Weinfeder Journal #49

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EDITION #49 - HERBST/WINTER 2016

JOURNAL DES VERBANDES

DEUTSCHER WEINPUBLIZISTEN

COPYRIGHT © WEINFEDER E.V. VERBAND DEUTSCHSPRACHIGER WEINPUBLIZISTEN


EDITORIAL/IMPRESSUM

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

nach einem entspannten Herbst hatte die Natur in diesem Jahr für die Winzer eine Überraschung bereit: Im Anbaugebiet Saale-Unstrut konnte dank des Kontinentalklimas schon am 21. November Eiswein gelesen werden. In den frühen Morgenstunden des 30. November war es auch in Franken, an der Nahe, im Rheingau, in der Pfalz, an der Mosel und in Rheinhessen kalt genug, um die gefrorenen Trauben zu pressen. Nach dem 17. und 18. Januar 2016 gab es damit die zweite Eisweinlese in einem Jahr – wenn auch von verschiedenen Weinjahrgängen.

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Bilder frierender Leser mit roten Nasen und klammen Fingern beeindrucken: Der Mensch bemüht sich, der Natur ein Stück Genuss abzuringen. Genau solche Geschichten sind es, die zur Faszination von Wein beitragen – diese Mythen passen genau in die Jahreszeit. Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr! Ihr

Wolfgang Junglas

1. Vorsitzender Weinfeder e.V. (Verband deutschsprachiger Weinpublizisten)

AN DAS AUTORENTEAM, GASTAUTOREN UND DAS LEKTORAT DIESER AUSGABE:

HEIDI DIEHL // ALICE GUNDLACH // JOËLLE & HARRY GEORGE // DR. CHRISTA HANTEN // DR. ROWALD HEPP // DR. STEFAN KRIMM // RUDOLF KNOLL // MARLENE KÜNSTER // MARTIN SACHSE-WEINERT // ARTHUR WIRTZFELD

IMPRESSUM

● HERAUSGEBER Weinfeder e.V. Verband deutschsprachiger Weinpublizisten, 1. Vorsitzender: Wolfgang Junglas, Weinfeder e.V., Postfach 1103, 65370 Oestrich-Winkel, Telefon: 06723 - 601902, Fax: 885546, E-Mail: info@weinfeder.de, Internet: www.weinfeder.de, Facebook: www.facebook.com/weinfeder ● AUTOREN Heidi Diehl, Alice Gundlach, Joëlle und Harry George, Dr. Rowald Hepp, Dr. Stefan Krimm, Rudolf Knoll, Marlene Künster, Martin Sachse-Weinert, Arthur Wirtzfeld ● LEKTORAT Christa Hanten ● LAYOUT & SATZ Arthur Wirtzfeld, Telefon: 0931 322460, redaktion@weinfeder.de ● SCHLUSSREDAKTION Arthur Wirtzfeld ● ViSdPG Weinfeder e.V. ● TITELfOTO Kanaan Winery ● COPYRIGHT-HINWEIS Alle redaktionellen Beiträge im Weinfeder Journal werden in der Originalversion veröffentlicht. Für den Inhalt und die Ausformulierung der Texte sind allein die Autoren verantwortlich, die das alleinige Copyright für ihre Texte innehaben. Ein Nachdruck oder eine Veröffentlichung von Beiträgen im Internet, in sonstigen digitalen oder in Printmedien, auch auszugsweise, kann nur in Absprache mit den jeweiligen Autoren erfolgen. Gegen Honorar, das mit dem Autor zu vereinbaren ist, kann jeder Beitrag unter Angabe der Quelle (Weinfeder) und Namensnennung der Autorin/des Autors übernommen und veröffentlicht werden.

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Redaktionsschluss für die Jubiläumsausgabe Edition #50 ist der 10. Februar 2017. Einsendungen von Beiträgen bitte an redaktion@weinfeder.de - bei Fragen bitte Arthur Wirtzfeld kontaktieren unter gleicher Mail oder Telefon: 0931-322460. COPYRIGHT © WEINFEDER E.V. VERBAND DEUTSCHSPRACHIGER WEINPUBLIZISTEN

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JOURNAL 2016

INHALT

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

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VOM SÄMLING 88 ZUM MÄRCHENZAUBER DIE SCHEUREBE WIRD 100 2 3

11 BRUNELLO DI MONTALCINO 2011 Im Schatten eines Jahrhundertjahrgangs

18 DER GEIST VON MAURITIUS Ein „gehaltvoller“ Reisebericht

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EDITORIAL – IMPRESSUM

Vorwort - Herausgeber und Redaktion

INHALT

Alle Themen dieser Ausgabe

WeIne & GeSCHICHTe HOMMAGE 1836

Tribut an Bussard auf Schloss Wackerbarth

CIRÒ

Der Wein der Olympiasieger

BRUNELLO DI MONTALCINO 2011

Im Schatten eines Jahrhundertjahrgangs

VOM SÄMLING 88 ZUM MÄRCHENZAUBER Die Scheurebe wird 100

VON DER DRESDNER KANNE ZUM WINZERGLÜHWEIN Graf August Josef Ludwig Wackerbarth

naCHRUFe

MARGRIT BIEVER MONDAVI

Die Botschafterin der kalifornischen Weine

STANKO RADIKON

Pionier der „naturbelassenen“ Weinbewegung

GERHARD STRECKER

Ein begnadeter Rebzüchter

FRITZ HASSELBACH

Der Gunderloch-Winzer und seine edelsüßen Rieslinge

ANNEGRET REH-GARTNER

Initiatorin des Begriffs „feinherb“

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INHALT

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18 20

20 ARGENTINIEN Zwischen Anden und Pampa tut sich was

WEIN, fRAUEN UND EIN NEUES GENRE „Grazy Fang“

40 BREITENGRAD 51 TRIffT GROSSE GEWäCHSE und Bergstein

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25 30 32

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34 36 40

43 44 45 52

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ff

VERMäCHTNISSE Margrit Biever Mondavi, Stanko Radikon, Gerhard Strecker, Fritz Hasselbach, Annegret Reh-Gartner

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WeInReISen

DER GEIST VON MAURITIUS

Köstliche Destillate der Sorte Rum

ARGENTINIEN

Zwischen Anden und Pampa tut sich was

WeInländeR

WEIN-ÖSTERREICH ERFINDET SICH NEU Neuordnung im Burgenland

ENGLAND

Winzer lassen in den USA die Korken knallen

poRTRaITS

DIE DEN TIGER REITEN

Alès Kristančič und Marjan Simčič

WEIN, FRAUEN UND EIN NEUES GENRE Unkonventionell zur Qualität

CHINAS KANAAN WINERY UND CRAZY FANG Geehrt von Jancis Robinson

peRSonalIen

FÜHRUNGSWECHSEL BEI DEMETER ITALIEN Alois Lageder wird neuer Präsident

WeIneVenTS TRIAS

Vom Wert der Geschichte für die Gegenwart

STAIRWAY TO HEAVEN

Niederfall des VDP.Franken – Escherndorfer Lump

BREITENGRAD 51

... trifft Große Gewächse und Bergstein

VInoTHeken

SAALE-UNSTRUT-VINOTHEK Mekka für den Saale-Wein

CHURFRANKENVINOTHEK

Dritter Versuch in Bürgstadt

WeInnoTIzen

45 MILLIONEN DOLLAR WEINBETRUG NACHGEWIESEN Mekka für den Saale-Wein

VERTIKALE

Ein besonderes Weingeschenk

WeInFedeR eHRUnG JOACHIM BINZ

Weinpersönlichkeit des Jahres 2016

WEIN VOM ROTEN HANG E.V. Preis der Deutschen Weinkritik

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WEIN & GESCHICHTE

HommaGe 1836 – TRIbUT an bUSSaRd aUF SCHloSS WaCkeRbaRTH

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■ VON HEIDI DIEHL

Weinberge prägen die Region um Radebeul schon länger als 500 Jahre, als sich August Christoph Graf von Wackerbarth, einer der engsten Vertrauten Augusts des Starken, in das Fleckchen Erde verguckt und 1727 einen Teil seines mit diversen Geschäften im Auftrag Augusts gemachten Geldes in dortige Weinberge, Felder und Wiesen investiert.

E

r lässt sich hier vom Dresdner Hofarchitekten Johann Christoph Knöffel ein Schloss als Alterssitz bauen, einen reizvollen Barockgarten mit einem Belvedere anlegen, von wo er sein kleines privates Reich inmitten steiler Weinhänge gut überblicken kann. Dorthin lädt Graf Wackerbarth oft und gern seine blaublütigen Freunde ein. Auch August der Starke, ein großer Liebhaber und Förderer des sächsischen Weins, bechert gern mit seinem Kabinettsminister in „Wackerbarths Ruh“. Nach dem Tod des Grafen 1734 wechselt das Anwesen mehrfach den Besitzer, bleibt aber über alle Zeiten für Prominente, Wissenschaftler und Künstler, was es war: ein beliebter Treffpunkt inmitten malerischer Weinberge vor den Toren Dresdens.

Die weiße und rote Bussard-Jubiläumsedition, kreiert von Kellermeister Jürgen Aumüller und aufgelegt von Schloss Wackerbarth als „Hommage 1836“, flankieren eine historische Flasche von Bussard. (© Heidi Diehl)

Anfang des 19. Jahrhunderts reift die Idee für eine sächsische Manufaktur moussierendes Weine (die zweite in Deutschland überhaupt), wie man sie in feinen Kreisen Frankreichs trinkt. Am 3. August 1836 gründen drei angesehene Weingutsbesitzer – Ludwig Pilgrim, Georg Schwarz und Karl Friedrich Sickmann – mit einem Startkapital von 100.000 Talern in den Radebeuler Weinbergen die dafür notwendige Aktiengesellschaft und holen sich aus Reims im Herzen der Champagne Joseph Mouzon als Kellermeister, der in Sachsen erstmals Sekt

aus heimischen Trauben nach der Methode der klassischen Flaschengärung produziert. Im ersten Jahr entstehen 37.000 Flaschen aus Blauem Burgunder, die weggehen wie warme Semmeln. Der Sekt ist so begehrt, dass innerhalb von 25 Jahren mehr als 150 Prozent Dividende an die Aktionäre ausgezahlt werden, auf Wunsch auch in Naturalform. Den Namen Sektkellerei Bussard GmbH erhält das Unternehmen erst 1899. Wer Rang und Namen hat, gönnt sich den prickelnden Genuss, allen voran die sächsi-

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WEIN & GESCHICHTE

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Belvedere (architektonisch: schöne Aussicht) von Schloss Wackerbarth im heutigen Glanz – in den 1730er-Jahren in Auftrag gegeben von August Christoph Graf von Wackerbarth. (© Heidi Diehl)

schen Könige, die den Sekt nicht nur ihren Gästen servieren, sondern auch privat gern trinken. Wie König Friedrich August III., der erstmals am 4. Mai 1908 der Sektkellerei Bussard einen privaten Besuch abstattet. Nach einer Führung durch die Manufaktur nimmt er an einer großen Tafel unter der Königslinde im Garten des Sekthauses Platz und bittet um eine Postkarte mit dem Motiv der Sektkellerei, die er an seinen ältesten Sohn, den Kronprinzen, schreibt: „Bin endlich auf der berühmten Sektkellerei. Wir müssen einmal in der Spargel- und Erdbeerzeit herkommen. Papa.“ Was tatsächlich bis zu seiner Abdankung 1918 zu einem schönen und häufigen Ritual zwischen ihm und seinen Söhnen wird. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg produziert Bussard als eigenständige Sektkellerei. Zu DDR-Zeiten wird sie Teil des Volkseigenen Gutes (VEG) Weinbau Radebeul auf dem Gelände von Schloss Wackerbarth. Während in Schloss Wackerbarth Sekt aus ausländischen Grundweinen im Tankgärverfahren hergestellt wird, erzeugt die Bussard Sektkellerei bis 1979 weiterhin Sekt im Champagnerverfahren. Danach wird die Flaschengärung eingestellt und erst nach der Wende im Jahr 1992 gegründeten Sächsischen Staatsweingut Schloss Wackerbarth wieder aufgenommen. In 2016, zum 180. Jubiläum der Sektherstellung in Sachsen, erinnert Wackerbarth mit einer besonderen Hommage an Bussard. Kellermeister Jürgen Aumüller hat aus diesem Anlass eine weiße und eine rote Bussard-Jubiläumsedition unter dem Namen „Hommage 1836“ kreiert. Dafür wurden ausgesuchte sächsische Trauben zu zwei ganz besonderen Sekten vermählt: Der Weiße ist

eine Cuvée aus den Rebsorten Riesling, Elbling, Weiß- und Grauburgunder, die mit einer Dosage aus Scheurebe von Trauben des eigenen Weinguts veredelt wird – eine Verbeugung vor der Rebsorte, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert. Ihre fruchtige Note gibt der weißen „Hommage 1836“ ein ganz besonderes Bukett mit Noten von reifem Pfirsich und einem Hauch von Holunder. Für den Rosé-Jubiläumssekt wählte der Kellermeister die Rebsorten Dornfelder und Frühburgunder, veredelt mit einer Dosage einer feinen Spätburgunder Beerenauslese. Das Bukett kann mit filigranen Noten von Erdbeere und roten Früchten überzeugen. Beide Jubiläumsmarken sind extra trocken ausgebaut und werden in der sogenannten „Sachsenkeule“ angeboten. Wer diese und andere Sektsorten nicht nur probieren möchte, sondern auch einen Blick hinter die Kulissen der Wein- und Sektherstellung werfen, kann das kaum anderswo anschaulicher als in Schloss Wackerbarth, dem ersten „Erlebnisweingut“ Europas. Als nach der Wende ein neues Konzept für Wackerbarth gefunden werden musste, entschied man sich, mit umfangreichen Investitionen eine moderne, „gläserne” Wein- und Sektmanufaktur zu schaffen, mit dem Ziel, die sächsische Weinkulturlandschaft mit vielfältigen Angeboten zu fördern und zu erhalten. Der Plan ging auf: Seit der Eröffnung des Erlebnisweingutes im August 2002 ist es zu einem gern besuchten Ort für Gäste aus aller Welt geworden. Rund 190.000 Besucher kommen jedes Jahr, um Wein zu trinken, im Park zu flanieren oder eine der zahlreichen thematischen Veranstaltungen zu erleben, von Wein- und Sektführungen über Weinbergswanderungen und musikalische Highlights bis zur prachtvollen Hochzeitsfeier

mit eigens kreiertem Sekt. Rund 120 Paare geben sich im Belvedere alljährlich das JaWort und feiern im barocken Ambiente wie einst die Könige. Wer schon immer wissen wollte, wie ein traditioneller Sekt hergestellt wird und warum er so lang braucht, bis man ihn genießen kann, findet die Antwort bei einer wohl deutschlandweit einmaligen Kellerführung für alle Sinne. Man kann hören, sehen und schmecken, wie sich drei Grundweine zu einer Cuvée vermählen, die viel mehr als die Summe ihrer Teile ist. Die Gäste stehen vor drei Stahltanks, jeder mit einem Wein gefüllt – Riesling, Kerner und Weißburgunder. Nacheinander erklingt aus jedem eine Melodie, während er in farbigem Licht erstrahlt, das dem Charakter des jeweiligen Weins entspricht. Der Riesling in frischen Grüntönen, die für sein Apfelaroma stehen, der Kerner in Rot und Orange für Pfirsichnoten und der Weißburgunder in Goldtönen wie reife Birnen. Dann vermischen sich Töne und Farben, und der Gast steht staunend davor, weil die so entstandene Sinfonie sich viel besser anhört und besser ausschaut – und später auch schmeckt – als jedes einzelne Teil. Die Besucher können Schritt für Schritt den Weg von den Grundweinen bis zum fertigen Sekt verfolgen, den Rüttlern über die Schulter schauen, miterleben, wie zuletzt die Hefe aus dem Flaschenhals entfernt, die Dosage zugegeben und die Flaschen verschlossen werden. So wächst die Achtung vor der Arbeit der Winzer und Kellermeister und so mancher Laie bekommt einen ganz anderen Blick auf sein Lieblingsgetränk und dessen langen Weg von der Traube bis ins Glas. ■

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WEIN & GESCHICHTE

CIRò – deR WeIn deR olympIaSIeGeR

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■ VON DR. STEFAN KRIMM

Autochthone Reben haben sich gewöhnt an Hitze, wenig Wasser, dünne Humusauflagen in den ockerfarbenen Hügeln und tiefen Böden weiter unten – ein heißes Land, auch für diese widerstandsfähigen Sorten. (© Dr. Stefan Krimm)

Auf dem Bildschirm mitteleuropäischer Weinliebhaber ist Kalabrien, von Ausnahmen abgesehen, nur selten zu finden. Dabei hat sich dort in den letzten Jahren unter dem Einfluss von Beratern wie Giacomo Tachis, Attilio Scienza und Anna Schneider sowie engagierten Fachleuten wie Gennaro Convertini, Präsident der Fondazione Italiana Sommelier Calabria, eine ganze Menge getan. Nicht nur Nicodemo Librandi, dessen Weine man auch bei uns kennt, sondern auch die Angehörigen der jüngeren Generation zögern nicht, ihre autochthonen Trumpfkarten auszuspielen. Zeit also für eine Erkundungstour durch ein ziemlich unbekanntes Land!

W

ir befinden uns in der Lagerhalle eines Weinguts in Cirò Marina, bildlich gesprochen am Fußballen des italienischen Stiefels. Draußen blauer Himmel und viel Sonne: Das wird wieder ein heißer Tag. Drinnen eine Gruppe von miteinander befreundeten Winzerinnen und Winzern, die ihr Schicksal mit dem der DOC Cirò verbunden haben, der einzigen, die bei uns etwas bekannter ist. „Heiße Tage sind typisch für den Hochsommer in Kalabrien“, erklärt einer von ihnen. „Bis 36 Grad halten die Reben das aus. Sie falten dann die Blätter zusammen und drehen sie weg von der Sonne. Steigen die Temperaturen über 42 Grad, gibt es massive Schäden: Die Blätter werden gelb, die vom Sonnenbrand zerstörten Beeren häute braun und ledrig. Sonnenbrand eben.“ Für die hier vertretenen sechs Betriebe – ‘A VITA, Cote di Franze, Cataldo Calabretta,

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WEIN & GESCHICHTE Sergio Arcuri, Tenuta del Conte, Dell‘ Aquila – sind das existenzielle Herausforderungen, denn das sind keine großen Güter mit einem satten finanziellen Fundament, sondern ihre Flächen sind eher klein: von vier Hektar bei Arcuri über neun Hektar bei Cote di Franze bis 15 Hektar bei der Tenuta del Conte. Aber begeisterte Winzer sind sie ausnahmslos und sie kommen teilweise aus Familien mit langer Weinbaugeschichte. Die Scilangas von Cote di Franze haben bereits im 18. Jahrhundert begonnen, Sergio Arcuri und Cataldo Calabretta repräsentieren die fünfte beziehungsweise vierte Generation. Auch einfach von der Begeisterung für die Sache überwältigte „Newcomer“ sind dabei, wie Francesco de Franco etwa, ein früherer Architekt, der zusammen mit seiner aus dem Friaul kommenden Frau Laura ‘A VITA gegründet hat. Sie nennen sich „Cirò Revolution“ und versuchen, ihren Wein so authentisch wie möglich zu produzieren. „Biologisch“ natürlich, denn das war er vor dem Siegeszug der Agrarchemie ja eigentlich immer. Die Natur mit ihrer Trockenheit in der Vegetationsperiode und den ständig wehenden Winden unterstützt ihre Arbeit. Das tun auch die autochthonen Rebsorten, denen sie sich verschrieben haben: Greco Bianco zumeist und Gaglioppo auf jeden Fall. Sie wurden von den „alten Griechen“ eingeführt und sind – mittlerweile in ihrer Genetik veran-

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016 kert – bestens adaptiert an die vorgefundenen, seit fast 3.000 Jahren nicht sehr geänderten Bedingungen: Hitze, wenig Wasser, dünne Humusauflagen in den ockerfarbenen Hügeln und tiefere Böden, die den Reben zu überdauern helfen, weiter unten. Es gibt in Cirò natürlich nicht nur die Anhänger der „Revolution“, sondern auch große Güter, häufig Schrittmacher, deren konsequenter langjähriger Qualitätsarbeit sich letztlich das Überleben des im 20. Jahrhundert deutlich geschrumpften Weingebiets verdankt. Librandi bewirtschaftet 232 Hektar, Caparra & Siciliani verfügen über 213 Hektar, Ippolito 1845 immerhin über 100 Hektar. Sie, aber auch eine Reihe mittlerer Betriebe, haben dafür gesorgt, dass in Deutschland Anbieter wie Garibaldi, viDeli, BELViNi, Das italienische Weindepot, Galperino und ebrosia keinen Bogen um den Cirò machen. Die besseren Restaurants bis hinüber an die Westküste der USA ohnehin nicht, dafür hat die starke Auswanderung aus dem Mezzogiorno seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesorgt. Die Weinberge der „Cirò Revolution“ hier in Kalabrien liegen im relativ schmalen Bereich der Region zwischen dem Sila-Massiv und dem Ionischen Meer. Sie sind durch die ständigen, aus wechselnden Richtungen wehenden Winde gut ventiliert, sodass der

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biologische Anbau ebenso unterstützt wird wie die geschmackliche Differenzierung und Nuancierung. Die Böden sind hier fast überall tonig-lehmig: kalkig-hell oder eisenhaltigrötlich mit einem niedrigeren pH-Wert, der dem Wein etwas mehr Säure mitgibt. Bevorzugt wird häufig das alte System der Albarello-Erziehung mit kleinen, bodennahen Büschen ohne Drahtrahmen. Die Sorte der Wahl ist für den Rosso wie den Rosato der schon erwähnte Gaglioppo, der eher hell-rubinfarbene, feinwürzige Weine mit lebendiger Säure und kräftigen Tanninen liefert. Schon in der Antike wurde er außerordentlich geschätzt. Die Legende berichtet, die Olympioniken hätten damit gefüllte Amphoren beim Belastungstraining über größere Strecken getragen und auch der den Olympiasiegern kredenzte Ehrentrunk sei immer von der Sorte Gaglioppo gewesen. Das mag man glauben oder nicht, Tatsache ist aber, dass dem Wein in Kalabrien auch heute noch fast magische Kräfte zugeschrieben werden. In Cirò fühlt sich die Sorte ganz offensichtlich am wohlsten. Versuche, sie andernorts anzubauen, führten nach Auskunft der Winzer bisher nicht zu überzeugenden Ergebnissen. Die fanden wir dagegen bei den folgenden Betrieben, wobei in diesem Überblick der Fokus ein klein wenig auf den mutigen Winzern der „Cirò Revolution“ liegt.

Francesco de Franco, ein Newcomer, und Sergio Arcuri stellen sich großen existenziellen Herausforderungen – ihre Güter sind klein, ohne sattes finanzielles Fundament, doch sie sind hoch engagiert. (© Dr. Stefan Krimm) COPYRIGHT © WEINFEDER E.V. VERBAND DEUTSCHSPRACHIGER WEINPUBLIZISTEN


WEIN & GESCHICHTE

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Œil de perdrix-Farbe; leicht salzige Aromen von Himbeere, Erdbeere und Zitrus; am Gaumen füllig und kraftvoll, mit leicht mandeligen Noten, mundfüllend, fast ölig, recht langer Nachhall. Ein gut ausbalancierter Essensbegleiter von A bis Z. 16/20

2015 Cirò Rosato DOP, Cote di franze (9 ha; Vincenzo und Francesco Scilanga sind glühende Anhänger des Gaglioppo, des biologischen Anbaus und der Spontanvergärung. Ihr Qualitätsanspruch zeigt sich auch in der extrem hohen Pflanzdichte von 9.000 Stöcken pro Hektar.) Im leicht salzigen Duft Himbeere, Erdbeere und zerriebene Blätter; am Gaumen kraftvoll und gebunden, mit leicht mandeligen Anklängen, feine Zitrus-Spitzen sorgen für schönes Spiel. Ein Wein, der Appetit macht. 15,5/20

2015 Cirò Rosato DOC, Cataldo Calabretta (14 ha; Cataldo Calabretta arbeitete nach dem Önologiestudium in Mailand bei verschiedenen italienischen Erzeugern. Auch er praktiziert Spontanvergärung.) Helles Rosa mit leicht orangen Reflexen; im Duft Erdbeere, Himbeere, feine Zitrusnoten; am Gaumen schöne Frucht, salzige Akzente in schöner Spannung mit einem gewissen Schmelz, fast füllig; guter Essensbegleiter. 15/20

ROTWEINE

Sergio Arcuri vertritt die Winzerfamilie in der fünften Generation. © Dr. Stefan Krimm)

ROSÉWEINE

2015 Cirò Rosato DOC, Tenuta del Conte (15 ha; Mariangela Parrilla arbeitet vor allem im Keller und im Marketing. Ihr 80jähriger Vater betreut seit seinem zehnten Lebensjahr die Rebanlagen.) Kraftvolles Altrosa, mit Tränen am Glas; im Duft schöne Kombination von Kirsche, Himbeere, Zitrus und zerriebenen Blättern; im Mund sehr intensive, gebundene Frucht, voluminös (13,9 % Alkohol) und saf-

tig mit feiner Salzigkeit und schönem Biss, guter Schliff, sehr eigenständiger Wein mit langem Nachhall. Ein universeller Essensbegleiter, der nicht zu kalt getrunken werden sollte. 16/20 2015, Calabria Rosato IGP, Il Marinetto, Sergio Arcuri (4 ha; Vater Peppe, früher gesuchter Rebveredler, gründete den Betrieb 1973; Sergio und sein Bruder Francesco sind seit 2009 Selbstabfüller; ihr „Marinetto“ genießt in Italien hohes Ansehen.)

2012 Calabria IGT, Serra Sanguigna, Du Cropio (30 ha; Giuseppe Ippolito, aus einer Familie, deren Bedeutung für die Renaissance des Qualitätsweinbaus in Kalabrien kaum zu überschätzen ist, gilt als einer der reflektiertesten Winzer der jüngeren Generation: hoher Anspruch, niedrige Erträge von ca. 30 hl/ha; klare Position: „Das Barrique tut unserem Wein nicht gut. Er braucht nicht Holznoten und Sauerstoffzufuhr, sondern ausßreichend Zeit, um sich zu entwickeln!“) Kräftiges Rubin; intensiver Duft nach reifen Waldbeeren, schwarze Johannisbeeren und Kräutern; am Gaumen komplex und sehr fein abgestimmt: intensive, kräuterwürzige Frucht, unterlegt mit etwas Bitterschokolade, kompakt mit schönem Schmelz, fast ölig, noch leicht kreidige Tannine, sehr langer Nachhall, gutes Entwicklungspotenzial. 17,5/20 2010 Cirò Rosso Classico Superiore Riserva DOC, Damis, Du Cropio

Kräftiges Rubin mit bräunlichen Reflexen und leicht orangem Rand; im Duft reif und

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WEIN & GESCHICHTE süß, kräuterige Noten, etwas Fenchel und ganz leicht rosinig; am Gaumen elegant und transparent mit geschliffenen Tanninen, großer Harmonie und sehr langem, leicht mentholigem Nachhall. 17/20

2012 Ciro Rosso Classico Superiore DOP, Neruda, Baroni Capoano (20 ha; sehr alte, bereits im 12./13. Jahrhundert bedeutende Familie; Modernisierung des Betriebes 1997, seither auch Selbstabfüller) Kräftiges, dunkles Rubin; eindrucksvoller Duft nach Waldbeeren und reifen Schwarz kirschen; am Gaumen junge, nuancierte Frucht mit leicht kräuterigen Noten, großer Schmelz, geschliffen und elegant, langer Nachhall. 16,5/20

2013 Cirò Rosso Classico Superiore Riserva DOP, Don Raffaele, Baroni Capoano Dichtes, dunkles Rubin; leicht rosinige Aromen von Waldbeeren und Jod; am Gaumen warm und cremig, sehr reif und dicht, das Holz gut integriert, großer Körper, anspruchsvoll und lang. Ein Eigenständiger, „südlicher“ Rotwein, ideal zur Begleitung von Wild und Schmorgerichten. 16,5/20 2010 Calabria Rosso IGT, Paternum, Tenuta Iuzzolini (Rebsorte Magliocco mit winzigem Ertrag von ca. 20 hl/ha; 24monatiger Barrique-Ausbau)

Dunkles Purpur; Aromen von balsamischschmelzigen Waldbeeren und Holz; am Gaumen interessante Kombination von leicht rosiniger, würziger Süße und feinsalzigen Noten, dicht, ölig und intensiv; durch die Vanilleprägung etwas „modern“ wirkend. Wein mit Anspruch, dessen Überfülle an Holz den hervorragenden Stoff ein klein wenig in den Hintergrund treten lässt. 16,5/20

2011 Cirò Rosso Classico DOC, Sergio Arcuri Relativ helles, bräunliches Rubin, breiter Rand; im Duft leicht pflaumige Geleenoten, trockene Kräuter mit vegetabilem Unterton; am Gaumen leicht kandierte Frucht, weich und schmelzig, mit sehr schönem Tanningerüst; langer, heißer und am Ende leicht mentholiger Nachhall. 16/20 2013 Cirò Rosso Classico DOC, Tenuta del Conte Dichtes, bräunliches Rot; in der Nase kräuterwürzige, leicht karamellisierte rote Früchte und überreife Heidelbeeren, Portwein-ähnliche Konzentration, etwas

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016 Fenchel; am Gaumen schmelzig, fast cremig, in schöner Spannung zu den feinherben Tanninen, ein Hauch von Eisen und Bitterschokolade, langer Nachhall. 16/20

2014 Cirò Rosso Classico DOC, Cataldo Calabretta Bräunliches Rubin, relativ breiter Rand; Aromen von süßen, reifen roten Früchten, leicht kandiertem Brombeergelee, Waldpilzen und Waldboden; am Gaumen reife, süße Kirsche und Waldbeeren, fast öliger Schmelz, schöner Schliff, kräftige Tannine, gutes Entwicklungspotenzial. 16/20 2012 Calabria Rosso IGT, Mastrogiurato, Caparra & Siciliani (213 ha; gegründet 1963 durch neun Mitglieder der beiden Familien, Beratung durch den angesehenen Önologen Fabrizio Ciufoli) Kräftiges Rubin mit bräunlichen Reflexen; mineralischer Duft, geprägt von Kirsche, Backpflaume und etwas Vanille; am Gaumen tritt leicht säuerliche Schattenmorelle hinzu, alle Komponenten sehr transparent, mit schöner innerer Spannung und recht langem Nachhall. 16/20 2012 Cirò Rosso Riserva DOC, Zito (100 ha; 1870 gegründet)

Kräftiges, dunkles Rubin; im nuancierten Duft Waldbeeren, eine Spur Sattelleder, Graphit und Teer; am Gaumen gut strukturiert und stoffig, die Frucht etwas mit Bitterschokolade unterlegt, kraftvolle Tannine, langer Nachhall und gutes Entwicklungspotenzial. 16/20

2012 Cirò Rosso Classico Superiore Riserva DOC, Colli del Mancuso, Ippolito 1845 (100 ha; geführt von den Brüdern Vincenzo und Gianluca Ippolito, einer der ältesten Qualitätsbetriebe Kalabriens) Kräftiges Rubin; im Duft spiegelt sich sehr reifes, erst in der zweiten Oktoberhälfte eingebrachtes Lesegut, mit Anklängen an getrocknete Kirschen, unterlegt mit etwas Vanille (Ausbau im Barrique); am Gaumen weich, füllig und elegant mit gutem Gerüst, reifen Tanninen und sehr langem Nachhall. Sollte noch liegen! 16/20

2014 Cirò Rosso DOP, Garrubba (10 ha in Melissa; 1937 gegründet, Ausbau in den 1950er-Jahren; Maria Cristina Garrubba gilt, unterstützt vom Önologen Luigino Vincenzo De Giuseppe, als modernen Entwicklungen gegenüber offene, ausgesprochene Liebhaberin des Gaglioppo.) Dunkles Rubin; intensive WaldbeerenAromen; am Gaumen reif, dicht und stoffig, feine Noten von Bitterschokolade unterlegen

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die schöne Frucht, untadelig gemachter, eher moderner Cirò. 16/20

2012 Cirò Rosso Classico Superiore DOP, Cote di franze Leicht bräunliches Rubinrot; im Duft elegant, leicht gekochte rote Früchte und Pflaumen; am Gaumen elegant und recht druckvoll, feine Bitternoten, recht langer Nachhall. 16/20

2012 Cirò Rosso Classico Riserva DOP, Duca Sanfelice, Librandi (Mit 232 Hektar ist Librandi seit Langem der Vorzeigebetrieb Kalabriens. Nicodemo Librandi, dynamisch, ideenreich und fast noch jugendlich wirkend, widmet sich insbesondere auch der Sammlung und Pflege von mehr als 300 autochthonen Rebsorten.) Mittleres Rubin; im leicht rauchigen Duft Kirsche, Schattenmorelle und trockene Kräuter; am Gaumen nicht zu schwer, transparente Kirschfrucht, feiner Biss mit sehr gut integrierter Säure, geschliffene Tannine, recht langer Nachhall. 15,5/20 2013 Cirò DOP Rosso Classico Superiore, Aris, Sergio Arcuri Relativ heller Rubin; nuancierter Duft: reife, süße rote Früchte mit pflaumigen Anklängen, trockenen Kräutern und Waldpilzen; am Gaumen süß, füllig und schmelzig mit schöner Struktur und relativ langem Nachhall. 15,5/20

2013 Cirò Rosso Classico Superiore DOP, ‘A VITA Rubinrot mit hellem Grund; im Duft leicht gekochte rote Früchte und Kräuter, vor allem Fenchel, Trüffel und Waldpilze; am Gaumen reife Frucht mit relativ kräftigen Tanninen und recht langem Nachhall. 15/20 2012 Cirò Rosso Classico Superiore Riserva DOC, Maradea, Tenuta Iuzzolini (Alter, 500 ha umfassender Familienbesitz mit Olivenanbau, Pferde- und Ochsenzucht. Das moderne 100-ha-Weingut mit seinem fünf Meter unter der Erde angelegten Keller wurde 2005 eingerichtet.)

Kräftiges Rubin; in der Nase viel Kirsche und etwas Schattenmorelle, leichte Kräuternoten; am Gaumen süße Schwarzkirsche mit feinem Biss, relativ viel Holz, gefällig und schmelzig, insgesamt etwas glatt. 15/20 2013 Cirò Rosso Classico Superiore DOC, Piano del Vento, Palmento Klares, kräftiges Rubin; im würzigen Duft sehr reife Kirsche und leicht rosinige Aromen; am Gaumen würzig, schmelzig und reif, recht schöner Körper, aber etwas süß und breit. 15/20 ■

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WEIN & GESCHICHTE

bRUnello dI monTalCIno 2011

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

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■ VON DR. STEFAN KRIMM

■ VON DR. STEFAN KRIMM

Im SCHaTTen eIneS JaHRHUndeRTJaHRGanGS Der Brunello di Montalcino befindet sich nach einigen Skandalen wieder ganz oben. Der letztjährige Erfolg des Jahrgangs 2010 mit teilweise blitzartig geleerten Kellern hat Euphorie ausgelöst. Die gegenwärtig in den Fässern ruhenden Ergebnisse der Jahre 2012 und 2015 sind ebenfalls vielversprechend. Passt der auf dem „Benvenuto 2016“ präsentierte, heuer auf den Markt gekommene Jahrgang 2011 in die Reihe?

(© Consorzio Vino Brunello Montalcino)

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em 2010er verpasste ein amerikanischer Großkritiker – nach Bewältigung von gerade einmal einem Prozent der Zeitspanne bis 2999 – das kühne Prädikat „Bester Jahrgang des Jahrtausends“. Die 2011er stehen naturgemäß im Schatten eines solchen „Nonplusultra“. Nun, die äußeren Bedingungen ließen Zweifel daran zu: aufgrund des warmen Frühjahrs zwei Wochen nach vorn verschobener Austrieb, dann bis in den Juli meist schlechtes Wetter. Und schließlich, nach einigen Regentagen zu Beginn des Hochsommers, extrem hohe Temperaturen in der Zeit der Reife. Die Ernte war zwar gerettet, doch die beschleunigte, teilweise massive Zuckerentwicklung setzte Fragezeichen. Ins-

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WEIN & GESCHICHTE besondere in niedrigeren und nach Süden blickenden Lagen sprach alles für einen „Winzerjahrgang“, in dem sich zeigt, wie gut die Verantwortlichen ihre Weinberge kennen und wie sie mit den Ergebnissen im Keller umzugehen verstehen. Nach der Verkostung der Weine von knapp 130 Gütern lautet das Fazit: Ein ganz großer Jahrgang ist es nicht und die Lagerfähigkeit mancher Weine, die bei der Abfüllung auf Flaschen bereits voll entwickelt waren, dürfte eher begrenzt sein. Statt des leicht herben Bisses und der ätherischen Noten, die sonst Kraft und Wucht fein ausbalancieren, finden sich auch karamellige Anklänge, aber Charme und Schmelz können oft begeistern. Die vier von fünf Sternen der durch das Consorzio del Vino Brunello di Montalcino vorgenommenen offiziellen Einstufung des Jahrgangs sind insgesamt nachvollziehbar. Und einige richtig große „Performer“ gibt es auch, wie der folgende Blick auf die Weine zeigt, die mir am besten gefielen.

VERKOSTUNGSNOTIZEN Brunello di Montalcino DOCG Jahrgang 2011

Tenuta Le Potazzine: 94/100 – Duft geprägt von reifen roten Früchten, Waldbeeren und Unterholz, leichte Geleenoten; am Gaumen reif und komplex, mit feiner Süße, schönem Schliff, seidigen Tanninen und sehr langem, kühlem Nachhall. Perfekte Balance, großer Wein! Donatella Cinelli Colombini: 94/100 – Sehr pure Aromen von Veilchen, Flieder, Pflaumensaft, Unterholz, Wild und etwas Leder; am Gaumen weich und reif, mit überzeugendem Schliff, angenehmer Frische und feiner Balance. In diesem Jahr ganz vorne mit dabei! Sanlorenzo, Bramante: 94/100 – Im freigiebigen, vollen Duft reife Waldbeeren und Kräuter, elegant mit feinen Spitzen; am Gaumen überaus nuanciert, mit reifer Frucht, viel Kraft, Eleganz und innerer Spannung, im langen Nachhall angenehme Frische. Sehr gelungen! Podere Brizio: 93-94/100 – Duft nach reifen Waldbeeren mit einem Hauch Maronencreme; am Gaumen kraftvoll und reif, bemerkenswerter Schmelz, sehr langer Nachhall. Sehr komplexer Wein mit beachtlichem Entwicklungspotenzial. Poggio di Sotto: 93/100 – Intensiver Duft nach Pflaumen, Waldbeeren und schwarzen Johannisbeeren; am Gaumen recht frisch mit Kräuterwürze und einer Spur

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016 Zimt, feine Nuancierung, große Eleganz, langer Nachhall. Lisini: 92/100 – Ausdrucksvolle Waldbeerenaromen mit feinen Geleenoten; im Mund reife, schmelzige, ganz leicht karamellisierte Frucht mit einem Hauch von schwarzem Tee, großes Volumen, edle Balance und sehr langer Nachhall. Piombaia: 92/100 – Ausdrucksvoller Duft nach Waldbeeren, Wild und etwas Tinte; am Gaumen sehr nuanciert, mit Waldbeeren und leicht animalischen Noten, gelungene Verbindung von Eleganz und männlicher Kraft, sehr langer Nachhall. fattoi: 92/100 – Im differenzierten Duft Kirsche, Pflaumensaft, Brombeerblätter und Leder; am Gaumen gute Balance, Schmelz und Schliff. Ein Wein, der durch Kultiviertheit und Eleganz beeindruckt. fanti: 92/100 – Ausdrucksvolle, fleischige Aromen von Pflaumen und Leder; am Gaumen schmelzig mit feinem Schliff und schöner Balance, reife Tannine, sehr langer Nachhall, gutes Entwicklungspotenzial. La Rasina: 92/100 – Im einnehmenden Duft rote Früchte mit etwas Zedernholz und leicht animalischen Noten; am Gaumen voluminös mit Anklängen an Lakritze, alle Komponenten gut abgestimmt, sehr langer Nachhall. Ein Wein, der durch Harmonie und Balance beeindruckt. Lambardi: 92/100 – Feinwürzige Aromen von Waldbeeren und Waldboden mit leicht animalischen Anklängen; am Gaumen feine Geleenoten und eine Spur Lakritze, dicht und pur mit guter Struktur, edlem Schmelz, reifen Tanninen, langem Nachhall und gutem Entwicklungspotenzial. Armilla: 92/100 – Im ausdrucksvollen, mineralischen Duft Kräuter, Preiselbeeren und reife Pflaumen; im Mund füllige, reife Frucht, dicht und gut strukturiert, mit schöner Balance und erheblichem Entwicklungspotenzial. Ventolaio: 92/100 – Aromen von Waldbeeren, Unterholz, Leder und gerösteten Mandeln; am Gaumen kraftvoll, stoffig und kompakt. Ein selbstbewusster, männlicher Wein mit sehr langem Nachhall. Il Marroneto: 91-92/100 In der Nase würzig. mit Veilchen, roten Beeren und animalischen Noten von Waldboden und Eichenmoos; im Mund weich, süß und reif mit charmanten Anklängen an Zimt und Kastaniencreme, langer Nachhall.

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Pietroso: 91-92/100 – Im Duft anfangs zurückhaltend, Pflaumen mit leicht rauchigen Anklängen von Süßholz; am Gaumen kultiviert und elegant mit einer feinen Spur Holz, alle Komponenten bestens integriert. Poggio Il Castellare: 91-92/100 – Feinsüße, leicht rosinige Aromen von Pflaumen mit etwas Sattelleder und Zimt; am Gaumen differenziert und komplex, nuancierte, dichte Frucht, Verbindung von Kraft und Eleganz, im langen Nachhall feine Frische. Salvioni, La Cerbaiola: 91/100 – Im schmelzigen Duft Backpflaumen, etwas Holz und ein Hauch von schwarzen Oliven und Teer; am Gaumen würzig, elegant und kraftvoll, mit kräftigen, aber gut eingebundenen Tanninen, schöner innerer Spannung und langem Nachhall. Pinino: 91/100 – Differenzierte Aromen von Waldbeeren, etwas Backpflaumen und Holz; am Gaumen ausdrucksvoll, dicht und reif, mit leicht karamellisiertem Schmelz, geschliffenen Tanninen und langem Nachhall. Argiano: 91/100 – Reifer, gehaltvoller Duft nach roten Früchten und Brombeeren; am Gaumen weich, geschliffen und süß, mit schönem Körper und großer Harmonie, sehr langer Nachhall. Tassi – franci franca: 91/100 – Aromen von leicht kandierten Waldbeeren und Backpflaumen, unterlegt mit einer Spur Bitterschokolade; am Gaumen reif und ausgewogen, mit Biss und Spiel, feine Süße, differenziert und lang. Le Chiuse 91/100 – Feine Aromen von Waldbeeren, etwas Leder und zerriebenen Blättern, leicht animalisch; am Gaumen zurückhaltend, trockenes Holz, kräftige, noch etwas harte Tannine, schöner Körper, langer Nachhall. Braucht noch Zeit! Mastrojanni: 91/100 – In der Nase reife, fleischige rote Früchte mit einer Spur Holz und karamelligen Noten; am Gaumen eindrucksvolle Frucht, unterlegt mit etwas Lakritze, füllig und freigiebig, bestens integrierte feine Tannine, sehr langer Nachhall. Padelletti: 91/100 – Im charmanten Duft rote Früchte, unterlegt mit Vanille und Mandeln; im Mund ausdrucksvoll und kultiviert, mit schönem Schliff und feiner Mineralität, reife Tannine, sehr langer Nachhall. Tiezzi, Vigna Soccorso: 91/100 – Im intensiven Duft reife rote Früchte mit leicht animalischen Untertönen; am Gaumen nuancierte Noten von Preiselbeeren und gerösteten

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Antiprima 2016 – Verkostungsraum im Gebäudekomplex der Kirche Sant Agostino. (© Dr. Stefan Krimm)

Mandeln, gute Struktur, langer Nachhall, beachtliches Entwicklungspotenzial. Canalicchio di Sopra: 91/100 – Würziger Duft, bestimmt von Backpflaumen, Lakritze, Kräutern, Waldboden und Sattelleder; im Glas dicht und kompakt mit feinen Geleenoten, selbstbewusster, ausbalancierter Wein mit langem Nachhall und gutem Entwicklungspotenzial. Capanna: 91/100 – Wie üblich etwas zurückhaltend im Duft, Backpflaumen, Lakritze und etwas Leder; am Gaumen reif und gediegen, mit Backpflaumen, etwas Zimt, einer Spur Bitterschokolade und feinen, geschliffenen Tanninen. Uccelliera: 91/100 – Feinwürzige, leicht kandierte Aromen von roten Früchten und Backpflaumen; am Gaumen Anklänge an Karamell und Zimt. Ein reifer, warm wirkender Wein mit gutem Gerüst und langem Nachhall. Val di Suga: 91/100 – Weiche, reife Aromen von Preiselbeeren, Backpflaumen, Kräutern und gerösteten Mandeln; am Gaumen feine Süße, edler Schmelz, seidige Tannine. Ein sehr kultivierter Wein mit langem Nachhall. Vasco Sassetti: 91/100 – In der Nase zurückhaltend, mit roten Früchten, etwas Backpflaumen, Unterholz und Leder; am Gaumen reif und edel, mit gutem Gerüst, geschliffenen Tanninen, feinen Karamellnoten und sehr langem Nachhall.

Cerbaia: 91/100 – Im Duft würzige Waldbeeren mit einer Spur Kirsche und Backpflaumen, schöne Mineralität; am Gaumen eigenständig und kraftvoll, feine Holundernoten, dicht und elegant mit gutem Entwicklungspotenzial. Gianni Brunelli – Le Chiuse di Sotto: 91/100 – Im Duft mineralische Kirsche, Backpflaumen und leicht erdige Noten; am Gaumen voluminös, harmonisch und etwas „heiß“, guter Schliff, recht langer Nachhall. Tornes:i 91/100 – Intensive Aromen von roten Früchten und gerösteten Mandeln; am Gaumen dicht und stoffig, mit guter Struktur, feinherben Tanninen und langem Nachhall. Ein seriöser, selbstbewusster Wein! Citille di Sopra: 91/100 – Duft geprägt von schmelziger Kirsche und trockenen Kräutern; am Gaumen unter der feinen, nuancierten Frucht etwas Schokolade, elegant mit geschliffenen Tanninen, langer Nachhall. Viel Charme! Le Ragnaie: 91/100 – Im Duft Kirsche und Lakritze, reif und tief; am Gaumen karamellisierte rote Früchte, etwas süß, schönes Volumen, Eindruck von leicht überreifem Lesegut. Ein Schmeichler. Col di Lamo: 91/100 – Würziger, von trockenen Kräutern, Zimt und Pflaumensaft geprägter Duft; am Gaumen feiner Schliff, schlank und elegant, recht langer, kühler Nachhall. Eindrucksvolle Balance!

fuligni: 91/100 – Ausdrucksvolle Aromen von Erdbeeren, Kirschen, Erde und etwas Zimt; am Gaumen saftig und harmonisch mit schöner Spannung. Ein schon reifer, eleganter Wein mit fast burgundischer Balance. Poggio Antico, Altero: 91/100 – In der Nase sehr zurückhaltend, Waldbeeren und Pflaumen mit feinen Holznoten und einer Spur Jod; am Gaumen dicht, Frucht vom Holz etwas verdeckt, feinherbe Tannine, noch stark in der Deckung, aber mit guten Perspektiven. Piancornello: 90-91/100 – Duft geprägt von reifen roten Kirschen und Preiselbeeren, unterlegt mit feinen Röstnoten; am Gaumen füllig und freigiebig mit perfekten Tanninen und schönem Schmelz, gute Balance, langer Nachhall. Loacker Corte Pavone: 90-91/100 – Einnehmender, ganz leicht animalischer Duft nach Waldbeeren und Feigen; am Gaumen bemerkenswertes Volumen, weich, reif und poliert, mit Anklängen an Vanille und Karamell. Caprili: 90-91/100 – In der Nase Backpflaumen, Leder und geröstete Mandeln; am Gaumen reif, gut abgestimmt und kultiviert, feine Tannine, langer Nachhall und gutes Entwicklungspotenzial. San Giacomo: 90-91/100 – Duft nach reifen, leicht schmelzigen Waldbeeren und etwas Unterholz; am Gaumen gut entwickelt, mit

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WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Backpflaumen und einer Spur Butter, elegant, mit kräftigen Tanninen und langem Nachhall.

mit einer Spur Lakritze; am Gaumen reif und schmelzig mit schönem Schliff, feiner Süße und langem Nachhall.

La Mannella: 90/100 – Ausdrucksvolle Nase mit Aromen von Kirschen und Preiselbeeren, reif und dicht; am Gaumen feine Süße, charmant mit feinem Schmelz und gut integrierten, kraftvollen Tanninen.

San Polino: 90/100 – Duft geprägt von Brombeeren, Maulbeeren und frischen Feigen; am Gaumen eher zurückhaltend, schmelzige, leicht geleeartige Waldbeeren, kräftige Tannine, mittlerer Körper, recht langer, frischer Nachhall.

La Palazzeta: 90/100 – Feine, leicht balsamische Aromen von roten Früchten, eine Spur animalisch; am Gaumen gute Balance mit feinem Spiel, angenehmen Geleenoten und langem Nachhall. Kraftvoll und ausgewogen!

SanCarlo: 90/100 – Im zurückhaltenden Duft Kirsche und Waldbeeren; auf der Zunge Verbindung von feinen Geleenoten mit Kraft und Eleganz, feiner Schliff, sehr langer Nachhall.

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Terre Nere: 90/100 – Würzige Aromen von reifen roten Früchten; am Gaumen differenziert, mit Anklängen an Backpflaumen und etwas Bitterschokolade, gutes Gerüst, stoffig, recht langer Nachhall. La Gerla: 90/100 – In der Nase zurückhaltend, rote Früchte, Süßholz und feine Geleenoten; im Mund harmonisch mit feiner Balance, fruchtig mit reifen Tanninen, langer Nachhall. Ein Wein mit großem Charme! La Lecciaia: 90/100 – Im Duft reif und süß, etwas Vanille; am Gaumen kräuterwürzig und harmonisch, mit feinen Geleenoten, elegant und lang.

Tenuta di Sesta: 90/100 – Im Duft jung und fruchtig, mit Waldbeeren, Schattenmorellen und etwas Holunder; im Mund differenziert und elegant, feine Noten von Backpflaumen, geschmeidige Tannine, langer Nachhall.

Scopetone: 90/100 – Duft geprägt von süßen, reifen, leicht rauchigen Brombeeren; auf der Zunge fein und differenziert, mit leicht kandierter reifer Frucht, geschliffenen Tanninen und recht langem Nachhall.

SassodiSole: 90/100 – Aromen von Waldbeeren, Pflaumen und Nelken mit einem Hauch von Sattelleder und Erde; am Gaumen kraftvoll und elegant, Lakritze und Backpflaume, feine Tannine. Ein voluminöser Wein mit schöner Nuancierung.

Sesti: 90/100 – Aromen von fleischigen Pflaumen, unterlegt mit einer Spur Vanille; am Gaumen reif, freigiebig, elegant und harmonisch, mit kräftigen Tanninen und langem, etwas vom Holz geprägten Nachhall.

Collemattoni: 90/100 – Im Duft feine getrocknete Kirschen, Backpflaumen, Zimt und leicht animalische Noten; am Gaumen nuanciert und elegant, geschliffene Tannine, recht schöner Körper. Ein Charmeur mit Stil!

Le Macioche: 90/100 – Ausdrucksvoller, leicht schmelziger Duft nach roten Früchten, Waldpilzen und etwas Holz, schöne Mineralität; am Gaumen reif und stoffig mit kräftigen Tanninen, feinen Geleenoten und im langen Nachhall etwas Holz. Ein Wein mit gutem Relief!

Agostina Pieri: 90/100 – Feine Aromen von Preiselbeeren, Backpflaumen, Leder und Wild; am Gaumen differenziert und freigiebig, etwas helle Schokolade, feine Mineralität, recht langer Nachhall.

La fiorita: 89/100 – Würziger Duft nach roten Früchten, Leder und etwas Unterholz; am Gaumen transparent und reif, mit einer Spur Holz, gute Balance, feine Säure, langer Nachhall.

Banfi, Poggio alle Mura: 90/100 – Zurückhaltender Duft nach süßen, kräuterwürzigen Kirschen mit feinen Röstnoten; am Gaumen reif, harmonisch und geschliffen. Ein schon gut entwickelter Wein mit Volumen und Charme.

fornacella: 89/100 – Im zurückhaltenden, feinen Duft Amarenakirsche; im Mund weich und harmonisch, mit gut ausbalanciertem Feuer und schöner Reife.

Pian delle Querci: 90/100 – Duft geprägt von süßen Waldbeeren und einer Spur Pflaumensaft; am Gaumen fleischig, mit intensiver Frucht und Schmelz, reifen Tanninen und langem Nachhall. Mocali: 90/100 – Leicht animalische, rauchige Aromen von Waldbeeren; am Gaumen gut definierte, fein karamellisierte Frucht, reife, dichte Tannine, langer Nachhall. Querce Bettina: 90/100 – Duft geprägt von reifen Waldbeeren und Kräutern mit feinen Spitzen; am Gaumen würzige Frucht, feine Tannine, recht guter Körper, schöne innere Spannung, langer Nachhall. Quercecchio: 90/100 – Nuancierte Aromen von reifen, süßen roten Früchten; auch am Gaumen feine kirschige Süße mit Waldbeeren und einer Spur Karamell, reif und lang. Ein gut ausbalancierter Wein. Ridolfi: 90/100 – Duft geprägt von Waldbeeren, leicht animalisch und erdig

Barbi: 90/100 – Aromen von süßen, fleischigen Kirschen, Himbeeren und etwas Backpflaumen; am Gaumen weiche, kultivierte Frucht, zupackende Tannine, gute innere Spannung und recht langer Nachhall. Talenti: 90/100 – Feine, mineralisch unterlegte Aromen von Backpflaumen und gerösteten Mandeln; am Gaumen voluminös, mit transparenter, reifer Frucht und recht schönem Nachhall. Caparzo: 90/100 – Feinsüßer Duft nach Pflaumen, Zimt und eingelegten Früchten; im Mund harmonisch und relativ süß, mit schmelzigem, recht langem Nachhall. Castello Tricerchi: 90/100 – Duft nach Kirschen, Pflaumen und Zimt; im Mund ausdrucksvolle, weiche Frucht, recht schöner Körper, gute Balance, langer Nachhall.

La Magia: 90/100 – Aromen von roten Früchten, unterlegt mit etwas Holz; im Mund differenziert, mit feinen Geleenoten, dicht und kompakt. Harmonische Verbindung von Kraft und Charme!

Carpineto: 89/100 – Zurückhaltende Aromen von Pflaumensaft, Kirsche und Backpflaumen mit einem Hauch Tabak; im Mund eine Spur Zimt, harmonisch und elegant, kräftige Tannine, mittlerer Körper, recht langer Nachhall. La fortuna: 89/100 – Aromen von roten Früchten, Veilchen und einer Spur Vanille, am Gaumen weich, reif und charmant, feine, geschliffene Tannine, schöner Körper. Lazzeretti: 88-89/100 – Duft nach reifen Waldbeeren, Pflaumen und Lakritze; am Gaumen stoffig und dicht, beginnende Reife, alle Komponenten gut ausbalanciert, gutes Entwicklungspotenzial. Il Pino: 88/100 – Duft nach Backpflaumen und etwas Sattelleder; am Gaumen Kastaniencreme, süß und harmonisch, schönes Volumen, spürbarer Alkohol und reife Tannine. ■

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Vom SämlInG 88 zUm mäRCHenzaUbeR dIe SCHeURebe WIRd 100

Georg Julius Scheu wollte mit seiner Rebzüchtung Sämling 88 einen geschmackvollen, robusten Konsumwein kreieren. Seine Überzeugung formulierte er 1916 so:

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON MARLENE KÜNSTER

„Je besser unsere Konsumweine sind, umso mehr Liebhaber werden sie finden. Der allgemeine Weinkonsum wird sich heben.“ (Georg Julius Scheu * 21. Juni 1879 in Krefeld, † 2. November 1949 in Alzey)

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amit wurde Scheu zum Pionier für gehobene Weine und der Sämling 88 musste einige Hürden überwinden, bis er seinen endgültigen Namen erhielt. Zunächst wurde angenommen, es handle sich um eine Kreuzung zwischen Riesling und Silvaner. Sehr viel später wurde durch eine DNA-Analyse festgestellt, dass Scheu Riesling und Bukettrebe zur Kreuzung genommen hatte. Seit 1945 heißt der Sämling 88 in Deutschland nun Scheurebe und genießt seit 1956 Sortenschutz. Die Bukettrebe wurde bereits im 19. Jahrhundert vom Franken Sebastian Englerth aus Randersacker gezüchtet, der auch die erste Weinbauschule in Franken gründete. Er kreuzte Silvaner (Mutter) und Trollinger (Vater) – der „Tirolinger“ ist eine VernatschTraube aus Südtirol, die ursprünglich die Römer an den Rhein brachten. Heute wird sie vorwiegend in Württemberg angebaut. Die Bukettrebe bietet ein breites Aromenspektrum, mit schwarzer Johannisbeere, Aprikose, Birne, Pfirsich und Muskat – was sie

Ob die seit den 1980er-Jahren in Deutschland vernachlässigte Scheurebe noch mehr Karriere machen kann, bleibt fraglich. (© DWI)

auch für Scheu zum idealen Kreuzungspartner für den Riesling machte. Trotz der Vielfalt der Aromen, die sich in der Scheurebe widerspiegeln, ist sie dennoch einzigartig im Geschmack. Bukettrebe, Scheurebe, Huxelrebe und Co entsprachen in den späten Nachkriegsjahren nicht mehr dem Zeitgeist. Die Weinfreunde wurden anspruchsvoller und tranken vorzugsweise „trocken“. Ehemals beliebte Rebsorten wurden zu Zechweinen degradiert, sogenannte liebliche Aromen

waren out. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Bukettrebe in Deutschland nicht mehr angebaut und auch ähnliche Rebsorten verfielen in einen Dornröschenschlaf. 2012 geschah dann das Wunder: Der Winzer Martin Steinmann vom Weingut Schloss Sommerhausen erfuhr durch Zufall, dass die alte Bukettrebe in Südafrika noch angebaut wurde. (Man vermutet, dass sie über das Elsass und die Einwanderung der Hugenotten dorthin gelangt ist.) Steinmann holte die

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WEIN & GESCHICHTE Rebe nach Franken zurück – das Experiment ist geglückt. Die ersten Ergebnisse können sich sehen bzw. trinken lassen, beispielsweise eine Scheurebe trocken VDP.Erste Lage 2015. Sie weist viel Mineralität auf, aber auch einen bunten Blumenstrauß der typischen Sortenaromen von rosa Grapefruit bis Maracuja und Lavendel. Da bekommt ein Sauvignon Blanc echte Konkurrenz. Aber Steinmann setzt noch einen drauf: Mit der Cuvée „DNA 2015“ vereinte er alle Kreuzungspartner der Scheurebe. Das Ergebnis: eine sensationelle „Mariage“ aus Riesling, Bukettrebe und Scheurebe – mehr Scheurebe geht nicht! Ob die seit den 1980er-Jahren in Deutschland vernachlässigte Scheurebe noch mehr Karriere machen kann, bleibt fraglich. Für die Anbaugebiete Pfalz und Rheinhessen, wo die Scheurebe längst gute Anbaubedingungen vorfindet, wäre es eine Chance. Einfallsreiche Winzer haben die Sorte dort neu entdeckt: Zum einen erweitert sie die Vielfalt bei den Weißweinen, zum anderen bleibt die Tradition der alten deutschen Rebsorten erhalten. Dies kann nur dann erfolgreich sein, wenn sich der neue Trend „modern trocken“ fortsetzt: mehr Aroma, weniger Alkohol und mehr Restsüße. Dieser wird schließlich auch von der „Generation Gummibärchen“ favorisiert, zu der viele junge Weintrinker zählen. Diesen Trend bestätigt auch die Pfälzer Verfechterin der Scheurebe, Stefanie Weegmüller. Die engagierte Winzerin vom Balkon der Pfalz, wie die Haardt bei Neustadt an der Weinstraße auch genannt wird, trifft mit ihrer „Märchenzauber Spätlese 2015“ ins Schwarze. Seit 60 Jahren wird hier die Scheurebe bereits angebaut, doch diese Variante stellt eine gelungene moderne Interpretation dar. Gut gekühlt, passt diese fröhlichfruchtsüße Scheurebe ideal zum Saibling mit roten Zwiebeln oder zur Pasta mit Trüffeln, doch auch das sämige Risotto, „luftig-zauberhaft“ aufgegossen, wird zum Gaumentraum. „Bella figura“ macht sie jedoch auch ohne Speisen auf der Sommerterrasse, wo sie ihr intensives Bukett nach reifen Früchten und Blüten in einem langen Fruchtfinale frei entfalten kann. Die Scheurebe gehört zwar nicht zum Mainstream, dennoch hat sie sich inzwischen einen festen Platz in der Hitliste der beliebtesten Rebsorten erobert. Immer häufiger wird sie in letzter Zeit in einem Atemzug mit dem auch immer beliebter werdenden Sauvignon Blanc genannt. Als Weinfreund kann man sich nur wünschen, dass die Scheurebe noch eine bessere Rolle als Aufsteigerin unter den deutschen Weißweinsorten bekommt und in den nächsten 100 Jahren kein Schattendasein mehr führen muss. Happy Birthday Scheurebe! ■

50 edITIon

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

MEINE SCHEU-fAVORITEN

Weingut Weegmüller, Neustadt, Pfalz, Scheurebe Spätlese „Märchenzauber“ 2015, fruchtsüß, 12,50 €

Weingut Nicole Graeber, Edenkoben, Pfalz, „Kleiner weißer Beer“ TBA 20 € (0,375 l)

Weingut Acham-Magin, Forst, Scheurebe 2015, trocken, 11 €

Pfalz,

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Die erste Ausgabe nächstes

Jahr wird die 50. Edition des Weinfeder-Journals.

Regis-

trieren Sie sich für ein kosten-

Weingut Köster-Wolf, Albig, Rheinhessen, „Scheus Traum“ 2015, feinherb, 5,50 €

loses Abonnement auf der Webseite

des

Verbandes

deutscher Weinpublizisten

www.weinfeder.de

Weingut Aufricht, Meersburg/Stetten Bodensee, Scheurebe „Ob dem See 470“ 2015, trocken, 13,40 €

oder senden Sie uns eine Mail an: info@weinfeder.de mit der

formlosen Anfrage für ein

Abonnement. Sie erhalten dann bis zu viermal jährlich das Weingut Schloss Sommerhausen, Franken, Scheurebe Steinbach VDP.Erste Lage 2015, trocken, 12 €

Weinfeder–Journal als PDf per Mail zugesandt.

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Von deR dReSdneR kanne zUm WInzeRGlüHWeIn

WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

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■ VON HEIDI DIEHL

So etwa könnte es gewesen sein: An einem bitterkalten Dezembertag anno 1834 steht Graf August Josef Ludwig Wackerbarth, der Großneffe des Erbauers von Schloss Wackerbarth im sächsischen Radebeul, auf dem Belvedere seines ererbten Schlosses und blickt in die Weinberge, deren süße Last längst geerntet ist.

E

s ist ein guter Jahrgang, der da in den Kellern heranreift. Wackerbarth könnte also zufrieden sein, wäre da nicht diese schreckliche Kälte. Und wie er so vor sich hinbibbert, fällt ihm etwas ein: Wie wäre es, einen der vorjährigen Weine mit wärmenden Gewürzen zu versetzen und zu erhitzen, um sich von innen zu wärmen? Gedacht, getan: Der Graf steigt hinunter in den Keller, holt eine Dresdner Kanne (0,93 Liter) Wein, gibt verschiedene Gewürze dazu, süßt mit Honig und Zucker, erhitzt die Mischung und kostet das Gebräu – es schmeckt fürchterlich. Doch er gibt nicht auf, probiert weitere Kannen, nimmt von diesem Gewürz ein wenig mehr, vom anderen ein bisschen weniger, bis er am 11. Dezember endlich mit seinem Werk zufrieden ist und es auf einem Stück Papier niederschreibt: „Nimm auf eine Kanne 4 Loth (1 Loth = 14 Gramm) Zimmet-Puder, 2 Loth Ingwer, 1 Loth Anis-Körner, 1 Loth Galgant, 1 Loth Muskatnüsse, 1 Loth Kardamom, 1 Gran (0,5 Gramm) Safran. Erhitze, mische und seihe es und munde es mit Honig und Zucker ab.” Der Glühwein war erfunden!

(© Schloss Wackerbarth)

Irgendwann verschwand die Rezeptur in den Akten – und bis 2013 auch aus der Erinnerung. Hätten in jenem Jahr nicht Mitarbeiter des Sächsischen Staatsweingutes Schloss Wackerbarth das Sächsische Staatsarchiv in Dresden beauftragt, in den alten Unterlagen aus dem Nachlass des Grafen nach bestimmten Dokumenten zu suchen, wüsste man wohl noch immer nichts von dem Wackerbarth‘schen Warmmacher. Der Archivar Nils Brübach staunte nicht schlecht, als er zwischen weinbautechnischen Daten und alten Prozessakten auf einen Zettel mit der Rezeptur stieß.

Gästen bekommen ist, darüber gibt es leider keine Aufzeichnungen. Die Mischung dürfte aber alles andere als leicht bekömmlich gewesen sein, vor allem wegen der verwendeten Menge Muskatnuss: Ab dem Verzehr von etwa fünf Gramm kann es zu erheblichen Vergiftungserscheinungen und Halluzinationen kommen. Woraus man aus heutiger Sicht schließen kann, dass der Graf entweder über eine erstaunliche Kondition verfügte oder nicht allzu oft von dem heißen Gebräu nippte. Immerhin überlebte er sein Rezept um 16 Jahre und starb am 19. Mai 1850 im 81. Lebensjahr eines natürlichen Todes.

Sofort wurde sie von den Mitarbeitern des Staatsweingutes ausprobiert – und ebenso schnell wieder verworfen. „Wenn auch Art und Mengen der beschriebenen Gewürze in keiner Weise dem heutigen Geschmack entsprechen", sagt Kommunikationschef Martin Junge, „so ist es doch das nachweislich älteste bekannte Glühweinrezept Deutschlands.” Graf Wackerbarths „Erben“ experimentierten also ebenfalls eine Weile mit den Zutaten. Am Ende kam „Wackerbarths Weiß & Heiß” heraus, ein süffiger, weißer Winzerglühwein, den man fix und fertig in Flaschen kaufen kann – und der nichts mit der süßen Plörre zu tun hat, die man zumeist auf den Weihnachtsmärkten bekommt. „Mit unserem Glühwein kann man sich bei entsprechender Menge zwar einen Rausch antrinken", sagt Junge, „mehr aber auch nicht.”

Gewürzte und erhitzte Weine sind indes keine Erfindung des lebenslustigen Sachsen, schon in der römischen Antike waren sie bekannt. Nach dem Kochbuch des Apicius, der 42 vor unserer Zeitrechnung starb, wurde Honig mit Wein, Pfeffer, Mastix (Harz des Mastix-Pistazienbaumes), Lorbeerblättern, Safran, Datteln und deren gerösteten Kernen zu einem Sirup eingekocht, den man anschließend mit Wein verdünnte. Allerdings konnten sich dieses Getränk wegen der damals extrem teuren Gewürze nur Könige und reiche Adelige leisten. Im Mittelalter schrieb man weißem Gewürzwein, der wahrscheinlich kalt getrunken wurde, medizinische Heilkräfte zu. Möglicherweise auch deshalb, weil Wein – ob mit oder ohne Zusätze – zu dieser Zeit bedeutend bekömmlicher war als Wasser, das häufig durch Fäkalien und Abwässer verunreinigt war und dessen Genuss nicht selten, insbesondere bei Kindern, zu Erkrankungen führte. ■

Wie das Heißgetränk nach der Rezeptur von Graf Wackerbarth dem Erfinder und seinen

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deR GeIST Von maURITIUS

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Jeder der drei Produzenten, im Bild Chamarel, aber auch Saint Aubin und Litchquor, bietet eine Vielfalt an köstlichen Destillaten der Sorte Rum – Absatzprobleme gibt es nicht. (© Heidi Diehl)

■ VON HEIDI DIEHL

Mauritius – dabei denken die meisten wohl an die berühmte Blaue Mauritius, eine fast unbezahlbare Briefmarkenrarität. Andere träumen von der Insel im Indischen Ozean, mit wunderbaren Palmenstränden und Korallenriffen voller bunter Fische, an eine Insel, die alle Postkartenklischees bedient. Mauritius ist aber vor allem ein Fleckchen Erde, das durch 370 Jahre Kolonialherrschaft geprägt wurde. Zunächst ab 1598 von den Holländern, ab 1715 von den Franzosen und ab 1810 bis zur Unabhängigkeit 1968 von den Engländern.

B

is zum Anfang des 16. Jahrhunderts, als portugiesische Seefahrer das insgesamt 2.040 Quadratkilometer große Eiland aus zwei großen und mehreren kleinen Inseln entdeckten, hatte es noch niemals ein Mensch betreten. 1639 pflanzten die Holländer die ersten Zuckerrohrpflanzen, die sie aus Batavia, dem heutigen Jakarta, mitbrachten. Schon bald entstanden erste Raffinerien, denn mit Zucker war richtig Geld zu machen. Immer mehr breiteten sich die Plantagen aus und bedeckten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts fast die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche der Insel. Heute sind es noch gut rund 50 Prozent. Was bei der Produktion von Zucker übrig blieb, die Melasse, wurde anfangs ans Vieh verfüttert, doch schon im 17. Jahrhundert begann man, daraus Rum herzustellen. Von den einst 250 Zuckerraffinerien gibt es heute nur mehr vier, nachdem die Zuckerpreise

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tisch, weil die Plantage selbst Vanilleschoten produziert. Selbstverständlich kann man dem langen Weg von der grünen Schote zur aromatischen Vanille nur wenige Meter von der Rumfabrik entfernt folgen und sollte auf keinen Fall versäumen, einen kleinen Vorrat als Mitbringsel zu kaufen. Die in St. Aubin produzierte Vanille ist zwar nicht gerade besonders preiswert, aber so gut, dass sich jeder Cent dafür lohnt.

LITCHQUOR

Die Mauritianer sind stolz auf ihr „Gold of Mauritius". Die Produktion folgt klassischen Regeln – gebrannt wird mit moderner Technik. (© Heidi Diehl)

weltweit ins Bodenlose fielen. Hingegen haben die sechs Rumfabriken der Insel keine Absatzprobleme: Rund eine Million Liter stellen sie jährlich her, das meiste davon bleibt im eigenen Land. Vier Destillerien setzen auf das klassische Ausgangsprodukt Melasse, die anderen zwei stellen sogenannten Rhum Agricole her, für den ausschließlich frisch gepresster Zuckerrohrsaft verarbeitet wird. Derzeit haben die Fabriken Hochsaison, denn Zuckerrohr wird von Juni bis Dezember geerntet. Die beste Zeit für Interessierte, sich vor Ort umzusehen. Kommen Sie mit auf eine kleine Rundreise zu drei der besten Produzenten.

CHAMAREL

Wir beginnen die Tour in Chamarel, einem früheren Sklavendorf mit heute 700 Einwohnern im Südwesten der Insel. Die Region ist bei Touristen vor allem wegen zahlreicher Naturschönheiten beliebt, wie der siebenfarbigen Erde, des Chamarel-Wasserfalls und des Nationalparks Black River Gorges. Davon profitiert auch die ChamarelRumfabrik, die erst 2009 gebaut wurde, heute aber zu den meistbesuchten touristischen Attraktionen im Süden der Insel gehört. Rund 100.000 Liter Rhum Agricole werden hier jährlich zwischen Juni und Dezember produziert. Besucher können Schritt für Schritt miterleben, wie aus dem Zuckerrohr jener Rum wird, den sie am Ende der Besichtigungstour verkosten und natürlich auch kaufen können. Die Rumfabrik hat

eigene Plantagen in 300 Meter Höhe, auf denen das Zuckerrohr am frühen Morgen mit der Hand geschnitten und innerhalb der nächsten vier Stunden verarbeitet wird. Dazu werden die Pflanzenstängel zerkleinert, der Saft herausgepresst und dann mit einer Auswahl von Hefen vergoren. Der so entstandene Zuckerwein (Vesou) kommt in große Kupferkessel, wo er je nach Sorte einfach oder doppelt gebrannt wird. Danach reift der hochprozentige Brand für mindestens sechs Monate in Edelstahltanks, bevor ein Teil, verdünnt auf ca. 38 Prozent, als weißer Rum in Flaschen gefüllt wird, ein anderer Teil in Eichenfässern zwischen 18 Monaten und acht Jahren heranreifen kann. Bei einer Verkostung lässt sich nachvollziehen, wie unterschiedlich Rum sein kann. Die Highlights sind dabei zweifelsohne drei in edle Karaffen abgefüllte Spitzenprodukte, die vier, sechs und acht Jahre Zeit hatten, sich zu entfalten.

SAINT AUBIN

Auch der Rum der 1819 gegründeten Plantage Saint Aubin im Süden der Insel wird aus dem reinen Saft des Zuckerrohrs produziert und lagert zum Teil lange in gereiften Eichenfässern. Bernsteinfarben schimmernd, schmiegt er sich weich und ein wenig schokoladig an den Gaumen, wobei er mit rund 40 Prozent nicht unbedingt ein Schluck für den Vormittag ist. Unbedingt probieren sollte man den „Vanilla Rum“, den zwar auch andere Rumfabriken auf Mauritius im Angebot haben, doch hier ist er besonders authen-

Unser drittes Ziel liegt im Norden der Insel, in Pamplemousses, einem Ort mit rund 9.000 Einwohnern, der bei Touristen vor allem durch seinen im Jahr 1756 angelegten botanischen Garten bekannt ist. Hier ist auch die Litchquor LTD ansässig, die hochwertigen Rum aus Melasse produziert. Ihr Flaggschiff ist der erst 2011 entwickelte „Gold of Mauritius“, von dem der Chef des Unternehmens, Frederic Bestel, behauptet, dass in ihm der Geist von Mauritius stecke. Es handelt sich dabei um einen Blend aus verschiedenen Einzeldestillaten der Insel, der in einem aufwendigen Prozess verfeinert wird, acht bis zwölf Monate in alten südafrikanischen Sherryfässern lagert, ehe er mit einem Alkoholgehalt von 40 Prozent in die exklusiven Flaschen kommt. Dem Genießer empfiehlt sich der weiche, dunkle Rum mit einem breiten Spektrum von Aromen: von frischen und kandierten tropischen Früchten über Schokolade und leicht nussige Röstnoten bis zu etwas Vanille und feinen Gewürzen. Eine runde Sache, die auch Experten auf Anhieb überzeugt hat. So wurde „Gold of Mauritius“ bei seiner Premiere 2012 auf dem German Rum Festival Berlin mit einer Goldmedaille geehrt, beim „WorldSpirits Award“ 2015 folgte eine Silbermedaille und TopRum vergoldete ihn für 2015/16 bereits zum zweiten Mal. ■

Natürlich ist es ein besonderer Genuss, den Rum dort zu verkosten, wo er hergestellt wird. Doch auch hierzulande sind im gut sortierten Fachhandel viele Rums aus Mauritius erhältlich. Und das zu sehr akzeptablen Preisen.

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aRGenTInIen: zWISCHen anden Und pampa TUT SICH WaS

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■ VON ALICE GUNDLACH

Bei Kaiken in Vistalba (Mendoza) gibt es einen abgetrennten Keller für die Premiumweine. Dort werden die fässer aus Lautsprechern mit gregorianischen Chorälen beschallt. Wenn’s hilft … (© Alice Gundlach) COPYRIGHT © WEINFEDER E.V. VERBAND DEUTSCHSPRACHIGER WEINPUBLIZISTEN


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In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich in der Heimat des Tangos viele Güter auf internationales Top-Niveau hochgearbeitet. Eine Rebsorte findet hier besonders große Beachtung: Malbec.

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L

ange Zeit war Argentinien, zumindest aus internationaler Sicht, in Bezug auf Wein ein unbeschriebenes Blatt, obwohl im Land schon seit der Kolonialzeit Wein angebaut wurde. Im 19. Jahrhundert kam es durch Einwanderer aus Spanien und Italien zu einem neuerlichen Aufschwung und Argentinien avancierte zur Weintrinkernation. Dennoch blieben viele heimische Produkte auf Tafelweinniveau und waren für den Export nicht geeignet. POTENZIAL ALS WEINLAND MIT DER LEITSORTE MALBEC

In den Fokus internationaler Weinliebhaber geriet Argentinien in den 1990erJahren, als viele Weingüter sich von „Flying Winemakers“ önologische Unterstützung holten. Als Entdecker Argentiniens gilt Star-Winemaker Paul Hobbs aus Kalifornien, der das Andenland 1988 zum ersten Mal besuchte und das Potenzial als Weinland erkannte. Neben seinem eigenen Weingut Viña Cobos in der Region Mendoza ist er heute als Berater für viele Weingüter im ganzen Land tätig. Auch andere namhafte internationale Önologen und Winzer begannen, in Argentinien zu investieren, darunter Bordeaux-Star Michel Rolland oder Aurelio Montes, der Pionier der Topwein-Bereitung in Chile. Alberto Antonini, Inhaber des Chianti- und Brunello-Weingutes Poggiotondo, der in seiner Heimat Italien bereits TopProduzenten wie Antinori und Frescobaldi beriet, gilt als Geburtshelfer für den Malbec, heute die Vorzeige-Rebsorte Argentiniens. Die tanninreiche, farbkräftige Rotweinrebe kam 1852 aus Frankreich nach Argentinien. Das trockene, warme Klima und oft karge, steinige Böden bieten ihr hier ideale Bedingungen, ist sie doch sehr anfällig für Frost, Fäulnis und Falschen Mehltau.

Mariano Quiroga Adamo ist Kellermeister bei El Porvenir. Seine Lieblingssorte: Tannat, „das Enfant terrible“. (© Alice Gundlach)

In Frankreich selbst spielt die Sorte seit der Reblauskatastrophe im 19. Jahrhundert nur noch eine sehr geringe Rolle. Wurzelechten Malbec findet man heute nur noch in Argentinien. TREND ZUM CABERNET, MAL KRAfTVOLL, MAL ELEGANT

Neben dem Malbec präsentieren die Winzer auch gern ihre Weine aus anderen Rebsorten. „Malbec ist zwar die berühmteste Rebsorte Argentiniens, doch Cabernet Sauvignon kann teilweise noch besser sein“, findet zum Beispiel Sebastien Budeguer, Inhaber der Bodega Budeguer in Agrelo (Mendoza). Während sein Malbec Tucumen oder der Malbec 4000 kraftvoll und saftig sind, zeigen sich die eleganten Cabernets dezent in der Frucht und angenehm im Trinkfluss.

Einen kleinen Trend kann man derzeit ausmachen für reinsortigen Cabernet Franc, der anderswo vor allem als Cuvée-Partner geschätzt wird. Besonders stolz auf ihn ist man in der Bodega del Desierto in 25 de Mayo (La Pampa) im nördlichen Patagonien: „Der Desierto25 vom Jahrgang 2005 war der erste argentinische Wein, der beim Concours Mondial in Brüssel Großes Gold gewonnen hat“, berichtet Geschäftsführerin Maria Loson. Den Jahrgang 2014 lässt sie verkosten: ein konzentrierter, dichter Wein mit Aromen von Zedernholz und Kirsche, der Glas und Mund ausfüllt. BEGEISTERUNG füR EIN ENfANT TERRIBLE

Doch nicht nur international bekannte Sorten finden in Argentinien eine Heimat. Mariano Quiroga Adamo, Winemaker der

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Die Rebsorte Malbec ist das Alleinstellungsmerkmal des Weinlandes Argentinien. (© Alice Gundlach)

Bodega El Porvenir in der Region Salta im Nordwesten des Landes, zeigt seine Begeisterung für einen Außenseiter sehr augenfällig: Auf seinem Unterarm ist das Wort „Tannat“ tätowiert. Dabei handelt es sich um eine sehr farbkräftige und tanninreiche Rebsorte, die ebenfalls meist für Cuvées eingesetzt wird. „Er gilt als Enfant terrible“, grinst Mariano Quiroga. „Erntet man ihn zu früh, wird er zu aggressiv. Den richtigen Zeitpunkt für seine Lese abzupassen, ist echte Maßarbeit – am besten wäre, man schläft im Weinberg.“ Dass sich so viel Hingabe lohnt, zeigt sein Tannat Amauta Absoluto: beerig, kernig und doch floral. SCHAUMWEINE STäRKER ALS WEISSWEINE

Die Region Salta im Norden gilt als beste Herkunft für Weißweine der autochthonen Sorte Torrontés. Diese geraten hier zart-aromatisch und oft mineralisch. Gute Beispiele dafür sind der Don David Torrontés von El Esteco oder Torrontés von Colomé. Auf eine größere Menge als die weißen Stillweine bringen es in Argentinien heute allerdings die Schaumweine, die oft in Flaschengärung produziert werden. Sie überzeugen mit Frische und feiner Perlage, so etwa Kaiken Brut von der Bodega

Kaiken oder die Sparklings der Linie Progenie aus der Bodega Vistalba. AKTUELLE TRENDREGION: UCO VALLEY

Was die Weinszene in Argentinien aktuell besonders umtreibt, sind immer exakter bestimmte Herkünfte. Dabei fällt ein Name besonders häufig: Uco Valley. Diese Unterregion im Süden von Mendoza „ist der nächste große Ort für den Weinbau“, sagt Marcelo Rebolé, Sommelier aus Buenos Aires. Einer der ersten, der das entdeckte, war Michel Rolland. Gemeinsam mit befreundeten Winzern aus seiner Heimat kaufte er hier 850 Hektar Land, das auf sieben Weingüter aufgeteilt wurde. Jedes hat seine eigenen Weine, die größte Aufmerksamkeit erhält jedoch der „Clos de los Siete“, ein Blend, zu dem jeder Betrieb einen Teil beiträgt – Jahr für Jahr neu kreiert von Rolland persönlich. Als beratender Önologe steht Rolland auch anderen Weingütern in der Region Uco Valley zur Verfügung, zum Beispiel Andeluna. „Viele sagen: Uco ist das neue Napa Valley. Ich behaupte: Es ist viel interessanter,“ meint Laura Yofe, Vertriebsleiterin Südamerika bei Andeluna. Das Weingut wurde vom USUnternehmer Ward Lay gegründet und startete 2003. Durch die kalkhaltigen, kargen

Böden gerate der Wein hier sehr mineralisch, auch die großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht seien für Malbec prädestiniert. „Die starke Sonneneinstrahlung sorgt zudem dafür, dass die Beeren dickere Schalen ausbilden. Das verleiht den Weinen eine kräftige Farbe und außerdem mehr Komplexität.“ Die Weinwerbeorganisation „Wines of Argentina“ bearbeitet seit diesem Jahr verstärkt Märkte, die bisher nicht im Fokus standen – darunter auch Deutschland. Dabei steht die Vielfalt der Regionen zunächst noch nicht im Vordergrund. „Zuerst muss man die Weintrinker dazu bringen, mit Argentinien überhaupt etwas zu verbinden,“ erklärt Andrew Maidment, Export Manager Europa von Wines of Argentina. Da sich die Rebsorte Malbec dafür anbietet, engagiert sich die Organisation nun, Weinhändler dazu zu bringen, sich am „Malbec World Day“ zu beteiligen, an dem jedes Jahr am 17. April Events in mehreren Ländern organisiert werden. Anderswo habe die gezielte Bearbeitung schon Früchte getragen, berichtet Maidment: „In Großbritannien etwa wächst der Markt für argentinische Weine heute kontinuierlich zweistellig. Aber es hat vier, fünf Jahre gedauert, bis wir dahin gekommen sind.“ ■

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WeIn-ÖSTeRReICH eRFIndeT SICH neU

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■ VON RUDOLF KNOLL VIA YOOPRESS

Etliche Weinbücher, Internet-Auftritte und auch die Informationsschriften der Österreich Wein Marketing sind nicht mehr aktuell und müssen neu formuliert werden. Der Grund: Mitte Juni 2016 trat eine Novelle zum Weingesetz in Kraft, die vor allem im Burgenland für eine Neuordnung sorgte – und möglicherweise nicht bei allen Winzern mit Beifall aufgenommen wird.

D

ie bisherigen burgenländischen Weinbaugebiete Neusiedlersee, Neusiedlersee-Hügelland, Mittelburgenland (auch Blaufränkischland genannt) sowie Südburgenland, bei vielen Verbrauchern und auch Erzeugern gut eingeführt, gehören der Vergangenheit an. Künftig sollen alle Qualitätsweine nur mehr die Herkunftsangabe „Burgenland“ auf dem Etikett aufweisen. Eine Ausnahme wurde für die gebietstypischen DAC-Weine gemacht, die weiterhin im Zusammenhang mit den dafür ausgewählten Sorten die Bezeichnung des jeweiligen spezifischen Anbaugebietes tragen dürfen. Das heißt: Neusiedlersee DAC, Leithaberg DAC, Mittelburgenland DAC und Eisenberg DAC (im Süden) werden weiterhin für eine Orientierung sorgen. Angedacht ist, warum auch immer, eine Großlage „Südburgenland“,

Ehemals spezifische Anbaugebiete Österreichs fasst nun die Herkunftsangabe Burgenland zusammen. (Neusiedlersee © ÖWM – Lukan)

sie soll die beiden bisherigen Großlagen „Pinkatal“ und „Geschriebenstein“ (die ohnehin kaum jemals auf Etiketten zu sehen waren) ersetzen. Gewissermaßen eine spezielle DAC wurde für die Freistadt Rust geschaffen. Der hier geborene Begriff „Ausbruch“ für hochkarätige edelsüße Weine ist jetzt ausschließlich für Rust reserviert. Ob Winzer in den Nachbarorten am Südteil des Neusiedlersees, zum Beispiel Mörbisch, darüber glücklich sind? Sinn macht die Regel freilich für andere Gebiete, die schon gelegentlich das populäre Prädikat nutzten. Ein Ausbruch aus dem Weinviertel oder aus der Steiermark (für die Ruster Winzer eine Grausamkeit) ist künftig nicht mehr möglich. In der Steiermark gibt es ebenfalls einen neuen Namen für ein bekanntes Weinbaugebiet. Aus der Süd-Oststeiermark wurde jetzt aufgrund der geologischen Besonderheiten (viel vulkanisch geprägter Untergrund) „Vulkanland Steiermark“. Freilich ist dieses Gebiet damit geografisch künftig schwerer zuzuordnen. Neu ist auch eine klare Ausweisung von Weinlagen. Hier konnten Erzeuger in der Vergangenheit durchaus ihrer Fantasie frei-

en Lauf lassen und Namen oder Marken kreieren, die den Eindruck erweckten, es handle sich um eine individuelle, streng abgegrenzte Flur. Jetzt muss bei Weinen mit Lagenangabe das Wort „Ried“ vor dem Namen der Flur stehen, also zum Beispiel Ried Heiligenstein oder Ried Klaus. Und die Lage muss gesetzlich genau definiert sein. „Weine aus Einzellagen sind damit auf einen Blick von Pseudo-Herkünften unterscheidbar“, urteilt die Weinmarketing in Wien. In den Gebieten Kamptal, Kremstal und Traisental wurde nach deutschem bzw. rheinhessischem Vorbild ein dreistufiges System mit Gebietswein, Ortswein und Lagenwein eingeführt. Die Einreihung der Weine soll sich an einem bestimmten Mindestalkohol orientieren. Bald wird auch Sekt aus Österreich neu geordnet sein. In einem mehrjährigen Diskussionsprozess hat die prickelnde Branche gemeinsam mit Weinbauverband, Kammer, Weinmarketing und Landwirtschaftsministerium ein neues, nur noch nicht verabschiedetes Reglement auf den Weg gebracht. Künftig wird es Sekt mit geschützter Ursprungsbezeichnung geben, ergänzt durch Begriffe wie „Klassik“, „Reserve“ und „Große Reserve“ (die nur aus Lagenweinen gewonnen werden darf). ■

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WEINLÄNDER

enGlandS WInzeR laSSen In den USa dIe koRken knallen

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■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

Die jemals größte Lieferung von Schaumweinen aus England verließ jüngst die Docks in Southampton mit dem Ziel Massachusetts in den USA.

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ie mehr als 5.000 Flaschen stammen aus dem ganzen Land, darunter von bekannten Erzeugern wie Digby Fine English (Kent, Sussex und Hampshire), Hush Heath Estate (Kent), Bolney Wine Estate (Sussex) und der Camel Valley Vineyard (Cornwall) – dieses Quartett gilt als Vorreiter für den Export englischer Schaumweine. Der Deal wurde eingefädelt vom britischen Exporteur The British Bottle Company und der im US-Bundesstaat New Jersey ansässigen Vine Street Imports. „Dieser Deal ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Erfüllung zur Steigerung der Exporte unserer Winzer“, wird Andrea Leadsom, Staatssekretärin für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten (Department for Environment, Food and Rural Affairs), in den Medien zitiert. „Nicht nur unser Olympia-Team hat in Rio mit Gold geglänzt, sondern das tun auch längst unsere Weinproduzenten, die zu den besten der Welt gehören und schon oftmals Gold als Auszeichnung für ihre Weine erhalten haben.“ Und in der Tat, englische Schaumweine finden immer mehr Beachtung in der internationalen Weinszene. Längst haben die gro-

Englische Schaumweine finden immer mehr Beachtung in der Weinszene. Jetzt haben die Erzeuger die großen internationalen Märkte im Visier. (© Bolney Wine Estate)

ßen britischen Produzenten Abnehmer nicht nur im Commonwealth, sondern verbreitet in ganz Europa, sogar nach Japan wird exportiert. Aber die USA stehen im Fokus. „Es ist fantastisch, dass unsere Winzer die Flagge britischer Weine in der ganzen Welt hochhalten. Aber die eindeutige Priorität liegt auf den USA als sehr willkommener Exportmarkt“, sagt Leadsom. Die Lieferung der Schaumweine wird zunächst aufgeteilt im Fachhandel sowie in der Gastronomie der US-Staaten New York, New Jersey, Pennsylvania, Illinois, Washington DC, Georgia, Montana und Maryland. Weitere Container mit Schaumweinen werden in den nächsten Monaten folgen, wie ein Sprecher der British Bottle Company auf Nachfrage mitteilt. „Wir werden es aber nicht bei der Lieferung in die USA belassen, sondern wir werden vor Ort an Fachmessen teilnehmen, die Presse

informieren und zusammen mit Sommeliers Verkostungen durchführen. Zudem haben wir eine ganze Reihe von Marketingmaßnahmen, die eine Einführung englischer Schaumweine in die USA begleiten“, sagt Red Johnson, Gründer und CEO von The British Bottle Company. „Bisher waren die Kunden in Nordamerika von den Schaumweinen begeistert und ich bin zuversichtlich, dass sich die USA schnell zu unserem größten Weinexportmarkt entwickeln wird.“ Die Aktion soll aber nicht die Exporte in weitere, teilweise eher exotische Weinländer behindern. So exportiert das Winzerquartett, allen voran Camel Valley Vineyard, mittlerweile nach Dubai. Dort werden die englischen Schaumweine Gästen im Burj Al Arab (Jumeirah Hotels) angeboten oder können als Duty-Free Ware im Dubai International Airport gekauft werden. ■

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PORTRAITS

dIe den TIGeR ReITen WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON DR. STEFAN KRIMM

Goriška Brda, das slowenische Collio um Šlovrenc, Šmartno, Dobrovo und Ceglo, südöstlich von Cividale, gehört zu den noch einigermaßen verborgenen touristischen Kostbarkeiten in Europa: eine herrlich in Terrassen gegliederte Weinund Obstlandschaft mit kleinen Dörfern und Weilern vor den Bergen, welche die slowenische Kapitale Ljubljana und das Tal der Save von Triest und der Adria trennen. Bei klarer Sicht manchmal fast dramatisch schön und in Orten wie etwa Šmartno an das Italien der eigenen Kindheit erinnernd: noch nicht alles neu verputzt und frisch gestrichen, kleinräumig, mit viel abendlichem Hin und Her der Bewohner und Gäste auf den Straßen und in den kleinen Gaststuben. Bescheiden und doch eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlend. Die hügelige Umgebung ist ein kleiner Garten Eden, in dem fast alles wächst: Kirschen, Äpfel und Birnen, im Herbst prallgelbe oder orangefarbene Khakifrüchte und natürlich Trauben.

alèS kRISTančIč

maRJan SImčIč

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PORTRAITS

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WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

ie Weinbauern an der erst nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich trennenden Grenze zu Italien haben nicht selten auf beiden Seiten Besitz, die bis heute entscheidenden Kataster wurden bereits zur Zeit der habsburgischen Herrschaft angelegt. Sogar Marschall Tito, ehemaliger Partisan, Emporkömmling und brutaler kommunistischer Selbstherrscher, machte die Grenze, die ohnehin für die tollkühnen Zigaretten- und Alkoholschmuggler kein unüberwindliches Hindernis darstellte, nicht völlig dicht. Wie zwischen der Südpfalz und dem nördlichen Elsass gab es auch hier immer einen kleinen Grenzverkehr für die Bewirtschaftung hüben und drüben. Was in Slowenien wuchs, durfte allerdings nicht unter eigenem Etikett vermarktet, sondern musste an die nächste Kooperative abgeliefert werden. Klar, dass darunter die Begeisterung für die Suche nach optimalen Ergebnissen deutlich litt, doch das entsprechende Know-how wurde nie völlig vergessen. Das zeigte sich nach dem Ende des Kommunismus sehr, sehr rasch.

Ceglo, sieben Kilometer nordöstlich vom italienischen Cormons, ist ein Ort, der geradezu auf der heute kaum noch sichtbaren Grenze reitet: Die namengebende römische Ziegelei liegt im Tal unterhalb der wenigen Häuser, die Winzer sitzen etwas weiter oben in Slowenien, mit weitem Blick über die friulanische Ebene in Richtung der nur 20 Kilometer entfernten Adria. Hier, in einer schon im Ersten Weltkrieg erbittert umkämpften Zone zu wohnen und zu arbeiten, war im letzten Jahrhundert stets mit Risiken behaftet und setzte immer eine gewisse waghalsige Unbeugsamkeit voraus. Diese scheint den beiden Winzern, die hier vorgestellt werden, als Erbteil mitgegeben zu sein. Sie sind stets bereit, ungewohnte Wege zu gehen – nicht mehr die zur Bewältigung der Grenzsituation, sondern die der absoluten Qualitätsorientierung. Das ist der Tiger, den sie reiten, willensstark und manchmal hochriskant! Mittlerweile werden sie beide, insbesondere im angelsächsischen Bereich, von Größen wie

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Stephen Spurrier, James Suckling und Jancis Robinson, zu den qualitativ führenden Produzenten der Welt gezählt. Der Bekanntere der beiden ist Aleš Kristančič, den man, ohne ihm Unrecht zu tun, als Enfant terrible des slowenischen Weinbaus bezeichnen kann. Und selbst das ist für den 49-jährigen Voll-Dynamiker mit dem eindrucksvollen Yul Brynner-Schädel und der mit „Zak, zak!“, „puf“ und „paf“ angereicherten, geradezu explosiv wirkenden Sprache und Gestik noch zu wenig. Er scheint ständig unter Spannung zu stehen, sprudelt über von Ideen, ist, wie ein junger Jagdhund, stets bereit, in höchster Geschwindigkeit von einer thematischen Spur zur anderen zu wechseln – er ist daher mit einem Wort: „anstrengend“. Dies aber mit einem solchen Charme, einer so ansteckenden Begeisterungsfähigkeit und einem so profunden Wissen um alle Zusammenhänge, in denen Reben und Weine zu betrachten sind, wenn Perfektes entstehen soll, dass man sich ihm schlichtweg nicht entziehen kann. Seine Großzügigkeit bei der Präsentation seiner Weine bis hinein in die Schatzkammer der von ihm erzeugten gereifteren „Monumente“ ist von einer Art, dass man rufen möchte: „Halt ein, Junge! Du bist dabei, dich selbst auszuplündern!“ Aber große Wirkung hätte das bei diesem Monomanen der Weinbegeisterung, der auch über erhebliche schauspielerisch-dramatische Fähigkeiten verfügt, ohnehin nicht. Er kann wohl nicht anders und Schwierigkeiten sind für ihn da, angegangen und bewältigt zu werden. Was er damit für Slowenien bewirkt hat, ist bemerkenswert. Der von ihm aufgeweckte und geförderte Kreis jüngerer und fast gleichaltriger Winzer ist – nicht zuletzt mit seinen biologischen bzw. biodynamischen Ideen – dabei, das ganze Land zu prägen. Und sein Keller, in dem immer wieder Zusammenkünfte der von ihm Angesteckten stattfinden, darf in dieser Hinsicht ruhig mit einer Hexenküche verglichen werden, in der es ständig brodelt. Verantwortlich für das bereits seit 1700 bestehende, 1820 von seiner Familie übernommene Gut, heute Mitglied bei „La Renaissance des Appellations“, der von Nicolas Joly gegründeten Elite der 55 führenden biodynamischen Weingüter aus aller Welt, wurde er schon mit 19 Jahren. Das war 1985, sodass der 49-Jährige bereits auf 30 Jahrgänge zurückblicken kann.

„Movia“ – das Weingut von Aleš Kristančič – war immer etwas Besonderes: damals einziger Betrieb in Jugoslawien, der in Familienbesitz bleiben durfte und nicht an Genossenschaften liefern musste. (© Dean Dubokovič)

Sein Gut „Movia“ war immer etwas Besonderes: einziger Betrieb in Jugoslawien, der in Familienbesitz bleiben durfte und nicht an Genossenschaften liefern musste; seit 1958 exklusiver Lieferant für offizielle

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Anlässe des jugoslawischen Staates. Der Hintergrund: Großvater Anton verfügte als ehemals einflussreicher Partisanenkommandeur über einen ganz besonderen Draht zu Marschall Tito. Vielleicht hätte er sich nach den harten Kämpfen um die Freiheit seinen Besitz auch nicht so einfach abnehmen lassen. Und Tito schätzte die Weine seines Kriegskameraden: 40.000 Flaschen Movia soll er für sich persönlich behalten haben. Wie auch immer: Seit 1991 beliefert Kristančič auch den unabhängig gewordenen Staat Slowenien, sodass, in teilweise langen Sitzungen, unter anderen Kanzler Schröder und EUKommissar Verheugen in den Genuss von Movia-Weinen kamen. Erklärung dafür sind keine politischen Verbindungen mehr, sondern allein die schiere Qualität und die steht für Kristančič ganz oben: „Du musst auf der Schneide des Messers balancieren!“, insistiert er. „Mittelmäßiges Zeug bringt jeder fertig, aber das interessiert mich nicht.“ Auch sein Weg in den Beruf war nicht mittelmäßig. Zwar besteht er darauf, das meiste von seinem Vater gelernt zu haben, solide Winzerarbeit nämlich, die bei den Alten schon immer in gewissem Umfang biodynamisch gewesen sei. „Wir verstehen heute nur besser, weshalb die Dinge funktionieren.“ Aber er war nach dem Studium an der Universität Padua auch Praktikant auf Château Pétrus und der Domaine de la Romanée-Conti im Burgund – allerbesten Adressen also. Und er war wissbegierig wie kaum ein anderer. Das tiefe Nachbohren und die Integration des Begriffenen in den eigenen Ideenkosmos gehören zu seinen wichtigsten Eigenheiten. Schaut man ihm zu, wie er eine Flasche seines bewusst auf der Hefe belassenen, also nicht degorgierten Sekts „Puro“ mit dem Korken nach unten in einer großen, mit Wasser gefüllten Glasschale öffnet, sodass der Trub aus dem Hals wie von einem großen Tintenfisch herausgeschossen wird, oder wenn er seinen ebenfalls bis zum Schluss auf der Hefe gebliebenen „Lunar“ in eine doppelläufige Karaffe dekantiert, dann bemerkt man auch sein beachtliches ShowTalent. Nicht umsonst steht an der Stirnwand seines großen Wohnzimmers eine ganze Rockband-Ausrüstung: Wahrscheinlich hätte er auch einen anderen Weg einschlagen können, doch seine Winzer-Gene behielten die Oberhand. Mit dem Ergebnis, dass er sich für seine bei der Weinbergsarbeit erworbenen kräftigen Fingerkuppen eine Gitarre mit extrabreitem Hals und Steg anfertigen lassen musste, um die Akkorde richtig greifen zu können. Ein Star geworden ist er aber auch so. In besagtem Wohnzimmer hängt ein Künstlerporträt von ihm, das die Intensität seiner Persönlichkeit

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Aleš Kristančič ist Kennern der Weinszene längst aufgefallen. Ihn kann man, ohne ihm Unrecht zu tun, als Enfant terrible des slowenischen Weinbaus bezeichnen. (© Dr. Stefan Krimm)

gut eingefangen hat. Waren es nicht die Hallen und Säle der Popmusik, so hat er doch die Weinwelt „gerockt“ und hat noch lange nicht vor, damit aufzuhören.

Die Weine von Alès Kristančič 2012 Rebula (Ribolla) – 90 Punkte Einnehmender, leicht pfeffriger Duft nach schwarzer Johannisbeere, Stachelbeere und etwas Quitte; am Gaumen cremig mit feinen Zitrus-Spitzen, die im Spiel mit der Quitte und einem Hauch buttriger Vanille für innere Spannung sorgen; langer, wiederum leicht pfeffriger Nachhall. 2008 Chardonnay – 93 Punkte Im einnehmenden Duft feine Zitrusnoten und Mandeln mit einer Spur Karamell; am Gaumen sehr elegant, großes Spiel, trotz der Reife fast noch nervös wirkend, schöner Schliff, im langen Nachhall erneut transparente Zitrusnoten.

2006 Veliko belo (Cuvée aus Pinot Gris, Sauvignon Blanc und Ribolla) – 93 Punkte Interessantes Aromenspiel von Quitte, Brioche und Kerbelwurzel; am Gaumen weich und reif, Quittengelee und Birne, cremig und gleichzeitig sehr lebendig, mit bestens eingebundener Säure, komplex und harmonisch, sehr langer Nachhall. 2009 Modri Pinot (Pinot noir) – 93 Punkte Im feinen, kraftvollen Duft Kirschen, etwas Vanille und Leder; auf der Zunge sehr differenziert, transparente Noten von Kirsche und Bitterschokolade mit einem Hauch Teer, reife Tannine, sehr lang mit einem Nachhall wie tiefer Glockenklang. 2005 Veliko Rdeče (Cuvée aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Pinot Noir) – 95 Punkte Im überwältigenden Duft viel Brombeere und Kirsche, unterlegt mit leicht erdig-teerigen Noten von Sattelleder und einer Spur Vanille; am Gaumen beeindruckende Verbindung von Eleganz und Kraft, sehr feine Anklänge an Bitterschokolade, beeindruckender Schliff, überaus lang. Ein großer Wein!

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Kommen wir nun zu Marjan Simčič aus Ceglo, der nur ca. 300 Meter weiter wohnt und zu dem Aleš Kristančič uns nach ausgiebiger Probe bei tiefer Dunkelheit selbst begleitet hat. Simčič ist ganz anders als sein Nachbar, aber auf seine Weise nicht weniger intensiv. Zunächst einmal: Wenn einer von den beiden ein wenig das Flair eines Bandmitglieds hat, eines Bassisten vielleicht, dann Simčič mit seiner großen, schlanken Figur und den fast schulterlangen, schwarzen Haaren.

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uch Marjan Simčič hat die Verantwortung für sein Weingut sehr früh übernommen, 1988, mit gerade mal 20 Jahren. 1997 schuf er sich dann in einem Neubau mit einem zinnengeschmückten Türmchen und tief in die Erde gegrabenen Keller die Bedingungen, die er für die Verwirklichung seiner Qualitätsansprüche brauchte. Auch nach fast 20 Jahren wirkt alles noch modern, zweckmäßig und aufgeräumt. Im Barriquekeller fallen an der Stirnseite zwei aus Eichenholz gefertigte eiförmige Behälter auf, untrügliche Kennzeichen der Aufgeschlossenheit ihres Besitzers für biodynamische Ideen und Ausweis seiner Neugier: Er probiert gerade aus, was die behauptete besondere Eignung der Form für die inneren Bewegungen des Weins und der Hefen beim Ausbau tatsächlich bewirkt und er bringt seine Skepsis gegenüber den nicht ganz reaktionsneutralen Betoneiern zum Ausdruck. Ganz billig ist seine Neugier nicht, aber er will es nun einmal wissen. Wie Kristančič hat auch Simčič, der auf dem 1860 gegründeten, mittlerweile 18 Hektar umfassenden Gut in der fünften Generation Winzer ist, einen wesentlichen Teil seiner Ausbildung in Frankreich erhalten: je ein Jahr in Bordeaux und in Burgund. Was er von dort mitgebracht hat, ist ein unaufgeregtes, sehr beharrliches Streben nach absoluter Qualität. Das hat er durch die 2008 erfolgte Schaffung seiner obersten, nur in sehr guten Jahren und aus dem besten Traubengut mit ungewöhnlich niedrigen Hektarerträgen produzierten Linie „Opoka“ unterstrichen. Sie ist nach dem von ihm als Bodenart ganz besonders geschätzten Flysch benannt, einer vor allem durch Hangrutschungen auf den Meeresgrund entstandenen, sehr mineralreichen und vor allem salzreichen

Marjan Simčič ist kein Modernist, sondern betont, ein absolut traditionell arbeitender Winzer zu sein, der großen Respekt vor der Arbeit seines Vaters Salko und dessen Vorfahren hat. (© Marjan Simčič)

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Gesteinsart in Wechselfolge von sandigen Schichten und feinen mergeligen Tonen, die manchmal fast wie fest gewordener Zement wirken. Die hohe Mineralität der Opoka-Weine hängt eng damit zusammen. Und wenn Simčič beim Verkosten einige Tropfen Wasser auf eines der immer bereitliegenden FlyschBröckchen gibt, kann man eine sehr typische, rauchige Note wahrnehmen, die mit einer Toastung von Barriques gar nichts zu tun hat. Ausgangspunkt der familiären Weinaktivitäten war das wenige Kilometer nördlich von Ceglo gelegene Örtchen Medana. Dort verfügte die Familie auch über eine Gaststätte und ein Geschäft. Für die Unternehmungslust von Urgroßvater Anton Simčič spricht, dass er seine Weine auch in einem eigenen Laden in Wien vertrieb: Das waren die alten Verbindungen im Habsburgerreich, wie sie etwa Heimito von Doderer in seinem Buch „Die Wasserfälle von Slunj“ beschrieben hat. Zwei Weltkriege setzten ihnen ein brutales Ende, aber Marjan, der von Grenzen ohnehin nicht viel hält, weil sie seine Familie lange bei der Bewirtschaftung des Besitzes auf der italienischen Seite behindert haben, hat längst begonnen, weltweit zu agieren. Die Begeisterung der Weinfreunde insbesondere im angelsächsischen Raum, wo man früh die ungewöhnliche Qualität seiner Arbeit erkannt hat, befördert das ungemein. Aber auch er ist kein Modernist, sondern betont, ein absolut traditionell arbeitender Winzer zu sein, der großen Respekt vor der Arbeit seines Vaters Salko und dessen Vorfahren hat. Natürlich probiert er auch immer wieder etwas Neues aus, Eingang in die Vinifizierung findet es allerdings erst, wenn es sich mehrfach bewährt hat. Sind bei Kristančič der „Puro“ und der „Lunar“ die besonderen Aushängeschilder, so ist es bei Simčič der „Leonardo“, ein edelsüßer Dessertwein aus sehr spät gelesenen, anschließend mehr als ein halbes Jahr luftgetrockneten Ribolla-Trauben, dessen Zauber man sich schlicht nicht entziehen kann: füllig, elegant, mit einem seinesgleichen suchenden Süße-Säure-Spiel, solider, leicht karamelliger Fruchtunterlage von überreifen Aprikosen, Bratäpfeln und Mandeln und einer fast öligen Konsistenz. Kein Wunder, dass ihn die britischen Sommeliers 2012 bei der Vergabe ihrer Sommelier Wine Awards zum „Best in Show“ und „Wine of the Year“ kürten. Welche Risiken man bei der Produktion eines solchen Nektars im Weinberg wie anschließend bei Trocknung und Vinifizierung eingehen muss, liegt auf der

Die aus Eichenholz gefertigten, eiförmigen Behälter sind untrügliche Kennzeichen der Aufgeschlossenheit von Marjan Simčič für biodynamische Ideen und Ausweis seiner Neugier. (© Dr. Stefan Krimm)

Hand. Aber Simčič, der in Haltung, Aussehen und Haarfarbe manchmal etwas an einen Indianerhäuptling erinnert, bewältigt sie so ruhig wie aufmerksam und ohne Aufheben. Wie Aleš Kristančič ist es auch Marjan Simčič gewohnt, den Tiger zu reiten. Und beiden macht das offenkundig Spaß.

plex, Birne und Mandeln verbinden sich ideal, feines Spiel, exzellente Spannung, schöner Schliff, sehr langer Nachhall. Ribolla geht kaum besser!

Die Weine von Marjan Simčič

2012 Chardonnay Selekcija – 91 Punkte Feine, fast noch etwas kreidige Aromen von weißen Blüten und Frühäpfeln; am Gaumen füllig, fast cremig, Äpfel und Mandeln, unterlegt mit einem Hauch Butter und Wachs, schöner Körper, feine, ganz trockene Süße, langer Nachhall.

2010 Ribolla Opoka (nur ca. 30 hl/ha) – 94 Punkte Im Duft feine balsamische Noten von Honig, gerösteten Mandeln und Birne; am Gaumen edel, harmonisch und sehr kom-

2009 Pinot Noir Selekcija – 93 Punkte In der Nase komplexe Aromen von Kirsche und Brombeere; am Gaumen voluminös, fast fleischig, viel Kirsche, etwas Schokolade, schmelzig mit schöner Frische, guter Spannung, reifen Tanninen und langem Nachhall. Ein kultivierter Wein! ■

2012 Ribolla Selekcija – 91 Punkte In der Nase relativ zurückhaltend, mit Aromen von reifen Äpfeln und Quitte; am Gaumen sehr differenziert, schöne Balance von Frische, Kraft und Volumen, Holz gut eingebunden, feine Süße, dabei aber sehr trocken, edler Schmelz, sehr langer Nachhall.

2012 Pinot Noir Selekcija – 88 Punkte Duft geprägt von Kirsche und etwas Leder; am Gaumen süße Frucht, reif und dicht, Holz noch nicht ganz integriert, ein feiner, recht komplexer, aber in seiner Wucht nicht ganz so Pinot-typischer Wein.

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WeIn, FRaUen Und eIn neUeS GenRe

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■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

Crazy Fang und ihr Vater ergänzen einander auf vortreffliche Weise. Es gibt keinen Generationskonflikt. Er sorgt sich um die Rebflächen, sie setzt den Weinen ihren Stempel auf – und das gelingt beiden mit beachtlichem Erfolg. (© Summergate)

Fakt ist: In aufstrebenden Weinmärkten, insbesondere in China, unterliegen die Trinkgewohnheiten einem steten Wandel, und dies in hohem Maß dort, wo die weibliche Kundschaft den Schwerpunkt bildet.

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ußerdem: Kein Klischee über chinesische Weingüter könnte man in diesem Zusammenhang auf die Kanaan Winery anwenden. Hier ist nichts von der Aura französischer Châteaux aus Bordeaux zu spüren – kein prächtiges Schloss, kein altehrwürdiges Gemäuer weit und breit. Hier herrscht eine eher schlichte, funktionale Atmosphäre. In den Weinbergen stehen Cabernet Sauvignon, Cabernet Gernischt, Merlot sowie Chardonnay im Ertrag – und auch Riesling. Und noch etwas ist anders bei der Kanaan Winery: Kein smarter Önologe mit europäischem Akzent hat hier das Sagen, sondern eine Frau – die Chinesin Fang Wang, genannt „Crazy Fang“. Ihre Weine wurden jüngst von internationalen Kritikern mit Auszeichnungen bedacht, darunter Jancis Robinson und Decanter – lesen Sie hierzu unseren Beitrag „Chinas Kanaan Winery und

die ‚verrückte‘ Fang“. Kurzum: Crazy Fang produziert nicht nur herausragende Qualitäten, die internationale Standards erreichen, sie steht auch zunehmend über alle Branchen hinweg für die Weiblichkeit in der chinesischen Industrie. In der autonomen Weinregion Ningxia, entlang des Helan-Gebirges, unterhalten einige Big Player ihre Weinprojekte. So ist hier der Österreicher Lenz Moser als Berater des chinesischen Branchenführers Yantai Changyu Wine Pioneer Co. aktiv, auch der französische Getränkeriese Pernot Ricard sowie der Luxuskonzern LMVH mit der Marke „Chandon China“ (Moët-Chandon). Die interessantesten Produzenten allerdings sind Frauen, und dazu gehören neben Emma Gao mit ihrem Weingut Silver Heights nun auch Crazy Fang sowie Zhang Jing im Weingut

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Unkonventionell ist ihre Methode, die Weine zu formen. „Ich mag kein Labor. Ich will mich beim Weinmachen zu Hause fühlen. Ich brauche einen Tisch, einen Stuhl, um mich herum meine Gemälde, also mein bescheidenes, heimisches Wohlgefühl. In diesem Habitat fühle ich mich frei und überlege mir, wie meine Weine sein sollen“, erklärt Crazy Fang. „Die Arbeit meines Vaters in den Weinbergen beeindruckt mich, ich habe hohe Achtung vor seiner Leistung. Mich selbst sehe ich nicht als Winzerin. Ich wusste auch vorher nicht, wie schwer die Arbeit ist. Außerdem wächst der Druck ständig, jedenfalls seit der ersten positiven Bewertung durch den Decanter und durch die Aufnahme in die Top 100. Da habe ich erfahren, wie man sich fühlt, ständig Erwartungen erfüllen zu müssen.“ Ihr Spitzname „Crazy Fang“ ist weniger einer bestimmten Verrücktheit geschuldet, sondern eher ihrer Unbekümmertheit, einfach gute Qualität in ihre Flaschen zu bekommen. {© Summergate)

Helan Qing Xue und Gloria Xia (bis vor kurzem Weinmacherin bei Chandon), die für Aufmerksamkeit in der internationalen Weinszene sorgt. Zu Chinas „Fantastischen Fünf“ gehört auch Judy Chan, die bei Grace Vineyard in der Provinz Shanxi verantwortlich zeichnet. Der Aufstieg dieser Frauen in der eher Männer-dominierten Branche spiegelt zuerst einmal ihre Kompetenz wider und ist ein Indikator für die Marktkraft ihrer Weine. „Rund 70 Prozent der Entscheidung beim Weinkauf in Supermärkten sowie online tragen Chinas Frauen. Nicht nur deswegen machen Winzerinnen auch an der Front der Weinproduktion Sinn", erklärt Lenz Moser. Global gesehen, belegen diese Trends Mosers Feststellung. In China und auf der ganzen Welt sind die Weinkategorien mit dem spannendsten Wachstum Weißweine, Schaumweine und Roséweine. Ein ebenfalls wachsender Prozentsatz des Konsums von Wein verlagert sich von Restaurants in den heimischen Bereich. Diese Trends werden, nicht nur in China, überwiegend den Frauen zugesprochen. „Chinesische Männer neigen dazu, durch elegante Grand CruEtiketten und durch ausgefallene Preise stimuliert zu werden. Chinesische Frauen lassen sich bei ihrer Entscheidung eher von hübschen Etiketten, ansprechendem Geschmack und vernünftigen Preisen überzeugen", sagt Lenz Moser. „Ich war eine dieser Frauen“, bestätigt Crazy Fang, die bis zu ihrer Rückkehr nach China einige Jahre in Deutschland gelebt hat. Zu ihrem deutschen Freundeskreis gehörte auch eine Winzerfamilie. „In Deutschland war es

ganz normal, ein oder zwei Gläser Wein am Tag zu trinken“, erzählt sie. „Ich war eine reine Konsumentin, Handel oder Produktion von Wein habe ich dort nicht gelernt. In Deutschland kaufte ich mir Weine mit hübschen Etiketten, achtete dabei aber immer auf einen vernünftigen Preis. Als mein Vater 60 Jahre alt wurde, kehrte ich nach China zurück. Er ist technischer Wissenschaftler und bei Projekten der Regierung involviert. Nebenbei hatte er 2005 mit seinen Kollegen ein Weingut namens Helan Qing Xue gegründet.“ Dessen Weine gehörten zu den Ersten, die durch ihre Qualität die Weinregion Ningxia international bekannt machten. Bereits 2011 erhielt das Weingut für die Jia Bei Lan Grand Reserve Jahrgang 2009 einen Top-Preis vom Decanter. „Zu Hause angekommen, sprachen wir über die Möglichkeiten, selbst Wein zu produzieren“, erzählt Crazy Fang weiter. „Mein Vater und seine Kollegen meinten, dass dort, wo sie selbst wirkten, also entlang des HelanGebirges, beste Bedingungen für den Weinbau herrschen würden. So entschieden wir, direkt neben Helan Quing Xue mein Weingut Kanaan zu gründen. Im Betrieb sind mir die unterschiedlichen Präferenzen eine große Hilfe. Das Interesse meines Vaters gilt vor allem dem Weinberg und der Pflege der Reben, beides kann ich ihm überlassen. Ich kümmere mich dagegen um den Ausbau der Weine, das ist mein Metier", sagt Crazy Fang. Sie versucht, ihren Weinen das Terroir der Weinberge mit auf den Weg zu geben – ihre größte Herausforderung. Diese Intention hat sie in Deutschland aufgenommen, ebenso wie ihre Liebe zum Riesling.

Einen Vorteil hat Crazy Fang: Der Markt in China ist völlig anders als die Märkte in Europa und in Übersee. Hier in China ist eine Önologie entstanden, die kaum Zeit hatte, Traditionen zu entwickeln, sondern so gut wie frei war von Einflüssen. China hat auch keine Tradition hinsichtlich bestimmter Rebsorten, es gibt auch keine Gewohnheiten, Weine, solo oder zu Mahlzeiten zu konsumieren. Zudem werden die Konsumenten immer jünger, und zu ihnen gehören immer mehr Frauen. Dies öffnet die Tore für Experimente – es ist eine Spielwiese für neue Qualitäten. All diese Gegebenheiten spielen Crazy Fang in die Hände. Außerdem entwickelt sich in China der Konsum von Wein gerade erst als dritte Säule gegenüber dem Konsum von Bier und den traditionellen Bränden wie Baijiu. Die Weine, die in China vor allem von Frauen gekauft und auch konsumiert werden, sind glatter als die europäischen Weine, sie haben weichere Tannine, einen angenehm fruchtigen Geschmack und niedrigeren Alkoholgehalt. „Die Frauen mögen auch keine rötlichen Zähne, da sind sie sehr eitel“, meint Crazy Fang. Doch da irrt sie, jedenfalls hinsichtlich der Weinqualität, denn die ist dafür nicht verantwortlich, sondern die Farbintensität gewisser Rebsorten in Kombination mit dem Zustand des individuellen Zahnbelags. Der Handel in China – ebenso eloquent wie schnell und aufmerksam, was die Vorlieben der Konsumenten angeht – unterstützt diese weibliche Linie, sowohl in der Produktion als auch im Verkauf. Crazy Fang weiß dies zu nutzen. Ihr Spitzname ist weniger einer bestimmten Verrücktheit geschuldet, sondern eher ihrer Unbekümmertheit, einfach gute Qualität in ihre Flaschen zu bekommen. „Wenn nur der Druck nicht wäre“, schließt Crazy Fang. Ihr Freigeist ist unverkennbar – es bleibt zu hoffen, dass sie ihn bewahren kann. ■

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CHInaS kanaan WIneRy Und CRazy FanG

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■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

Die Namen der Weine von Chinas Kanaan Winery sind von der Liebe zu Pferden inspiriert, die Qualität reicht mittlerweile an die Tropfen aus Bordeaux heran und der Weinhandel in Hongkong steht kurz davor, diese Weine in sein Portfolio aufzunehmen. Wie das?

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un, die 2011er Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Merlot wurde jüngst bei einer Weinprobe in China von Jancis Robinson so beschrieben: „Der Wein ist das Beste, was ich je von einer Winzerin aus China verkosten durfte – produziert von einer Verrückten, anders kann man sie nicht beschreiben, und auf einem Anwesen namens Kanaan, gelegen in der gleichsam aufstrebenden wie ehrgeizigen Weinregion Ningxia.“

Dass die Weine der Kanaan Winery nun bald in den Regalen in Hongkong stehen, ist nicht nur ihrer besonderen Qualität geschuldet, wie Robinson ihnen bescheinigt, sondern ist auch vom chinesischen Handelsriesen Summergate lanciert. Die Kanaan Winery liegt an den Ausläufern des Helan-Gebirges in Chinas Provinz Ningxia. Die Region ist mittlerweile bekannt für die Produktion hochwertiger Weine. Hier unterhalten so globale Größen der Weinbranche wie Pernot Ricard sowie Moët & Chandon (ein Produzent der französischen Luxusmarke LMVH) Rebflächen in eigenem Ertrag. Auch Emma Gao, eine schon sehr bekannte chinesische Winzerin, hat hier ihre Weinberge. Mit den Weinen ihres Weingutes Silver Heights hat Gao bereits international Furore gemacht (wir berichteten: „Hart arbeiten und Träume verfolgen“ – Interview mit Emma Gao und „Chinas erstes Garagenweingut erhält Lob aus der Weinbranche“). Die treibende Kraft hinter der Kanaan Winery ist ebenfalls eine Frau – Wang Fang

Crazy Fang: Ihre Etiketten zieren Ponys, die Qualitäten sind bemerkenswert und sie will noch mehr. {© Summergate)

(in China als „Crazy Fang“ bekannt), die erst 2011 zurück nach China kam, um in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der neben seinem Job als Wissenschaftler und Ingenieur mit Kollegen ein Weingut aufgebaut hat. Fang gründete jedoch ein eigenes Weingut, überließ von Anfang an ihrem Vater zwar die Weinbergsarbeit, doch der Ausbau der Weine und das Sortiment sind ihre Sache. Auch die Etiketten ihrer Weine sind eigenwillig – alle ziert ein Pferdekopf. Ihr Einstiegswein „Pretty Pony“ ist eine Cuvée aus Cabernet Gernischt, Cabernet Sauvignon und Merlot, ein Blend aus Cabernet Sauvignon und Merlot nennt sich „Black Beauty“. Zur weiteren Kollektion gehören noch ein sortenreiner Riesling und eine Cuvée aus Riesling, Chardonnay und Sauvignon Blanc. Fangs „Pretty Pony“, produziert in kleinen Mengen aus Trauben von Premium-Lagen, hat bereits Schlagzeilen gemacht. Schon

2013 erhielt dieser Wein bei der regionalen Trophy des Decanter den Titel ‚Bester chinesischer Rotwein‘ und konnte sich zudem einen Platz unter den Top-100 der Best-Of des Decanter im vergangenen Jahr sichern. „Pretty Pony ist das Ergebnis meiner Träume. Dieser Wein ist jung und voller Energie“, sagt Fang, die man nunmehr zu den aufsteigenden Winzerinnen Chinas zählen muss. „Ich hoffe, dass die chinesischen Weine allgemein weiterhin an Qualität gewinnen, sodass unsere Weine eines Tages im Schaufenster der besten Weine der Welt gelistet werden.“ Dieser Wunsch von „Crazy Fang“ ist sicherlich ein heroischer. Doch die Erfolge der ambitionierten chinesischen Weingüter vermehren sich und die Aufnahme ihrer Weine in den Handel der Metropole Hongkong sind ein weiteres Zeichen dafür, dass sie zumindest in Asien mit Weinen aus Bordeaux und Burgund konkurrieren kann. ■

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PERSONALIEN

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FüHRUnGSWeCHSel beI demeTeR ITalIen aloIS laGedeR WIRd neUeR pRäSIdenT WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

Alois Lageder, Winzer des gleichnamigen Südtiroler Familienweingutes in Margreid, steht seit Herbst 2016 an der Spitze der italienischen Gemeinschaft für biologisch-dynamische Landwirtschaft.

Alois Lageder will die Struktur von Demeter Italien erneuern und stärken. (© Alois Lageder)

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um Amtsantritt setzt Lageder eine deutliche Ansage: „Gemeinsam werden wir uns dafür einsetzen, die Struktur des Verbandes zu erneuern und zu stärken. Die biologisch-dynamische Landwirtschaft ist der Weg für unsere Zukunft.“ Als internationale Bio-Marke ist Demeter auf allen Kontinenten vertreten und steht für Produkte der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. Diese älteste ökologische Form der Landbewirtschaftung geht auf Impulse von Rudolf Steiner zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts auch Waldorfpädagogik und anthroposophische Heilweise initiierte. Von Argentinien bis Ungarn wird heute in rund 60 Ländern von etwa 4.900 Bauern mit rund 160.000 Hektar Fläche nach den konsequenten DemeterRichtlinien anerkannt biologisch-dynamisch gewirtschaftet. „Vereint durch das Streben, Veränderungen in der Landwirtschaft durchzuführen, leistet die Demeter-Gemeinschaft wichtige Sensibilisierungsarbeit für den Umgang des Menschen mit den landwirtschaftlichen Flächen. Zudem setzt sie sich auch auf politischer Ebene dafür ein, dass die Bedürfnisse biologisch-dynamisch wirtschaftender

Bauern und ernährungsbewusster Konsumenten wahrgenommen und umgesetzt werden“, betont Lageder, dessen Weingut seit 2007 Demeter-zertifiziert ist. „Ich habe diese Herausforderung auch angenommen, da ich mich verpflichtet fühle, mich für einen Planeten einzusetzen, der mir mit seinen Schätzen sehr viel gegeben hat. Gemeinsam mit den Verwaltungsräten arbeiten wir nun an der Struktur der Gemeinschaft, indem wir sie zeitgemäßer gestalten.“ Er ist auch bestrebt, den Bekanntheitsgrad der Tätigkeiten von Demeter zu erhöhen und die Gemeinschaft als namhafte Institution zu etablieren, die auch über die Grenzen Italiens hinaus Wirkung zeigen soll. Die von Demeter zertifizierten Produkte sollen seiner Meinung nach immer mehr Bedeutung gewinnen: „Wir wollen eine verlässliche Anlaufstelle für unsere Mitglieder sein, denn sie sind Botschafter für eine Form der Landwirtschaft, die Zukunft hat.” Demeter kontrolliert und zertifiziert die Arbeit der biologisch-dynamisch wirtschaftenden Bauern. Gegründet im Jahr 1927, ist es den Bio-Pionieren im Lauf der Zeit gelungen, Demeter als moderne und zukunftsfähige Anbauweise immer weiter zu entwickeln. So gilt biologisch-dynamisch inzwischen als die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung. Sie sorgt dafür, dass die Humusschicht kontinuierlich wächst. Das beweisen unabhängige Forschungsarbeiten, die über mehr als 20 Jahre die Unterschiede zwischen konventioneller, biologisch-organischer und biologisch-dynamischer Kultur untersucht haben. Das ist angesichts der Klimaveränderung wesentlich, weil im Humus große

Mengen Kohlendioxid gebunden werden, was dem Treibhauseffekt entgegenwirkt. Durch selbst hergestellte, feinstofflich wirkende Präparate aus Mist, Heilpflanzen und Mineralien wird die Bodenfruchtbarkeit in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft nachhaltig gefördert. Darüber hinaus werden Aroma und Geschmack der Lebensmittel voll entwickelt. Alois Lageder ist einer der bekanntesten Demeter-Vertreter und sein Familienweingut an der Weinstraße im Südtiroler Unterland ist ein Paradebeispiel für höchste Qualitätsstandards. Eine ganzheitliche und nachhaltige Wirtschaftsweise im Sinne des biologischdynamischen Weinbaus sowie ein breites Spektrum kultureller und künstlerischer Aktivitäten prägen die Unternehmensphilosophie. Im Jahr 1823 gegründet, wird der Betrieb heute in fünfter und sechster Generation geführt. Neben den familieneigenen, biologisch-dynamisch bewirtschafteten Weinbergen, die rund 50 Hektar umfassen, ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Vertragswinzern aus ganz Südtirol seit Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensstruktur. Dadurch können Weine gekeltert werden, welche die Diversität der Region und die Vielfalt der Rebsorten widerspiegeln. „Mit dem Ziel, die Natur in die Räume hineinzubringen, verwirklicht sich die nachhaltige Vision aus der Landwirtschaft auch in unserem 1995 in Betrieb genommenen Neubau des Kellereigebäudes”, sagt Lageder. In Südtirol wurde die neue Kellerei des Gutes zu einem Vorreiterprojekt und mithin zu einer Inspiration für moderne Architektur. ■

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WEINEVENTS

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TRIaS – Vom WeRT deR GeSCHICHTe FüR GeGenWaRT Und zUkUnFT WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON MARTIN SACHSE-WEINERT

Eines der beliebtesten Schlagworte der historischen Zunft lautet: „Keine Zukunft ohne Vergangenheit.” Nun mag man manchmal daran verzweifeln, dass die Menschheit aus der Vergangenheit scheinbar nichts gelernt hat. Aber unzweifelhaft vermögen manche auch die Schätze, die ihnen die Vergangenheit für die Gegenwart zur Verfügung stellte, sehr wohl zu nutzen – man denke dabei nur an Frankens Trias-Winzer.

Annegret Reh-Gartner

(v. l.) Martin Krenig, Johann Ruck, Prinzessin Stephanie zu Löwenstein, Sebastian Fürst, (davor) Martin Schmitt (© Martin Sachse-Weinert)

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abei wäre es falsch zu glauben, die fünf Weingüter, die sich unter dem Motto „Trias” zusammengeschlossen haben – Rudolf Fürst, Schmitt's Kinder, Störrlein & Krenig, Fürst Löwenstein und Johann Ruck –, seien rückwärtsgewandt oder modernen Herausforderungen nicht gewachsen. Das Gegenteil ist der Fall und wurde anlässlich der Veranstaltung „Alles im Fluss – Vom Urgestein zum Spitzenwein” am 4. Juli wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dabei hätte man viele Titel für dieses schwimmende Event auf dem Main finden können, die auszudrücken vermocht hätten, was den Gast erwartet: „Terroir. Passion. Genuss“ trifft die Veranstaltung ebenso wie „Main Wein Stein“ – oder einfach „Genuss im Fluss“. Strahlender Sonnenschein bot dabei die geeignete Kulisse für die Verkostung diverser

Weine der genannten Weingüter, wobei zwischen vier Kategorien differenziert wurde: „Die Weine für jeden Tag“, „Trias – Die Silvaner“, „Trias – Die Rieslinge“ sowie „Trias – Die weißen und roten Burgunder“ stellten die Besucher vor die Qual, zwischen insgesamt 31 Weinen wählen zu müssen – je nach Kondition und kulinarischer Grundlage konnte man immerhin mehrere, wenn wohl auch nicht alle verkosten. Kaum jemand der Gäste musste dabei im Vorfeld über die Bedeutung des Begriffs „Trias“ aufgeklärt werden, der die fünf Weingüter verbindet: Es handelt sich um eine Epoche des Erdmittelalters, die nun – etwa 220 Millionen Jahre später – in Form herausragender Grundlagen für den Weinbau zu zeitgemäßem Ansehen gelangt. Die Gesteinsarten Keuper, Muschelkalk sowie Buntsandstein vermögen dabei durch ihre

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individuellen Ausprägungen Weine verschiedener Aromatik und Finesse hervorzubringen – und dies auf engstem Raum: So sind es „die Fürsts“ (Paul und Sohn Sebastian), die sich auf heißen Buntsandsteinböden vor allem auch um die Burgunder-Trauben verdient gemacht haben. Mit einem 2014er Centgrafenberg Weißburgunder sowie drei Spätburgundern von unterschiedlichen Anbauflächen (Bürgstadt, Klingenberg und Centgrafenberg) dominierten die „Pinot-Fürsten“ diese Kategorie, konnten aber auch mit zwei Rieslingen aus dem Jahr 2015 überzeugen. Das Weingut Fürst Löwenstein war nicht nur durch insgesamt sieben Weine vertreten, sondern auch durch Prinzessin Stephanie zu Löwenstein, die charmant und professionell für ihre Produkte warb, die in allen vier Kategorien zu finden waren: Herausragend natürlich ihre Silvaner vom Homburger Kallmuth, den manch einer (und die Werbebroschüre des Weinguts) zu den „spektakulärsten Weinbergen Deutschlands“ zählt. Namentlich das Große Gewächs „Asphodill“, benannt nach einer Lilie, die nur hier nördlich der Alpen wächst, mundete hervorragend, doch auch der 2015er Riesling „R“ sowie der Spätburgunder „Alte Reben“ sorgten für Begeisterung bei den Teilnehmern. Für uns von Interesse war dabei auch der 2015er Kallmuth Dreiklang, eine weiße Cuvée aus Riesling, Silvaner und Sauvignon Blanc – in der Kategorie „Die Weine für jeden Tag“ sicherlich unter seinem Wert eingeteilt (oder die Woche sollte nur solche Tage haben).

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Erfolgreiche Dynastien finden sich nicht nur in adeligen Häusern, sondern auch in Winzerfamilien: Was Armin Störrlein gemeinsam mit seinem Schwiegersohn und Partner Martin Krenig auf der „Alten Liebe“ kredenzte, dem gut besuchten Ausflugsschiff, verdeutlichte die ganze Vielfalt der Muschelkalkverwitterungs böden in und um Randersacker. Auch sie hatten mit einem 2014er Sonnenstuhl Silvaner ein Großes Gewächs im Angebot, von der gleichen Lage aber auch einen Riesling sowie zwei Burgunder – womit man trefflich goutieren konnte, welcher Rebsorte dieser Hang am ehesten entgegenkommt. Wir entschieden uns dabei für den 2013er Spätburgunder GG, den man allerdings durchaus noch länger hätte lagern können.

denn doch zu hoch gegriffen) zu behaupten weiß. Im weiß-blauen Ringelshirt präsentierte er, welche Qualität sich aus Gipskeuper gewinnen lässt. Er verzichtete mit einer Ausnahme (2015er Grauburgunder) auf eine Vorstellung der (wenigen, doch immerhin vorhandenen) Burgunder seines Sortiments und war dafür in den drei anderen Kategorien je zweifach vertreten, wobei uns vor allem der 2011er Iphöfer Julius-Echter-Berg Riesling GG zu überzeugen vermochte.

Am Fuß des eben genannten Randersackerer Sonnenstuhls liegt eingebettet auch das Weingut Schmitt’s Kinder, das ebenfalls mit sechs Weinen zum Gelingen der Fluss- und Weinschifffahrt beitrug. Bei Karl und Martin Schmitt entstehen überwiegend trockene, substanzreiche Weine, die in allen vier Kategorien punkten konnten. Wir entschieden uns – um auch mit dem vorher genannten Weingut vergleichen zu können – für einen 2013er Spätburgunder GG vom Sonnenstuhl und rundeten diese Geschmackserfahrung mit dem Spätburgunder „Tradition“ des gleichen Jahrgangs ab.

ERSTENS: Wenn die fünf Trias-Weingüter eine Flussschifffahrt durchführen, zeigt sich das Wetter von seiner besten Seite – selbst wenn es zuvor und danach regnet.

Schließlich zeigte auch Altmeister Hans Ruck, dass er nicht nur im Weinberg seinen Mann steht, sondern sich auch als „Flussbär“ („Seebär“ wäre für den Main

Was bleibt?

Drei Erkenntnisse können aus dem gelungenen Ausflug gezogen werden und mögen vielleicht als Ansporn und Anregung für das nächste Jahr gelten:

ZWEITENS: Die ausgeschenkten Schlucke waren eindeutig zu klein: Zum einen erwärmten sie sich in der sommerlichen Hitze zu schnell, zum anderen musste man vom Oberdeck zu den Stationen lange Wege zurücklegen. Was nicht verdunstete, lohnte kaum mehr den Transport. DRITTENS: Man traf viele bekannte und befreundete Gleichgesinnte, sodass die Veranstaltung einem Vereinsausflug nahekam – dem Verein der Trias-Begeisterten. Und davon gibt es wahrlich und zu Recht eine ganze Menge! ■

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STaIRWay To HeaVen

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■ VON DR. STEFAN KRIMM

Eine der berühmtesten fränkischen Weinlagen, der Escherndorfer Lump, wird in Chroniken aus dem Jahr 1655 erwähnt. Doch die Nutzung als Weinberg ist viel älter, denn der Weinbau war bereits seit der Dorfgründung im Jahr 1314 ein wichtiger Wirtschaftszweig dieser Region am Main. (© A. Wirtzfeld)

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ie Vogelsburg über Escherndorf ist einer der schönsten von Reben umgebenen Plätze in Franken: Unten das zwischen dem „Lump“ und der stets überschwemmungsgefährdeten Mainaue eingezwängte alte Dorf mit seinen spitzen Giebeln, drüben Nordheim mit seinen viel bequemeren Lagen und in der Ferne die Kante des Steigerwalds mit klingenden Namen wie Castell, Rödelsee, Iphofen und Hüttenheim. Nicht zu vergessen: zur Linken, hinter der Lage Karthäuser, das einladende Volkach. Hier oben haben die Augustinus-Schwestern schon 1964 den ökologischen Weinbau in Franken mit eingeführt. Und als ihre Gemeinschaft immer kleiner wurde, übernahm das renommierte Würzburger Juliusspital vor fünf Jahren die Anlage auf dem Mons Dei, dem Gottesberg, mit ihren zwei Hektar Rebland und machte die mit Geschmack renovierten oder ergänzten Gebäude zu einem viel besuchten Hotel mit Restaurant. Ein guter Platz für den „Fränkischen Niederfall“, die Dankfeier am Ende des Weinjahrs, die der VDP hier Mitte November 2016 veranstaltete. Der Escherndorfer Lump mit seinen vielen kleinen Parzellen, von denen manche nur zwei Rebzeilen umfassen, gehört zusammen mit dem Würzburger Stein, dem Iphöfer Julius-Echter-Berg, dem Randersackerer Pfülben und dem Homburger Kallmuth zu den ganz großen, früh in ihrer qualitativen Bedeutung erkannten und in den Steuerregistern entsprechend prominent vermerkten Lagen. Seine skelettreichen, bis zu 15 Meter mächtigen, bei Unwettern stark erosionsgefährdeten Muschelkalkböden weisen eine Hangneigung von bis zu 75 Prozent auf, die ihn, von der Gegenseite her gesehen, fast wie das Steilufer eines trockengefallenen Flusses wirken lassen. Dass diese Steilheit am vor kalten

Nordwinden geschützten Südhang ein der Traubenqualität überaus förderliches Mikroklima erzeugt, bedarf keiner langen Erläuterungen. Hier ist es, ähnlich wie im Stein und im Kallmuth, eineinhalb bis zwei Grad wärmer als im fränkischen Durchschnitt. Für die Winzer ist das ein Segen, denn in guten Jahren erzeugen sie Weine, die mit ihrem Schmelz, ihrer kräuterigen Würze und ihrer aromatischen Fülle manchmal durchaus das Prädikat „himmlisch“ verdient haben. Schon der eigentlich bekennende Steinweintrinker Goethe wusste das und bestellte allein im Jahr 1821 für sich und die Bewirtung seiner illustren Gäste nicht weniger als 900 Liter Escherndorfer. Wer am Fuß der Treppe steht, die hinter dem östlichen Ortsende zur Vogelsburg aufsteigt und an langen, geradewegs in den Himmel führenden Rebzeilen vorbeizieht, kann verstehen, dass dieser „stairway to heaven“ von den Winzern, ihren Familien und ihren Helfern, die hier im Sommer manchmal wie in einem Glutkessel arbeiten, eher als die Hölle oder wenigstens das Fegefeuer erlebt wird. Und was es früher bedeutet hat, die abgeschwemmte feuchte Erde teilweise in Rückentragen wieder nach oben zu befördern, mag man sich gar nicht vorstellen. Bestockt sind die 35 Hektar des Lump vor allem mit Silvaner (54 %) und Riesling (32 %), die sich hier beide außerordentlich wohlfühlen. Ihnen war naturgemäß auch eine umfangreiche Präsentation der Weine gewidmet, mit der die weit über Franken hinaus angesehenen Escherndorfer VDP-Betriebe das Fachpublikum erfreuten und – man darf das schon so sagen – beeindruckten.

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Beeindruckende Probe von Silvaner und Riesling aus dem Escherndorfer Lump zum Niederfall der fränkischen VDP–Güter. (© A. Wirtzfeld)

um „Fränkischen Niederfall“ auf der Vogelsburg bot der VDP.Franken eine umfassende Escherndorf-Probe. Hier die Notizen dieser beeindruckenden Verkostung von Dr. Stefan Krimm, aufgeteilt in die Bereiche (1) Silvaner: Aktuelle Jahrgänge VDP.Erste Lage, (2) Riesling: Aktuelle Jahrgänge VDP.Erste Lage, (3) Silvaner GG trocken, (4) Gereifte Weine und (5) Edelsüße Weine:

2015 Escherndorfer Lump Silvaner trocken VDP.Erste Lage, Rainer Sauer – 16,5/20 Im Duft geprägt von reifen, aromatische Äpfeln und tropischen Früchten; am Gaumen voluminös, rund und weich mit großem Schmelz, Relief dürfte sich noch stärker ausbilden, dicht und mit ausgesprochen langem, von feinen Bitternoten unterlegtem Nachhall

(1) SILVANER – AKTUELLE JAHRGäNGE AUS DEM ESCHERNDORfER LUMP VDP.ERSTE LAGE

2015 Escherndorfer Lump Silvaner trocken VDP.Erste Lage, Zur Schwane, Volkach – 16/20 Recht intensiver, würziger Duft nach reifen Äpfeln; am Gaumen füllig, etwas weich und nicht ganz so spannend, schöner Körper, mittlerer Nachhall

2015 Escherndorfer Lump Silvaner trocken VDP.Erste Lage, Michael fröhlich – 17,5/20 Dass Michael Fröhlich ein Händchen für den Riesling hat, weiß man schon länger. Wie erfolgreich er sich auch beim Silvaner mit an die Spitze gearbeitet hat, zeigt er mit diesem Wein: Intensiv würziger Duft nach aromatischen Äpfeln; am Gaumen schon gut entwickelt, freigiebige Fülle mit Anklängen an reife Äpfel und tropische Früchte, unterlegt mit feiner, kräuteriger Würze, viel Schmelz, beeindruckendes Volumen und im Nachhall feine, typische Bitternoten; ein hochwertiger Silvaner wie aus dem Bilderbuch 2015 Escherndorfer Lump Silvaner trocken VDP.Erste Lage, Egon Schäffer (fassprobe) – 17/20 In der Nase noch zurückhaltend, aber vielversprechend, mit Aromen von Birne, Mango und reifen Äpfeln; am Gaumen besticht die Präzision: viel apfelige Frucht, unterlegt mit tropischen Früchten, schönes Relief und aufgrund des feinen Bisses gute innere Spannung, sehr langer Nachhall

(2) RIESLING – AKTUELLE JAHRGäNGE AUS DEM ESCHERNDORfER LUMP VDP ERSTE LAGE

2015 Escherndorfer Lump Riesling trocken VDP.Erste Lage, Michael fröhlich – 17,5/20 In der Nase sehr würzig mit Anklängen an Birne, Aprikose und Pfirsich; im Mund beginnende Reife mit einem nuancierten Fruchtkorb von Birne, reifem Apfel, Limetten und Orangenschale, schönes Spiel, große Eleganz und langer Nachhall; ein Bilderbuch-Riesling vom Lump 2015 Escherndorfer Lump Riesling trocken VDP.Erste Lage, Horst Sauer – 17/20 Sehr differenzierte Frucht, noch etwas reduktiv und verschlossen, aber mit unverkennbar Sauer‘scher Mineralität; am Gaumen dezente Anklänge an Apfel und Pfirsich, edel unterlegt mit etwas Zitrus und leicht nussigen Noten, viel Relief und sehr langer Nachhall

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Journalisten und Weinkritiker diskutierten mit den fränkischen VDP–Winzern und mit dem Vorsitzenden des VDP.Franken, Paul Fürst, die Themen Terroir und Zukunft der Ausnahmelage Escherndorfer Lump. (© A. Wirtzfeld)

2015 Escherndorfer Lump Riesling trocken VDP.Erste Lage, Rainer Sauer – 16,5/20 Im Duft zurückhaltend, noch leicht reduktiv, mit Anklängen an Pfirsich, Limette und einer Spur Orangenschale; am Gaumen rund und reif mit Kraft, Volumen und Schmelz, recht schönes Relief, sehr langer Nachhall 2015 Escherndorfer Lump Riesling trocken VDP.Erste Lage, Egon Schäffer (fassprobe) – 16,5/20 Feinwürzige, sehr differenzierte Aromen von reifen Aprikosen, Mirabellen und einem Hauch Honig; am Gaumen braucht er etwas Zeit, wirkt dann aber kraftvoll, dicht und relativ voluminös, feine, bestens integrierte, zum Riesling passende Süße, recht langer Nachhall mit feinen Bitternoten (3) 2012 ESCHERNDORf AM LUMPEN SILVANER GG TROCKEN

2012 Escherndorf am Lumpen 1655 Silvaner GG trocken VDP.Große Lage, Rainer Sauer – 17/20 Intensive, ganz leicht nussige Aromen von gelben Früchten und einer Spur Orangenschale; auf der Zunge viel Kraft und cremige Substanz mit schmelziger Nuancierung, reife Äpfel, Birnen und Mandeln, großes Volumen, sehr langer Nachhall; ein vorzüglicher Essensbegleiter 2012 Escherndorf am Lumpen 1655 Silvaner GG trocken VDP.Große Lage, Horst Sauer – 17/20

Ausdrucksvolle Aromen von reifen Äpfeln, Birne, Mandeln und einem Hauch von Zitrus; im Mund transparent und ausgesprochen differenziert, schönes Spiel mit würzigen Kräuternoten, viel Schmelz und Eleganz, sehr langer Nachhall 2012 Escherndorf am Lumpen 1655 Silvaner GG trocken VDP.Große Lage, Michael fröhlich – 17/20 Im verführerischen, reifen Duft nuancierte Anklänge an Honig, Birne und Limette mit einem feinen Hauch von Waldpilzen; im Mund ausdrucksvoll, differenziert und kraftvoll mit viel Relief, schöner Mineralität, feinem Zitrus-Biss und beeindruckender Spannung 2012 Escherndorf am Lumpen 1655 Silvaner GG trocken VDP Große Lage, Egon Schäffer – 16,5/20 Reife, aromatische Äpfel, Birnen und eine Spur Zitrus bestimmen den ersten Eindruck; am Gaumen freigiebig, reif und mild mit gutem Volumen, viel Kraft und langem Nachhall 2012 Escherndorf am Lumpen 1655 Silvaner GG trocken VDP.Große Lage, Zur Schwane, Volkach – 16,5/20 Im reifen und fülligen, leicht mineralisch geprägten Duft gelbe Früchte, reife Mirabellen, Mandeln und ein Hauch Zitrus; am Gaumen zunächst recht zurückhaltend, aber dicht und kompakt, gutes Volumen, schöner Schmelz, relativ mild, im langen Nachhall angenehme Bitternoten

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Das Weingut Rainer Sauer war Gastgeber der exzellenten Weinprobe aus dem Escherndorfer Lump anlässlich des Niederfalls des VDP.Franken. (© WG Rainer Sauer)

(4) GEREIfTE WEINE

Die gereiften Weine zeigten, neben der fantastischen Qualität der Rieslinge, einmal mehr das vorzügliche Entwicklungspotenzial des in dieser Hinsicht lang unterschätzten Silvaners. Unterstrichen wurde auch die Meisterschaft der beiden Riesling-Champions Horst Sauer und Michael Fröhlich in heißen Jahren wie 2003 (!) und 2007. 2002 Escherndorfer Lump Riesling Spätlese trocken, Egon Schäffer – 18/20 Aromen von überreifer Aprikose, Birne, Mirabelle und leicht gerösteten Mandeln; am Gaumen sehr elegant mit einem Mosaik von leicht nussigen Birnen und Mandeln sowie einem Hauch von Limetten, der für eine exzellente Spannung sorgt, im sehr langen Nachhall bekömmliche, feinherbe Komponenten. Hier zeigt sich in einem nicht ganz einfachen Jahrgang ein Meister lang reifender Weine, die ihren wahren Charme – zumindest bisher – in der Jugend etwas versteckten. 2003 Escherndorfer Lump Riesling Spätlese trocken, Horst Sauer – 18,5/20 In der Nase sehr eigenständig mit fast edelsüß daherkommenden Aromen von Honig, überreifen Mirabellen und getrockneten Aprikosen; auch am Gaumen überaus ausdrucksvoll mit Erinnerungen an Trockenfrüchte und Honigwaben, leicht ölig, ausdrucksvolle Eleganz, im sehr langen Nachhall ganz feine minzige Noten, die dem Wein eine herrliche Spannung verleihen 2004 Escherndorfer Lump „L“ Silvaner Spätlese trocken, Rainer Sauer – 17,5/20 Ausdrucksvoller, einnehmender Duft mit Aromen von Birne, Mango und einer Spur Orangenschale; auf der Zunge voluminös, ölig und dicht mit feinen buttrigen Anklängen; tropische Früchte in schöner Spannung mit einem Hauch von Zitrus, gelungene Verbindung von Eleganz und Kraft, überaus langer Nachhall

2007 Escherndorfer Lump Silvaner GG Spätlese trocken, Michael fröhlich – 17,5/20 Intensive Noten von aromatischen Äpfeln, Birnen und Mandeln; im Mund ausdrucksvolle, mandelige Silvaner-Frucht, Kraft und geschliffener Schmelz, schön gereift, doch mit überzeugendem Spiel, alle Komponenten perfekt miteinander verwoben, ewiger Nachhall mit ganz feinen Bitternoten 2007 Escherndorfer Lump Silvaner GG Spätlese trocken, Juliusspital Würzburg – 17/20 Im ausdrucksvollen Duft reife Äpfel, Birnen und eine Spur Quitte, das Ganze unterlegt mit Honig und leicht angerösteten Mandeln; am Gaumen ölig und buttrig-voluminös, aber mit feinem Biss, der für innere Spannung sorgt, sehr langer Nachhall; ein guter Essensbegleiter (5) EDELSüSSE WEINE AUS DEM ESCHERNDORfER LUMP

2015 Escherndorfer Lump Silvaner Trockenbeerenauslese VDP Erste Lage, Horst Sauer – 19/20 Ausdrucksvoller, feinsüßer Duft nach reifen Aprikosen, Pfirsichen, Birnen und Honig; am Gaumen beeindruckende Spannung zwischen fast cremiger, gleichwohl transparenter Frucht, feinen mineralischen Zitrusnoten, Kräuterwürze und einem Hauch von Salzigkeit, beispielhafter Schliff, alle Komponenten sind bestens aufeinander abgestimmt und münden in einen ewigen Nachhall; ein wahrlich großer Wein 2015 Escherndorfer Lump Silvaner Trockenbeerenauslese VDP.Erste Lage, Zur Schwane, Volkach – 15,5/2 Im Duft eher zurückhaltend, mit Anklängen an Birnen, überreife Mirabellen, zerriebene Blätter und frisch gemähtes Gras; am Gaumen ein gewisser unaufgelöster Kontrast zwischen süßen, schmelzigen Komponenten von reifen Früchten und Honig sowie in dieser Klasse ungewöhnlichen vegetabilen Anklängen, die dem Wein im Nachhall eine nicht ganz eingebundene Bitterkeit mitgeben ■

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bReITenGRad 51 TRIFFT GRoSSe GeWäCHSe Und beRGSTeRn WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Allerhand Gutes lässt sich zum fünften Jahrgang der Weine von Breitengrad 51 sagen, der Vereinigung von sechs Spitzenwinzern der Region Saale-Unstrut, deren Philosophie nicht weniger ist, als höchste Qualität in die Flasche zu bringen. „Allerhand“ war auch im Glas, das Gebietsweinkönigin Sandra Warzeschka den Gästen bei einer Jahrgangspräsentation servierte. So heißt eine Gemeinschafts-Cuvée aus Müller-Thurgau, Weißburgunder, Gutedel, Riesling und Bacchus, zu der jedes Weingut seinen Teil beigetragen hat. Herausgekommen sind 5.000 Flaschen eines leichten, fruchtigen Sommerweins, von dessen Erlös ein Teil sozialen Kinderprojekten in Halle und im Burgenlandkreis zugutekommt.

■ VON HEIDI DIEHL

Gebietsweinkönigin Sandra Warzeschka schmückte mit ihrer Anwesenheit den Event. (© Heidi Diehl)

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er spritzige Wein passte perfekt zu diesem Abend in Kombination mit einem ganz besonderen Ort: Die Jahrgangspräsentation fand im ehemaligen Kloster Pforta (gegründet 1138) bei Naumburg statt, wo sich die Mönche von Beginn an dem Weinanbau gewidmet haben. Eine Tradition, die auch nicht unterbrochen wurde, als es hier längst keine Mönche mehr gab. Fortgeführt wird sie vom heutigen Landesweingut Kloster Pforta, einem der sechs Breitengrad 51-Weingüter. Seit dem 16. Jahrhundert gibt es im Kloster auch ein Gymnasium mit Internat, dessen wohl berühmtester, wenngleich nicht ganz einfacher Schüler Friedrich Nietzsche war. Rund 150 Jahre später legten auch die Breitengrad 51-Winzer Matthias Hey, Sandra Hake (Deutsche Weinkönigin 1993/1994) und die aktuelle Gebietsweinkönigin hier ihr Abitur ab. Sie alle erinnerten sich lebhaft an ihre Schulzeit in dem altehrwürdigen Gemäuer und merkten schmunzelnd an, dass sie sich

als Schüler innerhalb der Klostermauern einem absoluten Alkoholverbot unterwerfen mussten. Davon war an diesem Abend absolut keine Rede. Im Gegenteil: Die Weinfreunde, die zum Teil lange Wege auf sich genommen hatten, konnten zwischen den frisch gekürten Breitengrad-Weinen und vielen anderen regionalen Spitzengewächsen wählen. Stand doch die Veranstaltung unter dem Motto „Breitengrad 51 trifft große Gewächse und Bergstern“. Als Gastwinzer stellten die beiden VDP-Winzer aus SaaleUnstrut, Bernard Pawis aus Freyburg und Uwe Lützkendorf aus Bad Kösen, ihre 2014er Großen Gewächse zur Verkostung und Klaus Böhme aus Kirchscheidungen seine ebenbürtigen „Bergstern“-Weine. Die präsentierten Breitengrad 51-Weine – sechs Weißweine, drei Rotweine – sind die diesjährige Crème de la Crème der

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Weinliebhaber und Weinprofis lobten die mutigen Schritte der Breitengrad-Winzer und ebenso die hohe Qualität ihrer Weine. (© Breitengrad 51)

Vereinsmitglieder, der Weingüter Born aus Höhnstedt, Böhme & Töchter aus Gleina, Hey, Gussek und Frölich-Hake aus Naumburg sowie des Landesweinguts Kloster Pforta. Konnten im vergangenen Jahr fast ausschließlich Burgunder (alle Weißen, Rote mit einer Ausnahme) die Juroren überzeugen, so zeigte sich 2016 ein differenzierteres Bild. Erstmals schafften es Rieslinge. Endlich, denn bisher konnte man meinen, dass man sich in Saale-Unstrut nicht so recht an die deutsche „Königin der Rebsorten“ herantraut. Doch was Matthias Hey und André Gussek zur Bewertung anstellten, begeisterte sowohl die Juroren als auch die etwa 140 Weinliebhaber, die als erste „Normalverbraucher“ die Weine probieren durften.

der sich mit zunehmendem Sauerstoffkontakt ausgezeichnet mit den Fruchtnoten vermählt. Lang anhaltender Abgang. Ein Wein auch für die Zukunft." Und dem 2015er Riesling Breitengrad 51 (RZ: 4,7 g/l, GS: 6,3 g/l, Alk: 12,9 % vol.) von André Gussek bescheinigt er: „André Gussek legt einen konzentrierten Klassiker vor. Sehr elegant, noch jung und doch kein bisschen verschlossen, so präsentiert sich dieser Riesling. In der Nase etwas Zitrus mit leicht kräuterwürziger Note. Am Gaumen ein Feuerwerk von gelben Zitrusnoten, etwas Ananas und Exotik, auch hier gepaart mit dezenter Kräuterwürze. Ein wirklich großartiger Wein, der ein schönes Leben vor sich hat. Meine Empfehlung: Kaufen und weglegen."

Der Naumburger Weinhändler Rainer Albert Huppenbauer, einer der Juroren, kommentiert den 2015er Riesling Breitengrad 51 (RZ: 7,7 g/l, GS: 7,7 g/l, Alk: 12,6 % vol.) von Matthias Hey so: „Dieser Riesling aus dem Naumburger Steinmeister ist einer der besten Weine, der in Saale-Unstrut jemals in Flaschen gefüllt wurde. Im Duft nicht zu opulent, mit Pfirsich und weißen Blüten und ganz dezent etwas Karamell vom Holz. Am Gaumen eine elegante Zitrusnote, ein wenig Pfirsich und wieder leichter Karamellansatz,

Ich gehe da etwas weniger prosaisch an die Bewertung: Für mich sind beide Rieslinge so gut und so außergewöhnlich, dass sie bei mir leider keine Chance auf ein langes Leben haben. Kaufen ja, aber fürs lange Liegenbleiben fehlt mir die nötige Selbstdisziplin. Wenngleich ich weiß, damit möglicherweise einen großen Fehler zu machen. Und was sagen die beiden Winzer selbst? Gussek ist „über die Maßen zufrieden“ mit dem Ergebnis, Hey ist glücklich über den Wein, der gewissermaßen das Ergebnis

von mit sich selbst ins Gericht gehenden Überlegungen ist. Denn: „Ich habe meinen eigenen Standpunkt hinterfragt, bisher stets eine Cuveé als Breitengrad 51-Wein ins Rennen zu schicken. Der Charakter einer Lage lässt sich nämlich in einer Cuveé viel schwerer erklären als in einer Einzelrebsorte. Da mich der Riesling von der Lage Naumburger Steinmeister letztlich absolut überzeugte, habe ich ihn diesmal favorisiert – und wie sich gezeigt hat, auch die Jury.“ Als bekennende Burgunderliebhaberin war ich gespannt auf die Weißburgunder vom Weingut Born (RZ: 1,7 g/l, GS: 5,6 g/l, Alk: 12,5 % vol.) und vom Kloster Pforta (RZ: 0,4 g/l, GS: 4,5 g/l, Alk: 13,5 % vol.) sowie den Grauburgunder (RZ: 3,3 g/l, GS: 5,1 g/l, Alk: 13,0 % vol.) vom Weingut Frölich-Hake, die es in diesem Jahr in die Champions League geschafft haben. Obwohl ich nicht so ein Fan von im Holz gelagerten Weißweinen bin, überzeugten mich beide Weißburgunder mit ihrer Mineralität und ihren schönen Fruchtaromen, denen sich die Holznoten dezent unterordnen. Der bereits zitierte Weinprofi Huppenbauer kommt zu folgenden Einschätzungen: „Der vom Weingut Born kreierte Breitengrad ist

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ein sehr präziser Wein. Ausgeprägte Buntsandsteinstilistik mit ausgewogenen mineralischen Noten und sehr viel Frische. Im Bukett weiße Blüten und gelbe Frucht. Im Geschmack weich mit filigraner Fruchtkomponente, die dem Wein Eleganz verleiht. Steinobstfrucht von Birne und etwas Pfirsich werden durch den sparsamen, wohl aber spürbaren Holzeinsatz durch leicht karamellisierende Noten ergänzt. Trockener Nachhall mit guter Länge.“ Und zum Weißburgunder vom Kloster Pforta meint er: „Dieser Wein ist deutlich eleganter und mineralischer als sein Vorgänger. Das Holz wirkt dezenter und ist besser eingebunden. Der Duft ist zunächst etwas zurückhaltend, entfaltet sich aber nach einiger Zeit im Glas sehr schön, wobei reife, gelbe Früchte dominieren. Am Gaumen wirkt er frisch und ist in eine leichte Karamellnote verpackt.“ Etwas aus dem Rahmen der anderen 2015er Breitengrad 51-Weine fällt FrölichHakes Grauburgunder, ist er doch der einzige, der nicht im Holzfass ausgebaut wurde. Der Weinfachmann schätzt ihn so ein: „In der Nase getrocknete Apfelscheiben und etwas weicher Blütenduft. Im Geschmack ein Spätzünder, aber nach etwas Zeit im Glas deutlicher, reifer Apfel und frische, gut strukturierte Mineralität. Ein puristischer, ungeschminkter Grauburgunder mit fließenden Übergängen. Im Abgang sehr trokken, etwas Schmelz, mit mittlerer, angenehmer Länge.” Mir gefiel die Ausnahme von der (diesjährigen) Regel sehr gut und ich bin hier etwas anderer Meinung als der Profi, empfand ich diesen Wein doch keinesfalls als geschmacklichen Spätzünder, ganz im Gegenteil: kein Lagerwein, aber ein frischer, fruchtiger Tropfen, auf denPunkt genau genussfertig ist. Absolut einer Meinung indes bin ich beim Roten Traminer (RZ: 1,7 g/l, GS: 5,2 g/l, Alk: 14,0 % vol.) aus dem Weingut Böhme & Töchter, wo Huppenbauer schreibt: „Vergessen Sie alles, was Sie über Traminer wissen. Natürlich gibt es florale Noten und sortentypische Nuancen. Dennoch ist dieser Wein anders als die, die ich davor getrunken habe. Filigran, kein bisschen von allem zu viel oder zu wenig. Ein wirklich großer Wein. Für mich der beste trockene Traminer, der je in Saale-Unstrut in die Flasche kam.” Jedes dieser Worte unterstreiche ich gern, ein Wein, wie man ihn so schnell wohl „an der Saale hellem Strande“ nicht findet, und obwohl mit 14 Prozent relativ alkoholreich, kommt er nicht wie eine „Wuchtbrumme“ daher. Nun zu den drei Roten, allesamt Blauer Zweigelt. Gussek und Hey lebten hier deutlich ihre Vorlieben aus – der eine die für den frankophilen Bereich, der andere für den ita-

Die Gastwinzer Bernard Pawis, Uwe Lützkendorf und Roland Bähler, Kellermeister im Weingut Klaus Böhme, unterstützten den erfolgreichen Event. (@ Breitengrad 51 – Zobo Design & Photoart)

lienischen. Weinjury-Mitglied Huppenbauer sieht das so: „Der Gussek-Wein entspricht der Neigung des Winzers, Weine aus Frankreich zu mögen. Restzucker und Restsäure des 2013er-Gewächses (RZ: 1,0 g/l, GS: 5,7 g/l, Alk: 13,75 % vol.) befinden sich in einem relativ ausgewogenen Verhältnis, das durch eine gewisse Rundheit am Gaumen schmeckbar wird. Ein klares, sauberes Tanningerüst mit Lebendigkeit und leichter Adstringenz, vermutlich von den Extrakten der deutlichen Beerenfruchtaromen in Harmonie mit dem Tannin. Ein geradezu schmeichelndes Wohlverhalten eines großartigen Rotweins wird das Finale, das ich mit sehr komplex und dicht bezeichnen möchte. Bei diesem Wein gilt es abzuwarten, er wird deutlich zulegen, die Tannine werden ihr Werk verrichten. Da dieser Zweigelt auch sehr farbintensiv ist, ist anzunehmen, dass er in zwei bis drei Jahren ein richtig sinnliches Trinkvergnügen bereiten wird.“ Dem Pendant von Hey bescheinigt der Weinprofi: „Er besticht durch dunkles, norditalienisches Rot, geschmacklich erinnert er eher an einen Ripasso aus dem Valpolicella. Das straffe, gut verpackte Tanningerüst zeigt wiederum Bordelaiser Charakter, was einen Wein ergibt, den eigentlich niemand in einer Blindprobe der Region, aus der er kommt, zuordnen würde. Süße Schwarzkirsche, etwas Zimt und Backpflaume sind die wesentlichen Geschmackskomponenten. Schon gut trinkbar, bleibt spannend!“ Der dritte Zweigelt (RZ: 9,3 g/l, GS: 5,4 g/l, Alk: 14,0 % vol.) im Bunde ist vom Landesweingut Kloster Pforta, dazu Huppenbauer: „Bereits

die Farbe ist bei diesem unfiltrierten Zweigelt eine Augenweide. Dunkelrot mit violetten Reflexen am Rand. Im Bukett gleich zu Beginn kräftige dunkle Beeren und Schwarzkirsche, etwas Lakritze und ein wenig Vanille. Am Gaumen zunächst Schattenmorelle und anhaltende, dunkle Beerenaromen. Viel Fülle, immer wieder satte, weiche Aromen von dunklen Früchten. Im langen Abgang überwiegt die Frucht vor trockenen Noten, doch der trockene Charakter entfaltet sich langsam und macht richtig Spaß.“ Mein Favorit der Roten ist eindeutig der von Matthias Hey. Ich mag es eben lieber ein bisschen verspielt, etwas weicher, fruchtiger im Mund und weniger die kräftig schmeckenden Holznoten. Aber das ist eben alles Geschmacksache. Insgesamt gesehen, haben die sechs Visionäre von Breitengrad 51 in diesem Jahr nachdrücklich bewiesen, dass sie in der höchsten Liga mitspielen können und sich hinter dem VDP absolut nicht verstecken müssen. Allerdings ist es offensichtlich nach wie vor so, wie Jochen Hinderer, Kellermeister und Winzer im Weingut Born, sagte: „Im nationalen Weinzirkus spielt unser kleines Anbaugebiet SaaleUnstrut immer noch eine winzige und leider auch oft verkannte Rolle.“ Man darf gespannt sein, wann der VDP dem einen oder anderen Winzer endlich einen „Antrag“ macht. Matthias Hey und André Gussek jedenfalls machen kein Hehl daraus, dass sie sich über eine Einladung vom VDP freuen würden. ■

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VINOTHEKEN „Wer nur Wein macht, ohne über ein Ziel nachzudenken, bedient bestenfalls den Rausch“, schreibt Rainer Albert Huppenbauer in seinem ersten Büchlein „Saale-Unstrut / vina mediterranea – Weingärten mitten im Land“ über die Arbeit der Winzer im Weinkeller.

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Saale-UnSTRUT-VInoTHek: mekka FüR den Saale-WeIn WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON HEIDI DIEHL

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ie Weinliebhaber, die sich in seiner in diesem Jahr eröffneten Saale-UnstrutVinothek am Naumburger Steinweg ans Verkosten machen, können, dieser Logik folgend, absolut sicher sein, keinen Rausch zu bekommen. Wobei ich das hier mal einfach so behaupte, denn: Die Weine, die man in dem kleinen Laden, nur wenige Meter vom Naumburger Dom entfernt, probieren und kaufen kann, verfügen über ein extrem hohes Suchtpotenzial. Weil sie so gut sind! Das Beste eben, was die Winzer von Saale und Unstrut zu bieten haben.

Könner, wie VDP-Mitglied Bernard Pawis aus Freyburg oder die geistigen Väter der Vereinigung Breitengrad 51, Matthias Hey und André Gussek aus Naumburg beispielsweise, deren Weine wirklich gute Gründe sind, auf dem Weg zur weltberühmten Uta* im Dom einen Zwischenstopp in der am 14. Mai eröffneten und für die Region längst überfälligen Saale-Unstrut-Vinothek einzulegen. Denn noch immer wissen viele Menschen – sogar solche, die behaupten, Weintrinker zu sein – nur sehr wenig von den Saale-Unstrut-Weinen, und nicht wenige sind erstaunt, dass es in dieser Region überhaupt Weine gibt. Und dann noch so gute wie bei Rainer Albert Huppenbauer! Mit der Naumburger Saale-Unstrut-Vinothek hat er in der „Hauptstadt“ der nördlichsten Weinanbauregion Europas nun endlich einen Ort geschaffen, an dem man diese Bildungslücke schließen kann. Was nicht heißt, dass sich der Weinexperte dieser Aufgabe nicht schon seit vielen Jahren verschrieben hat. Bereits in seinem seit den 1990er-Jahren geführten Gourmetrestaurant „Dolce Vita“ in

Der Seiteneinsteiger Rainer Albert Huppenbauer hat sich im Lauf der Jahre ein überaus großes Fachwissen angeeignet und will dem Ansehen der Saale-Unstrut-Region, ihrer Kultur und ihrer Weine einen Weg bereiten. (© Heidi Diehl)

Halle an der Saale spielten die Weine aus der Saale-Unstrut-Region eine zentrale Rolle. 2010 verkaufte er das Restaurant, um sich ganz und gar dem Wein zu widmen, und gründete in der Folge seinen Online-Handel vinamundi.de, über den er seit 2011 Weine aus seiner Heimat neben internationalen und anderen deutschen Weinen verkauft. Seit dem 1. Juli 2015 kann man außerdem unter saale-unstrut-vinothek.de ausschließlich Weine der Region kaufen und jede Menge unterhaltsame wie lehrreiche Geschichten rund um den Wein und die Winzer lesen. Das Online-Geschäft läuft gut, und dennoch blieb da immer die Idee, eine „richtige“ Vinothek zu eröffnen, in der man mit den Kunden von Angesicht zu Angesicht über die Weine reden kann, wo sie diese verkosten und natürlich auch kaufen können, wo man sich zu Veranstaltungen trifft und Gleichgesinnte findet. Der Zufall wollte es,

dass Huppenbauer im März dieses Jahres erfuhr, dass der Laden in touristisch bester Lage frei wird – genau das, was er sich immer vorgestellt hatte. Der Mietvertrag war schnell unterzeichnet, am 10. Mai bekam er die Schlüssel, vier Tage später begrüßte er die ersten Kunden in seiner Saale-UnstrutVinothek. „Ich biete hier ausschließlich Weine an, die ich selbst gern trinke“, sagt er. Der Seiteneinsteiger hat sich im Lauf der Jahre ein überaus großes Fachwissen angeeignet, ist heute als Berater und Dozent gefragt, kennt die Winzer und deren Philosophie, weiß, wie sie ihre Weine machen und in welchen Lagen die Trauben wachsen. Der 60-Jährige könnte den ganzen Tag über sein Lieblingsthema reden und freut sich über jeden, der diese Leidenschaft auch nur in Ansätzen teilt. Sein wichtigstes Anliegen ist es, die potenziellen Kunden von der großartigen Qualität der

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Die Weine, die man nur wenige Meter vom Naumburger Dom entfernt, probieren und kaufen kann, verfügen über ein extrem hohes Suchtpotenzial. (@ Heidi Diehl)

besten regionalen Weine zu überzeugen. Das überzeugendste Argument legt er ihnen dabei im wahrsten Sinne des Wortes in den Mund, rund ein Dutzend Weine steht stets wohltemperiert zur Verkostung bereit. Außerdem bietet er jeden Samstagabend moderierte Weinproben mit monatlich wechselnden Themen an, für die man sich allerdings anmelden sollte. Auch für 2017 hat der Weinhändler schon Pläne. Unter ande-

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us dem ehemaligen Weinkultur haus in Bürgstadt bei Miltenberg am bayerischen Untermain, so hieß die Landschaft einstmals, wurde nun die Churfrankenvinothek, benannt nach der Landschaft, wie sie jetzt heißt. Es ist, man kann es offen sagen, der dritte Versuch, in diesem Weinort eine Vinothek zum Laufen zu bringen. Mitten im Ort, direkt vor dem Rathaus, befindet sich das moderne Gebäude, das fast unauffällig daherkommt und einstmals den Namen „Weinkulturhaus“ trug. Dieses als alleiniger Pächter oder Inhaber zu betreiben, ist nicht gelungen. Nun wurde ein junges Paar aus der Weinbranche gefunden, die gewissermaßen als städtische Angestellte – Bürgstadt ist Eigentümer – die neue Vinothek führen. Geöffnet ist von April bis Oktober von Dienstag bis Sonntag von 12 bis 22 Uhr. Hier kann man sich über die lokalen Weingüter informieren und Weine einkaufen, aber auch andere regionale Produkte. Prospekte und Broschüren der Tou risteninformation vermitteln dem Be sucher zusätzlich Wissenswertes über den Ort und die Region. Im Bistrobereich gibt es „Kleines und Feines zum Wein“ sowie Kaffee und Kuchen. Gut angenommen werden auch die kommentierten Weinproben (jeden zweiten Freitag ab 18 Uhr 30), mit wechselnden Themen, je nach Weingut – und davon hat man nicht nur in Bürgstadt eine große Auswahl.

rem will er Prominente aus Politik, Kunst und Kultur einladen, um mit ihnen und mit Gästen über Wein zu reden. Bis es aber so weit ist, hat der Saale-Unstrut-Wein sicherlich schon viele neue Freunde gefunden, Touristen aus aller Welt, die heute noch gar nichts davon ahnen, was sie bislang verpasst haben. Denn auf dem Weg zu Uta müssen sie alle an der Saale-Unstrut-Vinothek vorbei. So gesehen wird die steinerne Schöne nun auch

noch zur Weinbotschafterin, assistiert von einem fachkundigen Berater in der Vinothek am Steinweg 9. ■

*(Anm. der Redaktion): Die Uta von Naumburg genannte Statue, eine Stifterfigur aus dem 13. Jahrhundert, ist eines der bedeutendsten plastischen Bildwerke der deutschen Gotik.

CHURFRankenVInoTHek 3. VeRSUCH In büRGSTadT ■ VON

JOËLLE UND HARRY GEORGE

Der neue Name Churfrankenvinothek hat sich durchgesetzt und wird allgemein akzeptiert, deutet er doch auf die Zugehörigkeit der Region zu Kurmainz hin, während der etwas östlicher gelegene Teil zu Würzburg gehörte. Dort gab es einen © Churfrankenvinothek)

Fürstbischof in der Residenz – dem schönsten Pfarrhaus der Welt, das auch eine Vinothek beherbergt. Die Be zeichnung Vinothek hat wohl auch in Bürgstadt mehr Klang als Weinverkauf, und so dürfte diesem weithin einmaligen Projekt eine bessere Zukunft beschieden sein als den Vorgängern.

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Wer mehr erfahren möchte, findet Detailinfos unter weinkulturhaus.com, vor allem die Termine und Themen der Weinproben. Ansprechpartner sind Lisa Romstöck und Thomas Michel, die auch Räume für Veranstaltungen anbieten können – auf drei Ebenen vom Weinkeller bis unters Dach. ■


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WeInbeTRUG In HÖHe Von 45 mIllIonen dollaR naCHGeWIeSen WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Im Januar 2016 berichtete das Weinmagazin YOOPRESS über die Probleme des kalifornischen Weinhändlers Premier Cru unter dem Titel „Weininvestment Premier Cru in argen Nöten“ und im Februar folgte ein weiterer Beitrag im gleichen Magazin zum vorläufigen Höhepunkt des Betrugs an den Kunden. Der Eigner von Premier Cru, John Fox, rettete sich damals in die Insolvenz, um seinen Gläubigern zu entgehen.

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ittlerweile haben Staatsanwaltschaft und das Gericht konstatiert, dass das Unternehmen nicht nur betrügerisch geführt wurde, sondern dass Fox und seine Mannschaft auch korrupt gehandelt haben. Die Untersuchungen des FBI haben einen Betrug an den Kunden in Höhe von 45 Millionen USDollar nachgewiesen. Demnach hat Fox über viele Jahre in die eigene Tasche gewirtschaftet und zudem 70 Millionen US-Dollar an Schulden angehäuft sowie sieben Millionen US-Dollar an Vermö genswerten veruntreut. Fox droht jetzt eine langjährige Haftstrafe und er muss zudem für die Rückzahlung der Werte geradestehen. Premier Cru nahm über Jahre immer neue Weininvestments an, investierte die Gelder jedoch nicht in den Kauf der bestellten Weine, sondern befriedigte damit – aller-

■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

Über Jahre glaubten Kunden an Premier Cru – heute sind Hunderte von ihnen betrogen und müssen um Schadenersatz kämpfen. (Frontansicht der Niederlassung © Premier Cru)

dings zumeist unzureichend – die Aufträge früherer Investments. Die meisten Gelder zweigte Fox für sich selbst ab. Um dies zu verschleiern, benutzte er falsche Namen sowie gefälschte Dokumente und deponierte die Gelder auf Konten mehrerer Banken. Währenddessen pflegte Fox einen überaus extravaganten Lebensstil. Im San Francisco Chronicle ist zu lesen, dass er einen Fuhrpark von Luxuslimousinen und Sportwagen unterhielt, ein beeindruckendes Anwesen in Alamo im Norden der Bucht von San Francisco bewohnte und annähernd eine Million US-Dollar für Frauen ausgab, die er per Internet kontaktierte. Sein Weininvestment gründete Fox im Jahr 1980. Geschäftszweck war, den Reichen Kaliforniens einen exklusiven Zugang zu erlesenen Weinen vor allem aus Bordeaux und Burgund zu bieten. Er nutzte dazu das System des „En primeur“ – seine Kunden orderten und bezahlten die Weine längst, bevor diese in die USA verschifft wurden. Hierin lag auch die Versuchung, der Fox sich hingab. Er verfügte über ein immenses

finanzielles Portfolio, das – so weiß man heute – von ihm für eigene Zwecke verwendet wurde, anstatt die edlen Tropfen wirklich in Frankreich oder in Italien zu kaufen. Dass sich dieses betrügerische System so lange halten konnte, verwundert heute die Weinszene wie die amerikanischen Behörden gleichermaßen. Im Jahr 2011 ließ John Fox zusammen mit seinem Kompagnon Hector Ortega eine neue exklusive Niederlassung bauen. Dazu beauftragte er einen bekannten Architekten, der aus dem Vollen schöpfen durfte. Mit 29.000 Quadratmetern, mit edlen Hölzern getäfelten Wänden, die Gobelins schmückten, und einer technischen Ausstattung vom Feinsten eröffneten Fox und Ortega das bis dahin edelste Weindepot und Verkaufsgeschäft in Kalifornien. Laut der Verbraucherinitiative WineFraud.com hatte Fox Top-Finanziers für dieses Projekt gewinnen können, darunter Adebayo Ongolesi (Direktor bei Goldman Sachs) und auch Arthur Patterson (früherer Investor bei Facebook). ■

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boTSCHaFTeRIn deS napa Valley VeRSToRben WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Die Robert Mondavi Winery hat ihr Juwel verloren. „Eine inspirierende Frau hat unsere physische Welt verlassen – aber ihr Geist bleibt lebendig“, postet Claudia Schug-Schütz, Repräsentantin von Schug Carneros Estate, auf Facebook – sie selbst verlor ihren Vater erst vor knapp einem Jahr.

■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

VERMÄCHTNIS

Margrit Biever Mondavi verstand es, gute Weine mit feinen Speisen, Kunst und Kultur in Einklang zu bringen. Sie war zeit ihres Lebens eine Botschafterin der kalifornischen Weine, vor allem aus dem Napa Valley. (© Mondavi Winery)

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argrit Biever Mondavi war mit Kaliforniens Weinen infiziert, seit sie in den 1960er-Jahren in die Wein- und Hafenstadt Napa kam. Mit ihrem eigenen Charme, ihrer Klasse, ihrem Intellekt war sie das Pendant ihres Mannes Robert Mondavi und umsorgte jeden Gast ihres Weingutes mit einer herzlichen Wärme und Gastfreundschaft. Margrit Biever Mondavi wurde 91 Jahre alt.

Als Pionierin einer überaus angenehmen Atmosphäre rund um den Wein war Margrit eine Inspiration für die Winzerfamilien des Napa Valley, die ihre gepflegten Umgangsformen gerne als Beispiel akzeptierten und als Anregung verstanden, das Gleiche zu tun. Schon in den 1970er- und 1980erJahren engagierte sie sich dafür, die Robert Mondavi Winery zu einem Prunkstück für die Weine des Napa Valley zu etablieren. Sie war auch maßgeblich daran beteiligt, Kultur und Kunst im gesamten Napa County hoffähig zu machen. Geboren im Jahr 1925 in St. Gallen (Schweiz), wuchs Margrit in einer Familie auf, die Wein und Essen zusammen mit Musik, Kunst und Literatur als ein Ritual des

täglichen Lebens zelebrierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg ehelichte Sie Philip Biever, einen amerikanischen Berufssoldaten, und begleitete ihn durch die halbe Welt. Sie lebten in Deutschland, South Dakota, Japan, Cincinnati und Puerto Rico, bis sie sich im Napa niederließen. Im Jahr 1964 bekam Margrit eine Anstellung bei der Charles Krug Winery – deren Eigner war die Familie Mondavi – und entwickelte sich dort zur ersten Weinführerin des Napa Valley. Robert Mondavi traf sie erstmals, als er ihr vorschlug, einen Job bei seinem Weingut in Oakville anzunehmen, dem sie nachkam. Fortan kümmerte sie sich um die Pressearbeit – gestützt auf ihren vielfältigen kulturellen Hintergrund – mit bemerkenswertem Erfolg. Sie half Robert Mondavi dabei, seine Vision von Wein und Kultur zu erweitern und zu festigen. Ihren gemeinsamen Erfolg krönten Robert und Margrit im Jahr 1980 mit ihrer Heirat. Die Robert Mondavi Winery entwickelte Margrit zu einer Bühne für Maler, Bildhauer, Fotografen und Musiker. Künstler wie Ella Fitzgerald und Tony Bennett adelten ihre sommerlichen Musikfestivals. Starköche wie Paul Bocuse und Julia Child gaben ihren

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Robert and Margrit Mondavi, seit 1980 ein Ehepaar, das seiner gemeinsamen Liebe zu Wein, Kunst, Musik und gutem Essen nicht nur frönte, sondern mit ihrer Leidenschaft das kulturelle Leben im Napa Valley aufblühen ließen. (© Mondavi Winery)

kulinarischen Events den Glanz. In seiner Biografie schrieb ihr Mann Robert: „Ich verdanke ihr viel mehr als alles: guten Wein, gutes Essen, die Gnade eines gesunden Lebens und dazu noch ein dauerhaftes Markenzeichen, die Robert Mondavi Winery.“ Neben dem gemeinsamen Weingut kümmerte sich Margrit großzügig um die Gesellschaft und die Weinindustrie. Sie war maßgeblich an den Weinauktionen im Napa Valley beteiligt und spielte eine führende Rolle bei Copia: The American Center for Food, Wine & the Arts (Copia war die römische Göttin des Reichtums und der Fülle), was letztlich half, die Weinregion Napa Valley zu revitalisieren. Und sie sorgte gemeinsam mit ihrem Mann für eine Spende von 35 Millionen US-Dollar zugunsten der Universität Kalifornien in Davis, zur Gründung der Robert Mondavi Institute for Wine and Food Science. Schweifen wir kurz ab zu Robert Mondavi: Ein bewegtes Leben, auch mit internationaler Anerkennung als Weinmacher, lag hinter dem kalifornischen Weinpionier. Als Sohn italienischer Einwanderer machte er sich in den 1960er-Jahren nach einem erbitterten Familienstreit selbstständig und gründete

1966 im kalifornischen Napa das Weingut Robert Mondavi Winery. Dies war die erste Neugründung einer Winery in Kalifornien nach der Prohibition, was den Mondavi´schen Pioniergeist ins richtige Licht rückt. Bis in die 1990er-Jahre führte er das Gut als reinen Familienbetrieb, bevor die Winery in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Nach einer finanziellen Durststrecke um die Jahrhundertwende wurde die AG Robert Mondavi Winery 2004 für über eine Milliarde Dollar vom Weinund Getränkekonzern Constellation Brands übernommen. Robert blieb dort als Markenbotschafter und Margrit übernahm die Rolle als Vizepräsidentin für kulturelle Angelegenheiten rund um das Weingut. Robert Mondavi zeichnet unter anderem verantwortlich für die Weißwein-Kreation „Fumé Blanc“ aus Sauvignon-BlancTrauben. Sein vormals familiengeführtes Weingut machte er international bekannt und entwickelte es zu einem weltweiten Weinimperium. Er pflegte enge Kontakte mit internationalen Weingütern aus Australien, Chile, Italien und Frankreich. Zusammen mit Baron Philippe de Rothschild baute er 1979 im Napa Valley

das Edelweingut „Opus One“ auf. Robert Mondavi wurde 94 Jahre alt. Er verstarb im Juni 2008 in seinem Anwesen in Yountville im US-Bundesstaat Kalifornien. Der einstige kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger ehrte den Weinpionier als „unermüdlichen Unternehmer, der den Wandel herbeiführte, wie die Welt im 21. Jahrhundert über kalifornischen Wein denkt“. Nach dem Tod ihres Mannes blieb Margrit eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, sorgte sich um Veranstaltungen und weiterhin angenehme Bedingungen für die Angestellten. Sie kümmerte sich um ihren Sohn Tim, dessen Tochter Marcia Mondavi und deren Familien. Ihr Engagement nahm mit dem Alter nicht ab. Sie lernte die russische Sprache, reiste um die Welt und widmete sich der Malerei. Im Jahr 2013 schrieb sie eine Abhandlung über ihr Leben mit Robert. Im Vorspann steht: „Reflexionen über Wein, Essen, Kunst, Familie, Romantik und das Leben“. Sie war eine bescheidene, zugleich liebenswerte Person und ging auf in ihrer Rolle als eine der erfolgreichsten und berühmtesten Botschafterinnen des Napa Valley. ■

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STanko RadIkon WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Sein Festhalten an biodynamischen Praktiken und Philosophien im Weinberg und Keller rechtfertigt seine Stellung als Pionier der „naturbelassenen“ Weinbewegung.

■ VON ARTHUR WIRTZFELD VIA YOOPRESS

VERMÄCHTNIS

STANKO RADIKON

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in überaus talentierter und mutiger Winzer, einer der originellsten Köpfe der italienischen Weinszene, verstarb am 11. September 2016. Stanko Radikon hatte schließlich den Kampf gegen den Krebs verloren – er wurde 62 Jahre alt.

Der bescheidene, intelligente, ruhige Mensch konnte, wenn es um Wein ging, ruhelos und innovativ zugleich sein. 36 Jahrgänge erzeugte er in seinem Winzerleben, den ersten 1979 – und seine Weine sind mittlerweile Kult. Das Weingut der ursprünglich aus Slowenien stammenden Familie befindet sich im kleinen Dorf Oslavia im italienischen Collio in der Region Friaul-Julisch-Venetien. Im Jahr 1995 wandte sich Stanko Radikon der traditionellen Weinbereitung der (Ur-)Großväter zu, begann naturbelassen zu vergären und zu experimentieren, wodurch sich die Stilistik seiner Weine radikal veränderte – er wurde damit zum Wegbereiter der „Natural Wines“ und „Orange Wines“.

Stanko Radikons Ziel war, mit dieser „neuen alten“ Methode mehr Geschmack und Farbe in seine Weine zu bringen. Er beobachtete, dass der längere Kontakt mit den Beerenschalen die Weine robuster machte – im Lauf der Jahre verlängerte er den Maischekontakt auf bis zu drei Monate. Er musste nicht mehr

so viel SO2 hinzufügen, um die Weine haltbarer zu machen – ab dem Jahr 2003 arbeitete er schwefelfrei. Was noch Ende des 20. Jahrhunderts eine revolutionäre Idee hinsichtlich des Mainstreams war, machte die Weine zu unverwechselbaren, authentischen Produkten. Die Umstellung der gesamten Weißweinproduktion wurde anfangs nicht anerkannt, weil diese Art von Weinen zu dieser Zeit nicht gefragt war. Es sollte viele Jahre dauern, bis Kunden und Kritiker den neuen Stil akzeptierten – doch Stanko Radikon ließ sich nicht beirren. Sein Festhalten an biodynamischen Praktiken und Philosophien im Weinberg und Keller rechtfertigt seine Stellung als Pionier der „naturbelassenen“ Weinbewegung. Er blieb damit nicht allein, denn auch seine Nachbarn und Winzerkollegen Joško Gravner und Edi Kante sowie weitere Winzer verliehen ihren Weinen einen bemerkenswerten Charakter – wilde, tiefgründige Aromen und imponierende Komplexität. Stanko Radikon hinterlässt seine Frau Suzanna, zwei Töchter und einen Sohn, Saša, mit dem er in den letzten Jahren intensiv gemeinsam wirkte. Dieser hält das Vermächtnis seines Vaters in festen Händen und führt das Weingut in seinem Sinne fort. ■

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Strecker begann als Obstbauer. Später setzte der Diplom-Ingenieur der Önologie seine Laufbahn als Ausbilder an der Weinbauschule Weinsberg fort. Dort wirkte er an der Fortentwicklung des Kerners (Trollinger x Riesling) mit, der bald zu einer sehr erfolgreichen Neuzüchtung avancierte und in seiner besten Zeit in den 1990er-Jahren eine Rebfläche von rund 7.000 Hektar erreichte. Durch zu viele Weine mit zu wenig Profil ist der Kerner wieder abgedriftet, lässt aber immer noch durch die spezielle, von Weinsberg entwickelte Linie „Justinus K.“ sein Potenzial erkennen. Strecker forcierte die Doppelsalzentsäuerung, mit der in besonders säurebetonten Jahrgängen Wein erst richtig trinkbar gemacht werden kann. Es ist eine aufwendige Methode mit komplizierten Formeln, aber sie sorgte zum Beispiel im Jahrgang 2010 für eine merkliche Milderung bei Weißweinen, die zunächst deutlich über 10 g/l Säure mit reichlich spitzer Apfelsäure aufwiesen. Er war auch ein Verfechter der Kupferschönung, mit der Böckser (unerwünschte „Düfte“) im Wein entfernt werden können. Als Winzer startete Strecker Anfang der 1970er-Jahre, als er die Lage Beilsteiner Steinberg erwarb, einst Bestandteil des historischen Rittergutes derer von Helfenberg. Daraus wurde der Amalienhof mit einer etwa 25 Hektar großen, sorgfältig geformten Einzellage, die fast vollständig von einem Wald umgeben ist.

VERMÄCHTNIS

aum bemerkt von der deutschen Weinszene, verstarb vor Kurzem ein besonders innovativer „Wengerter“ aus Württemberg, dem unter anderem eine der wohl ungewöhnlichsten Rebsorten zu verdanken ist, die hierzulande wurzelt – der Wildmuskat. Gerhard Strecker (1929–2016), der Gründer des Amalienhofes in Heilbronn, war viel mehr als nur ein Weingärtner. Er war, so sein Freund und langjähriger Wegbegleiter, Edwin Schrank (25 Jahre lang, bis 2015 Weinbaupräsident der Pfalz), „ein rastloser Forschungsgeist mit vielen Visionen, aber auch ein Praktiker, der immer einen guten Rat hatte, wenn Kollegen nicht mehr recht weiterwussten“.

■ VON RUDOLF KNOLL VIA YOOPRESS

Auf diesen mit diversen Rebsorten bepflanzten Fluren frönte Strecker seiner Leidenschaft, neue Reben zu erzeugen. Sein Hauptsitz blieb zwar Heilbronn, doch er begann auf der Beilsteiner Anlage, Reben durch Aussaat von Tausenden LembergerKernen zu vermehren. Sein Ziel war, einen besonders wertvollen Lemberger-Klon zu gewinnen. Aus 200 so entstandenen Stöcken selektionierte er zwei Reben heraus, deren Trauben allerdings, nicht eben typisch für Lemberger, ein deutliches Muskataroma aufwiesen. Gerhard Strecker vermehrte sie trotzdem, wobei sie wegen der Reblausgefahr auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft wurden. Die neue, früh reifende Sorte, die 1983 erstmals fünf Liter Wein lieferte, nannte er Muskat-Lemberger. Woher der unverwechselbare, an einen klassischen

GERHARD STRECKER

Er war ein begnadeter Rebzüchter, Gründer des Amalienhofes, Befürworter der Doppelsalzentsäuerung und Vater der Sorte Muskat-Lemberger.

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GeRHaRd STReCkeR WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Muskateller erinnernde Duft kam, blieb ein Rätsel. Aber die Natur geht oft eigene, schwer nachvollziehbare Wege … Ab 1991 konnte Strecker die Weine mit dem eigenwilligen Aroma vermarkten. 2003 wurde aus rechtlichen Gründen eine Namensänderung in Wildmuskat notwendig, gleichzeitig wurde das „Weinkind“ von Gerhard Strecker vom Bundessortenamt und dem Europäischen Sortenamt offiziell zugelassen. Er bekam noch mit, dass eine molekularbiologische Analyse beim Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof ergab, dass die „Eltern“ der Sorte kaum etwas mit Lemberger zu tun hatten. Möglicherweise hatten Vögel andere Kerne zwischen seinen Versuchsfeldern abgeladen oder starker Wind trieb sein Spiel. Wie dem auch sei, es stellte sich heraus, dass offenbar Sulmer (eine bedeutungslos gebliebene Kreuzung von Lemberger mit Schwarzelbling) und eine muskatartige Tafeltraube namens Noir Hâtif de Marseille beteiligt waren. Streckers Tochter Regine Böhringer benutzt seitdem in Beschreibungen die Formulierung „Stammt aus dem Lemberger-Clan“. Was ihr Vater noch registrierte, waren die zahlreichen Komplimente für seinen Wildmuskat in verschiedenen Medien. Ganz aktuell belegte eine trockene WildmuskatAuslese einen dritten Rang beim Wettbewerb um den Deutschen Rotweinpreis von Vinum in der Kategorie „Unterschätzte Sorten“. Die Entscheidung fiel Anfang September fast zeitgleich mit dem Ableben von Gerhard Strecker. ■

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NACHRUFE Zusammen mit seiner Frau Agnes hat Gunderloch-Winzer Fritz Hasselbach vor allem international mit edelsüßen Rieslingen Furore gemacht. National spielte ihr Gut ab den 1990er–Jahren ebenfalls an der Spitze mit und hielt diese Position bis heute.

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■ VON RUDOLF KNOLL VIA YOOPRESS fRITZ HASSELBACH

Dass der gebürtige Niersteiner einmal das renommierte Weingut Gunderloch führen würde, war nicht vorbestimmt. Zunächst absolvierte er „eher aus Verlegenheit“, so steht es auf der Website des Betriebes, eine Weinbaulehre in Eltville im Rheingau. Dann hatte er offenbar Wein-Blut geleckt, studierte in Geisenheim und schloss als Dipl.-Weinbauingenieur ab. Anschließend war er an der LandesLehr- und Versuchsanstalt in Oppenheim für die Beratung in der Weinbautechnik zuständig.

VERMÄCHTNIS

er VDP-Rheinhessen musste Abschied nehmen von einem Winzer, der in den 1980er-Jahren durchstartete und einen Betrieb in Nackenheim, in den er eingeheiratet hatte, zu einem Aushängeschild der Region formte. Fritz Hasselbach, ein Kind des bedeutenden Weinjahrganges 1946 (geboren am 1. September) verstarb kurz nach seinem 70. Geburtstag am 3. Oktober.

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FRITz HaSSelbaCH WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

In dieser Zeit kreuzten seine Wege die einer jungen Frau aus Nackenheim. Agnes Usinger, die älteste Tochter aus dem Weingut Gunderloch, war zwar im Betrieb aufgewachsen, studierte aber Biologie und Erdkunde und war als Realschullehrerin tätig. 1974 heirateten die beiden. Sie begannen sich gemeinsam für Riesling zu begeistern, bereisten verschiedene Weinbaugebiete in Europa und Übersee und entschlossen sich schließlich zu einer beruflichen Zäsur. Agnes gab ihren Beruf auf, Fritz die Beamtenkarriere. 1979 traten beide in ihr elterliches Weingut ein, das 1980/81 seinen Bekanntheitsgrad etwas erhöhte, weil Schwester Regine Usinger zur Deutschen Weinkönigin gewählt wurde.

Das Gut hatte seinerzeit Tradition und war schon indirekt in die Literaturgeschichte eingegangen. Gegründet wurde es 1890 vom Mainzer Bankier Carl Gunderloch, der sich für „naturreinen“ Wein einsetzte. Carl Zuckmayer setzte ihm in seinem Volksstück „Der fröhliche Weinberg“ mit einem ehrenwerten Jean Baptiste Gunderloch ein Denkmal, erregte aber gleichzeitig den Unmut der Nackenheimer, die sich – obwohl kein Weinort genannt wurde – als Provinzler karikiert sahen.

Als Agnes Hasselbach-Usinger und Fritz Hasselbach 1986 die alleinige Verantwortung übernahmen, wollten sie ihre Kunden auch fröhlicher stimmen und dem damals bedeutungslosen Gut wieder einen Stellenwert wie in der Gründerphase verleihen. In der Tat schafften sie das mit der Zeit. Vor allem international wurde das Haus Gunderloch mit seinen edelsüßen Riesling-Weinen ein Hit, national spielte man ab den 1990er-Jahren ebenfalls an der Spitze mit und hielt diese Position bis heute. Mit dem Jahrgang 2013 stieg Junior Johannes in den 14-Hektar-Betrieb ein. Bald konnte er eigene Ideen verwirklichen und sogar einer gewissen Experimentierlust frönen, ist aber wohl auch der Garant dafür, dass es auf dem Niveau weitergehen wird, das Vater und Mutter erreicht hatten. Im Vorjahr feierte das Gut das 125-jährige Jubiläum mit dem Versprechen „wir bleiben dynamisch“. Jetzt leider ohne Fritz Hasselbach, der in kurzer Zeit einem heimtückischen Krebsleiden erlag. ■

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anneGReT ReH-GaRTneR WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Für die Durchsetzung des Begriffs „feinherb“ riskierte sie sogar einen Rechtsstreit gegen die Wein-Bürokratie, den sie 2002 gewann. Heute hat „feinherb“ schon fast die Bezeichnung halbtrocken abgelöst und ist Standard in der Weinbezeichnung – dank Annegret Reh-Gartner.

■ VON RUDOLF KNOLL VIA YOOPRESS

ANNEGRET REH-GARTNER

VERMÄCHTNIS

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it dem berühmten Song von Frank Sinatra – „I Did it My Way“ – war ihre Todesanzeige überschrieben. Der Inhalt des Liedes passte zum Leben von Annegret Reh-Gartner. „Ich habe ein erfülltes Leben gelebt. Ich tat, was ich tun musste, ich habe mich allem gestellt“, heißt es unter anderem in der Übersetzung.

Zuletzt stellte sich die Chefin des Weingutes Reichsgraf von Kesselstatt auch dem Tod, der sie sieben Tage vor ihrem 62. Geburtstag, der am 10. Oktober 2016 fällig gewesen wäre, aus dem Leben riss. Sie wusste schon länger, dass es bald vorbei sein würde. Sie erstaunte die Menschen, die ihr nahestanden, mit einer souveränen Gelassenheit, mit der sie die letzten Dinge ordnete und den Betrieb an ihre Familie Reh übergab.

In die Weinszene wurde sie hineingeboren als Tochter von Günther Reh, der am 24. Dezember 2014 im Alter von 86 Jahren verstarb. Der Vater schuf unter anderem die Sektmarke Faber (von „Faber Krönung“ wurden in ihren besten Zeiten bis zu 50 Millionen Flaschen im Jahr verkauft) und war auch sonst ein erfolgreicher Investor in der Branche. 1978 erwarb er das Weingut Reichsgraf von Kesselstatt in Trier mit besten Lagen, die über das ganze Anbaugebiet verteilt waren. An der Mosel waren viele entsetzt, dass ausgerechnet

einer, der sein Geld mit Billigsekt verdiente, dieses Traditionsgut (1349 erstmals urkundlich erwähnt) kaufte. Reh stockte den damals notleidenden, nicht mehr zeitgemäß ausgestatteten Betrieb von 60 auf über 100 Hektar auf (womit er manchen Weinberg vor dem Verfall rettete), investierte reichlich und sorgte dafür, dass Kesselstatt allmählich wieder eine Adresse für überzeugende Riesling-Weine wurde. Tochter Annegret, die damals eine wirtschaftliche Ausbildung machte, fand Gefallen an diesem großen Wein-Kleinod. 1983 vertraute ihr der Vater den Betrieb an. Trotz viel Sachverstand und Engagement brauchte sie ein Weilchen, um in der damals von Männern absolut dominierten Weinbranche akzeptiert zu werden. Sie musste auch kritische Phasen durchleben wie im Herbst 1987, als der Vater in einem Interview andeutete, man werde den 1987er wohl versekten. Das wurde an der Mosel als „Schlechtmachen des Jahrgangs“ empfunden. Es gab einen großen Aufschrei bis hin zum Verbrennen von „Reh-Puppen“ in den Weinbergen. Einige Jahre später wurde es auch nicht gern gesehen, dass sich der Betrieb wieder von weniger guten Lagen trennte. Aber das war wirtschaftliche Notwendigkeit und stand im Zusammenhang mit dem Qualitätsstreben. Die Reduzierung auf letzt-

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WEINNOTIZEN lich 36 Hektar konnte Annegret schon an der Seite eines Mannes durchsetzen, der ihr bei Weinpräsentationen zur großen Hilfe wurde. Mit Gerhard Gartner (77), dem einstigen Zwei-Sterne-Koch im Restaurant „Gala“ in Aachen, war sie 28 Jahre verheiratet. Während sie in Deutschland und auf wichtigen Exportmärkten Kesselstatt-Weine anpries, kochte er passend zum Riesling auf. Annegret Reh-Gartner bewältigte den Umzug des Betriebes aus beengten Trierer Verhältnissen nach Morscheid in das Schlossgut Marienlay. Sie schaffte es, dass ihr Team das Potenzial sehr guter Lagen wie Josephshöfer (Alleinbesitz), Wehlener Sonnenuhr, Bernkasteler Doctor, Graacher Domprobst und Scharzhofberger nutzte und setzte verstärkt auf die Karte herb mit trockenen und feinherben Weinen. Für die Durchsetzung des letzteren Begriffs riskierte sie sogar einen Rechtstreit gegen die Wein-Bürokratie, den sie 2002 gewann. Heute hat „feinherb“ schon fast die Bezeichnung halbtrocken abgelöst und ist Standard in der Weinbezeichnung – dank Annegret Reh-Gartner. 2005 wurde das Weingut, nicht zuletzt aufgrund der Beharrlichkeit der KesselstattChefin, in den VDP aufgenommen, wo sie mit ihren Großen Gewächsen aus den TopLagen schnell reüssieren konnte. Die wird es auch weiterhin geben, weil Annegret – so Witwer Gerhard Gartner – „ein tolles Team mit Betriebsleiter Wolfgang Mertes an der Spitze formte und die Weichen für eine weitere gute Zukunft des Betriebes stellte“. Die in diversen Wein-Bereichen aktive Familie Reh (Bruder Nick managt Schloss Wachenheim, Bruder Carl ist Chef bei RehKendermann, Schwester Eva leitet eine Domäne in der Bourgogne) wird ebenfalls dafür sorgen, dass es bei Kesselstatt im Sinn von Annegret weitergeht. Und beim MoselVDP wird nach den Worten des neuen Vorsitzenden Dr. Carl von Schubert nur getrauert, aber keinesfalls überlegt, ob das Weingut nach dem Ableben der Chefin im VDP bleiben kann. ■

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VeRTIkale: eIn beSondeReS WeInGeSCHenk WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON ARTHUR WIRTZFELD

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Château Mouton Rothschild, Pauillac, 1er Cru Classé: 1970, 1994, 1996, 1998, 2003, 2004 (© Christie´s)

er seinen Weinfreunden (oder sich selbst) etwas Besonderes schenken möchte, für den sind möglicherweise die Lose von seltenen Weinen der führenden Auktionshäuser das Maß aller Dinge. So bot beispielsweise Christie´s vor Kurzem eine Minikollektion an, die man durchaus als außergewöhnlich bezeichnen kann – eine Vertikale von Château Mouton Rothschild. „Das ist eine unglaubliche Kollektion“, betitelt Weinkenner Richard Young diese Vertikale, die jüngst in New York im Rockefeller Center von Christie´s versteigert wurde. Als man in Frankreich im Jahr 1945 die Befreiung von den Nazis und das Ende des Zweiten Weltkriegs feierte, hatten die Verantwortlichen bei Mouton Rothschild einem Künstler den Auftrag erteilt, das Etikett für diesen Wein zu entwerfen – es war damit auch die Geburtsstunde der in der Folge berühmt gewordenen Etiketten dieses Premiere Cru (Anmerkung: Château Mouton Rothschild wurde 1973 nachträglich in die oberste Kategorie der Klassifizierung von 1855 aufgenommen). „Das sind Etiketten, die darum betteln, gezeigt zu werden“, sagt Young. „Jedes Etikett steht für eine andere Geschichte.“ Zu den beauftragten Künstlern gehörten bislang u. a. Marc Chagall (1970), Pablo Picasso (1973), Andy Warhol (1975), Anish Kapoor

(2009), Jeff Koons (2010) und David Hockney (2014). Allesamt wurden die Künstler für ihre Leistungen nicht mit Barem entlohnt, sondern erhielten als Bezahlung für ihr gefordertes Honorar Weine von Mouton – es sollen meist mehrere Kisten gewesen sein. Für Young hat die Vertikale von Château Mouton Rothschild drei Highlights: „Das interessanteste Etikett für mich ist das von Chagall. In Bezug auf die Weinqualität ist der Jahrgang 1996 ein hervorragender bei Mouton gewesen. Und die dritte Besonderheit ist, dass alle Flaschen vom legendären Weinsammler Dr. Robert Maliner stammen, ein enger Freund von Michael Broadbent, dem Gründer von Christie´s Weinabteilung“, sagt Young. Robert Maliner, einer der führenden Weinsammler in Amerika, ist bekannt für ganz besondere Verkostungen und er ist ein anerkannter Maideira-Spezialist. Vertikalen sind nicht nur für Weinliebhaber eine gute Anlage, sondern sie zeigen auch die Entwicklung eines Produzenten über die Jahrzehnte auf. Nur selten bekommt man die Gelegenheit, unterschiedliche Jahrgänge zu probieren. Meist sind es Sammler oder Jubiläen bei Weingütern, die zu besonderen Anlässen, solche Verkostungen bieten, oder es schließen sich Weinfreunde zusammen, wobei jeder einen Wein beisteuert. Letzteres ist übrigens eine schöne Idee für ein Weintreffen der besonderen Art. ■

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WEINFEDER EHRUNG

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WeInpeRSÖnlICHkeIT deS JaHReS 2016 JoaCHIm bInz WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

Zum zweiten Mal vergibt Weinfeder e.V. den Preis „Weinpersönlichkeit des Jahres“ an eine herausragende Persönlichkeit der Weinszene.

Wine Saves Life e.V.

Laudator: Dr. Rowald Hepp, Schloss Vollrads Sehr geehrte Mitglieder der Weinfeder, sehr geehrte Gäste, lieber Joachim Binz, Winston Churchill hat einmal gesagt: „Eine gute Rede soll das Thema, nicht aber die Zuhörer erschöpfen.“ Dies hat für eine Laudatio sicherlich in noch größerem Umfang Gültigkeit als für jede andere Rede.

Z

u Recht dürfen die Zuhörer und die Festgemeinde jedoch erwarten, sowohl etwas über den Werdegang der auszuzeichnenden Person als auch den Grund für die Verleihung der Auszeichnung zu erfahren. Dies gibt dem Laudator die Gliederung nahezu vor. Wer also ist Joachim Binz eigentlich? Just im Jahre 1965, in dem neben Winston Churchill mit Martin Buber und Albert Schweitzer drei wichtige moralische Instanzen des vergangenen Jahrhunderts verstarben, wurde Joachim Binz in Trier an der Mosel geboren. Damals konnte noch niemand vorhersehen, dass er einige Jahrzehnte später nicht nur eine Instanz der deutschen Weinwirtschaft sein würde, sondern mit seinem ehrenamtlichen und karitativen Engagement auch ein moralisches Vorbild für die Weinbranche. Nach Schule und Wirtschaftsschule entschied sich Joachim Binz für die Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann in einer Weinkellerei. Auch nach der Bundeswehrzeit blieb er diesem Berufsfeld treu und qualifizierte sich arbeitsbegleitend durch ein Studium zum Diplom-Betriebswirt weiter. Bis zum Jahr 2000 war er angestellter Exportdirektor einer Kellerei an der Mosel.

Weinpersönlichkeit des Jahres 2016 (© Joachim Binz)

Vor etwa 25 Jahren habe ich Joachim Binz kennengelernt, mit seiner Begeisterung und dem wohltuend klugen Einsatz für deutsche Weine auf den Weinmärkten der Welt. Schon damals war zu erkennen, dass er die Entwicklung auf den Märkten sehr aufmerksam verfolgte und in der Lage war, aus den gewonnenen Erkenntnissen die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dies mündete bereits in relativ jugendlichen Jahren in der Mitarbeit in zahlreichen Gremien und der Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten. So ist Joachim Binz heute unter anderem stellvertretender Vorsitzender des Verbandes Deutscher Weinexporteure in Bonn sowie aktives Mitglied im Bundesverband

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(Logo © Wine Saves Life e.V.)

Deutscher Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademien. Er hält das Advanced Certificate des WSET und ist als Jury-Mitglied in deutschen und internationalen Verkostungsgremien sowie als Koautor des koreanischen Weinmagazins „WIne Review“ tätig. Darüber hinaus wuchs über Jahre bei ihm die Überzeugung, dass deutsche Weine auf den internationalen Weinmärkten eine andere Präsenz und Wahrnehmung verdienen und für eine langfristig nachhaltige Marktpositionierung auch benötigen. So kam es im Jahr 2000 folgerichtig zur Gründung der eigenen Firma namens Wineconsale. Der Name war und ist Programm, geht es Joachim Binz doch um Beratung seiner Lieferanten und Kunden aus der Weinbranche, mit dem Ziel, Win-Win-Situationen für Erzeuger und Importeur herzustellen. Nach einer kurzen Orientierungsphase konzentrierte sich Wineconsale ausschließlich auf den Export deutscher Weine – und hier überwiegend der trockenen Geschmacksrichtung. Als wäre dies nicht schon Herausforderung genug gewesen, wurde das zarte Pflänzchen Wineconsale durch die Ereignisse besonders getroffen – zum einen, weil sie ein neues Zeitalter von Kontrollen, Beschränkungen sowie Zurückhaltung und Ungewissheit in den Weinhandel brachten, zum anderen, weil sich Joachim Binz zu dem Zeitpunkt selbst in den USA aufhielt. Er sah die brennenden Türme des World Trade Center aus nächster Nähe und saß für Tage in New York fest. Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation und nicht gerade günstiger Rahmenbedingungen hat Joachim Binz mit seinem anpackenden, unternehmerischen Wesen die Firma Wineconsale aus bescheidenen Anfängen in nur 15 Jahren zu einem geschätzten und beachteten Exporthaus für deutsche Weine entwickelt. Dabei kam ihm sein Mut, Neues auszuprobieren, sein analytisches Denken und die Fähigkeit, antizyklisch denken und arbeiten zu können, sehr zugute. So war es zum Beispiel ein ganz kluger Schachzug, Ideen und Marketingkonzepte zunächst immer auf den schwierigsten Märkten zu testen – wenn sie dort funktionierten, konnte man sie getrost auf andere Märkte übertragen.

Top-Qualitäten deutscher Weine und pflichteten mit guten Ratings der schon lange vorher getroffenen Einschätzung trockener Weine bei. Wenn Sie nun zur Einschätzung gelangen, die Weinfeder zeichnet Joachim Binz für diesen bewundernswerten Einsatz für deutsche Weine auf Exportmärkten aus, dann ist das zwar logisch und verständlich, doch bestenfalls ein weiteres, zusätzliches Kriterium zur nun folgenden eigentlichen Begründung. Diese liegt im Engagement von Joachim Binz als Vorsitzendem von Wine Saves Life. Zeitlich gesehen, datiert die Geschichte von WSL in die gleiche Zeit zurück wie die der Firma Wineconsale. Während eines denkwürdigen Abends im Rahmen der Hochzeit eines gemeinsamen Freundes in Tokio im Frühjahr 2001 diskutierten und überlegten vier Freunde, wie man ohne Verwaltungsaufwand Kinderhilfsprojekte realisieren könnte. Da alle Diskussionsteilnehmer dem Wein entweder beruflich oder als interessierte Konsumenten verbunden waren, wurde die Diskussion gegenständlicher – es stand die Frage im Raum, ob man mit dem Gegenwert einer Flasche Wein (damals ca. 10 DM) pro Monat und vielen Mitstreitern ein Hilfswerk in der Weinwirtschaft etablieren könne. Die Weintrinker sollten die Freude und den Genuss beim Weintrinken behalten, dabei aber nach Möglichkeit auch bedürftige Kinder nicht vergessen, denen man mit dem finanziellen Gegenwert einer Flasche Wein aktuell in Notsituationen und/oder langfristig bei der nachhaltigen und positiven Gestaltung der Lebensgrundlagen helfen wollte. Zurück in Deutschland, kam es schon kurz darauf im Mai 2001 zur Gründung von WSL – damals war Joachim Binz mit 36 Jahren für ein derartiges ehrenamtliches Engagement relativ jung und mit der kurz vorher gegründeten Firma Wineconsale sicher auch zeitlich gut ausgelastet – einmal mehr ein Zeichen für seine Ausdauer und das ergebnisorientierte Handeln.

Als Gründungsmitgesellschafter von Wineconsale kann ich selbst aus eigener Erfahrung schildern, wie hart und ausdauernd Joachim Binz für den Erfolg des deutschen Weines gearbeitet hat und immer noch arbeitet.

Auch bei WSL hatte ich selbst die Gelegenheit, von der Grundsatzdiskussion in Tokio bis zum heutigen Tage alle Phasen der Entwicklung miterleben und mitgestalten zu dürfen. So fand auch die Gründungsversammlung gleich nach der Rückkehr von Joachim Binz von den furchtbaren Ereignissen in New York zeitnah am 1. Oktober 2001 im Ledertapetenzimmer von Schloss Vollrads statt. Dort wird in wenigen Wochen auch die Pressekonferenz zum 15-jährigen Bestehen abgehalten, zu der noch eine gesonderte Einladung ergehen wird.

Das hat in der Folge auch die internationale Presse beeindruckt, denn schon knapp eineinhalb Jahre nach der Gründung von Wineconsale nahmen auch so einflussreiche Publikationen wie The Wine Advocate von Robert Parker und der Wine Spectator verstärkt Kenntnis von den

Mit acht Gründungsmitgliedern und einem Jahresbeitrag von 960 DM ging es also los. Im letzten Jahr hatte der Verein mehr als 80 Mitglieder und kommt über den Zeitraum der letzten 15 Jahre auf eine Fördersumme von insgesamt über 300.000 € (also durchschnittlich

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(v. l.) Louis Konstantin Guntrum (Mitglied von Roter Hang e.V.), Alice Gundlach (Schriftführerin Weinfeder e.V.), Wolfgang Junglas (1. Vorsitzender Weinfeder e.V.), Joachim Binz (Weinpersönlichkeit des Jahres), Dr. Rowald Hepp (Laudator und Weingutsleiter Schloss Vollrads) (© Weinfeder e.V.)

mehr als 20.000 €/Jahr). Damit ist WSL die größte Hilfsorganisation der deutschen Weinwirtschaft. Die komplette Verwaltung erfolgt auch heute noch ehrenamtlich und alle Mitgliedsbeiträge, Spenden oder Aktionserlöse landen 1:1 in den von den Mitgliedern beschlossenen Förderprojekten. Ganz wichtig dabei ist, dass die internationale Hilfe völlig entkoppelt vom beruflichen Engagement bei Wineconsale zu sehen ist. Viele Länder, in denen Hilfsprojekte gefördert werden, haben weder aktuell noch in mittelfristiger Zukunft die Chance, Wein zu importieren. Nachhaltige Förderung ist dabei das besondere Anliegen von WSL, einmalige Förderungen sind eher die Ausnahme. Mittels eines Kataloges von Vergabekriterien entscheiden die Mitglieder in der jährlichen Mitgliederversammlung über die zur Vergabe anstehenden Mittel. Ein kurzer Blick über die in den vergangenen Jahren geförderten Projekte vermittelt einen Eindruck von der regionalen Vielfalt der durch das WSL-Engagement möglich gewordenen Hilfe (immer auch mit einer großen inhaltlichen Vielfalt ): Die kleine Pyramide (Ägypten) // ali sk Indien // Kinderhilfsprojekte in Togo, Philippinen, Japan // Msumarini und Cargo Human Care-Projekte in Kenia // Burkina Faso // Deutschland (Jugend kocht, die kunstwerker) // und viele andere mehr. Als langjähriger 2. Vorsitzender und als Freund weiß ich, dass Joachim Binz in der Vergangenheit das Förderprojekt „Gando“ und aktuell „Msumarini“ sehr am Herzen liegt. Dazu kann er Ihnen im Anschluss selbst sicher mehr und aufschlussreichere Informationen geben. Die aktuellen Aktionen von WSL (das Packen von Raritäten-Weinpaketen aus einem überlassenen privaten Weinkeller in Verbindung mit dem befreundeten Weingut Schloss Sommerhausen) sorgen ebenso wie die vielfältigen Spendensammelaktionen anlässlich des Balls des Weines (Schürfen echter Diamanten in einem großen Sandbecken) für eine erweiterte Wahrnehmung der Aktivitäten des noch wachstumsfähigen Vereins WSL. Wie jeder gemeinnützige Verein ist auch dieser stark vom ehrenamtlichen Engagement des Vorstandes und im Besonderen des Vorsitzenden abhängig. Eine große Zahl von zahlenden Mitgliedern

macht dem Vorsitzenden das Leben leichter. Wenn diejenigen unter Ihnen, die noch nicht Mitglied bei WSL sind, dies als Appell verstehen, Mitglied zu werden, dann haben Sie mich in diesem Punkt richtig verstanden. Sehr verehrte Festgäste, wir alle wissen, wie schwer es ist, ehrenamtliches Engagement und über die beruflichen Anforderungen hinausgehende Aufgaben zu übernehmen. In unserer stressgeplagten und wie im Falle von Joachim Binz auch noch durch Auslandsreisen verkomplizierten Berufswelt ist sein nunmehr über 15 Jahre anhaltendes Engagement einzigartig, beispielgebend und einfach großartig. Es gibt Menschen, die wünschen sich mehr Engagement, es gibt Menschen, die zeigen Engagement, und es gibt Menschen, die SIND personifiziertes Engagement. Engagement heißt, nichts für das zu erhalten, was man tut, und doch durch die Dinge, die man tut, reich zu werden. Lieber Joachim, in diesem Sinne hoffe und wünsche ich, dass dein Engagement dich im Herzen reich gemacht hat, und bitte dich, auch zukünftig nicht nachzulassen. Herzlichen Dank für dein Engagement im Namen aller deutschen Winzer, der Mitglieder von WSL und vor allem im Namen all derer, die durch die Unterstützung von WSL große Hilfe und Perspektive erleben konnten.■

Joachim Binz ist zu Recht die Weinpersönlichkeit der Weinfeder des Jahres 2016, die Weinfeder hat eine sehr gute Wahl getroffen! Herzlichen Glückwunsch zu dieser verdienten Auszeichnung, lieber Joachim, und ich rufe dir zu: Mach weiter so!!!

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pReIS deR deUTSCHen WeInkRITIk: „WeIn Vom RoTen HanG e.V.“ WEINFEDER JOURNAL | EDITION # 49 | HERBST 2016

■ VON ALICE GUNDLACH

Letztes Jahr im Dezember habe ich mich in einer FacebookGruppe angemeldet, die „winewichteln“ heißt. Diese Gruppe lässt eine schöne Tradition wieder aufleben, die viele von uns noch aus der Schulzeit kennen, wenn die Weihnachtszeit anbricht.

B

ei der winewichteln-Facebook-Gruppe bekommt jeder, der sich angemeldet hat, die Adresse eines anderen Teilnehmers zugeschickt. Diesem schickt man einen Wein, den man gut findet und vielleicht einem Gleichgesinnten vorstellen möchte. Im Gegenzug bekommt man selbst von einer ganz anderen Person einen Wein geschickt. Ich entschied mich, dem Kandidaten, den ich gezogen hatte, es war ein Herr aus Berlin, einen Riesling Niersteiner Ölberg von Lisa Bunn zu schicken – die übrigens selbst Mitglied dieser Facebook-Gruppe ist. Ich hatte kurz überlegt, ob ich den Ölberg oder den Hipping von Lisa Bunn verschicken soll. Dann warf ich noch einmal einen Blick in den aktuellen Gault&Millau – und entschied, den Hipping selbst zu behalten. Jedenfalls wurde der Ölberg verpackt, ich schrieb ein herziges Kärtchen dazu, mit jeweils zwei Sätzen zur Winzerin und auch zum Roten Hang, und ab ging die Post nach Berlin. Kurz darauf erhielt ich eine Facebook-Message vom Beschenkten. Er schrieb, er habe sich sehr gefreut, und es sei toll, dass ich mir so viel Mühe mit der Karte gemacht habe, aber die Winzerin und auch der Rote Hang seien ihm als Weinliebhaber – auch im fernen Berlin – selbstverständlich ein Begriff. Nun weiß ich natürlich nicht, ob der ältere Herr vor der jungen Dame einfach nur gut dastehen wollte, indem er das einfach behauptet hat. Sicher ist jedenfalls, dass er spätestens seit dieser Aktion den Roten Hang auf dem Schirm hat. Und nicht nur er: In der Facebook-Gruppe wurde nach Weihnachten eine Liste veröffentlicht, mit allen Weinen, die verwichtelt worden waren. Insgesamt habe ich darauf sieben Weine von Winzern vom Roten Hang gezählt.

Der „Rote Hang“ bei Nierstein bildet den Steilabfall des rheinhessischen Plateaus an der Grenze zwischen dem Mainzer Becken und dem Oberrheingraben. Hier treten Ton- und Sandsteine aus der Zeit des Rotliegenden (entstanden während des Perm vor ca. 298 bis 250 Millionen Jahren) an die Oberfläche. (© Roter Hang e.V.)

Weine aus Rheinhessen im Allgemeinen und vom Roten Hang im Speziellen stehen heute selbstverständlich auf den Weinkarten renommierter Restaurants und liegen in den Kellern der Weinkenner. Das war aber nicht immer so. Schlechte Zeiten gab es während der 1980er- und 1990er-Jahre in ganz Rhein-

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hessen, auch am Roten Hang, der 100 Jahre zuvor noch ein schillernder Name in der Weinwelt war. Es war eine Zeit des Massengeschäftes und Rheinhessen als zuverlässiger Mengenlieferant gefragt, große Qualitäten wurden von dort aber nicht oder nur von vereinzelten Leuchtturm-Betrieben erwartet. Diese standen wiederum auch eher nicht für ihre Herkunft, sondern vielmehr für sich selbst. Nierstein war geprägt von wenigen, sehr großen Betrieben – und um es kurz zu sagen: Es gab zu viel Menge und zu wenig Spitzenweine. Und während in anderen Weinanbaugebieten Deutschlands die Reise schon woanders hinging, hatte die Rheinterrasse den Umbruch etwas verschlafen. Ab der Mitte der 1990er-Jahre passierte plötzlich etwas: Immer mehr rheinhessische Winzer, in Nierstein und anderswo, erkannten, dass es da noch mehr geben muss. Eine neue Generation von Jungwinzern übernahm das Ruder und wollte plötzlich nicht mehr nur Durchschnitt sein. Man war in Geisenheim gewesen und dann in Neuseeland, und man dachte: So etwas müssen wir doch auch können. Ein neues Zeitalter brach an – und das ziemlich rasant, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Branche handelt, bei der es um Pflanzen geht, die erst einmal mehrere Jahre lang wachsen müssen, bevor man sie nutzen kann. 1988 entstand der Verein „Wein vom Roten Hang“ mit damals rund einem Dutzend Mitgliedern. In dieser Zeit befand sich nicht nur Nierstein, sondern ganz Wein-Deutschland in einer handfesten Krise. Die Absätze und auch das Image des deutschen Weines waren in den Keller gerauscht, doch die Niersteiner Winzer nahmen das als Chance: Sie schrumpften sich gesund. Und sie beschlossen, ihren großen Trumpf auszuspielen: die Top-Riesling-Lage vor ihrer Haustür. Eine Top-Riesling-Lage ist der Rote Hang wegen des mineralischen Bodens, geprägt von Ton-Sandstein und von Eisenablagerungen, die ihm die namengebende rote Farbe verleihen. Er neigt sich zur Süd- und Südostseite, sodass die Sonne viel Wärme auf ihn abgeben kann, die der Boden speichert und in der Nacht wieder abgibt. Heute arbeiten 29 Winzer verschiedener Generationen am Roten Hang, deren unterschiedliche Ideen aufeinandertreffen. Das führt auch schon einmal zu Diskussionen, etwa ob man in der Top-Riesling-Lage auch Spätburgunder, Sauvignon Blanc oder gar Blaufränkisch anbauen sollte. Einerseits kann man da sagen: Wenn man etwas gut kann, dann ist es eine gute Idee, dies zu perfektionieren. Andererseits ist es durchaus so, dass es immer mehr Weinliebhaber gibt, die etwas Neues probieren wollen. Auch wenn es uns hier so vorkommt: In

Blick vom Rote Hang auf die Rheinebene bei Nierstein. (© Roter Hang e.V.)

anderen Gegenden Deutschlands hat der Riesling oft nicht den gleichen Stellenwert. Dazu kommt: Wir Weinjournalisten brauchen etwas, worüber wir schreiben können – unser tägliches Brot sind eben „News“. Und wenn man über das Neue, was es zu berichten gibt, auch kontrovers diskutieren kann, ist das umso spannender – für uns, für unsere Leser und auch für die Winzer selbst. Zu guter Letzt: Zwischendurch auch mal was Neues zu probieren, hat nicht selten schon dazu geführt, dass man neue Impulse für die Kernkompetenz dazugewonnen hat. Kurz: Wo verschiedene Ideen aufeinandertreffen, wo gesprochen und vielleicht manchmal auch gestritten wird, da wird etwas Besonderes, Individuelles, Innovatives geschaffen. Wie auch immer die Diskussion ausgehen mag: Etwas Besonderes sind die Weine vom Roten Hang allemal. Denn obwohl die Region von einer bestimmten Bodenformation ge prägt ist, der sogenannten Niersteiner Formation, sind die einzelnen Lagen doch überraschend gut herauszuschmecken. So bringt die Lage Hipping besonders kühle, mineralische Weine mit kräuteriger Würze hervor, Pettenthal wiederum sehr fruchtige, gehaltvolle Weine, die sich oft erst mit der Zeit öffnen, oder der Ölberg schlanke, mineralische Weine, die in der Altersentwicklung sehr elegante Reifearomen aufweisen. Ihre Fans dorthin zu führen, ist auch ein Anliegen der Winzer vom Roten Hang, wie man bei ihrer jährlichen Weinpräsentation „Zwischen Himmel und Rhein“ im Juni sehen kann, bei der nicht etwa jedes Weingut seinen Stand

hat, sondern jede Einzellage: Hipping, Ölberg, Pettenthal, Orbel, Rothenberg, Schloss Schwabsburg, Brudersberg und Heiligenbaum. Dieses Jahr werde ich übrigens wieder am „winewichteln“ teilnehmen. Ich habe gestern noch einmal einen Blick in mein Weinregal geworfen, um zu sehen, was ich dieses Jahr verschicken könnte: vielleicht den Ölberg Riesling Reserve von Gröhl, den Riesling Edition 2Hügel von Raddeck, den Riesling Roter Hang Spätlese von Wedekind – der übrigens vegan ist – oder vielleicht „Last night a Riesling saved my life“ von Georg Albrecht Schneider. Vielleicht aber behalte ich die auch alle selbst. ■

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