Pectanginöse Beschwerden abklären und behandeln
Die Novellierung des Primärversorgungsgesetzes eröffnet neue Wege –und sorgt für Kontroversen
Pectanginöse Beschwerden abklären und behandeln
Die Novellierung des Primärversorgungsgesetzes eröffnet neue Wege –und sorgt für Kontroversen
Die medizinische Versorgung im niedergelassenen Bereich wird immer aufwendiger und komplexer. Dafür verantwortlich sind nicht zuletzt demografische Entwicklungen und die Knappheit finanzieller und personeller Ressourcen im Gesundheitswesen. Die RegionalMedien Gesundheit veranstalten schon seit mehreren Jahren für den Berufsverband der ArztassistenInnen (BdA) Kongresse und Tagungen (siehe AKTUELL) und geben das Magazin Ärzt:in Assistenz heraus, welches der Septemberausgabe der Hausärzt:in beigelegt ist.
Wie auch andere Berufsverbände spricht sich der BdA dafür aus, dass medizinische Assistenzberufe dringend „aufgerüstet“ werden müssen, um „für die Zukunft gerüstet“ zu sein. Dabei geht es den Standesvertreter:innen, abgesehen von verbesserten Arbeitsbedingungen, vor allem um erweiterte Kompetenzen, um die Ärzt:innen im Praxisalltag besser unterstützen zu können. So sollte etwa die Ausbildung um Inhalte wie die Verabreichung von Medikamenten mittels subkutaner Injektion, die Vorbereitung und Verabreichung von Infusionen oder die Anwendung standardisierter diagnostischer Programme erweitert werden. Gefordert werden dementsprechend eine Evaluierung des MAB-Gesetzes und der Ausbildungsordnung sowie die Aufnahme der medizinischen Assistenzberufe in das Gesundheitsregister. Außerdem generell „eine Aufweichung der starren Kompetenzgrenzen zwischen den Gesundheitsberufen“.
Ärztliche Standesvertreter:innen stehen der Kompetenzausweitung der Gesundheitsberufe oft zwiespältig gegenüber. Der Nutzen, dass die Ordinationsassistenz – nach entsprechender Ausbildung – mehr darf, wird vermutlich noch erkannt. Auch das Angebot in ihrer Praxis erweitern heute viele Mediziner:innen gerne, indem sie auf die Zusammenarbeit mit Vertreter:innen unterschiedlicher Gesundheitsberufe setzen. Ja, man wünscht sich diesbezüglich mehr Flexibilität. Und doch ist der Standesvertretung wichtig zu betonen,
dass die Letztverantwortung in medizinischen Belangen die Ärzt:innen tragen. Das kommt auch in unserer aktuellen Titelgeschichte zum Thema Primärversorgungseinheiten ganz klar zum Ausdruck. Im Team wollen die Ärzt:innen unbedingt eine echte Flexibilisierung. In der Verantwortung als Gründer:in und Leiter:in einer PVE, wie dies das neue Primärversorgungsgesetz vorsieht, jedoch nicht unbedingt. Schon gar nicht, wenn sie sich die Leitung und damit die Verantwortung weiterhin nicht mit Facharztkolleg:innen teilen dürfen. Letzteres erscheint auch tatsächlich absurd. Oder nicht? Für unsere Titelgeschichte haben wir die Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln für Sie beleuchtet.
Eine spannende Lektüre, wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Meinung zum Thema schreiben!
Ihre Mag.a Karin Martin
Redaktionsleiterin RegionalMedien Gesundheit, karin.martin@regionalmedien.at
AKTUELL
BdA-Kongress Wien
Der BdA-Kongress zum Thema Personalisierte Medizin findet am 7. Oktober 2023 von 8.30 bis 17 Uhr im Hotel Savoyen, 1030 Wien, statt.
Infos: https://www.arztassistenz.at/ fortbildung/termine-im-ueberblick/ bda-termine/tagungen-kongresse/ 8-bda-kongress
06 Der Hauch des Lebens
Wie bei respiratorischen Erkrankungen die Atemwege von Sekreten befreit sowie Atemnot und Husten gelindert werden können
09 DFP Praxiswissen: Chronisches Koronarsyndrom Pectanginöse
Beschwerden abklären, Risikofaktoren modifizieren, Behandlungsmöglichkeiten nutzen
14 Fehlgefaltet
Die kardiale Amyloidose erkennen und einer frühzeitigen Diagnose und Therapie zuführen
22 Neuroprotektive Wirkung
Schlafstörungen auch im Sinne einer umfassenden Sekundärprophylaxe bzw. Neurorehabilitation berücksichtigen
24 „Vektorübertagene Krankheiten auf dem Vormarsch“
Das muss nicht sein – mit Impfungen und erhöhter Aufmerksamkeit gegenhalten
26 „Das Knie ist anfällig für Schmerzen“ Ungewohnte
Belastungen und Verdrehtraumen zählen zu den häufigsten Ursachen von Gonalgien
28 Entzündungsgefahr Hautinfektionen und Abszesse: Ursachen, Präventions- und Behandlungsoptionen
30 Kaum noch beschwerdefreie Intervalle
Über den Einfluss des Klimawandels auf Pollenallergien und den idealen Therapiebeginn
34 Mit Schreckensbild Demenz aufräumen Für Prävention ist es nie zu früh und nie zu spät
17 Multicolore Praxis
Die Novellierung des Primärversorgungsgesetzes eröffnet neue Wege – und sorgt für Kontroversen
DIALOG Pädiatrie
38 „Individuell behandeln“ Dentition: Betreuung der Familien erfordert Fingerspitzengefühl
41 Dichtgemacht
Rhinosinusitis tritt meist ab dem Kleinkindalter auf
42 Eine never-ending Story
Masern: Mittlerweile kann das Durchimpfungsziel bei Kleinkindern nicht einmal bei der ersten Teilimpfung erreicht werden
44 Mobile Pflege in der Pädiatrie
Einblicke in die professionelle Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit schweren Erkrankungen
47 Kraft der Natur Senföle effektiv bei Harnwegsinfekten
48 Gelungen kombiniert Wie Mistelpräparate in der Onkologie komplementär zu anderen Arzneimitteln und zur Hyperthermie eingesetzt werden können
50 „Presbyvertigo, eine Schwindeldiagnose“ In der offiziellen Nomenklatur gibt es diesen Begriff nicht
52 Ein Widerspruch?
Ernährungswissenschaft und TCM – quantitative versus qualitative Ausrichtung
57 SPRECHStunde „(Höhen-)Bergsteigen mit internistischen Vorerkrankungen“
57 Impressum extra
Angst vor der Diagnose nehmen: Man spricht oft über Demenzpatient:innen, aber selten mit ihnen.
Um gesund und besser zu leben, ist es wichtig, gut zu atmen. Bei jedem Atemzug füllt der Mensch seine Lungen mit frischer Luft. Oft ist die Respiration aber gestört, insbesondere bei Erkrankungen der Atmungsorgane. Dabei spielen akute und chronische Erkrankungen der Bronchien und der Lungen eine besondere Rolle. Am häufigsten ist die einfache Erkältung bzw. der Bronchialkatharr, die akute Bronchitis oder auch Tracheitis, die meist
durch Viren ausgelöst wird und eine selbstlimitierende Erkrankung darstellt. Dagegen helfen können am besten Hausmittel oder Phytotherapeutika mit Thymian, Salbei, Primel etc. Ebenfalls allseits bekannt ist Asthma bronchiale, das zu wiederholtem Husten und Atemnot mit Anfällen führen kann. Hierfür haben v. a. Allergien, aber auch abgelaufene Virusinfektionen, körperliche Belastung oder Medikamente eine große Relevanz.
Die 5-A-Strategie bedenken
Bei Rauchern und Menschen, die beruflich oder im Alltag sonstigen Stäuben und Rauch ausgesetzt sind, denkt man an die chronische Bronchitis oder die chronisch obstruktive Atemwegserkrankung COPD – mit produktivem Husten und Dyspnoe, die nahezu immer bestehen. Beide Erkrankungstypen führen über eine Entzündung zu abnormer Schleimbildung und einer Verengung der Atemwege. Dagegen helfen inhalative Medikamente, welche die Schleim-
bildung normalisieren, bronchodilatatorisch sowie antiphlogistisch wirken. Bei Patientinnen und Patienten mit aktivem Raucherstatus ist es sehr wichtig, dass sie mit dem Rauchen aufhören. Das gilt für Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und auch E-Zigaretten, Verdampfer und Shisha. Damit wird das Fortschreiten der Atemwegserkrankungen verhindert und das Krebsrisiko gesenkt. Ein Rauchstopp ist schwierig und mit Rückschlägen verbunden. Als Ärztin bzw. Arzt sollte man die 5-A-Strategie anwenden – Ask, Advise, Assess, Assist, Arrange –, also nach dem Nikotinkonsum fragen, den Patienten beraten, ihm Hilfe zum Aufhören anbieten und diese organisieren. Dafür stehen neben Nikotinersatz und anderen Medikamenten auch Programme zur Raucherentwöhnung in Form von psychologischen Interventionen oder digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGa) zur Verfügung.
E-Zigaretten, Verdampfer o. Ä. sind als Alternativen nicht empfehlenswert.
Gegen Pneumonien vorgehen
Eine Entzündung der Lunge resultiert meist aus einer Infektion mit Bakterien oder Viren. Neben Husten und Luftnot bestehen häufig auch Fieber und ein allgemeines Krankheitsgefühl, in schwereren Fällen kommt Sauerstoffmangel hinzu. Gelegentlich greift eine Lungenentzündung auf die Pleura visceralis über und verursacht durch Wasserbildung eine deutliche Zunahme der Beschwerden inkl. Brustschmerzen. Dann ist eine Einweisung ins Krankenhaus unvermeidlich.
sollten gegen Pneumokokken als häufigsten Erreger der Pneumonie geimpft werden. Zusätzlich hilft die jährliche Impfung gegen Influenza.
im Internet oder bei der Atemwegsliga. Beispiele für einfach umzusetzende Übungen enthält die Infobox. Sinnvoll ist es auf jeden Fall, eine Atemphysiotherapie zu empfehlen, damit die Patienten diese Techniken mit individueller Anleitung erlernen.
Gegen eine Pneumonie helfen neben allgemeinen Maßnahmen wie Fiebersenkung und Ruhe insbesondere Antibiotika. Die Auswahl ist abhängig vom Alter des Patienten (atypische Erreger wie Mykoplasmen bei jüngeren Personen) und den individuellen Gegebenheiten wie Komorbiditäten, Immunstatus und früheren Klinikaufenthalten. Anzumerken ist, dass Cefuroxim in der Behandlung der Pneumonie keinen Platz hat.
Patienten mit chronischen Erkrankungen und alle, die älter als 60 Jahre sind,
Übungsbeispiele für Patient:innen
Lippenbremse
Der Patient atmet normal ein, am besten durch die Nase und bewusst in die unteren Lungenbereiche – die sog. Bauchatmung. Danach atmet er langsam mit gespitzten Lippen durch den Mund wieder aus. Dies ist auch mithilfe eines Strohhalms möglich. Dadurch erhöht sich der Druck in den Atemwegen, die erweitert werden und die Luft langsam, aber besser entweichen lassen.
Schleimlösung
Eine Möglichkeit des besseren Abhustens von Schleim besteht darin, nach einer Einatmung nur halb auszuatmen und sich dann leicht zu räuspern. So entstehen Schwingungen in den Atemwegen, wodurch sich der Schleim löst.
Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann verschiedene Auswirkungen auf die Atemwege haben: Sie reichen vom einfachen respiratorischen Infekt bis hin zur schweren COVID-19-Pneumonie mit der Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung. Häufig aktiviert der virale Infekt auch bereits vorhandene Erkrankungen wie Asthma bronchiale und COPD. Eine entzündliche Reizung der Atemwege kann zu langanhaltendem Husten und Dyspnoe führen. Nicht selten kommt es nach einem zunächst harmlosen SARS-CoV-2-Infekt zu einer allgemeinen Schwäche mit Luftnot, Husten und Abgeschlagenheit, die sich erst im Verlauf vieler Wochen wieder langsam bessert. Häufig lässt sich für diese Beschwerden keine Ursache identifizieren. Zuweilen wurden Hinweise auf abgelaufene Lungenembolien, chronische Lungenentzündungen mit Diffusionsstörung oder Atemwegsobstruktionen gefunden. Auch eine muskuläre Dekonditionierung ist gelegentlich nachweisbar. Diese Komplikationen können durch eine Impfung gegen COVID-19 reduziert werden.
Neben Medikamenten können bei Erkrankungen der Atmungsorgane spezielle Atemübungen dazu beitragen, die Luftnot zu mildern, den Husten zu reduzieren und die Schleimlösung zu verbessern. Anleitungen dazu gibt es
Bewährte Mittel sind auch Inhalationen von Salbei, Kamille oder Kochsalz, welche die Schleimhäute in der Nase und den Nasennebenhöhlen beruhigen. Das Inhalieren fördert die Schleimlösung und lindert die Beschwerden. Die unteren Atemwege sind mit speziellen Inhalationsapparaten zu erreichen. Bei chronischen Erkrankungen der Atemorgane sollten körperliche Aktivitäten und muskuläres Training unbedingt zum Alltag gehören, denn die Schwäche der Atemwege oder der Lungen muss durch eine gut ausgebildete Muskulatur ausgeglichen werden, insbesondere bei Belastung.
Die Atmungsorgane sind im Körper mit vielen anderen physiologischen Vorgängen vernetzt. Folglich sind die Lunge und die Atemwege auch bei Erkrankungen und Störungen anderer Organsysteme beteiligt. Der Atem kann dabei helfen, Krankheiten zu lindern bzw. Schmerzen und andere Beschwerden zu bekämpfen.
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Pectanginöse Beschwerden abklären, Risikofaktoren modifizieren, Behandlungsmöglichkeiten nutzen
LITERATUR
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Das chronische Koronarsyndrom (CCS) stellt eine Manifestation der Atherosklerose in den Herzkranzgefäßen dar. Durch Obstruktion der Koronararterien reicht die Blutversorgung während eines erhöhten Bedarfs nicht mehr aus, z. B. unter körperlicher Belastung. Das Leitsymptom ist die stabile Angina pectoris – der drückende, klemmende oder brennende Brustschmerz während körperlicher Anstrengung (Tabelle 1). Die Diagnose wird invasiv (Koronarangiographie) oder mittels nichtinvasiver Tests gestellt (z. B. koronare Computertomographie, Herzszintigraphie, Stressecho). Die Basistherapie des CCS umfasst die Modifikation der Risikofaktoren, eine Kombination von Plättchenhemmern und Lipidsenkern sowie Antianginosa zur Symptomlinderung – in erster Linie Betablocker oder Kalziumantagonisten. Die Therapie der Myokardischämie ist die Revaskularisation mittels perkutaner Koronarintervention (PCI) oder aortokoronarer Bypassoperation (ACB).
GASTAUTOR:
Prim. PD Dr. Ronald K. Binder, FESC* Abteilung für Kardiologie und Intensivmedizin, Klinikum WelsGrieskirchen
Die Prävalenz des CCS steigt mit dem Alter, doch die Atherosklerose ist keine reine Alterserscheinung. Veränderungen der Arterien als Vorstadien der Atherosklerose (Intima-Media-Verdickung, eingeschränkte Vasomotorik) können schon im Jugendalter vorkommen, und die subklinische Phase der KHK kann Jahre bis Jahrzehnte dauern. Eine manifeste KHK tritt erst nach der dritten Lebensdekade auf, wobei jene bei Frauen durchschnittlich zehn Jahre später auftritt als bei Männern. Modifizierbare und nicht modifizierbare Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine KHK zu entwickeln (Tabelle 2). Es ist eine ärztliche Aufgabe, Risikofaktoren zu erkennen und durch gezielte Modifikation die frühzeitige Atherosklerose zu verhindern.
Die Anamnese, die klinische Untersuchung und ein 12-Kanal-Ruhe-EKG sind der Ausgangspunkt der CCS-Diagnose. Je nach Symptom werden die Beschwerden als typische oder atypi-
sche Angina bzw. nicht kardialer Brustschmerz gewertet und der Schweregrad der Angina klassifiziert (Tabelle 1). Der Pulsstatus, arterielle Strömungsgeräusche sowie der Knöchel-Arm-Index können klinisch wichtige Hinweise auf eine Atherosklerose liefern. Zur Abklärung von Brustschmerzen sind neben dem EKG auch ein Thoraxröntgen und eine Blutanalyse – samt Blutbild, Troponin, NT-proBNP – indiziert. Aus der Synthese dieser Untersuchungen lässt sich die Vortestwahrscheinlichkeit für ein CCS bestimmen. Bei niedriger Wahrscheinlichkeit sollten andere Ursachen als das CCS gesucht werden. Bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit kann direkt eine Koronarangiographie –der Goldstandard der KHK-Diagnostik – veranlasst werden. Bei intermediärer Vortestwahrscheinlichkeit sollten nichtinvasive Tests zur Anwendung kommen. Eine koronare Computertomographie hat einen sehr hohen negativ prädiktiven Wert und kann bei unauffälligem Befund eine KHK ausschließen. Bei Tachykardie, Arrhythmie, manifester Atherosklerose oder Status nach koronarer Revaskularisation
TABELLE 1
Einteilung der stabilen Angina pectoris
Typische Angina pectoris:
Alle der folgenden drei Kriterien sind erfüllt:
drückender Schmerz in Brust oder Hals, Unterkiefer oder Armen
während körperlicher Belastung
Erleichterung durch Ruhe oder Nitrate innerhalb von fünf Minuten
Atypische Angina pectoris:
Zwei der obigen Kriterien sind erfüllt. Nichtkardiale Beschwerden: Eines oder keines der obigen Kriterien ist erfüllt.
Schweregrade der Angina pectoris nach der Canadian Cardiovascular Society (CCS)
CCS 0: keine Angina pectoris (beschwerdefrei)
CCS 1: Angina bei starker körperlicher Anstrengung (z. B. Sport)
CCS 2: Angina bei moderater körperlicher Anstrengung (z. B. Stiegensteigen)
CCS 3: Angina bei leichter körperlicher Anstrengung (z. B. Gehen in der Ebene)
CCS 4: Ruheangina (Übergang zum akuten Koronarsyndrom)
sind die Ergebnisse der koronaren Computertomographie oft wenig aufschlussreich. Als nichtinvasive Stresstests kommen die Myokardszintigraphie, die Stressechokardiographie, die Stressmagnetresonanztomographie oder die PET-CT zum Einsatz. Die klassische Fahrrad- oder Laufbandergometrie ist nicht besonders spezifisch oder sensitiv und bei fehlenden Alternativen ein möglicher Abklärungsschritt. Bei positivem Stresstest ist neben der medikamentösen und nichtmedikamentösen Basistherapie eine koronare Bildgebung (Koronar-CT oder Koronarangiographie) indiziert, um die Diagnose zu sichern, die Prognose abzuschätzen und gegebenenfalls eine Revaskularisation in die Wege zu leiten.
Wenn ein CCS diagnostiziert wurde, stellt sich die Frage, warum die Patientin bzw. der Patient diese Erkrankung entwickelt hat. Beim Großteil der Betroffenen besteht eine Kombination von mehreren Risikofaktoren (Tabelle 2), welche sich gegenseitig verstärken und über die Jahre und Jahrzehnte hinweg zur Atherosklerose geführt haben. Die Lebensstilmodifikation setzt bei der Wurzel des CSS an.
• Nikotinabusus: Schon der Konsum von nur einer Zigarette täglich erhöht das Risiko einer KHK im Vergleich zu dem von Nichtrauchern. Daher sollte nicht nur eine Reduktion des Rauchens, sondern vielmehr ein kompletter und dauerhafter Rauchstopp angestrebt werden. Die Entwöhnung kann auch medikamentös begleitet werden, z. B. mit Nikotinersatzpräparaten, Vareniclin oder Bupropion. Ein Rauchstopp nach Herzinfarkt reduziert die Gesamtsterblichkeit um die Hälfte.
• Bluthochdruck: Die Vermeidung von Übergewicht, regelmäßige Ausdauerbewegung, die Reduktion von Salz- und Alkoholkonsum, Stressabbau sowie eine antihypertensive Medikation fördern die Normotonie.
• Diabetes mellitus: Neben Körpergewichtsnormalisierung und regelmäßiger Ausdauerbewegung sollten Diabetiker mit KHK grundsätzlich SGLT-2-Inhibitoren oder GLP-1-Rezeptoragonisten einnehmen, da diese Medikamente nachweislich kardiovaskuläre Endpunkte reduzieren.
• Dyslipidämie: Die Assoziation von Cholesterinspiegel und Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen bzw. die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch eine lipidsenkende Therapie ist die am besten untersuchte Wechselwirkung in der Medizin. Bei manifester KHK ist neben gesunder Ernährung und regelmäßiger Bewegung eine medikamentöse Lipidsenkung jedenfalls indiziert. In erster Linie kommen Statine zum Einsatz. Sollten die Cholesterinspiegelzielwerte unter einer Statintherapie nicht erreicht werden, so stehen mit Ezetimibe, Bempedoinsäure und PCSK9-Inhibitoren weitere lipidsenkende Medikamente zur Verfügung. Mittels intravaskulärer Bildgebung konnte für hochdosierte Statine und für PCSK9Inhibitoren sogar eine leichte Regression der atherosklerotischen Koronarplaques festgestellt werden.
• Bewegungsmangel: Man muss nicht zum Spitzensportler werden, um einer KHK vorzubeugen oder die Prognose des CCS zu verbessern. Regelmäßige, moderate Ausdauerbewegung, gepaart mit etwas Krafttraining an den meisten Tagen der Woche, wird empfohlen. Aber auch schon zehn Minuten tägliche Bewegung
TABELLE 2
Modifizierbare Risikofaktoren für KHK
Rauchen -> Rauchentwöhnung
Bluthochdruck -> Normotonie
Diabetes mellitus -> Normoglykämie
Dyslipidämie -> Lipidsenkung
Übergewicht -> Gewichtsreduktion
Bewegungsmangel -> regelmäßige körperliche Ertüchtigung
Disstress -> Entspannung
Chronisch entzündliche Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes) -> antiinflammatorische Therapie
Nichtmodifizierbare Risikofaktoren für KHK
Alter -> Inzidenz steigt mit dem Lebensalter
Geschlecht -> Männer sind früher betroffen als Frauen
Familiengeschichte -> gilt als positiv, wenn mindestens eine Verwandte ersten Grades < 65 Jahre bzw. mindestens ein Verwandter ersten Grades < 55 Jahre eine KHK entwickelt hat
Genetische Veranlagung -> polygenetische Scores in Entwicklung
verbessern nachweislich die Herz-Kreislauf-Gesundheit. Wenn sich unter der Woche keine Zeit oder Möglichkeit für körperliche Belastung findet, kann auch regelmäßiger Wochenendsport erwiesenermaßen kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren.
• Übergewicht: Ernährung, Bewegung und Körpergewicht sind eng miteinander verbunden. Ein erhöhter Energieumsatz durch Bewegung sowie eine hypokalorische Ernährung bewirken eine Gewichtsreduktion. Medikamentöse Unterstützung etwa durch GLP1-Rezeptoragonisten oder bariatrische Chirurgie führen neben der Lebensstilmodifikation zur Gewichtsreduktion.
Die medikamentöse Basistherapie der Atherosklerose besteht – unabhängig vom Manifestationsort (KHK, Insult, symptomatische PAVK) und unabhängig vom Lipidstatus – aus Acetylsalicylsäure und Statin. Als Alternative zur Acetylsalicylsäure – 100 Milligramm einmal täglich per os – kann auch Clopidogrel 75 Milligramm eingesetzt werden. CCS-Patienten, welche eine orale Antikoagulation einnehmen, z. B. wegen Vorhofflimmerns oder einer mechanischen Herzklappenprothese, benötigen keinen zusätzlichen Plättchenhemmer, sondern die orale Antikoagulation ist als Monotherapie für das CCS ausreichend. Statinunverträglichkeiten sind zu 90 Prozent auf den Nozeboeffekt zurückzuführen. Kann tatsächlich kein Statin eingenommen werden, so stehen mit Ezetimibe, Bempedoinsäure und PCSK9-Inhibitoren Alternativen bzw. Kombinationstherapien zur Verfügung, um die LDL-C-Zielwerte zu erreichen: intensivierte Statintherapie bei allen Patienten mit CCS und einem Ziel-LDL-C von < 55 mg/dl sowie Senkung um mindestens 50 %, bezogen auf den Ausgangswert (bei erneutem kardiovaskulärem Ereignis binnen zwei Jahren: Ziel-LDL-C < 40 mg/dl).
Während die Therapie mit Plättchenhemmern das Risiko eines akuten Koronarsyndroms senkt und die lipidsenkende Therapie die Progression der Atherosklerose hemmt, wirken Antianginosa nur auf die Symptome. Mittel der ersten Wahl sind Betablocker oder Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp. Je
nach Blutdruck und Puls können diese auch kombiniert werden. Während eines Anfalls helfen sublinguale Nitrate. Mittel zweiter Wahl sind Nicorandil, Ranolazine, Trimetazidine oder Ivabradin (Tabelle 3).
TABELLE 3
Antianginöse Therapie
Stufe 1: Betablocker oder Kalziumantagonist; während des Anfalls Nitrate
Stufe 2: je nach Blutdruck und Puls: Betablocker und Kalziumantagonist
Stufe 3: zusätzliche Optionen: langwirksame Nitrate, Nicorandil, Ranolazine, Ivabradine, Trimetazidine
Eine Revaskularisation mittels perkutaner Koronarintervention oder aortokoronarer Bypassoperation kann die der Angina zugrundeliegende Koronarischämie beheben. Grundsätzlich sollte bei jedem Patienten mit CCS die Koronaranatomie mittels Bildgebung dargestellt werden. Indikationen zur Revaskularisation sind die Linderung von Beschwerden bei therapierefraktärer Angina pectoris sowie die Verbesserung der Prognose bei prognostisch relevanten Stenosen. Zu diesen zählen etwa eine Hauptstammstenose, die koronare Dreigefäßerkrankung oder eine koronare Zweigefäßerkrankung mit Beteiligung des proximalen Ramus interventrikularis anterior.
* Interessenskonflikte des Verfassers: Proktor für Boston Scientific. Vortragshonorare von Abbott, AstraZeneca, Daiichi Sankyo, Bayer und Pfizer.
DFP-Pflichtinformation
Fortbildungsanbieter: Klinikum Wels-Grieskirchen
Lecture Board: Prim. Priv.-Doz. Dr. Clemens Steinwender, FESC Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin, Kepler Universitätsklinikum Linz
Dr.in Johanna Holzhaider 2. Vizepräsidentin der OBGAM Gruppenpraxis Sandl, Oberösterreich
Die wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren für eine KHK sind Rauchen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Dyslipidämie, Übergewicht und Bewegungsmangel.
Das Leitsymptom des chronischen Koronarsyndroms ist die typische Angina pectoris: drückende Brustschmerzen, welche unter körperlicher Anstrengung auftreten und in Ruhe oder mittels Nitraten rasch wieder verschwinden.
Die Abklärungsschritte von pectanginösen Beschwerden richten sich nach der Vortestwahrscheinlichkeit für eine KHK.
Nach positiver Durchführung eines bildgebenden, nichtinvasiven Stresstests sollte die Koronaranatomie dargestellt werden
Die medikamentöse Basistherapie der Atherosklerose sind Plättchenhemmer und Lipidsenker.
Antianginosa wirken rein symptomatisch und können damit die Lebensqualität verbessern.
Bei therapierefraktärer Angina pectoris oder prognostisch relevanten Koronarstenosen sollte eine perkutane oder chirurgische Revaskularisation vorgenommen werden.
LITERATUR
So machen Sie mit: Entsprechend den Richtlinien der ÖÄK finden Sie im Anschluss an den Fortbildungsartikel Multiple-Choice-Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn Sie von den vorgegebenen Antworten alle richtigen angekreuzt haben. Für eine positive Bewertung ist erforderlich, dass Sie 2 der 3 Fragen richtig beantworten. In diesem Fall wird 1 DFP-Fachpunkt angerechnet.
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Per E-Mail oder Post: Schicken Sie den beantworteten Fragebogen bitte per Mail als Scan-Dokument an office@gesund.at oder per Post an Redaktion HAUSÄRZT:IN/RMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien. Einsendeschluss: 31. März 2024. Alle unsere Fortbildungen finden Sie unter meindfp.at (Reiter Akademie Lernwelt, E-Learning) mit der Stichwortsuche „Praxiswissen“
Die Anzahl der richtigen Antworten ist nach jeder Frage in Klammern angegeben.
In welcher Situation ist eine koronare Computertomographie zur Abklärung einer Angina pectoris sinnvoll? (1 richtige Antwort)
Bekannte KHK mit Status nach PCI.
Älterer Mann mit hoher Vortestwahrscheinlichkeit für KHK.
Atypische Angina mit moderater Vortestwahrscheinlichkeit für KHK.
Dyspnoe und tachykardes Vorhofflimmern.
Welche Medikamente sind die Basistherapie bei manifester Atherosklerose? (1 richtige Antwort) 2
Plättchenhemmer und Lipidsenker.
ACE-Hemmer und Betablocker.
Kalziumantagonisten und Diuretika.
Nitrate und Ranolazine.
Welche antithrombotische Therapie ist bei Vorhofflimmern und chronischem Koronarsyndrom indiziert? (1 richtige Antwort)
Orale Antikoagulation mit Aspirin.
Orale Antikoagulation mit Clopidogrel.
Aspirin mit Clopidogrel.
Orale Antikoagulation als Monotherapie.
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Die kardiale Amyloidose erkennen und einer frühzeitigen Diagnose und Therapie
„Amyloidose“ bezeichnet eine Krankheitsentität, die durch die Ablagerung fehlgefalteter Proteine verursacht wird. Bei diesen kommt es anstatt einer AlphaHelix-Konformation, zu einer Proteinfehlfaltung in eine BetaFaltblatt-Struktur und zur Ausbildung unlöslicher Fibrillen, die sich im Interstitium von verschiedenen Organen, etwa Herz, Leber, Lunge, Niere, MagenDarm-Trakt oder Nervensystem, ablagern. Die Zerstörung der physiologischen Gewebestruktur führt konsekutiv zu einer Organdysfunktion1 Bis vor einigen Jahren galt die Amyloidose noch als seltene Multiorganerkrankung mit primär neurologischer bzw. on-
EXPERTIN:
Doz.in Dr.in Diana Bonderman Leiterin der Abteilung für Kardiologie, Klinik Favoriten
kologischer Manifestation. Die kardiale Amyloidose wurde angesichts der Heterogenität der Symptome häufig übersehen bzw. erst spät gesichert – mit entsprechender Konsequenz für die Prognose der Patientinnen und Patienten.2 „ M ittlerweile ist die Awareness zwar gestiegen“, weiß Priv.-Doz.in Dr.in Diana Bonderman, Leiterin der Abteilung für Kardiologie, Klinik Favoriten. Sie ist Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Selbsthilfegruppe „ A myloidose Austria – Leben mit Amyloidose” „Trotzdem dauert es im Schnitt drei Jahre, bis eine kardiale Amyloidose diagnostiziert wird. Und es
Patient:in mit Symptomen, die auf eine Amyloidose hinweisen
sind – ich weiß nicht, wie viele – Arztbesuche notwendig, bis überhaupt an die seltene Erkrankung gedacht wird “ Ein primäres Ziel der Selbsthilfegruppe ist daher, Informationen über die Symptome zur Früherkennung, weiters über die Krankheit und mögliche Therapieoptionen (potenziell) Betroffenen und deren Angehörigen sowie (potenziell) behandelnden Ärztinnen und Ärzten zu vermitteln und einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen (siehe INFO, S. 16). „Unsere österreichische Initiative ist mit dem internationalen System vernetzt, und wir sind insbesondere mit der europäischen Patientengruppe im stetigen Austausch“, hebt Doz.in Bonderman hervor.
strukturell veränderte Leichtketten
Quelle: Adaptiert nach Gertz M et al., BMC Family Practice (2020) 21:198.
Überweisung zur Hämatologie/ Onkologie
Kardiale Symptome
Orthopnoe, paroxysmale nächtliche Dyspnoe, Fatigue, Belastungsintoleranz, Schwindel/ Synkopen, Palpitationen, Vorhofflimmern, Thromboembolie und Flüssigkeitsansammlung
andere systemische Manifestationen:
• periphere Neuropathie unklarer Genese
• gastrointestinale Symptome, z. B. frühe Sättigung, Übelkeit, Erbrechen und/oder veränderte Stuhlgewohnheiten
• chirurgische Korrektur eines Karpaltunnelsyndroms in der Anamnese und/oder (lumbale) Spinalkanalstenose
Echo und EKG kardiale MRT Knochenszintigraphie mit 99mTc-PYP/99mTc-DPD
Überweisung zur Kardiologie
Symptome peripherer Neuropathie
progressive sensible Polyneuropathie, autonome Dysfunktion (z. B. chronische Diarrhoe, Obstipation oder alternierend Diarrhoe und Obstipation, erektile Dysfunktion und orthostatische Hypotonie), Schmerzen in Händen oder Füßen und Gangstörung
andere systemische Zeichen:
• Gewichtsverlust unklarer Genese
• kardiale Symptome
• okuläre Manifestationen
• renale Anomalien
• chirurgische Korrektur eines Karpaltunnelsyndroms in der Anamnese und/oder (lumbale) Spinalkanalstenose
genetische Testung auf TTR-Mutation
Überweisung zur Neurologie und genetischen Beratung
Abbildung: Diagnose-Algorithmus für Allgemeinmediziner:innen bei Verdacht auf ATTR-Amyloidose. Abkürzungen: Echo: Echokardiographie, EKG: Elektrokardiographie, MRT: Magnetresonanztomographie, 99mTc-PYP: 99mTechnetium-markiertes Pyrophosphat, 99mTc-DPD: 99mTechnetium-markierte 3,3-Diphosphono-1,2-Propanodicarbonsäure.
Bizepssehnenruptur?1
Vorhofflimmern im EKG1
Kurzatmigkeit und Atemnot1
Spinalkanalstenose?1
Früheres beidseitiges Karpaltunnelsyndrom1
Wenn die Symptome einfach nicht zusammenpassen …
Scheinbar eindeutige Symptome, doch der Zustand der Patientin oder des Patienten verschlechtert sich trotz Therapie?2
Die ATTR-CM ist mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden. 3
Eine kardiologische Abklärung wird dringend empfohlen.
Da die kardiale Amyloidose oft die einzige Manifestation darstellt, kommt der frühzeitigen kardialen Diagnostik und anschließenden kardial ausgerichteten Therapie eine große Bedeutung zu.2 „Die Herausforderung ist einerseits, dass wir in der Praxis mit einer Vielzahl eher unspezifischer Symptome unterschiedlicher Ausprägung konfrontiert sind“, hält Doz.in Bonderman fest. „Andererseits: Hat man an eine Amyloidose gedacht, so ist die weitere Abklärung von der Verdachts- bis hin zur exakten Diagnose umfangreich. Wir sprechen vom Diagnosealgorithmus, den es braucht (siehe Abbildung, S. 14).“ Mit einer Echokardiographie sei es nicht getan, zusätzlich seien u. a. Blut- und Harnuntersuchungen, eine Magnetresonanzsowie eine szintigraphische Untersuchung notwendig. Für die zeitnahe Diagnose bzw. Zuweisung an spezialisierte Zentren sind die Hausärzte wichtige Partner.
An eine ATTR-CM sollte bei deutlicher LV-Wandverdickung ohne hypertensive Herzerkrankung, bzw. wenn einer der folgenden Punkte vorliegt, gedacht werden:
Alter von > 60 Jahren, Herzinsuffizienzsymptomatik und normal große Ventrikel
Niedervoltage bzw. Nachweis eines AVoder Schenkel-Blockes im Ruhe-EKG
Nachweis eines Perikardergusses, einer interatrialen Verdickung, einer echoreichen Myokardtextur, einer RV-Wandverdickung bzw. einer Klappenverdickung oder eines „apical sparing“
Pathognomonische Makroglossie mit Einkerbungen im Bereich der Zungenwand
Periorbitale Purpura (typischerweise schon nach Bagatellverletzungen)
Atraumatische Bizepssehnenruptur
Karpaltunnelsyndrom (ggf. sogar beidseits)
Sensomotorische Polyneuropathie, neuropathische Schmerzen unklarer Genese
Spinalkanalstenose
Autonome Dysfunktion wie orthostatische Hypotension und erektile Dysfunktion
Glaskörpertrübungen sowie pathognomonische Pupillenveränderungen
Quelle: Yilmaz A, Bauersachs J, Kindermann I et al., Diagnostik und Therapie der kardialen Amyloidose. Kardiologe 13, 264–291 (2019).
Hier geht es zur aktuellen Leitlinie:
Prinzipiell können unterschiedliche pathologische Proteine eine kardiale Amyloidose bedingen. In der klinischen Praxis sind jedoch primär die Leichtketten-(AL) und die Transthyretin-Amyloidose (ATTR) von Relevanz. Die Ablagerung der fehlgefalteten Proteine im Interstitium des Myokards ist der gemeinsame Pathomechanismus. Bei Verdacht ist es wichtig, zuerst die AL-Amyloidose auszuschließen, die in die Verantwortung der Hämatoonkologen fällt.
Bei der Transthyretin-Amyloidose gibt es eine primär neurologische Manifestation mit Polyneuropathie (ATTR-PN) und eine primär kardiale mit Kardiomyopathie (ATTR-CM). Mischformen sind aber häufig. Unterschieden wird zudem zwischen der Wildtypform, die erst im höheren Alter auftritt (wtATTR), und der selteneren mutierten Form, die schon in jüngeren Jahren auftreten kann und vererbt wird (mATTR).
Insbesondere bei der Wildtypform geht man davon aus, dass sie deutlich unterdiagnostiziert ist. „Die meisten Betroffenen sind Männer ab Mitte 70, die zum Beispiel über Atemnot bzw. über klassische Beschwerden der Herzinsuffizienz klagen und zusätzlich in der Anamnese ein Karpaltunnelsyndrom, oft beidseitig, haben“, erklärt Doz.in Bonderman. „Weitere Red Flags in der Diagnose wären eine Spinalkanalstenose, eine atraumatische Bizepssehnenruptur oder eine periphere Polyneuropathie “ Typisch sei, dass die älteren Herren ein normales kardiovaskuläres Risikoprofil hätten, also keine Hochrisikopatienten seien, schildert die Kardiologin. „Im Gegenteil, oft sind sie eher sportlich aktiv. Obwohl sie nie geraucht haben und gesund leben, entwickeln sie plötzlich Atemnot “ Im EKG findet sich klassisch eine Niedervoltage bei gleichzeitig im Echo dokumentierter linksventrikulärer Hypertrophie. Auch z. B. Rhythmusstörungen können sich zeigen. Die hereditär bedingte Form sollte bei Verdacht mittels Genanalyse ausgeschlossen werden. Doz.in Bonderman betont: „Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Neurologie, der Hämatoonkologie und der Kardiologie sowie der Radiologie, der Pathologie, der Gas-
troenterologie, der Genetik und weiterer Fachdisziplinen ist nicht nur für die Diagnose unerlässlich, sondern auch, um in der Folge eine geeignete Therapie für die Betroffenen zu finden.“
Endorganschaden hinauszögern
Die kardiale Amyloidose ist mittlerweile behandelbar, aber nach wie vor nicht heilbar. „Derzeit für die klassische Transthyretin-Amyloidose zugelassen ist nur ein Präparat, welches die weitere Amyloidablagerung hemmt: Tafamidis“, fasst Doz.in Bonderman zusammen. Ein möglichst früher Behandlungsbeginn sei essenziell. „Im Herz findet sich durch die jahrelange Ablagerung des Amyloids ein Endorganschaden“, erklärt die Kardiologin die Hintergründe. „Der Herzmuskel wird steif und zusätzlich haben die Ablagerungen eine leicht toxische Wirkung auf das Myokardium. Je früher man also mit der Therapie startet, desto gesünder ist es noch. Von da an erzielen wir mit den Stabilizern eine langsamere Progression der Krankheit.“ In Erprobung sind zudem sogenannte Gene Silencer, die zum Teil schon für die Amyloidpolyneuropathie zugelassen sind. Sie inhibieren die Produktion von Transthyretin in der Leber. Aktuell werden sie im Rahmen von klinischen Studien auch für die kardiale Amyloidose untersucht. „Am AKH Wien laufen Phase-III-Studien dazu“, gewährt Doz.in Bonderman Einblick. „Darüber hinaus werden weitere Antikörper- und In-vivo-Gentherapien sowie Medikamentenkombinationen untersucht, allerdings vorerst in Phase-I- und Phase-II-Studien.“ Neben der Indikationserweiterung von bereits verfügbaren Substanzen erhoffe man sich in Zukunft also auch die Zulassung von neuen, noch potenteren Therapien. Ziel sei letztendlich, das im Herz eingelagerte Amyloid herauszulösen und zurückzufalten und die Krankheit somit reversibel zu machen.
Mag.a Karin Martin
1 Vaxman I et al., Acta Haematol (2019) 141(2):93–106.
2 Yilmaz A et al., Kardiologie (2019) 13: 264.
Leben mit Amyloidose
Initiative zur Unterstützung von Amyloidosepatient:innen
Tel.: 0664/2080872, Internet: amyloidosis-austria.at
Am 1. August 2023 trat das neue Primärversorgungsgesetz in Kraft. Die Novellierung zielt darauf ab, den niedergelassenen Bereich deutlich auszubauen – Primärversorgungseinheiten (PVE) können einfacher und schneller gegründet werden und neue Möglichkeiten sind entstanden (siehe Infobox, S. 18). Allerdings gehen die Meinungen zu der Gesetzesänderung auseinander. So blieben diverse Forderungen der Ärzt:innen unerfüllt und nicht allen Neuerungen wurde ein positives Zeugnis ausgestellt. Ein Diskussionspunkt ist etwa die Legitimierung von multiprofessionellen Gruppenpraxen, bei denen auch Angehörige nichtärztlicher Gesundheitsberufe unter bestimmten Voraussetzungen Gesellschafter:innen einer PVE sein können. Um das neue Primärversorgungsgesetz mit einem Fokus auf multiprofessionellen Gruppenpraxen unter die Lupe zu nehmen, bat die Hausärzt:in verschiedene Expert:innen um eine Stellungnahme. Aus ihrer Sicht werden
nachfolgend Vorteile, aber auch Kritikpunkte, Offengebliebenes und mögliche Hürden erörtert.
Anna Schuster, BSc, Mag.a Karin Martin
„Neue Perspektive für Gesundheitsberufe“
Johannes Rauch
Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
Primärversorgungszentren bieten Patient:innen neben längeren Öffnungszeiten auch den Zugang zu einer multidisziplinären Gesundheitsversorgung, wo sie beispielsweise Leistungen von Physiotherapeut:innen, Hebammen oder Sozialarbeiter:innen in Anspruch nehmen können. Mit dem Inkrafttreten
der Novelle des Primärversorgungsgesetzes am 1. August wurde nicht nur der Gründungsprozess für Primärversorgungseinheiten stark vereinfacht. Nun ist es erstmals auch Angehörigen dieser nichtärztlichen Gesundheitsberufe möglich, Gesellschafter:in einer PVE zu werden. Es müssen lediglich mindestens zwei Ärzt:innen die Gesellschaftermehrheit halten.Unser Ziel ist es, die Anzahl der Primärversorgungszentren in Österreich bis 2025 auf 120 zu verdreifachen. Durch die Novelle erweitern wir die Anzahl jener Personen, die eine PVE gründen können, durch die Angehörigen dieser Gesundheitsberufe massiv. Zusätzlich attraktiviert die Möglichkeit, Gesellschafter:in einer PVE zu werden, diese Berufsbilder. Gerade junge Menschen kann diese Perspektive darin bestärken, sich für eine Ausbildung zur Hebamme, Ergotherapeut:in, Pfleger:in oder für einen anderen Gesundheitsberuf zu entscheiden.
„Selbstständigkeit der Mediziner:innen bewahren“
Dr. Richard Brodnig, BSc
Obmann der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ)
Eine aktuelle Gesetzesänderung im Primärversorgungsgesetz erlaubt weiteren Berufsgruppen die Gründung von Primärversorgungseinheiten, reduziert die Zahl der Gründer:innen auf mindestens zwei und ermöglicht gemeinnützigen Organisationen die Eröffnung
von PVE als Ambulatorien. Die Junge Allgemeinmedizin Österreich sieht darin Chancen und Gefahren.
Eine Erweiterung des Gründer:innenteams auf zusätzliche Berufsgruppen, wie Kinderfachärzt:innen, bietet ein breiteres Fachwissen, von dem die Patient:innen profitieren. Zudem ist eine erleichterte Gründung von PVE positiv, da sich dadurch Zahl und Verfügbarkeit von PVE erhöhen. Durch die Öffnung für gemeinnützige Betriebe wie Krankenhausträger:innen wird jedoch die aktive Sicherstellung der Kontinuität noch wichtiger. Strukturelle Veränderungen dürfen nicht zum Verlust der Betreuungskontinuität führen, da diese einen zentralen Bestandteil
Wichtige Neuerungen im Primärversorgungsgesetz
Kernteams: Neue Zusammensetzung ist möglich.
• Mindestens zwei Ärzt:innen: Jede PVE besteht aus einem Kernteam, dem nunmehr mindestens zwei Ärzt:innen für Allgemeinmedizin, eine oder mehrere Personen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Ordinationsassistenz angehören. Darüber hinaus sind orts- und bedarfsabhängig weitere Angehörige von Gesundheits- und Sozialberufen einzubinden.
• Kinder-PVE: Abhängig von den regionalen Gegebenheiten, kann der ärztliche Teil des Kernteams auch aus Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendheilkunde bestehen – oder aus einer Kombination von Allgemeinmediziner:innen und Pädiater:innen.
Multiprofessionelle Gruppenpraxis: Auch Angehörige gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe, die zur freiberuflichen Berufsausübung berechtigt und in der Primärversorgungseinheit hauptberuflich tätig sind, können Gesellschafter:innen einer Primärversorgungseinheit sein – wobei diese sogenannte Gruppenpraxis als GmbH betrieben werden muss und die Ärzt:innen die Gesellschaftermehrheit halten müssen.
Kinder-PVE können entstehen. Nähere Informationen unter: primaerversorgung.gv.at/haeufige-fragen-antworten
Unterschiedliche regionale Anforderungen: Entscheidend für Art und Anzahl der vertretenen Berufsgruppen und der erforderlichen Qualifikationen sind die jeweiligen regionalen Erfordernisse bzw. der erforderliche Leistungsumfang.
Öffnungszeiten: Je nach den regionalen Gegebenheiten können PVE auch an Wochenenden sowie an Feiertagen für die Akutversorgung geöffnet werden.
Verkürztes Auswahlverfahren für PVE ist möglich.
• Sind in einer Versorgungsregion zwei Stellen für Allgemeinmediziner:innen und/oder Pädiater:innen unbesetzt, haben die Ärztekammer und die ÖGK sechs Monate Zeit, neue Ärzt:innen zu finden. Danach können Land und ÖGK in Abstimmung mit den anderen Krankenversicherungsträgern gemeinsam die Ausschreibung einer Primärversorgungseinheit initiieren.
• Auch Wahlärzt:innen sowie wahlärztliche Gruppenpraxen für Allgemeinmedizin und/oder Pädiater:innen können sich um das ausgewiesene Versorgungsgebiet bewerben.
Förderungen: Die 100 Millionen Euro des RRF-Fonds (Aufbau- und Resilienzplan, Recovery and Resilience Facility) der EU können nun umfassender für die Umsetzung von PVE genutzt werden. Näheres unter: primaerversorgung.gv.at/foerderungen (Stand: 1.8.2023).
Quelle und weiterführende Informationen: primaerversorgung.gv.at/neuigkeiten/ grundung-von-pve-novellierung-desprimarversorgungsgesetzes-beschlossen
der hausärztlichen Primärversorgung darstellt. Zudem könnte die Umwandlung von Kassenstellen in Ambulatorien zu einem Rückgang der selbstständigen Berufsausübung führen, welche für zahlreiche Ärzt:innen weiterhin einen wesentlichen Attraktivitätsfaktor des niedergelassenen Bereichs darstellt.
„Ambulatorium als Schnittstelle“
Univ.-Prof.in Dr.in
Erika Zelko
Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin, Johannes Kepler Universität Linz
Das neue Primärversorgungsgesetz bringt einige interessante Neuerungen mit sich. Eine der wichtigsten ist die Erleichterung der Gründung neuer Einheiten für die primäre Gesundheitsversorgung. Angesichts des demografischen Wandels, des Ressourcenmangels und der Verlagerung einiger Leistungen von der sekundären auf die primäre Ebene, etwa Patientenschulungen und die Betreuung chronischer Erkrankungen, ist Teamarbeit wichtig und notwendig für die effiziente Arbeit in der Primärversorgung. Die Möglichkeit, am Gründungsprozess teilzuhaben, kann einen zusätzlichen Impuls für alle Beteiligten darstellen, Strategien für die Gesundheitsversorgung in der Region aktiv mitzugestalten. Multidisziplinäre Teams brauchen interprofessionelle Kompetenzen und eine hervorragende Kommunikation, denn nur so können eine optimale regionale Patient:innenversorgung und eine gemeinsame Verantwortung dafür gewährleistet werden. Interessant wird sein, die Umsetzung in der Praxis zu beobachten. Wichtig ist es zu betonen, dass auch die Vernetzung der Praxen in den Regionen eine gute Option darstellt, wenn die Gründung einer PVE mit einem Standort aus verschiedenen Gründen nicht attraktiv ist.
Eine neue Schnittstelle zwischen Krankenhäusern und dem niedergelassenen Bereich wird das Ambulatorium sein. Dieses kann die Gesundheitsversorgung in
der Region bereichern, wenn andere Lösungen nicht möglich sind. Wichtig wäre es allerdings, die vertikale Integration im Gesundheitswesen noch etwas genauer zu definieren. Damit meine ich, dass die Gliederung der drei Versorgungsebenen, primärer, sekundärer und tertiärer Bereich, in Österreich formal noch nicht vollzogen ist – auch wenn das sehr viele Leitlinien empfehlen und vorsehen.
Die Primärversorgung in Österreich zu stärken ist wegen verschiedener Aspekte ein komplexer und wichtiger Prozess. Dabei muss die Diversität der Organisation der Primärversorgung – Einzel-, Gruppenpraxen, PVE – die Diversität der Patient:innenbedürfnisse widerspiegeln und inkludieren. Nur so kann die Allgemein- und Familienmedizin all ihre Stärken und Fähigkeiten zeigen und ein wichtiger „ Player“ in der Gesundheitsversorgung bleiben.
„Fachpflege wirkungsvoll einsetzen“
Mag.a Elisabeth Potzmann
Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV)
Die Gesundheitsversorgung in Österreich braucht, um zukunftsfit zu sein,
einige Neuausrichtungen bezüglich ihrer Struktur und ihres Angebots. Dazu gehört auch eine abgestufte Versorgung. Dass zwischen Hausärzt:in und Krankenhaus keine Versorgungsstruktur vorhanden ist, führt zur Überforderung dieser beiden Strukturen. Die Primärversorgungszentren sehen wir als einen wichtigen Baustein an und die gestärkte Rolle der Pflege dort sehr positiv. Um das umfassende Angebot der Fachpflege wirkungsvoll einsetzen zu können, muss die Pflege als Gesundheitsdiensteanbieter im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) abgebildet werden. Danach ist eine Vertragspartnerschaft mit den Sozialversicherungen möglich und alle Menschen in Österreich können noch einfacher von den Leistungen der Fachpflege profitieren. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die Gesundheitsförderung zu legen. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung muss gestärkt werden. Dafür bieten Primärversorgungszentren einen guten Rahmen, da Gesundheitsberufe mit unterschiedlichen Kompetenzen vor Ort sind und ihre Expertise zur Verfügung stellen können. Somit können niederschwellig Infoveranstaltungen und Mikroschulungen organisiert werden. Langfristig muss es unser Ziel sein, neben einer guten Versorgung der kranken Menschen den Fokus darauf zu legen, die Gesunden gesund zu erhalten.
© Stefan Seelig
„Vorteile sehe ich in der Novelle nicht wirklich“
Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied
Allgemeinmedizinerin in Wien, stv. Obfrau der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, ÄK für Wien
Nichtmediziner:innen können jetzt auch Teilhaber:innen von Primärversorgungseinheiten sein. Wenn man von einer echten Flexibilisierung spricht und wirklich multicolore Praxen haben möchte, dann wäre es aber wichtig, dass z. B. auch eine Kinderärzt:in und eine Allgemeinmediziner:in gemeinsam eine PVE gründen können. Fachgruppenübergreifende PVE wurden nur leider nicht ermöglicht. Letztlich geht es um die Verantwortung. Vertreter:innen nichtärztlicher Gesundheitsberufe können medizinisch nur tätig werden, wenn man an sie delegiert. Selbst wenn sie als Gesellschafter:innen mitbeteiligt sind: Die Haftung in medizinischen Belangen tragen die Ärzt:innen. Wir sind der Meinung: Gesellschafter:in sollte sein, wer die Letztverantwortung trägt.
Im PVE-Team kommt den nichtärztlichen Gesundheitsberufen natürlich eine essenzielle Rolle zu. Ich fordere seit langem eine echte Flexibilisierung. Am Ende des Tages ist eine PVE ja ein Betrieb. Man muss sich nach dem Versorgungsbe- >
Auf unserem Portal finden Sie viele Informationen zum Thema Gentherapie, darunter auch ein Mode of Action-Video, das sehr anschaulich erklärt, wie der AAV-basierte Gentransfer funktioniert.
Der Zugang ist ganz einfach über den QR-Code oder unter folgendem Link möglich:
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darf der Bevölkerung richten, der regional sehr unterschiedlich sein kann. Das gilt für Psychotherapie-Angebote ebenso wie für Sozialarbeit. Für diplomierte Pflegefachkräfte z. B. ist die Stundenzahl limitiert. Viele Ordinationen kommen damit nicht aus, weil sie Schwerpunkte auf intravenösen Therapien haben. Auch etwa für die Wundversorgung könnten DGKP mehr eingesetzt werden. Unsere Forderungen wurden nicht erfüllt. Vorteile in der Novelle sehe ich also nicht wirklich. Die PVE werden selbst im Vollausbau insgesamt nur sieben bis zehn Prozent der Bevölkerung versorgen. Wir benötigen daher dringend Lösungsansätze – auch für die Einzelordinationen, ich nenne sie „PVE light“ Alle Hausärzt:innen sollten in ihren „PVE light“ die Möglichkeit haben, auf die PVE-Tools zuzugreifen. Nur so werden wir österreichweit flächendeckend PVELeistungen anbieten können.
„Weniger Einspruchsmöglichkeiten seitens der Ärzt:innen“
Andreas Huss, MBA
Arbeitnehmer:innenObmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK)
Ich stehe voll und ganz hinter den Ausbauplänen für die Primärversorgungszentren in Österreich und begrüße daher auch die gesetzlich ermöglichten Erleichterungen bei der Gründung multiprofessioneller Einrichtungen, die für die Versicherten viele Verbesserungen und Leistungen bieten. So können wir schneller die erste Ebene im Gesundheitssystem ausbauen, die den Versicherten eine gute Orientierung gibt, sowie ein breites Angebot von Kassenleistungen mit langen Öffnungszeiten zur Verfügung stellt. Damit werden den Versicherten viele Wege erspart und die Fachärzt:innen sowie Ambulanzen entlastet – die ja nur bei ganz speziellen Problematiken aufgesucht werden sollten. Die Primärversorgungszentren können dank eines Teams aus Ärzt:innen, Pflegekräften, therapeutischen Berufen bis hin zu Sozialarbeiter:innen den Großteil des
Krankheitsgeschehens gut bewältigen und leisten dies für die Versicherten ohne belastende Zuzahlungen. Die jetzt noch bessere Einbindung der Kinderärzt:innen und der anderen Gesundheitsberufe ist ein guter Schritt, der aufgrund der Erfahrungen zuletzt notwendig und abgestimmt gemacht wurde.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass es hier noch mehr Freiheiten und Möglichkeiten für die Gesundheitsberufe gibt, sich in der Primärversorgung auch als Gesellschafter:innen zu engagieren. Insgesamt sollte durch die jetzt eingeschränkten Einspruchsmöglichkeiten seitens der Ärztekammer der Ausbau der Modernisierung in der Primärversorgung weiter an Dynamik gewinnen, zum Wohl der wohnortnahen Versorgung aller Versicherten.
„Kernteams um MTD-Berufe erweitern“
AKTUELL
Gabriele Jaksch
Präsidentin des Dachverbands der gehobenen medizinischtechnischen Dienste (MTD-Austria)
MTD-Austria vertritt als überbetriebliche Interessenvertretung die drittgrößte Berufsgruppe im österreichischen Gesundheitswesen in berufspolitischen Belangen. Dazu zählen ca. 40.000 Angehörige sieben gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe, die in den Bereichen Prävention, Gesundheitsförderung, Diagnose, Therapie, Rehabilitation und im palliativen Bereich tätig sind: Biomedizinische Analytiker:innen, Diätolog:innen, Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen, Orthoptist:innen, Physiotherapeut:innen und Radiologietechnolog:innen. MTD-Austria erkennt das Ziel der kürzlich durchgeführten Novellierung des Primärversorgungsgesetzes an, die Anzahl der Primärversorgungseinheiten signifikant zu erhöhen. Um die gesundheitspolitischen Ziele zu erreichen, unterstützt MTD-Austria ausdrücklich die Erweiterung der Möglichkeit, multiprofessionelle Gruppenpraxen einzurichten – neuerdings auch mit weiteren gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen als Gesellschafter:innen. Die gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe verfügen über unterschiedliche und unterscheidbare Kernkompetenzen. Diese gilt es vollumfänglich zum Nutzen der Bevölkerung auszuschöpfen. Der Mehrwert
Etablierung einer Universitären PVE an der Johannes Kepler Universität Linz
Das Institut für Allgemeinmedizin der JKU Linz plant aktuell die Errichtung einer Universitären Lehr- und Forschungs-PVE als erste ihrer Art in Österreich und als Vorbild für eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Arbeit in der Primärversorgung. In diesem Setting arbeiten Studierende verschiedener Gesundheitsberufe zusammen, forschen und entwickeln neue, innovative Modelle der Patient:innenversorgung. Damit soll ein Grundstein für eine moderne medizinische Ausbildung gelegt werden.
Für die Umsetzung des Pilotprojekts „Universitäre PVE“ strebt das Institut für Allgemeinmedizin eine enge Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät der JKU Linz, den Fachhochschulen für Gesundheitsberufe, den Krankenkassen sowie der Stadt Linz und dem Land Oberösterreich an.
Kernelemente der Universitären PVE:
Erweiterung des Primärversorgungsangebots in Linz und Umgebung mit der Universitären PVE als zusätzliche, leicht zugängliche Anlaufstelle im ambulanten Sektor.
Integration der Lehre in ein praxisorientiertes, interdisziplinäres Setting: Die Universitäre PVE trägt durch die Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Berufsgruppen dazu bei, dass eine gesamtheitliche und multidisziplinäre Patient:innenbehandlung gelehrt wird.
Forschung für und aus der Praxis fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs: Durch die disziplinenübergreifende Bearbeitung komplexer Forschungsfragen können neue Impulse in der Forschung für eine effektivere Patient:innenversorgung generiert werden.
Ärzt:innen gesucht: Die Mitarbeiter:innen des Instituts für Allgemeinmedizin der JKU Linz werden auch in der Universitären PVE tätig sein. Damit das Projekt starten kann, werden zudem noch zwei Mediziner:innen gesucht. Interessierte Allgemeinmediziner:innen und Kinderärzt:innen sind eingeladen, sich zu bewerben. Geplant ist, die Universitäre PVE in ca. 1,5 Jahren zu eröffnen. Kontakt: jku.at/institut-fuer-allgemeinmedizin
von PVE ist nur durch eine gleichwertige multiperspektivische Expertise aller erforderlichen Gesundheitsberufe, insbesondere auch der MTD-Berufe, von der Planung bis zur konkreten Leistung zu erreichen. Das Kernteam ist daher jedenfalls um einen zusätzlichen Gesundheitsberuf, namentlich um einen MTD-Beruf, zu erweitern. Dies ist auch in dem verbindlich abzudeckenden breiten diagnostischen und therapeutischen Leistungsspektrum und der dafür erforderlichen Kompetenz begründet.
„Neuerung ohne Standesdenken umsetzen“
Mag.a Barbara Haid, MSc
Präsidentin der Gesundheitsberufekonferenz (GBK) sowie des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP)
Die fixe Integration von Psychotherapie und Psychotherapeut:innen in multiprofessionelle Gruppenpraxen bzw. Primärversorgungszentren ist ein elementarer Schritt zur gesamthaften biopsychosozialen Versorgung der Menschen in Österreich. Sie erhalten dadurch einen niederschwelligen und unbürokratischen Zugang, nicht nur bei körperlichen Beschwerden und Erkrankungen, sondern auch bei psychischen Leidenszuständen. Nicht zuletzt aufgrund der eklatanten Zunahme von psychischen Erkrankungen erscheint es unerlässlich, entsprechende psychotherapeutische Diagnosen, Anamnesen und Behandlungspläne frühzeitig zu ermöglichen. Psychotherapeut:innen im Kernteam eines PVZ können im Bedarfsfall mit Erstgesprächen und mittels psychotherapeutischer Diagnostik einen raschen Zugang zu einer professionellen Behandlung gewährleisten. Insbesondere die Stabilität nach stationären und
REHA-Aufenthalten kann so sichergestellt werden. Psychotherapeut:innen können hier als „ Nahversorger:innen“ bei psychischen Erkrankungen ihre Begleitung, Beratung, Unterstützung und Behandlung anbieten. Bedauerlicherweise dauert die Umsetzung von PVZ jedoch generell sehr lange und es gibt manche Bundesländer, die bis heute noch kein PVZ haben.
Die Neuerung, dass auch Angehörige von nichtärztlichen Gesundheitsberufen Gesellschafter:innen einer Primärversorgungseinrichtung werden können, begrüßt der ÖBVP selbstverständlich sehr. Dass dies rasch und ohne Standesdenken umgesetzt wird, ist mir als derzeitiger Präsidentin der Gesundheitsberufekonferenz ein wirklich großes Anliegen. Zum Wohle und im Auftrag unserer Patient:innen! <
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Schlafstörungen auch im Sinne einer umfassenden Sekundärprophylaxe bzw. Neurorehabilitation berücksichtigen
Schlaf erfüllt verschiedene regenerative Aufgaben, hilft uns bei der Verarbeitung von Gedächtnis- und Lerninhalten, trägt maßgeblich zur Energiekonservierung und zur Emotionsregulation bei. Jüngere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass besonders im Tiefschlaf („slow wave sleep“, SWS) Abfallprodukte des neuronalen Stoffwechsels über das sogenannte glymphatische System („ g lialdependent lymphatic transport “) – ein perivaskuläres Netzwerk – abtransportiert werden. Eine anhaltende Störung dieses Mechanismus begünstigt Neurodegeneration und in letzter Konsequenz z. B. das Auftreten einer Demenz vom Alzheimertyp. Neben Schlafstörungen führen ein sitzender Lebensstil, Adipositas, Depression und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Behinderung des glymphatischen Transports im zentralen Nervensystem.
GASTAUTOR:
Prim. Assoz.-Prof. PD Dr. Stefan Seidel, FEAN
Facharzt f. Neurologie, Schlafmediziner, Ärztlicher Direktor der Klinik Pirawarth
Laut einer Studie zum soziökonomischen Stellenwert von Erkrankungen des Gehirns von Gustavsson et al. aus dem Jahr 2011 leiden europaweit schätzungsweise 45 Millionen (in Österreich rund 736.000) Menschen unter Schlafstörungen, die besonders hohe indirekte Krankheitskosten verursachen. Wenn man die indirekten Folgekosten der Insomnie ausklammert, beträgt die Summe der Krankheitskosten für Schlafstörungen in Europa 35 Milliarden Euro. Diese erhebliche Summe ergibt sich vor allem aus der hohen Prävalenz, insbesondere der Insomnie. Wobei die individuellen Krankheitskosten bei Schlafstörungen – von Personen mit Narkolepsie abgesehen – im Vergleich mit anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen gering sind.
Die häufigsten Schlafstörungen in der Bevölkerung sind Insomnie (Prävalenz = 7 %), Schlafapnoe (P = 3 %), Hypersomnie (P = 0,75 %) und Narko lepsie (P = 0,022 %). Eine eige ne Umfrage aus dem Jahr 2017 ermittelte bei 18- bis 67-jährigen Österreicherinnen und Österreichern eine Prävalenz der chronischen – d. h. mehr als drei Monate bestehenden – Insom nie von knapp 9 %, was in etwa dem internationalen Durch schnitt entspricht. Nur knapp die Hälfte der Betroffenen hatte sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits professionelle Hilfe geholt. Unpublizierte rezente Erhebungen im stationären Setting der Rehabilitationsklinik zeigen bei neurologischen Patientinnen und Patienten eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ca. zweifach erhöhte Insomnieprävalenz (17 %) sowie eine erhöhte Tagesschläfrigkeit bei jeder bzw. jedem Vierten (24 %). Laut einer Studie in fünf EU-Ländern (D, F, I, ES und UK) ist das Ausmaß der erhöhten (exzessiven) Tagesschläfrigkeit bei der obstruktiven Schlafapnoe signifikant mit verminderter Lebensqualität, mehr Einschränkungen in Beruf und Freizeit sowie häufigeren Arztbesuchen assoziiert.
Chronische Insomnie
Die kognitive Verhaltenstherapie („cognitive behavioral treatment for insomnia“, CBT-I) ist nach wie vor der Goldstandard in der Behandlung der chronischen Insomnie. Das orexinerge System steht gegenwärtig im Mittelpunkt der medikamentösen Therapie der Insomnie, da der Wirkstoff Daridorexant – ein Orexinrezeptorantagonist – von der EMA Anfang 2022 für die Behandlung der chronischen Insomnie zugelassen wurde. Bei abendlicher Einnahme wird der Neurotransmitter Orexin (syn. Hypocretin) in seiner
die Schlafdauer verlängert – ohne das Schlafprofil, d. h. den Ablauf der einzelnen Schlafstadien, nachteilig zu verändern. Studien zeigten zudem, dass unangenehme Overhang-Phänomene wie Benommenheit, Schwindel etc. deutlich seltener auftraten als unter einer Therapie mit gängigen Hypnotika.
Die Diagnostik der Schlafapnoe, deren Ausmaß heute bereits mit ScreeningGeräten im ambulanten Bereich gut objektiviert werden kann, wird sich künftig angesichts jüngster Forschungsergebnisse zu kontaktlosen Techniken – z. B. Bewegungs- und Geräuschsensoren – noch weiter in die eigenen vier Wände verlagern. Somit werden die Schlaflabore inkl. ihrer langen Wartelisten entlastet. Neben der klassischen CPAP(„continuous positive airway pressure“)-Therapie und Unterkieferprotrusionsschienen stehen auch elektrische Stimulationsverfahren für ausgewählte Betroffene zur Verfügung. Hier wird bei obstruktiver Schlafapnoe der N. hypoglossus und bei zentraler der N. phrenicus stimuliert. In Zukunft wird die medikamentöse Therapie ebenfalls einen höheren Stellenwert bekommen – mit Wirkstoffen, die zum einen die Arousal-Schwelle erhöhen und somit der apnoeassoziierten Schlaffragmentation entgegenwirken, zum anderen den Tonus der Zungen- und Schlundmuskulatur steigern.
Narkolepsie
Neben dem Eckpfeiler der strategischen Naps als nichtmedikamentöser Therapie der Narkolepsie ist mit Solriamfetol, einem selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor, mittlerweile seit 2020 ein weiterer Wirkstoff zugelassen, mit dem sich das Kernsymptom der exzessiven Tagesschläfrigkeit behandeln lässt. Erste Studien im Tiermodell konnten zudem zeigen, dass der selektive Orexinrezeptoragonist Danavorexton die Narkolepsiesymptome deutlich lindert. Die Ergebnisse der klinischen Studien zu diesem neuen medikamentösen Ansatz werden mit Spannung erwartet.
Bezugnehmend auf die eingangs erwähnte neuroprotektive Wirkung des Schlafs – Stichwort: glymphatisches System –, ist es insbesondere aus neurologischer Sicht essenziell, Schlafstörungen langfristig und möglichst nachhaltig zu behandeln. Wir wissen heute, dass sowohl die Insomnie als auch die
Hypersomnolenz – also exzessive Tagesschläfrigkeit, vermehrtes Schlafbedürfnis, Schlaftrunkenheit – bei Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie Insult, Multipler Sklerose, Morbus Parkinson, Epilepsie und Migräne häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung. Das bedeutet wiederum, dass diese Schlafstörungen im Sinne einer umfassenden Sekundärprophylaxe bzw. Neurorehabilitation berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich gilt es, möglichst früh anzusetzen und die Chronifizierung von Schlafstörungen wie der Insomnie hintanzuhalten. Aus Längsschnittuntersuchungen wissen wir, dass ca. zwei Drittel aller Insomniepatienten auch nach fünf Jahren noch an dieser Schlafstörung leiden.
Komorbiditäten adressieren Aus Sicht des Schlafmediziners ist das Setting einer stationären Rehabilitation für Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen ideal. Denn: Einerseits sind die Therapieplätze für CBT-I im ambulanten Bereich deutlich limitiert,
andererseits fällt es Betroffenen oft schwer, CBT-I in den privaten und beruflichen Alltag zu implementieren. Die stationäre Rehabilitation ermöglicht es dem multiprofessionellen Team, kontinuierlich über einen längeren Zeitraum verschiedene Aspekte, die mit Schlafstörungen einhergehen, zu adressieren und eine Verhaltensänderung einzuleiten. Zu jenen Faktoren zählen z. B. psychosoziale Probleme, Stoffwechselstörungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Gewichtszunahme, vermehrter Suchtmittelkonsum etc. In der klinischen Praxis geht es aus meiner Sicht darum, den Patientinnen und Patienten die Krankheitsverarbeitung zu erleichtern sowie die Schlafstörung auch über den Zugang der sogenannten „Komorbiditäten“ zu lindern. Als Beispiele seien hier genannt: berufliche Umorientierung bei chronischem Distress am Arbeitsplatz, Implementierung einer beruhigenden Abendroutine und der Beginn einer Verhaltenstherapie nach Psychoedukation während der Rehabilitation. Literatur beim Verfasser.
„Vektorübertagene
dem Vormarsch“
Das muss nicht sein – mit Impfungen und erhöhter Aufmerksamkeit gegenhalten
Priv.-Doz. Dr. Matthias G. Vossen, PhD, Facharzt an der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der MedUni Wien, im Gespräch.
HAUSÄRZT:IN: Welche Bedeutung haben vektorübertragene Infektionen in der Praxis?
Doz. VOSSEN: In Österreich beschäftigen uns diesbezüglich natürlich primär Borreliose und FSME. Die FSMEInzidenz ist in den letzten Jahren wieder deutlich gestiegen, wobei wir hierzulande bei etwa 200 Fällen im Jahr liegen. Borreliose in Form von Erythema chronicum migrans sehen wir wirklich häufig. Zudem kann die Lyme-Krankheit sehr diverse Beschwerden verursachen, weshalb wir oft bezüglich eines BorrelioseVerdachts konsultiert werden. Seltenere vektorübertragene Erkrankungen spielen in der täglichen Praxis zwar eine kleinere Rolle, aber man muss im Hinterkopf behalten, dass Gelsen und Zecken auch verschiedene Krankheiten abseits der Borreliose und FSME übertragen können. Das Spektrum
reicht von außergewöhnlichen Fällen wie einer von Stechmücken übertragenen Hasenpest bis hin zu reisemedizinischen Erkrankungen. Diesbezüglich ist allen voran Malaria zu nennen, die übersehen rasch einen Todesfall verursachen kann. Außerdem sind beispielsweise Rickettsiosen gar nicht so selten, insbesondere unter Reiserückkehrern.
Und welche Rolle spielt es, ob die Erkrankungen impfpräventabel sind?
Das ist ganz wesentlich. Bei der FSME haben wir in den letzten Jahren gesehen, dass die Inzidenz zunimmt, wenn sich die Menschen nicht impfen lassen. Man sollte bedenken, wie schwer die FSME verlaufen kann und dass etwa ein Drittel der Erkrankten Langzeitschäden davonträgt. Das muss ja nicht sein. Anders als bei der Borreliose, bei der die Zecke rund 48 Stunden lang saugen muss, um die Erreger zu übertragen, erfolgt die FSME-Übertragung quasi mit dem Stich – die Impfung ist also der einzige wirkliche Schutz.
Da es keine Impfung gegen Borreliose gibt, ist die Behandlung umso wichtiger?
Wanderröte begegnet uns wie gesagt häufig, und diese sollte man auch behandeln. Darüber hinaus gilt die Borreliose als wichtige Differentialdiagnose. In der Abklärung einer chronischen Borreliose zeigt sich jedoch meistens, dass die Beschwerden auf eine andere Erkrankung zurückzuführen sind und man dem Patienten mit einer antimikrobiellen Therapie gar nicht helfen könnte. De facto ist die chronische Borreliose laborchemisch viel häufiger als klinisch. Die Borrelien-
Serologien bleiben – abhängig vom Patienten – über Jahre hinweg oder sogar lebenslang positiv. Eine „ Serorückkonversion“ zu einem negativen IgM unter Therapie stellt eher die Ausnahme als die Regel dar.
Wie sind die Aussichten, dass es in Zukunft für Borreliose eine Prophylaxe geben wird?
Das ist eine gute Frage. Immer wieder gibt es Forschungsgruppen, die sagen: „Wir haben da vielleicht bald etwas “ , aber es scheint nicht ganz einfach zu sein. Die Borrelien dürften sich dem Immunsystem sehr effektiv entziehen, also ich persönlich erwarte in nächster Zeit keine Borrelien-Impfung.
In einer früheren Veranstaltung haben Sie über Migration und Impfungen gesprochen. Was gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten?
Wenn es um Impfungen gegen vektorübertragene Erkrankungen geht, wären wir wieder bei der FSME, denn oft haben Menschen mit unmittelbarem Migrationshintergrund keinen entsprechenden Impfschutz. Man sollte bei jenen Patientinnen und Patienten demnach an eine Immunisierung denken.
Nun migrieren nicht nur Menschen, sondern auch Vektoren, etwa aufgrund des Klimawandels ... Genau. Immer mehr Vektoren können sich bei uns einnisten, die früher hierzulande nicht überlebensfähig gewesen wären. So erhöht sich durch die schrittweise ansteigende Jahresmitteltemperatur zum Beispiel die Gefahr, dass wir künftig auch in Österreich entstandene Leishmaniose-Infektionen sehen könnten. Schon seit einigen Jahren werden vermehrt die entsprechenden Phlebotomus-Arten, also die Sandmücken, gefunden. In Zukunft könnte es zu einem autochthonen Übertragungszyklus kommen und sich die bislang eher tropische oder subtropische Erkrankung bei uns
etablieren. Unlängst durch die Medien gegangen ist Hyalomma marginatum, die Riesenzecke, welche sich ansiedeln könnte – und mit ihr das Krim-KongoVirus. Da sind wir weit davon entfernt, Impfungen oder Ähnliches zu haben.
Welche anderen Tropenkrankheiten könnten sich bei uns ausbreiten?
Wir beobachten eine zunehmende Invasion von Tigermücken, die in der Lage sind, mehrere Erkrankungen zu übertragen –etwa eine Zikavirus-Infektion, das WestNil-, Chikungunya- oder Denguefieber. Noch sehen wir nur importierte DengueFälle – immerhin doch 130 pro Jahr –, aber es kann sich lohnen, etwas wachsamer zu sein, schließlich sind autochthone Fälle aus Kroatien und Südfrankreich bereits länger bekannt. Derzeit sind die Inzidenzen der genannten Erkrankungen in Österreich allerdings sehr niedrig. Da sollte man auch keine Panik schüren.
Sind in puncto Reiseimpfungen neue Entwicklungen hervorzuheben?
Ein großer Fortschritt wurde mit dem Impfstoff gegen das Denguefieber erzielt, der nun als Reiseimpfung zur Verfügung steht. Empfehlen würde ich diese zum Beispiel Reisenden in Hochinzidenzgebiete, die bereits eine DengueErkrankung hinter sich haben, um sich vor einer Zweitinfektion zu schützen – außerdem Entwicklungshelfern, die lange unterwegs sind, oder Patientinnen und Patienten mit Risiko eines schweren Verlaufs
Und natürlich ist die Gelbfieberimpfung wesentlich, wenn man in ein Risikogebiet reist. Aktuell besteht etwa in Brasilien wieder ein erhebliches Gelbfieberproblem.
Wird der Impfberatung in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zukommen?
Meiner Ansicht nach ja. Auf den Punkt gebracht: Wenn man eine Erkrankung
NACHBERICHT
mit einer Impfung verhindern kann, dann sollte man es tun. Hoffentlich werden einmal Impfstoffe gegen Malaria zur Verfügung stehen, die auch für Reisende interessant sind. Und irgendwann haben wir wahrscheinlich Impfungen gegen andere Erkrankungen wie das West-Nil-, das Q-Fieber oder die Leptospirose. Als vorrangige Message möchte ich allerdings mitgeben, dass die Beratung bezüglich jener Impfungen, die wir bereits anbieten können, wahnsinnig wichtig ist. Wir können gegen Pneumokokken, Meningokokken und die Grippe impfen, aber erstaunlich viele Menschen haben nicht einmal einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern, Mumps oder Röteln, gegen Diphtherie, Tetanus. Also erst einmal sollte man den Fokus auf unsere „normalen“ Impfungen richten.
Das Gespräch führte Anna Schuster, BSc.
Der Experte war Vortragender beim 1. Österreichischen E-Kongress Reisemedizin, der am 15. und 16. September 2023 von der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (OEGIT) veranstaltet wurde. infektiologie.co.at
„Das Knie ist anfällig für Schmerzen“
Ungewohnte Belastungen und Verdrehtraumen zählen zu den häufigsten Ursachen von Gonalgien
Dr. Ronald Ecker, Arzt für Allgemein- und Sportmedizin in Marchtrenk (OÖ), im Interview.
Mit dem Alter steigt die Zahl der von Knieschmerzen Betroffenen. Die Ursache ist oft eine degenerative Gelenkerkrankung. Aber auch jüngere Menschen leiden unter Gonalgien. Diese sind häufig traumatisch bedingt, z. B. nach Sportverletzungen.1 Die Prävalenz von Knieschmerzen unter Berufstätigen wird mit über 50 Prozent angegeben.2 Die Prognose ist abhängig von der zu Grunde liegenden Ursache und umso besser, je schneller ein schmerzendes Knie behandelt wird. Die Hausärzt:in sprach mit Allgemein- und Sportmediziner Dr. Ronald Ecker über die Herausforderungen in der Praxis.
HAUSÄRZT:IN: Welche Bedeutung kommt Knieschmerzen generell in der Primärversorgung sowie in der Sportmedizin zu?
Dr. ECKER: Definitiv eine große, allein schon wegen der Häufigkeit des Auftretens – und das sowohl in der Hausarztals auch in der Sportarztpraxis.
Was sind die häufigsten Ursachen?
Aus meiner Sicht sind bei jüngeren Menschen Überlastungen durch ungewohnte Belastungen und Verdrehtraumen die häufigsten Ursachen. Das gilt auch für ältere Menschen, bei ihnen sind jedoch
die zum Auslösen von Schmerzen notwendigen mechanischen Belastungen niedriger, da oftmals degenerative Veränderungen vorliegen. Diese bedingen eine entsprechend niedrigere Belastbarkeit.
Welche Herausforderungen ergeben sich rund um die Diagnose?
Eine Herausforderung bei der klinischen Gelenkdiagnostik allgemein und speziell beim Kniegelenk ist – auch wenn es banal klingt – zu unterscheiden, ob die Schmerzursache bzw. die Pathologie im Gelenk oder außerhalb davon liegt. Ich habe mir hierfür eine Abfolge von standardisierten klinischen Tests zurechtgelegt. Diese ziehe ich bei jedem Patienten mit Kniebeschwerden durch.
Wie ist das optimale weitere Vorgehen, welche Therapieoptionen bieten sich an?
Nach der klinischen Verdachtsdiagnose lege ich – wenn es keiner „a kuten“ bildgebenden oder laborchemischen Diagnostik bedarf – mit den Patienten einen Plan für die nächsten zwei bis drei Wochen fest: Dieser reicht von der Entzündungsreduzierung – es muss nicht immer unbedingt ein systemisches NSAR sein! – über leichtes Bewegen am Radergometer bis hin zu physikalischen Therapiemaßnahmen. Der Therapieplan wird oft auch davon abhängen, was man in der eigenen Praxis anbieten kann.
Wann sollte unbedingt eine Überweisung an Fachärzt:innen bzw. in eine Ambulanz erfolgen? Eine Überweisung zum Facharzt für Orthopädie oder Traumatologie ist erforderlich, wenn es in Richtung Operation geht. Oder wenn die Situation unklar ist – in einem solchen Fall bitte ich um eine Zweitmeinung.
Welche Rolle kommt der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen wie Physiotherapeut:innen zu?
Ich arbeite intensiv mit Physiotherapeuten zusammen: beim Knieschmerz
besonders wenn sich z. B. wider Erwarten keine Besserung der Beschwerden in den ersten zwei Wochen zeigt. Physiotherapeuten bieten Techniken zur Behandlung der „periartikulären Weichteile“, zur Mobilisierung einer Mobilitätseinschränkung sowie die so wichtige „medizinische Trainingstherapie“ an.
Was, wenn die Patient:innen ungeduldig sind, weil sich nicht schnell genug eine Besserung einstellt?
Dann kläre ich die Patienten hinsichtlich der Zeiten der Gewebeheilung auf, biete weitere Therapien an und entscheide mich dann doch – bei entsprechendem Patientendruck – für eine weitere Diagnostik.
Ihr abschließender Rat an die Kolleg:innen?
Die Beschäftigung mit Problemen des Bewegungsapparates ist für Hausärzte deswegen so wichtig, weil ein großer Teil der Patienten mit ebensolchen Beschwerden in die Praxen kommt: Jeden orthopädischen Patienten mit NSAR abzuspeisen oder an den Facharzt zu überweisen, ist keineswegs befriedigend. Je mehr Wissen und Erfahrung in Bezug auf Gelenkerkrankungen man hat, desto mehr Freude bereitet einem die Arbeit.
Das Interview führte Mag.a Karin Martin.
Quellen: 1 gesundheits-lexikon.com 2 de.statista.com
Bei Überanstrengung, Zerrung, Verstauchung, Arthritis und Muskelverspannungen
Speziell für das Knie entwickelt
Ohne Arzneiwirkstoffe
Klinisch bewährt
8 h konstante Wärme Verbessert Flexibilität & Mobilität
ThermaCare wärmt den Schmerz natürlich weg
Hautinfektionen und Abszesse: Ursachen, Präventions- und Behandlungsoptionen
Bakterielle Infekte der Haut sind ein häufiges Problem des medizinischen Alltags. In den meisten Fällen handelt es sich um banale Beschwerden, welche in der Regel keine ernste Bedrohung darstellen. Unbehandelt können sie jedoch zu teils schwerwiegenden Komplikationen führen. Daher sind ein rasches Erkennen und eine adäquate Therapie essenziell.
Aufgrund der Barrierefunktion unserer Haut ist diese – mehr als jedes andere Organ – täglich mit einer Unzahl von diversen Erregern konfrontiert. Hautentzündungen und Abszesse entstehen in der Regel durch eine Infektion mit Bakterien, meistens handelt es sich um Staphylo- und Streptokokken. Diese können durch kleinste Verletzungen in die Haut oder Haarfollikel eindringen beziehungsweise einen vorbestehenden Hautdefekt kritisch besiedeln. Faktoren wie schlechte Hygiene, Lokalisation, ein geschwächtes Immunsystem, Diabetes oder übermäßiges Schwitzen können das Infektionsrisiko erhöhen.
Ein häufiges Problem stellt die Intertrigo dar. Hierbei handelt es sich meist um eine Überwucherung residenter Hautkeime im Bereich von Hautfalten – begünstigt durch schlechte Hygiene, Mazeration oder Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes mellitus. Üblicherweise
kann diese mit einer antiseptischen Therapie und durch das Trockenlegen der betroffenen Stellen gut bekämpft werden.
GASTAUTOR: Dr. Julian Umlauft Facharzt für Dermatologie & Venerologie, Zell am Ziller
Des Weiteren sind oft superinfizierte Hautareale zu beobachten. Im Rahmen dieser Impetiginisation kommt es zu einer Infizierung eines geschädigten Hautareals wie etwa eines Ekzems mit diversen Keimen. Die Superinfektion sollte ebenfalls antiseptisch therapiert werden. In der Folge kann eine Sanierung des Hautbarrieredefekts eine neuerliche Infektion verhindern.
Als Follikulitis wird eine bakterielle Entzündung im Bereich des Haarfollikels bezeichnet, welcher eine Schwachstelle der Hautbarriere darstellt. Meist durch Staphylokokkus aureus ausgelöst, kommt es zu einer eitrigen Infektion, auf der Haut sind Pusteln („ P ickel“) zu sehen. In diesem Fall ist ebenfalls eine antiseptische Therapie anzustreben. Das Ausdrücken von Pickeln und Mitessern sollte vermieden werden, stattdessen können insbesondere Zugsalben helfen. In weiterer Folge kann sich auch ein Furunkel bilden – eine tiefergehende Entzündung des Haarfollikels sowie des
ihn umgebenden Hautgewebes. Hierbei handelt es sich um einen ernstzunehmenden Infekt, aus dem eine Sepsis resultieren kann. Daher sollte eine systemische antibiotische Therapie erwogen werden. Zudem können die betroffenen Haarfollikel vernarben, was im Haarverlust endet. Sind mehrere benachbarte Haarfollikel betroffen, spricht man von einem Karbunkel. Je nach Ausprägung der Abszesse sollte auch eine chirurgische Inzision in Betracht gezogen werden.
Zusammenfassend reicht das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von milden topisch-antiseptischen Therapien über die systemische antibiotische Therapie bis hin zur chirurgischen Sanierung –je nach Schwere der Infektion. Zu beachten ist außerdem, dass der Eiter infektiös ist und zu weiteren Entzündungen führen kann. Ein klassisches Beispiel hierfür stellt eine Nassrasur dar, die den Eiter auf weitere Follikel überträgt. Hautentzündungen und Abszesse sind häufige Probleme, die eine angemessene Behandlung erfordern, um Komplikationen zu vermeiden. Gute Hygiene, Aufmerksamkeit für Verletzungen der Haut oder für ein geschwächtes Immunsystem sowie die rechtzeitige Konsultation einer Ärztin/eines Arztes bei wiederkehrenden Entzündungen sind wichtige Schritte, um das Risiko zu reduzieren.
Die anthropogene globale Erwärmung sowie Schadstoffe in der Luft beeinflussen die Pflanzenwelt und somit auch Erkrankungen aus dem atopischen Formenkreis in besonders hohem Maß. Steigende Temperaturen verlängern bei manchen Pflanzen die Vegetationsperiode. So ist im Osten Österreichs die Luft mittlerweile von Dezember bis Oktober mit für Allergiker relevanten Pollen wie Hasel, Erle oder Ragweed belastet. Seit dem Jahr 2012 haben allergische Erkrankungen in Österreich um mehr als 13 Prozent zugenommen.1 „ I n der Praxis bedeutet das für Pollenallergiker, dass es kaum noch beschwerdefreie Intervalle gibt. Einerseits beginnt die Saison aufgrund der warmen Winter
EXPERTIN:
Dr.in Astrid Dworan-Timler Ärztliche Leiterin des Allergiezentrums Neusiedl
immer früher, andererseits erweitern auch neue Pflanzen das Allergenspektrum“, berichtet Dr.in Astrid DworanTimler, Ärztliche Leiterin des Allergiezentrums Neusiedl. Vor allem die Purpurerle, ein bei Städteplanern beliebter und aus Sibirien stammender Baum, blüht bereits rund um Weihnachten und eröffnet die Pollensaison. Kräuter wie Ragweed und Beifuß, aber auch Ziergräser blühen teilweise bis Oktober und verlängern die Pollensaison in den Herbst hinein. „ Ein weiteres Thema ist der zunehmend abrupt einsetzende Pollenflug, der zu starken Beschwerden führt, da der Organismus sich nicht langsam an die Belastung gewöhnen kann“, so Dr.in DworanTimler.
FOKUS UMWELT MEDIZIN
Erhöhte CO2- und Ozonanteile in der Luft können zu einer verstärkten Produktion von aggressiv wirkenden Pollen respektive einer erhöhten Konzentration der Pollen in der Luft führen. Dies untersuchte ein Team rund um die Allergologin Dr.in Claudia TraidlHoffmann, Direktorin der Ambulanz für Umweltmedizin an der Universität Augsburg. Bereits im Jahr 2013 konnten die Forscher zeigen, dass der allergene Effekt von Birkenpollen umso höher ist, je mehr die Birken einer Ozonbelastung ausgesetzt waren. Außerdem wiesen die Pollen eine veränderte Lipidzusammensetzung auf – und somit eine verbesserte Fähigkeit, das Immunsystem zu stimulieren.2
Eine weitere Untersuchung von Dr.in Traidl-Hoffmann und Kollegen aus dem
Jahr 2020 beschäftigte sich mit dem Einfluss von CO2 auf Pollenallergien. Diese ergab, dass Mäuse, die mit Ragweedpollen in Kontakt kamen, welche mit Kohlenstoffdioxid belastet waren, stärkere Entzündungen in der Lunge aufwiesen als jene Versuchstiere, die Ragweedpollen aus „normalen“ Bedingungen ausgesetzt waren. In menschlichen Zellen bewirken die CO2-Pollen die Produktion entzündungsfördernder Moleküle.3 Ragweed (Ambrosia artemisiifolia) ist ein Neophyt, der sich – aus Amerika eingeschleppt – in Europa seit den 1980erJahren zusehends ausbreitet und zudem hochallergen ist.
Mit dem Klimawandel gehen extreme Unwetter einher. Bei anfälligen Menschen kann ein vermeintlich reinigendes Gewitter besonders heftige allergische Reaktionen auslösen, wie dies beispielsweise im Jahr 2016 im australischen Melbourne beobachtet wurde.4 Demnach werden kurz vor Ausbruch eines Gewitters verstärkt Pollen und Pilzsporen aufgewirbelt. Die elektrostatisch aufgeladene Luft lässt – in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit – die Pollen aufquellen und platzen. Die so entstandenen Teilchen können besonders tief in die Lunge vordringen und starke Beschwerden auslösen („G ewitterasthma“).
Die beste Option für betroffene Patientinnen und Patienten ist natürlich eine Allergenkarenz, die allerdings –anders als etwa bei Kontaktallergien – schwer realisierbar ist. Für die symptomatische Behandlung einer allergischen Rhinitis und gegebenenfalls einer Konjunktivitis oder auch von Atembeschwerden stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Dazu zählen Mastzellstabilisatoren, Antihistaminika oder Kortikosteroide, die topisch in Form von Nasensprays oder Augentropfen oder auch systemisch als Tabletten oder Lösungen zur Anwendung kommen. Die nach wie vor einzige ursächliche Therapieoption ist die subkutane oder sublinguale Hyposensibilisierung. „ Dabei werden Allergikern über mehrere Jahre hindurch wiederholt – perennial
oder saisonal – standardisierte Dosen des verantwortlichen Allergens verabreicht. Als Darreichungsformen stehen Tabletten oder Lösungen, die vom Patienten eigenständig täglich sublingual angewendet werden, oder Injektionslösungen zur subkutanen Applikation zur Verfügung“, erläutert Dr.in DworanTimler. Die Applikation erfolgt dabei an der Streckseite des Oberarmes, rund eine Handbreit über dem Olecranon. Als idealer Zeitpunkt für den Start der Immuntherapien bieten sich allergenarme Jahreszeiten an: im Falle der Baumpollen etwa der Spätsommer, bei den Gräsern der Herbst und bei den Kräuterpollen das zeitige Frühjahr. Unterstützend zur medikamentösen Therapie empfiehlt es sich, die Nase mehrmals täglich mit einer Kochsalzlösung zu spülen oder Urlaube am Meer oder in den Bergen zu planen. Auch eine Reduktion des Alkohol- und des Nikotinkonsums kann helfen, Allergiebeschwerden zu lindern, da die vasodilatatorische Wirkung von Alkohol und die schleimhautschädigende Wirkung von Nikotin die Empfindlichkeit der Schleimhäute erhöhen und sie generell anfälliger für Reizungen machen.
Margit Koudelka
Referenzen:
1 Kölli F et al., J Asthma Allergy 2022; 15:461-473.
2 Traidl-Hoffmann C et al., Plos One 2013; 8(11):e80147.
3 Traidl-Hoffmann C et al., Allergy 2021; 76(6):1718-1730.
4 Thien F et al., Lancet Planet Health 2018, e255-e263.
Unter der Leitung von Dr. Markus Berger, Obmann des Vereins Österreichische Polleninformation, wurde vergangenen Juni ein neuer Service für Betroffene in Österreich, der „Polleninformationsdienst“, gestartet. Aktuelle Polleninformationen sind kostenlos auf polleninformation.at abrufbar. Zweimal pro Woche wird per Newsletter über die aktuelle Pollensaison informiert. Zudem liefern die Pollen+ App, der Pollenwarner auf Telegram und Signal sowie Services auf Facebook und Instagram wertvolle Informationen für Pollenallergiker:innen.
sind keine Forscher, wir sind keine Entwickler, stattdessen wiederholen wir Bewährtes. Immer und immer wieder.
Daraus entsteht unsere
Exzellenz und Gesundheit für alle.
Für Prävention ist es nie zu früh und nie zu spät
Die Zahl älterer Menschen nimmt zu – und damit auch die Zahl der Menschen mit Demenz: Weltweit leben derzeit ca. 50 Mio. Demenzkranke. Prognose für 2050: ca. 150 Mio. Die gute Nachricht: Die altersspezifische Demenzinzidenz ist in vielen Ländern rückläufig – wahrscheinlich infolge von Verbesserungen in den Bereichen Bildung, Ernährung, Gesundheitsvorsorge und Lebensstilmodifikation. Auf beeinflussbare Risikofaktoren wurde von der LancetKommission für Demenzprävention, -intervention und -versorgung 2020 hingewiesen: geringe Bildung, körperliche Inaktivität, Bluthochdruck, Rauchen, Fettleibigkeit, Diabetes, Depression, Hörminderung, wenige soziale Kontakte, Alkoholkonsum, traumatische Hirnverletzungen und Luftverschmutzung. Aufgrund von Metaanalysen wurde das 12-Risikofaktoren-Lebensverlaufsmodell zur Demenzprävention erarbeitet. Alle zwölf beeinflussbaren Risikofaktoren sollen zusammen für 40 Prozent der Demenzerkrankungen verantwortlich sein. Risiken im frühen Lebensalter, wie eine geringe Bildung, wirken sich lebenslang
GASTAUTOR:
Prof. Dr. Peter Dal-Bianco Univ.-Klinik für Neurologie em., MedUni Wien, Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft, Ordination: dal-bianco.at
negativ auf die kognitiven Reserven aus. Risikofaktoren in der Lebensmitte und im späteren Lebensalter reduzieren einerseits die kognitiven Reserven und fördern andererseits die Entwicklung neuropathologischer Prozesse.
Die Politik ist für die Öffnung und Förderung der Bildungswege für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen verantwortlich. Kampagnen zur Minimierung von Kopfverletzungen im Bereich diverser Sportarten (z. B. Boxen, Köpfeln etc.) und zur Vermeidung bzw. Verringerung des Alkoholkonsums – nicht nur im frühen Lebensalter – können die Demenzentwicklung im späteren Lebensalter verhindern bzw. verzögern. Ein systolischer Blutdruck von < 130 mm Hg, ein diastolischer von < 90 mmHg und Rauchverzicht – auch im späteren Lebensalter – senken ebenfalls das Demenzrisiko. Politische Entscheidungsträger können für eine Verbesserung der Luftqualität u. a. durch die Verhinderung von Luftverschmutzung sorgen. Dringend empfohlen wird, auch in der Lebensmitte und im späteren Lebensalter kognitiv, kör-
perlich und sozial aktiv zu bleiben. Hörreduktion sowie -verlust gelten ebenfalls als Risiko. Anhaltende körperliche Ertüchtigung in der Lebensmitte und im späteren Leben schützt vor Demenz durch Reduktion von Fettleibigkeit, des Diabetesrisikos und des Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen. Depressionen im Lebensverlauf gelten als Risiko, wobei aber auch Demenzerkrankungen per se Depressionen auslösen können. Obgleich eine individuelle Lebensstilmodifikation schwierig ist, hat sie großes Potenzial, das eigene Demenzrisiko zeitlich hinauszuschieben. Amyloid-β- und Tau-Biomarker können das Alzheimerrisiko erkennen lassen. Die sorgfältige Differentialdiagnose wird von Betroffenen zurecht angestrebt. Die präsymptomatische AD-Diagnose für Verwandte ersten und zweiten Grades kann allerdings in der täglichen Praxis noch nicht routinemäßig durchgeführt werden. Die Berücksichtigung aller zwölf Risikofaktoren (siehe INFO 1) könnte bis zu 40 Prozent der Demenzerkrankungen zumindest verzögern. Prävention ist Aufgabe der Politik, aber auch jedes Einzelnen. Die Risikominderung einer Demenzentwicklung beginnt früh und besteht lebenslang. Die Maßnahmen erfordern sowohl öffentliche Gesundheitsprogramme als auch individuell abgestimmte Interventionen (siehe INFO 2, S. 36). Zusätzlich zu Gesundheitskampagnen für die allgemeine Bevölkerung sollte sich die Politik an Hochrisikogrup-
INFO 1
Die zwölf modifizierbaren Demenzrisikofaktoren
Alkoholkonsum
Kopfverletzung
Luftverschmutzung
geringere Bildung
Bluthochdruck
Hörminderung
Rauchen
Fettleibigkeit
Depression
körperliche Inaktivität
Diabetes
reduzierte soziale Kontakte
pen wenden, um hier die soziale, kognitive und körperliche Aktivität sowie die Gefäßgesundheit zu verbessern.
Vergesslichkeit ist nicht gleich Alzheimer
Eine zeitgerechte Demenzdiagnose kann sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Daher ist es ein allgemeines Anliegen, mit Vorurteilen über das „Schreckensbild Demenz“ aufzuräumen. Viele ältere Menschen, die zunehmend vergesslich werden, haben Angst vor der Diagnose Alzheimer und den damit verbundenen sozialen, persönlichen und beruflichen Konsequenzen. Sie schieben den Arztbesuch deshalb lange hinaus oder vermeiden ihn ganz. Verständlich. Denn das öffentliche Bild von Demenz wird als entwertend, abstoßend wahrgenommen, als Schreckensbild eben. Man spricht oft über Demenzpatienten, aber selten mit ihnen. Wichtig sind Informationen, die dieses Schreckensbild aus den Köpfen der Menschen verschwinden lassen. Die weit verbreitete Meinung „Man kann eh nichts gegen Demenz tun “ gilt nicht mehr! Eine frühzeitige Diagnose ist
INFO 2
Maßnahmen zur Reduktion des Demenzrisikos im Lebensverlauf
Kindern eine Grund- und Sekundarschulbildung ermöglichen
Chronische Kopfverletzungen im Sport meiden (z. B. Boxen, Köpfeln)
Verringerung des Hörverlustes durch Hörschutz gegen Lärmbelastung
Alkoholkonsum beenden/einschränken
Rauchvermeidung und Unterstützung der Raucherentwöhnung
Verringerung der Luftverschmutzung und des Passivrauchens
Den systolischen Blutdruck < 130 mm Hg halten
Verwendung von Hörgeräten bei Hörminderung
Verringerung der Fettleibigkeit und der damit verbundenen Diabeteserkrankung
Förderung der körperlichen, kognitiven und sozialen Aktivität im späten Leben
Möglicherweise ist chronisch gestörter Schlaf ebenfalls ein Demenzrisikofaktor
wichtig und kann den Krankheitsverlauf erheblich beeinflussen. Denn oft vergehen wertvolle Therapiejahre, weil die Zeitspanne vom ersten Symptom bis zur Diagnose Jahre umfasst. Und: Vergesslichkeit bedeutet nicht gleich, dass eine Alzheimerkrankheit vorliegt.
10-20 Prozent der Besorgten sind von sogenannten sekundären, reversiblen Demenzformen betroffen, denen andere körperliche Krankheiten zu Grunde liegen. Behandelt man diese (Depressionen, endokrine Störungen etc.), verschwinden auch die Demenzsymptome. Gegen die häufigste Demenzform, die Alzheimerkrankheit, gibt es zumindest Medikamente, die das Fortschreiten der klinischen Symptomatik bremsen. Falls die Untersuchungsrate höher werden würde, hätten die Betroffenen und ihre Angehörigen einen wertvollen Zeitgewinn. Einerseits in therapeutischer Hinsicht, andererseits heißt eine frühzeitige Diagnose auch, dass Verantwortung übernommen und Entscheidungen noch selbst getroffen werden können. Die blut- und liquorbasierte Alzheimerfrühdiagnostik mittels sogenannter Biomarker ist ein wichtiges Zukunftsthema. Denn wenn Demenzsymptome auftreten, ist das Gehirn meist schon deutlich geschädigt. Mit der Messung solcher Biomarker soll die Erkrankung in einem frühen Stadium entdeckt werden, wenn sich das Fortschreiten noch medikamentös aufhalten ließe (z. B. künftige Kausaltherapie mit monoklonalen Aß-Antikörpern).
In den vergangenen Jahren wurden gute Hilfsprogramme angeboten und neue Unterstützungsprojekte initiiert. Sie alle zielen darauf ab, die Lebensqualität der Erkrankten und ihrer An- und Zugehörigen zu verbessern. Allerdings ist der Zugang zu diesen Angeboten für Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen schwierig und teils unüberwindlich. Hier bedarf es verständlicher Informationen, wie die Angebote optimal genutzt werden können. Ziel ist es, dass Menschen mit Demenz möglichst bis zum Schluss zuhause leben können. Damit dies gelingt, braucht es
ein Netz von Unterstützungen. Dieses ist weitgehend vorhanden, jedoch teils wenig bekannt und deshalb auch zu wenig genutzt. Hier kommt dem Case Manager eine wichtige Rolle zu – er führt die Betroffenen und ihre Angehörigen durch den Dschungel der Informationen und Angebote ( pflege.gv.at).
Das Bundesministerium für Soziales und Gesundheit hat in Kooperation mit der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) ein Projekt zur flächendeckenden Qualitätsevaluierung im Bereich Demenzversorgung in Österreich lanciert. Ziel ist es, dass überall in Österreich die gleich gute und zeitgerechte Diagnose, Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz gewährleistet ist. Das beginnt bei den Hausärztinnen und -ärzten, die oft die ersten kompetenten Ansprechpersonen sein sollen und entsprechend sensibilisiert sein müssen. Einbezogen werden auch Pflegeheime und die 24-Stunden-Betreuung zu Hause. Nur wenn wir wissen, was nicht passt und wo Probleme vorliegen, können wir optimieren.
Literatur (inkl. INFO 1+2):
Livingston G et al., Lancet, 2020 August 8, 396(10248): 413-446.
Ngandu T et al., Lancet, 2015 June 6; 385(9984): 2255-2263.
1994 wurde der Weltalzheimertag (WAT) von der Dachorganisation Alzheimer’s Disease International mit Unterstützung der World Health Organization ins Leben gerufen. Seitdem wird jedes Jahr am 21. September auf die Situation von Menschen mit Alzheimer und anderen Demenzen sowie ihren Angehörigen aufmerksam gemacht. Das Ziel ist es, eine demenzfreundlichere Gesellschaft zu schaffen. Heuer lautet der Slogan des WAT: „Demenz – die Welt steht Kopf“.
Veranstaltungstipp:
Die 35. Jahrestagung der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft findet vom 12. bis 13. Oktober in Innsbruck statt. alzheimer-gesellschaft.at
Jedes Kind zahnt anders
Individuelle Betreuung der Familien
Impflücken bei Masern
Eine never-ending Story
Spezifische Kompetenzen gefordert
Dentition: Betreuung der Familien erfordert Fingerspitzengefühl
Dr.in Sevinc Yildirim, Ärztliche Leiterin, Kinder- und Jugendärzte in CAPE 10, Wien, im Interview.
Die Zeit des Zahnens kann für die Kleinen und ihre Angehörigen eine sehr herausfordernde sein. „Eltern sollten in jedem Fall Ruhe bewahren und Geduld haben – sowie wissen, dass sie bei Bedarf unbedingt medizinischen Rat einholen sollen“, betont Pädiaterin Dr.in Sevinc Yildirim im Gespräch mit der Hausärzt:in. Auch für die Zahnentwicklung der Kinder können Ärztinnen und Ärzte einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie die Eltern bei Aspekten wie dem notwendigen Nährstoffbedarf beraten.
HAUSÄRZT:IN: Bereits die Ernährung der Mutter während der
Schwangerschaft trägt zur Zahnentwicklung bei. Welche Ratschläge können Ärzt:innen den Frauen diesbezüglich geben?
Dr.in YILDIRIM: Eine ausgewogene und gesunde Ernährung – u. a. mit Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, magerem Eiweiß – ist sehr wichtig für die Entwicklung des Fötus. Sie liefert die notwendigen Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente, damit sich Zähne und Knochen bilden können. Hierfür sind kalziumreiche Lebensmittel wie Joghurt, Käse und Milch unerlässlich. Darüber hinaus erfordert der Aufbau von Zellen, einschließlich der Zahnanlagen, Folsäure. Lebensmittel wie grünes Blattgemüse, Hülsen-, Zitrusfrüchte und angereicherte Getreideprodukte gelten als Lieferanten von Folat. Der Sauerstofftransport im Körper verlangt Eisen, was wiederum für die Zellentwicklung notwendig ist. Mageres Fleisch und Geflügel sowie pflanzliche Quellen wie Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte sollten in die Ernährung einbezogen werden.
Für die Aufnahme von Kalzium braucht es Vitamin D. Empfehlenswert sind Sonnenlichtexposition – unter Berücksichtigung der UV-Schutzmaßnahmen – und Nahrungsmittel, die reichlich Vitamin D enthalten. Dieses essenzielle Vitamin findet man vor allem in fettreichem Fisch, Eigelb und in angereicherten Lebensmitteln. Nicht vergessen soll-
ten Schwangere auf eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit.
Im Zuge einer Schwangerschaft kann es auch zu unerwünschten Begleiterscheinungen in Zusammenhang mit der Ernährung kommen ...
Ja. Im Bedarfsfall sollten Frauen Nahrungsergänzungsmittel einnehmen –allerdings nur in Absprache mit einer Ärztin, einem Arzt. So können Nährstoffmängel vermieden bzw. behandelt werden. Ein weiteres Risiko stellt eine hohe Zuckeraufnahme dar, ausgelöst durch eine mögliche Ernährungsumstellung. Mediziner sollten werdenden Müttern empfehlen, den Konsum von zuckerhaltigen Lebensmitteln und Getränken zu begrenzen oder sogar zu vermeiden. Zudem sind während der Schwangerschaft regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen unerlässlich, da sie auch der Prävention dienen. Grundsätzlich ist jede Schwangerschaft individuell. Daher sollte die Betreuung der jeweiligen Person angepasst werden.
INFO
Sanfte Unterstützung aus der Apotheke
Diverse pflanzliche Inhaltsstoffe – z. B. in Zahngels – können schmerzlindernd und entzündungshemmend wirken, u. a. aus: Kamille, Nelke, Salbei, Pfefferminze.
Auch Propolis eignet sich als „natürlicher Helfer“.
Zudem sind homöopathische Arzneien bei Eltern gefragt, etwa Zäpfchen mit homöopathischen Bestandteilen und Chamomilla oder Zahnkügelchen mit:
Chamomilla recutita,
Magnesium phosphoricum,
Calcium carbonicum,
Ferrum phosphoricum.
Die Versorgung mit welchen Nährstoffen etc. brauchen Säuglinge und Kleinkinder, damit sich die Zähne entwickeln können?
Allen voran sind hier die Mineralien Kalzium und Phosphor als die Bausteine für Zähne und Knochen zu nennen. Außerdem haben die Vitamine A, C und D für die Stärkung und Entwicklung der Zähne und des Zahnfleisches eine große Bedeutung. Für die Zahngesundheit ist auch Fluorid relevant und das Minimieren von Zucker in den Essgewohnheiten entscheidend.
Der Durchbruch der Milchzähne verursacht dann häufig diverse Beschwerden und Unannehmlichkeiten – was gilt es zu beachten?
Die Dentition kann für betroffene Säuglinge, Kleinkinder und ihre Familien eine teilweise sehr unruhige und herausfordernde Phase darstellen. Aber nicht alle Kinder haben die gleichen Symptome – auch in puncto Intensität unterscheiden sie sich – und einige bekommen Zähne ohne nennenswerte Beschwerden. Zu den häufigsten Symptomen zählen Schwellung und Zahnfleischreizung, außerdem Sialorrhö. Bei betroffenen Kindern werden oft Unbehagen und Schmerzen ausgelöst. Sie sind dann gereizter, leiden unter Schlafproblemen, zudem verändern sich üblicherweise die Essgewohnheiten. Dadurch kann es zu Veränderungen im Stuhlgang kommen, sprich zu weichem Stuhl oder Durchfall. Ein weiteres Symptom ist erhöhte Körpertemperatur. Allerdings sollte Fieber nicht ausschließlich auf die Dentition zurückgeführt werden. Hohe Fieberwerte erfordern eine ärztliche Abklärung.
Wie können die Symptome je nach Alter bzw. je nachdem, welche Zähne gerade durchbrechen, variieren? Zuerst kommen die unteren Schneidezähne im Alter von sechs bis zehn Monaten, die oberen brechen etwas später durch, mit acht bis zwölf Monaten. Bei den Schneidezähnen beobachtet man Symptome wie vermehrtes Sabbern, Reizbarkeit und Unruhe. Die Backenzähne kommen mit zwölf bis 24 Monaten zum Vorschein – ihr Durchbruch verursacht mehr Beschwerden, da er hartnäckiger ist und länger dauert. Damit verbunden sein können etwa Schlafstörungen, Appetitveränderungen oder verstärktes Kauen. Die Eckzähne – ihr Durchbruch erfolgt mit 16 bis 20 Monaten – lösen wiederum gehäuft Reizungen im Nasen- und Mundbereich aus. Als letzte Milchzähne brechen noch die Molaren mit 25 bis 33 Monaten durch. Sie sind größer und bedingen auch stärkere Schmerzen. Zu beachten gilt es, dass sich nicht nur die Symptome der Babys unterscheiden – auch das Alter, in welchem die Zähne durchbrechen, kann variieren.
Und welche Möglichkeiten gibt es, die Beschwerden zu lindern?
Die Vorgehensweisen zur Linderung der Beschwerden bleiben im Allgemeinen ähnlich, unabhängig davon, welche Zähne durchbrechen. Hier gibt es einige Maßnahmen. Empfehlenswert sind sanfte Zahnfleischmassagen >
mit einem sauberen Finger. Diese können den Druck auf das Zahnfleisch und damit das Unbehagen reduzieren. Auch vorgekühlte Beißringe helfen bei Druckschmerzen und können das Wohlbefin-
den steigern. Bei Babys, welche bereits feste Nahrung essen, können weiche Lebensmittel wie gekühlte Apfelscheiben oder Karottenstücke als Beißmittel dienen. Im Bedarfsfall können dem be-
Verbreitete Mythen und Missverständnisse rund um den Zahndurchbruch
Mythos 1: Fieber ist immer ein Zeichen der Dentition. Tatsache: Ein leichter Anstieg der Körpertemperatur kann bei einigen Babys während des Zahndurchbruchs auftreten, aber Fieber sollte nicht automatisch auf das Zahnen zurückgeführt werden. Andere gesundheitliche Probleme können ebenfalls Fieber verursachen.
Mythos 2: Alle Babys haben starke Schmerzen beim Zahnen. Der Zahndurchbruch ist bei jedem Baby bzw. Kind unterschiedlich. So lassen sich auch die möglichen Symptome nicht verallgemeinern.
Mythos 3: Alle Symptome sind auf die Dentition zurückzuführen. Nicht alle Beschwerden, die bei einem Baby während des Zahnens auftreten, sind zwangsläufig durch den Zahndurchbruch verursacht. Andere mögliche gesundheitliche Probleme müssen in Betracht gezogen werden und Eltern sollten eine Ärzt:in aufsuchen, wenn sich die Symptome nicht abschwächen oder beseitigen lassen.
Mythos 4: Je früher die Zähne durchbrechen, desto besser. Jedes Baby ist individuell, so auch die Entwicklung. Der Zeitpunkt des Zahndurchbruchs kann von Kind zu Kind variieren. Die Beschwerden hängen nicht davon ab, ob die Zähne früher oder später durchbrechen.
troffenen Kind auch analgetische Mittel verabreicht werden, natürlich nur nach ärztlicher Absprache.
Was legen Sie betroffenen Familien noch gerne ans Herz?
Dass diese unruhige und manchmal belastende Phase vorübergeht. Meine Empfehlung: „ P robieren Sie es mit Geduld und Liebe. Manchmal reicht schon Körperkontakt, liebevolles Trösten und Beruhigen, um das Unwohlsein des Babys zu lindern “ Wichtig ist es außerdem zu beachten, dass nicht alle Maßnahmen bei jedem Kind gleich wirken. Kinder sind individuell und haben individuelle Bedürfnisse. Eltern sollten verschiedene Optionen ausprobieren und auf die Reaktion ihres Kindes achten. Bei stark ausgeprägten Beschwerden, wenn das Kind sehr unruhig ist oder andere Symptome auftreten, sollten Eltern immer einen Kinderarzt konsultieren, um sicherzustellen, dass keine ernsthaften gesundheitlichen Probleme vorliegen.
Das Interview führte Anna Schuster, BSc.
Rhinosinusitis tritt meist ab dem Kleinkindalter auf
Bekanntlich geht eine Sinusitis häufig mit einer Rhinitis einher. Bei Kindern gesellt sich zu den Leitsymptomen – gesteigerte Nasensekretion, retronasale Sekretion, Verstopfung und Engegefühl der Nase, Riechstörung und allgemeines Krankheitsgefühl – in etwa der Hälfte der Fälle Husten. Circa 40 Prozent der akuten Sinusitiden treten bei Kindern gemeinsam mit einer Otitis media auf, auch Fieber ist ein mögliches Symptom. Die Diagnose erfolgt vorwiegend klinisch. Die Fremdanamnese der Eltern ist dabei wesentlich. Wenn eine eitrige Rhinorrhoe länger als zehn Tage anhält und Husten sowie Erschöpfung mit sich bringt, sollte an eine Rhinosinusitis gedacht werden. Als Ursache gilt es unter anderem Fremdkörper in der Nase auszuschließen. Bei wiederkehrenden Entzündungen sind Erkrankungen wie Mukoviszidose, hypertrophe Adenoide, Immundefekte, allergische Erkrankungen, Ziliendefekte und Entzündungen der Zahnwurzeln auszuschließen. Hierbei liefern Ultraschall- und Laboruntersuchungen zusätzliche Erkenntnisse. In schwierigen Fällen wird eine Computertomographie veranlasst.
Infektiöse und entzündliche Erkrankungen der Nasennebenhöhlen entwickeln sich abhängig vom Grad der Sinuspneumatisierung. Die Cellulae ethmoidales sind bereits bei Säuglingen pneumatisiert, eine Sinusitis ethmoidalis wird bei Kindern unter zwei Jahren jedoch selten beobachtet. Entzündungen der Kieferhöhlen kommen meist erst nach Vollendung des zweiten Lebensjahres vor. Mit einer Sinusitis frontalis ist in der Regel erst ab fünf bis sieben Jahren zu rechnen. Unterschiedliche Wirkungsweisen, zum Beispiel in Form von schleimhautabschwellenden, antiinflammatorischen und sekretolytischen/sekretomotorischen Substanzen, werden in der Therapie einer Rhinosinusitis eingesetzt. Inhalationen dürfen wegen Verbrennungsgefahr nur unter elterlicher Aufsicht durchgeführt werden. Bei unproduktivem Husten können Mucilaginosa als Schleimbildner die Beschwerden lindern. Antibiotische Behandlungen sind zum Beispiel bei einer Orbitalphlegmone erforderlich, da diese gravierende Komplikationen mit sich bringen kann.
Mag.a Ines Pamminger, BA
Masern: Mittlerweile kann das Durchimpfungsziel bei Kleinkindern nicht einmal bei der ersten Teilimpfung erreicht werden
Masernexanthem: Betroffene sind in einem Zeitraum von fünf Tagen vor Auftreten des charakteristischen Ausschlags bis vier Tage danach infektiös.
Die Elimination von Masern ist, genauso wie die Ausrottung von Kinderlähmung, ein erklärtes Ziel der WHO. Leider sind wir noch weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie und den daran geknüpften Hygienemaßnahmen – wie dem Masketragen, aber auch den Einschränkungen im Reiseverkehr – kam die weltweite Masernzirkulation zwar fast völlig zum Erliegen, seit Anfang des Jahres 2023 werden vom CDC („C enter for Disease Control“) aber wieder Masernausbrüche gemeldet. Auch Österreich ist davon betroffen.
GASTAUTORIN:
Univ.-Prof.in Dr.in Andrea Grisold, MBA Leiterin des Bereichs Klinische Mikrobiologie, Krankenhaushygiene und Impfungen, Med Uni Graz
Jahres die Steiermark dar –von den bestätigten Fällen ist bei mindestens 115 eine Zuordnung zu diesem Bundesland zumindest wahrscheinlich. Während dieser Ausbruch nach Wochen langsam zum Erliegen kam, hat sich mit Sommer 2023 das Ausbruchgeschehen nach Wien verlagert. Aktuelle Zahlen zur Masernsituation in Österreich findet man auf der Homepage der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), unter ages.at
„Eine einzelne
Masernpatient:in kann bis zu 18 andere (ungeschützte) Menschen anstecken.“
Mit Stand 05.09.2023 wurden in Österreich bisher 155 Masernfälle im elektronischen Meldesystem (EMS) erfasst. Einen Hotspot stellte zu Beginn des
Masern werden durch das Masernvirus ausgelöst, das über feine Tröpfchen, z. B. beim Husten, Niesen oder Sprechen, in die Luft abgegeben wird. Nach Kontakt mit dem Virus treten in der Regel nach acht bis zehn Tagen – höchstens nach 21 Tagen – Krankheitssymptome auf. Dabei verlaufen Masern in zwei Krankheitsphasen: In der ersten Phase zeigen die Betroffenen unspezifische grippeähnliche Symptome, ggf. mit Fieber, Halsschmerzen oder trockenem Husten. Dazu kommen dann Müdigkeit, Kopfund Bauchschmerzen. Ein weiteres charakteristisches Anzeichen ist eine
Lichtempfindlichkeit, verbunden mit einer Bindehautentzündung, die sich vor allem durch tränende Augen bemerkbar macht. Etwas später kommen die typischen Veränderungen an der Wangenschleimhaut (Koplik‘sche Flecken) hinzu: Sie zeigen sich in Form von kleinen weißen Belägen, die kleinen Kalkspritzern ähneln. Auf sie folgt der kennzeichnende Ausschlag.
Wichtig: Masernpatienten sind in einem Zeitraum von fünf Tagen vor Auftreten des Ausschlags bis vier Tage danach infektiös. Besonders problematisch ist dabei, dass Masern zu den ansteckendsten Erkrankungen gehören, die wir kennen. Der sogenannte Kontagiositätsindex liegt bei > 95 % – das heißt, ohne Impfung erkranken 95 von 100 Menschen, wenn sie mit dem Masernvirus Kontakt haben. Masernviren können auch lange in der Umwelt überdauern: Ein Raum, in dem sich ein Masernkind/ein Masernpatient aufgehalten hat, gilt auch für weitere zwei Stunden, nachdem diese Person den Raum verlassen hat, als infektiös. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände geht man davon aus, dass ein einzelner Masernpatient bis zu 18 andere (ungeschützte) Menschen anstecken kann – was dazu führt, dass Masernausbrüche nur sehr schwer unter Kontrolle zu bringen sind. Zum Vergleich: Bei der Grippe geht man davon aus, dass ein Erkrankter maximal vier andere Personen ansteckt.
Der Nachweis erfolgt in der Regel mittels masernspezifischer IgM-Antikörper. Cave: Bei rund 30 % der Patienten ist das Masern-IgM in den Tagen eins bis drei nach Exanthembeginn noch negativ und die Testung bei weiter bestehendem Verdacht in jedem Fall zu wiederholen! Bei den sehr seltenen Durchbruchsinfektionen kann der Anstieg von IgM-
Antikörpern auch gänzlich ausbleiben, hier findet sich ggf. nur eine Bewegung in den IgG-Antikörpertitern. Darüber hinaus steht eine sehr sensitive PCR (Probenmaterial: Rachenabstrich oder Harn) zur Verfügung. Leider werden hier die Kosten im niedergelassenen Bereich nicht von der Krankenkasse übernommen.
Bei positiven Laborergebnissen sind alle Labore in Österreich aufgefordert, ihre Proben an das Referenzlabor des Zentrums für Virologie der MedUni Wien zu schicken. Dort erfolgt eine Genotypisierung, dank welcher man feststellen kann, ob es sich um einen in Österreich zirkulierenden Masernstamm handelt oder ob neue Virusstämme eingeschleppt werden/wurden.
Wie alle anderen europäischen Länder auch hat sich Österreich verpflichtet, sich aktiv um die Elimination von Masern zu kümmern. Hierfür wurde ein Nationales Verifizierungskomitee zur Elimination von Masern und Röteln etabliert. Einmal jährlich muss ein Bericht an die WHO gesendet werden bzw. wird Österreich von einem Mitglied der WHO visitiert, die Maßnahmen werden evaluiert. In jedem Fall besteht hierzulande noch Luft nach oben –insbesondere was z. B. die Durchimpfungsraten betrifft.
... bei Groß und Klein
Um die Ausbreitung von Masern in der Bevölkerung nachhaltig zu stoppen, sollten 95 % aller Einwohnerinnen und Einwohner geimpft sein – oder die Älteren durch eine durchgemachte Infektion immun. Österreich erreicht diese Zahlen leider überhaupt nicht. Im „Kurzbericht Masern 2022“ – herausgegeben vom Gesundheitsministerium –ist festgehalten, dass z. B. in der Altersgruppe der Zweibis Fünfjährigen in den Vorjahren (pandemiebedingt?) nicht ausreichend geimpft wurde. Mittlerweile sind in dieser Altersgruppe 8 % der Kinder komplett ungeimpft, sodass das Ziel einer 95-%igen Durchimpfungsrate nicht einmal bei der ersten Teilimpfung erreicht werden kann. Auch die zweite Teilimpfung haben nur rund 87 % der Kinder bereits erhalten. Konkret heißt das: Bei fast 19.000 Kindern in dieser Altersgruppe fehlt zumindest die zweite Teilimpfung und weitere 28.200 Kinder sind noch gar nicht geimpft. Aber es sind nicht nur die Kleinkinder, bei denen ein Nachholbedarf besteht, sondern auch in der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen gibt es tausende junge Menschen ohne Impfschutz: Die Durchimpfungsrate liegt hier ebenfalls bei nur 86 %. Aufgrund der Tatsache, dass junge Menschen nicht so oft krank sind, kommt es kaum zu Arztbesuchen, bei denen der Impfpass überprüft werden könnte. Auch hier bedarf es einer kleinen Erinnerung – wie auch immer diese aussehen könnte –, um einen aufrechten Impfschutz zu erreichen.
Literatur:
Hübschen J et al., Measles. The Lancet 2022; (399): 678-690. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Kurzbericht Masern 2022.
Einblicke in die professionelle Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit schweren Erkrankungen
Was bedeutet mobile Pflege? Unterstützung des betroffenen Menschen bei der Pflege, Medikamentenvorbereitung bzw. -verabreichung und Verbandwechsel bei chronischen Wunden? Hinter der mobilen Pflege – im Fall von MOKIWien mobile Kinderkrankenpflege – steckt viel mehr. Angehörige der Berufe Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz von MOKI-Wien betreuen und pflegen seit 1999 über 5.700 Kinder beziehungsweise Jugendliche und unterstützen das ganze Familiensystem.
Betreuungsschwerpunkte
GASTAUTORIN:
Gabriele Hintermayer, MSc Geschäftsführerin und Pflegedienstleitung, MOKI-Wien Mobile Kinderkrankenpflege
Stunden in den jeweiligen Tätigkeitsbereich fließen, zeigt die Abbildung.
Nachbetreuung von Frühgeborenen
Welche Möglichkeiten die mobile Pflege im pädiatrischen Setting bietet, veranschaulichen die Betreuungsschwerpunkte MOKI-Wiens. Wie viele
Frühgeborene verbringen einige Monate im Spital, die Eltern erwerben sehr viel Wissen und Erfahrung im Umgang mit ihren Kindern. Zuhause erleben wir anfangs jedoch bei fast allen Familien Unsicherheiten und Ängste. Im Rahmen des MOKIWien-Schwerpunktes „F rühlingskin d“ werden Frühgeborene ab der 21. SSW nach der Entlassung aus dem Spital betreut und begleitet. Still- bzw. Ernährungsberatung, Kontrolle von Gewicht, Medikamenten und Vitalzeichen gehören genauso zu den Tätigkeiten der DGKP wie das Legen von Sonden oder die Verabreichung von S.-c.-Injektionen. Ein großer Aufgabenbereich be-
steht darin, die Eltern im Umgang mit ihren zu früh geborenen Kindern zu unterstützen, ihnen Ängste und Unsicherheiten zu nehmen.
Neugeborene und junge Säuglinge
Innerhalb des MOKI-Wien-Schwerpunktes „ Ich bin ic h“ können Eltern von Neugeborenen oder jungen Säuglingen die Beratung und Schulung rund um das Stillen, die Ernährung, die Pflege sowie das Infant Handling durch DGKP in Anspruch nehmen.
Chirurgische Nachversorgung
Viele Kinder/Jugendliche mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung werden von MOKI-Wien auch nach chirurgischen Eingriffen versorgt. Die professionelle Begleitung im Rahmen des Schwerpunktes „Tapferes Schneiderlein“ soll eine frühzeitige Entlassung ermöglichen. In diesem Tätigkeitsbereich werden Kinder mit angeborenen Fehlbildungen wie Anal-
allgemeine Hauskrankenpflege
Freitzeit
Frühlingskind
Ich bin ich
Lisa Marie
Tapferes Schneiderlein
atresien oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten betreut, außerdem jene mit erworbenen Diagnosen, etwa Darmperforationen, Hüftdysplasien oder -luxationen. Die medizinischen Tätigkeiten, welche von MOKI Wien übernommen werden, reichen vom Verbandwechsel über die Gipskontrolle bis hin zur Versorgung von Stomata oder dem externen Fixateur.
Chronische Krankheiten und Behinderungen
Bei Kindern/Jugendlichen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung steht nach der Diagnosestellung bzw. der Entlassung aus dem Spital die Übernahme von medizinischen Tätigkeiten im Vordergrund. Die häufigste Diagnose in diesem Bereich stellt der Diabetes mellitus dar, wobei hier das Management der Erkrankung zentral ist. Die Schulung der Kinder, ihrer Eltern, aber auch der Pädagoginnen und Pädagogen in den Kindergärten oder Schulen ist essenziell für den weiteren Verlauf der Erkrankung bzw. oft ausschlaggebend für eine Inklusion der Kinder.
Palliative Begleitung
Die meisten Betreuungsstunden brauchen Kinder und Jugendliche, die eine palliative Erkrankung haben. Der Schwerpunkt bei MOKI-Wien nennt sich „Lisa Mari e“ Die Betreuung kann Tage, Monate bis Jahrzehnte andauern, manche Jugendliche erreichen auch das junge Erwachsenenalter. Zu den Tätigkeiten, die Pflegepersonen übernehmen, zählen z. B. Verabreichung von Injektionen, Versorgung von zentralen Venenzugängen, Schmerzpumpen und Stomata, einschließlich der Tracheostomata, sowie Heimbeatmungsbetreuung. Dabei wird auf die speziellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen eingegangen – das ermöglicht ihnen dort eine Pflege, wo sie zu Hause sind.
Entlastung der Familien
Neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung der betroffenen Kinder und Jugendlichen steht auch die ganze Familie im Zentrum der Betreuung. Ohne die Wahrnehmung der Bedürfnisse, Sorgen und Ängste der Eltern, Geschwister, Großeltern und
Freunde kann Pflege bei Kindern nicht funktionieren. Erst wenn die Eltern bereit sind, sich der Erkrankung ihres Kindes zu stellen, sie so weit wie möglich zu akzeptieren, können sich Erfolge, Stabilität und eine Verbesserung einstellen. Ein großer Tätigkeitsbereich bei der Versorgung dieser Kinder ist daher die Entlastung der Familien, Schwerpunkt „F reizeit “ MOKI-Wien-Pflegepersonen betreuen oft über mehrere Stunden, um Eltern eine kurze Auszeit zu ermöglichen. Dieses Angebot findet immer häufiger in Kindergärten und Schulen statt. MOKI-Wien übernimmt die notwendigen Tätigkeiten entweder punktuell, z. B. zweimaliges Katheterisieren, oder während des ganzen Schulvormittags, etwa bei heimbeatmeten Kindern.
Damit Leistungen erbracht und Probleme wahrgenommen und gelöst werden können, muss die Pflegeperson die notwendige Handlungskompetenz aufweisen – das heißt, sie muss zielgerichtet, aufgabengemäß, der Situation angemessen sowie verantwortungsbewusst agieren. Die Pflegepersonen haben somit nicht nur die Aufgabe, die notwendigen Pflegehandlungen durchzuführen, sie nehmen auch sehr viel vom sozialen Umfeld, von den Emotionen, Ängsten und Sorgen der Kinder/ Jugendlichen sowie ihrer Angehörigen wahr. Das erfordert Fach-, Methoden-, Sozial- und emotionale Kompetenz. Vor allem aber wird Pflegekompetenz für die Spezialisierung der Kinder- und Jugendlichenpflege benötigt. 70 % der betreuten Kinder und Jugendlichen haben einen Bedarf an Pflegepersonen mit spezieller Fachkompetenz. 2 Dieses Fachwissen wird in der derzeitigen Ausbildung nur in Grundzügen vermittelt und muss neuen Kolleginnen und Kollegen durch die eigene Organisation weitergegeben werden. Die Kosten für die internen und externen Schulungsangebote werden durch Förderungen und Spenden abgedeckt.
Ein weiterer entscheidender Faktor für die Versorgung der Kinder und Jugend-
lichen sind die Nahtstellen zu den Spitälern, den niedergelassenen Pädiatern, den Hausärzten sowie anderen professionellen Dienstleistern. Ohne eine adäquate ärztliche Anordnung, ohne die Verordnung des richtigen Heil- und Hilfsbedarfs, ohne die Übernahme der Kosten für die Betreuung bzw. die notwendigen Produkte kann eine fachliche Versorgung nur zum Teil erfolgen. Im Rahmen der Studie „ Die Nahtstelle zwischen hausärztlicher Versorgung und häuslicher Pflege“ wurde 2021 aufgezeigt, wie wichtig eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Bereichen ist und was dazu benötigt wird. 3 Mobile Pflege – im Fall von MOKI-Wien im Bereich der Pädiatrie – ist vielfältig. Vor allem muss die fachliche Kompetenz des Gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege wahrgenommen wie auch anerkannt und uns ermöglicht werden, dieses Fachwissen anzuwenden. Denn die betroffenen Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen und ihre Angehörigen haben das Recht auf eine qualitative und einfühlsame Betreuung und Versorgung. Das kann uns nur gemeinsam gelingen.
Literatur:
1 MOKI-Wien Jahresbericht 2022. wien.moki.at/berichte
2 Hintermayer G (2014): Leistungsorientierte Dienstplangestaltung in der Hauskrankenpflege ... bei Kindern/ Jugendlichen im Vergleich mit den Erwachsenen. Masterarbeit, erschienen im AV Akademikerverlag.
3 Riedel M, Kraus M (2021): Die Nahtstelle zwischen hausärztlicher Versorgung und häuslicher Pflege. Health System Watch 3, 10 p. IHS Series; Beilage zur Fachzeitschrift Soziale Sicherheit. irihs.ihs.ac.at/id/eprint/5906/
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Gynäkologin Dr.in Dorothee Struck hielt in einem Vortrag anlässlich der Europäischen Antibiotikawoche fest, dass bei einer unkomplizierten Zystitis eine ungezielte Antibiose heute nicht mehr zeitgemäß und oft nicht nötig sei. „ Sie kann unangenehme Nebenwirkungen auslösen, die humane Mikrobiota schädigen und zudem die Entstehung von Resistenzen fördern “ Der reduzierte Einsatz von Antibiotika bei unkomplizierten Infektionen könne dazu beitragen, diese wichtige Arzneimittelgruppe für die Behandlung schwerer, bedrohlicher Krankheiten zu erhalten.
Studien belegen indes die Wirkung von Allylsenfölen aus Kapuzinerkresse und Meerrettich bei Zystitiden. Auch ein Effekt gegen Problemkeime wie Klebsiellen, Vancomycin-immune Enterokokken oder resistente Escherichia-coli-Stämme konnte nachgewiesen werden.1 Außerdem hemmen jene Pflanzenstoffe die Motilität, die Adhäsion sowie intraepitheliale Internalisierungsprozesse2 und helfen gegen bakterielle Biofilme, welche häufig für wiederkehrende Infektionen und Resistenzentwicklungen verantwortlich sind. Eine entzündungshemmende Wirkung ist bei Isothiocyanaten schon länger bekannt. Sie greifen regulierend in Entzündungskaskaden ein und führen zu einem Rückgang von proinflammatorischen Mediatoren.
Wissenschafter rund um Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer empfehlen den Einsatz von Phytopharmaka bei ansonsten gesunden Patientinnen und Patienten. 3 Eine partizipative Kommunikation mit den Betroffenen habe dabei eine immense Bedeutung. Entscheidend sei eine ausführliche Aufklärung über Wirkungsweise und mögliche Komplikationen. Man dürfe die Erkrankten nicht mit der Entscheidungsfindung überfordern.
PA/MaT
Literatur:
1 Romeo I et al., Molecules. 2018 Mar; 23(3):624.
2 Marcon J et al., Infection. 2019 Dec; 47(6):937–944.
3 Thalhammer F et al., Experten-Statement: Akute unkomplizierte Zystitis. Medical Dialogue, 2019 Nov.
Wie Mistelpräparate in der Onkologie komplementär zu anderen Arzneimitteln und zur Hyperthermie eingesetzt werden können
Schwere Erkrankungen wie Krebs belasten nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. Anstrengende Therapien mit diversen Nebenwirkungen wie Fatigue, Depression, Angst, Schmerzen und Übelkeit oder Erbrechen tun ihr Übriges. Da ist es kein Wunder, wenn Patientinnen und Patienten sich aufgeben und kaum mehr Hoffnung hegen. Bekanntlich ist die innere Einstellung aber wichtig für die Genesung. Die Misteltherapie, welche sich in der Onkologie als Behandlung ergänzend zu den schulmedizinischen Verfahren etabliert hat, kann den Körper auch auf seelischer Ebene unterstützen und die Selbstheilungskräfte anregen. Ziel ist, dass Betroffene wieder Hoffnung schöpfen, sich positive Ziele setzen und ihr Leben trotz Krankheit aktiv selbst gestalten. Unsicherheit herrscht oftmals noch bezüglich der Frage, ob die Behandlung mit Mistelpräparaten andere Therapien beeinträchtigen kann. Die Gesellschaft für klinische Forschung e. V. (GKF Berlin), ein gemeinnütziger Verein, der sich auf Studien im Bereich der Integrativen Medizin konzentriert, fasste für das Live-Webinar „ Hyperthermie und Misteltherapie“* die bisherigen Erkenntnisse zur Kombination von Mistelpräparaten und anderen Arzneimitteln bzw. Therapien zusammen.
Die subkutane Gabe von Mistelpräparaten komplementär zur Chemotherapie – um ihre Verträglichkeit zu verbessern und krankheits- und therapiebedingte Symptome zu reduzieren – findet häufig Anwendung. So hat die Zahl der Untersuchungen zu Interaktionen zwischen Zytostatika und Mistelpräparaten in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, mit dem Ziel, die Anwendungssicherheit dieser Kombination aufzuzeigen. In einer von Tröger et al. (2009, 2014, 2016) durchgeführten randomisierten sowie kontrollierten dreiarmigen Studie
mit Mammakarzinompatientinnen im Stadium IA konnte etwa gezeigt werden, dass sich Schmerzen und Inappetenz in der Gruppe mit Chemotherapie (Cyclo-phosphamid, Adriamycin und 5-Fluorouracil) plus Misteltherapie signifikant besserten im Vergleich zur Kontrollgruppe, die nur die Standardtherapie erhielt. Kein Hinweis auf eine reduzierte Wirksamkeit der Chemotherapie fand sich in der Follow-upStudie von Tröger et al. (2012, 2016) hinsichtlich progressionsfreien Überlebens bei paralleler Gabe von Mistelpräparaten bis zu fünf Jahren nach Therapieende. Auch die Kombination von einer Strahlentherapie und Mistelpräparaten ist grundsätzlich sinnvoll, da Mistelextrakte die Nebenwirkungen jener reduzieren. Grundsätzlich muss kein Zeitabstand zwischen Strahlen- und Misteltherapie eingehalten werden. Der Injektionsort darf allerdings nicht in einem Bestrahlungsfeld liegen.
Bei den (anti-)hormonellen Therapien tritt, gemäß GKF Berlin, ebenfalls keine Wirkungseinschränkung durch Mistelpräparate ein und die Nebenwirkungen können durch sie reduziert werden. In einer In-vitro-Studie von Weissenstein et al. (2019) zeigte sich sogar, dass es durch die Mistelextrakte nicht nur zu keiner Hemmung der endoxifeninduzierten
Zytostase und Zytotoxizität kommt, sondern dass Mistelextrakte in höheren Konzentrationen auch einen additiven inhibitorischen Effekt haben.
In puncto Antikörpertherapien wurde in einer In-vitro-Untersuchung, ebenfalls von Weissenstein et al. (2016), geprüft, ob ein hemmender Einfluss auf die Wirkung des monoklonalen Antikörpers Trastuzumab besteht. Dieser konnte nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil, es wurde eine stärker hemmende Wirkung der antitumoralen Wirkung durch die Kombination beider Arzneimittel festgestellt.
Für die Therapie mit ImmuncheckpointInhibitoren (ICI) bei fortgeschrittenen und metastasierenden Tumorerkrankungen konnten bei vielen Tumorarten deutlich höhere Ansprech- und Überlebensraten ermittelt werden. Dennoch treten auch relevante Toxizitäten auf. Zu diesem Zweck wurde in einer Studie mit Real-World-Daten (RWD) eine Kombinationsimmuntherapie von ICI (hauptsächlich Nivolumab) zusammen mit Mistelextrakten und eine alleinige ICI-Therapie bei Patienten mit fortgeschrittenem und metastasiertem Lungenkarzinom bzw. Melanom verglichen. Es konnte keine Veränderung des Nebenwirkungsratenprofils von ICI durch eine zusätzliche Misteltherapie festgestellt werden. Trotz kleiner Fallzahlen war das ein erster Hinweis darauf, dass keine kli-
nisch relevanten Interaktionen auftreten, also die Kombinationstherapie in der Anwendung sicher ist (Thronicke et al. 2017). Weitere systematische Untersuchungen erfolgen aktuell in der prospektiven, randomisierten, kontrollierten „ Phoenix III-Studie“. Die endgültigen Ergebnisse werden für die nahe Zukunft erwartet (Kunc et al. 2020).
Während einer Misteltherapie entwickeln die Patienten oft Fieber. Das ist therapeutisch sinnvoll, also eine gute und erwünschte Reaktion. Damit zeigt der Organismus, dass er auf die Behandlung anspricht. Und der leichte Anstieg der Temperatur ist zudem positiv zu bewerten, weil viele onkologische Patienten unter einer verringerten Körpertemperatur leiden und so der Körper angenehm durchwärmt wird. Die Temperatur steigt wenige Stunden nach der Injektion auf maximal 38°C
an bzw. beträgt ihre Differenz zur Ausgangstemperatur 0,5°C – 1°C. Ein Temperaturprotokoll sollte geführt werden. Als komplementärmedizinische Methode wird bei onkologischen Patienten gerne die Hyperthermie angewendet. Man setzt dabei auf die Erhöhung der Temperatur des gesamten Körpers und/oder des lokalen Tumorgewebes zur Behandlung von Karzinomen (siehe INFO). „ Bereits im alten Ägypten ist der therapeutische Ansatz des Fiebers genutzt worden“, erklärte Dr. Matthias Kraft beim Live-Webinar des GKF Berlin.* Er ist Chefarzt der BioMedKlinik in Bad Bergzabern, einer Fachklinik für Onkologie, Hyperthermie und Immunologie, in der seit 1989 Patienten mit komplementärmedizinischen Maßnahmen wie der Hyperthermie und der Misteltherapie behandelt werden. „ Durch die Hitzeschäden werden die Tumorzellen für das Immunsystem sichtbar und können so vom Körper bekämpft werden.“
In der klinischen Praxis kann die Hyperthermie allein oder in Kombination mit anderen Methoden wie der Strahlen-, Chemo-, Immun- und Misteltherapie angewendet werden.
Gabriella Mühlbauer
INFO
Hyperthermie
Hyperthermie wird je nach Art der Verabreichung hauptsächlich in drei Kategorien unterteilt:
Die lokale Hyperthermie ist definiert als Erhöhung der Temperatur von lokalen Tumoren und wird häufig bei Karzinomen der Haut oder der Körperoberfläche eingesetzt.
Die regionale Tiefenhyperthermie besteht aus kapazitativ gekoppelten elektromagnetischen Wellen mit einer Frequenz von 13,56 MHz. Hierdurch werden Temperaturen von ca. 42 °C im Körperinneren erreicht.
Die Ganzkörperhyperthermie wird meist zur Aktivierung des körpereigenen Immunsystems allein oder additiv zur Tiefenhyperthermie durchgeführt.
* Live-Webinar „Hyperthermie und Misteltherapie“, FFN® – Fortbildungsforum Naturheilkunde, April 2023.
„Presbyvertigo,
In der offiziellen
gibt es diesen Begriff nicht
Univ.-Prof. Dr. Andreas Temmel, Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie in Perchtoldsdorf und Wien, im Gespräch.
Neben Cephalgie zählt Vertigo zu den häufigsten neurologischen Beschwerdebildern. Je älter Menschen werden, desto öfter sind sie davon betroffen. Bei Patientinnen und Patienten über 75 Jahre suchen 30 Prozent einen Arzt wegen Schwindels auf, bei den über 80-Jährigen liegt die Ein-Jahres-Prävalenz von Schwindel, die zu einer Arztkonsultation führt, schon bei 50 Prozent.1 Schwin-
del beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen, da er ihre Mobilität sowie die Teilhabe an altersadäquaten Aktivitäten einschränkt. Für die öffentliche Gesundheit stellt der „ A ltersschwindel“ zudem eine wachsende Herausforderung dar, weil er das Sturzrisiko bei älteren Patienten deutlich erhöht. Über dieses Thema sprach die Hausärzt:in mit Univ.-Prof. Dr. Andreas Temmel, Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie in Perchtoldsdorf und Wien.
HAUSÄRZT:IN: Kann man Presbyvertigo als valide Diagnose bezeichnen oder handelt es sich vielmehr um einen Überbegriff für unterschiedliche Formen des Schwindels, die im Alter besonders häufig auftreten?
Prof. TEMMEL: Der Begriff Schwindel umfasst eine Vielzahl von Erkrankungen. Der französische Arzt Noël-FrancoisOdon Guéneau de Mussy bezeichnete bereits im Jahr 1874 den Schwindel als Bewegungsillusion. Das Gleichgewichtssystem stellt nämlich kein anatomisch oder funktionell geschlossenes System dar – im Gegensatz zum Sehen oder Hören –, sondern ist das Produkt
der Informationen des vestibulären, optischen und propriozeptiven Systems. Kommt es zu einer Schwäche oder einem Ausfall eines Systems, führt dies zu einem „ Datenkonflikt“ und damit zu einer Störung der Orientierung im Raum oder einer fälschlichen Wahrnehmung von Bewegungen. Unter dem Begriff Presbyvertigo wird häufig ein unspezifischer Schwindel verstanden. In der offiziellen Nomenklatur der Bárány Society, jener Gesellschaft, die die Leitlinien international herausgibt, gibt es diesen Begriff nicht. Am ehesten lässt sich der Presbyvertigo unter „Persistent PosturalPerceptual Dizziness“, abgekürzt mit PPPD, einordnen. Dies ist ein Syndrom, welches Symptome zusammenfasst, die im deutschsprachigen Raum unter den unterschiedlichsten Begriffen geläufig waren und immer noch sind: phobischer Schwankschwindel, Benommenheitsschwindel, Angstschwindel, psychischer Schwindel, diffuser Schwindel, HWS-Schwindel oder Schwindel ohne Befund. PPPD ist sozusagen die Nachfolgebezeichnung für den phobischen Schwankschwindel und in die Internationale Klassifikation von Krankheiten als ICD-11 aufgenommen. Insbesondere
der Begriff „phobisch“ war aufgrund der neuesten Erkenntnisse nicht mehr zeitgemäß. Es bleibt aber abzuwarten, ob sich der Begriff PPPD – oftmals mündlich auch Triple-PD genannt – gegen die geläufigen Begriffe durchsetzen kann.
Welche Arten des Schwindels betreffen ältere Menschen am häufigsten?
Grundsätzlich kann jede Schwindelform in jedem Alter auftreten. Die häufigste Schwindelform ist der Schwankschwindel. Das heißt, eines der Systeme, die den Input für das Gleichgewicht geben, ist gestört und es kommt zu einer falschen Wahrnehmung. Die Folge ist, dass das Output-System eine nicht notwendige Ausgleichsbewegung (Ausfallschritt) veranlasst, und der Betroffene schwankt. Die zweithäufigste Schwindelform ist der phobische Schwindel. Das bedeutet: Der Betroffene hat das Schwanken, die Unsicherheit oder einen Sturz so abgespeichert, dass er Angst vor einem Sturz hat. Dies nennt man „ Fear of falling“ (FOF).
Was ist bei der Diagnosestellung besonders zu beachten?
Das Wichtigste ist, dass man immer daran denkt, dass alle Schwindelformen in jedem Alter auftreten können. Man sollte sich bei der Diagnostik nicht auf das Geburtsjahr verlassen und aufgrund der Wahrscheinlichkeitsstatistik andere als die beiden Formen Schwank- und phobischer Schwindel außer Acht lassen.
Ist es sinnvoll, die Patient:innen aufzufordern, ein Schwindeltagebuch zu führen?
Ja, ein Schwindeltagebuch ist sehr sinnvoll. Es ist ein Teil der Anamnese, und diese stellt den Hauptteil der Diagnostik dar. Aufgrund der Anamnese können rund 70 bis 80 Prozent der Diagnosen bereits ausgeschlossen werden. Die apparative Diagnostik dient dann der Bestätigung der Verdachtsdiagnose.
Um Schwindel gezielt zu therapieren, stehen verschiedene Antivertiginosa zur Verfügung. Wann können diese verordnet bzw. wie oft und wie lange können diese angewendet werden?
Die Antivertiginosa der BenzhydrilGruppe, H1-Rezeptor-Blocker, und jene der Phenothiazin-Gruppe, also Dopamin-Rezeptor-Blocker, werden im Akutstadium eingesetzt. Sie wirken vor allem gegen Übelkeit und Erbrechen. Beim Einsatz von Dopamin-RezeptorBlockern muss man auch bedenken, dass sie die zentrale Kompensation verzögern. Betahistin wird ebenfalls gerne verordnet, hier läuft momentan eine Dosisfindungsstudie. Es scheint, dass eine deutlich höhere Dosis vor allem bei Morbus Menière einen sehr guten Effekt hat. Zu beachten ist aber, dass viele dieser Medikamente beim älteren Menschen ein bereits kompensiertes Gesamtsystem stören können. Als Nebenwirkungen werden bei den Antivertiginosa Xerostomie, Schläfrigkeit, Libidoverlust, extrapyramidale Symptome, Dyskinesien, Gewichtszunahme, Halluzinationen, depressive Zustände und Hepatotoxizität beschrieben.
Welche Rolle spielen Phytotherapie und/oder Homöopathie bei der komplementären Behandlung von Schwindel?
In der Phytotherapie werden hauptsächlich Ginkgo und Ingwer verwendet. Ginko bewirkt eine Zunahme der Konzentration von Acetylcholin und verbessert die kognitiven Parameter und die geistige Leistungsfähigkeit, vergleichbar mit Acetylcholinesterasehemmern. Andere Eigenschaften, die bei Ginkgo beschrieben werden, sind die Neuroprotektion (Bilobalid), die Förderung der zerebralen Neurotransmission, die Minderung altersbedingter Neurotransmissionsdefekte und die Verbesserung der Fließeigenschaften des Bluts durch die Flavonoide. Ingwer wird hauptsächlich wegen der
antiemetischen Wirkung eingesetzt. Er wirkt direkt auf den Magen-DarmTrakt, der exakte Wirkmechanismus ist nicht geklärt. Es wird ein Antagonismus von Serotonin-Typ-3-Rezeptoren angenommen.
Eine weitere Pflanze ist Anamirta cocculus. Das sind die Kokkelskörner, die schon in der frühen Schifffahrt von Seeleuten gegen Übelkeit gekaut wurden. Sie sind ebenfalls in Tropfen und Tabletten gegen Schwindel enthalten. In einer Metaanalyse wurde die Intensität und Dauer von täglichen Schwindelattacken bei Patienten untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass diese Präparate im Vergleich zu Betahistin, Dimenhydrinat sowie Ginkgoextrakt eine wirksame und sichere Alternative darstellen. In Hinblick auf den älteren Patienten und seine häufige Polypharmazie können diese Präparate sicher eingesetzt werden.
Das Gespräch führte Margit Koudelka.
Quelle:
1 Iglseder B et al., Schwindel im Alter, ÖAZ 11 2015, 24-30.
Ernährungswissenschaft und TCM –quantitative versus qualitative Ausrichtung
GASTAUTORIN: Dr.in Claudia Nichterl Ernährungswissenschafterin, Gründerin der Akademie für integrative Ernährung, integrativeernaehrung.com
Auf den ersten Blick scheinen zwischen der westlichen Ernährungswissenschaft sowie der Ernährung und Diätetik der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) große Gegensätze und Widersprüche in Bezug auf Verständnis und Anwendung zu bestehen. Die heute im Westen üblichen Nährstoffanalysen von Lebensmitteln sind vor allem quantitativ ausgerichtet und biochemisch aufgeschlüsselt – Essen
beschränkt sich nach westlicher Auffassung auf die Zufuhr von Nährstoffen. Krankheiten und pathologische Störungen sollten vermieden werden, indem man Normwerte aufrechterhält oder wiederherstellt. Dazu bekommen Verbraucher mittels Tabellen und Broschüren Informationen, was gesunde und ungesunde bzw. gute und schlechte Lebensmittel oder ihre Inhaltsstoffe sind. Bleibt bei einer derart strukturierten und standardisierten Ernährung die erwartete Wirkung aus oder werden bestimmte Normwerte trotz befolgter Anweisung nicht erzielt, wundert sich die Patientin, der Patient – wo doch alles zunächst so logisch erscheint. Der Verstand bzw. die rationale Logik dominiert. Der Bauch – die „ M itte“ – mit
seiner Intuition in Hinblick auf richtiges Essen bleibt häufig auf der Strecke.
Die TCM inklusive der Fünf-ElementeErnährung geht hier andere Wege. Mit ihrer qualitativen Ausrichtung und dem Konzept der „L ebenspflege“ kann sie eine Therapie ideal ergänzen. Die FünfElemente-Ernährung stellt die subjektive Befindlichkeit des Menschen, Genuss und Freude in den Vordergrund – sie verbietet nichts, setzt keine Dogmen, sondern zeigt einen Weg zu mehr Wohlbefinden. Im Gegensatz zur westlichen Ernährungswissenschaft spricht sie nicht von „gesund“ oder „u ngesund“, sondern von einem „ Zuviel“ oder „ Zu-
wenig“ Als Basis für das Verständnis wie auch für die Anwendung der chinesischen Ernährung und Diätetik fungiert das energetische Konzept Qi (Lebensenergie). Störungen der Versorgung, Verteilung oder des Gleichgewichts führen zu unterschiedlichen Disharmonie-Mustern bzw. Krankheiten. Eine zielgerichtete Ernährung wirkt aufgrund ihrer qualitativen Eigenschaften diesen Ungleichgewichten entgegen. Die Lebensmittel werden nach traditionellen Kriterien charakterisiert und eingeteilt. Besondere Berücksichtigung finden dabei die Wirkqualitäten wie das Temperaturverhalten – kühlend, erfrischend, neutral, wärmend, stark wärmend – und die Geschmacksrichtung. Ergänzend werden die Lebensmittel nach ihrer spezifischen Wirkung auf die Funktionskreise, also die Organe, und nach ihrem Bezug zu ihnen eingeteilt.
Bekömmlichkeit im Fokus
Auf viele westliche Mediziner wirken Begriffe wie Verdauungskraft, Qi oder Yin und Yang befremdlich. Ich bin mir dessen bewusst, dass diese Begrifflichkeiten bei uns wissenschaftlich nicht haltbar sind, weiß aber, was in der Praxis funktioniert. Dazu einige Beispiele zwecks Veranschaulichung:
Rohkost. Ob Übergewicht, Allergien, Unverträglichkeiten, Rheuma oder Bluthochdruck: Kalte Mahlzeiten mit hoher Energiedichte (meist fett-, kohlenhydratund zuckerhaltig) können viele Beschwerden verursachen. Wenn täglich nur eine warme Mahlzeit mehr am Tisch stünde, wären viele Herausforderungen bereits erfolgreich bewältigt. Im Beratungsprozess berichten Betroffene, meist Frauen, von Kältegefühlen und Verdauungsproblemen. Die Anamnese zeigt, dass diese Personen viel Rohkost, gesundes Obst und Gemüse, Joghurt, zahlreiche Käsebrote, Salate zu sich nehmen. Daraus resultieren Blähungen, Müdigkeit, ein Völlegefühl und das Wohlbefinden ist nicht so, wie es sein sollte – trotz dieser vermeintlich gesunden Kost mit vielen Nährstoffen. Ich erkläre den Betroffenen dann das sogenannte Kochtopf-Modell (siehe INFO, S. 54) und ermuntere sie, einmal in sich „h ineinzuspüren“. Wie fühlt es sich an, eine rohe Karotte zu essen? Wie fühlt sich das im Bauch an? Und dann zum Vergleich eine warme, cremige Karottensuppe? 100 Prozent der Personen antworten sinngemäß: Das ist weich, angenehm, es wärmt … Oft folgt noch: Ich mag Suppen sehr gerne, sie tun mir gut. Meine Frage: Warum essen Sie sie dann nicht öfter? Und schon sind wir in einem konstruktiven Beratungsgespräch.
Meine Patienten können:
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3. Analysen & Reports ansehen, und z.B. als PDF per E-Mail teilen oder ausgedruckt mitnehmen.
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Milchprodukte. „ Zweimal täglich Milchprodukte“ empfiehlt die Ernährungswissenschaft. In der Ernährungslehre der TCM spielen Milch und Milchprodukte eine eher untergeordnete Rolle. Milch wird dem Erdelement zugeordnet, sie ist also vom >
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Hausärzt:in extra
Geschmack süß und thermisch neutral. Sie tonisiert Qi und Blut, befeuchtet und verbessert die Gleitfähigkeit im Darm. Milch wird also durchaus therapeutisch eingesetzt, u. a. bei Verstopfung, bei YinMangel oder auch bei Diabetes. Joghurt und Sauermilchprodukte wirken thermisch kühlend und sind daher wichtig, wenn jemand eine Erfrischung benötigt, zudem unterstützen sie den Aufbau von Blut und Säften. Diese Eigenschaften sind beispielsweise bei Hitzewallungen in der Menopause oder bei Bluthochdruck erwünscht, vorausgesetzt, die „ M itte“ (Verdauungskraft) ist stark und in der Lage, ein kühlendes Lebensmittel zu transformieren – ggf. wird das Milchprodukt in einer Rezeptur klug kombiniert, z. B. gekochte Hirse mit Gemüse und dazu Kräuterjoghurt. Als problematisch wird Milch dann erachtet, wenn ein starker Qi-Mangel (Verdauungsschwäche) vorliegt oder Schleim und Feuchtigkeit ein Thema sind. Längerfristig oder übergangsweise rät man Betroffenen dann vom Milchkonsum ab.
Brot. Die TCM arbeitet mit Grundnahrungsmitteln, die regional, saisonal, einfach, frisch und überall verfügbar sind. Brot ist – wie Nudeln – bereits eine Zubereitung, ein verarbeitetes Produkt, eine Rezeptur. In der TCM wird Getreide hochgeschätzt, es stellt die Basis dar, um die „ M itte“ zu stärken. Fakt ist, dass gekochtes Getreide, etwa Grießbrei oder gekochte Hirse, im Vergleich zu Brot bekömmlicher ist. Es enthält mehr Wasser, was den Vorteil hat, dass es die Sättigung gut unterstützt. Die „ M itte“ ist mit den heute (zu) häufigen trockenen Mahlzeiten ohnehin überfordert. Viele Menschen haben einen chronischen Yin-Mangel, d. h. zu wenige Säfte, und der Verzehr von trockenen Mahlzeiten verstärkt diese Problematik. Deshalb belasten laut TCM trockene Mahlzeiten den Körper, sie verstärken Hitzegefühle und Unwohlsein im Bauch.
Das Kochtopf-Modell ist eine bildhafte Beschreibung des Verdauungsvorgangs. In der TCM vergleicht man die Verdauungskraft mit einem Ofen. Diesen gilt es in Gang zu halten, denn er trägt dazu bei, dass das, was wir essen, in Energie (Qi) umgewandelt wird. So bleiben wir leistungsfähig, stärken unsere Lebensfreude und beugen Krankheiten vor. Zur Veranschaulichung:
Der Kochtopf steht für die Mitte, also Magen und Milz. Hier kommt alles hinein, was man zu sich nimmt. Die Aufgabe des Magens ist es, die Nahrung und ebenso Reize aus der Umwelt aufzunehmen und umzuwandeln. In der Milz wird dann alles vom Magen Aufgenommene in Qi transformiert und im Körper verteilt.
Dieser Topf kommt nun auf eine Feuerstelle. Das Feuer steht für die Nieren. Je nach Stärke der Nierenenergie (Nieren-Yang) ist die Flamme eher klein oder groß. Der Inhalt des Topfes muss nun zum Kochen gebracht werden. Erst dann kann Dampf aufsteigen.
Der Dampf kondensiert am Deckel und fließt wieder zurück in den Topf. Dieser Dampf ist das Nahrungs-Qi, das sich mit dem Qi aus der Atemluft vermischt und von der Lunge im Körper verteilt wird.
ERKLÄRUNG ZU DEN BEZEICHNUNGEN
Nach der westlichen Medizin und unserem heutigen Forschungsstand gehört die Milz zum Immunsystem und ist nicht dazu da, die Verdauung zu steuern. Der Grund für diese Widersprüchlichkeit liegt weit in der Vergangenheit. Westliche Mediziner:innen begannen sehr früh mit dem Sezieren von Leichen. Im Gegensatz dazu war die TCM zwar sehr wirksam, aber sie hatte keine Ahnung, wie es im Inneren des Körpers aussah. Die Funktionssysteme bekamen Namen, die später (zum Teil falsch) den Organen zugeordnet wurden. Würde man bei uns chinesische Namen statt der Bezeichnungen Milz und Magen verwenden, könnte manches Missverständnis vermieden werden. Wenn die „Mitte“ durch zu kalte Ernährung (Rohkost, Südfrüchte, Milchprodukte), aber auch Süßigkeiten oder häufiges Fasten und Diäten geschwächt ist, dann läuft die Umwandlung unvollständig ab und es entstehen „Schleim“ und „Feuchtigkeit“. Auch dieser Zustand ist nicht wörtlich zu verstehen. Damit ist die verminderte Resorptionsfähigkeit des Verdauungstraktes gemeint. Diese Verschleimung oder Feuchtigkeit äußert sich in Übergewicht, schwammigem Gewebe, Zellulitis, häufigen Nebenhöhlenentzündungen, aber auch in Müdigkeit und Abgeschlagenheit.
Übrigens: Im Denken der TCM ist das Frühstück eine der wichtigsten Mahlzeiten des Tages. Und das stimmt mit der westlichen Ernährungswissenschaft überein, aber auch mit der heimischen Volksweisheit „Iss morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler“ Der Körper ist in der Nacht mit der Aufrechterhaltung der Körperfunktionen beschäftigt und diese verbraucht körpereigene Energie. Die Kohlenhydratspeicher sind am Morgen daher leer und die natürliche Reaktion ist ein Hungergefühl. Mit der Morgenmahlzeit sollten 25 bis 30 Prozent der Tagesenergiemenge zugeführt werden. Die TCM erklärt den Wert des Frühstücks mit der „Organuhr“: So gibt es bestimmte Zeiten, zu denen die Verdauungsorgane in maximaler Energiefülle sind – dann ist es günstig, zu essen. Zu Zeiten minimaler Energie sollte man nur wenig oder nicht essen. Die Funktionstüchtigkeit wird durch den „Qi-Fluss“ (Energiefluss) ausgedrückt, der zwischen 5 Uhr morgens und 11 Uhr vormittags in den Verdauungsorganen am stärksten ist. Ein Beleg für diese Funktion ist etwa der morgendliche Stuhlgang. Aufgrund jener Aktivität kann das Essen in dieser Zeit am schnellsten und umfassendsten verwertet werden. Umgekehrt verhält es sich abends: Abendessen am besten vor 18 Uhr oder mindestens drei Stunden vor dem Schlafengehen, denn laut TCM ist zwischen 19 und 21 Uhr die „M inimalzeit“ des Magens.
Integrative Ernährung
Von Claudia Nichterl Springer Verlag 2022
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Frau Maria M. (53) möchte in drei Monaten eine Fernreise unternehmen und beim Bergsteigen Höhen bis zu 4.500 m erreichen. Sie hat Bedenken wegen ihrer sechs Monate zurückliegenden COVID-Erkrankung und sucht eine spezialisierte Beratung.
OA KIENBACHER: Generell sollten alle medizinischen Problemfelder bei einer höhenmedizinischen Beratung berücksichtigt werden und daher nach genauer Anamnese ein problemorientierter Untersuchungsgang erfolgen. Bei Frau M. empfiehlt sich neben einer Überprüfung der Lungenfunktion eine kardiovaskuläre Abklärung. Am Ende der Untersuchung steht die Ausstellung eines Attestes, um das die Reise- und Expeditionsanbieter oftmals bitten. Als häufige medizinische Probleme sind kardiovaskuläre Ereignisse, Höhen-
krankheit, Infektionen, Verletzungen und Höhenstrahlung zu nennen. Spezialisierte internistische Fragestellungen betreffen z. B. pulmonale Hypertension, Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Antikoagulation, Diabetes, Anämie, Asthma/COPD, Nierenerkrankungen und gastroenterologische Leiden. Diese gilt es in Abklärung, Beratung und Zusammenstellung der Packliste/Rucksackapotheke individualisiert einzubeziehen.
Die Beratung erfolgt in Hinblick auf Höhenstufen (moderate Höhen: bis 3.000 m, große Höhen: bis 5.500 m, extreme Höhen: ab 5.500 m). Die Wissensvermittlung in puncto Risikofaktoren, Vorbeugung (Akklimatisierung), Krankheitssymptome und korrekter Reaktion bezüglich der Höhenkrankheiten (akute Bergkrankheit, Höhen-
Herausgeber und Medieninhaber: RegionalMedien Gesundheit – RMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien, Tel. 01/74321708114, office@gesund.at. Geschäftsführung: Mag.a Birgit Frassl, Marlis Rumler. Redaktionsleitung: Mag.a Karin Martin. Redaktion: Mag.a Karin Martin, Anna Schuster, BSc, Mag.a Ines Pamminger, BA, Margit Koudelka, Marcel Toifl. Lektorat: Mag.a Katharina Maier. Produktion & Grafik: Angie Kolby. Cover-Foto: shutterstock.com/S1001.
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Verlags- und Herstellungsort: Wien.
Grundlegende Richtung: Unabhängige österreichische Fachzeitschrift für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.
Die HAUSÄRZT:IN – Praxis-Magazin für Primärversorgung –ist ein interdisziplinäres Informations- und Fortbildungsmedium.
EXPERTE:
OA Ing. Mag. Dr. Christian Kienbacher FA für Innere Medizin, Gastroenterologie & Hepatologie, Notarzt und Höhenmediziner, Psychologe, healthconcept.at
lungen- und Höhenhirnödem) legt hierfür die Basis (Lake-Louise-Score). Sportmedizinische Inhalte – wie eine Trainingsplanung bis zur Abreise –ergänzen die Vorbereitung. Die Verwendung von Hypoxietechnologien zur Vorakklimatisation für größte Höhen kann erwogen werden. Für extreme Höhen sollte Mentaltraining zur Zielerreichung vermittelt werden. Darüber hinaus erfolgt eine antizipative Beratung hinsichtlich verminderter Denkleistung unter Hypoxiezuständen und möglicher Tools, diesen situativ zu begegnen.
Prinzipiell können Menschen mit internistischen Vorerkrankungen wandern und bergsteigen. Mit entsprechender Abklärung, Beratung und einem „ Notfallplan“ ist es ihnen möglich, auch Touren in größere Höhen zu bewältigen.
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Bei einem Pressegespräch in Wien anlässlich des internationalen AwarenessMonats Blutkrebs im September diskutierten namhafte Expert:innen neueste Therapiefortschritte. Deutliche Verbesserungen wurden u. a. bei Chronischer Myeloischer Leukämie, aber auch bei anderen myeloproliferativen Neoplasien realisiert. Das Multiple Myelom hat u. a. dank der Strategie „Beste Therapien zuerst“ viel von seinem Schrecken verloren. „Das Spektrum neuer Behandlungsan-
sätze beinhaltet effektive Optionen für nahezu jedes Krankheitsstadium“, betonte Univ.-Prof.in Dr.in Gabriela Kornek, Ärztliche Direktorin des AKH Wien, Präsidentin des Vereins „L eben mit Krebs“ Für Betroffene bringe das eine deutlich bessere Chance auf ein langes Überleben bei guter Lebensqualität.
Vorschau: Für Patient:innen und Interessierte veranstaltet der Verein am 27.9., von 17-19 h, einen Infoabend im Apothekertrakt vom Schloss Schönbrunn.
Die Expert:innen beantworten nach den Vorträgen Publikumsfragen. Der Eintritt ist frei. Teilnahme auch via Livestream möglich. Anmeldung: bit.ly/Hämatologie. Quelle & nähere Infos: leben-mit-krebs.at
Einladung der Gesellschaft der Ärzte in Wien & der Karl Landsteiner Gesellschaft
Artificial Intelligence in der Medizin –wie man Segen erhält und Fluch verhindert, 4. Oktober 2023
Anlässlich des 200. Geburtstags von „T he Lancet“ findet ein Symposium statt (die Gesellschaft beherbergt im Billrothhaus ab der Erstausgabe vom 5. Oktober 1823 alle Ausgaben des Lancet). Renommierte Redner:innen bringen dabei die Entwicklungen, Möglichkeiten und Herausforderungen der Artificial Intelligence in der Medizin zur Diskussion.
Die Wiener Medizin und der akademische Antisemitismus –1848 bis 1938, 11. Oktober 2023
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938 kam es zu einer systematischen Vertreibung jüdischer Lehrender und Studierender. Antisemitisches und deutschnationales Gedankengut war jedoch schon lange davor innerhalb der Wiener Medizin verbreitet. Die Veranstaltung widmet sich der Aufarbeitung dieser Periode.
14. Landsteiner Tag: Onkologie, 7. November 2023
Im Rahmen der Veranstaltung stehen die Themen Antihypertensiva & Krebsrisiko, Lungenkarzinom, Leukämie und HPV-assoziierte Veränderungen an der Zervix uteri im Fokus. Angesprochen sind alle medizinischen Fachbereiche.
Der Eintritt zu den Hybridveranstaltungen ist frei. Infos und Anmeldung unter: billrothhaus.at & karl-landsteiner.at
Quellen: Gesellschaft der Ärzte in Wien & Karl Landsteiner Gesellschaft