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Internationale Kampfrichter
DEUTSCHLAND HAT DREI NEUE INTERNATIONALE KAMPFRICHTER
Ai Quynh Vo, Nebras Kazkaz und Anne-Kathrin Minx bestehen die Prüfung zum International Referee.
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von Anne-Kathrin Minx
Nur kurz vor dem ersten pandemiebedingten Lockdown Anfang 2020 fand der letzte Refresher- und Ausbildungslehrgang für Internationale Kampfrichter in persona statt. Seitdem wurden Online-Kurse zur Weiterbildung und Online-Schnupperkurse für Aspiranten angeboten, jedoch nicht der so wichtige „Offline“-Kurs, der essentieller Bestandteil zum Erwerb der internationalen Kampfrichterlizenz ist. Anfang April dieses Jahres war die Wartezeit vorbei und ab da ging es Schlag auf Schlag. Wir erhielten die erlösende Nachricht: Baku, Aserbaidschan, 11.–14.05.2022! Wir, das sind Ai Quynh Vo (TVBB), Nebras Kazkaz (NWTU) und Anne-Kathrin Minx (TUMV), hatten nun einen Monat Zeit, bereits geplante Urlaubsreisen zu verschieben oder zu verkürzen sowie Verhandlungsgespräche mit dem Chef zu führen, um noch Urlaub beantragen zu können. Denn: Diese Chance wollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen. Mit der ausdauernden Hilfe von Abdullah Atilla Ünlübay, unserem Bundeskampfrichterreferenten, haben wir alle Hürden der Anmeldung problemlos meistern können und waren für den Lehrgang nun bestens vorbereitet. Für die Reise hatten wir außerdem ein Ass im Ärmel: Hakan Bagtas (NWTU) hat uns als erfahrener IR nach Baku begleitet und war ein sprudelnder Quell an Informationen, die wir dankbar aufgesogen haben. Da wir vier aus unterschiedlichen Städten und sogar Ländern anreisten, hatten wir unterschiedliche Ankunftszeiten am Heydar Aliyev International Airport in Baku. Dies sollte uns jedoch nicht zum Nachteil gereichen, da wir auf diese Weise umso mehr erste Kontakte zu den unterschiedlichsten Personen und Nationen knüpfen konnten. Während Ai mir bereits von ihrer Sightseeing-Tour mit zwei Indonesiern berichtet hatte, trafen wir übrigen am Flughafen auf Jordanier und Norweger und saßen im Auto Richtung Hotel mit zwei US-Amerikanern und einer Belgierin zusammen. Allein diese Begegnungen bei der Ankunft zeigen, dass die

ganze Welt sehnsüchtig auf den ersten Lehrgang seit zwei Jahren gewartet und das kurzfristige Angebot der WT gerne angenommen hat.
Der erste Tag begann mit einer Busfahrt zur Aserbaidschanischen Sportakademie. Deren Aula war für die Theorie-Einheiten vorgesehen und mit insgesamt 128 Teilnehmern und dem Lehrpersonal ausreichend gefüllt. Nach einer kurzen Vorstellung aller Lehrenden und den obligatorischen einleitenden Worten nahm Madame Chair Amely Moras auf einem Podest mit einer riesigen Leinwand im Rücken Platz – frisch im Amt als Referee Chair der WT, als erste Frau. Sicherlich nicht nur wir waren gespannt und voller Erwartungen, was die kommenden vier Tage betraf. Begonnen haben wir mit dem rein theoretischen Teil und wir sind die Neuerungen und Änderungen im Regelwerk Schritt für Schritt durchgegangen, mit Hilfe einer PowerPoint-Präsentation mit eingebetteten Videos zur Erläuterung. Außerdem gab es viele Nachfragen von den Zuhörern, die alle geduldig und ausführlich beantwortet wurden, bis alle es verstanden hatten. Das hat den Zeitplan natürlich ein wenig durcheinandergewürfelt, ist aber ungeheuer wichtig, da wir die hier erlangten Informationen mit nach Hause bringen und an unseren Landesverband weitergeben. Beendet wurde der Tag mit der Vorstellung des ParaTaekwondos durch Chakir Chelbat, dem Chairman ParaTaekwondo der WT. Das ist ein Novum und wurde bei vorherigen Lehrgängen nicht ins Programm aufgenommen. Der Para-Bereich soll jedoch in den Fokus der breiteren Masse gerückt werden und das ist auf jeden Fall ein guter erster Schritt. Neben den Unterschieden zum regulären Regelwerk waren besonders die anders genutzten Handzeichen spannend. Nach neun Stunden Theoriepauken hatten wir den restlichen Abend zu unserer freien Verfügung und erweiterten unseren Kenntnis-Horizont in einem unbekannten Land: Wir suchten einen guten kulinarischen Ort, um die heimische Küche zu erforschen. Dazu fuhren wir in die 20 Minuten entfernte Altstadt. Getreu nach Hakans Motto („Ist der Laden voll mit heimischen Gästen und nicht nur Touristen, muss es da gutes Essen geben.“) sind wir im Qaynana eingekehrt und haben uns typische Gerichte der aserbaidschanischen Küche auftischen lassen. Die Namen der Gerichte sind im letzten Winkel meines Gedächtnisses verstaut und wollen nicht hervorkommen, aber dass es fantastisch geschmeckt hat, weiß ich noch wie gestern!
Der zweite Tag begann mit einer praktischen Einheit im aserbaidschanischen Taekwondo-Stützpunkt, einer ca. 50 x 20 Meter großen Halle, komplett mit Matten ausgelegt und gerade groß genug für alle Teilnehmer. In Blockformation sind wir hier alle Handgestiken, die ein Kampfrichter während eines Kampfes zeigen muss, von vorne bis hinten durchgegangen. Vom Aufrufen der Kämpfer über das Prozedere beim Video Replay bis zum Erklären des Runden- und Match-Siegers. Damit die geübte Gestik auch gleich in Aktion getestet werden kann, wurden einige Athleten des aserbaidschanischen Nachwuchskaders zu unserer praktischen Einheit geladen. Die Athleten wurden vorher sehr genau instruiert und produzierten für uns in einem simulierten Kampf Situationen, auf die man hauptsächlich als Kampfleiter, aber auch als Punktrichter oder Jury reagieren musste. Ein ganz großes Lob an dieser Stelle für die Athleten, die das wirklich super gemacht und mit stoischer Ruhe ertragen haben! Für die zweite Hälfte des Tages ging es ein letztes Mal zurück in die Aula der Sportakademie, um den übrigen Teil der Theorie zu besprechen.
Tag drei begann ebenfalls mit einer praktischen Einheit, in der wir Szenarien für ein mögliches Video Replay durchgespielt haben, auch hier wieder mit Unterstützung des aserbaidschanischen Nachwuchskaders. Verteilt auf drei Kampfflächen, sollte jeder Kampfrichter jede Position einmal durchgespielt oder zumindest einmal als Kampfleiter in der Mitte gestanden haben. Dies sollte quasi als Vorbereitung für den nächsten Tag dienen, an dem das Verhalten als Kampfleiter prüfungsrelevant werden sollte. Vorher gab es jedoch erst einmal eine


andere Prüfung zu meistern, nämlich den Sporttest. Am Tag vorher war uns bereits gezeigt worden, welche Übungen auf uns zukommen würden, damit man sich schon einmal mental darauf einstellen konnte. Der Test bestand aus drei unterschiedlichen Laufübungen, einem Weitsprung mit beiden Beinen aus dem Stand und dem Halten der Plankposition für mindestens 60 Sekunden. Am Prüfungstag selbst hatten wir zuerst die Möglichkeit, jede Station einmal auszuprobieren, bevor es ans Eingemachte ging. Schon bei den Testdurchgängen, spätestens aber bei den richtigen Prüfungsdurchgängen entwickelte sich unter den Prüflingen in der Halle eine Dynamik, die sich schwer mit Worten wiedergeben lässt. Sobald die Zeit für jemanden lief, wurde angefeuert und Mut gemacht, gejubelt und getröstet, es wurden Highfives verteilt, man nahm sich in den Arm. Es war egal, ob man sich kannte oder welcher Nation man angehörte, ob man bereits International Referee war oder nicht. In diesem Moment gehörte man zur gleichen Familie und die galt es auf jede erdenkliche Art zu unterstützen. Und bei mindestens einem der drei Lauftests war dies bitter nötig, denn der verlangte allen Teilnehmern wirklich viel ab.
Tag vier und damit der letzte Tag war ganz den restlichen Prüfungen gewidmet. Wir begannen Punkt 9 Uhr morgens mit dem schriftlichen Teil in der riesigen Halle, die die beiden Tage zuvor für die praktischen Übungen genutzt worden war. Auf dem Boden sitzend und mit zwei Metern Abstand in alle Richtungen zur nächsten Person trugen wir unsere Antworten ein. Nach 40 Minuten Bearbeitungszeit war dieser Teil geschafft und es ging gleich mit dem Scoring weiter. Immer zehn Prüflingen wurde gleichzeitig ein Video mit 20 Kampfsituationen vorgespielt, die mit Hilfe eines Pads live bewertet werden mussten. Es galt innerhalb eines festgelegten Zeitfensters zu entscheiden, ob ein Fauststoß oder Drehkick erfolgt war. Klingt leicht, erfordert aber sehr viel Konzentration und Schnelligkeit in den Fingern. Der letzte Test bestand aus der praktischen Prüfung. Zu fünft wurde man erst zum Referee Chair Para Chakir Chelbat gerufen, um in einer simulierten Kampfsituation die korrekten Handgestiken für Para zu demonstrieren. Danach ging es weiter zu Madame Chair Amely Moras, die jeden Prüfling einzeln in einer Kampfsimulation mit den bereits bekannten Nachwuchsathleten beobachtete und bewertete. Und das war´s! Als die letzte Prüfung abgeschlossen war, ging eine sichtliche Erleichterung durch die Reihen der Prüflinge, und das nicht nur bei denen, die das erste Mal dabei waren. Mit einer abschließenden Fotosession verabschiedete man sich voneinander, der restliche Tag stand zur freien Verfügung. Da wir in den letzten vier Tagen bis auf die hervorragenden Restaurants nicht viel von Baku gesehen hatten, entschlossen wir uns zu einer Sightseeingtour, der sich zwei Amerikaner und zwei Tschechen anschlossen. Erst ging es in die historische Altstadt mit einer mittelalterlichen Palastanlage, danach in ein Einkaufszentrum zum Rutschen (jap, genau das!) und anschließend durch die moderne und sehr belebte Innenstadt mit allerhand Lokalen, Bars und sehr schöner Architektur. Am nächsten Tag stand die Abreise gen Heimat an, die wir mit neuem Wissen und einer wunderbar verbrachten Zeit im Gepäck antraten.
