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Dem Taekwondo verpflichtet
von Sebastian Finis
Die Vollkontakt-Kämpferin Jasmin Richter erklärt ihren Rücktritt von ihrer aktiven Leistungssportkarriere. Die 23-Jährige ist mehrfache Deutsche Meisterin, EM-Medaillengewinnerin sowie Teilnehmerin an Welt- und Europameisterschaften. In Zukunft möchte sie dazu beitragen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche in Deutschland Taekwondo als gesunden Sport betreiben können.
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Nach 17 Jahren Taekwondo und einem abgeschlossenen Masterstudium in Kommunikationswissenschaft an der Universität Jena begann am 1. Januar 2023 ein neuer Lebensabschnitt für Jasmin Richter. Sie stieg ins Berufsleben ein. Als Channel Manager für das globale Intranet von Carl Zeiss in Jena war sie nach kurzer Unterbrechung in das Team zurückgekehrt, in dem sie bereits als Werkstudentin gearbeitet hatte – mit dem Unterschied, dass sie nun mehr Verantwortung übernimmt. „Ich freue mich sehr auf die neue Herausforderung und über das entgegengebrachte Vertrauen und hoffe, dass ich in dieser Funktion genauso aufgehen kann, wie bei allem, was ich bisher gemacht habe.“
Abgesehen von Zeiss unterstützt Jasmin seit 2017 die Deutsche Taekwondo Jugend als ehrenamtliche Ressortleiterin für den Bereich Dopingprävention. Diese Tätigkeit sieht keine festen Aufgaben oder das Abarbeiten von To-do-Listen vor. „Ich kann selbst gestalten“, sagt Jasmin. Sie gibt unter anderem Online-Seminare, klärt Jugendliche und Trainer auf, erstellt Social-Media-Konzepte, wie man Informationen verbreiten und Aufmerksamkeit für das Thema schaffen kann. Letzteres schließe nicht nur Doping im Sport, sondern auch den Schmerzmittel- beziehungsweise Medikamentenmissbrauch mit ein.
Viele öffentlich gewordene Dopingfälle im Taekwondo gab es bislang nicht. „Es gibt sicherlich andere Sportarten, wo Doping ein wesentlich größeres Problem ist“, glaubt Jasmin. „Aber der Ansatz ist auch der, dass man es nicht zum Problem werden lässt. Deswegen muss man präventiv arbeiten. Aber, was die Anwendung von Schmerzmittel im Training und Wettkampf angeht, ist es doch schon so, dass viele unbedarft an das Thema herangehen und sich der Risiken nicht bewusst sind.“ Was im Taekwondo außerdem ein großes Problem sei, ist „Gewicht machen“, insbesondere im Jugendbereich. „Es gibt verschiedene Methoden, wie man in kurzer Zeit viel Gewicht verlieren kann“, weiß Jasmin. „Viele davon sind gesundheitlich sehr bedenklich. Diese Problematik möchten wir in der Sportjugend in Zukunft noch stärker in den Fokus rücken.“
Raketenstart an die Spitze Europas
Seit sie fünf oder sechs Jahre alt ist, trainiert Jasmin im Verein TuS Osterburg ’90 Weida bei Papa und Coach René. Mit sieben bestreitet sie ihren ersten Wettkampf. Seit sie zwölf ist, fährt sie mit ihrem Vater auf internationale Turniere.
Ihre ersten Erfolge lassen nicht lange auf sich warten. Mit 13 Jahren gewinnt sie die Bronzemedaille bei der Deutschen A-Jugend-Meisterschaft gegen bis zu drei, vier Jahre ältere Mädchen. Im Folgemonat wird sie in Ingolstadt deutsche Kadetten-Meisterin in der Gewichtsklasse bis 47 Kilogramm. Zwei Monate spä-

ter wird sie für die Nationalmannschaft nominiert und gewinnt in der U15-Auswahl prompt ihr erstes internationales Turnier.
Jasmin zählt fortan zu den Top-Talenten in Europa und klettert die Weltrangliste Monat für Monat weiter nach oben. Nebenbei besteht sie mit 14 Jahren die Prüfung zum 2. Dan. Sie ist die erste Thüringer Taekwondo-Sportlerin, die den Sprung in den Nationalkader geschafft hat.
Im Juni 2016 erklimmt die Einser-Schülerin die Spitze der deutschen Rangliste und wird für die JugendWeltmeisterschaft in Kanada nominiert. Im Folgejahr stellt Jasmin bei den Deutschen Meisterschaften der Senioren in Ingolstadt in der Gewichtsklasse bis 57 Kilogramm ihre Klasse unter Beweis und holt sich den Titel. Es ist ihr erster großer Erfolg bei den Damen und ihre zweite Goldmedaille nach 2013. Den Höhepunkt ihrer Karriere feiert sie bei der U21Europameisterschaft 2017 in Bulgarien, wo sie Bronze gewinnt.
Die Perspektive im Blick
Nach dem Abitur am Weidaer Dörffel-Gymnasium mit einem Notenschnitt von 1,0 studiert Jasmin Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der Universität Jena. Im Zuge ihres Masterstudiums kickt sie nicht nur auf Pratzen, sondern tobt sich auch im Jenaer Unisport aus. Reingeschnuppert hat sie bereits in Slacklining, Akrobatik, Calisthenics und Kickboxen.
Das Ende des Studiums bedeutet für Jasmin ebenso das Ende des Leistungssports. Bis zum Schluss ist ihr Bruder Rico ihr Sparringspartner in der Wettkampfvorbereitung. Im Juni 2022 bestreitet sie, nach dem Gewinn ihres dritten Deutschen Meistertitels und dem achten Thüringer Landesmeistertitel, in Kroatien ihr letztes internationales Turnier. „Ich habe mich in gewisser Weise gefreut“, reflektiert Jasmin das Ende ihrer internationalen Leistungssportkarriere. „Ich war komplett fein damit, dass ich aufhöre, habe mich damals schon auf

Unabhängig ins „neue“ Leben
Bis es bei Jasmin und ihrem Mann Paul mit der Familienplanung losgeht, will sie ihre neu gewonnene Freiheit genießen und nicht „von der einen Verpflichtung in die nächste Verpflichtung rutschen“. Statt in das nächste Trainingslager will sie in den Urlaub fahren und nach ihrer Hochzeit im vergangenen September die Flitterwochen nachholen: ein Roadtrip durch Skandinavien. „Es sind aber auch die alltäglichen Sachen, die ich nachholen will, wie zum Beispiel mich Donnerstagabend mit einer Freundin verabreden oder am Wochenende mal in Jena zu sein“, ergänzt Jasmin. „Im Vordergrund steht, die sozialen Beziehungen zu pflegen, neue Leute kennenzulernen.“
die kommenden Herausforderungen außerhalb des Leistungssports gefreut.“ Mit einem guten fünften Platz macht sie Schluss. „Nach dem letzten Kampf kamen Emotionen hoch, die ich nicht richtig zuordnen konnte. Unterbewusst ist mir klar geworden, dass es das jetzt war. Es war eine lange, intensive Zeit.“
Eine lange Zeit, in der sie als Spitzensportlerin auf Vieles verzichten musste, wie etwa mit Freunden zusammen zu sein oder in den Urlaub zu fahren. „Es war nicht immer einfach und auch nicht immer alles schön, aber ich würde es nicht anders machen“, zieht Jasmin ein Resümee. „Denn der Sport at großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung. Wenn ich mir überlege, wie ich war, als ich mit 13 Jahren ins Nationalteam gekommen bin und mich dann entwickelt habe, würde ich sagen, dass das viel bewirkt hat. Ein wichtiger Punkt, der sich auch jetzt noch auf mein Leben auswirkt, ist die Förderung durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe, die ich bekommen habe, seitdem ich im Nationalteam bin. Dazu gehört zum einen die finanzielle Hilfe, aber auch die vielen Programme zur dualen Karriere, das Mentorenprogramm und der Austausch mit Athleten aus anderen Sportarten. Allein dafür hat sich meine Sportkarriere schon gelohnt.“ Dem Taekwondo-Sport bleibt sie dabei treu. Das ist sie den Menschen schuldig, die sie seit ihrer Kindheit aus ihrem Heimatverein und dem Verband kennt. Auf ehrenamtlicher Basis ist sie im Landesverband Thüringen als Pressereferentin tätig sowie im Organisationsteam für Wettkampfturniere. Hinzu kommt ihre Aufgabe in der Deutschen Taekwondo Jugend als ehrenamtliche Ressortleiterin für den Bereich Dopingprävention und Gesunden Sport. Mit Taekwondo wird Jasmin ihr Leben lang verbunden bleiben – in der Fortentwicklung der Sportart und/oder als Praktizierende.
Jasmin Richter lebt seit Anfang 2020 aus tierethischen Gründen vegan. Dieser Text ist eine Kurzversion des Porträts über Jasmin in dem Buch „Der vegane Athlet“ von Sebastian Finis. Es erscheint im Sommer 2023. Unterstütze das Buchprojekt im Vorfeld per Crowdfunding, indem du dir ein handsigniertes Exemplar sicherst oder dich mit deinem Namen im Buch verewigst: Mehr Infos unter: derveganeathlet.de
Über den Autor:
Sebastian Finis arbeitet als Personal Trainer, Health Coach und Sportjournalist. Der 42-jährige Berliner studierte Diplom-Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation. Sein Ziel ist es, Menschen dabei zu helfen, ein gesünderes, fitteres und leistungsfähigeres Leben zu führen. Mehr Infos auf seiner Webseite: sebastianfinis.com.
