154 Gesundheit und Beratung Von den negativen Aspekten einmal abgesehen, hat die Pandemie auch positive Auswirkungen?
Mit Sicherheit! Krisen sind nie ausschließlich negativ, sondern erst einmal eine Veränderung des Bestehenden, damit Neues hervorkommen kann – ob und wie wir sie bewerten, ist eine Sache der Einstellung. Entwicklungspsychologisch betrachtet sind Krisen sogar normal und notwendig: Nur durch die Bewältigung einer Entwicklungskrise können Kinder von einer Entwicklungsstufe auf die nächste gelangen und somit ihre bisherigen Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitern. In den Medien wurde im Zusammenhang mit dem Homeoffice von Eltern zum Beispiel fast nur über die negativen Seiten berichtet, vor allem wenn Kitas oder Schulen zeitgleich geschlossen waren. Es gibt aber auch positive Seiten wie das gemeinsame Mittagessen mit den Kindern. Viele Eltern wissen es außerdem zu schätzen, ihren Alltag nun familienfreundlicher gestalten zu können. Und was können Eltern tun, um die Resilienz ihrer Kinder zu stärken?
Das ist sehr individuell. Deshalb kommt es zunächst darauf an, Eltern in ihrem Zutrauen zu stärken, dass sie ihre Kinder am besten kennen und bei ihnen auftretende Symptome bemerken. Dazu gehören psychosomatische Reaktionen oder Symptome internalisierender Belastung wie sozialer Rückzug, Angst oder depressive Verstimmung. Hier ist es wichtig, sich als Elternteil nicht „anstecken“ zu lassen oder in Panik zu geraten. Die Symptome an sich sind ja nicht schlecht oder gut, sondern ein kindliches Ausdrucksmittel: verschlüsselte Mitteilungen des seelischen oder psychischen Erlebens. Wenn wir uns als Erwachsene offen und angstfrei für diese Mitteilungen interessieren, erhöht das unsere Chance, den Code zu knacken und dem Kind zu helfen. Wie lässt sich das bewerkstelligen?
Eltern sollten für die Kinder angenehme Situationen schaffen, um mit ihnen zu sprechen, ihre Mitteilungen ernst nehmen und dann individuell entscheiden: Kann ich damit noch umgehen, kann ich durch mein intuitives elterliches Verhalten, durch Zugewandtheit und Feinfühligkeit im Gespräch mit meinem Kind für Entlastung sorgen? Wenn ja, prima. Wenn nein, auch kein Problem. Denn vieles verstehen wir erst durch etwas Abstand, durch Begleitung in der Reflexion, und dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: ein Gespräch mit der Erzieherin oder Lehrerin, die das Kind gut kennt, ein Anruf beim kosten-
„Aus meiner Sicht haben wir da als Gesellschaft die jungen Menschen viel zu lange sich selbst überlassen.“ freien Elterntelefon oder eben ein Termin in einer Erziehungsberatungsstelle. Es muss nicht gleich der Kinderpsychologe oder gar -psychiater sein. Eltern mögen noch so zugewandt sein, Erkrankungen oder gar Todesfälle sind schwierige Themen. Wie spricht man mit Kindern darüber?
Gespräche über Sterben und Tod sollten auch ohne konkreten Todesfall mit Kindern geführt werden, wenn das Thema in ihnen aufkommt. Wobei es an Anlässen zurzeit leider nicht mangelt, auch mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine. Geht es um den Tod eines nahestehenden Menschen, sollten die Erwachsenen so offen und einfühlsam wie möglich die kindlichen Fragen beantworten. Wenn Kinder eine Vorstellung vom Geschehenen bekommen, nehmen ins Kraut sprießende Fantasien und Ängste ab.
Was können Kinder und Jugendliche selbst tun, um mit Corona und seinen Folgen besser zurechtzukommen?
Auch hier gilt: Sorgt möglichst oft dafür, dass es Euch gut geht und genießt diese Momente. Trefft Menschen, die Ihr mögt oder liebt, nutzt Eure Freizeit für Aktivitäten, die Euch Freude bereiten. Und vielleicht gibt es auch etwas, da ihr schon lange machen wolltet, aber nie Zeit dafür hattet? Nehmt Euch die Zeit, um etwa eine neue Sprache oder ein Instrument spielen zu lernen. Das sind Möglichkeiten auf der sozialen, nach außen gerichteten Ebene. Und wie sieht es mit der nach innen gerichteten Ebene aus?
Aus dem angloamerikanischen Sprachraum liegen Erkenntnisse der Psychotherapieforschung vor, dass Menschen, die regelmäßig eine Form der Meditation wie Yoga oder Tai-Chi praktizieren oder mehrmals täglich kleine Achtsamkeitsübungen in ihren Alltag integrieren, über längere Sicht glücklicher, zufriedener und auch gesünder sind.
Foto: Dirk Ostermeier
Bei welchen Alarmzeichen besteht Handlungsbedarf, etwa in Form psychologischer Beratung?
Aus der entsprechenden Forschung wissen wir, dass Kinder mit Zeiten höherer Belastung besser zurechtkommen, wenn es in ihrem Leben mindestens einen ihnen zugewandten Erwachsenen gibt. Das ist ein erstklassiger Schutzfaktor. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass junge Menschen durch altersgerechte, gemeinsame Aktivitäten der Familie Kraft tanken: beispielsweise Ausflüge und Picknicks in der Natur, vielleicht auch mal eine Schatzsuche oder Ähnliches. Der Winter liegt nun in den letzten Zügen. Schon jetzt können wir uns auf Bewegung im Freien und schöne Aktivitäten freuen.












