Drei Holzhochhäuser zeigen, wie das Material den Bau von Ausdruck bis Zusammenleben prägt und was wir von diesen Konstruktionen lernen können.
prägen als Brise soleils die Fassade des H1 in Regensdorf.
Solarpanels
Inhalt
4 So geht Holzhochhaus
Wie funktionieren Statik und Brandschutz im Holzhochhaus ? Was kostet das ? Und woher kommt das viele Holz ?
6 Die Tektonik der Normen
Die Holz-Beton-Hybriddecke des Hochhauses I in Cham leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines 2000-Watt-Areals.
14 « Wir ersetzen damit stark armierten Beton »
Ingenieur Wolfram Kübler erläutert, wann Holzhochhäuser Sinn machen und wie sie Kosten und Energieverbrauch beeinflussen.
16 Die Geschichte der Holztürme
Hohe Häuser aus Holz und gewagte Holzkonstruktionen gibt es schon lange. Ein Blick in die Geschichte und auf einige Beispiele.
20 Bauen nach Taktplan
Mit Modulfassade, Stützenraster und Elementdecken lotet das Hochhaus H1 in Regensdorf die Grenzen des rationellen Bauens aus.
28 « Wir entwerfen mit den Brandschutz richtlinien »
Architektin Erika Fries und Ingenieur Luca Trachsler zeigen auf, wie der Brandschutz im Holzhochhaus auch ohne Sprinkler gelingt.
30 Bauteile im Porträt
Die interessantesten Bauteile der drei Hochhäuser detailliert beschrieben und illustriert.
34 Gemeinschaft konstruieren
Das Hochhaus Pi wird ein prägender Baustein in Zug werden. Die Konstruktion ermöglicht vertikale Nachbarschaften.
42 Die drei Hochhäuser in Zahlen
Konstruktion, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im Vergleich.
46 « Es ist mehr als genug Holz vorhanden »
Stephan Rüdlinger, Verwaltungsrat Fagus Suisse, über die Herausforderungen, eine grosse Menge Holz zu produzieren.
Lernen
vom Höhenrausch
Hoch, höher und noch höher. Ein höchstes Holzhochhaus löst in der Schweiz gerade das nächste ab. Das Rennen um die Höhe fasziniert. Doch interessanter ist die Frage: Was können wir von diesen Türmen lernen ?
Eine ganze Menge, wie uns die drei Wohnhochhäuser in diesem Heft zeigen: das Hochhaus I auf dem PapieriAreal in Cham, das H1 auf dem Zwhatt-Areal in Regensdorf und das Pi in Zug. Denn für ein hohes Holzhaus braucht es nicht nur viel Holz, sondern auch solide Brandschutzkonzepte, ausgeklügelte Tragwerke und neu kombinierte Materialien. Holz bestimmt nicht nur Ausdruck, Prozess und Ökologie, es beeinflusst auch, wie wir künftig in Hochhäusern wohnen werden.
Conrad Kersting besuchte das Haus auf dem PapieriAre al in Cham. Damaris Baumann sprach mit der Architektin Erika Fries und dem Ingenieur Luca Trachsler darüber, wie der Brandschutz ihren Entwurf beeinflusste. Deborah Fehlmann war mit Boltshauser Architekten in Regensdorf unterwegs und folgte der Spur des Holzes bis zu Fagus Suisse. Dort sprach sie mit Verwaltungsrat Stephan Rüdlinger über die Beschaffung und die Verarbeitung von grossen Holzmengen. Die Reportage über das Hochhaus Pi in Zug zeigt, wie eng Konstruktion und Gemeinschaft zusammenhängen. Wie diese Konstruktion genau funktioniert und warum Holz im Hochhausbau alles andere als verschwendet ist, erklärt der Ingenieur Wolfram Kübler im Interview mit Palle Petersen. Zwischen aller Innovation zeigt die historische Recherche von Elischa Bischof, dass hohe Holzkonstruktionen und Erfindungen im Holzbau schon immer zum Bauen gehörten.
Bauteilporträts mit kurzen Texten, illustriert von Janine Wiget, machen die interessantesten Bestandteile der drei Holzhochhäuser zugänglich. Saskja Rosset hat die drei Projekte fotografiert. Mirjam Kupferschmid
Dieses Themenheft / dieser Themenfokus ist eine journalistische Publikation, entstanden in Zusammenarbeit mit Partnern. Die Hochparterre-Redaktion prüft die Relevanz des Themas, ist zuständig für Recherche, Konzeption, Text und Bild, Gestaltung, Lektorat und Übersetzung. Die Partnerinnen finanzieren die Publikation, genehmigen das Konzept und geben ihr Einverständnis zur Veröffentlichung.
Impressum
Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Deborah Fehlmann, Roderick Hönig Redaktionsleitung Axel Simon Leitung Themenhefte Roderick Hönig Konzept und Redaktion Mirjam Kupferschmid, Palle Petersen Fotografie Saskja Rosset, www.saskjarosset.com Art Direction Antje Reineck Layout Lena Hegger Produktion Marion Elmer Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit Cham Swiss Properties, Pensimo Management AG und Tech Cluster Zug AG. hochparterre.ch / shop Themenheft in Deutsch bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen.
Text: Mirjam Kupferschmid
Illustration:
Wiget
So geht Holzhochhaus
Wie hält das ?
Das hängt von der Höhe des Hauses ab. Denn im Holzbau ändert sich das Tragwerk nicht erst beim Hochhaus, sondern schon nach ungefähr fünf Geschossen. Da Holz quer zur Faser nicht stark belastbar ist, dürfen Stützen ab dem sechsten Geschoss nicht mehr auf hölzernen Balken oder Decken stehen. Einen hohen Holzbau plant man darum mit durchgehenden Stützen. Und ändert damit die Knotendetails. Wie diese aussehen, zeigen die Bauteilporträts auf Seite 30. Knoten hin oder her, die Lasten nehmen mit jedem Geschoss zu. Bis etwa 50 Meter Höhe sind sie zusammen mit den Kräften im Erdbebenfall ausschlaggebend für die Dimensionierung des Tragwerks. Ab 50 Metern sind die Windlasten massgebend. Dann braucht es zusätzliche Massnahmen: einen grösseren Kern oder stärkeres, intelligenter gefügtes Material. Bis 150 Meter hohe Holzhochhäuser seien heute mit vernünftigen Querschnitten möglich, erzählt Ingenieur Wolfram Kübler im Interview auf Seite 14.
K ostet das nicht viel mehr ?
Wüest und Partner haben Antworten parat. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt werteten sie 2020 acht grosse Holzbauprojekte aus – und fanden Interessantes heraus: Die Baukosten waren im direkten Vergleich mit Massivbauten zwar leicht höher, das liege aber zumindest teilweise am Pioniercharakter der Projekte. Ausserdem war die Streuung der Kostenkennwerte bedeutend kleiner. Das heisst übersetzt: Der hohe Detaillierungsgrad in der Holzbauplanung verbessert die Kosten und Terminsicherheit.
Die Projekte im Heft zeigen weitere Vorteile, die besonders bei Hochhäusern ins Gewicht fallen. Beim Hochhaus Pi in Zug ist die dünne Holzdecke zwar fast doppelt so teuer wie eine Betonflachdecke. Doch über den ganzen Bau entstehen nur etwa fünf Prozent Mehrkosten. Denn die leichte Decke spart Material im ganzen Tragwerk bis zum Fundament. Dank Vorfertigung dürfte der Bau ausserdem sechs bis acht Monate schneller fertig sein als ein vergleichbarer Massivbau. Dass diese Rechnung oft aufgeht, zeigt das fertiggestellte H1 auf dem ZwhattAreal. Die Bauarbeiten starteten fast zeitgleich wie jene des Nachbarturms. Die Wohnungen im H1 sind schon diesen Sommer bezugsbereit, im Massivbau erst ab Herbst 2026. Und damit setzen auch die Mieteinnahmen über ein Jahr früher ein. Mehr über die beiden Hochhäuser ist auf Seite 20 und auf Seite 34 zu lesen.
Viele Holzarten werden saisonal geschnitten, so auch die Buche, auf die alle drei im Heft vorgestellten Projekte setzen. Doch nicht nur die Jahreszeit spielt eine Rolle, auch das Wetter beeinflusst den Holzschlag – gefrorene Böden helfen, viel Niederschlag nicht. Die zunehmend heissen Sommer setzen den Bäumen zu und können die Verfügbarkeit reduzieren. Nach dem Schnitt muss das Holz ausserdem mehrere Monate trocknen. Deshalb brauchen die holzverarbeitenden Betriebe Vorlaufzeit. Sie können nicht erst einkaufen, wenn ein Auftrag da ist, sondern planen immer eine Saison voraus. Wie Fagus Suisse diesen Herausforderungen begegnet und wieso es trotz allem genügend Holz in der Schweiz gibt, erzählt Verwaltungsrat Stephan Rüdlinger im Interview auf Seite 46.
Was passiert, wenn es brennt ?
Seit 2015 erlauben die revidierten Brandschutzvorschriften hölzerne Häuser mit mehr als 30 Metern Höhe. Mit nichtbrennbaren Bekleidungen geschützte Holzteile sind seither nichtbrennbaren Bauteilen gleichgestellt. Doch eigentlich soll man das Holz eines Holzhochhauses sehen können. Wer eine Sprinkleranlage installiert, kann den geforderten Feuerwiderstand für die tragenden Bauteile von 90 auf 60 Minuten reduzieren – so können die tragenden, linearen Holzbauteile sichtbar bleiben. Wer lieber ohne Sprinkler baut, muss kreativ werden und tüftelt zum Beispiel an einer ausgeklügelten Hybridkonstruktion. Wie Huggenbergerfries dies auf dem PapieriAreal lösten, steht auf den Seiten 6 und 28.
Und w as ist mit dem Klima?
Ein Hochhaus ist ein grosses und komplexes Haus. Dementsprechend verursacht es grosse Emissionen in der Erstellung –Holz hin oder her. Im Vergleich zu einem gleich hohen Massivbau bietet eine Holzkonstruktion jedoch einige Vorteile. Zum einen ist sie leichter. Dadurch spart sie Beton im restlichen Tragwerk und braucht weniger tiefe Fundamente. Ausserdem wird Beton nur dort eingesetzt, wo er seine Stärke ausspielt: im Untergrund und bei der Aussteifung, zum Beispiel als Treppenkern oder in den Holzbetonverbunddecken. Die Materialwahl gilt es für jedes Haus sorgfältig abzuwägen, da in umfangreichen Untergeschossen und Betonkernen viele der eingesparten Emissionen wieder investiert werden. Ein Vergleich von Konzepten und Konstruktionen der Hochhäuser findet sich auf Seite 42. Auch bei der Rückbaubarkeit gibt es keine einfachen Antworten. Hochleistungsholz ist – wie viele konventionelle Baustoffe – auf Tragfestigkeit, nicht auf Rückbaubarkeit optimiert. Auch wenn sich einzelne Verbindungen wieder lösen lassen, besteht heute noch keine Möglichkeit, verleimtes oder mit Beton vergossenes Holz ohne Downcycling im Materialkreislauf zu halten. Deshalb setzen die Planenden auf flexible Strukturen, um ihren Gebäuden eine möglichst lange Lebensdauer zu ermöglichen.
Die Tektonik der Normen
Das Hochhaus auf dem Papieri-Areal in Cham wird durch sein Hybridtragwerk geprägt. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des 2000-Watt-Areals.
Text: Conrad Kersting
Das Papieri-Areal im Norden der Gemeinde Cham ist von einer fast 400-jährigen Industriegeschichte geprägt. Ab dem 17. Jahrhundert drehte hier die Lorze Wasserräder an, zunächst für eine Papiermühle, später für eine industrielle Papierfabrik. Seit der letzte Betrieb 2015 ins Ausland verlegt wurde, stehen die Räder still, und das etwa elf Hektar grosse Areal befindet sich in einer Transformation zu einem nachhaltigen Wohn- und Arbeitsquartier für mehr als 3000 Menschen.
Der 2014 von Boltshauser Architekten zusammen mit Albi Nussbaumer entwickelte Bebauungsplan nimmt die unter Schutz stehenden historischen Industriebauten entlang der Lorze zum Ausgangspunkt der Planung. Diese wer den am östlichen und westlichen Rand des Areals durch zweireihige Zeilenbauten ähnlicher Körnung ergänzt. Im Schwarzplan wirken diese grossmassstäblichen Riegel wie angeschwemmtes Treibholz – sie definieren die seitlichen Grenzen des neuen Quartiers und stellen zugleich Bezüge zum Naturraum und zu den benachbarten Lagerhallen her. In ihrer Mitte treten locker gesetzte Punkthochhäuser in einen Dialog mit den freistehenden Bestandsbauten, wie dem kräftigen Kesselhaus am Eingang des Areals. Die Hochhäuser sorgen für eine vertikale Verdichtung und schaffen eine fliessende Verbindung zwischen dem gewachsenen Dorfkern im Süden und dem angrenzenden Naturraum im Norden.
Von Flusskraft und Kraftflüssen Huggenbergerfries Architekten gewannen 2020 den Studienauftrag für eines der zwei zentral gelegenen Wohnhochhäuser der zweiten Etappe auf dem Areal. Das Programm des 46 Meter hohen Gebäudes sah Eigentumswohnungen mit drei bis fünf Zimmern, Gewerbeflächen und eine Kita vor. Gemeinsam mit den Ingenieuren von Synaxis entwickelten die Architektinnen einen hybriden Skelettbau, bei dem – so die Theorie – jedes Material nach seinen spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten eingesetzt wird.
In den 13 Obergeschossen lagern je 11 Zwillingsträger aus verleimtem Buchenholz auf vorgefertigten Stützen aus dunklem Beton. Die hölzernen Trägerpaare sind parallel angeordnet und gliedern den Bau in zehn Felder geringer Spannweite. Die darüber gespannte Holz-Be tonHybriddecke setzt sich aus einer 12 Zentimeter dicken Fichten-Sperrholzplatte und einer 13 Zentimeter s chlanken Schicht aus bewehrtem Überbeton zusammen. Sie übernimmt neben der nötigen Tragkraft auch den Schallschutz und bringt thermische Masse ins Gebäude ( siehe Bauteilporträt, S. 30 ).
Das Haus kommt auf Wunsch der Bauherrschaft ohne Sprinkleranlage aus. Dies gelingt, weil die Holzelemente der Deckenkonstruktion im Brandfall statisch nicht relevant sind. Was im ersten Moment absurd klingt, macht bei näherer Betrachtung durchaus Sinn. Die für die statische Berechnung angenommenen Normallasten beinhalten hohe Sicherheitsfaktoren. Im Brandfall jedoch gelten andere Grenzwerte, so reduziert sich etwa der Sicherheitsfaktor für die Verkehrslasten von 150 auf 30 Prozent.
Zwischen den Zwillingsträgern sind die vorfabrizierten Betonstützen kraftschlüssig mit dem Überbeton verbunden. Wenn es brennt, wird das Holz-Beton-Hybridtragwerk auf dem Papier zu einem reinen Betonbau mit nichtbrennbaren Stützen und Decken. Für die Berechnung der Normallasten kann durch die Elemente aus Holz die Stärke des benötigten Betons signifikant reduziert
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An der Stirnfassade zeigt sich die Ausrichtung des Tragwerks.
Das Hochhaus fasst den neuen Siloplatz in der Arealmitte.
werden. Die Zwillingsträger sind also nicht nur das Ergebnis einer gestalterischen Formfindung, sondern viel mehr eine präzise und durchdachte Antwort auf die geltenden Brandschutzanforderungen.
Tektonik und Typus
Das Hybridtragwerk prägt den Bau vom Detail über die Wohnungen bis in den Ausdruck. Im überhohen Sockelgeschoss springt die Fassadenflucht allseitig zurück und spielt die äusserste Stützenreihe frei. An den Stirnseiten wird dieser Rücksprung raumbildend zur grosszügigen Kolonnade ; F reitreppen verbinden das Strassenniveau mit der Arealmitte. Eine Gewerbeeinheit und eine Kita beleben diesen Raum und verleihen ihm eine angemessene Öffentlichkeit. Fein detaillierte Betonträger nehmen das Motiv der Holzträger aus den Obergeschossen vorweg und rhythmisieren die Decke. Sie ragen an den Längsseiten über die Fassadenebene hinaus, treten in Beziehung mit den darüber emporwachsenden Balkonen und zelebrieren das Abtragen der Kraftflüsse.
Der Haupteingang orientiert sich zu einem von Bäumen verschatteten Siloplatz im Zentrum des Areals. Mittig angeordnete Glastüren führen in die grosszügig bemessene Eingangshalle. Eine Reihe freistehender, überhoher Stützen durchmisst die Tiefe des Grundrisses und leitet den Blick aus der Halle zum Liftvorraum und, über die dahinterliegende Kaskadentreppe, hinauf zum Niveau der westlichen Ringstrasse. Ein auberginefarbenes, fein onduliertes Blech und Schreinerarbeiten in Eiche schaffen in den Erschliessungsräumen einen durchgehenden Horizont und sorgen für einen wohnlichen Charakter, ohne das industrielle Umfeld aus den Augen zu verlieren.
Tanzende Stütze
Die zwölf Regelgeschosse sind als effiziente Fünfspänner organisiert. Vier grössere Wohnungen mit drei bis fünf Zimmern belegen die Gebäudeecken, während an den Längsseiten je eine kompakte Maisonettewohnung untergebracht ist. Die Materialisierung des Erdgeschosses setzt sich im betonierten Treppenhaus und auf den Vorplätzen fort. Kühl schimmernde Glasbausteine filtern Tageslicht bis in die Mitte des Hauses und werfen Schatten auf die feinen Blechbekleidungen. Deckenleuchten markieren die Wohnungseingänge und verleihen ihnen, trotz der Grösse des Hauses, einen intimen Charakter. Sein hölzernes Unterkleid zeigt das Haus erst, wenn sich die Türen zu den Wohnungen öffnen.
Vom angenehm schummrigen Vorplatz fächern sich die vier grossen Wohnungen in Richtung der Gebäudeecken stufenartig auf. Einen kurzen Moment müssen die Augen sich an die Helligkeit gewöhnen, während der Blick sich die vorspringenden Innenwände entlang bis an die Fassaden tastet. Helle Nadelholzdecken, rötlich-braune Buchenholzträger und fein texturierte Betonstützen verleihen den weiss verputzten Wohnungen Charakter. Die hölzernen Trägerpaare gliedern den Raum rhythmisch, während die dunklen Betonstützen plastisch vor dem Weiss hervortreten. In den hellen Wohnküchen am Ende der Erschliessungskaskade geben raumhohe Fenster den Blick in zwei Himmelsrichtungen frei.
Trag- und Wohnstruktur bedingen dabei einander. Die zehn Tragfelder definieren ebenso viele Raumschichten, und die kräftigen Holzunterzüge geben die Positionen der Querwände vor. Entlang der Fassaden befinden sich die kompakten Schlafzimmer, an den Ecken liegen die Wohnräume und in der unbelichteten Tiefe die Bäder. Zwischen zwei Trägerpaaren drückt sich die Loggia leicht in die Fassadenflucht hinein und zoniert selbstverständlich
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führen in die grosszügig bemessene Eingangshalle.
Glastüren
Im Sockelgeschoss nehmen Betonträger das Motiv des Hybridtragwerks vorweg.
Küche und Wohnraum. Das lineare Tragraster erlaubte es den Architekten, sich vom Diktat eines starren Systems zu lösen. Die Stützen folgen nicht einem Raster, sondern reagieren auf die jeweiligen Grundrisse – sie tanzen aus der Reihe. Leicht gegeneinander versetzt, treten sie nicht als rationale Knotenpunkte auf, sondern verleihen den Räumen eine unerwartete Dynamik.
Eine zweigeschossige Loggia nimmt die volle Wohnungstiefe der einseitig nach Osten oder Westen orientierten Maisonettetypen ein. Sie erstreckt sich schluchtartig von der Fassade bis zum Treppenkern. Eine mit Treppenlift nachrüstbare und deshalb übergrosse Stahlspindeltreppe verbindet das Wohngeschoss im unteren Teil mit den Schlafräumen im oberen und drückt sich als gläsernes Halbrund in die Loggia. Der spektakuläre Aussenraum, halb Terrasse, halb Baulücke, kompensiert die einfache Orientierung dieser Wohnungen, die das Angebot um einen ungewöhnlichen Typus zwischen Studio und Townhouse b ereichern.
Steinerne Leichtigkeit
Wohnungen fächern sich von der dunklen Mitte stufenartig ins Helle auf.
Die
Die Stützen folgen keinem Raster, sie reagieren auf den Grundriss.
An den Längsseiten verbindet sich eine vorgelagerte Balkonschicht mit den Loggien zu differenzierten Aussenräumen. Teilweise über zwei Geschosse geführt, ermöglichen die Balkone überraschende Blickbezüge: zum See, in die Landschaft oder zu den Nachbarn auf anderen Etagen. Metallrohre markieren die äussersten Punkte der Tragachsen und fassen die Balkone über die gesamte Gebäudehöhe zu einem räumlichen Filter zusammen. Sie erzeugen das Bild einer vom Dach abgehängten Struktur. Sie überträgt die innere Tektonik mit der klaren Tragrichtung aber nur symbolisch in die Fassade. Zwar stellt das Auge intuitiv eine Verbindung zwischen dem tragenden Holzraster und der Gliederung der Balkone her, diese sind jedoch nur vorgehängt ; die Rohre halten le diglich die Geländer. Ein direktes Durchstossen der Holzträger durch die Fassadenebene s cheiterte an den Brandschutzvorgaben.
Die Komposition aus ein- und zweigeschossigen Balkonen und Loggien sowie aus den tief eingeschnittenen Aussenräumen der Duplexwohnungen verleiht den Längsfassaden eine mehrschichtige Tiefe, bricht das konventionelle Zimmer-Fenster-Raster auf und überführt es in eine grössere, plastischere Ordnung. Die rötlich gestrichenen Balkonuntersichten verleihen den Aussenräumen eine angenehme Wärme, ohne dass das Haus seine monochrome Fernwirkung verliert.
Die flachen Stirnfassaden betonen die Ausrichtung von Tragwerk und Grundriss. Leichte Faserbetonelementen mit sichtbaren Fugen verkleiden die geschlossenen Teile der Fassade und schaffen Bezüge zu den metallenen Hüllen und den mineralischen Fassaden der benachbarten Industriebauten. Die raumhohen Fenster werden zu Bändern zusammengefasst und betonen die Vertikalität. Damit reagiert das Haus auch auf die städtebauliche Disposition aus dem Bebauungsplan und verhält sich parallel und senkrecht zum Fluss bewusst unterschiedlich.
Die Kraft der Struktur
Die Cham Swiss Properties plante und vermarktete die 61 Wohnungen von Beginn an als Eigentum. Das findet bereits in der Entscheidung gegen eine Sprinkleranlage seinen Ausdruck und prägt über die daraus resultierende Konstruktion den Entwurf bis in die Grundrisse. Im Innenausbau und bei der Materialisierung konnten – wie bei solchen Projekten üblich – die Käufer ihre eigenen Wünsche einbringen. So reichen die Böden von Fischgratparkett über Dielen bis hin zu Zementterrazzo. Bei den Grundrissvarianten fanden gerade die raffinierteren
« Als Nachhaltigkeitsp artnerin begleiteten wir die Cham Swiss Properties bei der Bilanzierung und der Optimierung der einzelnen Gebäude auf dem Weg zur 2000-WattAreal-Zertifizierung. Dabei sticht das Wohnhochhaus I durch seine innovative Holz-Beton-Hybridbauweise hervor. Da wir das gesamte Areal begleiten durften, bot sich uns die seltene Gelegenheit, das von Huggenbergerfries entworfene Hochhaus mit einem auf demselben Areal realisierten Wohnhochhaus in klassischer Massivbauweise zu vergleichen. Dabei zeigte die Bilanzierung, dass die Hybridkonstruktion mit Buchenholzträgern und HolzBeton-Verbundde cken gegenüber der herkömmlichen Betondecke beim Vergleichsbau etwa 30 Pr ozent an grauen Treibhausgas-Emissionen einspart. Etwas überrascht waren wir jedoch, dass die Bilanz über das gesamte Gebäude am Ende nur knapp unter jener des Vergleichsobjekts lag. Gründe dafür sind der grosse Anteil der zusätzlichen Massnahmen für Brand- und Schallschutz und die thermische Behaglichkeit. Unter dem Strich konnten wir mit dem Hochhaus, wie auch auf dem gesamten Areal, die angestrebten Zielwerte nach SIA 2040 einhalten. Man könnte also sagen: Das optimierte Deckensystem hat hier gewisse Spielräume, etwa den hohen Glasanteil in der Fassade, erst eröffnet. »
Matthias Schlegel, Amstein + Walthert AG, Nachweis 2000-WattKompatibilität und Treibhausgas-Bilanzierung
Immobilien entwickeln
« Als Immobilienentwicklerin denken wir gerne in der Balance von Standbein und Spielbein: Mit bewusst kalkulierten Risiken schaffen wir Freiräume für Innovationen und Experimente. Auf dem Papieri-Areal konnten wir erstmals ein Holzhochhaus realisieren. Dabei wollten wir ausloten, was im Holzbau heute möglich ist – ohne dabei die Wirtschaftlichkeit aus dem Blick zu verlieren. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung für eine hybride Konstruktion, die ohne Sprinkleranlage auskommt. Die von den Architekten und Tragwerksplanerinnen entwickelte Hybriddecke mit Zwillingsträgern reagiert präzise auf diese Anforderungen: Sie eröffnet architektonische Spielräume bei Grundrissen und Fassaden, ohne die strengen CO2Grenzwerte der SIA 2040 zu überschreiten. Für die beiden Hochhäuser im vierten Bauabschnitt setzen wir nun wieder auf Massivbau, dies vor allem wegen der aktuell einfacheren Realisierbarkeit. Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Nachhaltigkeitsziele aus den Augen verlieren: Die Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft erreichen wir bei diesen Projekten mit einer Kombination aus flächeneffizienten Grundrissen, kompakter Abwicklung, schlanker Betondecke und CO2-reduziertem Zement. » Lukas Fehr, Cham Swiss Properties, Leiter Entwicklung
Gesamtbau leiten
« Als Totalunternehmerin übernahm die Firma Anliker die G esamtbauleitung im Projekt. Im Vergleich zu einem klassischen Massivbau waren die Abläufe auf der Baustelle wegen der hybriden Konstruktion deutlich komplexer: Zuerst wurde der Treppen- und Liftkern über die volle Höhe betoniert. Danach errichtete der Holzbauer ein bis drei frei tragende Geschosse aus Betonfertigteilstützen, Buchenholzträgern und Brettsperrholzdecken. Nach der Holzelementdecke mussten zunächst die auskragenden Balkone in Ortbeton erstellt werden, damit man das Fassadengerüst als Absturzsicherung für das Aufrichten der nächsten Geschosse hochziehen konnte. Zuletzt wurde der 13 Zentimeter starke Überbeton eingebracht, der die ges amte Konstruktion kraftschlüssig verbindet. Die Bauweise ermöglichte zwar eine gewisse Unabhängigkeit vom Wetter, da Beton- und Holzarbeiten separat ausgeführt werden konnten. Gleichzeitig führte sie auch zu einigen zusätzlichen Zwischenschritten: Um die sichtbaren Holzdecken zu schützen, brauchte es zum Beispiel ein Notdach, das oberhalb des höchsten Geschosses mitwanderte. Und weil der Baufortschritt das übliche Arbeiten von oben nicht zuliess, mussten wir die Bewehrungen für die Betonschicht seitlich über die Fassade ins Gebäudeinnere heben. Das war auch für uns ein Stück Neuland – aber genau darin lag auch der Reiz. Dank einer präzis en Planung und der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten konnten wir den Rohbau ein Jahr nach Fertigstellung des Kerns abschliessen. » Othmar Barmettler, Oberbauleiter, Anliker AG
Lösungen der Architekten, die etwa Gäste-WC und Bad zu einem durch Schiebetüren getrennten Durchgangsbad verbanden, kaum Interessenten ; zu gross scheint die Schwerkraft der Konvention. En-Suite-Bäder und Kücheninseln bevölkern die Wohnungen und verdeutlichen, dass das Projekt kein manifesthafter Genossenschaftsbau ist, sondern den Gesetzen des Marktes unterliegt.
Dennoch entfaltet das Haus gerade in diesen Momenten seine Kraft und erweist sich als äusserst robust: Die ausgefeilte Hybriddecke steht wortwörtlich über diesen Dingen ; die wohldurchdachten Grundriss e, die räumliche Idee der Staffelung und ihre Artikulation durch die tanzenden Stützen sind kräftig genug, um den Wohnungen einen eigenständigen, zeitgemässen Charakter zu verleihen, der sie entschieden vom Einheitsbrei des Wohnungsmarktes abhebt.
Eine Geschichte mit Zukunft
Das Hochhaus auf dem Papieri-Areal ist Teil eines grösseren städtebaulichen und energetischen Versuchs. Die Cham Swiss Properties entwickelt das Quartier zum ersten 2000-Watt-Areal im Kanton Zug – eine Vorgabe, die nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die graue Energie der Gebäude berücksichtigt. Erdsonden und eine thermische Aktivierung des Flusswassers regulieren den Wärmehaushalt, und ein eigens im Quartier errichtetes Wasserkraftwerk setzt die Geschichte der Wasserkraft auf dem Areal fort. Am Ende soll das Quartier 75 Prozent seines Energieverbrauches selbst produzieren.
Die Neubauten folgen den strengen Richtlinien der SIA 2040, auch das Hochhaus von Huggenbergerfries. Besonders die Holz-Beton-Hybriddecke leistet dabei einen substanziellen Beitrag: Sie allein reduziert die Menge grauer Energie im Rohbau gegenüber einer konventionellen Decke um rund 30 Prozent. Doch die Bemühungen um räumliche Vielfalt und tektonische Ausdruckskraft bleiben nicht ohne energetische Kosten. Der hohe Glasanteil und die differenzierte Fassadengestaltung mit ihren zahlreichen Vor- und Rücksprüngen, Loggien und Balkonen schluckt einen Grossteil der eingesparten grauen Energie. Dennoch ist das Resultat alles andere als ernüchternd: Das Gebäude erreicht trotz einiger gestalterischer Kraftakte die strengen Nachhaltigkeitsvorgaben und zeigt, dass anspruchsvolle Architektur, ökonomische Abwägungen und ökologische Verantwortung kein Widerspruch sein müssen.
Mit der ebenso überraschenden wie pragmatischen Hybridkonstruktion entwickelten die Planer und die Architektinnen in Cham ein Hochhaus, das sowohl die verwinkelten Korridore der Brandschutzverordnung ausleuchtet als auch die Möglichkeiten zeitgemässen Holzbaus innerhalb der Bedingungen des Marktes erforscht. Die tektonische Idee, die sich durch das gesamte Gebäude zieht, wird dabei zum sorgfältig austarierten Balanceakt zwischen Konstruktion, räumlicher Idee und den realen Bedingungen des Bauens. ●
Einund zweigeschossige Balkone und Loggien verleihen den Längsfassaden Tiefe.
In den hellen Wohnküchen schweift der Blick in die Ferne.
Wir müss en nicht Holz maximieren, sondern Zement minimieren »
Ingenieur Wolfram Kübler baut zwei Schweizer Holzhybrid-Hochhäuser. Er ist üb erzeugt, dass Holz in Türmen keine Verschwendung sei. Zumindest, wenn man ohne CLT-Decken baut.
Interview: Palle Petersen
Für die Feuerpolizei beginnt ein Hochhaus bei 30 Metern. Was sagt der Ingenieur ?
Wolfram Kübler: Im B etonbau verändert sich das Tragwerk erst ab 50 Metern relevant. Grundsätzlich addieren sich die vertikalen Lasten linear Geschoss für Geschoss. Bis zu 50 Metern sind Erdbeben massgebend, und die für zunehmende Vertikallasten nötigen Dimensionen genügen, um das Haus auszusteifen. Die Beanspruchung durch Windlasten dagegen steigt exponentiell mit der Höhe und rückt bei Häusern über 50 Metern in den Vordergrund. Dann muss man den Kern vergrössern, braucht besseres Material und intelligentere Tragwerkskonzepte. Fazlur Khan, die US-Ingenieur-Ikone der 1970er-Jahre, nannte das den « premium for height ».
Gilt das auch für den Hochhausbau mit Holz ? Ja, allerdings geht es dabei um das Konzept des Tragwerks. Konstruktiv muss sich der Holzbau schon ab fünf Geschossen verändern. Holz ist anisotrop, das heisst, es verhält sich je nach gewählter Richtung anders. In Richtung der Fasern ist Holz viel stärker als senkrecht dazu – wie ein Bündel Strohhalme. Ab fünf Geschossen kann man die Stützen wegen Quetschkräften nicht mehr auf die Balken oder Holzdecken stellen. Sie müssen vertikal durchlaufen, was sämtliche Details und Knoten verändert.
Ab 50 Metern bestimmen die Windkräfte, ab 80 bis 90 Metern ist es die sogenannte Kopfbeschleunigung. Wie kann man sich das vorstellen ?
Prinzipiell ist ein Hochhaus ein unten eingespannter Kragarm. Wie ein Baum, der sich im Wind biegt. Baut man nun leicht – konkret: ein gewichtsoptimiertes Holzhochhaus –, dann wird die Beschleunigung in den oberen Geschossen dominant. Im Endeffekt geht es da um den Nutzerkomfort. Wir können auch bei hohem Tempo entspannt im Zug lesen, relevant ist die Veränderung der Geschwindigkeit, mit der ein Turm sich im Wind hin und her wiegt.
Alle drei Türme in diesem Heft brauchen auch reichlich Stahl und Beton. Was also macht das Holzhochhaus zum Holzhochhaus ? Nach gängiger Definition bewältigt ein Holzhochhaus die Aussteifung komplett in Holz. Mit vernünftigen Querschnitten ist das bis etwa 120 oder 150 Meter vorstellbar und erst seit wenigen Jahren überhaupt möglich – dank Hochleistungsbaustoffen und robuster Hochleistungsverbindungen. Diese haben ihren Ursprung im Stahl- und Betonbau. Beim Pi ( s. S. 34 ) hab en wir Gewindestangen an den Kreuzungspunkten und Stützen der Rahmentragwerke eingeklebt. Das stammt eins zu eins aus der Betonvorfabrikation. Im Übrigen ist keines der drei Hochhäuser in diesem Heft ein echtes Holzhochhaus. Pi sollte eines werden, doch bewegen wir uns in der langen Projektdauer zunehmend auf einen Kompromiss zu.
Beim Pi gibt es zwei Rahmenkonstruktionen. Die äussere liegt in der Fassadenebene, die innere in der Ebene der Wohnungstüren. Ihr schreibt, das System ‹ tube in tube › wurde um ‹ truss frames › ergänzt. Was heisst das für einen Nicht-Ingenieur ? Anfangs gab es zwei konzentrische Gitterwerke aus Baubuche, und der Aussenrahmen übernahm etwa 70 Prozent der Stabilisierung. Dann haben sich die Preise von Furnierschichtholz aus Buche fast verdoppelt. Auf der Suche nach Lösungen merkten wir, wie interessant es ist, Systeme mit verschiedenen Biegelinien zu kombinieren, und wechselten innen auf Fachwerke mit Diagonalen. Nun verhalten sich die Systeme umgekehrt: Unter extremer Belastung biegt sich der äussere Rahmen unten und bleibt oben eher rechtwinklig. Der innere dagegen bleibt unten rechtwinklig und biegt sich oben wie ein Baum. Das ergänzt sich ideal, und beide Rahmen sind über die Decken verbunden. Über die Querschnitte, die Steifigkeiten und die Verbindungen lässt sich deshalb kontrollieren, welcher Rahmen welchen Anteil der Stabilisierung übernimmt. Aktuell sind es aussen bloss noch 40 und innen 60 Prozent. So können wir im Aussengitter, vor allem in den horizontalen Riegeln, auf Fichte wechseln, die leichter und günstiger ist.
Bei den Erschliessungskernen und dort, wo das Hochhaus sich nach oben hin verbreitert, kommt Beton zum Einsatz. Wäre das auch mit Holz machbar gewesen ? B ei den Treppenhäusern macht das keinen Sinn. Da stellen wir einfache Betonfertigteile aus 18 Zentimeter dünnen, selbsttragenden Wandelementen übereinander statt der sonst bei Betonkernen üblichen 30 bis 60 Zentimeter. Da man im Fluchtbereich Holz nicht auf Abbrand dimensionieren darf, sondern mit Gipsplatten einkapseln muss, wären Alternativen aus Holz nicht einmal ökologischer gewesen. Bei den Versprüngen in der Vertikalen ist es etwas komplizierter. Da wirken jeweils drei Decken zusammen als Ring. Die obere ist auf Zug belastet, die untere auf Druck. Diese Kräfte aufzunehmen, wäre mit aufwendigen Verbindungen zwar möglich, aber angesichts der Belastung senkrecht zu den Fasern weder sinnvoll noch ökonomisch. Darum verwenden wir hier Stützen aus Beton, die die Decken zusammenspannen. Eine Holzverbundflachdecke verbindet die Gitterrohre kraftschlüssig. In einem Innosuisse-Projekt entstanden, wird sie beim Hochhaus Rocket in Winterthur, das ihr plant, erstmals eingesetzt. Was ist die Erfindung ? Die D ecke besteht aus einer dünnen Holzwerkstoffplatte zuunterst und einer 9 Zentimeter schlanken Betonplatte zuoberst. Dazwischen verbinden Stahlrohre in der Schüttungsebene beide Platten. Dadurch wirkt das System zweiachsig und ist steifer, was einige Vorteile hat: Erstens ist die Grundrissgestaltung generell flexibler. Zweitens kann die Decke über Wohnungstrennwänden durchlaufen, ohne den Schall zu übertragen, was verschiedene Layouts auf verschiedenen Geschossen erlaubt. Drittens ist der Aufbau schlanker. Heutige Holzdeckensysteme sind dicker als Stahlbeton, und bei einem Hochhaus wie Pi kostet das in der Summe zwei bis drei Geschosse. Verständlicherweise ist das für Investorinnen ein Nachteil. Viertens spart die Decke Material und damit Gewicht sowie Emissionen. Bei höheren Spannweiten gilt das umso mehr, denn die Holz- und Betonplatten bleiben gleich dick, nur die Stahlrohre werden länger. Zusammengefasst kann man sagen: Die Decke ist da stark, wo sich die Betonflachdecke durch ihr Gewicht und ihre Emissionen selbst ein Bein stellt. Sie macht Sinn bei hohen Häusern mit Spannweiten ab 7,5 Metern und unterschiedlichen Nutzungslayouts. Für alle anderen Anwendungen gibt es günstigere Lösungen. Sprechen wir also über Geld und das Klima: Wie viel CO2 spart die Decke, und wie viel mehr kostet sie ? Was macht das auf das gesamte Tragwerk und Haus aus ? B ei gleicher Spannweite ist die Decke fast doppelt so teuer wie eine Betonflachdecke, aber auch 35 Prozent leichter und 35 Prozent emissionsärmer. Der Vergleich auf Bauteilebene ist allerdings wenig aussagekräftig, denn einerseits hat das geringere Gewicht relevante Auswirkungen auf die gesamte Vertikalstruktur inklusive Fundationen, andererseits erlaubt das System flexible, variable Grundrisse. Auf das gesamte Tragwerk bezogen landen wir bei etwa 15 Prozent Mehrkosten für 45 Prozent weniger graue Emissionen. In Bezug auf das ganze Haus betragen die Mehrkosten nur noch 5 Prozent für rund 30 Prozent weniger Emissionen – und notabene eine über sechs bis acht Monate kürzere Bauzeit. Das zeigt klar: Im Tragwerk liegt der grösste Hebel, hier ist das Geld für den Klimaschutz am besten investiert. Wir sind beim Pi übrigens auf Kurs für 7 bis 8 Kilo CO2-Äquivalente pro Quadratmeter und Jahr. Das ist für Regelbauten ein guter Wert, für ein Hochhaus ist er fantastisch – und nur möglich, weil wir bloss 36 Parkplätze für 183 Wohnungen bauen, also kaum emissionsintensive Untergeschosse haben.
Mittlerweile wissen wir auch: Die Klimawende ist ohne Zirkularität nicht zu haben. Der Holzbau gilt als prädestiniert für reversible und reparierbare Konstruktionen. Im Idealfall lässt er sich komplett zerlegen und andernorts wieder aufbauen. Auch dieser ? Nein, das gilt hier deutlich weniger. Beim Pi sind die Kräfte zu gross für lösbare Holzverbindungen. Das Problem ist das spröde, schlagartig auftretende Versagen von Holz senkrecht zur Faser. Wir müssen deshalb Verbindungen aus dem Stahl- und Stahlbetonbau einsetzen, die kontrolliert vor dem Holz ins Fliessen kommen. Das macht Sinn, denn mit mehr Kontrolle kann man die Sicherheitswerte und damit die Holzquerschnitte reduzieren. Und darum geht es letztlich: Wir müssen mit möglichst wenig Holz pro Gebäude möglichst viel Zement ersetzen. Der Preis dafür sind zwar aufwendige und wenig zirkuläre Verbindungen, b eim Pi etwa die eingeklebten Gewindestangen. Aber es ist doch so: Je kürzer ein Gebäude steht, desto wichtiger ist die schadlose Rückbaubarkeit. Doch je länger ein Gebäude steht, desto wichtiger sind robuste Verbindungen. Ein Hochhaus ist kein Provisorium, und beim Pi gibt es ausser den zwei Gitterrohren keine tragenden Wände. Auch das ist Zirkularität: ein Haus, das sich anpassen lässt, das hundert Jahre und länger hält. Im Pi stecken 5000 Kubikmeter Holz. Das sind etwa 3000 Bäume, also ein 100 Meter breiter und 500 Meter langer Wald. Nun ist Holz eine beschränkte Ressource. Wäre es da nicht sinnvoller, das Holz in normalen Regelbauten mit kleineren Querschnitten einzusetzen ? Ganz im Gegenteil. In einem Holzhochhaus wie Pi verdrängen wir mit derselben Menge Holz am meisten Zement. Bei grossen Spannweiten können wir 28 Zentimeter Beton mit 6 bis 8 Zentimetern Beton und ein paar Stahlrohren ersetzen. Beim Kern können wir den Beton- und Stahlbedarf halbieren. Wir brauchen relevante Mengen von Hochleistungsholz, das stimmt. Aber wir ersetzen damit stark armierten Hochleistungsbeton mit hohem Zementgehalt. Bei einem normalen Mehrfamilienhaus ersetzt eine Holzbetonverbunddecke mit 10 bis 12 Zentimetern Holz und 16 Zentimetern Beton eine Betondecke von 18 bis 20 Zentimetern. Das scheint mir weitaus fragwürdiger. Trotzdem sollten wir sparsam mit Holz umgehen. Die vielen « mass timber towers », die weltweit, aber auch in der Schweiz entstehen, stimmen mich skeptisch. Einverstanden. In einer frühen Phase haben wir das Rocket in Winterthur mit der typischen « mass timb er »-Bauweise durchgerechnet – stabilisierender Betonkern, massive CLT-Decken et cetera. Ein solches Haus braucht dreimal mehr Holz, verursacht mehr Emissionen und ist nicht einmal günstiger. Es ist mir schleierhaft, warum immer noch so gebaut wird. Im Grunde ist CLT wie Beton: einfach, aber eigentlich eine Verschwendung. ●
Wolfram Kübler ( 48 ) is t Co- Geschäftsleiter und Partner beim Zürcher Ingenieurbüro WaltGal marini. Zurzeit arbeitet der Bau- und Energie ingenieur an mehreren Pionierprojekten mit Holz, Lehm oder Beton mit Zementsubstituten, etwa in der Siedlung Burkwil mit Duplex Architekten oder beim Pavillon Manal mit Stefan Wülser, Oxara und Kibag.
Seit jeher bauen wir Türme aus Holz. Ein Streifzug durch die Geschichte zeigt, wie eng diese mit technischen Innovationen und der Verfügbarkeit von Material verknüpft sind.
Text: Elischa Bischof
Brettschichtbindern und Verbunddecken
Gründe, mit Holz in die Höhe zu bauen, gab es lange vor der Klimakrise. Bereits Vitruv berichtet in seinen ‹ Zehn Büchern über Architektur ›, wie die Griechen vorgefertigte Holzmodule für den schnellen Bau von Belagerungstürmen einsetzten. Über Nacht errichteten sie – unbemerkt vom Feind – vor dessen Stadttoren bis zu zwanzig Ge schosse hohe Türme.
Während heute vor allem die vergleichsweise geringen CO₂Emissionen für Holztürme sprechen, waren es über Jahrhunderte hinweg hauptsächlich pragmatischkonstruktive Gründe, die Holz zum bevorzugten Material für den Bau in die Höhe machten. Ob für hohe Wohnhäuser, Kirchen, Leuchttürme oder Radioantennen – Holz war vielerorts leicht verfügbar, liess sich mit einfachen Werkzeugen bearbeiten und bot bei geringem Eigengewicht eine hohe Tragfähigkeit.
Handwerkliche Holzverbindungen
Holztürme vor
Die ältesten erhaltenen Holztürme stehen in Ost und Südostasien. Bereits ab dem 6. Jahrhundert entstanden in Japan mehrgeschossige Skelettbauten aus Holz, etwa die 55 Meter hohe Pagode des Tō jiTemp els in Kyoto, ein Turm zur Aufbewahrung der sterblichen Überreste buddhistischer Mönche. Die durchgehenden Stützen leiten die Lasten effizient ab, die ausgeklügelten Holzverbindungen zwischen Balken und Stützen verleihen der Konstruktion eine bemerkenswerte Dehnbarkeit. So hielten die Türme über Jahrhunderte selbst schweren Erdbeben stand. In Europa entstanden ähnlich ausgereifte Holzkonstruktionen bedeutend später. Der Blockbau war seit der Jungsteinzeit bekannt und prägte über Jahrhunderte die Versuche, in die Höhe zu bauen. In bergigen Orten wie Evolène im Wallis war flaches Land knapp und landwirtschaftlich wertvoll. Deshalb zog man es vor, bestehende Gebäude aufzustocken, statt daneben neu zu bauen. So wuchsen die Blockhäuser bis zu fünf Geschosse in die Höhe, was ihnen einen turmartigen Charakter verleiht. Doch die Setzungserscheinungen horizontal geschichteter Hölzer waren der Bauweise nicht förderlich.
Ausgehend von der Schiffbautradition der Wikinger entstanden im 13. Jahrhundert in Nordeuropa neue Holzkonstruktionen, etwa die Stabkirchen. Ähnlich wie bei den japanischen Skelettbauten wird dort die Last über vertikale Holzstützen, die namensgebenden Stäbe, abgeleitet. Anders als die Pagoden verjüngen sich die Baukörper nach oben, und die steilen Dachflächen formen pyramidenartige, mehrstufige Turmgebäude.
Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert entstanden in der rumänischen Region Maramureș weitere bedeutende Kirchen aus Holz. Da die katholische HabsburgerMonarchie orthodoxen Gemeinden den Bau steinerner Kirchen untersagte, bauten sie stattdessen mit Holz. Ihrem Streben nach Höhe tat das keinen Abbruch. Die Kirchen besitzen ein kleines Hauptschiff, über dessen Eingang ein spitzer, schlanker Turm emporragt. Der Turm der Kirche in Șurdești, erbaut 1721, erreicht eine beeindruckende Höhe von 72 Metern.
Ab dem Spätmittelalter s etzte sich in Europa der konstruktiv raffiniertere Fachwerkbau durch – weiter entwickelt aus dem zuvor neben dem Blockbau dominierenden Pfostenbau. Der Fachwerkbau war deutlich langlebiger, weil seine tragenden Einzelteile ersetzt werden konnten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der achteckige Possenturm im mitteldeutschen Sondershausen, der 1781
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↓ 4. Jahrhundert v. Chr., Belagerungsturm.
↓ Ab 6 Jh., hochentwickeltes Handwerk für HolzHolz-Verbindungen in Ost- und Südostasien.
↓ 826, Pagode des Tō-ji-Tempels, Kyoto, Japan.
↓ Ab 12 Jh., mehrstöckige Blockhäuser, Evolène, Wallis.
↓ 1204: erste wasserbetriebene Sägemühle Europas in Évreux, Frankreich.
↓ 13. Jahrhundert , Stabkirche, Heddal, Norwegen.
Ab 14. Jh., in Europa setzt sich der Fachwerkbau durch.
↓ 1721, Holzkirche Șurdești, Rumänien.
↓ 1781, Possenturm, Sondershausen, Deutschland.
↓ 1802, erste dampfbetriebene Sägemühle in England.
↓ 1828, Tröckneturm, St. Gallen.
↓ Anfang 19. Jh., Holz-Stahl-Verbindungen setzen sich durch.
1829, Napoleonturm, Hohenrain, Thurgau.
errichtet wurde. Fäulnis und Pilzbefall hatten die Fachwerkkonstruktion des Aussichts und Vermessungsturms so schwer geschädigt, dass der Turm einzustürzen drohte. Durch den gezielten Ersatz beschädigter Pfosten, Riegel und Streben konnte der Turm in den 1960er und 2000erJahren restauriert werden. Bis heute ist er mit 42 Metern der höchste Fachwerkturm Europas.
Industrielles Sägen und Eisenverbindungen
Im 19. Jahrhundert veränderte sich mit dem Aufkommen dampfbetriebener Sägereien und industriell ge fertigter Eisenverbindungen der Holzbau ganz grundlegend. Das Bauen mit Holz wurde günstiger und schneller, was sich auf die Nutzungsdauer von Holzgebäuden auswirkte. Während zuvor Langlebigkeit und Reparierbarkeit im Mittelpunkt gestanden hatten, wurden Holzbauten nun vermehrt als provisorische und kurzlebige Strukturen konzipiert. Deshalb blieben nur wenige dieser Bauwerke erhalten. Hölzerne Leuchttürme, die mit dem wachsenden Fernhandel an vielen Küsten errichtet worden waren, wichen langlebigeren Nachfolgern aus Stein und Beton. Einer der wenigen noch existierenden Holzleuchttürme ist jener auf der Ostseeinsel Kronstadt vor Sankt Petersburg – eine Fachwerkkonstruktion mit Eisenverbindungen und Bretterverschalung.
Die Industrialisierung brachte nicht nur Veränderungen in der Bauweise, sondern führte auch zur Entstehung neuer Turmtypologien. Von dieser Entwicklung zeugen in der Schweiz Bohrtürme wie jene in Bad Zurzach und Pratteln. Dort wurde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Sole für die Salzgewinnung gepumpt. Der hohe Turmraum mit unterschiedlichen Niveaus ermöglichte es, das Bohrgestänge effizient ein und auszubauen. Ähnliche funktionale Anforderungen führten zum Bau des Tröckneturms in St. Gallen, konzipiert für die Trocknung frisch gefärbter Textilien. Je nach Wetterbedingungen hingen die langen Stoffbahnen entweder im Innern des Turms oder unter dem weit auskragenden Dach zum Trocknen. Während der Tröckneturm bereits in den 1930erJahren seinen Nutzen verlor, wurde die Bohrtürme noch bis 1970 betrieben.
Daneben etablierte sich der Turm auch als Ort der Freizeitgestaltung. Napoleon III. liess 1829 den Aussichtsturm Belvédère auf dem Arenenberg errichten. Er diente der Oberschicht als Vergnügungsstätte, mit einer Aussichtsplattform samt Fernrohr, einem kleinen Restaurant und einer Tanzfläche. Witterung und Fäulnis setzten dem Turm jedoch rasch zu, sodass er nach nur 26 Jahren abgerissen wurde. Eine weitaus spektakulärere Umsetzung dieser Idee war das 1853 für die Exhibition of the Industry of All Nations in New York errichtete Latting Observatory
Der 93 Meter hohe, achteckige Holzturm mit Eisenverstärkungen war damals das höchste Gebäude der Stadt – der erste Wolkenkratzer New Yorks. Das Vorhaben, einen der ersten dampfbetriebenen Aufzüge zu installieren, scheiterte, sodass Besuchende die drei Aussichtsplattformen zu Fuss erklimmen mussten. Nach nur drei Jahren brannte der Turm 1856 ab.
Konstruktionshilfe und Substitutionsmaterial
Im 20. Jahrhundert verlor Holz als primäres Konstruktionsmaterial an Bedeutung – Stahl, Beton und Backstein prägten das Bauen. Gleichzeitig wurde es im Konstruktionsprozess unverzichtbar: als Gerüst, Lehre oder Schalung. Besonders im Brückenbau entstanden temporäre Holzbauten, ähnlich imposant wie die eigentlichen Bauwerke. Für das 1910 erbaute Sitterviadukt entwickelte Richard Coray, ein Pionier des Lehrgerüstbaus, einen 97 Meter hohen Gerüstturm. Dieser ermöglichte die Mon
tage des 920 Tonnen schweren, eisernen Halbparabelträgers. Im Gerüstturm wurden 1410 Kubikmeter Holz und 58 Tonnen Schrauben verbaut und sogar ein elektrischer Pers onenaufzug integriert. Eine kurze Phase der Aufmerksamkeit erlangte Holz nochmals in der von Rohstoffmangel geprägten Zwischenkriegszeit. In Deutschland, gezeichnet von den Folgen des Ersten Weltkriegs und den Reparationszahlungen, führte der Mangel an Baumaterialien zur Entwicklung neuer Holzbausysteme, die als Alternativen zu weitspannenden oder hoch aufragenden Stahlkonstruktionen dienten –etwa beim Ausbau der Radioinfrastruktur. Holz war nicht nur einfacher erhältlich und günstiger, sondern hatte im Vergleich zur Stahlkonstruktion deutlich geringere Abstrahlungsverluste. So entstanden in Europa Hunderte von hölzernen Sendemasten, darunter auch der höchste jemals gebaute Holzturm der Welt. Der 190 Meter hohe Sendeturm Mühlacker wurde aus der besonders witterungsbeständigen kanadischen Pechkiefer gebaut, seine Teile wurden mit Bronzebolzen verbunden. Die meisten hölzernen Sendetürme sind heute verschwunden. Der Turm in Mühlacker wurde in den letzten Kriegstagen gesprengt. Den Höhenrekord hält heute jener in Gliwice, Polen, mit 134 Metern.
Die Materialknappheit jener Zeit förderte den Erfindungsgeist: Im Jahr 1905 entwickelte Otto Hetzer den Brettschichtbinder, 1922 meldete Paul Müller das erste Patent für HolzB etonVerbundde cken an. Damals fanden diese Neuerungen nur kurz Beachtung – der Ölb oom und das Zeitalter des Betons standen unmittelbar bevor. An
gesichts der Klimakrise erleben diese Erfindungen heute ein verspätetes Comeback – als Hoffnungsträger in immer höheren Holzhochhäusern. ●
Quellenangaben
Belagerungsturm, 4. Jh v Chr Vitruv, ‹ Zehn Bücher über Architektur ›, übersetzt von Jakob Prestel, 1974. Pagode, 826 n Chr Archiv, Klaus Zwerger. Mehrstöckige Blockhäuser, ab 12. Jh. Cortis und Sonderegger / 13 Photo Stabkirche, 13. Jh. Alex Lindahl, aufgenommen 1880er-Jahre. Holzkirche, 1721 Urheber unbekannt, Archiv der Universitätsbibliothek fü r Architektur und Stadtplanung, Bukarest. Possenturm, 1781 Euroluftbild.de / Robert Grahn. Tröckneturm, 1828 Manfred Hamm, 1986, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Ans_12416-034-F. Napoleonturm, 1829 anonymer Stich, publiziert auf der Rückseite von Johann Adam Pupikofer, ‹ Gemälde der Schweiz XVII, Der Kanton Thurgau ›, 1837
Salzbohrtürme, ab 1844 Ruedi Butz, 1984, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Dia_286-0746. Latting Observatory, 1853 William Naugle, 1853, The Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs: Print Collection, The New York Public Library Digital Collections. Holzleuchtturm, 1888 Alexey Komarov. Gerüstturm, 1910 Fotograf unbekannt, ‹ Schweizerische Bauzeitung ›, 15. Oktober 1910. Sendeturm, 1934 Fotograf unbekannt, Postkarte, ca. 1940. Kühlturm, 1948 Ekaterina Nozhova, in: ‹ Networks of Construction ›, 2016.
↓ Ab 1844, Salzbohrtürme, Schweizerhalle, Basel.
↓ 1853, Latting Observatory, New York, USA.
↓ 1888, Holzleuchtturm Kronstadt, St . Petersburg, Russland.
↓ 1906, Otto Hetzer erfindet den Brettschichtholzbinder
↓ 1910, hölzerner Gerüstturm für die Montage der Eisenkonstruktion, Sitterviadukt, St. Gallen.
1922, Patent für HolzBeton-Verbunddecken von Paul Müller.
↓ 1934, Sendeturm Mühlacker, Deutschland.
↓ 1942, Erfindung der geklebten Keilzinkung zur kraft- und formschlüssigen Verlängerung von Holzbalken.
1948, Kühlturm, Sewerouralsk, Russland.
Das H1 ist einer von zwei Hochpunkten auf dem neuen Zwhatt-Areal.
Stadtwerdung im Industriegebiet
Bis in die 1950er-Jahre bestand Regensdorf grösstenteils aus Bauernhöfen.
Bekannt war das Dorf einzig für die Strafanstalt Regensdorf, die heutige Justizvollzugsanstalt Pöschwies. Dann kamen die Boomjahre: Landwirtschaftsland verschwand, Wohnsiedlungen und Industriebetriebe tauchten auf – unter anderem die Firma Gretag, die unweit des Bahnhofs Geräte für die Fotoentwicklung herstellte. 2002 ging das Unternehmen in Konkurs. 14 Jahre später erwarb Pensimo Management im Auftrag der Anlagestiftung Turidomus das Areal mitsamt einem s täd tebaulichen Richtprojekt, das 2018 in einen rechtskräftigen Gestaltungsplan mündete. Der darauf basierende Masterplan für den neuen Stadtteil Zwha tt mit mehr als 600 Mietwohnungen, 15 000 Quadratmetern Gewerbeflächen, Pro menade, Quartierplatz und -wiese stammt von Peter Märkli. 2024 gingen die ersten Gebäude, ein Gewerbehaus und der ‹ Längsbau › mit 31 preisgünstigen Loftwohnungen in Betrieb. Voraussichtlich 2030 wird die letzte Etappe vollendet sein.
Über die Fassade spannt sich ein feines Netz aus Solarpanels.
Bauen nach Taktplan
Modulfassade, Stützenraster, Elementdecken: Beim Holzhochhaus in Re gensdorf loteten Boltshauser Architekten die Grenzen des rationellen Bauens aus.
Johannes Koller öffnet die Tür zu einer bezugsfertigen 3½-Zimmer-Wohnung und stutzt. Wieder kein Parkett, wie schon bei den letzten fünf, sechs Wohnungen auf dem Rundgang. Die Chancen, im Hochhaus H1 auf Holzböden zu stossen, stünden eigentlich gut: Etwa ein Drittel der 156 Wohnungen hat Anhydritböden. Beim zweiten Drittel liegt in den Zimmern Buchenparkett und in den Wohnräumen Anhydrit, und das letzte, gerade nicht auffindbare Drittel hat durchgehend Buchenholzböden. « Um verschiedene Geschmäcker anzusprechen », wie Koller, Architekt und Projektleiter bei Boltshauser Architekten, erklärt. Ein verzweifelter Versuch, etwas Abwechslung in einen monotonen Massenwohnungsbau zu bringen ? Mitnichten !
Text: Deborah Fehlmann →
Eingefärbte, selbsttragende Lehmelemente verkleiden den massiven Sockel.
Im zwölften Obergeschoss treffen sich die Mieterinnen im zweigeschossigen Gemeinschaftsraum.
Raster und Freiheit
Vom Sichtbeton-Treppenhaus im Zentrum des Turms tritt man mal in eine helle 4½-Zimmer-Wohnung mit Panoramablick über das Furttal, mal in ein knapp geschnittenes Studio, in dem die Fassaden der Nachbarsbauten nah sind. Die Wohn-Ess-Bereiche mit offenen Zeilenküchen sind mal rechteckig, mal L- oder U-förmig. An manche schliesst ein Schaltzimmer mit Schiebetür an. Es gibt Wohnungen mit Eckloggia und solche mit Loggia in der Fassade. Die durchwegs gut proportionierten und nutzungsneutralen Zimmer funktionieren für Familien genauso wie für WGs. Im zwölften Obergeschoss wartet ein zweigeschossiger Gemeinschaftsraum auf kontaktfreudige Bewohnerinnen.
Ermöglicher dieser räumlichen Flexibilität ist das Tragwerk des Wohnturms: In der Vertikalen trägt ein Raster aus Holzstützen. Holzrahmen und zwölf Zentimeter starke Betonplatten wirken im Verbund als Geschossdecken und nehmen zusammen mit dem betonierten Erschliessungskern die Horizontallasten auf. Zwischen den Stützen sind die Grundrisse frei einteilbar.
Das Tragwerk ermöglicht eine flexible Wohnungseinteilung.
Holzbau, Farbe und Details wie die Sprinkleranlage prägen den Raum.
Boltshauser Architekten und das Holzbauingenieurbüro B3 Kolb haben dieses Tragsystem bereits im Jahr 2019 im Rahmen der Gesamtleistungsstudie für das Hochhaus Pi in Zug entwickelt. Dort gingen sie jedoch leer aus. Einen Anlauf und wenige Monate später klappte es: Das Team gewann den Studienauftrag der Zürcher Anlagestiftung Pensimo für das Hochhaus H1 auf dem ZwhattAreal in Regensdorf ( siehe Kasten, S. 21 ) – nicht nur, aber auch dank dem Nachhaltigkeitsversprechen seiner HolzBeton-Hybridkonstruktion.
Lehm trifft auf Hightech
« Stadt, Land, Leb en » lautet der Slogan de s ZwhattAreals. In Regensdorf – einst ein Bauerndorf, heute eine rasch wachsende Agglomerationsgemeinde von Zürich –ist das Land nie weit weg. Es ist an der neuen Bebauung des einstigen Industrieareals, auf dem Zwhatt-Areal zumindest morphologisch eine Stadt zu formen, in die dann hoffentlich Leben einkehrt.
Das Holzhochhaus ist entsprechend um einen städtischen Auftritt bemüht: Ein dreigeschossiger Sockel aus rot gefärbtem Beton fasst im Erdgeschoss ein Bistro, die Eingangshalle zu den Wohnungen und die Einfahrtsrampe der Velogarage. Auf den beiden Geschossen darüber vermietet Pensimo Gewerbeflächen. Eine dicke Schale aus rotem Stampflehm bedeckt die Sockelfassade. An den Längsseiten des Turms springt sie leicht, zum künftigen Zwhatt-Platz hin deutlich zurück. Hinter elfeinhalb Meter hohen Kolossalstützen liegt der gedeckte Vorplatz mit dem Haupteingang.
Spannender als der kraftvolle Sockel an sich ist der Kontrast zu den 21 Wohngeschossen, die er trägt. Feingliedrig, schillernd und technizistisch stehen sie auf dem Betonkranz über dem zweiten Obergeschoss. Rote Aluminiumstreifen zeichnen die dahinterliegenden Holzstützen nach. Dazwischen sind geschosshohe Fassadenelemente gespannt. Wo ein Wohnraum dahinterliegt, sind sie vollständig verglast. Die Zimmer hingegen haben niedrige, die Loggien hohe aluverkleidete Brüstungen.
Über die modulare Gebäudehülle spannt sich ein feines Netz aus Stahl und Solarpanels. Liegend über jedem Fenster montiert, verleihen Letztere der Fassade Tiefe und wirken als Brise soleils. Beim Wettbewerbsentwurf hatten Boltshauser Architekten noch rote, in die Brüstungen integrierte Solarmodule vorgeschlagen. Durch das Ausklappen liess sich die zur Stromgewinnung nutzbare Fläche mehr als verdoppeln, und der Wechsel von Spezial-
modulen auf bifaziale Standardpanels, die Licht von beiden Seiten aufnehmen, steigerte den Ertrag zusätzlich. Die Solaranlage deckt gemäss Berechnungen rund 30 Prozent des im Haus anfallenden Strombedarfs.
Hochhausbau im Wochentakt
Lehmschwere unten, Hightech-Leichtigkeit oben: Die eigenwillige Fassade trägt das Nachhaltigkeitsversprechen des Hochhauses in die Welt. Nur vom Holztragwerk sieht man keine Spur – aus Brandschutzgründen. Wer es erleben will, muss die Turmbewohnerinnen besuchen.
Das mächtige Holzskelett prägt die Wohnungen strukturell wie atmosphärisch. Stützen markieren die Raumecken. Die Holzrippen durchmessen die Decken, bilden den Sturz für die dunkelrot gestrichenen Holzfenster und dienen als Anschlag für die raumhohen Türrahmen und weiss verputzten Zimmertrennwände. Ein fast schon dekoratives Detail ist die offen unter den Sichtbetondecken geführte Sprinkleranlage.
Auch das nur mit einem UV- und Feuchtigkeitsschutz behandelte Hochleistungsholz überzeugt optisch. Gefertigt hat es die jurassische Firma Fagus Suisse aus Schweizer Buchenholz. Stabbuche, wie das Konkurrenzprodukt zur bekannteren Baubuche heisst, besteht aus vier Zentimeter starken Lamellen anstatt aus Furnierschichten. Dadurch erhalten die Profile ein allseitig homogenes, einem Vollholz ähnliches Erscheinungsbild ( s. S. 44 ).
Das Stützenraster von 3,4 mal 7,8 Metern r esultierte aus zwei Rahmenbedingungen: Zum einen können darin unterschiedliche Wohnungstypologien integriert werden. Zum anderen lassen sich Deckenelemente in diesen Dimensionen ohne Sondertransporte und Polizeibegleitung vom Werk auf die Baustelle bringen. Ein entscheidendes Kriterium, denn von den Sockelgeschossen und dem Erschliessungskern in Ortbeton abgesehen, wurden das gesamte Tragwerk und die Fassaden im Werk von Erne Holzbau im aargauischen Stein vorfabriziert.
Die Vorfabrikation ermöglichte mit einem Holzbaugeschoss pro Woche – inklusive Treppenkern – ein rekordverdächtiges Bautempo. Und eine bemerkenswerte Ausführungsqualität. Schäden oder Ungenauigkeiten sind am sichtbar belassenen Tragwerk kaum zu entdecken. « Das ist eine Frage von Sachkenntnis, Erfahrung und Berufsstolz », sagt Patrick Suter, Geschäftsführer von Erne Holzbau.
Den Takt beim Bauen gab der Ortbetonkern vor. Dieser musste stets um zwei Geschosse voraus sein, damit Holz- und Massivbauer sich nicht in die Quere kamen. Ein Gruppenfoto vom Aufrichtfest zeigt die Effizienz des Elementbausystems gegenüber konventionellem Bauen eindrücklich. Darauf zu sehen: fünf Holzbaumonteure und ein mehr als doppelt so grosses Massivbauteam.
Baukasten und Taktplan
Die Basis für die reibungslose Montage bildeten ein akribisch vorbereiteter Baukasten und durchdachte Details. Basierend auf den Architektur- und Ingenieurplänen machte Erne Holzbau zunächst die gesamte Werk- und Montageplanung. In diesem Zuge definierten sie bereits jedes Bauteil bis auf die letzte Bohrung. Die Holzbestellung bei Fagus Suisse erfolgte dann via 3D-Modell, war nach Stockwerken aufgeteilt und mit den jeweiligen Lieferfristen versehen.
Der Weg des Holzes auf die Baustelle war eine logistische Grossübung: Das Holzwerk Fagus Suisse lieferte die Stabbauteile für den Abbund etappenweise an die Holzbaufirma Balteschwiler in Laufenburg. Von dort gingen sie weiter an Erne Holzbau, der sie zu Elementen
Konstruktion planen
« Im Vergleich zum Massivbau zeichnen wir im Holzbau keine Schalungs- und Armierungspläne in der Ausführungsphase. Die wesentliche Arbeit, etwa die konstruktive Ausarbeitung der Leitdetails, fällt früher in der Planung an. Da die SIA-Honorarordnung aber die etablierten Prozesse des Massivbaus widerspiegelt, müssen wir Bauingenieure heute oft in Vorleistung gehen. Um dem Holzbau gerecht zu werden, müssten SIA-Leistungsprozente eigentlich in frühere Planungsphasen verlagert werden.
Der Zwang, sämtliche Details frühzeitig ausführungsreif zu definieren, hat für Bauingenieure aber auch Vorteile. Bei den dynamischen Planungsprozessen des Massivbaus befinden wir uns manchmal in einer unbequemen Lage. Während die Architektin noch mit dem Entwurf beschäftigt ist und sich die Haustechniker untereinander koordinieren, ruft der Baumeister schon nach den Schalungs- und Armierungsplänen. Beim vorfabrizierten Elementbau läuft zwangsläufig alles geregelter ab. » Kevin Rahner, Partner bei Schnetzer Puskas Ingenieure
Die dunkelroten Fenster bringen die Farbe des Hauses in die Innenräume.
Hochhaus H1, 2025
Zwhatt-Areal, Regensdorf ZH
Bauherrschaft:
Anlagestiftung Pensimo, vertreten durch Pensimo Management, Zürich Architektur und Generalplanung: Boltshauser, Zürich
Holzbauarbeiten: Erne Holzbau, Laufenburg Fassadenbau: Ruch Metallbau, Altdorf; BE Netz, Luzern
6. Obergeschoss
zusammenfügte. Elementproduktion und Zwischenlagerung waren platzintensiv. Nur eine Herausforderung unter vielen war, dass der von Erne im Werk gegossene Überbeton der Deckenelemente vor der Montage drei Wochen lang trocknen musste. Damit die Elemente termingerecht auf der Baustelle ankamen, war jeder Arbeitsschritt genau terminiert, und keine der beteiligten Firmen durfte aus dem Takt fallen.
Auch der Bau erfolgte nach Taktplan. Pro Geschoss montierten die Holzbauer zuerst die Fassadenelemente mit den bereits im Werk eingebauten Fenstern, Dämmung und Windpapier. Durch die Aussenwände vor Wind geschützt, bauten sie dann die Innenstützen und zum Schluss die Deckenelemente ein, vergossen die Elementstösse, und fertig war das Rohbaugeschoss. Beim Dach angekommen, begann, sozusagen im Rückwärtsgang und im Gleichschritt mit dem Abbau des Fassadengerüsts, die Montage von Fassadenblechen und Solarpanels.
Nachhaltigkeit ? Messbar besser
Zweifellos, das Hochhaus auf dem Zwhatt-Areal setzt im vielgeschossigen Holzbau Massstäbe. Doch löst das Tragwerk auch das proklamierte Nachhaltigkeitsversprechen ein ? Dafür spricht erstens, dass das Ho chhaus gut ein Drittel leichter ist als ein vergleichbares in konventioneller Bauweise. Hauptgrund dafür ist das Deckensystem: Da die Holzrippen die Zugkräfte übernehmen, ist der auf Druck belastete Überbeton mit nur zwölf Zentimetern ausreichend. Zweitens: Weniger Beton bedeutet auch weniger CO2. Gut 670 Tonnen oder 20 Prozent weniger verursachte die Erstellung des Tragwerks gegenüber einem in Massivbauweise. Weitere 1500 Tonnen sind in der verbauten Stabbuche gespeichert.
Drittens lässt sich der Bau gut zurückbauen. Die meisten Teile sind mechanisch verbunden, die Leitungen verlaufen unter den Decken und in den Bodenaufbauten.
Das Holzhochhaus kommt als Folge der Gewichtsreduktion, viertens, mit einer Flachfundation aus, was Energie und Material, aber auch Geld und Zeit einsparte.
Auch mit Blick auf die Bauzeit bietet sich ein Vergleich mit dem benachbarten Wohnturm an. Die Bauarbeiten für beide starteten etwa zeitgleich. Im Betonhochhaus – unter dem auch die Tiefgarage liegt – ziehen die Mieterinnen im Herbst 2026 ein, im Holzhochhaus bereits im Sommer 2025. Für die Bauherrschaft heisst das: ein Jahr früher Mieteinnahmen. Das macht die Mehrkosten für eine neuartige Konstruktion, für ein Schweizer Holzprodukt und für eine unkonventionelle Solaranlage teilweise wett.
Ganz günstig sind die Mieten dennoch nicht, zumindest in den obersten Stockwerken. Unter dem Dach kostet eine 75 Q uadratmeter grosse 3½-Zimmer-Wohnung mit Nebenkosten 3300 Franken pro Monat. In den immer noch luftigen Höhen des zehnten Stockwerks ist eine vergleichbare Wohnung 600 Franken günstiger, und in die Studios in den untersten Wohngeschossen können sogar Menschen mit Anspruch auf Ergänzungsleistungen einziehen. Misst man die Preise an dem, was die Bewohnerinnen dafür erhalten – hochwertige Neubauwohnungen in Bahnhofsnähe, ein hauseigenes Bistro, einen Gemeinschaftsraum, Erholungsräume und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs vor der Haustür – kann man schliessen: Qualitätsbewusstsein, soziale Verantwortung und Rendite lassen sich auch beim Hochhausbau ausbalancieren. Ressourcenintensiv bleibt er dennoch, auch wenn kluge Tragwerke und lokales Holz seine Klimabilanz verbessern können. Deshalb sollten wir auch künftig mit Bedacht entscheiden, wo wir in die Höhe bauen. Und wenn wir es tun, dann mit Holz. ●
Innovative Bauten entwickeln « Wo können und dürfen wir als Bauherrschaft mutig sein ? Und welche Mieten am Standort Regens dorf sind künftig realistisch ? Die Projektierung war ein Balanceakt zwischen diesen beiden Fragen. Wir wollten Innovation fördern, wussten jedoch, dass die damit verbundenen Mehrkosten die Mieten erhöhen würden.
Mit dem Holztragwerk, der Solaranlage an der Fassade und dem Einsatz von Lehm haben wir uns für Innovation entschieden. Und mit der Stabbuche von Fagus Suisse ! Das Pro dukt war im Hochhausbau unerprobt und forderte umfassende Qualitätssicherungsmassnahmen. Die Berner Fachhochschule unterstützte uns, während Erne Holzbau die Neue Holzbau AG hinzuzog, um die Stützen gesondert zu testen. All das bereitete uns einige unruhige Nächte. Doch wer, wenn nicht ein institutioneller Bauträger wie wir, soll neue Schweizer Produkte unterstützen ? Nicht alles lag im Budget. Beispielsweise hätte Recyclingbeton den Kostenrahmen gesprengt. Doch wir hatten stets das Areal im Blick und schauten, wo was möglich ist. Bei der unterirdischen Energiezentrale klappte es dann mit dem Recyclingbeton. »
Ana Alberati, Mandatsleiterin / Portfoliomanagerin bei Pensimo Management
Holzbau weiterentwickeln
« Im Rahmen des Pr ojekts haben wir im Team Wissen generiert und Lösungen entwickelt, die künftig auch die Branche weiterbringen. Beispielsweise investierten wir viel in Versuche, oft zusammen mit der ETH Zürich: Die stark belasteten Stützenköpfe unterzogen wir dort einer Druckprüfung. Mittels Scherprüfungen wiesen wir die notwendigen Werte für die Schubverbindung zwischen dem Stabbuchenholz und dem Überbeton nach. Die Schubbleche, die wir dafür verwenden wollten, waren bis dahin nur in Kombination mit Fichte zugelassen.
Ein wichtiges Werkzeug war das Versuchselement aus vier Stützen und einem Deckenelement, an dem wir nebst dem Verformungsverhalten verschiedene Einbauten und Bodenaufbauten testen konnten, beispielsweise in Bezug auf den Schallschutz. So erlangten wir Gewissheit für die Umsetzung. Ein weiteres Versuchselement wird im Rahmen eines noch laufenden Forschungsprojekts mit der ETH Zürich untersucht, um weitere Erkenntnisse über die Kombination von Buche und Beton zu gewinnen. »
Ivan Brühwiler, Mitglied Führungsteam und Gruppenleitung bei B3. Silvan Schweizer, Mitglied Führungsteam und Bereichsleitung Holzbau bei B3
Das Hochhaus I auf dem Papieri-Areal in Cham beweist: Es ist möglich, ein Holzhochhaus ohne Sprinkler zu bauen. Die Hybridbauweise löst technische Anforderungen wie den Brandschutz, ist aber auch Ausdruck der architektonischen Gestaltung.
Interview: Damaris Baumann
v on Beginn weg mit den Brandschutzrichtlinien
Erika Fries, ist das Hochhaus I auf dem Papieri-Areal in Cham Ihr erstes realisiertes Holzhochhaus ?
« Wir entwerfen
Erika Fries: Für unser Büro ist es bereits das dritte gebaute Hochhaus. Eines davon steht im Baubereich L auf dem Papieri Areal, es hat ein konventionelles Tragwerk aus Beton. Das Holzhochhaus im Baubereich I ( s. S. 6 ) ist 46 Meter hoch. Erst die Anpassungen im Brandschutzkonzept der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen ( VKF ) von 2015 haben Holzhochhäuser möglich gemacht. Mit dem Ho chhaus I adaptieren wir eine konstruktive Haltung, die wir beim historischen Kesselhaus und anderen Bestandsbauten auf dem Areal vorfanden: Dort wird der Betonskelettbau mit Backstein ausgefacht, auf diese Weise werden die spezifischen Materialeigenschaften beider Baustoffe genutzt. Für das Hochhaus entwickelten wir ein hybrides BetonHolzTragwerk.
Luca Trachsler, was macht das Hochhaus I aus Sicht eines Ingenieurs besonders ?
Luca Trachsler: Die Entwicklung eines s olch innovativen Konzepts ist in erster Linie herausfordernd und bereitet Freude. Gleichzeitig bedeutet es einen erhöhten Planungsaufwand, insbesondere bei der Koordination aller an der Planung und am Bau beteiligten Fachpersonen. Da es ein Pilotprojekt mit kaum vergleichbaren Referenzen ist, war das Planungsteam vom Beginn bis zur Fertigstellung stark gefordert. Bei der Verwendung von Holz im Tragwerk, speziell bei Hochhäusern, sind viele Regelwerke und Normen zu beachten, unter anderem in Bezug auf den Brandschutz.
Was waren die Herausforderungen in der Planung und der Umsetzung ? Und wie wirkten sich die Brandschutzanforderungen auf die Planung aus ?
Luca Trachsler: Die Bewilligungsfähigkeit des Projekts hatte höchste Priorität. Die ersten Leitdetails für den umfassenden Bauteilkatalog wurden bereits im Vorprojekt entwickelt und im Bauprojekt präzisiert. Die Baueingabe erfolgte parallel zum Bauprojekt bereits fünf Monate nach Abschluss des Vorprojekts. Auf der Grundlage des Bauteilkatalogs und dank dem frühzeitigen Dialog zwischen Holzbauingenieur, Brandschutzfachperson und Gebäudeversicherung erhielten wir die Baufreigabe ohne Verzögerung. Das geht nur mit einem Team, das am gleichen Strick zieht, und einer fachlich kompetenten Bewilligungsbehörde, die offen für Innovationen ist. Während der Ausführung sind eine versierte Bauleitung und fachkundige Bauarbeiter essenziell. Damit die ausführenden Unternehmen die Bauabläufe und lange geplanten Konzepte innert kurzer Zeit verstanden, musste das Planungsteam auf der Baustelle viel präsenter sein. Zudem enthielten unsere Ausführungsdokumente zahlreiche Informationen zum Bauablauf und zu temporären Stabilisierungsmassnahmen, die für die vorauseilende Holzbaumontage erforderlich waren. Die Bauherrschaft entschied sich gegen eine Sprinkleranlage, weil diese im Schweizer Wohnungsbau unüblich ist und sie keine Wasserschäden in den Eigentumswohnungen riskieren wollte. Mit welchen Konsequenzen ?
Luca Trachsler: Neben den VKFRichtlinien gilt für die Planung eines Holzhochhauses die Brandschutzdokumentation von Lignum als Stand der Technik. Demnach muss ein Tragwerk in einem Hochhaus mit Löschanlagenkonzept ( Sprinkler ) im Brandfall mindestens 60 Minuten ( R60 ) gegen Feuer bestehen. Für Materialien gilt die Brandverhaltensgruppe RF2 mit Ausnahme einzelner, linearer Bauteile in RF3, etwa Stützen oder Unterzüge. Ohne Sprinkler muss das Tragwerk 90 Minuten halten, und die Baustoffe dürfen nicht brennbar sein ( RF1 ). Für den Tragsicherheitsnachweis im Brandfall konnten wir deshalb kein sichtbares Holz berücksichtigen. Im Brandfall darf gemäss SIA Tragwerksnormen mit reduzierten Teilsicherheitsbeiwerten gerechnet werden. Deshalb gelingen die Nachweise für Tragsicherheit auch bei Ausfall der brennbaren Tragelemente, also nur unter Berücksichtigung der Betonkonstruktion bestehend aus Überbeton, dem ausbetonierten Zwischenraum zwischen den Zwillingsträgern und den Betonstützen.
Welchen Einfluss hatten die Brandschutzrichtlinien allgemein auf den Entwurf ?
Erika Fries: Um etwa Fluchtwege einzuhalten oder die benötigte Anzahl Treppenhäuser zu bestimmen, entwerfen wir von Beginn weg mit den Richtlinien. Dabei suchen wir Konstruktionsprinzipien, die auch Gestaltungsprinzipien sein können. Oder wir versuchen, Räume wie die Eingangshalle von den hohen Anforderungen zu entlasten, um sie wohnlich und hochwertig zu gestalten – im Hochhaus I mit Elementen aus Holz und einer Pflanzinsel. Die hybride Konstruktion ist nicht nur eine Antwort auf die Anforderungen des Brandschutzes, sie ist Teil des Entwurfs. Wie wurde sie entwickelt ?
Erika Fries: Diese hybriden Bauteile entwickelten wir in einem engen Dialog im Planungsteam. Nach Abschluss des Studienauftrags prüften wir Varianten, um mögliche Bauweisen zu vergleichen. Danach entschied sich die Bauherrschaft definitiv für eine Bauweise mit Holz. Der sichtbare Zwillingsträger aus Holz und das gerichtete Tragwerk waren bereits im Wettbewerb Gestaltungs und Strukturierungsprinzip. Nach diesem Entscheid konnten wir die Konstruktion weiter vertiefen. Die Vorteile von Holz werden in der Kombination mit Beton effizient genutzt: Die Brettsperrholzplatte wirkt im Verbund mit dem Überbeton als Teil des Querschnitts – Holz mit seiner hohen Zugfestigkeit auf der Zugs eite, Beton mit seiner hohen Druckfestigkeit auf der gedrückten Querschnittsseite. Der Überbeton gewährleistet die Statik, den Schallschutz und nimmt an wenigen Stellen haustechnische Installationen auf.
Ist das I überhaupt ein Holzhochhaus ? Es wurde viel betoniert, und das Holz ist längst nicht immer sichtbar. Beide: Eindeutig, oder anders ausgedrückt: Es ist ein HolzBetonHybridHo chhaus.
Luca Trachsler: Die Brettsperrholzplatten dienen im Bauzustand als verlorene Schalung, sind aber auch im Endzustand ein essenzieller Bestandteil der Geschossdecken. Nur dank dem schubsteifen Verbund von Holz und Beton konnten wir die geforderten Nachweise für Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit erbringen.
Erika Fries: Diese Frage wird uns häufig gestellt. Bei heutigen Bauweisen ist das Material der Tragstruktur kaum je in der Fassade sichtbar. Uns war darum wichtig, dass das Holz nicht eine eingekapselte Konstruktion ist, sondern die HolzB etonVerbundkonstruktion zumindest im Innern in Erscheinung tritt – sie ist ein integrales Gestaltungselement. Die sichtbaren Brettsperrholzdecken bringen Atmosphäre in die Wohnungen und machen das Holz erlebbar. Auch die Zwillingsträger aus Brettschichtholz in Baubuche, kombiniert mit den profilierten Sichtbetonstützen, prägen die Räume.
Würdet ihr in einem Wettbewerbsprogramm für ein Hochhaus eine Holzkonstruktion vorgeben ?
Erika Fries: Nein, ich würde ein effiziente s Tragwerk vorgeben und jedem Team eine Nachhaltigkeitsexpertin zur Seite stellen – und zwar allen dieselbe Person, um vergleichbare Aussagen zu erhalten. Aktuell sehen wir in der Praxis, dass Betondecken wieder dünner dimensioniert werden. Bezüglich effizienter Tragwerkskonzepte und Systemtrennung tut sich aktuell viel. Wir sollten Materialien dort einsetzen, wo sie ihre Stärken ausspielen können.
Luca Trachsler: Vor mehr als fünf Jahren war die Euphorie gross, mit Holz als nachhaltigem Material auch Hochhäuser bauen zu können. Mit dem Hochhaus I leisteten wir Pionierarbeit und setzten die Theorie in die Praxis um. In aktuellen Wettbewerbsverfahren verlangen die Auslober Holz meist nicht mehr bedingungslos. Vielmehr wünschen sie sich eine integrale Betrachtung der Tragkonstruktion unter Berücksichtigung aller Aspekte einer Geschossdecke. Dazu zählen zum Beispiel das Gewicht und die Aufbaustärke, der Brandwiderstand oder der Schallschutz, aber auch die Behaglichkeit. In der Fachwelt hat sich neben Erstellungskosten und Bauzeit auch die Ermittlung der Umweltbelastung als wichtiger Bestandteil jedes Systemvergleichs etabliert.
Erika Fries: Es hilft, wenn Bauherrschaften bereit sind, Anforderungen, zum Beispiel an den Komfort, zu überdenken. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir einfacher bauen. Das Potenzial zum Verzicht ist beim Bauen gross. Dafür braucht es mehr Erfindergeist und clevere Konzepte, denn wenn wir uns an die Grenzen der Normen bewegen, wird jedes Haus zum Pionierobjekt. ●
Erika Fries ist Architektin und Partnerin bei Huggenbergerfries Architekten. Das Büro bearbeitet ein breites Spektrum an Bauaufgaben, vom städtebaulichen bis zum konstruktiven Entwurf. Auf dem PapieriAreal konnten Huggenbergerfries drei wei tere Projekte umsetzen: das Wohnhochhaus im Bau bereich L, das Portierhaus und die Technikzentrale.
Luca Trachsler studierte Bauingenieurwissenschaften an der ETH Zürich und war im Anschluss wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Baustatik und Konstruktion. Seit 2015 arbeitet er als Tragwerksplaner bei der Synaxis AG in Zürich und gehört seit 2024 der Geschäftsleitung des Unternehmens an.
Zwillingsträger Hochhaus
I, Papieri-Areal Cham
Text: Conrad Kersting
Zwei Buchenholzträger nehmen die vorfabrizierten Stahlbetonstützen in die Zange. Über diesen ‹ Zwillingsträgern › spannt die Hybriddecke. Eine 12 Zentimeter dicke Brettsperrholzdecke aus Fichtenholz übernimmt, ihren Materialeigenschaften entsprechend, mehrheitlich die Zugkräfte, während der 13 Zentimeter dünne Überbeton die Druckkräfte der Deckenfelder und die B eanspruchung im Brandfall aufnimmt.
Die Aufteilung der Träger in zwei Zangen lässt diese optisch schlanker wirken, ohne ihren statischen Querschnitt negativ zu beeinflussen. Zudem ermöglicht es diese Konstruktion, die Betonstützen am Auflager zwischen den beiden Trägern kraftschlüssig mit dem Überbeton zu verbinden. An statisch besonders beanspruchten Stellen verstärken schmale Ortbetonunterzüge in den Zwischenräumen die Betondecke. So entstehen zwei Tragwerke in einem. Das reine Betontragwerk mit Stützen und Flachdecken hält im Brandfall die nötigen Grenzwerte für die Entfluchtung ein. Das HolzB etonHybridtragwerk sorgt für die Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit bei normaler Beanspruchung und gewährleistet die notwendige Steifigkeit zur Erdbebensicherheit.
Bauteile im Porträt
Illustrationen: Janine Wiget
Der Knoten H1, Zwhatt-Areal Regensdorf
Text: Deborah Fehlmann
Was geschieht, wenn eine der Holzstützen versagt ? Angesichts der imposanten Tragstruktur des ZwhattHo chhauses scheint dieses Szenario kaum vorstellbar. Dennoch verlangte es dem Planungsteam viel Kopfarbeit ab. Im Hochhaus aus Stahlbeton gibt es etablierte Lösungen, um einen Kollaps im Schadenfall zu verhindern. Für den HolzBetonHybridbau musste das Detail, das die Robustheit des Tragwerks gewährleistet, erst noch entwickelt werden. Das Knifflige dabei: Während Stahlbetondecken über den Stützen meist durchlaufen, treffen sich an einer Holzstütze des ZwhattHo chhauses die Ecken von zwei oder viergelenkig gelagerten Deckenelementen.
Um die Robustheit des Tragwerks zu erhöhen, integrierten die Holzbauer eine beidseitig auskragende Stahlplatte in den Stützenkopf, die jeweils zwei Deckenelemente miteinander verbindet. Im Normalfall trägt die Platte nicht. Sollte jedoch die Stütze darunter versagen, überträgt sie die Lasten in die angrenzenden Stützen und verhindert so den Kollaps des Tragwerks.
Die Stahlplatte ergänzt ein Knotendetail, das von Erne Holzbau und B3 bereits erprobt wurde: Eine umlaufende Ausklinkung am Stützenkopf dient als Montageauflager für die Deckenelemente. Diese bestehen aus Stabbuchen Rippen und einem s chubfest damit verbundenen Überbeton und werden ‹ just in time › fixfertig auf die Baustelle geliefert. Sind die Deckenelemente platziert, montiert der Holzbauer auf der Stützenoberseite eine stählerne Kopfplatte, an der er sie mit Gewindestangen aufhängt.
Mittels zwei in den Stützenkopf eingeklebten, nach oben zeigenden Gewindestangen justiert der Monteur dann die Fussplatte für die darüberliegende Stütze. Abschliessend giesst er die Aussparung im Überbeton aus.
Rahmentragwerk
Pi, Zug
Text: Palle Petersen
Als Teil des Tragwerks übernimmt die Rahmenkonstruktion in der Fassadenebene von Pi weite Teile der Stabilisierung. Als orthogonale Gitter ausgebildet, wirken die vier Rahmen wie unten eingespannte Vierendeelträger. Sie sind übereck zur Röhre verbunden. Die dabei auftretenden Kräfte erfordern den Einsatz hochfester Stützen aus Baubuche und eingeklebter Gewindestangen bei den Knotenpunkten. Die Knoten sind die wichtigste Verbindung im Rahmentragwerk. Holz verhält sich spröde, erst in Verbindung mit duktilem Stahl wird das System robust. Ist die Maximallast eines Knotens erreicht, verdreht sich die bis dahin biegesteife Verbindung und wird zum plastischen Gelenk. Die Kräfte beginnen zu fliessen. Das heisst, der Knoten zieht über die Maximallast hinaus keine weiteren Kräfte an. Stattdessen werden diese von den umliegenden Knoten aufgenommen. Der Rahmen wirkt somit als Ganzes und verteilt ungleich auftretende Kräfte.
Aktuell ist die Vorfabrikation von doppelgeschossigen Kreuzen geplant. Die Stützen laufen über je zwei Geschosse vertikal durch. Horizontal schliessen jeweils vier Holzbrüstungen an, die als Rahmenriegel wirken. Pro Knotenpunkt werden etwa 40 Gewindestangen, 20 Millimeter stark und bis zu 2 Meter lang, in präzise vorgebohrte Löcher gesteckt. Nach der Abdichtung des Bohrlochs wird der Kleber eingepresst und härtet aus. Diese Hochleistungsverbindung stammt eins zu eins aus der Betonfertigteilindustrie und bedarf kontrollierter Temperaturen und Aushärtungszeiten sowie Massnahmen zur Qualitätssicherung, die sich nur im Werk sicherstellen lassen. Stirnseitig werden die Doppelkreuze auf der Baustelle darum mit einfachen Stahlverbindungen wie Bolzen untereinander verbunden und ausgegossen.
Holzverbund- flachdecke Pi, Zug
Text: Palle Petersen
Ab 2015 in einem Forschungsprojekt von Innosuisse entwickelt, funktioniert die ‹ HolzVerbundFlachD ecke › als Sandwichstruktur. Zuunterst dient eine steife Holzwerkstoffplatte als Zugbewehrung, wahlweise aus CLT, Staboder Furnierschichtholz ( 6 – 10 cm ). Zuober st liegt eine bewehrte Betonschicht ( 9 cm ). Stahlrohre verbinden beide Platten schubsteif. Im Hohlraum dienen zwei Schüttungen aus schwererem Recyclinggranulat ( 5 cm ) und leichterem Schaumglasschotter als Dämmung.
Gegenüber klassischen Holzverbunddecken hat das System mehrere Vorteile. Erstens ist die Decke unterzugsfrei und schlanker, was bei gleicher Gebäudehöhe gleich viele Geschosse wie mit einer Betonflachdecke erlaubt. Zweitens spart das System Emissionen und Gewicht, was sich positiv auf die Kosten und das gesamte Tragwerk inklusive Fundationen auswirkt. Drittens kann die Decke über Wohnungstrennwänden durchlaufen, ohne die Schallgrenzwerte zu überschreiten. Das erlaubt von Geschoss zu Geschoss wechselnde Wohnungsgrundrisse und bringt Flexibilität. Der Clou ist, dass die Holz und B etonschicht nicht direkt aufeinander liegen und dass das Granulat die Holzplatte beschwert. Dadurch wirkt das System als Zweimassenschwinger und verhindert, dass die Holzplatte lokal in Schwingung gerät.
Diese Vorteile kommen vor allem im Hochhausbau zum Tragen. Hier summieren sich ein schlankerer Deckenaufbau und ein geringeres Gewicht stärker, sodass sich die Mehrkosten des Deckensystems in einer Gesamtabwägung lohnen. Je nach Priorisierung lässt sich dabei günstigeres, aber dickeres CLT verwenden oder weniger, aber höhere Stahlrohre in einer dickeren Schüttungsschicht. So lässt sich das Optimum zwischen Deckenstärke und Preis treffen. Es gibt zwei Konzepte, um die Deckenelemente zu montieren. Entweder kommen sie fixfertig auf die Baustelle und lagern auf den Kern oder Fassadenwänden auf. Vor Ort wer den bloss noch eingelegte Betonbalken und längsseitige Betonnocken gegossen. Das beschleunigt den Bauablauf und funktioniert vor allem bei einfachen, repetitiven Grundrissen gut. Bei komplexen und variablen Typologien kommen die Holzwerkstoffplatten nur mit Stahlrohren versehen auf die Baustelle. Schüttungen und Beton werden vor Ort eingebracht. Überall dort, wo die zweiachsige Tragwirkung der Platten Sinn macht, sind sie mittels eingefräster Gewindestangen verbunden. Ansonsten genügt eine einfache, konstruktive Verbindung.
Die Fassade trägt die Idee der Grosszügigkeit der Wohnungen nach aussen. Modellfoto: Saskja Rosset
Gemeinschaft konstruieren
Das Guthirtquartier in Zug ist im Aufbruch. Ein prägender Baustein wird das Holzhochhaus Pi sein. Darin werden Menschen wohnen und gemeinschaftlich zusammenleben.
Text: Mirjam Kupferschmid
Wer vom Bahnhof Zug auf der Baarerstrasse fünf Minuten stadtauswärts spaziert, entdeckt einige kuriose Gebäude. Die Rote Post leuchtet seit den 1970er-Jahren in auffälliger Farbe, beheimatet heute aber Versicherungen, Arztpraxen und ein Thai-Spa. Aus der Tiefe der Parzelle drängt sich dahinter das Gewerbliche Bildungszentrum mit Rundungen aus Sichtbeton und grossen Öffnungen an die Baarerstrasse. An der Ecke zur Göblistrasse steht ein 1960erJahre-Plattenbau, den das Holzhochhaus Pi ersetzen wird. Das Quartier verändert sich. An der Baarerstrasse stehen bereits zwei schüchterne Hochhäuser. Eine Strasse weiter wird auf dem Gelände des Tech Clusters Zug fleissig verdichtet. Seit 1913 sind da Produktionsstätten ansässig. In Zukunft will V-Zug auf dem Areal nicht mehr nur Haushaltgeräte produzieren, sondern es soll hier auch geforscht und gewohnt werden. Deshalb transformiert Tech Cluster Zug das Quartier basierend auf einem Masterplan von Hosoya Schaefer in das Generationenprojekt ‹ Tech Cluster Zug ›.
Die zweigeschossigen Wohnküchen bieten Grosszügigkeit in den kompakten Wohnungen. Visualisierung: Duplex Architekten mit Olivier Campagne
Nachbarschaften bilden
« Die Idee der vertikalen Nachbarschaften ist für das Projekt zentral, da es rund um das Haus wenig Begegnungsflächen geben wird. Wichtige Grundsteine dafür haben Duplex Architekten bereits im Wettbewerbsprojekt gelegt, zum Beispiel durch die Anordnung der Wohnungen rund um die geteilten Hallen. So begegnen sich die Mieterinnen und Mieter automatisch und haben immer einen Blick auf das Zentrum ihrer Nachbarschaft. Im Prozess, den ich von Januar bis Mai 2024 begleitet habe, ging es darum, das Angebot und die Ausstattung dieser Nachbarschaften genauer zu definieren und sie fit zu machen für den Betrieb. Wir fragten uns: Welche Angebote sind realistisch ? Wo im Haus sind sie sinnvoll angeordnet ? Und welche baulichen Massnahmen braucht es dafür ? Mich reizte dieser Prozess. Ich glaube, dass solche Flächen die Zukunft sein werden, wenn wir unsere Städte weiter verdichten. »
Monika Sprecher, Motimento, Beratung zur Kuratierung der vertikalen Nachbarschaften Ein dreigeschossiger
Imaginierte Baustelle Wie grosszügig die Räume trotz minimierter Raumhöhe, besonders aber im Zentrum der geteilten Nachbarschaften sein werden, zeigt sich nicht erst im fertigen Haus, sondern schon auf der imaginierten Baustelle
Das Strassengeviert zwischen Baarer-, Göbli-, Industrie- und Mattenstrasse entwickelt Tech Cluster Zug nicht allein. Um auch hier eine übergeordnete Verdichtung zu prüfen und preisgünstige Wohnungen zu schaffen, luden sie 2018 zu einem Studienauftrag ein – gemeinsam mit den Vaudoise Versicherungen, einer Gemeinschaft von Stockwerkeigentümern und dem Kanton Zug. Sechs Architekturteams erarbeiteten ein städtebauliches Verdichtungskonzept. Da heute vor allem Asphalt und versteckte Zugänge die Aussenräume prägen, lag der Fokus auch auf deren Aufwertung. Der siegreiche Beitrag von Duplex Architekten zeigte auf, wie die kleinen Freiräume trotz Verdichtung weiterentwickelt und an das Quartier angeschlossen werden könnten.
Als wichtigen Baustein hatten die Wettbewerbsauslober ein Hochhaus an der Baarerstrasse festgelegt. Parallel zum Studienauftrag führte Tech Cluster Zug deshalb eine mehrstufige Gesamtleistungsstudie mit denselben Architekturteams durch. Abgestimmt auf ihren gleichzeitig entstehenden Städtebau erarbeiteten sie mit Tragwerksplanenden, Holzbau- und Totalunternehmen Vorschläge für ein 80 Meter hohes Wohnhochhaus. Das Programm verlangte einen innovativen Holzbau, bei dem die Qualitäten des Holzes wahrnehmbar und die Wohnungen preisgünstig bleiben. Ein einfacher Ausbaustandard und effiziente Wohnungsflächen sollten diesen Spagat ermöglichen. Das Projekt Pi soll weder an die unliebsamen Hochhausprojekte der 1960er-Jahre erinnern noch zu Luxusresidenzen werden. « Das Wohnho chhaus Pi will etwas anderes sein », fasst das Wettbewerbsprogramm zusammen.
Auch da siegte das Team von Duplex Architekten. Gemeinsam mit Implenia und dem Ingenieurbüro WaltGalmarini schlugen sie eine überraschende Hochhausfigur vor. Das reduzierte Erdgeschoss bietet mehr Freifläche auf der Stadtebene, einen grosszügigen Ankunftsort zur Baarerstrasse und rückwärtig eine gute Vernetzung zum Quartier. Ab dem sechsten Geschoss, auf Gebäudehöhe der Umgebungsbauten, verbreitert sich der Grundriss um etwa einen halben Meter nach aussen. Mit total drei Auskragungen wächst die Figur wie ein schmaler Trichter nach oben. Die Fassade verrät, dass auch im Innern Unerwartetes passiert. Die überhohen Wohnräume an den Gebäudeecken und die eingezogenen, grossen Terrassen brechen die horizontale Struktur auf. Die reduzierten Balkone zeichnen mit leichten Auskragungen und Geländern ein feines Muster auf die Fassade. Wo die Sonne stark auf die Verkleidung scheint, werden Solarpaneele sie bedecken und gemeinsam mit der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach einen Teil des Stroms für das Gebäude liefern. Statt von Grossraumbüros erzählt die Fassade von vielfältigen Wohnungen und gemeinsam genutzten Räumen.
Von der Konstruktion zu den Nachbarschaften
Die Architekten machten die Gemeinschaftsflächen zum zentralen Thema ihres Entwurfs. Die im Wettbewerb vorgegebenen Begegnungs- und Gemeinschaftsflächen
An der Baarerstrasse wird Pi einen der ersten Hochpunkte setzen.
Visualisierung: Duplex Architekten mit Olivier Campagne
Die innere Tragwerksröhre liegt zwischen Erschliessung und Wohnungen.
entwickelten sie zu vertikalen ‹ Nachbarschaften › weiter. Das gelang nur, weil Programm und Konstruktion eng zusammenhängen. WaltGalmarini entwickelten ein Holzrahmentragwerk aus zwei ineinander gesteckten Gitterröhren. Die äussere Röhre liegt in der Fassadenebene, die innere zwischen Wohnungen und Erschliessungskern. So bleibt die Mitte frei von einem aussteifenden Betonkern und vor allem von Brandschutzanforderungen. Diese Freiheit ist zentral für die Idee der Nachbarschaften, die sich jeweils über drei Geschosse mit etwa 20 Wohnungen um eine innenliegende Halle gruppieren. Drei von ihnen öffnen sich zu einer grossen Loggia, der ‹ Terrasse commu›, die alle Hausbewohnerinnen und -b ewohner gemeinsam nutzen können.
Der zweite Befreiungsschlag gelang dank einer dünnen Holzverbunddecke (s. S. 33). Sie reicht von der äusseren bis zur inneren Röhre und kommt trotz grosser Spannweiten ohne Unterzüge aus. Mit weniger als 30 Zenmetern Stärke ist sie nicht dicker als eine Betonflachdecke. Dadurch stapelte das Planungsteam ganze 27 G eschosse in die vorgegebene Höhe von 80 Metern, ein bis zwei Geschosse mehr als die anderen Entwürfe. Mit den gewonnenen Quadratmetern planten sie Gemeinschaftsflächen und doppelgeschossige Wohnküchen, die in den kompakten Wohnungen grosszügige Akzente setzen.
Die Holzverbunddecken verbinden die beiden Röhren.
Zuletzt spielt das Tragwerk auch der Flexibilität in die Hände. Da Zimmer- und Wohnungstrennwände nicht tragen, können die Grundrisse auf jedem Geschoss variieren. In den 183 Wohnungen finden verschiedene Wohnformen Platz, die auf die Vielfalt der Bewohnerinnen und Bewohner abgestimmt sind.
Vom Entwurf zum Betriebskonzept
Den grössten Teil der Wohnungen will die Trägerschaft preisgünstig vermieten. Deshalb boten sie 2020 der Zuger Genossenschaft für gemeinnützigen Wohnungsbau Gewoba drei Nachbarschaften zum Kauf an. Die Pensionskasse der V-Zug übernimmt vier Nachbarschaften, auch sie wird preisgünstige Wohnungen vermieten. Tech Cluster Zug wird die obersten Wohnungen zu marktüblichen Preisen entweder vermieten oder verkaufen.
Die Weiterbearbeitung des Projektes fokussiert unter anderem auf die Entwicklung der Gemeinschaftsflächen. Dafür setzten sich die drei künftigen Eigentümerinnen gemeinsam mit dem Architekturbüro an den Tisch. In dieser kleinen « Investoren-WG », wie Projektleiter Martin Kostelezky von Duplex Architekten sie nennt, handelten sie die Programme der Nachbarschaften aus. Kostelezky setzte sich besonders dafür ein, dass die Nachbarschaften über das ganze Haus hinweg betrachtet werden. Schnell verstanden alle Parteien, dass der grösste Mehrwert entsteht, wenn Bewohnerinnen und Bewohner sich im ganzen Haus bewegen und alle Gemeinschaftsflächen nutzen dürfen. In einem begleiteten Prozess arbeiteten die künftigen Vermieter die Nutzungskonzeption der Nachbarschaften aus. Monika Sprecher von Motimento half, die Nutzung der Gemeinschaftsflächen zu konkretisieren.
In der Fassadenebene liegt die zweite tragende und aussteifende Röhre.
Die unterste Nachbarschaft wird etwa mit Spielmöglichkeiten ganz auf kleine Kinder ausgerichtet. Die darüberliegende Halle wird zum Marktplatz, im besten Fall verkauft ein Landwirt aus der Umgebung dort wöchentlich sein Gemüse. Daneben wird gemeinsam gekocht, auf Terrasse commune › grilliert und an Festbänken gefeiert. In weiteren Nachbarschaften werden die Bewohnerinnen und Bewohner lesen und arbeiten, werken und basteln oder Sport treiben. Dass ihre Mieterinnen und Mieter die Angebote im ganzen Haus nutzen dürfen, war der Genossenschaft besonders wichtig.
Die Gemeinschaftsflächen forderten die InvestorenWG nicht nur konzeptionell, sondern auch ökonomisch heraus. Wie viel kostet es, eine Rutschbahn einzubauen ?
Welche Bodenbeläge braucht es dafür, und wie oft muss die Rutschbahn kontrolliert werden, damit sie sicher ist ?
Kann eine Nachbarschaft umgebaut werden, im Fall, dass eine Nutzung nicht funktioniert ?
Dabei trieb sie b esonders eine Frage um: Wie funktioniert das im Betrieb ? Die Gemeins chaftsflächen werden keine Selbstläufer sein, das zeigen ähnliche Projekte. Der Hausgemeinschaft werden Herausforderungen begegnen, eine unaufgeräumte Gemeinschaftsküche wäre wohl die kleinste. Deshalb schauen alle Beteiligten der Erstvermietung gespannt entgegen. Sie sind überzeugt, dass die Gemeinschaft gelingen kann, wenn sie von einem Siedlungscoach sorgfältig angeleitet wird. Über den persönlichen Mehrwert für die Bewohnenden hinaus soll das Projekt so zum Vorbild dafür werden, wie wir künftig in verdichteten Städten zusammenleben.
Weiter nach der Abstimmung
Am 9. Februar 2025 sagten 71 Prozent der Zuger Bevölkerung Ja zum Bebauungsplan, der das Hochhaus Pi ermöglicht. Zur Abstimmung war es gekommen, weil einige Mieterinnen und Mieter des Bestandsgebäudes mobilisiert und mit weiteren Gegnerinnen und Gegnern das Referendum ergriffen hatten. Unter dem Slogan « Pi – nie » warb das Komitee gegen die aus ihrer Sicht zu hohe Dichte. Sie fürchteten, das Hochhaus stosse eine Entwicklung mit immer mehr und höheren Häusern an. Doch die Stimmbevölkerung folgte der Empfehlung der Politik, die von rechts bis links den Bau befürwortete – auch weil er zu 70 Prozent preisgünstige Wohnungen schafft. Trotz des eindeutigen Abstimmungsresultats liegt nun bei der Stadt eine Verwaltungsbeschwerde gegen den Bebauungsplan auf dem Tisch. Während die Stadt diese beantwortet, arbeitet das Planungsteam bereits am Bauprojekt. Leicht verzögert geht es weiter in Richtung Gemeinschaftswohnen im Holzhochhaus. ●
Genossenschaftlich wohnen
« Das Hochhaus Pi gibt uns die Möglichkeit, unseren Mieterinnen und Mietern mehr zu bieten als nur eine günstige Wohnung. Wir kennen ihre Bedürfnisse und begleiten unsere Projekte in der Regel von der Machbarkeit über die Erstvermietung und den Betrieb bis ans Ende ihrer Lebensdauer. Für die Umsetzung solch ambitionierter Konzepte haben wir aber nur wenig personelle Ressourcen. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit Tech Cluster Zug für uns ein Idealfall: Wir können unsere Wünsche in das Projekt einbringen, die Entwickler und das Architekturbüro ergänzen uns mit dem nötigen Fachwissen und leisten einen grossen Teil der Arbeit. Unsere Mieterschaft zeigt uns, dass wir mit diesem Projekt den richtigen Weg gehen ; von 1400 Mitgliedern haben 300 bereits Interesse an einer Wohnung angemeldet. Wir glauben, dass wir mit diesem Projekt vielen Heimweh-Zugern eine neue Heimat bieten können – einen neuen Ort in einer b ekannten Stadt, abseits des behäbigen Zug. » Esther Keiser, Geschäftsführerin Wohnbaugenossenschaft Gewoba
Überhohe Räume an den Ecken erzählen von der Grosszügigkeit der Wohnungen.
Schmale Austritte erweitern den Wohnraum vor die Fassade. Modellfoto: Saskja Rosset
Das Tragwerk spielt die Mitte frei und ermöglicht Nachbarschaften.
Der Vergleich der drei Holzhochhäuser macht ihre Konstruktionen verständlicher. Zudem liefert er wichtige Denkanstösse für weitere Hochhäuser aus Holz.
Hochhäuser in Zahlen
Die
Text: Mirjam Kupferschmid
Alle drei vorgestellten Häuser sind aus Holz, und doch unterscheiden sie sich in vielem. Wie hoch es ist, wo es steht und wer darin wohnen soll – das alles beeinflusst das Gebäude vom Entwurf bis auf die Baustelle. Dennoch ist es interessant, die Holzhochhäuser zu vergleichen. Nicht um festzustellen, welches Objekt das effizienteste Tragwerk oder den ökologischsten Fussabdruck hat, sondern um die Konstruktionen verständlicher zu machen und Denkanstösse für nächste Projekte zu geben. Der Vergleich ist in drei Teile gegliedert. Im ersten finden sich die Fakten rund ums Haus: Wie viele Geschosse hat es ? Wie viele und wie grosse Wohnungen, wird dort zur Miete oder im Eigentum gewohnt ? Im zweiten Teil geht es um die Konstruktion, vom Tragwerk bis zum Bodenaufbau. In den Isometrien gibt es, drittens, noch einiges mehr zu entdecken, als die Zahlen verraten. Der Vergleich fragt auch, wie es um die ökologische Nachhaltigkeit der Türme steht. Aus welchem Holz sind sie, und woher stammt es ? Wie viel CO₂ stossen ihre Erstellung und der Betrieb aus ? Da zwei der Hochhäuser gerade erst bezogen wurden und eines noch in Planung ist, sind nicht alle Zahlen zu Ende gerechnet und im Betrieb erprobt.
Der Vergleich zeigt, wie vielfältig Lösungen für solch komplexe Holzkonstruktionen sein können. Daraus lässt sich für weitere Hochhausprojekte und künftige Holzkonstruktionen viel lernen.
Gebäude
Obergeschosse: 14
Untergeschosse: 3,5
Eigentumswohnungen: 61
Wohnungsmix: 6 × 2,5 Zimmer
23 × 3,5 Zimmer 23 × 4,5 Zimmer 11 × 5,5 Zimmer
Weitere Nutzungen:
Kita ( 284 m2 )
Gewerbe ( 76 m2 )
Autoparkplätze: 85
Veloabstellplätze: 213
Total GF: 12 050 m2
Konstruktion
Tragwerktyp: Skelettkonstruktion mit vorfabrizierten Betonstützen und Holz-Zwillingsträgern Holzart: Baubuche, Fichte
Abmessung Stützen: 20 × 40 cm
Deckenaufbau: Parkett 1,5 cm
Unterlagsboden 6,5 cm
Trittschalldämmung 3 cm
Wärmedämmung 4 cm
Stahlbeton 13 cm
Brettsperrholz Fichte 12 cm
Zwillingsträger Baubuche 36 cm
Spannweite: Plattentragrichtung
3,2 – 3,5 m
Zwillingsträger bis 7,2 m
Gewicht Tragwerk + Aufbau: 550 kg / m2
Nutzlast: 200 kg / m2
Ökologie
Erstellungsemissionen total ( inkl. Gebäudetechnik, ohne UG, PV-Anlage und Energiezentrale ): 560 kg CO₂eq /m2 EBF
Fagus Suisse hat für das Holzhochhaus auf dem Zwhatt-Areal 1200 Kubikmeter
Schweizer Hochleistungsholz produziert. Im Interview erzählt Verwaltungsrat
Stephan Rüdlinger von den Herausforderungen des Grossauftrags.
Interview: Deborah Fehlmann
Mit dem vielgeschossigen Holzbau erlebten in den letzten Jahren auch Laubhölzer als Konstruktionsholz einen Boom. Sie kosten zwar mehr als die etablierten Nadelhölzer, sind aber fester und somit deutlich leistungsfähiger.
Auf Laubholz setzt auch die Firma Fagus Suisse, die in Les Breuleux im Kanton Jura mit einem knappen Dutzend Angestellten Stabschichtholz produziert. Das von Fagus Suisse in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule entwickelte Hochleistungsholz eignet sich wie Baubuche für anspruchsvolle Holzbauten, besteht jedoch aus vier Zentimeter starken Lamellen statt aus Furnierschichten. So kommt es mit weniger Klebstoff aus und gleicht optisch eher einem Vollholz.
Das Produkt ist noch nicht mal zehn Jahre auf dem Markt, hat aber bereits eine ansehnliche Referenzenliste. Es steckt im Bürogebäude Hortus in Allschwil von Herzog & de Meuron, im Erweiterungsbau von Erne Holzbau in Stein von Burkard Meyer oder in Pirmin Jungs Haus des Holzes in Sursee. Seit Neustem tragen 1200 Kubikmeter Schweizer Stabbuche die 21 Wohngeschosse des Holzhochhauses auf dem ZwhattAreal in Regensdorf ( s. S. 20 ).
Herr Rüdlinger, ein Auftrag wie jener für das ZwhattHochhaus scheint recht gross für eine Firma mit gerade einmal sechs Angestellten im Produktionsbetrieb. Wie wickeln Sie einen Auftrag in dieser Dimension ab ?
Stephan Rüdlinger: Unsere Anlage in Les Breuleux ist erst sechsjährig und hoch automatisiert. Die Produktion funktioniert mit nur drei Mitarbeitenden. Nur dank Automatisierung können wir respektable Volumen produzieren und preislich konkurrenzfähig sein. Aber es stimmt, der Auftrag für das Holzhochhaus in Regensdorf war bisher mit Abstand der grösste. Etwa ein halbes Jahr lang haben wir fast ausschliesslich dafür produziert. Um die grossen Mengen bewältigen zu können, erfolgten Produktion und Auslieferung nach Stockwerken etappiert. Und wir haben Zwischenlager aufgebaut, in denen wir die Teile nach der Fertigung, im Falle von Verzögerungen am Bau, hätten zurückhalten können.
Und woher bekamen Sie innert nützlicher Frist so viel Buchenholz ?
Dafür brauchten wir tatsächlich einige Vorlaufzeit. Buche wird saisonal eingeschnitten und muss mehrere Monate trocknen, bevor wir sie verwenden können. Wir können also nicht einkaufen, wenn der Auftrag schon da ist, sondern müssen immer eine Saison vorausplanen und hoffen, dass wir mit der bestellten Menge in etwa hinkommen. Zu einer guten Planung gehört deshalb auch, auf dem Laufenden zu sein, was wo gebaut wird und welche grossen Ausschreibungen in den nächsten Monaten kommen könnten. Grundsätzlich ist aber mehr als genug Holz vorhanden. Von der Menge an Buche, die in der Schweiz eingeschnitten wird, landet leider immer noch zu viel in Containerschiffen nach Asien.
Schweizer Buchenholz nach Asien exportieren – das klingt nicht sehr nachhaltig.
Nein. Doch die Nachfrage ist in Asien im Gegensatz zur Schweiz gross, und die Abnehmer bezahlen die besseren Preise. Da ist der Verkauf nach Asien für einen Schweizer Waldbesitzer naheliegend. Aus meiner Sicht ist es deshalb zentral, die verarbeitende Industrie im Inland zu fördern. Bei einem Grossauftrag wie dem ZwhattHochhaus liegt die grosse Herausforderung für uns darin, uns genügend Sägerei , Trocknungs und Zuschnittkapazitäten zu sichern. Natürlich könnten wir jederzeit auf Lieferanten aus dem Ausland zurückgreifen, die weitaus grössere Mengen zu liefern imstande sind. Doch das wollen wir wenn möglich vermeiden und voll auf den lokalen Rohstoff setzen.
Man liest, für das Hochhaus auf dem Zwhatt-Areal sei ausschliesslich einheimisches Holz verwendet worden. Wann gilt ein Holzprodukt als ‹ Schweizer Holz › ? Das Label ‹ Schweizer Holz › verlangt, dass minde stens 80 Prozent des Rohstoffs aus Schweizer Wäldern stammen und die Verarbeitung komplett in der Schweiz stattfindet. Damit ist es meines Erachtens viel aussagekräftiger als das internationale Label des Forest Stewardship Councils ( FSC ). Denn FS C wendet je nach Land unterschiedliche, der nationalen Gesetzgebung angepasste Kriterien an. Aus Kundensicht ist das problematisch: Wenn ich beispielsweise Taschentücher kaufe, weiss ich anhand des FSC Lab els einzig, dass der dafür verwendete Rohstoff aus einem zertifizierten Wald stammt. In welchem Land dieser Wald steht und nach welchen Regeln er zertifiziert wurde, bleibt für mich als Kunde undurchsichtig.
Beim Label ‹ Schweizer Holz › weiss ich dagegen ziemlich genau, was ich habe. Und wenn ein Schweizer Waldbesitzer sich ans Waldgesetz hält, erfüllt er die hiesigen FSCKriterien ohnehin weitgehend.
Die Buche ist laut aktuellen Studien stark vom Klimawandel betroffen. Ist ihre Verwendung als Konstruktionsholz unter diesen Voraussetzungen zukunftsfähig ? Die Klimaerwärmung treibt die gesamte Holzbranche um. Klar ist, dass in unseren Breitengraden der Nadelholzanteil in den tieferen Lagen abnehmen und Laubholz eher langfristig verfügbar sein wird. Aber gebietsweise leiden auch die Laubbäume – b ereits heute. In den Trockensommern 2018 und 2019 gab es beispielsweise in der Region Basel unten am Rhein ein sehr grosses Buchensterben, während die Bestände in den höheren Lagen mit einem blauen Auge davonkamen.
Zurzeit bereitet uns aber vor allem die starke Nachfrage nach Esche Sorgen. Im letzten Jahr haben wir gleich viel oder mehr Esche verleimt als Buche. Und da ist die Knappheit viel akuter, weil ein invasiver Pilz seit einigen Jahren ein schweizweites Eschensterben verursacht. Langfristig könnte die Eiche eine gute Alternative zu Buche oder Esche sein. Sie hat ähnliche Eigenschaften und lässt sich gleich gut verarbeiten. Heute ist Eiche als Konstruktionsholz aber schlicht zu teuer.
Zuletzt ein Blick in die ferne Zukunft: Was passiert mit den 1200 Kubikmetern Stabbuche im Zwhatt-Hochhaus, wenn das Gebäude dereinst rückgebaut wird ?
Heute werden Produkte mit Leimanteil häufig energetisch genutzt, sprich: zu Schnitzeln verarbeitet und verbrannt.
Es gibt aber immer mehr Initiativen, um solches Altholz stofflich weiterzunutzen – Ikea beispielsweise will den Anteil in ihren Produkten stetig steigern. So lässt sich vielleicht auch die in Regensdorf verbaute Stabbuche irgendwann einem weiteren Lebenszyklus zuführen. ●
Stephan Rüdlinger ist seit 2016 Geschäftsführer von Raurica Wald in Muttenz. Die Firma Fagus Suisse, die das Unternehmen 2014 mitgegründet hat, ist bis heute grösste Einzelaktionärin. Stephan Rüdlinger, der die Firma 2024 für zehn Monate interimistisch leitete, ist Verwaltungsrat von Fagus Suisse.
Riesen aus Holz
Kurzfassung Cham Swiss Properties und Papieri
In der Schweiz löst ein höchstes Holzhochhaus das nächste ab. Die Häuser geloben, innovativ und ökologisch zu sein sowie eine hohe Lebensqualität zu bieten. Lösen sie diese Versprechen ein ? Und was lernen wir von den aufwendigen Konstruktionen über die Zukunft des Holzbaus ? Das Themenheft erzählt die Geschichte dreier Wohnhochhäuser: des Hochhauses I in Cham , des H1 in Regensdorf und des Pi in Zug. Die drei Türme zeigen, wie Holz vom Ausdruck bis zum Zusammenleben das ganze Haus prägt.
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