Denkmal macht Schule

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Themenheft von Hochparterre, September 2020

Denkmal macht Schule Schulhäuser sind Zeitzeugen. Die Denkmalpflege macht es mÜglich, dass sich schulischer Wandel und historische Substanz nicht ausschliessen.

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Schulhaus Rifferswil: renoviert in der ursprĂźnglichen Farbigkeit von 1913.

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Inhalt

4 Erinnerungsorte Schulhäuser sind wichtige öffentliche Bauten. An ihnen lässt sich die Arbeit der Denkmalpflege exemplarisch zeigen. Vorwort

6 Jede Zeit hat ihr Haus Von der Ablesbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen und pädagogischer Konzepte.

8 « Der Investitionsbedarf wird oft unterschätzt » Bei Schulraumerweiterungen stehe heute die Nachverdichtung im Fokus, sagt der Zürcher Kantonsplaner Wilhelm Natrup.

10 Warum tun die das ? Herausragende historische Gebäude kommen ins Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung.

12 Alte Schulhäuser sind erstaunlich robust Wie tauglich sind alte Gebäude, wenn sich die Vorstellung vom ‹ guten Unterricht › verändert ? Drei Beispiele.

14 Information ist essenziell Die Schulanlage Büel in Unterengstringen sollte als Gesamtanlage ins Inventar. Jetzt ist nur ein Teil geschützt und ein anderer erweitert.

16 Metamorphose am Goldenberg Die Architektur der Winterthurer Kantonsschule Im Lee wird nach der Sanierung in neuem Licht erscheinen.

2 0 Am Bestand anbauen Primarschulhaus Steinboden, Eglisau Schulhaus Brunnenmoos, Kilchberg

22 Bestand ergänzen

Oberstufenanlage Brüelmatt, Birmensdorf Kantonsschule Küsnacht Schulanlage Blatten, Männedorf Schulhaus Halden, Glattbrugg (Opfikon)

26 Kontrolliert verzichten Schulanlage Wolfsmatt, Dietikon

27 Sanieren und optimieren Oberstufenschulanlage Watt, Effretikon Kantonsschulen Enge und Freudenberg, Zürich Altes Schulhaus, Rifferswil

30 Umnutzen

Denkmal macht Schule

Wenn sich Schule bloss auf die portionenweise Vermitt­ lung von Wissen zwischen den Pausenglocken beschränk­ te – ja dann genügten wohl anonyme, karge, dispersions­ weisse Lernboxen. Schule muss aber weitaus mehr leisten. Die Jugendlichen sollen lernen, ihren Verstand kritisch zu gebrauchen, sich respektvoll und wach mit der natürli­ chen und der gebauten Umwelt auseinanderzusetzen, um schliesslich zu selbstständigen, verantwortungsbewuss­ ten Menschen zu werden. Kurz: Sie pauken nicht nur Lehr­ stoff, sie erfahren Bildung. Bildung ist das Fundament unserer Gesellschaft. Des­ halb zeichnen sich die Orte, wo Bildung geschieht, sehr gewollt und schon immer durch eine bemerkenswerte ar­ chitektonische Qualität aus. Die allermeisten Schulanla­ gen, egal ob aus dem 19., dem 20. oder dem 21. Jahrhundert stammend, sind interessante, angenehme Orte, mit quali­ tätsvollen Räumen und Plätzen, mit beständigen Materi­ alien und durchdachter Farbgebung, die das Auge öffnen und den Geist stimulieren. Selbst die Pavillons und sogar Provisorien folgen diesem Prinzip. Diese baukulturellen Leistungen führen dazu, dass manche Schulanlagen mitt­ lerweile Denkmäler von kommunaler oder gar kantonaler Bedeutung sind. Bevölkerungswachstum und innere Verdichtung brin­ gen es heute mit sich, dass wir an den bestehenden Ge­ bäuden und Ensembles weiterbauen werden. Es braucht mehr Schulzimmer, mehr Spezialräume, mehr Turnhallen, energetische Ertüchtigungen, und all dies bei rasch wech­ selnden pädagogischen Bedürfnissen. Die einzig vernünf­ tige, ressourcenschonende Vorgehensweise liegt auf der Hand: ein kluges Weiterbauen im Bestand, gute Lösungen fürs Jetzt, im Wissen darum, das wir eben nicht wissen, was die nächste Generation benötigen wird. Engagierte Architektinnen, Landschaftsgestalter­in­ nen und Ingenieure nehmen sich diesen komplexen Bau­ aufgaben mit Freude am Neuen an, und mit Respekt gegen­ über dem Alten. Als Partnerin fungieren die engagierten Mitarbeitenden der Denkmalpflege. Sie gestalten und tragen diese Veränderungsprozesse aktiv – ermöglichend, nicht verhindernd – mit. Davon berichtet dieses Heft.  Beat Eberschweiler und Roger Strub, Denkmalpflege des Kantons Zürich

Militärkaserne, Zürich

Die grossformatigen Fotos in diesem Heft stammen von Giuseppe Micciché. Cover: Kantonsschule Küsnacht, Rückseite: Schulanlage Watt, Effretikon

Impressum Verlag Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Lilia Glanzmann, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Werner Huber Fotografie  Giuseppe Micciché, www.giuseppe-micciche.ch  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Barbara Schrag  Produktion  René Hornung  Korrektorat Marion Elmer, Elisabeth Sele Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit der Kantonalen Denkmalpflege Zürich Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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Erinnerungsorte Schulhäuser sind wichtige öffentliche Bauten und starke Erinnerungsorte. An ihnen lässt sich die Arbeit der Denkmalpflege exemplarisch zeigen. Text: Werner Huber

Im Leben jedes Kindes ist der erste Schultag ein ein­ schneidendes Erlebnis. Später weckt er bei vielen posi­ tive, bei manchen wohl auch negative Erinnerungen. Der Anfang der Primarschule fällt in eine Zeit, in der in un­ serem Gedächtnis die unbewussten von den bewussten Erinnerungen abgelöst werden. Noch ist es nicht ein Ge­ samtbild, das sich einprägt, sondern Erinnerungsfetzen: der erste Banknachbar, die Farbstiftschachtel oder die freundliche Lehrerin – diese Momente sind unvergesslich. Die Bühne des ersten Schultags war das Schulhaus, das ab dann zu einem zentralen Teil der Lebenswelt wurde. Und wenn auch der Begriff ‹ Architektur › noch fremd war, so hat das Gebäude dennoch seine Eindrücke hinterlassen. Mit Blick auf die eigenen Erfahrungen wird schnell klar, wie wichtig die Rolle ist, die ein Schulhaus im Leben eines Kindes spielt. Selbstverständlich entscheiden päda­ gogische Konzepte, die Lehrpersonen und das familiäre Umfeld viel unmittelbarer über den schulischen Erfolg oder Misserfolg als die Architektur. Doch niemand wird bestreiten, dass eine gut gestaltete Umgebung zum Wohl­ befinden beitragen kann. Die pädagogischen Konzepte sind stetigem Wandel unterworfen, Lehrerinnen und Leh­ rer und die Kinderscharen kommen und gehen – die Schul­ häuser überdauern Generationen. Entsprechend wichtig ist es, diesen Gebäuden die ihnen gebührende Aufmerk­ samkeit zukommen zu lassen. Als Bildungsnation hat die Schweiz darin eine grosse Tradition. Brennpunkte der Schweizer Architektur Das föderalistische, direktdemokratische System der Schweiz steht einem starken Staat und damit der bauli­ chen Repräsentation grundsätzlich skeptisch gegenüber. Die Bildung hingegen hat einen hohen Stellenwert. So ha­ ben Gemeindehäuser an der Urne oft einen schwereren Stand als Schulhäuser: Schule ist Zukunft, und die Zu­ kunft, das sind unsere Kinder. Unabhängig von den sich wandelnden pädagogischen und architektonischen Strö­ mungen sind Schulhäuser und Schulanlagen oft bauliche und – mit Turnhalle und Mehrzwecksaal – auch gesell­ schaftliche Brennpunkte einer Gemeinde. Als öffentliche Bauten sind Schulhausneu- und -um­ bauten oft das Ergebnis eines Wettbewerbs ; nach wie vor ist die freie Konkurrenz unterschiedlicher Entwürfe ein Garant für architektonische Qualität. So sind die Schul­ hauswettbewerbe nicht nur eine starke Konstante in der Schweizer Wettbewerbstradition, sondern die gebauten Schulhäuser sind auch ein Spiegel der Schweizer Archi­ tektur und damit der Gesellschaft und Kultur schlechthin. Die Europäischen Tage des Denkmals, in der Schweiz seit 1994 begangen, stehen 2020 unter dem Motto ‹ Weiter­ bauen ›. Dass die Denkmalpflege des Kantons Zürich dabei die Schulhäuser in den Mittelpunkt stellt, ist unter meh­ reren Gesichtspunkten bemerkenswert: Zum einen kann

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sie damit zeigen, dass schulischer Wandel und Denkmal­ schutz sich nicht ausschliessen, sondern sich beflügeln können. Zum anderen ist das Schulhaus ein Thema, das uns alle berührt – sei es entrückt in der Erinnerung, sei es konkret mit den eigenen Kindern. Ein scheinbar fachli­ cher Diskurs erreicht so unmittelbar breite Bevölkerungs­ schichten. Und schliesslich spannt der Schulhausbau auch zeitlich einen grossen Bogen aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart auf. Zeugen des Wandels Wie unter einem Brennglas gewähren die Schulhäu­ ser aus unterschiedlichen Epochen Einblick in das Leben der Zürcherinnen und Zürcher. Das kleine Dorfschulhaus weckt Erinnerungen an Gotthelfs Zeiten, als ein gleicher­ massen strenger wie gütiger Lehrer in der Schulstube die grosse Klasse unterrichtete und züchtigte. Bauten im Heimatstil siehe S. 29 zeugen nicht nur von einer scheinbar heilen Welt, sondern auch davon, wie man der Architektur eine pädagogische Rolle zuschrieb. Später wurden aus den Schulhäusern in die Landschaft ausgreifende Schulanla­ gen. An den Schulbauten lässt sich auch die Karriere von Baumaterialien ablesen, etwa beim Stahlbau des Schul­ hauses Brüelmatt in Birmensdorf siehe Seite 22 oder beim Beton der Schulanlage Watt in Effretikon siehe Seite 27: In den 1960er-Jahren war er das Material der Zukunft, we­ nige Jahre später wollten viele – wohl eher die Lehrer als die Kinder – dem Beton den Garaus machen. Manchmal, wie beim Effretiker Wattschulhaus, braucht es die zeitli­ che Dis­t anz einiger Generationen, damit ein Gebäude als wichtiger Zeuge der Zeit und somit als Schutzobjekt er­ kannt und anerkannt wird. Wer hätte vor fünfzig, sechzig Jahren gedacht, dass ein altes Fabrikgebäude die Herzen nicht nur der Denkmalpfleger, sondern auch von Loftbe­ wohnerinnen, Partygängern oder Start-up-Firmen höher schlagen lässt ? Oder gar, dass sich die Zürcher Kaserne zu einem Schulhaus umbauen lässt siehe Seite 30 ? Im Leben bewegen wir uns nur in eine Richtung: vor­ wärts in die Zukunft. Doch die Zeitschiene ist keine Ein­ bahnstrasse. Es lohnt sich, ab und zu das Vergangene Re­ vue passieren zu lassen. Wie Meilensteine stehen da die im Inventar der Denkmalpflege aufgeführten Gebäude. Sie berichten uns von früheren Lebensvorstellungen, indivi­ duellen Vorlieben und Abneigungen, von gesellschaftli­ chen Bedürfnissen und Zwängen. Sie widerspiegeln tech­ nische Möglichkeiten und deren Grenzen, und sie führen uns ästhetische Strömungen vor Augen. Wir bemühen uns in jeder Zeit, das Richtige zu tun. Das war auch früher so, selbst wenn uns heute manches falsch erscheint. Wenn wir verstehen, wie es dazu kam, wie wir heute leben, wenn wir Rückschlüsse aus dem Vergangenen ziehen, können wir daraus Hinweise für die Gestaltung der Zukunft gewin­ nen – auch und besonders für die bauliche Entwicklung.

Themenheft von Hochparterre, September 2020 —  Denkmal macht Schule — Erinnerungsorte

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Schulhaus Halden, Glattbrugg: Treppenhalle im Neubau.

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Jede Zeit hat ihr Haus Seit dem 17. Jahrhundert gibt es Regeln zum Schulhausbau, und jede Zeit hat ihre Spuren hinterlassen: von der Ablesbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen und pädagogischer Konzepte. Text: Thomas Müller, Kantonale Denkmalpflege

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Schulhäuser im Laufe der Zeit 1 Ehemaliges Schulhaus Hirzel, 1660 2 Ehemalige Schulhäuser Volketswil, 1913 links, 1844 rechts 3 Schulhaus Rifferswil, 1913

4 Schulhaus Greifensee, 1907 5 Schulhaus Hirsgarten, Rikon, 1933 6 Schulhaus Wüeri, Nänikon, 1965 7 Schul­haus Reppisch, Birmensdorf, 1959 / 1964 7

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Mit der ‹ ersten durchgehenden Ordnung für die Schulen uff der Landschaft ›, die Antistes Johann Jakob Breitinger ( 1575 – 1645 ) 1637 veranlasste, trat erstmals eine gesetzliche Regelung des Landschulwesens in Kraft. 1778 zählte man im Kanton Zürich 370 Landschulen, in denen im Winter von Martini bis Ostern während sechs Stunden unterrichtet wurde – in den privaten Stuben der Schulmeister. Das führte zu Klagen über unzumutbare Verhältnisse und Missstände, denn die Gebäude der Schulmeister waren in Konstruktion, Raumaufteilung und Material mit den damaligen Bauernwohnhäusern vergleichbar. Höchstens eine vergrösserte Wohn- und Schulstube mit besserer Belichtung wies auf den besonderen Zweck hin. An der Schwelle zum 19. Jahrhundert war Johann Heinrich Pestalozzi ( 1746 – 1827 ) für das Schulwesen und die Pädagogik ein Meilenstein. Die steigende Schülerzahl, die Verbreitung der Mädchenbildung sowie die teilweise Trennung in Lese- und Schreibschulen führten zu einem erhöhten Raumbedürfnis, doch die Gemeinden gingen es aus finanziellen Gründen nur zögerlich an. Musterpläne und Zwang zum Schema In den 1820er-Jahren begannen einzelne Architekten die Schulhausbauten zu systematisieren. Trotzdem blieb die Situation im Kanton Zürich prekär. 1831 musste der Erziehungsrat 130 Gemeinden anhalten, bessere Räume einzurichten oder Schulhäuser zu bauen. Der entscheidende Schritt erfolgte nach 1832, als neue Gesetze den Aufbau eines staatlichen Bildungssystems sowie die allgemeine Schulpflicht und die Schaffung geeigneter Schulräume verlangte. 1835 erschien die ‹ Anleitung über die Erbauung von Schulhäusern. Von dem Erziehungsrathe des Kantons Zürich gemäss § 12 des Gesetzes über die Organisation des gesammten Unterrichtswesens erlassen ›. In vierzig Paragrafen wurden die Grundsätze aufgeführt: Baustelle, Lage und Umgebung des Schulhauses ; Dimen­ sionen der Lehrzimmer und Bestuhlung ; Lehrerwohnung ; Abtritt ; Beheizung ; Einteilung der Schulgebäude ; exakte Vorgaben zu Bauart und Baustoff. Im folgenden Jahr publizierte der Erziehungsrat die entsprechenden Pläne in Form von zwölf grossformatigen, lithographierten Tafeln. Entworfen hatte sie der aus Bachs stammende, akademisch ausgebildete Architekt Heinrich Bräm ( 1792 – 1869 ). Die Typenbauten unterschiedlichster Grösse zeigen eine klassizistische Formensprache – in Variationen. Bis 1850 entstanden auf dieser Grundlage in der Zürcher Landschaft Dutzende von Volksschulhäusern, auf die lokalen Verhältnisse adaptiert. Entwicklung hin zum Heimatstil Kurz nach 1850 trat mit einer neuen Generation von ausgebildeten Architekten ein markanter Wandel ein: Mit Gustav Albert Wegmann ( 1812 – 1858 ), Leonhard Zeugheer ( 1812 – 1866 ), Ferdinand Stadler ( 1813 – 1870 ), Johann Caspar Wolff ( 1818 – 1891 ) und anderen wurde der Schulhausbau zur Domäne der professionellen Planer und damit zu einem der Hauptträger der Stilentwicklung. Viele Architekten profilierten sich in diesem Feld, darunter Johann Rudolf Roth ( 1831 – 1905 ) aus Fluntern, der rund sechzig Schulhäuser in Stadt und Kanton baute. Die Gründung des Heimatschutzes 1905 veränderte den Schulhausbau erneut und grundlegend. Die bisherigen Bauten wurden als kasernenhaft und baukastenmässig heftig kritisiert. Die Rücksicht auf die landschaftliche und ortsbauliche Umgebung, neue pädagogische Ziele im Unterricht und die technischen Errungenschaften im Bereich der Hygiene beschäftigten von nun an die Planer. Es waren die damals jungen Architekten, die häufig zur

Gründergeneration des Bundes Schweizer Architekten ( BSA ) gehörten, die die starren Grundrisse mit symmetrischer Anordnung zugunsten einer freieren Gestaltung auflösten. So entstanden Asymmetrien, die vor allem in der kubischen Gliederung der Gebäude zum Ausdruck kamen. Turnhallen wurden häufig übereck angeordnet. Es entstanden Schulhöfe mit einer klaren Trennung von Innen- und Aussenseite. Licht – Luft – Sonne – Bewegung Innert weniger Jahre entstanden Schulhäuser mit malerischem, farbig-heiterem Charakter. Das Hochbauamt des Kantons Zürich stellte für die Landesausstellung in Bern 1914 eine Mustermappe zusammen, in der Schulhäuser von einem bis 18 Zimmern in Grundrissen und Fotos präsentiert wurden. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre stand der Schulhausbau im Spannungsfeld zwischen monumentalem Neoklassizismus, anbrechender radikaler Moderne und einer moderateren Haltung dazwischen. Die nächsten tiefgreifenden Veränderungen brachten die Reformbestrebungen in der Pädagogik, die Psychologie und die Neudefinition von Formen und Inhalten der Architektur. 1932 wurde in verschiedenen Schweizer Städten eine Ausstellung gezeigt, die diese Entwicklungen veranschaulichte: Die Direktoren der Basler und Zürcher Gewerbeschule konzipierten diese Ausstellung zusammen mit den Architekten Max E. Haefeli, Werner M. Moser, Emil Roth, Rudolf Steiger und Siegfried Giedion, Zürich, und Georg Schmidt, Basel. Die Zürcher Avantgarde stellte dabei vier Neuerungen als Anregung und als Vorschlag zur Diskussion: 1. A ufwand für das Kind ! Licht, Luft, Sonne, Bewegung. 2. Weg vom Palast- oder Kasernencharakter, hin zu einem kindergerechten Massstab, am besten in Pavillonform. 3. Ausblick und Austritt ins Freie, Öffnung zur Umgebung . 4. Quadratische anstelle von längsrechteckigen Zimmern mit beweglicher statt starrer Bestuhlung. Geschossbauten und Pavillons Die programmatische Schrift ‹ Das Kind und sein Schulhaus › von 1933 nahm diese Forderungen auf, wandte sich gegen eine Repräsentation beim Schulhausbau, der nach damaliger Auffassung den kindlichen Massstab verhindere. Die Autoren forderten den Verzicht auf eine monumentale Architektursprache, kleinere, gruppierte Gebäudekuben sowie eine grössere Beachtung des Aussenbereichs mit kindgerechten Pausenplätzen. In den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Schustertyp auf. Architekt Franz Schuster hatte kleine Einheiten geplant: pro Geschoss zwei Klassenzimmer mit separater Treppe und eigener Infrastruktur. Eine Blüte erlebte das Pavillonsystem zwischen 1955 und 1966. Nach 1960 brauchte es in kurzer Zeit neue Klassenzimmer. Es wurden zahlreiche Schulhäuser in kostengünstiger Bauweise erstellt. Betonkonstruktionen aus vorfabrizierten Elementen, Flachdächer, freie Stützen und Langfenster kamen auf. Gefordert war seit den 1950er-Jahren eine Standardisierung in Planung und Ausführung. Zen­ tralheizung, künstliche Beleuchtung und Belüftung befreiten das Schulhaus von den Einschränkungen einer längsgerichteten Bauweise. Es entwickelten sich die Tendenzen zu einem plastischen Monumentalismus und zu einer nutzungsspezifischen Diversifizierung. Bald gab es gleich viele Sonderzimmer für Chemie, Informatik et cetera wie eigentliche Schulzimmer. Turnhallen, Schwimmbäder oder Sportplätze wurden wichtiger, und es entstanden grosszügige Schulanlagen, die künftig Änderungen und Erweiterungen dank Flexibiliät ermöglichen.

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Wilhelm Natrup hat an der TU Berlin studiert und war an der ETH Zürich tätig. Nach rund zwanzig Jahren in einem privaten Planungs- und Beratungsbüro ist er seit 2009 Chef des Amts für Raumentwicklung im Kanton Zürich und gleichzeitig Kantonsplaner.

« D er Investitionsbedarf wird oft unterschätzt » Bei Schulraumerweiterungen steht heute die Nachverdichtung bestehender Anlagen im Fokus. Wilhelm Natrup, Chef des Zürcher Amts für Raumentwicklung, über die Herausforderungen der Planung. Interview: Jürg Zulliger

Überall, wo die Bevölkerung wächst und Familien zuziehen, wird es neue Schulhäuser brauchen. Wo sehen Sie für die nächsten Jahre die Schwerpunkte des Wachstums ? Wilhelm Natrup:  Wir gehen nach den gängigen Prognosen davon aus, dass die Bevölkerung im Kanton Zürich bis 2040 um rund 300 000 Personen wachsen wird. Auch im Zeitraum bis 2050 ist mit einem weiteren Zuwachs der Bevölkerung zu rechnen. Im Kern geht es bei dem kantonalen Raumordnungskonzept darum, dass das Wachstum in den ‹ urbanen Handlungsräumen › stattfindet: Sie sollen mindestens achtzig Prozent des Wachstums aufnehmen. Welche Gemeinden sind damit gemeint ? Das sind die urbanen Räume von Zürich, Winterthur, Limmat- und Glatttal sowie Bülach, Uster, den Seegemeinden und die Gemeinden im engeren Agglomerationsgürtel als Teil der urbanen Wohnlandschaften. Wie schlägt sich die Schulhausplanung in der kantonalen oder kommunalen Richtplanung nieder ? Der Kanton gibt keine bestimmten Wachstumsziele oder gar konkrete Bevölkerungszahlen vor, wie dies teils fälschlicherweise unterstellt wird. Raumplanungsgesetz und kantonaler Richtplan stecken aber einen Rahmen ab. Die Entwicklung nach innen soll sich auf diese urbanen Handlungsräume konzentrieren. Entfällt das Wachstum nicht

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primär auf diese Räume, würde dies wieder der Zersiedelung im ländlichen Raum Vorschub leisten. Innerhalb dieses Rahmens haben die Gemeinden Vorsorge dafür zu treffen, dass an geeigneten Orten auf-, um- und in Einzelfällen auch eingezont wird. Dabei ist zentral, dass die für die Bevölkerungsentwicklung benötigte Infrastruktur – inklusive Schulhäuser – entsprechend geplant wird. Wie wird dies umgesetzt ? Die Stadt Zürich hat sich zum Beispiel im Rahmen des kommunalen Richtplans gründlich damit auseinandergesetzt. Wenn wir uns dies bildlich auf einer Karte der Stadt vorstellen, sind die Dimensionen eindrücklich. Wächst die Stadt um 100 000 Einwohner, ist einiges an Infrastruktur, Primarschulhäusern, Sportplätzen, Turnhallen und Aussenanlagen nötig. Während dies bei Hochschulen weniger ins Gewicht fällt, benötigen Primarschulhäuser noch einiges an Infrastruktur drum herum. Finden sich in den städtischen Räumen überhaupt noch ausreichend Landreserven und verfügbare Zonen für neue Schulhäuser ? Wenn immer möglich wird an diesen städtischen Standorten eine Verdichtung bestehender Schulanlagen im Vordergrund stehen. Oft stellt sich die Frage, ob und in welcher Form dies möglich ist. Generell ist der Anteil der geschützten Gebäude beim öffentlichen Bau höher. Ge-

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meindehäuser, Kirchen und Schulhäuser prägen in aller Regel das Ortsbild. Schulhäuser sind zugleich ein Spiegel der Sozialgeschichte. Viele Beispiele aus der Praxis zeigen: Auch unter solchen Voraussetzungen sind Verdichtungen in bestehenden Anlagen möglich. Viele Gemeinden haben Vorsorge getroffen und verfügen teils über Reserven rund um bereits vorhandene Schulanlagen. Der Grundsatz der Verdichtung ist anerkannt. Wenn wir nicht wieder zwiebelschalenmässig wachsen wollen, müssen wir auf Neubauten ausserhalb der bestehenden Netze und Verkehrswege verzichten. Sind auch Umzonungen für neue Schulhäuser nötig ? Für neue Anlagen kommen grundsätzlich brachliegende Gewerbe- und Industrieflächen in Betracht. Doch für die Gemeinden und Städte werden sich diese Flächen als ausgesprochen teuer erweisen, wenn sie diese in ihr Eigentum überführen wollen. Die Entwicklung führt auch dazu, dass bestehende Schreber- und Kleingärten unter Druck kommen. In Zürich Nord oder Zürich-Albisrieden werden neue Schulhausanlagen auf solchen Arealen realisiert. Was bietet sich als Alternative an ? Das kantonale Planungs- und Baugesetz kennt das Institut der Durchstossung von Flächen in der Landwirtschaftszone. Sind entweder im inneren Raum oder am Rand der Gemeinde noch solche Landreserven verfügbar, lassen sie sich in eine Zone für öffentliche Anlagen und Bauten umwandeln. So kommt die Gemeinde zu einem Bruchteil der Kosten zu Land für neue Schulhäuser. Die Anforderungen sind aber hoch. So muss die Gemeinde den Nachweis erbringen, dass tatsächlich keine anderen Flächen zur Verfügung stehen. In der Vergangenheit war dies ein oft gewählter Weg. So kommt es, dass eine Zeitlang neue Schulhäuser vor allem am Ortsrand realisiert wurden. Was macht die Schulhausplanung so schwierig ? In der Praxis erweist es sich oft als ausgesprochen anspruchsvoll, zum Beispiel die Zuwanderung oder die Geburtenrate mittelfristig zu prognostizieren. Es ist wenig im öffentlichen Bewusstsein, dass wir allein aufgrund der aktuell wieder gestiegenen Geburtenrate ein natürliches Bevölkerungswachstum verzeichnen. Daher ist es von grosser Bedeutung, Raumplanung nicht als rein technische Disziplin zu begreifen. Wir müssen immer auch versuchen, die demografischen, sozialen und gesellschaftlichen Trends zu antizipieren. Sonst planen wir an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Hängt die künftige soziale Struktur nicht auch stark davon ab, was und wie teuer gebaut wird ? Das Bevölkerungswachstum und die Geburtenrate abzu­ schätzen, scheint noch machbar. Was Investoren und Bauträger planen, entzieht sich aber dem Einfluss der Gemeinde und der Planung. Je nach Wohnungszuschnitt, je nach Wohnungspreisen und Vermietungspraxis werden unterschiedliche Zielgruppen in Neubauten einziehen. Kaum vorhersehbar sind auch Veränderungen der Umweltbedingungen. So haben wir im Kanton etliche Beispiele, wo Flug- oder Strassenlärm die soziale Struktur eines Standorts stark verändern. Im Norden und Süden des Flughafens finden sich einige Siedlungen mit einem hohen Anteil Familien – einfach, weil die Umweltbelastung zu vergleichsweise günstigen Mieten führte. Das war politisch nicht gewollt, aber die Gemeinde kann kaum Einfluss auf solche Entwicklungen nehmen. Eines von vielen Entwicklungsgebieten ist der Glattpark in Opfikon. Wie kam es, dass sich der Bau eines Schulhauses bis heute verzögert hat ? Bei den ersten Planungen für den Glattpark waren vor allem Bürobauten im Fokus. Niemand hat damals vorhergesehen, dass sich viele Jahre später das Wohnen dynamisch

entwickeln wird. Der Anteil von Familien mit Kindern liegt viel höher als man zu Beginn vermuten konnte. So kommen eines Tages für die Gemeinden und deren kommunale Politik ganz neue Fragen aufs Tapet: Welche räumliche Entwicklung zieht welche Infrastrukturkosten nach sich ? Die Neuansiedlung von Unternehmen kann sich für den Finanzhaushalt positiv auswirken, ohne dass der Gemeinde unverhältnismässig hohe Infrastrukturkosten erwachsen. Kommt hingegen eine dynamische Entwicklung beim Wohnen und beim Zuzug von Familien in Gang, sind damit erhebliche Investitionen verbunden. Schulhäuser, Kitas, Sport- und Freizeitanlagen sowie Seniorenbetreuung sind nur einige Stichworte. Im Einzelfall kommt es auch vor, dass politische Abläufe, Volksabstimmungen, eine man­ gelnde oder zu späte Koordination zwischen Raum­ent­ wicklung und Schulbehörden zu Verzögerungen oder Fehlplanungen führen können. Die Finanzlage der Gemeinden ist sehr unterschiedlich. Welche Folgen haben diese Unterschiede ? Wenn wir uns mit diesen längerfristigen Entwicklungen auseinandersetzen, müssen wir den Begriff der ‹ Sprungkosten › einführen. Bei einem sehr dynamischen Wachstum läuft die Entwicklung möglicherweise aus dem Ruder. Dann braucht es plötzlich nicht nur Schulhausprovisorien, sondern zusätzliche Schulhäuser. Für eine Gemeinde kann dies sehr teuer werden. Typisch ist dann auch der Zielkonflikt zwischen einem zum Beispiel moderaten Bevölkerungswachstum und der Balance des Finanzhaushalts. In Winterthur gab es bekanntlich eine solche Phase, in der die Bevölkerungszahlen schneller anstiegen als das Steueraufkommen zunahm. Hier zeigte sich, dass die Entwicklung neuer Quartiere inklusive nötiger Infrastruktur und Schulhausbauten einen hohen Investitionsbedarf nach sich zieht. Wie sind eigentlich die Kompetenzen zwischen den Städten, den Gemeinden und dem Kanton abgegrenzt ? Kantonsschulen respektive Gymnasien und Berufsbildung liegen in der Kompetenz des Kantons. Bei den Gymnasien arbeiten wir mit gewissen Jahrgangszahlen. Wir rechnen, dass es pro 70 000 Bewohnerinnen und Bewohner eine Kantonsschule braucht. Die Primar- und Sekundarschulen sind hingegen Hoheit der Gemeinden. Ist der Kanton beratend tätig ? Wir empfehlen den Gemeinden, dass sie sich mit uns in Verbindung setzen, wenn es um die Bau- und Zonenordnung geht. Dabei stellen wir im Gespräch natürlich die Frage, ob die Infrastruktur auf dem Radar ist oder nicht. Schon allein ein ‹ moderates › jährliches Bevölkerungswachstum von einem Prozent zieht erhebliche Investi­ tionen nach sich. Dabei müssen wir klar kommunizieren, dass wir eine Bau- und Zonenordnung nicht genehmigen können, wenn die benötigte Infrastruktur nicht Teil der Planung ist. Aber es gibt ja auch Orte mit sinkenden Schülerzahlen. Wir haben sowohl Gemeinden mit sinkenden Schülerzahlen als auch solche mit einem Wachstum. Nehmen wir als Beispiel Hüttikon. Der Neubau einer ganzen Siedlung mit Reiheneinfamilienhäusern zog ein starkes Wachstum nach sich, mit einem hohen Familienanteil. Auch die Tatsache, dass manche Quartiere ‹ altern › und sich in Wohnquartieren ein Generationenwechsel abzeichnet, sollte nicht zu Fehlschlüssen verleiten. Eine Siedlung durchläuft eine Phase, während der wenige Kinder dort leben. Sobald aber die nächste Generation in die Familienphase kommt, werden die Schülerzahlen wieder steigen. ●

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Warum tun die das? Gebäude erzählen die Geschichte des Kantons. Herausragende Bauten werden ins Inventar der Denkmalschutzobjekte aufgenommen. Die Denkmalpflege begleitet deren Umbau. Text: Jan Capol, Denkmalpflege Kanton Zürich

Der Kanton Zürich wächst. Vieles wird anders, vieles wird besser. Wir wissen allerdings aus unserem eigenen Le­ benslauf: Veränderungen tun oft weh. Ähnliches gilt für bauliche Veränderungen: Die vertrauten Eigenschaften von Stadt, Quartier oder Dorf gehen verloren. Charakter­ züge, die über Jahrhunderte gewachsen sind und zu denen wir Zuneigung entwickelt haben, verblassen. Das eigene Zuhause unterscheidet sich immer weniger vom Zuhause der anderen. Winkel sieht bald aus wie Bachenbülach und umgekehrt, Bonstetten wie Wettswil, Pfäffikon wie Fehr­ altorf, Altstetten wie Albisrieden.

ten in unterschiedlichen Bauweisen fügten sich nebenei­ nander. Heute wechselt der architektonische Ausdruck von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Normierung und Standardi­ sierung der Baugesetze, die internationale Vernetzung der Baubranche und die Vereinheitlichung der Architek­ tinnen- und Planer­ausbildungen erzeugen neuartige und qualitätsvolle Bauten – doch überall die gleichen, die we­ nige Jahre darauf gleichartig erneuert werden. Da in den letzten Jahrzehnten so viel gebaut wurde wie nie zuvor, gleichen sich die Orte immer mehr. Die Einfamilienhäuser in Bauma sind die gleichen wie in Eglisau, die Aussendäm­ mung am Wohnhochaus in Greifensee unterscheidet sich nicht von jener in Dietikon. Deshalb begleitet die Denk­ Einmaligkeit Die kantonale Denkmalpflege ist eine Abteilung des malpflege die Veränderung einer Auswahl von historisch Amtes für Raumentwicklung ( ARE ). Teil jenes Amtes also, besonders wertvollen Gebäuden: Damit ein Teil der histo­ das die Entwicklung des Kantons fördert und steuert. risch gewachsenen Zürcher Vielfalt bestehen bleibt. Denkmalpflege ist damit eine Disziplin der Raument­ Nachvollziehbare Zürcher Geschichte wicklung. Sie bezeichnet eine Auswahl von Orten und Gebäuden, die sich mit besonderer Rücksicht auf ihre Die Vielfalt der Gebäude erzählt die vielfältige Ge­ Charaktere, auf ihre Einmaligkeit entwickeln soll. Die schichte des Kantons. Ein Teil tut das in herausragendem Denkmalpflege begleitet und unterstützt die Entwick­ Mass und erinnert in exemplarischer Weise an das Leben lung dieser Auswahl, einer Auswahl, die für die emotio­ unserer Vorfahren, an die Schritte hin zu unserer Zeit. Das nale Bindung der Bewohner an ihren Wohnort wesentlich Kleinbauernhaus in Bäretswil zeigt das entbehrungsrei­ scheint. Dabei arbeitet sie transparent: Sie erstellt und che Leben der ländlichen Bevölkerung, die im 19. Jahrhun­ veröffentlicht das Inventar der schutzwürdigen Bauten, dert die Nahrungsmittel für die Industriearbeiter anbaute. eine Übersicht jener Gebäude, die die Einmaligkeit eines Der Flarz in Hittnau erinnert an die damals neuartige Le­ Gebiets ausmachen. Wer ein Haus im Inventar verändern bensweise der Heimarbeiter, auch der Fabrikarbeiter, die will, muss mit der Denkmalpflege Kontakt aufnehmen, die dicht an dicht in kleinen, günstig zusammengewerkelten geplanten Veränderungen vorstellen und allenfalls die Art Häusern wohnten. Die Fabrikantenvilla in Bauma ist das dieser Veränderung aushandeln. Damit trägt die Denkmal­ wohlhabende Gegenstück dazu. In der Fabrik Neuthal pflege in Zusammenarbeit mit den Gemeinden dazu bei, überlagerten sich die Lebenswelten von Fabrikanten und das Vertraute der einzelnen Quartiere, Dörfer und Weiler Arbeitern, hier spannen und woben die Arbeiterinnen und Arbeiter Baumwolle für das Wohlergehen der Fabrikanten­ im Kanton zu erhalten. familie – und für den eigenen Lebensunterhalt, damit sie Vielfalt die Nahrungsmittel bei den Kleinbauern einkaufen und die Der Kanton Zürich umfasst topografisch unterschied­ Mietkosten für ihren Flarz in Hittnau begleichen konnten. Eine besondere Stellung nehmen die Schulhäuser ein. liche Regionen mit eigenen meteorologischen Merkma­ len – vom hügeligen Oberland über das flache Weinland Die Denkmalpflege prüft auch dort die Schutzvermutung, bis zum regenreichen Knonaueramt oder zum trockenen begleitet und unterstützt die Eigentümer in der Weiter­ Rafzerfeld. Diese äusseren Gegebenheiten zwangen die entwicklung der Bauten, damit diese den heutigen Be­ Bevölkerung, ihre Lebensweise anzupassen, was regio­ dürfnissen angepasst werden können – und damit sie ih­ nal unterschiedliche Bauten hervorbrachte. Zusätzlich ren Erinnerungswert und ihre Inspirationskraft behalten. schuf die historische Entwicklung uneinheitliche wirt­ Aus all diesen Gründen tun die das, in der Denkmal­ schaftliche und rechtliche Grundlagen. Damit entstan­ pflege. Damit die Einmaligkeit der Weiler, Dörfer und Ge­ den Gebiete, deren Bausubstanz sich von Weiler zu Weiler, meinden – und jene der Schulhäuser – im Kanton Zürich von Dorf zu Dorf voneinander abhebt. Es wuchs über die erhalten bleibt. Damit dieser Kanton weiterhin in seiner Jahrhunderte die bauliche Vielfalt, die den Kanton Zü­ Vielfalt glänzt, damit seine Geschichte für die Bewoh­ rich bis heute prägt. Das Wachstum des Kantons verlief nerinnen und Besucher nachvollziehbar bleibt und sie – gemächlich. Die Entwicklung von der Gotik zum Barock nicht zuletzt auch im Schulhausbau – zu Lösungen für die dauerte Jahrhunderte, Gebäude aus verschiedenen Zei­ Zukunft inspiriert.

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Kantonsschule Im Lee, Winterthur: Pausenhalle im Umbau.

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Alte Schulhäuser sind erstaunlich robust Wie tauglich sind alte Schulhäuser, wenn sich die Vorstellung vom ‹ guten Unterricht › verändert ? Ein Blick in drei Schulhäuser mit Jahrgang 1876, 1891 und 1933. Text: Karin Salm

Wer im 19. Jahrhundert im Kanton Zürich ein Schulhaus baute, nahm vertrauensvoll die ‹ Anleitung über die Erbauung von Schulhäusern › zur Hand und entwarf ein normiertes Gebäude: Der Baukörper war klassizistisch, die Fassade symmetrisch, der Eingang mit einem Dreiecksgiebel markiert, und pro Etage gabs zwei bis vier Schulzimmer. Laut der 1835 erlassenen Anleitung sollten diese gut belichtet und hundert Quadratmeter gross sein. In einem Schulzimmer zwängten sich damals bis zu hundert Mädchen und Buben in die festgeschraubten Holzbänke, ein erhöhtes Pult garantierte dem Lehrer im Gedränge den nötigen Überblick. Guter Unterricht war damals frontal, und Disziplin war wichtiger als die Inhalte. Um die wachsende Bedeutung des Bildungswesens und den Reichtum der Stadt Zürich zur Schau zu stellen, war zusehends ein neuer Schulhaustyp mit repräsentativer Ausstrahlung gefragt. Die Architekten entwarfen langgestreckte, mächtige ‹ Grossschulhäuser ›. So bauten die Gebrüder Reutlinger von 1874 bis 1876 eines der ersten prunkvollen Schulhausschlösser an prominenter Lage am Zürcher Schanzengraben. Nach wie vor ist hier der Grundriss symmetrisch, mit einem zentralem Treppenhaus. Davon zweigen breite, helle Längskorridore ab, daran aufgereiht sind die Klassenzimmer.

hälfte bleibt vor der Wandtafel Platz für den ‹ Kreis ›, für das Zusammenkommen der ganzen Klasse. « Das mobile Mobiliar hilft, neue Unterrichtskonzepte umzusetzen. Ich führe keinen Kampf gegen die alten Räume », sagt Stadler und fügt an, dass es natürlich ideal wäre, die breiten, hellen Korridore für Gruppenarbeiten zu nutzen. Aber weil die Fluchtwege freigehalten werden müssen, sagt die Feuerpolizei strikt Nein.

Fit für den Lehrplan 21 « Zum Glück sind unsere Schulzimmer so gross », findet auch Marianne Trüb, Schulleiterin Schulhaus Gutenberg in Winterthur Töss. Seit zwanzig Jahren ist sie hier tätig. 1891 wurde das dreistöckige Schulhaus nach den kantonalen Richtlinien erbaut: repräsentativ spätklassizistisch gegen aussen und im Innern mit je zwei hundert Quadratmeter grossen Klassenzimmern pro Etage. Die insgesamt sechs Klassenzimmern waren damals dringend nötig, da die Bevölkerung im Arbeiterquartier während der Industrialisierung explosionsartig zunahm. Nach 1980 wurde das Schulhaus neuen pädagogischen Vorstellungen angepasst: Auf dem grosszügigen Platz vor den Schulzimmern wurden kleine Gruppenräume eingebaut. Bei der letzten Gesamtrenovation 2015 / 16 entstanden im Dachstock Arbeitsbereiche für die Lehrperso« Ich führe keinen Kampf gegen alte Räume » nen, eine Schulhausbibliothek und Platz für die Sammlung. 144 Jahre nach der Eröffnung des monumentalen Das Haus sei fit für den Lehrplan 21, ist Marianne Trüb Schulpalasts unterrichtet Teres Stadler hier eine Unter- überzeugt. Erst recht, weil ein Klassenzimmer in einen stufenklasse mit 22 Kindern. Seit 23 Jahren ist sie hier Singraum umfunktioniert wurde und bei Raumnot sofort Lehrerin. Vier Schulzimmer hat sie kennengelernt – ihr wieder als Klassenzimmer genutzt werden könne. Und liebstes sei das Eckzimmer in der obersten Etage. « Ei- dann seien da zum Glück die grossen, alten Normzimmer. nige Kolleginnen finden es zu düster, aber ich geniesse Aus eigener Erfahrung kennt sie den Unterschied: Sie hat den Blick in die Baumkronen. Sie geben Auskunft über die einige Jahre im nahen Schulhaus Rebwiesen unterrichtet, Jahreszeiten », schwärmt Teres Stadler. Frontalunterricht das in den 1980er-Jahren aus vorfabrizierten Elementen ist hier längst passé. Den verschiedenen pädagogischen auf kleinem Baugrund rasch erstellt wurde. Entsprechend und didaktischen Ansprüchen des individualisierten Ler- klein sind dort die Schulzimmer. nens, der Arbeit in Gruppen, aber auch der Gemeinschaft gerecht zu werden, sei in diesem alten, hundert QuadratLuft, Licht und bewegliches Mobiliar meter grossen Schulzimmer kein Problem, erklärt sie. Die In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen nahLehrerin hat das Zimmer schlau möbliert. Die Einzelpul- men licht- und luftbegeisterte Architekten die Reform­ te der Kinder sind der Wand entlang aufgereiht. Wer hier diskussionen im Schulhausbau auf. 1932 / 33 entstand sitzt, arbeitet still für sich. In der einen Raumhälfte stehen nach Plänen des damaligen Stadtbaumeisters Hermann zwei grosse Tische zusammengerückt. Wer allein nicht Herter auf einer sonnigen Terrasse in Zürich-Wipkingen weiterkommt, nimmt hier Platz. Und in der anderen Raum- das 87 Meter lange, vierstöckige Schulhaus Waidhalde

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Schulhaus Schanzengraben, Zürich.

Schanzengraben: Erdgeschoss, ursprünglicher Zustand.

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Schulhaus Gutenberg, Winterthur-Töss.

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Gutenberg: N Obergeschoss, aktuell.

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mit seinem flachen Walmdach. Der klassischen Moderne entsprechend ist die Fassade schlicht, gegliedert durch die grossen Schiebefenster der Klassenzimmer. Die 18 Klassenzimmer sind durch lange Korridore erschlossen. Diese sind fast so breit wie die Klassenzimmer und werden von Norden her durch eine Fensterfront belichtet. Die damals neu eingeführten beweglichen Möbel, die die früheren schraubstockähnlichen Schulbänke ersetzten, waren ein wichtiger Punkt der Reform. Viel Licht und Luft also im Schulhaus Waidhalde. Elisabeth Boss nickt und ergänzt: « Und im Sommer ist es extrem heiss. » Seit 37 Jahren unterrichtet sie hier, und sie hat eindrückliche Zahlen parat: Vor dreissig Jahren waren es in der Waidhalde 17 Klassen und vier Kindergärten, heute sind es 21 Klassen und sechs Kindergärten. Möglich machen das die Pavillons, die den Freiraum und bald auch die Spielwiese anknabbern. Aber auch im Haus ist man zusammengerückt: Materialräume wurden für Spezialunterricht wie Deutsch für Fremdsprachige oder Logopädie umfunktioniert. Elisabeth Boss, die eben in Pension ging, unterrichtete eine von drei 3. Klassen mit 17 Kindern. Nach den Sommerferien sind es nur noch zwei 3. Klassen – mit je 26 Kindern. Die erfahrene Lehrerin seufzt kurz vor ihrem Abschied und lässt den Blick schweifen im knapp siebzig Quadratmeter grossen Klassenzimmer. Bisher standen vier Quadratmeter pro Kind zur Verfügung, nach den Sommerferien sind es nur noch gut 2,5 Quadratmeter. Das sind schwierige Voraussetzung für vielfältige, partizipative Lernerfahrungen. Elisabeth Boss hätte sich bei der letzten Renovation gewünscht, dass die Schulzimmer auf

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Kosten der breiten, einst als Pausenhallen konzipierten Gänge vergrössert worden wären. Heute lassen sich die Gänge wegen den feuerpolizeilichen Vorschriften bestenfalls mit den kleinen Gruppentischen nutzen. « Mein Traum wäre es gewesen, den Estrich auszubauen », sagt Elisabeth Boss. Und tatsächlich: Auf dem Estrich stehen Pulte, die mit improvisierten Trennwänden zu Lerninseln zusammengestellt sind. Eigenverantwortliches Lernen in Atelierstimmung wurde hier vor einigen Jahren erprobt, nachdem die Lehrerschaft eine kleine Studienreise unternommen hatte. Allerdings war das Experiment von kurzer Dauer, da es im Sommer stickig und heiss und im Winter kalt war, wie es in einem einfachen Estrich eben ist. Je älter das Haus, desto grösser die Möglichkeiten Die Volksschulhäuser aus dem 19. Jahrhundert waren für Klassen mit bis zu hundert Kindern gebaut worden. Selbst wenn die Kinder damals zusammengepfercht in den Bänken sassen, waren die Räume gross. Und weil die Grösse geblieben ist, lassen sich darin heute neue pädagogische Vorstellungen recht gut umsetzen. Vorausgesetzt, dass die Klassen nicht zu gross und Gruppenräume vorhanden sind und dass die Korridore ab und zu trotz feuerpolizeilichem Stirnrunzeln für kurze Arbeitssequenzen genutzt werden dürfen. Auch in Schulhäusern der Moderne aus den 1930er-Jahren ist heute guter Unterricht möglich. Weil damals die Klassen jedoch bereits kleiner waren und die Raumgrössen entsprechend schrumpften, sind die Platzverhältnisse auch heute enger. Wegen der Brandschutzvorschriften sind aber die grosszügigen, hellen Hallen für den Unterricht kaum nutzbar.

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Büel B, Unterengstringen: ein spezieller Schulhaustyp der Architekten Wilhelm und Eugen O. Fischer. Foto: Werner Huber

Information ist essenziell Die Denkmalpflege wollte die Schulanlage Büel in Unterengstringen ins Inventar aufnehmen. Der Gemeinderat wehrte sich dagegen – auch weil man die Baugeschichte nicht kannte. Text: René Hornung

Der Gemeinderat von Unterengstringen staunte nicht schlecht, als Post von der kantonalen Denkmalpflege eintraf – mitten in der Ausführungsplanung für die Erweiterung des Schulhauses Büel aus den 1950er-Jahren: Man habe die Gebäude im Ort nach wissenschaftlichen Kriterien begutachtet und wolle nach Vergleichen mit ähnlichen Gebäuden im Kanton die gesamte Schulanlage Büel ins Inventar der schützenswerten Bauten aufnehmen. Halt, halt, protestierte der Gemeinderat in einem Brief an Wilhelm Natrup, den Chef des Amts für Raumentwicklung des Kantons Zürich, dem auch die Denkmalpflege unterstellt ist. Hätte sich die kantonale Denkmalpflege bei der Gemeinde erkundigt, wüsste sie, dass bereits mehr als vier Millionen Franken für eine Schulhauserweiterung bewilligt wurden, dass dafür eine rechtsgültige Baubewilligung

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vorliege und man schon mitten in der Ausführungsplanung stecke. Ausserdem verlange die Bildungsdirektion von den Gemeinden, dass sie rasch und flexibel auf die schulischen Bedürfnisse und die wachsenden Schülerzahlen reagierten. Das sei doch ein Widerspruch zu einer Inventarisierung, die Ausbauten erschwere. Die gesamte Schulanlage ins Inventar aufzunehmen, komme für die Gemeinde deshalb nicht in Frage. Sowieso sei vielen Bewohnerinnen und Bewohnern, die hier früher selbst zur Schule gingen, völlig schleierhaft, was die Denkmalpflege an diesen Schulhäusern speziell finde. Der 2018, erst kurz vor diesem Briefwechsel, neu gewählte Hochbauvorsteher von Unterengstringen, Gemeinderat Yiea-Wey Te ( FDP ), sagt, er sei sehr am Bauen und an der Architektur interessiert und habe auch durchaus Ver-

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ständnis für Denkmalschutz-Inventare, vorausgesetzt, es gehe um wirklich spezielle Gebäude. « Aber wieso sollen unser 1950er- und das 1970er-Jahre-Schulhaus geschützt werden ? », fragt er. Generell seien in Unterengstringen schon sehr viele Bauten inventarisiert. Diese Liste müsse man sowieso nächstens überprüfen. Dass die Denkmalpflege vor seiner Amtszeit zweimal mit der Gemeinde Kontakt aufgenommen hatte, wusste der neue Hochbauvorsteher offensichtlich nicht.

« Wir haben erkannt, dass wir dort offensichtlich einen speziellen Schulhaustyp haben. » Yiea-Wey Te, Gemeinderat und Hochbauvorsteher in Unterengstringen

Die Lösung liegt im Kompromiss Dem Briefwechsel mit dem Kanton folgte eine Aussprache mit dem kantonalen Denkmalpfleger Beat Eberschweiler. Ihm erklärten die Gemeindevertreter, dass sie gar keine andere Wahl hätten, als die bestehende Schulanlage weiter auszubauen, denn die flächenmässig kleine Gemeinde Unterengstringen habe praktisch keine eigenen Landreserven mehr. Es folgten intensive Verhandlungen, « denn es ist immer zentral, miteinander um gemeinsam getragene Lösungen zu ringen », wie Beat Eberschweiler festhält. Das Resultat war eine Präzisierung: Die Denkmalpflege verzichtete darauf, die gesamte Anlage ins Inventar aufzunehmen, weil das bewilligte Erweiterungsprojekt bereits vorlag. Doch das Schulhaus Büel B von Wilhelm und Eugen O. Fischer ( heute Fischer Architekten ) kam auf die Liste. « Wir haben bei der Aussprache erkannt, dass wir dort offensichtlich einen speziellen Schulhaustyp haben », räumt Gemeinderat Te ein. Wie speziell und gut gestaltet die in mehreren Etappen entstandene Schulanlage Büel in Unterengstringen ist, mag den Bewohnerinnen und Bewohnern des Orts zwar nicht unmittelbar auffallen, aber im Entwurf zum Inventarblatt bezeichnet die Denkmalpflege das Ensemble als « architektur- und sozialgeschichtlichen Zeitzeugen ». Es handle sich um ein Beispiel für den Schulhausbau von den 1950er- bis in die 1970er-Jahre im Limmattal. Das 1951 / 52 erbaute, feingliedrige Schulhaus Büel A mit der offenen Pausenhalle zeigt noch den Landistil. Es ging aus einem Wettbewerb hervor, den Hans von Meyenburg ( 1915 – 1995 ) gewann. Er war ein bedeutender Schulhaus-­ Architekt der Nachkriegszeit. Ausgestattet ist Büel A mit zeittypischen Malereien, Reliefs und einem Wandbrunnen. Einige Originalsubstanz ist noch vorhanden. Auch die – von Anfang an vorgesehene – Erweiterung und der freistehende Singsaal, die beide bis 1965 realisiert wurden, stammen vom gleichen Architekten. Der Singsaal mit seinem tief heruntergezogenen Zeltdach spricht die Architektursprache der Nachkriegsmoderne. Ein Unikat – mindestens im Limmattal – ist das skulpturale Schulhaus Büel B von Vater Wilhelm und vor allem Sohn Eugen O. Fischer ( 1936 – 1999 ), Zürich. Mit dem Projekt ‹ Asterix › gewannen sie 1974 den Wettbewerb. In

mehreren Etappen sollten drei Klassentrakte sowie ein Turnhallen- und Schwimmbadgebäude einen Hof umschliessen. Realisiert und 1978 bezogen wurde lediglich die erste Bauetappe. Der ‹ grosse Bruder › dieses Baus ist das Schulhaus Vogtsrain in Zürich-Höngg. Die aus dem Wohnungsbau übernommene abgetreppte Form ist im Schulhausbau sehr selten. Die Fassade zeigt sich zeit­ typisch in rotbraun gefärbtem und sandgestrahltem Beton. Die Vordächer kragen weit aus. Im Innern sind trotz gewissen Umbauten noch viele Ausstattungselemente aus der Bauzeit erhalten. Die jüngste Erweiterung wird kaum die letzte sein Die Wertung der Schulhäuser hat man in Untereng­ stringen inzwischen zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig ist die Erweiterung des Schulhauses Büel A rechtzeitig fertig geworden. Dort haben Hertig Nötzli Architekten, Aarau, den Einbünder von 1952 zu einem Zweibünder erweitert. Zwischen die beiden ursprünglich aus der Fassade hervorspringenden Treppenhäuser haben sie ihre Erweiterung an den bestehenden Flur angedockt. Dieser ist neu als Luftraum mit einem Oblicht ausgebildet. Angesichts des starken Bevölkerungswachstums im Limmattal werde diese Erweiterung die Schulraumbedürfnisse nicht lange abdecken können, ist sich Hochbauvorstand Te bewusst. Man habe noch während der Detailprojektierung Änderungen vorgenommen, um genügend Räume zu erhalten. Umso wichtiger sei es, dass man in Zukunft die Schulanlage weiter ausbauen könne. « Wir müssen also nicht nur das Ortsbild schützen, wir müssen primär auch dem Bildungsauftrag nachkommen. Dabei gilt es zu bedenken, dass sich heute die Anforderungen an das Raumprogramm einer Schule rasch ändern können », sagt der Gemeinderat und Familienvater. Für Eltern sei bei einer Wohnortswahl ja nicht nur der Steuerfuss, sondern auch das Schulangebot wichtig.

« Es ist immer zentral, miteinander um gemeinsam getragene Lösungen zu ringen. » Beat Eberschweiler, Leiter Archäologie und Denkmalpflege, Kanton Zürich

Das nächste Bauprojekt auf dem Areal ist allerdings ein kleines. Aus dem ehemaligen Tankraum im nun inventarisierten Schulhaus Büel B soll ein Geräteraum für den Hauswart werden. Dafür muss die Fassade für ein Tor geöffnet werden. « Wir werden nun selbstverständlich mit der Denkmalpflege Rücksprache halten », betont der Hochbauvorsteher. So viel habe er aus diesen Diskussionen mitgenommen. « Aber die Denkmalpflege hat hoffentlich auch gelernt, dass sie bei der Inventarisation die Gemeinden miteinbeziehen muss », ergänzt er. Und er gibt den Fachleuten gleich noch einen Tipp mit auf den Weg: Das Unterengstringer Gemeindehaus von Architektin Tilla Theus, 2017 fertiggestellt, müsste dann in rund zwanzig Jahren auch ins Inventar. Hier sind sich Gemeinde und Denkmalpflege fraglos einig.

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Kantonsschule Im Lee: Grosszügige Pausenhalle im 2. Obergeschoss, 1928. Foto: Hochbauamt Kanton Zürich

Nach innen verdichten

Metamorphose am Goldenberg Die Kantonsschule Im Lee der Gebrüder Pfister diente während neunzig Jahren ihrem Zweck. Nach der Sanierung wird man die Architekten wohl in neuem Licht sehen. Text: Werner Huber

Freundlich war der erste Eindruck nicht, den die Kantonsschule Im Lee in Winterthur auf mich gemacht hat. An einem trüben Wintermorgen Anfang 1980 sass ich da an der Aufnahmeprüfung für das mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium. Draussen war es dunkel, das Zimmer überheizt und nur von sechs altmodischen Funzeln erleuchtet. Welch ein Kontrast zum modernen Oberstufenschulhaus Watt, in dem ich die letzten drei Jahre verbracht hatte siehe Seite 27. Einige Wochen später begann meine Karriere als Kantischüler. Viereinhalb Jahre hatte ich Zeit, mich mit dem Schulhaus anzufreunden, das die Gebrüder Pfister zwischen 1926 und 1928 erstellt hatten. Ähnlich erging es Ernst Strebel, Andrea Gundelach und Peter Hess. Bei Meletta Strebel Architekten beschäftigen sie sich als Projektleiter seit gut fünf Jahren mit der Sanierung des mächtigen Gebäudes. Die Bauarbeiten laufen zurzeit, im Herbst 2020, auf Hochtouren. Liebe auf den ersten Blick war es nicht, als sich die Architekten im Planerwahlverfahren erstmals mit dem Pfister-Bau befassten. Doch seither hat sich eine Beziehung entwickelt, die man als innig bezeichnen darf. Minutiös hat Andrea Gundelach jedes Detail des Gebäudes analysiert und daraus gleich auch ihre Masterarbeit in Denkmalpflege und Umnutzung gemacht. « Niemand kennt das Gebäude so gut wie sie », sagt Ernst Strebel. Ein Glücksfall, denn um das Wesen des Baus zu verstehen und seine subtilen Qualitäten zu erkennen, sind intime Kenntnisse essenziell.

Moderne ignorierten ihn. Der Zeitgeist schien am Projekt ‹ Zeitgeist › vorbeigezogen zu sein. Die Behördenvertreter und Lehrer aber waren des Lobes voll. « Das neue Kantonsschulgebäude ist von jugendlicher Vitalität, die dauern und in Ehren alt werden wird », sagte Professor Paul Fink anlässlich der Eröffnung. Er ahnte nicht, wie recht er damit bekommen sollte.

Solide Substanz – Poesie entsorgt Im Gegensatz zu vielen Bauten, die nach 1945 erstellt wurden und in ihrer Substanz schnell altern, ist die Gebäudesubstanz des Pfister-Baus auch neunzig Jahre nach seiner Fertigstellung weitgehend intakt. Einzig die Naturwissenschaftszimmer erfuhren vor sechzig Jahren grössere Eingriffe, ansonsten blieben die Umbauten moderat. Klinkerbelag, Rippendecken, Treppenläufe aus Naturstein, mit Kunststein eingefasste, gestemmte Türen, Beschläge aus Eisen: In den Korridoren und den Hallen scheint sich nichts verändert zu haben. Und auch in den Klassenzimmern liegen noch die Parkettböden von damals . An den Fassaden ist der Putz ebenso original wie das Ziegeldach und das Granitmauerwerk der Sockelpartien. « Die Gebrüder Pfister sind eben mittelalterlich », zitierte Paul Fink 1928 einen Architekten, « mittelalterlich im Sinne hochqualifizierter Zunftmeister, die ihr Metier bis ins kleinste Detail beherrschen. » Dem pflichtet Ernst Strebel heute bei: « Die Schule entstand in einer Zeit, in der die Handwerker eine sinnlichere Beziehung zum MaZeitgeist mit kurzer Halbwertszeit terial und seiner Behandlung hatten als heute. » Mit dem Projekt ‹ Zeitgeist › gewannen die Gebrüder In den letzten neunzig Jahren änderte sich der ZeitPfister 1922 den Wettbewerb für ein neues Kantonsschul­ geist jedoch mehrmals, und jede Generation wollte die gebäude am Fuss des Goldenbergs. 1928 war die Anlage Geister ihrer Vorgänger austreiben. Dabei betrieb man mit dem walmgedeckten Hauptbau, zwei flach gedeck- Symptombekämpfung ohne Konzept und erzeugte damit ten Seitenflügeln und dem Sockel mit Turnhalle und Aula einen wiederum zeittypischen Mief, vor dessen Hinter( heute Mensa ) fertig. Die Zeitschrift ‹ Das Werk › stellte grund das alte Haus noch älter aussah. Dabei hatten die den Neubau ausführlich vor, doch die Protagonisten der Gebrüder Pfister ein Haus mit unzähligen poetischen →

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Das mächtige Gebäude wird erstmals in seiner neunzigjährigen Geschichte von Grund auf saniert.

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→ Momenten geschaffen. Diese müssen allerdings erst wiederentdeckt und erforscht werden. Den Kontrast zwischen den farblich eher kühl gehaltenen, dunklen Hallen auf der Nordseite und den lichtdurchfluteten Zimmern an der Südseite sowie den Bezug zur unterschiedlichen Umgebung – dort der grüne Hang, hier die Weite über der Stadt – haben wir als Schüler selbst erlebt. An sonnigen Nachmittagen liessen die hellen Klassenzimmer fast Ferienstimmung aufkommen, selbst wenn das Fach ‹ mathematisches Denken › hiess. An weniger hellen Tagen hingegen wirkten die Zimmer mit dem grau gescheuerten Parkett und den in gebrochenem Weiss gestrichenen Wänden trist. Dem versuchte man – lange nach meiner Zeit – zunächst mit einer farbigen Rückwand und dann mit einem gelben Anstrich entgegenzuwirken. Wer wusste da noch, dass die Gebrüder Pfister in Zusammenarbeit mit einem Kunstmaler ein umfassendes Farbkonzept erarbeitet hatten, das nicht nur die Unterschiede zwischen dem kühlen Norden und dem warmen Süden aufnahm, sondern auch in sich differenziert war. Andrea Gundelach hat mit den Spezialisten neben den unterschiedlichen Farbtönen in den Korridoren auch zahlreiche in Nuancen unterschiedliche Farben in den scheinbar identischen Zimmern freigelegt. Diese Erkenntnisse bildeten die Grundlage für das neue Farbkonzept. Wie virtuos die Gebrüder Pfister waren, zeigt sich auch an den Fenstern bei den Treppen. Hier setzten sie anstelle der sonst üblichen Doppelverglasung ein Kastenfenster ein, dessen innere Ebene fast flächenbündig mit der Wand und teilweise mit Kathedralglas versehen war. So fassten sie nicht nur den Raum präziser, sondern sie überspielten auch den halbgeschossigen Versatz der Treppenpodeste. Als Kantischüler war mir dieses Detail aufgefallen, doch wenige Jahre später hatte man für solche Raffinessen kein Gespür mehr. Man ersetzte alle Fenster durch isolierverglaste mit aufgesetzten Sprossen ( die bald abfielen ) und entsorgte mit den alten gleich auch die innere Fensterschicht der Treppenhäuser. Technik braucht Fantasie Es gibt einen einfachen Grund, weshalb das Kantonsschulgebäude der Gebrüder Pfister in den letzten neunzig Jahren noch nie umfassend saniert wurde: Es war nicht nötig. Die Bausubstanz ist so solide, dass an ihr auch jetzt kaum eingegriffen werden muss. Sie erfüllt sogar die heutige Erdbebennorm. Vielen anderen Vorschriften genügt das Haus jedoch längst nicht mehr. Eine der grösseren Herausforderungen ist der Brandschutz. Wie kann man die Normen erfüllen, ohne die räumliche Kontinuität der Hallen und Korridore zu zerstören ? Im Wettbewerb orientierten sich die Architekten an der Lösung, die sie für die Kantonsschule Hohe Promenade in Zürich entwickelt hatten: rahmenlose Glasabschlüsse mit eingesetzten, portalartigen Türen. « Das war dort gut und wäre hier auch recht, doch glücklich waren wir damit nicht », sagt Ernst Strebel. Je präziser die Architekten im Lauf der Projektierung das Wesen des Pfister-Baus erfassten, desto grösser wurde das Bedürfnis, aus der rechten eine gute Lösung zu machen. Am Ende liessen Peter Hess und Andrea Gundelach die Brandabschlüsse verschwinden: als Schiebetore, die sich zwischen zwei Zimmerwänden verbergen. Der grösste Eingriff in die alte Struktur wird am Ende unsichtbar sein. Genügten einst die kohlenbefeuerte Zentralheizung, einfache Sanitär- und Elektroanlagen sowie die Entlüftung der Kapellen in den Chemielabors, muss heute unter den Fundamenten des Mitteltrakts für die nötige Technik Platz geschaffen werden. Doch auch heute profitiert man von der klugen Planung von damals: Die

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Heizleitungen – ein Radiator unter jedem Fenster – waren in Aussparungen verlegt und überdeckt, sodass sie jetzt einfach ersetzt werden können. Vor neunzig und auch noch vor vierzig Jahren reichten sechs Leuchten mit je einer 150-Watt-Glühbirne aus, um die Klassenzimmer zu erhellen. In den Korridoren verbreitete alle paar Meter ein opaker Glaszapfen auf einem weissen Blechteller etwas Licht, das auch für die Treppen genügen musste. Die originalen Leuchten mit helleren und energieeffizienteren Lampen auszurüsten, ist nicht möglich, denn sie würden stark blenden und eine falsche Stimmung vermitteln. Die originalen Leuchten der Klassenzimmer wurden in den 1980er-Jahren ohnehin bis auf wenige Ausnahmen entsorgt. In den Unterrichtszimmern ist die Beleuchtung deshalb neu, während in den Korridoren und Hallen die alten Leuchten technisch aufgerüstet und durch zusätzliche Lichtquellen ergänzt werden. Bereiche unterschiedlicher Priorität Seit Rektor Walter Hünerwadel und Professor Paul Fink 1928 in ihr neues Schulhaus ziehen konnten, haben sich nicht nur die feuerpolizeilichen und beleuchtungstechnischen Vorschriften geändert, sondern auch der Unterricht. Vielfältige Lehr- und Lernformen ergänzen den lange Zeit üblichen Frontalunterricht. Kann ein altes Haus auch einem zeitgemässen Unterricht dienen ? Oder stehen die denkmalpflegerischen Bemühungen, den Charakter des Pfister-Baus zu erhalten und zu schärfen, dem nicht entgegen ? Architekt Ernst Strebel ist überzeugt, dass das kein Widerspruch ist. Er verweist auf die Römerstädte, deren Gebäude mit den unterschiedlichsten Nutzungen alle auf dem Modul von fünf auf sieben Metern aufgebaut waren. Auch im Schulhausbau findet sich dieses Mass seit dem 19. Jahrhundert – auch bei den Klassenzimmern der Kantonsschule Im Lee. « Wenn diese Struktur über so viele Generationen tauglich war, gibt es keinen Grund, warum sie nicht auch in Zukunft möglich sein soll », meint Strebel. Um die Qualitäten des Baudenkmals von kantonaler Bedeutung und die Anforderungen eines zeitgemässen Unterrichts aufeinander abzustimmen, definiert das Projekt Bereiche von unterschiedlicher denkmalpflegerischer Priorität. Die höchste Priorität geniessen die Räume der Schulleitung im ersten Obergeschoss, die beiden flankierenden Klassenzimmer sowie die dazugehörige Pausenhalle. In diesen Bereichen ist noch ein beachtliches Mass an Originalsubstanz vorhanden. Hier werden die ursprünglichen Oberflächen und Farben erhalten oder wiederhergestellt. Die Einbauten werden auf ein Minimum reduziert, die Pausenhalle bleibt frei. Eines der Klassenzimmer wird als Museum mit Podest, Katheder und historischen Leuchten eingerichtet. Die zweite Priorität kommt den Normalklassenzimmern mit den anschlies­ senden Hallen und Korridoren zu. Hier ist der Spielraum für Einbauten und Einrichtungen, beispielsweise für den Gruppenunterricht, grösser. Eine geringere Priorität haben denkmalpflegerische Aspekte in den technisch hoch installierten Spezialzimmern. Das Dach gehört der Musik Doch nicht nur neue Unterrichtsformen erzeugen einen Nutzungsdruck auf das bestehende Gebäude, sondern auch die Vorgabe, alle Bedürfnisse der Kantonsschule Im Lee mit diesem einen Gebäude abzudecken. Einzig die Turnhallen, die Aula und die Mediathek werden weiterhin mit der benachbarten Kantonsschule Rychenberg geteilt. Die Villa Bühlhalde und die provisorischen VarielBauten, die der Schule seit den frühen 1970er-Jahren dienten, werden aufgegeben. Um dafür Ersatz zu schaffen,

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Zwei Schulen – ein Ensemble Kantonsschule Im Lee ( KSL ), 1926 – 1 928 Architektur:  Gebrüder Pfister, Zürich Kantonsschule Rychenberg ( KSR ), 1959 – 1 963 Architektur:  Erik Lanter, Zürich Erweiterung KSR, 1987 – 1 990 Architektur:  Peter Stutz und Markus Bolt, Winterthur Turnhallen, Mediathek KSR / KSL, 2004 – 2007 Architektur: Haberland Architekten, Berlin Provisorien KSL, 1971 / 72* Architektur:  Fritz Stucky (Variel-System) Villa Bühlhalde, 1873 / 74* Architektur:  Ernst Jung *werden von der KSL aufgegeben

Querschnitt durch Treppe.

Erdgeschoss

wird der riesige Estrich für die Fachschaft Musik und für Veranstaltungen ausgebaut. Darin finden ein grosser unterteilbarer Saal sowie mehrere Übungsräume Platz. Aus denkmalpflegerischer Sicht wäre es wünschenswert gewesen, den Estrich in seiner Funktion als Stauraum und klimatischen Puffer beizubehalten. « In der heutigen gesellschaftlichen Situation wäre das jedoch nicht haltbar », stellt Architekt Ernst Strebel fest. Also gehe es darum, den eindrücklichen Dachstuhl in seinen Qualitäten zu sichern und zu stärken und gleichzeitig dem Wunsch nach innerer Verdichtung nachzukommen. So bleibt die originale Holzkonstruktion erhalten und wird einzig im Bereich des grossen Saals abgefangen. Um die Räume zu belichten, das äussere Erscheinungsbild des Schulhauses aber nicht mit Dachflächenfenstern oder grossen Aufbauten zu beeinträchtigen, wird der Rhythmus der bestehenden Dachgauben verdichtet. Neben dem neuen Lift erschliessen zwei neue Treppen das Dachgeschoss. Sie setzen jedoch nicht einfach die bestehenden Läufe fort, sondern sind als eigenständige Elemente ausgestaltet, um den Raum und Zeitschnitt zu verdeutlichen.

Querschnitt durch Turnhalle.

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Im Gespräch mit Ernst Strebel, Andrea Gundelach und Peter Hess spürt man das Engagement, das weit über die Bearbeitung einer normalen Bauaufgabe hinausgeht. « Das ist nur möglich, wenn alle im Team gleich ticken », unterstreicht Ernst Strebel. Ebenso wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft, der Denkmalpflege und den Nutzerinnen und Nutzern. Bei diesem Gebäude ist das vorbildlich gelungen, wie die Beteiligten unisono bestätigen. In den Worten Ernst Strebels: « Im Lee haben wir uns in anhaltendem, hartem, aber respektvollem Dialog zu einer Gemeinschaft gefunden, die bereit ist, für die Sache, für die nächsten Generationen, ihr Bestes zu geben. » Meine Liaison mit der ‹ Kanti ›, die 1980 begonnen und vier Jahre später mit der Matura einen Höhepunkt erreicht hatte, dauert bis heute an. Mit Bedauern beobachtete ich die stets gut gemeinten, aber oft schlecht gemachten Umbauten der letzten 35 Jahre. Umso erfreulicher ist es, das stolze Gebäude nun ausgeräumt und eingerüstet zu sehen. Architekt Ernst Strebel ist überzeugt: « Wenn das Projekt 2022 realisiert ist, wird man die Gebrüder Pfister in neuem Licht sehen ! »

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Dachgeschoss

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Neubauten grössere Eingriffe 0

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Schulhaus Steinboden, Eglisau: Altbau. Foto: Kantonale Denkmalpflege

Blick in den Hof zwischen Alt- und Neubau. Foto: Daria Frick

Organisch gewachsen Viele neuere Schulbauten in der Schweiz stammen von Büros, die nur hierzulande bekannt sind. Eine Ausnahme ist das 1980 eingeweihte Primarschulhaus Steinboden in Eglisau. Es stammt vom international bekannten Ernst Gisel ( *1922 ). Das Gebäude steht in Nord-Süd-Richtung über dem bewaldeten, zum Rhein abfallenden Hang. Die Schulzimmer sind nach Osten und Westen ausgerichtet. In Kombination mit Shed-Dächern werden sie den ganzen Tag über gleichmässig belichtet. Den Grundriss entwickelte Gisel von innen nach aus­sen. In Längsrichtung sitzt in der Gebäudemitte der Mehrzweckraum. Beidseits schmiegen sich daran auf zwei Geschossen Korridore an. Hier docken die Schulzimmer und weitere Räume an. Querverbindungen ergänzen die Gänge zu einem Wegnetz. Der Mehrzweckraum lässt sich über Sitzstufen hinter der Bühne zum oberen Quergang öffnen. So entsteht ein Forum, und die Abfolge der gemeinschaftlichen Räume wird spürbar. Sie folgt der Topo­grafie des Geländes. Für die Bauzeit typische Materialen sind Sichtbeton, massives Buchenholz sowie Kalkstein- und Industrieparkettböden. Aufgrund seiner Architektur und als Teil von Ernst Gisels Werk wurde das Schulhaus 2006 ins überkommunale Inventar der schützenswerten Bauten aufgenommen. Entsprechend umsichtig erfolgte ab 2011 die Erweiterung für drei Kindergarten- und eine Schulklasse sowie die Ergänzung mit Gruppenräumen. Um eine adäquate Lösung zu finden, führte die Gemeinde einen Architekturwettbewerb durch, in dessen Jury die Denkmalpflege und auf deren Anregung auch Ernst Gisel sassen. Das siegreiche Projekt von Hopf & Wirth Architekten ist eine auf den Altbau abgestimmte Erweiterung. Um dessen räumliche Idee fortzuführen, ergänzten sie das Netz aus Wegen und Räumen nach Osten und Westen. Im Erdgeschoss wurden ostseitig die Kindergärten und im Westen ein Lehrerzimmer angebaut. Dank Oblichtern und Lichthöfen bieten die neuen Räume dieselben Qualitäten wie jene in Gisels Ursprungsbau. Auf den ersten Blick kann kein Alt und Neu, kein Vorher und Nachher unterschieden werden. Trotzdem biedert sich die Erweiterung nicht an und zeigt auf den zweiten Blick feine Unterschiede. So ist die Formensprache etwas kantiger und die Materialisierung variiert leicht: Der Sichtbeton ist anders geschalt, am Boden liegt Stäbchenparkett, und die Holzarbeiten sind in Eiche ausgeführt. Was hingegen gleich ist: Die Materialien sind so robust wie in Gisels Ursprungsbau, der heute noch fast wie neu aussieht.  Reto Westermann Primarschulhaus Steinboden, 1980 / 2014 Rhihaldenstrasse 72, Eglisau Bauherrschaft:  Schulgemeinde Eglisau Architektur:  Ernst Gisel, Zürich ( Ursprungsbau ); Hopf & Wirth Architekten, Winterthur ( Erweiterung )

Der Neubau schmiegt sich an den Altbau. Foto: Giuseppe Micciché

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Am Bestand anbauen

Reverenz an den Landistil

Schulhaus Brunnenmoos, Kilchberg: ein sorgfältig sanierter Zeuge der 1950er-Jahre.

Der neue Anbau für die Tagesbetreuung fügt sich ins Ensemble ein.

Erdgeschoss

Das Schulhaus Brunnenmoos in Kilchberg von Alfred Binggeli ( 1900 – 1992 ) atmet noch den Geist seiner Zeit. Der Architekt hatte nicht nur die Gebäude im Fokus, sondern auch die Umgebung: Er komponierte eine Schulanlage. Bei der Einweihung 1955 standen auf dem Areal locker gruppiert zwei Trakte mit Klassenzimmern, eine Turnhalle, ein Singsaal und eine Pausenhalle – alles im späten Landistil und in eine grosszügige Anlage aus Pausen- und Turnplatz sowie Grünflächen eingebettet. 1971 fügte Binggelis Sohn Richard einen Erweiterungsbau an die Turnhalle und orientierte sich dabei am Muster des Vaters. Das Ensemble blieb intakt. Ursprünglich war das Brunnenmoos eine Oberstufenschule. Doch dann zog die Sekundarschule in die Nachbargemeinde Rüschlikon. Im Brunnenmoos sind nun die Unterstufe der Primarschule und ein Kindergarten untergebracht, dazu eine Krippe, die Musikschule sowie therapeutische Dienste. Dies erforderte Eingriffe in die räumliche Struktur. « Darauf zu achten, dass die baugeschichtlich relevante Substanz sorgfältig restauriert wird, Eingriffe reversibel sind und auch die Spuren des Alters ihre Wirkung entfalten », lautete das Credo der Architekten, die die geschützte Anlage renovierten. Für die geforderten Gruppenräume haben Leuppi & Schafroth nicht einfach zwei Klassenzimmer zusammengelegt, sondern ein Zimmer in zwei Gruppenräume geteilt, sie durch ein Möbel getrennt und so die raumübergreifende Wahrnehmung des früheren Klassenzimmers bewahrt. Die auffallend bunte Farbgebung der Schulzimmer lehnt sich an das Original an. Um den Ausdruck der Bauten nicht zu beeinträchtigen, wurden sie mit einer Innendämmung energetisch verbessert, eine Photovoltaik-Anlage auf einer wenig einsehbaren Dachfläche der Turnhalle produziert Strom. Wirklich neu auf dem Areal ist der Zugang zum Hort, ein kleiner Anbau nur – doch auch er ist eine Reverenz an den Landistil. Die Denkmalpflege hatte bereits bei der Planerwahl mitgewirkt und stand später in engem Austausch mit den Architekten. Auch bei der Suche nach Lösungen beim Brandschutz – beispielsweise bei der Holzverkleidung der Verbindungshalle – spielte sie eine aktive Rolle. Marco Guetg, Fotos: Leuppi Schafroth Architekten Schulhaus Brunnenmoos 1955 / 1971 / 2018 Brunnenmoosstrasse 15, Kilchberg ZH Bauherrschaft:  Gemeinde Kilchberg, Architektur:  Alfred Binggeli ( Ursprungsbau ); Leuppi  & Schafroth Architekten, Zürich ( Sanierung ) Landschaftsarchitektur:  Kolb, Zürich

Grosszügige Halle mit ursprünglichen Materialien und Farben. Foto: Kantonale Denkmalpflege Themenheft von Hochparterre, September 2020 —  Denkmal macht Schule  —  Am Bestand anbauen

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Bestand ergänzen

Zum Erweitern gedacht

Oberstufenschulanlage, Birmensdorf: Brüelmatt 1 rechts und Brüelmatt 2 links.

Pausenplatz Brüelmatt 1.

Glasbaustein-Lift zwischen den beiden Bauetappen.

Erdgeschoss

1975 gewann der Winterhurer Architekt und Professor Ulrich  J.  Baumgartner ( 1920 – 2014 ) den Wettbewerb für die Oberstufenanlage Brüelmatt 1 in Birmensdorf. Baumgartner war kein Unbekannter, hatte er doch bereits zahlreiche Schulbauten im Kanton Zürich realisiert und die Schularchitektur wesentlich mitgeprägt. Seine 1978 fertiggestellte Anlage Brüelmatt 1 ist dem strengen Rationalismus der Solothurner Schule verpflichtet: Ein regelmässiges Stützenraster gliedert die Grundrisse und findet aussen seine Entsprechung in einer vorgehängten Rasterfassade aus einbrennlackiertem Stahl. Die drei parallel zueinander liegenden Bauten – Klassenzimmertrakt, Nebenraumtrakt und Turnhalle – bilden ein Ensemble einfacher Körper. Die Stirnseiten sind jeweils geschlossen, die langen Fassaden grosszügig verglast. Die modul­ artige Organisation reagierte schon in der Bauzeit auf Forderungen, die bis heute aktuell sind: Schulbauten sollten nicht nur einfach umorganisiert, sondern auch schnell und effizient erweitert werden können. Die Anlage war deshalb von Anfang so konzipiert, dass man im Norden problemlos anbauen und die Schule linear verlängern konnte. Das Angebot hat man erstmals Mitte der 1990er-Jahre mit Brüelmatt 2 angenommen. Diese Erweiterung denkt sowohl in der Volume­trie als auch im Ausdruck den Bestand in selbstverständlicher Weise weiter. Nochmals 25 Jahre später steht eine dritte Etappe und die Sanierung der bestehenden Bauten an. Brüelmatt 3 knüpft an die lineare Organisation an, formuliert aber durch die Abdrehung des Baukörpers um neunzig Grad und eine gerundete Aussenecke einen klaren Kopfbau. Platz finden sollen im neuen Trakt vier zusätzliche Klassenzimmer mit Gruppenräumen, der Mittagstisch und das Musikzimmer. Während sich Brüelmatt 3 derzeit im Bau befindet, laufen bereits die Planungen für die Sanierung und Umnutzung der beiden älteren Etappen. Seit 2018 stehen die Schulhäuser unter Schutz, genügen aber den energetischen Anforderungen nicht mehr und weisen verschiedene bauliche Mängel auf. Die Turnhalle ist sanierungsbedürftig und für den heutigen Sportunterricht zu klein. In mittlerer Zukunft steht deshalb auch der Neubau einer Dreifachsporthalle an. Die geschützte Turnhalle mit ihrer filigranen Glasfassade würde dann frei für neue Nutzungen – ganz im Sinn der Baumgartner’schen Flexibilität. Marcel Bächtiger, Fotos: Werner Huber Oberstufenschulanlage Brüelmatt, 1978 / 1996 / 2022 Studenmättelistrasse 17, Birmensdorf Bauherrschaft:  Sekundarschule Birmensdorf-Aesch Architektur:  Ulrich J. Baumgartner, Winterthur ( Brüel­matt 1 ) ; AMZ Architekten, Zürich ( Brüelmatt 2 und Brüel­matt 3 ) ; Ladner Meier Architekten, Zürich ( Sanierung Brüelmatt 1 und 2, Planerwahlverfahren 2020 )

Gesamtanlage. Foto: ETH-Bibliothek, Bildarchiv

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Bestand ergänzen

Mehr als sieben Jahrhunderte

Erdgeschoss

Kantonsschule Küsnacht. Foto: Kantonale Denkmalpflege

Wer das Gelände der Kantonsschule Küsnacht betritt, taucht ein in die Geschichte. Hier steht die einstige Johanniterkomturei samt Kirche. Baubeginn war um 1370, 1411 wurde die Anlage erweitert. Hier hausten bis Anfang des 19. Jahrhunderts Zürcher Amtsmänner, und 1834 richtete sich das kantonale Lehrerseminar in den stark umgebauten Räumen ein. 1878 entstand eine Turnhalle – es war die erste in der Zürcher Landschaft. Architekt des Backsteinbaus war Staatsbaumeister Otto Weber. 1895 hielt mit der ‹ Italienischen Villa › auf dem einstigen Klosterareal der Historismus Einzug. Über die Jahre wurden die Bauten umfassend renoviert und teils auch anders genutzt. In der Komturei befindet sich seit 1988 das Untergymnasium. Die Turnhalle, in deren Bezeichnung ‹ Semihalle › das ehemalige Seminar weiterlebt, dient inzwischen als Aufenthaltsraum, in der Villa wird heute musiziert und gesungen. 1999 setzten Bétrix & Consolascio Architekten mit der Mediathek ein architektonisches Zeichen. Der Kubus aus Holz und Glas war übrigens das erste vom Kanton Zürich erstellte Bauwerk in Minergie-Standard. Formal spielen die Architekten mit der Funktion des Hauses. Sie verstehen diese Mediathek als eine ‹ Manifestation ›, die sich nach den Bedürfnissen der Bücher richtet – mit den Regalen – und jenen der Leser –, mit den Tischen. Die Regale seien keine Möbel: « Sie sind das Haus », so die Architekten. 2007 entstand nach Plänen der Luzerner Architekten Martin und Monika Jauch-Stolz der zweigeschossige Klassentrakt im Süden. Je nach Licht schimmert dessen Fassade grünlich oder grau und ordnet sich damit den historischen Bauten unter. Sowohl die angrenzenden Rebflächen wie auch der Park sind hier mitgedacht, und im Zusammenspiel mit der Mediathek und der ‹ Semihalle › entstand ein weiterer Platz. Auf Initiative von Schülerschaft und Lehrerpersonen konnten 2009 auf dem Dach 173 Solarpanels montiert werden. Bei der Sanierung des Johanniterhauses durch Bischof Föhn Architekten kamen unter dem Singsaal Gebeine eines rund tausendjährigen Friedhofs zum Vorschein. So spannt sich auf dem Areal der architektonische Bogen vom 14. Jahrhundert bis ins Heute auf, und er reicht unter der Erde nochmals ein paar Jahrhunderte weiter zurück. Marco Guetg, Fotos: Giuseppe Micciché Kantonsschule Küsnacht, 1999 / 2007 / 2018 Dorfstrasse 30, Küsnacht Bauherrschaft:  Kanton Zürich Architektur:  Bétrix & Consolascio Architekten, Erlenbach ( Mediathek ); MMJS Jauch-Stolz Architekten, Luzern ( Klassentrakt ); Bischof Föhn Architekten, Zürich ( Johanniterhaus, Teilinstandsetzung )

Klassentrakt von MMJS JauchStolz Architekten.

Mediathek von Bétrix & Consolascio Architekten. Themenheft von Hochparterre, September 2020 —  Denkmal macht Schule  —  Bestand ergänzen

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Bestand ergänzen

Zu viel des Neuen Dem 1835 erstellten Zentralschulhaus in Männedorf folgten bis 1898 zwei weitere Primarschulhäuser und eine Turnhalle. Am nördlichen Rand des Areals entstand bis 1950 nach Plänen von Karl Kaufmann das Sekundarschulhaus Blatten. Es bestand aus dem langgestreckten Haupttrakt im Osten, dem kleineren Westtrakt und dem durch ein Uhrtürmchen akzentuierten Gelenk mit dem Haupteingang. Ein Anbau verdoppelte 1956 den Westtrakt, behielt die Hierarchie der Teile jedoch bei. 1996 wurde für die Schulanlage Blatten kommunaler Schutz beantragt, 2001 gewannen Giuliani Hönger Architekten den Wettbewerb für den Ausbau zum Oberstufenzentrum. In einem Gutachten bewertete die kantonale Denkmalpflegekommission das Schulhaus als Schutzobjekt von überkommunaler Bedeutung. Ausschlaggebend dafür waren unter anderem das « sorgfältig gewählte Verhältnis von Westtrakt, Osttrakt und des als Gelenk fungierenden Mittelteils zueinander, aber auch der gute Erhaltungszustand im Innern sowie die prägnante, ortsbildprägende Lage ». Der Wettbewerb war zu diesem Zeitpunkt bereits gelaufen. Zwar waren noch Kompromisse bei der Sanierung des Osttrakts sowie beim Umbau des Mitteltrakts möglich, doch der Westtrakt und das Uhrtürmchen wurden abgebrochen. Als Kopfbau zum alten Schulhaus erstellten Giuliani Hönger einen viergeschossigen, kubischen Neubau mit einem neuen Haupteingang. Im Mittelteil verschränken sich Alt und Neu ineinander, und anstelle des einstigen äusseren Akzents des Uhrtürmchens setzten die Architekten einen von einem Dachoberlicht erhellten Lichthof. Die Verluste der historischen Bausubstanz war schmerzhaft, insgesamt blieb das Gleichgewicht der Bauten aber erhalten. Bald schon folgte der nächste Neubau: An der Hangkante zwischen den Schulhäusern aus dem 19. Jahrhundert und dem erweiterten Haus von 1950 erstellten Bauart Architekten ein Schulund Mehrzweckgebäude. Um die Altbauten nicht zu stark zu bedrängen, liegen die zwei Turnhallen unter dem Rasenspielfeld. Doch die Volumen der beiden Neubauten sind so gross, dass sie das Schulareal in zwei Hälften teilen. Die beiden Aussenräume – der langgestreckte vor den alten Primarschulhäusern und der höher gelegene, trapezförmige – haben je ihren eigenen Charakter. Karl Kaufmanns Bau von 1950 blieb von diesen Neubauten unberührt – und wurde doch zum Opfer. Die Neubauten haben das Gewicht der Schulanlage volumetrisch und architektonisch so verschoben, dass das denkmalgeschützte Haus definitiv in eine Nebenrolle gerutscht ist. Werner N

Obergeschoss

Schulanlage Blatten, Männedorf. Neubauten von Bauart Architekten mit dem denkmalgeschützten Altbau im Hintergrund.

Huber, Fotos: Werner Huber

Ansichtskarte um 1950.

Schulanlage Blatten, 1950 / 2005 / 2018 Blattengasse 40, Schulstrasse 15, 25, Männedorf Bauherrschaft:  Schulgemeinde Männedorf Architektur:  Karl Kaufmann, Männedorf ( Ursprungsbau ), Giuliani Hönger Architekten, Zürich ( Erweiterung ), Bauart Architekten, Zürich ( Neubauten )

Altbau mit Erweiterung von Giuliani Hönger Architekten.

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Bestand ergänzen

Idylle unter Bäumen

Luftaufnahme 1954. Foto: Bildarchiv ETH-Bibliothek Schulhaus Halden, Glattbrugg, Erweiterungsbau.

Erdgeschoss

Das Projekt von Oskar Bitterli ( 1919 – 2012 ) für die Oberstufenschulanlage Halden in Glattbrugg war umstritten. Einige Exponenten in der Gemeinde hätten lieber ein einziges grosses Schulhaus gebaut als die weit in die Landschaft ausgreifende Anlage, mit der der Architekt 1951 den Wettbewerb gewonnen hatte. Dieses Konzept hatte aber den Vorteil, dass es sich erweitern liess, ohne dass die Anlage gestört wird. Das war dringend nötig, denn im Sog des Flughafens erlebte die Gemeinde Opfikon, und insbesondere der Ortsteil Glattbrugg, ab 1950 einen massiven Wachstumsschub. Zwischen 1953 und 1957 entstanden nach Bitterlis Plänen ein Klassentrakt, drei Pavillons, eine Doppelturnhalle und ein Singsaal. Kurz darauf folgten ein Kindergarten und die Erweiterung des einen Pavillons. Die Anlage war eine der frühesten Grossschulen des Kantons im Pavillonsystem. Jede Nutzung hatte ihr eigenes Haus, eingebettet in die Grünanlage mit den heute hoch gewachsenen Bäumen. Sanierungen setzten den Gebäuden vor allem im Innern zu, doch die städtebauliche Setzung und das Äussere der Häuser entschädigen für diese Verluste, sodass die Anlage und der Park im Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung aufgeführt sind. Den Wettbewerb für die Sanierung und die Erweiterung, in dessen Gremium auch die Denkmalpflege vertreten war, gewannen 2014 Guignard & Saner Architekten. Der fünfeckige Neubau scheint die bestehende Anlage zu negieren. Doch diese Geometrie ist vom Städtebau bis zum Innenraum begründet. Auch der Neubau steht zwischen Bäumen, und auch hier gliedern Betonstützen das Gebäude, sind die Brüstungen mit Backstein ausgefacht, und ein Vordach schliesst oben ab. In jeder der fünf Ecken platzieren die Architekten ein Klassenzimmer. Dazwischen liegen die Gruppenräume und die Spezialzimmer. In der Mitte erschliessen fünf Treppenläufe die Schule effizient und doch geräumig. Da das Treppenhaus verdreht ist, entstehen vor den Klassenzimmern breite Vorbereiche; der Flur wird zum Vorzimmer. Die Materialien folgen diszipliniert der Logik der Konstruktion. Die Primärstruktur ist betoniert, die Mauern im Treppenhaus bestehen aus Backstein. Die Trennwände zwischen den Zimmern planten die Architekten als Leichtbau, damit der Grundriss flexibel bleibt. Eichenholz setzt Akzente bei den Türen, den Einbauschränken, den Handläufen. Wer sie anfasst, hat ein gutes Gefühl: Das Haus ist sorgfältig gebaut. Inzwischen ist eine dritte Turnhalle fertig, doch die Sanierung der Altbauten ist noch im Gang. Werner Huber, Andres Herzog, Fotos: Roland Bernath Schulhaus Halden, 1957 / 2018 / 2020 Oberhauserstrasse 47 – 57, Glattbrugg ( Opfikon ) Bauherrschaft:  Stadt Opfikon Architektur:  Oskar Bitterli, Zürich ( Ursprungsbau ); Guignard & Saner, Zürich ( Neubauten )

Treppenhalle im Neubau. Themenheft von Hochparterre, September 2020 —  Denkmal macht Schule  —  Bestand ergänzen

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Kontrolliert verzichten

Gesamtlösung gesucht

Schulanlage Wolfsmatt, Dietikon, 1969. Foto: Denkmalpflege Kanton Zürich

Erdgeschoss

Hortgebäude

Velounterstand aus der Bauzeit. Im Hintergrund die Turnhalle.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Limmattal ein starkes Bevölkerungswachstum. Es entstanden grosse Neubauquartiere und mit ihnen auch zahlreiche Schulhäuser, etwa die 1962 fertiggestellte Schulanlage Wolfsmatt in Dietikon von Architekt Julius Senn ( 1924 – 1967 ). Das Ensemble aus fünf Gebäuden gilt als typischer Vertreter der Pavillonschulen, die ihre Wurzeln in den 1930er-Jahren haben. Wichtige Elemente sind die damals als kindgerecht empfundene Grösse und die Verteilung der Nutzungen auf mehrere Gebäude. Die Wolfsmatt umfasst zwei zweigeschossige Trakte mit Schulzimmern, Singsaal und Turnhalle. Im dreigeschossigen Gebäude sind Schulleitung, Lehrerschaft sowie der Werk- und Handarbeitsunterricht untergebracht. Gedeckte Wege verbinden die Bauten. Zeittypisch ist die äussere Materialisierung mit Sichtbackstein, Beton und mosaikverkleideten Durisolplatten als Fensterbrüstungen. Letztere wurden im Lauf der Zeit ersetzt, ansonsten ist die Anlage weitgehend original erhalten. Speziell ist die trapez­förmige Anordnung der Klassentrakte. Sie ist in eine vom damals international bekannten Landschaftsarchitekten Walter Leder ( 1892 – 1985 ) gestaltete Umgebung eingebettet. 2019 wurde die Anlage wegen ihrer architekturund sozialgeschichtlichen Bedeutung ins Inventar der Denkmalschutz­objekte von überkommunaler Bedeutung aufgenommen. Nun müssen die Bauten räumlich und energetisch heutigen Anforderungen angepasst werden. Es braucht unter anderem zwölf neue Schulzimmer, dreissig Gruppenräume, eine zweite Turnhalle sowie Räume für die Betreuung. Dafür wurde ein Projektwettbewerb durchgeführt. Die denkmalpflegerisch schutzwürdige Bausubstanz und die wertvolle Aussenraumgestaltung spielen bei der Beurteilung eine wichtige Rolle. Damit die Planer trotz Schutzzielen genügend Freiheit haben, hat die Denkmalpflege die Anforderungen bewusst offen formuliert. Ziel ist eine überzeugende Gesamtlösung. Eingriffe in die Altbausubstanz sind daher ebenso denkbar wie der Ersatz der bestehenden Turnhalle durch eine neue Dreifachsporthalle – aber nur, wenn die Projektverfasser diese nachvollziehbar begründen und den Mehrwert der gewählten Lösung aufzeigen können. Reto Westermann, Fotos: Werner Huber Schulanlage Wolfsmatt, 1962 Schöneggstrasse 70, Dietikon Bauherrschaft:  Schulgemeinde Dietikon Architekt:  Julius Senn, Dietikon Landschaftsarchitekt:  Walter Leder, Zürich Projektwettbewerb Generalplanerleistung: 2020 Sanierung und Erweiterung:  ab 2024

Pausenhof mit überdeckten Verbindungswegen.

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Sanieren und optimieren

Fehler ausgemerzt

Oberstufenschulanlage Watt, Effretikon, im ursprünglichen Erscheinungsbild 1968. Foto: Archiv Werner Huber

Der lachsfarbene Anstrich wird bei der laufenden Sanierung entfernt. Foto: Werner Huber

Treppenhalle im Klassentrakt. Foto: Giuseppe Micciché

« Bei der nächsten Renovation können die Platten für teures Geld wieder entfernt werden. Die Abneigung gegenüber dem Beton wird sich dann gelegt haben, und man kann sich an einem hervorragenden Baudenkmal aus den Sechzigerjahren freuen », schrieb ich 1990 im Lokalblatt ‹ Kiebitz ›. Doch dann erhielten die noch nicht verkleideten Betonflächen 2001 einen lachsfarbenen Anstrich, der dem ursprünglichen Farb- und Materialkonzept diametral entgegenstand. Weitere zwanzig Jahre später ist die 1968 fertiggestellte Schulanlage Watt in Effretikon – ein Hauptwerk des Architekten Manuel Pauli ( 1930 – 2002 ) – im Inventar der Denkmalpflege als Objekt von kantonaler Bedeutung verzeichnet. Nach Plänen von Nägele Twerenbold Architekten wird die Anlage saniert. Dabei werden auch die Sterocrete-Platten samt Aussendämmung entfernt, der Sichtbeton freigelegt und instand gesetzt. Mitten im Wohnquartier konzipierte Pauli – im Wettbewerb zusammen mit dem bald darauf verstorbenen August Volland – ein eindrückliches Ensemble. Zwei gestaffelte Klassentrakte flankie­ ren eine Arena, die zu dem von Christian Stern gestalteten Grünraum abfallen. An der anderen Seite inszenieren zwei in den Hang eingegrabene Turnhallen den Ge­län­de­sprung. Auf der oberen Ebene verbindet eine offene Halle den Singsaal mit den Klassentrakten. Deren Herzstück ist die über alle Geschosse reichende Treppenhalle. Die Materialisierung ist durchdacht: Im Kontrast zum Grün steht aussen der Sichtbeton mit unterschiedlichen Oberflächen. In den Korridoren liegen rote Tonplatten am Boden, einzelne Einbauten sind aus Holz. Die Zimmer sind hölzerne Stuben, nur an den Decken sieht man den Beton. Diese Qualitäten erschliessen sich nicht allen, und die Bedürfnisse der Schule und bauliche Vorschriften können sie bedrängen. Hier setzt die Denkmalpflege an: Sie brachte den Verantwortlichen die Qualitäten der Gebäude näher, beteiligte sich an der Planerwahl und unterstützte die Suche nach denkmalgerechten Lösungen, etwa bei der Lage von Liften oder Fluchttreppen. Schliesslich suchte sie auch das Gespräch mit Eva Pauli, die seinerzeit die Kunst am Bau und später die Farbgestaltung beisteuerte. Das Innere der Gebäude wird sich kaum verändern. Die Einbauten werden zwar entfernt, um die Betonwände dahinter zu dämmen, doch dann kommen die aufgefrischten Teile wieder an ihren Platz. Ebenso subtil sind die Eingriffe in den Vorzonen, die für Lernzwecke nutzbar gemacht werden. Grössere räumliche Veränderungen erfahren nur die Bereiche mit den Spezial- und Lehrerzimmern. Werner Huber Oberstufenschulanlage Watt, 1968 / 2022 Lindenstrasse 4 – 8, Effretikon Bauherrschaft:  Stadt Illnau-Effretikon Architektur:   Manuel Pauli, Zürich ( Ursprungsbau ) ; Nägele Twerenbold Architekten, Zürich ( Sanierung )

Erdgeschoss Themenheft von Hochparterre, September 2020 —  Denkmal macht Schule  —  Sanieren und optimieren

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Sanieren und optimieren

Zeitzeuge auf dem Moränenhügel

Erdgeschoss

Kantonsschulen Enge und Freudenberg, Zürich, Gesamtansicht. Foto: Bildarchiv ETH-Bibliothek

Halle der Kantonsschule Freudenberg.

Schlicht und elegant stehen die Bauten der Kantonsschulen Enge und Freudenberg auf der Kuppe eines Moränenhügels oberhalb des Bahnhofs Zürich-Enge. Der 1959 eingeweihte Bau ist einer der wichtigen Zeugen der Nachkriegsmoderne in Zürich und das international bekannte Hauptwerk des Zürcher Architekten Jacques Schader ( 1917 – 2007 ). Berufskollegen, die in der Folge Schulen bauten, nahmen seine Ideen auf. An der Anlage überzeugen die städtebauliche Positionierung, die Proportionen, die Wegführung und die Belichtung. Seit 1987 ist sie im Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung aufgeführt. Auf einem zweigeschossigen Sockel mit Turnhallen und Räumen für die naturwissenschaftlichen Fächer stehen der quadratische Baukörper der Kantonsschule Freudenberg und der längliche Bau der Kantonsschule Enge. Von 1993 bis 2000 sanierte das Büro Schader Hegnauer Ammann unter Jacques Schaders Leitung die Bauten. Bei diesen umfangreichen Arbeiten wurden unter anderem die Haustechnik erneuert, die Gebäude brandschutztechnisch ertüchtigt, die Räume innen gedämmt und die Fassaden saniert. Zwischenzeitlich fand ein Teil des Unterrichts in einem Provisorium mit zwanzig Schulzimmern und einer Mediathek statt, das wegen des gestiegenen Raumbedarfs bis heute genutzt wird. Von 2029 bis 2032 sind Instandhaltungsmassnahmen und Anpassungen geplant. Eine Zustandsanalyse soll bald die dafür nötigen Grundlagen liefern. Klar ist, dass die Flachdächer saniert, Komponenten der Gebäudetechnik angepasst und die IT aufgerüstet werden müssen. Das Provisorium soll bis 2032 durch eine dauerhafte Lösung ersetzt, und eine zusätzliche Turnhalle soll erstellt werden. Die schützenswerte Bausubstanz und die heutigen Anforderungen wie Brandschutz, Sicherheit, Haustechnik und Gebäudehülle unter einen Hut zu bringen, wird die Planer ebenso fordern wie die Tatsache, dass Schaders Baukonzept eigentlich keine Erweiterung zulässt, ohne dass die ausgewogene Komposition gestört wird. Um eine Lösung zu finden, wurden in einer Machbarkeitsstudie denkmalverträgliche Szenarien eruiert. Auf dieser Basis sind für den Neubau von Turnhalle und Klassenzimmertrakt ein Architekturwettbewerb, für die Sanierung der Schader-Bauten ein Planerwahlverfahren vorgesehen. Um die Planungs- und Bauzeit zu überbrücken, erstellt der Kanton 2022 ein Provisorium im Südteil des Areals.  Reto Wester­ mann, Fotos: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich. Kantonsschulen Enge und Freudenberg, 1961 / 2000 Brandschenke- / Steinentischstrasse, Zürich Bauherrschaft:  Kanton Zürich Architektur:  Jacques Schader, Zürich ( Ursprungsbau ); Schader Hegnauer Ammann Architekten, Zürich ( Sanierung ); Ernst Niklaus Fausch Partner, Zürich ( Machbarkeitsstudie Erneuerung / Erweiterung )

Die Klassentrakte scheinen über dem Sockelbau zu schweben.

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Sanieren und optimieren

Frisch gestrichen

Zwei Kindergartenklassen nutzen heute die historischen Schulzimmer.

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Die ursprüngliche Farbigkeit ist wiederhergestellt.

Franz Bruno Frisch ( 1871 – 1932 ) war der Vater des Schriftstellers und Architekten Max Frisch ( 1911 – 1991 ), und auch er war Architekt. 1912 / 13 baute Vater Frisch in Rifferswil ein Schulhaus samt Arrestzellen und Feuerwehrmagazin, das bis heute in Betrieb ist. Das Treppenhaus hat zum Trocknen der Schläuche einen turmartigen Anbau. Das Gebäude ist ein wichtiger Vertreter des Schulhausbaus der 1910er-Jahren. Gefördert auch von Heimatschutz und kantonalem Hochbauamt entstanden damals kleinteilig strukturierte Gebäude. Als « freundlich und farbig » bezeichnete Frisch 1914 sein an ein grosses Wohnhaus erinnerndes Werk in der Zeitschrift ‹ Schweizerische Baukunst ›. Die Farbigkeit zeigt sich vor allem beim hölzernen Innenausbau. Während mehr als hundert Jahren blieb ein Grossteil der bauzeitlichen Substanz erhalten. Grössere sichtbare Eingriffe gab es nur 1970 mit neuen Bodenbelägen und Garderoben. Die originalen Oberflächen in Ölfarbe wurden damals mit Kunstharzanstrichen überdeckt. 2018 zogen statt der Primarschüler zwei Kindergartenklassen ein. Die frühere Hauswartwohnung wurde für die Tagesbetreuung umgenutzt. Im Rahmen der Instandstellung des Gebäudes erfolgten die notwendigen Eingriffe mit viel Feingefühl und in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege, die nicht nur beratend wirkte, sondern auch Hinweise auf Materialien, Handwerker oder konstruktive Lösungsmöglichkeiten liefern konnte. Der Durchgang zwischen zwei ehemaligen Klassenzimmern entstand dort, wo sich vorher ein Einbauschrank befand, sodass sich die Massnahme bei Bedarf auch wieder rückgängig machen liesse. Heutigen Anforderungen angepasst wurde der Brandschutz zwischen Schulräumen und Treppenhaus. Ein Schreiner spaltete dazu die originalen Holztüren auf, versah sie mit einer brandhemmenden Zwischenschicht und baute sie mit den ursprünglichen Scharnieren wieder ein. Erhaltene Substanz wurde aufgefrischt – so etwa die Fenster von 1913, und die Oberflächen erhielten ihre ursprüngliche Farbigkeit zurück. Spezialisten analysierten die unter neueren Anstrichen vorhandene Originalfarbe und rekon­struierten die Farbtöne. So erstrahlt das erneuerte Gebäude wieder « freundlich und farbig » wie einst zu Vater Frischs Zeiten. Reto Westermann, Fotos: Giusep­pe Micciché Altes Schulhaus, 1913 / 2018 Jonenbachstrasse 16, Rifferswil Bauherrschaft:  Politische Gemeinde Rifferswil Architekt:  Franz Bruno Frisch, Zürich ( Ursprungsbau ); Team4 Architekten, Zürich ( Sanierung ) Farbuntersuchungen:  Atelier Andreas Franz, Feldmeilen

Altes Schulhaus Rifferswil. Foto: Denkmalpflege Ktanton Zürich

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Umnutzen

Aufgefrischte Kaserne 1. Obergeschoss

Querschnitt

Militärkaserne Zürich. Foto: Denkmalpflege Kt. Zürich

Lernlandschaft im künftigen Atrium des Mittelbaus.

Die 1876 fertiggestellte Zürcher Militärkaserne bildet zusammen mit den Zeughäusern und den Stallungen ein städtebauliches Ensemble – landesweit eines der bedeutendsten im Stil des Historismus. 1987 zog das Militär ins Reppischtal. Während in den Stallungen unter anderem die Schauspielschule und das Theaterhaus Gessnerallee ihre Heimat fanden und die Zeughäuser verschiedenen Zwischennutzungen dienen, wird die Kaserne von der Kantonspolizei genutzt. Mit deren Umzug in das neue Polizei- und Justizzen­ trum wird die Kaserne für eine neue Nutzung frei. Bis 2026 soll hier das Bildungszentrum für Erwachsene ( BiZE ) entstehen – eine Lern- und Arbeitsstätte für rund tausend Personen mit publikumsorientierten Nutzungen im Erdgeschoss. Wie führt man diese ‹ Trutzburg des Historismus › einer zivilen Nutzung zu, ohne deren architektonischen Charakter und die städtebauliche Prägnanz zu verlieren ? Für die Denkmalpflege, die den Prozess von Anfang an begleitete, stand das Gesamtareal im Zentrum: Wichtig war zum einen die zentrale Achse, die sämtliche Bauten auf dem Kasernen­areal verbindet, zum anderen die Umzäunung, die die Anlage räumlich erlebbar macht. Im Sinne eines respektvollen Weiterbauens waren im ausgeschriebenen Architekturwettbewerb Erweiterungen, Anbauten oder bauliche Veränderungen erlaubt, sie mussten jedoch sorgfältig abgewogen werden und denkmalverträglich sein. Die Wettbewerbsgewinner Spillmann Echsle Architekten lassen die Steinarchitektur mit dem burgartigen Mittelrisalit gegen aussen weitgehend unverändert. Sie öffnen aber die Tore des mittigen Durchgangs, der von der Strasse auf die Kasernenwiese führt. Einen weiteren Hinweis auf die neue Nutzung gibt eine gläserne Krone auf dem Mittelrisalit, die im Innern als Lichtspender für die unteren Geschosse dient. Darunter entsteht über vier Geschosse ein Atrium – das künftige Zentrum der Schule. Luft und Leichtigkeit schafft auch die Freilegung der Tragstruktur. Im Projekt stehen die freigelegten eisernen Stützen und Träger sinnbildlich für die Herangehensweise an das denkmalgeschützte Objekt: Ohne die Typologie und die Struktur zu beeinträchtigen, sorgen gezielte Eingriffe für die notwendige Auffrischung. Marcel Bächtiger, Ren­ derings und Pläne: Spillmann Echsle Architekten Militärkaserne Zürich, 1876 Kasernenstrasse 49, Zürich Architektur:  Johann Jakob Müller, Staatsbauinspektor, basierend auf Entwürfen seines Vorgängers Johann Caspar Wolff ( Ursprungsbau ); Spillmann Echsle Architekten, Zürich ( Gesamtinstandsetzung und Umnutzung, Projektwettbewerb im selektiven Verfahren, 2020 )

Ein gläserner Aufbau weist auf die Veränderungen im Innern hin.

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Ergänzungsbauten des Primar­ schulhauses Steinboden, Eglisau.

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Denkmal macht Schule Schulhäuser sind wichtige öffentliche Bauten und starke Erinnerungsorte. Sie sind ein Spiegel der Schweizer Architektur und damit der Gesellschaft und Kultur schlechthin. Wie unter einem Brennglas gewähren sie Einblick in das Leben in unterschiedlichen Epochen. Doch die qualitativ oft hochwertigen Gebäude müssen den sich verändernden Ansprüchen angepasst, umgebaut und erweitert werden. An ihnen lässt sich die Arbeit der Denkmalpflege exemplarisch zeigen. Dieses Heft dokumentiert, dass schulischer Wandel und Denkmalschutz sich nicht ausschliessen, sondern sich gegenseitig beflügeln können. www.zh.ch / denkmalpflege

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