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1. Rescue Forum Wallis 2025

Mehr Wissen für Rettungskräfte

Am 20. und 21. Juni 2025 fand im Zeughaus Kultur in Brig die Erstauflage des Rescue Forum Wallis (RFW) statt. Wir waren vor Ort und haben Spannendes zu berichten.

Die Tätigkeit der Rettungskräfte ist facettenreich – und stetem Wandel unterworfen. In jedem Einsatz sammeln die Rettungskräfte neue Erkenntnisse, die technische Entwicklung und die Forschung steuern das ihrige bei. Daher sind Aus- und Weiterbildung sowie der Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen den Akteuren essenziell.

Neue Akzente setzt dabei das von dem im September 2024 gegründeten, gleichnamigen Verein initiierte «Rescue Forum Wallis». Zwar bringt es – ganz klassisch – Experten, Organisationen und in der Notfallmedizin tätige Freiwillige und Profis zusammen, zeigt zukunftsorientierte Konzepte und Innovationen auf – in Workshops, Fachvorträgen und interaktiven Ausstellungen. Aber dies geschieht auf andere Weise. Nicht in der sterilen Umgebung eines Tagungszentrums, sondern quasi «an der Bar» des Zeughauses Kultur im Herzen von Brig – in erfreulich lockerer, betont offener, kameradschaftlicher Atmosphäre.

Workshops und Get-together bei Raclette und Wein am 1. Tag

Wohl wissend, dass die Anreise ins Wallis für manche Gäste und Sponsoren nicht wirklich kurz ist und mit Bahnverlad oder Furkapass gewisse Tücken parat hält, startete das 1. RFW schon am Nachmittag des 20. Juni 2025. Ab 15 Uhr gab es die Workshops «Sonographie» und «Invasive Notfalltechniken». Danach, ab 19 Uhr, startete der «Get-togetherAbend» – im Freien, vor dem Zeughaus, mit Raclette sowie –sehr willkommen angesichts hochsommerlicher Temperaturen – gekühlten Getränken. Bei Antialkoholika oder Walliser Weisswein lernten sich alle besser kennen, ehe es zur Nachtruhe ging. Wobei jene, die ihm gewachsen waren, zuvor ein «flüssiges Betthupferl» in Form eines Aprikosendestillats geniessen durften.

Spezielle Atmosphäre und erstklassige Referate: Das 1. Rescue Forum Wallis im Zeughaus Kultur in Brig war einen Besuch wer
© Jörg Rothweiler

Fotowettbewerb, Kunstausstellung und Schätzfragen

So speziell wie dieser Abend waren der im Vorfeld des 1. RFW lancierte Fotowettbewerb zum Thema «The Golden Hour» und der Schätzwettbewerb, bei dem beispielsweise errechnet oder erraten werden musste, wie viele Pflaster es braucht, um alle Finger aller Walliser Rettungssanitäter gleichzeitig zu verarzten (ca. 7’000), wie viele 5x5-cm-Tupfer nötig sind, um «Mr. Hurt» (Trauma- und Bergungspuppe) in eine Mumie zu verwandeln (720) oder wie viele Bahren man aufeinanderstapeln muss, um den Matterhorngipfel zu erreichen (6’219).

Zudem sorgte eine Kunstausstellung von nicht nur für Rettungsszene-Kenner erheiternden Cartoons für Abwechslung. Mehr dazu lesen Sie im «Rücklicht»-Artikel dieser Ausgabe.

sureVIVE-CEO Georg Hauzenberger konnte anhand von Datenauswertungen belegen: Die Public Responder von Coeur Wallis reagieren schnell, wenn sie aufgeboten werden.
© Jörg Rothweiler

Digitalisierung des Rettungswesens im Wallis

Professionell und ernst wurde es natürlich in den Vorträgen. Den Auftakt markierte das Referat «Digitalisierung des Rettungswesens im Wallis». Fredy-Michel Roten, Direktor des vor 30 Jahren gegründeten KWRO, das jährlich mit gut 4’000 Miliz-Einsatzkräften rund 25’000 Einsätze im Wallis leistet, und Georg Hauzenberger, CEO von sureVIVE, Entwickler der Momentum-App, die gut 35’000 Anwender hat, zeigten auf, welche Herausforderungen bestehen, welche Tools eingesetzt werden und wie wertvoll Daten im Rettungswesen sein können.

Fredy-Michel Roten betonte, dass aktuelle Technologien wie die Geolokalisation von Notruf-Meldungen unerlässliche Hilfsmittel darstellen – auch für die Zentrale 144 des Walliser Rettungswesens. Zudem steht dort seit Mitte Juni 2025 HxGN OnCall im Einsatz – und seit Jahren sehr erfolgreich die Momentum-App von sureVIVE. Mit dieser gelinge die Alarmierung von Public Respondern zuverlässig und schnell.

Gerade Letzteres sei eminent, betonte Georg Hauzenberger. «Im Fall eines Herz-Kreislauf-Stillstands sinkt die Überlebensrate innerhalb von zehn Minuten um die Hälfte. Dabei ist die Schweiz – und mit ihr das Wallis – gut aufgestellt. Hierzulande liegt die Laienreanimationsquote bei gut 70 Prozent. Deutlich höher als beispielsweise in Deutschland (knapp 50 %).»

Anschliessend präsentierte er zentrale Learnings, basierend auf einer anonymisierten Analyse der Daten seit Einführung von Momentum bei Coeur Wallis. Die Daten zeigen zwei Dinge: Die Mehrzahl der rund 1’300 zwischen 2018 und 2025 geleisteten Einsätze geschah entlang der Verkehrshauptachse Brig–Sierre–Martigny–Aigle. Und die gut 3’600 Public Responder, die übrigens eher jünger sind als die Gesamtbevölkerung, reagierten in aller Regel sehr schnell. «Meist kommt die Rückmeldung innert weniger als einer Minute», so Hauzenberger.

In Summe zeigten die Daten, «dass das Public-ResponderSystem im Wallis sehr gut funktioniert», sagte Hauzenberger. Vorausschauende Analysen, etwa zu welchen Jahres- oder Tageszeiten wo mit besonders vielen Einsätzen gerechnet werden müsse, seien zwar möglich, aber mit Vorsicht zu geniessen, warnt er. So seien die Ursachen für Herz-Kreislauf-Stillstände vielfältig, weshalb man sich – bei aller Transparenz, welche die Digitalisierung beschert – nicht allein auf Datenanalysen stützen sollte. «Die Erfahrungen der Rettungskräfte sind für die Einsatzplanung und -bewältigung weiterhin eminent. Und natürlich muss immer die Rettungskette von Anfang bis Ende gemessen und beurteilt werden», betont Hauzenberger.

Stop the bleeding

Um ein anderes Thema drehte sich der Vortrag von Prof. Dr. med. Jürgen Knapp, Oberarzt am Inselspital Bern. Er widmete sich dem Thema «Lebensbedrohliche (äussere) Blutungen» – und stieg mit zwei beeindruckenden Fakten ein. Mehr als 15 Prozent der Todesfälle nach einem Trauma sind Studien zufolge vermeidbar – und in 68 Prozent dieser Fälle sei Verbluten die Todesursache. Dies zeige, so Knapp, wie wichtig umfassendes Wissen bei der Versorgung stark blutender Wunden für den Erfolg ist.

Im Anschluss zeigte er auf, wann ein Tourniquet angezeigt ist und worauf dabei zu achten ist, wie korrektes «Wound packing» erfolgt, welche Rolle dabei Hämostyptika, insbesondere Celox® Gaze, spielen und wann es Sinn macht, eine Beckenschlinge anzuwenden (Open-Book-Frakturen) – und weshalb eine solche nicht selten kontraproduktiv ist.

Im letzten Drittel drehte sich alles um die prähospitale Gabe von Blutprodukten. Knapps Fazit: «Die Evidenz für Vorteile ist schwach. Nehmt Kochsalzlösung und bringt Betroffene schnellstmöglich in den Schockraum einer Klinik. Dort sind gekühlte Konserven zur Hand – und werden dann auch verabreicht.»

Betrachtungen zu möglichen Missinterpretationen bei invasiven Blutdruckmessungen und zur Herzbeuteltamponade rundeten den inhaltlich hochkarätigen Vortrag ab.

Niclas Kappen präsentierte sehr viel Wissenswertes rund um das Thema «High Risk EKG». Sein Buch «Faszination EKG» erhalten Interessierte unter dem QR-Code auf dem abgebildeten Foto.
© Jörg Rothweiler

OMI/NOMI statt STEMI – «Mister EKG» packt aus

Dr. Niclas Kappen ist Notarzt, Assistenzarzt am Bielefelder Klinikum, Autor des Buches «Faszination EKG» und ein «EKG-Nerd». Er beleuchtete anhand vieler Beispiele aus der Praxis, wie wichtig es ist, EKGs korrekt interpretieren zu können. «Nur wer das effektive Problem erkennt, kann Patienten korrekt erstversorgen – und entscheiden, wie dringlich ein Herzkatheter-Labor ist», erklärte er.

Insbesondere präsentierte Niclas Kappen typische Muster von Hochrisiko-EKGs (OMI), etwa das «De Winter»-, das «Wellens»- und das «Shark Fin»-Zeichen, erläuterte, wie man diese korrekt deutet und was sie bedeuten. Fachbegriffe wie «ST-Hebung», «Links- oder Rechtsschenkel-Block» und «Hyperkaliämie» fielen im Minutentakt – und während der Autor teils Fragezeichen im Hirn hatte, verstanden die Forumsgäste sehr wohl, worum es geht – wie zielgerichtete Fragen belegten. Ein eindrücklicher Beleg dafür, dass das Rescue Forum Wallis seinem Anspruch «Von Profis für Profis – Wissensvermittlung und Austausch auf Augenhöhe» gerecht wird.

Die zentralen Learnings, die Niclas Kappen vermittelte, waren: «Kenne High-Risk-EKGs», «Mache im Zweifel ein zweites EKG», «Check the Back (V7 bis V9)» und «Setze dich für deinen Patienten ein», wenn Du der Ansicht bist, dieser müsse sofort ins Herzkatheter-Labor.

Allen, die mehr über High-Risk-EKGs wissen wollen, sei sein Buch mit 50 Fällen aus Rettungsdienst und Notaufnahme ans Herz gelegt (siehe QR-Code im Bild).

Reanimation in 97 Meter Höhe, Bergung über 533 Stufen

Über einen spektakulären Einsatz berichtete Adrian Kachel, Notfallsanitäter und Praxisanleiter aus Köln: die Reanimation und Bergung einer auf der Besucherplattform des Kölner Doms kollabierten Person. Am Einsatz beteiligt waren Sanitäter, Notärzte, Kräfte von Polizei und Feuerwehr sowie spezialisierte Höhenretter. Gemeinsam erklommen sie die 533 Stufen. Oben angekommen musste das Opfer unter anderem intubiert und mehrfach defibrilliert werden, ehe es – unter Einsatz des Florian-2-Reanimationsautomaten – in einer hochkomplexen Aktion durch das sehr enge Treppenhaus nach unten transportiert werden konnte.

Mehrmals waren Notstopps (Defi-Schocks; Wechsel der Sauerstoffflasche am Beatmungsgerät, wozu ein Feuerwehr-Auszubildender die 533 Stufen hinab und mit einer neuen Flasche wieder hochrennen musste!) nötig – und als der Patient nach 1,5 Stunden im Herzzentrum des Spitals eintraf, wurde eine Asystolie konstatiert. «Zwar konnte die Ursache für den Kollaps, ein Verschluss des Ramus circumflexus, noch beseitigt werden. Dennoch verstarb die Person», erklärte Adrian Kachel.

Trotz des traurigen Ausgangs brachte der Einsatz die Rettungskräfte weiter: Die Einsatzmittelkette wurde angepasst, die Zahl der Übungen im Kölner Dom, auch unter Einbezug anderer BORS, intensiviert. «Wir sind heute deutlich besser aufgestellt – bei Materialkunde, Frühdefibrillation, Teamwork, Aufgabenverteilung, Kommunikation und Ortskenntnis», so Kachel.

Hat eine gelungene Erstauflage auf die Beine gestellt: das OK des RWF.
© Jörg Rothweiler

Update zur Traumareanimation

Dr. med. Richard Steffen, Klinikleiter und Chefarzt am Spital Visp, der als Ersatz für die kurz vor dem RFW erkrankte Michaela Vogler von Wheelchair-Rescue (siehe Blaulicht 01-2025) einsprang, gab ein kompaktes Update zur TraumaRea. Er betonte: «Das Ableben aufgrund unfallbedingter Traumata ist eine der Haupttodesursachen bei Menschen im erwerbsfähigen Alter – und Studien zufolge korreliert die Überlebensrate mit der Qualität der Ausbildung der Erstinterventionskräfte. Heisst: Gute Ausbildung hilft Leben retten!» Danach tauchte er in die Tiefen der Trauma-Reanimation ein, setzte Schwerpunkte bei den reversiblen Ursachen, also Hypovolämie (Blutverlust/Volumentherapie), Hypoxie (Sauerstoffmangel/Beatmung, Intubation, Koniotomie) und Spannungspneumothorax (Nadeldekompression, beidseitige Thorakotomie). Zur Problematik der Herzbeuteltamponade gab es als wesentliches Wissen mit: «Das ist präklinisch nur äusserst schwierig zu kontrollieren.»

Von Ramstein an den Simplon

Den Abschluss des Tages übernahm Dr. med. Björn Bliesener, Anästhesist, Intensivmediziner, Notarzt und Air Zermatt Crew Member. Er arbeitet im Schwerbrandverletztenzentrum der Berufsgenossenschaftskliniken in Ludwigshafen – und spannte einen Bogen von der Luftshow-Katastrophe in Ramstein (28. 08. 1988; mehr als 70 Tote und rund 1’000 Verletzte) bis zum Absturz einer Privatmaschine am Simplon (25. 08. 2019; 3 Todesopfer). «In den gut 30 Jahren dazwischen wurden viele Instrumente etabliert – von der Triage der Opfer am Schadensplatz bis zu deren Versorgung im Spital –, welche die Chance auf Überleben Schwerstverbrannter markant gesteigert haben», erklärte er.

Zwar sei die Behandlung solcher Patienten ein Nischenthema. Dennoch sei grundlegendes Wissen für Erstinterventionskräfte eminent. «Zentral ist die Erkenntnis, dass thermische Traumata meist auch eine mechanische Komponente enthalten. Entsprechend muss eine adäquate Initialversorgung gewährleistet werden, wie bei grundsätzlich jedem Traumaopfer. Danach sollten Betroffene schnellstmöglich einem spezialisierten Zentrum zugeführt werden – zugunsten einer frühzeitigen Spezialtherapie. «Ohne adäquate Erstbehandlung drohen Organdysfunktionen, verlängerte Therapiedauer, funktionelle Schäden und oft der Tod», so Bliesener.

Wie im Flug vorbei – bis Herbst 2026

Die Erstauflage des Rescue Forum Wallis, das von der Sanität Oberwallis, der Air Zermatt, Procamed und sureVIVE unterstützt wurde, war eine hochkarätige Veranstaltung in erfrischend lockerer und kameradschaftlicher Atmosphäre. Das Zeughaus Kultur in Brig erwies sich als idealer Veranstaltungsort, das OK leistete hervorragende Arbeit, das von renommierten Fachpersonen vermittelte Wissen war praxisnah und auf Augenhöhe der Tagungsgäste.

Die zweite Auflage des RFW ist für Herbst 2026 geplant. Die Organisatoren wollen dabei auch gezielt First/Public Responder ansprechen – und hoffen zudem, dass deutlich mehr Gäste auch von ausserhalb des Wallis den Weg nach Brig finden werden. Dazu ist nur eines zu sagen: «Das Wallis ist immer eine Reise wert. Ganz besonders am Tag des RFW 2026.»

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