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Der Übergang zwischen Angst und Angsterkrankung ist fließend“

„Der Übergang zwischen Angst und Angsterkrankung ist fließend“

Über den Einfluss exogener Faktoren und die Wichtigkeit, die eigenen Ängste selbst(-bestimmt) zu bewältigen

© feelimage Matern

Prim. Dr. Georg Psota, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Chefarzt des Kuratoriums für Psychosoziale Dienste in Wien, im Gespräch.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen und weltpolitischen sowie gesellschaftlichen Lage spricht Prim. Dr. Georg Psota im Interview mit der Hausärzt:in über die Prävalenz psychischer Erkrankungen. Im Fokus: Angsterkrankungen.

HAUSÄRZT:IN: Haben psychische Erkrankungen, insbesondere Angsterkrankungen, in den vergangenen Monaten zugenommen?

Prim. PSOTA: Zunächst ist es sehr wichtig, klar zwischen realistischer bzw. angemessener Angst und Angsterkrankungen zu unterscheiden. Pandemie, Klimakrise, Teuerungen und Krieg sind natürlich mit einem gesteigerten Ausmaß an Ängsten, Sorgen und innerer Unruhe seitens der Menschen verbunden. Ein erhöhter Stresslevel ist in derartigen Zeiten völlig adäquat und nicht grundsätzlich und automatisch als krankhaft zu werten. Angst ist eine menschliche Basisemotion und an sich nichts Negatives – natürlich aber nicht zu verharmlosen. Denn chronischer Stress ist ungesund – sowohl für die Psyche als auch für den Körper. Chronisch Angst zu haben und innerlich unruhig zu sein, bedeutet allerdings nicht zwingend, dass man an einer psychischen Erkrankung, einer Angsterkrankung oder einer Depression leidet. Es ist durchaus angemessen, unter den derzeitigen Umständen psychisch unruhig und angespannt zu sein oder schlechter zu schlafen.

Angst ist also eine angebrachte Reaktion auf die aktuellen Gegebenheiten, aber nicht automatisch eine Erkrankung?

So ist es. Angst ist sogar ein ganz wesentlicher Überlebens-, Reaktions- und Präventionsmechanismus. Bis zu einem gewissen Ausmaß wirkt Angst motivierend und animiert die Menschen in Krisensituationen dazu, Lösungen zu finden, um – auf ganz basale Dinge heruntergebrochen – ihr Überleben zu sichern. Mit einer gewissen Übertreibung kann man sagen, dass wir alle Abkömmlinge eher ängstlicher Vorfahren sind. Wir sind sozusagen die Erben der Vorsichtigen. Unsere angstfreien Vorfahren hatten keine Kinder, standen bei Kriegen an vorderster Front und haben nicht überlebt. An dieser Stelle würde ich mir im Übrigen mehr „angstfähige“ Politiker wünschen. Denn mit dem nötigen und gesunden Ausmaß an Angst würden wohl viele Dinge anders laufen.

Welche konkreten Reaktionen kann Angst auslösen?

Es gibt drei Reaktionsmöglichkeiten: flüchten, erstarren oder kämpfen („flight“ , „freeze“ , „fight“). Letztere Option, also das, was einem Angst bereitet, zu bekämpfen, ist meines Erachtens empfehlenswert. Natürlich kann es in manchen Situationen auch sinnvoller sein, etwa die Flucht zu ergreifen.

„Bei Menschen, die bereits unter einer Angsterkrankung leiden, besteht angesichts des aktuellen Levels von allgemein vermehrten Stresszuständen und Zukunftssorgen die Gefahr einer Verstärkung.“

Inwiefern wirken sich nun die derzeitigen emotionalen (Zusatz-)Belastungen auf den Alltag der Menschen aus?

Bei Menschen, die bereits unter einer Angsterkrankung leiden, besteht angesichts des aktuellen Levels von allgemein vermehrten Stresszuständen und Zukunftssorgen die Gefahr einer Verstärkung. Patienten mit einer generalisierten Angsterkrankung etwa befinden sich ohnehin bereits in einer Art dauerhaftem Alarmzustand. In dieser Verfasstheit können die derzeitigen Umstände zu einer gesteigerten Anspannung, zu (noch) stär- >

keren Nacken- und Rückenschmerzen, einer verminderten Immunabwehr und geringerer allgemeiner Resilienz führen. Internationale Studien zeigen allerdings, dass auch für psychisch gesunde Personen unter anhaltenden Ängsten und Sorgen ein erhöhtes Risiko besteht, eine Angsterkrankung oder Depression zu entwickeln.

Wann gelten Ängste als krankheitswertig?

Der Übergang von Angst zu Angsterkrankung ist fließender, als man denkt. Es gibt grundsätzlich unterschiedliche Formen der Angsterkrankung, die nicht über einen Kamm zu scheren sind. Um eine Angsterkrankung handelt es sich mit Sicherheit dann, wenn das Gefühl der Angst den betroffenen Menschen ohne äußeren Umstand, ohne unmittelbaren oder objektiven Anlass völlig dominiert – und zwar tagtäglich. Dann ist meist auch ein bestimmter Leidensdruck überschritten. Die physischen Symptome und zugleich objektiven Parameter einer Angsterkrankung reichen von Irritationen des Schlafrhythmus bis hin zu vegetativen Irritationen – darunter Hypertonie, erhöhter Puls und permanente physische Angespanntheit. Je nach Form der Angsterkrankung stehen unterschiedliche psychische Symptome, die ebenfalls objektivierbar sind, im Vordergrund. Dazu zählen etwa permanente Sorgen, heftige Panikattacken oder ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten im Hinblick auf Sozialkontakte und/oder Örtlichkeiten.

Wann sollten Allgemeinmediziner:innen hellhörig werden?

Auf jeden Fall dann, wenn die Patientin, der Patient von Veränderungen im Umgang mit bestimmten Situationen berichtet. Das ist dann zumeist auch jener Zeitpunkt, zu dem – je nach Art der Angsterkrankung – objektive Parameter anwendbar werden: Es kann zu Schlafstörungen kommen oder das Vermeidungsverhalten im Hinblick auf andere Personen und/oder Situationen ist auffällig ausgeprägt. Beispielsweise dann, wenn sich eine Patientin, ein Patient vor lauter Angst, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken, nicht mehr außer Haus wagt. Und ich spreche hier nicht von Patientinnen und Patienten, die bereits einen schweren Verlauf von COVID-19 durchgemacht haben. Die Praktikerin, der Praktiker sollte in dem Moment hellhörig werden, in dem sie, er merkt, dass sich etwas verändert hat und einer Patientin, einem Patienten die Kontrolle über ihre, seine Ängste entgleitet.

Welche Behandlungsoptionen stehen zur Verfügung?

Die einfachste Option wäre die Verschreibung eines Tranquilizers. Doch dies wäre auch die heikelste Option, da hier das Risiko besteht, dass sich daraus Gewöhnung und Abhängigkeit bzw. Sucht entwickeln. Abgesehen davon braucht der Mensch letztlich die Chance und Gelegenheit, seine Angst mit eigener Kraft überwinden zu können. Denn das ist der einzige Weg, mit Ängsten langfristig zurechtzukommen. Natürlich ist die Gabe eines Entspannungsmittels, das nicht abhängig macht, in Erwägung zu ziehen – insbesondere auch, um auf ärztlicher Seite die Bearbeitungsmöglichkeit zu erhalten und der Patientin, dem Patienten die Chance zu geben, die eigene Angst nach und nach selbst zu bewältigen. In bestimmten Fällen, zum Beispiel bei heftigen Panikattacken, sind natürlich auch beruhigende oder angstlösende Arzneimittel etwa aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine notwendig bzw. indiziert. Denn die absolute Panik schadet und macht es unmöglich, den Alltag zu meistern.

Welche Form der Psychotherapie ist bei Angsterkrankungen empfehlenswert?

Bei stark ausgeprägten Angsterkrankungen mit massiver Beeinträchtigung empfiehlt sich zunächst auf jeden Fall eine Überweisung an die Fachärztin bzw. den Facharzt. In puncto Therapieform stehen grundsätzlich mehrere Optionen zur Verfügung. Laut Datenlage ist die Verhaltenstherapie – in unterschiedlichsten Varianten – am vielversprechendsten. Ebenfalls geeignet ist die Methode des Neurofeedbacks, also eines Biofeedbacks der Gehirnaktivität. Dabei wird die Hirnaktivität auf einem Monitor sichtbar gemacht, sodass die Patientin, der Patient diese in gewünschter Weise beeinflussen kann, um Ängste zu lindern und Entspannung herbeizuführen.

Was möchten Sie persönlich den Menschen in der aktuellen Lage mit auf den Weg geben?

Krempeln Sie die Ärmel hoch und kämpfen Sie – gegen Ihre Ängste und für ein friedlicheres Miteinander. Denn zu kämpfen ist gerade in schwierigen Zeiten in aller Regel eine gute Option.

Lisa Türk, BA

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