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Multispektralkamera für die Forensik

Schweizer Start-up revolutioniert die kriminalistische Forensik

Multispektrale Bildgebung hat grosses Potenzial –bei der Analyse seltener Kunstwerke ebenso wie in der Forensik. Das Start-up MATIS SA aus Neuchâtel hat ein praxistaugliches System basierend auf einer Kamera von Canon entwickelt.

Ausserhalb des Spektrums, das unser Auge verarbeiten kann, existiert ein für uns Menschen unsichtbares Universum. Technische Hilfsmittel wie die multispektrale Bildgebung öffnen die Türen zu dieser verborgenen Welt – und machen sichtbar, was sonst nicht zu erkennen ist.

Angewandt wird die Technologie schon geraume Zeit in Wissenschaft, Technik, Medizin und anderen Spezialgebieten. An vorderster Front dabei agiert das 1984 in Neuchâtel gegründete öffentlich-private Non-Profit-Technologie-Innovationszentrum CSEM. Dort wurde ein vielfältig anwendbares System für Multispektralbildgebung entwickelt, das alsbald auch die kriminalistische Forensik revolutionieren könnte.

Der an ein Auge erinnernde LED-Lampenkopf der Multispektralkamera ermöglicht es, 16 Spektralbänder (365 bis 1050 nm Wellenlänge) abzudecken – beispielsweise den Blaubereich des sichtbaren Lichts.
© MATIS / CSEM

Wie Multispektralbildgebung funktioniert

Vereinfacht formuliert liefert die multispektrale Bildgebung angereicherte Informationen von verschiedenen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums, darunter sichtbares Licht, Ultraviolett und Infrarot. Diese Informationen können von einer KI-Datenpipeline verarbeitet werden. Physikalische Basis ist die Spektroskopie. Diese analysiert die Wechselwirkungen von Materie mit Licht. Da nahezu jedes Material eine individuelle Spektralsignatur, vergleichbar mit einem «spektralen Fingerabdruck», hat, können damit detaillierte Informationen über die chemische Zusammensetzung von Materialien gewonnen werden. Kombiniert man die Spektroskopie mit bildgebenden Verfahren, können die chemisch-physikalischen Eigenschaften verschiedener Bereiche einer Probe visualisiert und kartografiert werden. So wird erkennbar, welche Bereiche der Probe aus welchen Materialien bestehen.

Wo Multispektralbildgebung eingesetzt wird

Mithilfe der multispektralen Bildgebung können beispielsweise Abwässer ohne Labortests analysiert, Haut- und Gewebeanomalien in der Hautkrebsfrüherkennung detektiert oder Lebensmittel auf Verunreinigungen, Reifegrad und Feuchtigkeitsgehalt untersucht werden. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Untersuchung alter Manuskripte, Bücher und Kunstwerke auf verborgene Inhalte – oder auch gezielte Fälschungen.

Auf Letzteres spezialisiert hat sich das dem CSEM entsprungene Start-up MATIS SA aus Neuchâtel. Dessen Team hat ein KI-gestütztes multispektrales Bildgebungssystem entwickelt, das verborgene Schichten von Kunstwerken aufdeckt, die Materialzusammensetzung von Kunstwerken analysiert und dadurch Fälschungen entlarven kann.

Das System nutzt die hohe Auflösung der Canon R5, ist sehr kompakt und leicht und daher ausserordentlich handlich.
© MATIS / CSEM

Was es für Multispektralbildgebung braucht

Herzstücke der Technologie sind die von MATIS konstruierte Multispektralkamera und – unverzichtbar – die KI-gestützte Lösung für die Spektralsignaturanalyse.

Kameraseitig kommt eine spiegellose Canon EOS R5 ohne IR-Filter zum Einsatz, die mit einem ringförmigen Beleuchtungsaufsatz bestückt wird. Das System deckt 16 Spektralbänder (365 bis 1050 nm Wellenlänge) ab und nimmt in sehr schneller Folge Bildsequenzen auf, wobei die Auslösung der Ringlampe über die integrierte Blitzfunktion der Kamera erfolgt – also sehr exakt gesteuert wird. Die gewonnenen RAW-Dateien werden dann an das KI-Analysesystem übermittelt und ausgewertet. Die Resultate der Analyse werden, ebenso wie die Bilder, verschlüsselt in einer gesicherten Datenbank gespeichert.

Bei der Untersuchung von Kunstwerken kann man im Infrarotspektrum beispielsweise «Unterzeichnungen», also die mit Farbe überdeckten Skizzen des Künstlers, sichtbar machen.
© MATIS / CSEM

Die Multispektralbildgebung in der Forensik

Verborgenes sichtbar zu machen respektive nachzuweisen –darum geht es auch in der kriminologischen Forensik. Entsprechend interessant ist die Multispektralbildgebung auch für diesen Bereich. Insbesondere eignet sich das System von MATIS zur Sichtbarmachung organischer und anderer kohlenstoffhaltiger Substanzen. Denn diese haben eine sehr eindeutige IR-Signatur. Aufgrund dessen können mithilfe multispektraler Analysen Stoffe wie Blut, Sperma und andere Körperflüssigkeiten, Hautfette und -säuren (also Fingerabdrücke), aber auch Reifen- und Schmauchspuren detektiert werden. In Kombination mit der KI-gestützten Analysesoftware können mit dem von MATIS entwickelten System dem menschlichen Auge verborgene Spuren eines Verbrechens oder einer Straftat sichtbar gemacht werden –schnell, einfach und vor allem auch zerstörungsfrei.

Keine neue Idee –aber endlich anwendbar kompakt

In der forensischen Wissenschaft gab es in den vergangenen zehn Jahren diverse Bemühungen – unter anderem des US-amerikanischen National Institute of Justice – zur Entwicklung eines bezahlbaren und handlichen Multispektralanalyse-Systems für die Forensik. Doch den beteiligten Forschungseinrichtungen, darunter das New Jersey Institute of Technology, gelang es nicht, die Herausforderungen in puncto Gewicht, Kosten, Komplexität, Robustheit, Tragbarkeit und Benutzerfreundlichkeit zu lösen.

Das hat nun die MATIS SA geschafft. Das in der Schweiz entwickelte System ist leicht, kompakt und anwenderfreundlich. Zudem übertrifft es dank seiner leistungsstarken KIAnalysemethoden die bisherigen Möglichkeiten markant –womit es zum Gamechanger werden könnte. Eine zentrale Voraussetzung hierfür ist das Training der KI-Lösung, das bekanntlich jede Menge Daten benötigt, anhand derer die KI «erlernen» kann, wie das, wonach sie suchen soll, aussieht. Dazu kooperiert das Team der MATIS SA mit Spezialisten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich.

Entsprechend ist gut vorstellbar, dass Schweizer Forensiker in nicht allzu ferner Zukunft mit der Multispektralkamera am Tatort auftauchen werden – und Fingerabdruckpuder, Pinzetten, Klebestreifen und anderes Spurensicherungsmaterial an Bedeutung verlieren wird.

Younes Benmansour (Canon) und Sébastien Blanc (MATIS) stellten das Multispektralsystem am SPIK 2025 vor.
© MATIS / CSEM

Mehr Informationen sowie technische Spezifikationen erhalten Interessierte bei Sébastien Blanc, CTO der MATIS SA, Rue Jaquet-Droz 1, 2002 Neuchâtel, www.matis.art, sebastien.blanc@matis.art

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