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Leitbachenschonung: Sinn oder Unsinn

Bericht Hegeringleiterstv. Mario Schuh, MSc und Andreas Daim MSc

Leitbachenschonung: Sinn und Unsinn

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Einleitung

Das Thema Leitbachenschonung wird unter Jägern und auch in der einschlägigen Literatur sowie in Fachzeitschriften immer wieder diskutiert. Um einen aktuellen Überblick zu erhalten, wurde in diesem Artikel mittels Literaturrecherche auf folgende Fragestellung eingegangen.

• Was weiß man über Leitbachen? • Warum stellt sich diese Frage überhaupt? • Welche Auswirkung hat das auf die Jagd? • Was wird davon abgeleitet? • Sie ist für die Rauschsynchronisation verantwortlich (nachrangige

Tiere werden nach der Leitbache rauschig(wissenschaftlich belegt). • Sie unterdrückt NICHT untergeordnete Bachen rauschig zu werden (wissenschaftlich belegt). • Eine Zuwachsdrosselung der Leitbachen ist nicht plausibel. • Problem: Was ist eigentlich eine „Rotte“? • Die ursprünglichen Ansätze von Meynhardt bzw. Happ beziehen sich immer auf eine gesunde Rottengröße (50-60 Individuen), welche in der Natur oft nicht in dieser Rottengröße vorkommen, da die Habitatsstruktur dies nicht ermöglicht.

Somit gibt es in kleinen Rotten oft keine eindeutige Leitbache.

Was weiß man über Leitbachen?

• Sie führt die Rotte als Ranghöchste und ist für folgendes verantwortlich: { Sie bestimmt den Tagesablauf. { Sie bestimmt den Aufenthaltsort. { Sie legt die Örtlichkeit und die

Art der Nahrungssuche fest. { Sie wählt die Suhlen aus. { Sie behauptet sich gegen andere Rotten in Konkurrenzsituationen. • Sie hält die Rotte zusammen. • Sie hat die meiste Erfahrung. All die oben genannten Punkte kommen in unterschiedlichster Literatur zum Schwarzwild immer wieder vor, der wissenschaftliche Nachweis ist jedoch nur punktuell vorhanden.

Warum stellt sich die Frage überhaupt? Durch die hohe Anpassungsfähigkeit und der günstigen Umweltbedingungen (milde Winter, häufige Mastjahre und der Anstieg von Mais- und Rapsanbauflächen) sind die Schwarzwildpopulationen seit vielen Jahren im Steigen. Daraus resultieren folgende Themen: • Der starke Anstieg und die enorme Verbreitung verursacht Wildschäden in der Landwirtschaft. • Es steigert die Gefahr der Verbreitung von Seuchen. { Aujeszky’sche Krankheit (Pseudowut). { Afrikanische Schweinepest. • Die explosionsartige Vermehrung beeinflusst andere Wildtiere (Prädation).

Diese Themen sind Grund genug, dass verschiedenste Interessensgruppen, wie Landwirte, Schweinemastbetriebe und auch die Jägerschaft das Schwarzwild als Schädling betrachten und dieses reduzieren möchten.

Das Schwarzwild ist ein sogenannter „r-Stratege“. Das „r“ steht für die Vermehrungsrate. Es besitzt die Möglichkeit unter Ausnutzung der schwankenden Ressourcen möglichst viele Nachkommen zu zeugen. In Niedersachsen wurde beispielsweise festgestellt, dass 52% aller reproduzierenden Bachen bereits Frischlingsbachen waren. Diese lieferten 40% der Fortpflanzungsleistung, Altbachen dagegen nur 16%. (Hohmann U. 2009a)

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Abbildung 1: Summe aller zu erwartender Nachkommen bei Wildschweinbachen (KEULING O, GETHÖFFER F, HERBST C, FRAUENDORF M, NIEBUHR A, BRÜN J, MÜLLER B, SIEBERT U 2014)

In Abbildung 1 ist dargestellt, welche Anzahl von Nachkommen in Bezug auf das Alter der Bachen möglich sind. Bei den Frischlingsbachen wird von 50% ausgegangen, da die anderen 50% männlich sein können (natürliches Geschlechterverhältnis). Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass diese den Hauptanteil in den Rotten ausmachen.

Zur Verdeutlichung dieser hohen Zuwachsraten sollen die folgenden Beispiele beitragen. Dabei ist festzuhalten, dass natürliche Feinde in der Kulturlandschaft keine Rolle mehr spielen, da diese eigentlich nicht vorhanden sind.

Annahme:

Es wird von einem Anfangsbestand im Frühjahr von 100 Stück Schwarzwild ausgegangen. Die bekannten Zuwachsraten liegen zwischen 100 - 300%, welche vorwiegend durch Frischlingsbachen erreicht werden können.

Ergebnis nach einem Jahr:

Somit ergibt sich je nach Zuwachsrate ein Frühjahrbestand im darauffolgenden Jahr von 200 – 400 Stück Schwarzwild.

Fazit:

Soll der Anfangsbestand um 50% reduziert werden, müssen bis zum darauffolgenden Frühjahr 75% bis 87,5% geschossen werden!! Das wird ohne Bachenabschuss nicht möglich sein. Es wird sogar noch mit Bachenabschuss eine Herausforderung sein, solch eine Reduktion zu erzielen. Anm: Der Bachenabschuss (immer natürlich nichtsäugende Bachen! und gesetzliche Fristen beachtend!) ist eine jagdpraktische Möglichkeit einen zu hohen Bestand zu senken. Wenn die Bache erlegt wurde, MUSS in Folge einer weidgerechten Bejagung auf die unvorsichtigeren Frischlinge weitergejagt werden. Diese sollten ohne Führungsbache einfacher zu erlegen sein, womit man jagdpraktisch einen hohen Abschuss zur Senkung des Bestandes schafft.

Foto: © Erich Marek

Bericht Hegeringleiterstv. Mario Schuh, MSc und Andreas Daim, MSc

Abbildung 2: Bestandszunahme des Schwarzwildes in 10 Jahren (Petrak M. 2009) In Abbildung 2 ist grafisch sehr anschaulich dargestellt, wie sich die Schwarzwildpopulation entwickelt, wenn man zu Beginn von einer Bache und einem Keiler ausgeht. Die Eckparameter sind der Grafik zu entnehmen. Es ist sehr imposant, wie schnell sich eine Population entwickeln kann, da genau genommen zehn Jahre in der Natur keinen langen Zeitraum darstellen.

Welche Auswirkung hat das auf die Jagd?

Im folgenden Abschnitt wird darauf eingegangen, welche Auswirkung die bekannten Jagdmethoden und Jagdstrategien haben.

Jagdmethoden:

• Einzelansitz: (-)

Der Einzelansitz ist sehr zeitaufwändig und es können nur einzelne Stücke entnommen werden. Meist vergeht viel Zeit, bis die Rotte wieder zum selben Ort zurückkehrt, um wieder bejagt werden zu können. Da die heutigen Jäger hauptsächlich „Freizeitjäger“ sind, kommt noch hinzu, dass diese nicht die nötige Zeit haben, eine Schwarzwildreduktion zu forcieren. • Gruppenansitz: (-)

Der Gruppenansitz ist auch ineffektiv, da viele Jäger benötigt werden, welche wiederum viel

Zeit investieren müssen. Meistens kommt nur einer zum Schuss. Somit sinkt die Motivation der anderen an weiteren Gruppenansitzen teil zu nehmen. Zusätzlich hat man das Problem der Ansitzzuteilung, da immer der andere

Ansitz der vermeintlich bessere gewesen wäre. • Bewegungsjagd: (+)

Die Bewegungsjagden sind effektiv, jedoch nur, wenn diese sehr großflächig und revierübergreifend angelegt sind. Dazu gehört eine gute Organisation und das Vorhandensein von geübten

Schützen. Ausgebildete Stöberhunde und ausreichend gute

Nachsuchehundeführer runden eine erfolgreiche Bewegungsjagd ab. Es ist wichtig, dass diese in kurzen Zeiträumen wiederholt stattfinden.

• Saufang: (~)

Ein Saufang ist in Bezug auf das

Tierschutzgesetz eingeschränkt möglich und mit Vorsicht zu betrachten. Es gibt auch sehr wenig

Erfahrung damit. Daher werden diese sehr oft falsch aufgestellt.

Jagdstrategien: • Jung vor Alt

Diese Strategie wird großflächig vertreten und schon seit vielen

Jahren von Jäger zu Jäger weitergegeben. Diese Strategie wird auch bei der Jungjägerausbildung hauptsächlich geschult. • Lüneburger Modell

Das Lüneburger Modell wurde

Anfang der 1970er Jahre in Lüneburg entwickelt und von der

Landesjägerschaft Niedersachsen abgesegnet. o Stücke über 50 kg werden nicht geschossen o Aus einer Rotte ist immer erst das schwächste Stück zu erlegen o Jagdbare Keiler sind mindestens fünf Jahre alt oder über 100kg schwer o Angestrebte Gliederung der

Rotte: Frischlinge (70 %), Überläufer (20 %), ältere Sauen (10 %), diese Anteile verteilen sich jeweils zur Hälfte auf die männlichen und weiblichen Sauen. o Jagdruhe auf Schwarzwild 1. Februar bis 15. Juni Es wird immer noch großflächig vertreten und umgesetzt. Der Erfolg dieses Modells ist umstritten, da es nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Dabei ist die unbekannte der Jäger, welcher sich vielleicht nicht ausschließlich an diese Regeln hält. • Schonung der Leitbache

Eine lange Tradition, welche derzeit sehr unterschiedlich gesehen wird. • Schonung der führenden Bache Ist teilweise in den Jagdgesetzen geregelt. Grundsätzlich sind laktierende (Milch gebende; Anhaltspunkt: Frischlinge haben noch Streifen) Bachen schon aus Sicht des Tierschutzes immer zu schonen.

Was wird davon abgeleitet?

• Die Erlegung der Leitbache ist nicht so tragisch, wie bisher immer behauptet wurde. Das haben wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben. • Bei Einzeljagden sollten alle Sauen erlegt werden, insbesondere die mehrjährigen Bachen, da diese die höchsten Reproduktionsträger sind. Ausgenommen sind natürlich die laktierenden

Bachen. • Auf Drückjagden ab Herbst kann alles (bis auf laktierende Bachen) erlegt werden. Hier findet sich die

Haupterntezeit und der Zeitrahmen, wo die gewünschten angepassten Frühjahrsbestände (vor dem neuen Frischen) erreicht werden sollten. • Bewegungsjagden werden effektiver, wenn kurz vorher die Leitbache erlegt wurde. Dabei ist unbedingt zu achten, dass danach intensiv gejagt wird, damit die ungeführte Rotte komplett entnommen werden kann. Wenn das nicht gelingt, ist diese Maßnahme nicht zielführend, da durch die fehlende Leitbache sich neue Rotten bilden, welche unkoordiniert umherziehen und möglicherweise neue Gebiete für sich in Anspruch nehmen. • Reduktion um x%: Was war der eigentliche Anfangsbestand? Es ist leider sehr schwer festzustellen, von welchen Anfangsbeständen ausgegangen werden kann, damit man eine ausreichende

Strecke festlegen kann. Hinweis für zu hohe Dichten geben am

einfachsten Schadenssituationen bzw. Verkehrsunfälle. • Laktierende Bachen mit Frischlingen sind aus Tierschutzgründen zu schonen. (KEULING O. 2010a)

Conclusio

Grundsätzlich ist bei der Diskussion immer zu beachten, welches Ziel man verfolgt. Will man eine gesunde Schwarzwildpopulation erreichen bzw. erhalten oder soll diese dezimiert werden? Da derzeit die Schwarzwildpopulationen stark im Steigen sind und das Schwarzwild in Regionen vordringt, wo es früher nicht vorgekommen ist, wird eher die Strategie der Dezimierung im Vordergrund stehen.

Das Schwarzwild wird vermutlich zu häufig geschont. Viele Jäger warten auf die „starke Sau“. Um diese nicht durch einen vorzeitigen Schuss auf einen Frischling bzw. einen Überläufer zu vergrämen, wird der Finger vorsichtshalber gerade gelassen. Dazu kommt noch, dass die Jäger neben dem Beruf oft viel zu wenige Zeit finden, ausreichend auf Schwarzwild anzusitzen. Da wird dann umso mehr auf ein starkes Stück gewartet.

Bei all den aktuellen angedachten Änderungen im Gesetz (Freigabe von Nachtsichtzielgeräten ausschließlich zur Schwarzwildbejagung), damit das Schwarzwild vermeintlich einfacher zur Strecke gebracht werden kann, darf auf keinem Fall der Tierschutz bzw. der Mutterschutz außer Acht gelassen werden und generell die Weidgerechtigkeit nicht auf der Strecke bleiben. Die Jäger müssen auch darauf achten, dass sie in der Öffentlichkeit nicht nur als Erfüllungsgehilfe gesehen werden und die vielen anderen Aspekte der Jagd in den Hintergrund gerückt werden.

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