinerziehend ist, ihr jedoch Hilfe anbot. Gerade eine ungewollte Schwangerschaft sei die Nagelprobe für die Gemeinschaft. Das von Paulus genannte »Gesetz Christi« (Galater 6,2) sei das Liebesgebot; Jesus habe ganz aus dieser Liebe heraus gelebt. Bischof Abromeit bekannte, er setze sich gern für das Leben ein und habe deshalb die Predigt übernommen. Die Zahl der Abtreibungen bezeichnete er als »dauernd sehr, sehr hoch«. Es sei bereits viel gewonnen, wenn Männer die Lasten ihrer Frauen mittragen und die Eltern mithelfen. Weit mehr Unterstützung als bisher bereits angeboten werden, sei wünschenswert. Jedenfalls sollte nicht eintreten, dass Frauen am Ende allein dastehen. Jedes Leben, das Gott geschenkt habe, sei heilig. Deshalb sollten Christen laut für das Leben eintreten, besonders für die Ungeborenen, die dies nicht für sich könnten, da sie so das Liebesgebot Jesu erfüllten. Nach Fürbittengebet und Vaterunser fand der Gottesdienst mit dem ökumenischen Choral »Großer Gott wir loben dich« und dem Segen seinen Abschluss. »KÖNIGE & PRIESTER« spielten noch einige Songs, bevor sich die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde auflöste. Im Nachhinein musste ich immer wieder an den »Slogan« der Störer denken: »Wir haben Spaß, und ihr habt nur Jesus.« Doch damit habe ich »das [ewige] Leben« und ohne »den Sohn« eben nicht (1.Johannes 5,12). Der kommende »Marsch für das Leben« steht bereits fest: Am Samstag, den 21. September 2019 in Berlin. Kommt zuhauf! Walter Rominger

Wolfgang Brunner † Pfarrer i. R. Wolfgang Brunner verstarb nach langer schwerer Krankheit. Von 1988 bis 2000 war er Dekan des Kirchenbezirks PforzheimLand. Er war Pfarrvikar und dann Pfarrer im Hegau am Bodensee, in Murg-Rickenbach bei Waldshut und danach in Stein. Von 1986 bis 2004 leitete er als Vertrauensmann den badischen Pfarrerinnen- und Pfarrer-Gebetsbund (PGB-Baden). Im Ruhestand stand er noch INFORMATIONSBRIEF 313

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jahrelang als Vertretung auf den Kanzeln seiner Region. (Quelle der Nachricht: Wochenendmail aus Bretten vom 7. September 2018)

Pädagoge Gottfried Schröter † Der christliche Pädagogikprofessor und Buchautor Gottfried Schröter (Detmold) ist im Spätsommer im Alter von 92 Jahren heimgegangen. Von 1960 bis 1988 lehrte er an der Universität Kiel und war zuletzt Direktor des dortigen Instituts für Pädagogik. In Büchern und Zeitschriftenbeiträgen beschäftigte er sich mit religionspädagogischen und theologischen Themen. 2002 gehörte er zu den 22 evangelischen Professoren, die sich mit einem »Ratschlag an die Leitungen der Gliedkirchen der EKD« zum Umgang mit homosexuellen Partnerschaften zu Wort meldeten. Sie appellierten an die Kirchenleitungen, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht zu fördern, Amtshandlungen für solche Partnerschaften zu unterlassen und praktizierende Homosexuelle nicht im Pfarrdienst zu beschäftigen. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 37/2018 vom 12. September 2018, S. 14, Von Personen)

Lutherischer Medienexperte Horst Neumann † Der frühere Direktor der Medienmission »Lutherische Stunde«, Pfarrer Horst Neumann (Bad Malente bei Lübeck) ist im vergangenen September im Alter von 85 Jahren heimgegangen. Er leitete das der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) nahestehende Werk von 1991 bis 2003. Anschließend war er dort als ehrenamtlicher Missionspfarrer tätig. Neumann, in Frankfurt am Main geboren, studierte im Mainz Theologie. Danach war er Lehrer an einem Sozialpädagogischen Institut im Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD). 1985 wurde er im Fach Missionswissenschaft an der Universität Tübingen promoviert. 1987 trat er von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zur SELK über, weil er den Kurs seiner Landeskirche nicht mehr mittragen konnte. Ab 1991 war er Gemeindepastor der SELK – neben seinem Direktorenamt bei der »Lutherischen Stunde«. Von 1996 war er Vorsitzender der Europäischen Lutherischen Konferenz in der heute 27 Bekenntniskirchen zusammenarbeiten. Dazu gehört auch die SELK. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 37/2018 vom 12. September 2018, S. 14, Von Personen)

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Aus der Bekenntnisbewegung

Bekennende Kirche werden. Die Bedeutung der Seelsorge für die Kirche der Zukunft Zum Bekenntnistag der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Rainer Mayer

»Die Kirche der Zukunft wird eine Kirche der Seelsorge sein –– oder sie wird nicht sein.« Mit dieser These ist zunächst die Kirche gemeint, wie sie sich heutzutage in unserem Land darstellt mit ihren Strukturen, Ämtern und Institutionen – also in ihrer äußeren Gestalt. Die Kirche Jesu Christi, anders gesagt: die Gemeinschaft der Heiligen, wird freilich nicht untergehen, wie es Jesus im Anschluss an das Christusbekenntnis des Petrus Matthäus 16 bestätigt: »Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.« Diese Zusage gilt für die Gemeinde der Christusgläubigen weltweit. Sie ist aber keine Garantie für das Weiterbestehen der derzeitigen kirchlichen Strukturen und deren Organisationen.

Worin die besondere Schieflage der Kirche heute besteht. Stets ist die verfasste Kirche in Gefahr, sich den polit-gesellschaftlichen Trends anzuglei-

Rainer Mayer Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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chen, um modern zu erscheinen, als bedeutsam zu gelten und sich selbst abzusichern. Das ist heute nicht anders als zur Zeit des so genannten »Dritten Reiches«, als sich die Reichskirche ideologisierte und sich dagegen die Bekennende Kirche um die Barmer Theologische Erkärung sammelte. Selbstverständlich geht es heute um andere Inhalte, aber der Trend zur Anpassung ist geblieben. Als tiefste Ursache für den Anpassungsdrang nannte Dietrich Bonhoeffer: »Eintreten für die Sache der Kirche, aber wenig persönlicher Christusglaube.« Für die Gegenwart sind drei Punkte hervorzuheben: WW Die Erosion der Mitgliederzahlen, die keineswegs allein durch die demographische Entwicklung bedingt ist. Sie wird sich in Zukunft auch finanziell auswirken. WW Wesentlicher ist die geistlich-theologische Verwirrung. Man kann und will nicht mehr sagen, was verbindliche Lehre ist. WW Die Reaktion auf diese Erscheinungen besteht in von oben verordneten organisatorischen Strukturreformen statt in inhaltlichgeistlicher Neuorientierung. Generell ist zu bemerken: Bezüglich der Bibelauslegung besteht große Unsicherheit. Dadurch erodieren die Grundlagen. Man beruft sich zwar auf die historisch-kritische Forschung, aber das dient lediglich als Alibi. Wenn nur wirklich historisch-methodisch gearbeitet und argumentiert würde! Statt dessen herrscht pure Beliebigkeit. Das Motto heißt: »Das ist bloß historisch bedingt« oder: »Ich sehe das anders«. Schon Dietrich Bonhoeffer sagte: »Der DEZEMBER 2018

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Individualismus hat den Protestantismus der Reformation zerstört.« Der Versuch, dennoch wie bisher weiterzumachen, lautet im besten Fall dann etwa so: »Wir können uns zwar in der Lehre nicht verständigen; dennoch wollen wir uns menschlich gegenseitig gelten lassen und beieinander bleiben, ansonsten wollen wir uns aber Freiräume lassen.« Das klingt tolerant, ist aber Denkverweigerung. Fazit: Ende der Theologie, Ende vernünftigen Denkens, Ende der Bekenntniskirche, Ende auch der Mission, insbesondere eines missionarischen Gesprächs mit anderen Religionen!

Warum gerade die Seelsorge ein Weg für die Zukunft sein kann. Der zentrale Aufruf an alle Menschen im Alten und Neuen Testament lautet: Tut Buße, kehrt um! Das verkündeten die Propheten von Elia an bis zu Johannes, dem Täufer. Und die Botschaft Jesu ist Markus 1,15 in einem einzigen Satz zusammengefasst: »Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist genaht, tut Buße und glaubt an das Evangelium.« Seelsorge ist nichts anderes als die praktische Seite der Buße, Buße im Vollzug, nicht nur als Theorie. Luther spricht von der »gegenseitigen Tröstung der Brüder« und davon, dass Christus im Bruder stärker ist als in mir. Im Zentrum der Seelsorge steht das persönliche Sündenbekenntnis und die Absolution, die Freisprechung im Namen der von Jesus Christus seinen Jüngern verliehenen Vollmacht. Hier gilt das Priestertum aller Glaubenden. Ein Pfarrer allein in einer Gemeinde wäre überfordert. Voraussetzung dafür wiederum sind verbindlich lebende Hauskreise in den Gemeinden. Ganz wichtig ist die Feststellung, dass das neutestamentlich-griechische Wort für »bekennen« zugleich »loben« bedeutet. Bekennen ist biblisch immer Buße und Lob Gottes zugleich, weil wir dann, wenn wir als Sünder vor Gott treten, seinem Urteil über uns Recht geben und für die Vergebung danken. Christusbekenntnis, Buße und Gotteslob gehören deshalb zusammen. Wer das erkennt, wird demütig. Kirche wächst von unten, nicht von oben. Das gehört zum Evangelium. Wer hinauf will, muss zuerst hinunter. Erst das Kreuz, dann die Auferstehung. Ich meine, von hier aus – mögen die Anfänge auch noch so bescheiden wirken – wird Kirche von innen her erneuert werden und wieder wachsen. Eine solche Kirche hat die Verheißung, dass selbst »die Pforten der Hölle sie nicht überwinden« werden. W INFORMATIONSBRIEF 313

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Seelsorge tut Not Aus jahrelanger persönlicher Erfahrung aus der Seelsorge sprach die Aidlinger Diakonisse Heidi Butzkamm. »Mut zur Seelsorge« war ihr Vortrag überschrieben. Seelsorge sei keine Domäne der Pfarrer, die sowieso häufig zu viel anderes zu tun hätten um auch noch gute Seelsorger zu sein, sondern Aufgabe eines jeden ernsthaften Christen. Schwester Heidis Einschätzung, eine Seelsorgeflaute sei auch eine Bibelflaute, ist recht zutreffend. Der greise Vorsitzende des Arbeitskreises Christlicher Publizisten, Heinz Matthias (92, Niedenstein bei Kassel), der sich seit Jahrzehnten der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« eng verbunden weiß, überreichte dieser eine »Respektzuweisung«, verfasst von dem Theologen Philipp Kiril Prinz von Preußen. Zu den Empfängern zählten in früheren Jahren schon bedeutende Persönlichkeiten. Den Abschluss des Bekenntnistages bildete ein stilvoller Abendmahlsgottesdienst. Die Liturgie hielt der hessisch-nassauische Ruhestandsdekan Dietrich Eizenhöfer (Eschenburg/Nordhessen), der viele Jahre dem Geschäftsführenden Ausschuss angehörte; Pastor Johannes Frey (Stuhr bei Bremen) predigte über Galater 5,16–6,2. In diesem Abendmahlsgottesdienst war auch die Einführung von Pastor Johannes Frey in den Reisedienst der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«. Die 60 Besucher des Bekenntnistages erlebten gesegnete Stunden. Das Ambiente war zudem ansprechend. Trotz des dichten Programms blieb Zeit zur persönlichen Begegnung. Der Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea) berichtete von der Veranstaltung. BibelTV war zugegen und strahlte eine kurze Reportage aus, die auch ein kurzes Interview mit Pastor Frey enthielt. Walter Rominger Aufnahmen von den beiden Vorträgen von Professor Rainer Mayer und vom Gottesdienst sind als Audio-CD oder MP3 zu beziehen bei: Helmut Schlee Gartenstraße 15 a 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (02845) 9490950 E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de

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Buchrezensionen Paulus’ Gefangenschaften, das Ende der Apostelgeschichte und die Pastoralbriefe Die Monographie Karl Müllers über die letzten Lebens- und Wirkungsjahre des Apos­ tels Paulus lädt dazu ein (wieder einmal oder ganz neu), sich in die letzten Kapitel der Apos­ telgeschichte und in die Pastoralbriefe zu vertiefen. Wenn theologische Wissenschaft die paulinische Verfasserschaft der Pastoralbriefe anerkennte, so bedeutete dies eine Aufwertung dieser. Denn bislang gelten ihr diese zumeist als minderwertig gegenüber den älteren und unbestreitbar echten Paulusbriefen. Während meines Theologiestudiums, das zugegebenermaßen deutlich mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt, gab es, sofern ich mich recht entsinne, nie ein Seminar oder gar eine Vorlesung zu den Pastoralbriefen, wiewohl diese einer eingehenden Behandlung durchaus wert sind. Werden die Pastoralbriefe Paulus zugeordnet, so ist davon auszugehen, dass der Apostel nach seiner ersten römischen Gefangenschaft noch einmal frei kam und noch bis Spanien gekommen ist; diese Absicht nennt er ja ausdrücklich (Römer 15,24.28); evt. auch (noch) oder stattdessen in den Osten zog. Im Anschluss daran hätte er die Pastoralbriefe verfasst. Im Mainstream der Ausleger steht der Verfasser nicht. Die Mehrzahl dieser (etwa zwei Drittel) geht – nicht selten ungeprüft – davon aus, die so genannten Pastoralbriefe (1. und 2. Timotheus, Titus) seien nicht von Paulus und erst beträchtliche Zeit nach dessen Tod (von einem Schüler dessen) verfasst; diesen steht eine nicht geringe Minderheit (etwa ein Drittel) von Auslegern entgegen, die sich für paulinische Verfasserschaft ausspricht, bzw. die Sekretärshypothese vertreten, wonach ein Sekretär des Paulus im Auftrag des Apostels die Briefe verfasst habe, die dann von Paulus durch seine Unterschrift autorisiert worden seien. Karl Müller spricht sich eindeutig für paulinische Verfasserschaft aus. Er nimmt Argumente zur Kenntnis, hört auf diese, wägt ab – kurz: Er zieht keine (vor)schnellen Schlüsse, und ist dann doch der Ansicht: Die vorgebrachten Argumente für nachpaulinische Verfasserschaft seien nicht stark genug, um dies zu tragen. Viel Literatur hat der Verfasser berücksichtigt, was an seinem ausführlichen Literaturver28

zeichnis (S. 96–104) deutlich wird. So erweist sich seine Monographie geradezu als Literaturbericht zum Thema. Zudem sind seine Aussagen mit einer Fülle von Fußnoten gut abgesichert. Insgesamt ein spannendes und lohnendes Unternehmen. Walter Rominger Karl Müller Paulus’ Gefangenschaften, das Ende der Apostelgeschichte und die Pastoralbriefe Berlin und Münster 2018 LIT Verlag Dr. W. Hopf 106 Seiten, Broschur ISBN 978-3-643-13973-3, 29,90 Euro E-Book PDF ISBN 978-3-643-33973-7 Verlagskontakt: LIT Verlag, Fresnotstraße 2, 48159 Münster Telefon (0251) 62032-0 und (0251) 62032-22 E-Mail: lit@lit-verlag.de, und vertrieb@lit-verlag.de Internet: www.lit-verlag.de, E-Books erhältlich unter: www.litwebshop.de

Die digitale Fortschrittsfalle Warum der Gigabit-Gesellschaft mit 5G-Mobilfunk freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte drohen Die Digitalisierungseuphorie scheint keine Grenzen zu kennen. Zum Beispiel war Anfang November der Presse zu entnehmen, wie sich die Regierung von Baden-Württemberg dafür stark macht, dass der Südwesten zum Topstandort der Zukunftstechnologie und darin eingeschlossen der Künstlichen Intelligenz (KI) wird. Und das bei einem »grünen« Ministerpräsidenten, der offenbar ganz beseelt davon ist, aber einräumt: »Was die flächendeckende Versorgung mit 5G betrifft, will ich nicht verschweigen, dass dabei auch auf die Bevölkerung noch einiges zukommen wird.« DEZEMBER 2018

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Kritisches zu dieser Technologie – egal aus welcher Disziplin – hat freilich in einer Politik, die sich von der Wirtschaft gängeln lässt, bis jetzt kaum reale Chancen auf Gehör. Dennoch dürfen die kritischen Stimmen dazu nicht verstummen. Und so ist dem Systematischen Theologen Werner Thiede überaus zu danken, dass er – wieder einmal und angesichts der konkreten Vorbereitung von 5G-Mobilfunk sehr deutlich – seine warnende Stimme erhebt. Er ist unter christlichen Theologen nahezu der einzige, der die ethische Relevanz von Digitalisierung und KI angemessen begreift und dadurch ihr Bedrohungspotenzial als »Fortschrittsfalle« ausmacht. Eindrücklich zeigt seine neueste Veröffentlichung, wie sich mit dem 5G-Mobilfunk geradezu ein »Quantensprung« in der Digitalisierung vollzieht, der sich allerdings als Rückschritt für Freiheit und Gesundheit erweisen dürfte. Künftig werden – um Funklöcher zu stopfen und Datenmengen und deren Geschwindigkeit zu erhöhen – Funkstrahlen nicht allein von den bisherigen Masten ausgehen, sondern auch von vielen Straßenlaternen, Verteilerkästen, Haus­ ecken und so fort. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom AG rechnet mit weiteren 300 000 Funkstationen für 5G. Dabei hat die veränderte Strahlung eine stärkere Pulsation, und die Immissionen in die Wohnungen hinein können wegen der kürzeren Abstände von den 5G-Basisstationen her sehr hoch werden – mitunter tausendfach höher als bisher! Und obwohl manche industrieunabhängigen Forscher das Krebsrisiko durch Mobilfunk inzwischen deutlicher als gegeben erachten, wird flächendeckende »Versorgung« angestrebt! Der Ambivalenz des Stopfens von Funklöchern steht man blind gegenüber: Vernunftargumente, die nicht ins Konzept der digitalen Revolution passen, werden nach dem Motto »Digitalisierung first – Bedenken second« ignoriert. Elektrosensiblen bleibt kaum noch Lebensraum. Sollte aber nicht die im Grundgesetz beschworene »körperliche Unversehrtheit« mehr Gewicht haben als die Gewinnmaximierung von Konzernen? Thiede unterstreicht, dass die vorangetriebene Vernetzung auch die Überwachung noch deutlich wird zunehmen lassen. Angesichts des »gläsernen Menschen« nimmt sich die seit Ende Mai 2018 geltende europäische Datenschutzverordnung beinahe lächerlich aus. Wenn vor allem IT- und KI-Riesen die Digitalisierung bis in die letzten Winkel dieser Welt vorantreiben und das ganze Leben erfassen und durchdringen wollen (»Internet der Dinge«), steht hinter dieser drohenden Technokratie nicht allein kapitalistisches Streben, sondern zugleich das Ziel, INFORMATIONSBRIEF 313

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ihre Ideologie gegen alle Widerstände durchzusetzen. Nimmt nicht aber schon die allgemeine Bildung bedrohlich ab? Und ist Digitaltechnik nicht durchaus verwundbar? IT-Experten und Verfassungsschützer betonen die Gefährdung durch Hackerangriffe, die anders als bei analogen Systemen die sensible öffentliche Infrastruktur wie etwa Strom- und Wasserversorgung lahmlegen könnten. Und das nennt sich dann »Fortschritt«! Auch wenn Künstliche Intelligenz sich beständig selbst optimiert und in manchem bereits »besser« sein mag als Menschen, so wird sie doch – eben weil es sich um seelenlose Maschinen handelt – etwas nie können: echte Empathie und Liebe zeigen. Und bei sogenannten Cyborgs, Mischwesen zwischen Mensch und Maschine, kann es einem demgemäß nicht wirklich wohl sein. Digitalisierung ist »im Kern […] eine Maschinenvergötterung und Datenreligion, die in ihrem Wesen etwas Menschenverachtendes birgt« (S. 67); ihrem Wesen nach ist sie atheistisch oder antitheistisch. Diesen Sachverhalt sollten Christen durchschauen. Und wer hofft, letztlich durch Digitalisierung Unsterblichkeit erlangen zu können, dem hält Thiede entgegen, dass alles vom Menschen Gemachte ja doch endlich ist – schon weil diese Welt endlich ist und die Galaxien garantiert vergehen werden. Wird eine von Menschen am Ende nicht mehr beherrschte Künstliche Intelligenz den planetarischen Untergang beschleunigen helfen? Birgt die Digitalisierung nicht geradezu apokalyptische Dimensionen? Der Theologieprofessor Werner Thiede stellt sich in seiner so aktuellen Broschüre auch dieser Frage. Und er bedauert, dass von den Kirchen der unvergleichlichen, so riskanten technologischen Entwicklung nicht wachsam entgegengetreten wird, ja dass sie auf dem Weg in die sich auftuende Fortschrittsfalle die Entwicklung noch unterstützen – etwa dadurch, dass sie zeitgeistkonform WLAN in ihren Gebäuden und Funkmasten auf ihren Kirchen errichten lassen. 29


Zugleich weist Thiede darauf hin, dass Schriftsteller und Philosophen – unter ihnen gibt es am meisten Kritik an der Digitalisierung – ihre Abhandlungen meistens nicht negativ ausklingen lassen, sondern fast immer einen Hoffnungsschimmer am Horizont ausmachen. Mit welchem Recht aber? Ist die christliche Hoffnung eine innerweltliche, etwa »kulturprotestantische«, oder nicht vielmehr ausgerichtet auf das mitten im und trotz allem Untergang kommende Gottesreich? So entzaubert sie letztlich »die Rundum-Digitalisierung als einen künstlichen Mythos, dessen Irrlehre die Welt an den Abgrund treibt«. Christen freuen sich »nicht auf Smart Cities mit ihren durch implantierte Chips vernetzten Cyborgs, sondern aufs neue Jerusalem« (S. 83). Die packende Broschüre von Werner Thiede ist wieder sehr gut recherchiert. Das zeigt schon der Reichtum an Fußnotenbelegen, aber auch die umfangreiche Literatur, die der Autor eingesehen und verarbeitet hat (S. 84–89). Diese

in ihren klugen Analysen ebenso besonnene wie brisante Publikation ist nachhaltig zu empfehlen. Bleibt zu hoffen, dass sie vielen unter uns die Augen dafür öffnen kann, welch bedenkliche Entwicklung in immer rasanterem Tempo vonstatten geht. Dem Verlag gebührt Dank, dass er diese Schrift in sein Sortiment aufgenommen hat und preisgünstig anbietet. Sie ist über den Buchhandel oder auch direkt über den Verlag zu beziehen (pad-verlag, Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen, E-Mail: pad-verlag@gmx.net; hier versandkostenfrei und Staffelpreise). Walter Rominger Werner Thiede Die digitale Fortschrittsfalle Warum der Gigabit-Gesellschaft mit 5G-Mobilfunk freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte drohen Bergkamen 2018, pad-verlag 90 Seiten, 5,– Euro (Staffelpreise) ISBN 978-3-88515-297-2

Die Vorträge des Studientages 2018 von Professor Dr. Dr. Rainer Mayer zum Thema »Bekennende Kirche werden. Die Bedeutung der Seelsorge für die Kirche der Zukunft« sind zum Nachhören und zum Weiter­geben auf Tonträger erhältlich (als Audio-CD oder MP3) bei: Helmut Schlee · Gartenstraße 15 a · 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (02845) 9490950 · E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de PS: Sowohl von den Vorträgen des Studientages 2017 von Pfarrer Thomas Hilsberg zum Thema »Einer für alle: Christus allein« als auch vom Studientag 2016 mit Dr. Uwe Siemon-Netto sind noch Aufnahmen vorhanden und ­ebenfalls bei Helmut Schlee zu erhalten.

Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns« und »Ist Gott interreligiös?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden.

Mitarbeiter an diesem Heft: Professor Dr. Ulrich Eibach Auf dem Heidgen 40 53127 Bonn

Professor Dr. Dr. Rainer Mayer Malachitweg 3 70619 Stuttgart

Pastor Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (0421) 5228910 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de

Diakon Dr. h. c. Peter Osterkamp Im Springen 1 a 58791 Werdohl

Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Die Meinung des Verfassers deckt sich nicht in allen Fällen mit der des Schriftleiters.

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Geschäftsführender Ausschuss Vorsitzender Pastor Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: cmschunn@gmail.com Helmut Schlee Gartenstraße 15 a 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (0 28 45) 9 49 09 50 E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

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Christus steht nicht hinter uns als unsere Vergangenheit, sondern vor uns als unsere Hoffnung. Friedrich von Bodelschwingh der Ă„ltere


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