BETON, STAHL UND BLECH: DIE HYPOTHEKEN DER ACHTZIGERJAHRE
Auf der Seite Neuwiesen überspannte ein geschwungenes, von einer Rampe umkurvtes Betonbrücklein die Rudolf strasse. Bäumchen und Sträucher sollten das Bauwerk verschönern, und in den Fussgängertunneln vermittelten Gussstücke die Tradition der damals vor dem Niedergang stehenden Industrie. Mehr als Kosmetik war das nicht, denn die Eingriffe ins Stadtbild waren massiv. Weil das Strassen niveau um zwei Meter abgesenkt werden musste, verlänger ten sich die Zufahrten um ein Vielfaches und verunklärten den natürlichen Terrainverlauf. War die alte Unterführung Zürcherstrasse als präziser Eingriff in die Physiognomie der Stadt lesbar gewesen, so präsentierte sich die neue Anlage als Verkehrsbauwerk, das den Massstab der Stadt sprengte. Die Fussgängerverbindungen waren zwar alle gewährleis tet, doch wer am Anfang falsch einfädelte, wurde mit langen Umwegen bestraft. Acrylglas und Blech bestimmen das Bild
Im Hinblick auf das Turnfest realisierte die Stadt mit dem Busbahnhof ein weiteres, seit Jahrzehnten verfolg tes Projekt. Das grosse Blumenbeet in Platzmitte wurde um gepflügt und an seiner Stelle eine breite Mittelinsel gebaut. Roter Porphyrstein, wie er damals en vogue war und schon die Fussgängerzone von Untertor und Marktgasse zierte, wurde auch auf den Busperrons und in der neu erstellten Fussgängerunterführung unter der Technikumstrasse ver legt. Über den Köpfen der Buspassagiere breiteten sich zwei in tonnenförmige Elemente aufgegliederte Dächer, die mit einem grossen Bogen die Achse des Untertors über den Bahnhofplatz hinaus verlängerten. «Die stark transpa rente Lösung unter Einbezug neuzeitlicher Formelemente trägt den komplexen Gegebenheiten des Standortes in op timaler Art und Weise Rechnung und entspricht auch den betrieblichen und technischen Bedingungen», schrieb das Tiefbauamt etwas gezwungen. Realistischer sah es der Tages-Anzeiger, der meinte, in einer Umfrage würden die Acrylglasdächer wohl nicht gut abschneiden; es sei schon tüchtig geschimpft worden. Das Winterthurer Tagblatt meinte kurz und bündig: «Die Faust aufs Auge.»
Neu waren am Busbahnhof nicht nur Boden und Dächer, sondern auch die westliche Platzfront. Das EPA-Gebäude aus den Dreissigerjahren – es wäre heute ein erstklassiges Baudenkmal – wurde um einen Anbau erweitert und mit einer braun eloxierten Blechfassade verunstaltet. Waren haus, Busbahnhof und Unterführung Zürcherstrasse, aber auch das Zentrum Neuwiesen und das Warenhaus Coop City (heute Manor) am Stadtgarten hatten eine grossstäd tische Allüre, in ihrer Gestaltung blieben sie jedoch im Pro vinziellen verhaftet. Die Grossbaustelle hat Verspätung
Während sich die Stadt aufs Turnfest heraus putzte, waren die Bauten der Bahn weniger spektakulär. Zu sammen mit dem Neubau der Unterführung Zürcherstrasse bauten die SBB die Perrons aus. Das neue Stellwerk sollte zunächst einen Neubau neben der Wülflinger Unterführung erhalten, doch schliesslich reduzierte die Bahn das Projekt. Sie beschränkte sich auf ein unterirdisches Relaisgebäude und brachte den Kommandoraum im Nordflügel des Auf nahmegebäudes unter. Für die Reisenden änderte sich wenig, in den Architekturund Ingenieurbüros hingegen nahm ein neuer Winterthu rer Bahnhof sehr wohl Gestalt an. So lief nicht nur die Pla nung am Parkhaus über den Gleisen weiter, sondern die SBB liessen 1986 auch ein Vorprojekt für den Umbau des Bahn hofsgebäudes mit Erweiterung Richtung EPA ausarbeiten. Als ordnendes Element schlug Architekt Ulrich Baumgart ner einen Korridor vor, der als Rückgrat Alt- und Neubau zu einer Einheit zusammenfassen sollte. Vom Aufnahmege bäude wären nur die Fassaden erhalten geblieben. Die inne re Struktur, die trotz zahlreicher Umbauten noch vorhanden war, hätte man geopfert. Das wäre dem Gebäude schlecht bekommen! Interessant war Baumgartners Ansatz hinge gen beim Neubau gegen die EPA. Dort zog er das Rückgrat hinter dem Warenhaus weiter bis zur Unterführung Zür cherstrasse. Gerade heute, nach dem Neubau der Gleisque rung (Seite 45), hätte dieses Konzept ein grosses Potenzial.
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Vorprojekt 1986, Erdgeschoss: Interessant – auch aus heutiger Sicht – ist der Neubauteil, der sich entlang des Perrons 3 entwickelt 1 . Vom Aufnahmegebäude 2 wäre hingegen nur die Hülle übrig geblieben. Gut, dass dieses Projekt nicht weiterverfolgt wurde.
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