
3 minute read
Erschöpft und krank
Wie sich der Gefahr, im Arztberuf auszubrennen oder somatisch zu erkranken, begegnen lässt
Lange Arbeitszeiten, eine große Verantwortung, der oftmals enorme Leistungsdruck und wenige Ausgleichsmöglichkeiten: Das sind bloß einige von vielen verschiedenen Faktoren, die für die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten eine Herausforderung darstellen. Die Coronapandemie hat die Situation vielerorts verschärft: Um ihre Patientinnen und Patienten gut versorgen zu können, gehen Berufsangehörige oftmals bis an ihre Grenzen und darüber hinaus. Die eigene Gesundheit bleibt dabei freilich leicht auf der Strecke. Selbstdiagnostik und -therapie sowie ein ausgeprägter Präsentismus sind weit verbreitet. Die Stiftung Arztgesundheit (Deutschland) weist Infektionen, körperliche und psychische Überlastung, Traumatisierung, Suchterkrankungen und Suizide als größte Risikofaktoren für Mediziner aus.1 Aufgrund der beruflichen Belastungen werden eigene Erkrankungen oft zu spät erkannt und therapiert. Darunter leidet früher oder später auch die Qualität der Patientenversorgung.
Hass, Hetze & viel Erklärungsbedarf
Hinzugekommen sind in den letzten Jahren Hass, Hetze und Gewalt gegen
Medizinerinnen und Mediziner, die sich z. B. rund um Coronaimpfungen engagieren. Welch fatale Folgen eine derartige Terrorisierung haben kann, macht das traurige Beispiel der oberösterreichischen Ärztin Dr.in Lisa-Maria Kellermayr deutlich. Nach monatelangen Bedrohungen sah sie heuer im Sommer keinen anderen Ausweg als Suizid. Gerüchte und gezielte Desinformation in den sozialen Medien werden wohl auch in diesem Herbst und Winter die Gesellschaft spalten. Nur eine nachhaltig gesunde Ärzteschaft wird den immer größeren Herausforderungen gewachsen sein können. Hier spielt auch der Wandel hinein, den die Profession an sich erlebt. Früher stand die Autorität des Arztes außer Frage, doch die Erwartungen der Patienten haben sich inzwischen geändert: Sie sind sich ihrer Rechte und Ansprüche viel mehr bewusst und haben einen leichteren Zugang zu Informationen, darunter bekanntlich vielen Halb- und Unwahrheiten im Netz. Auch wenn die derzeitige Generation der Jungärzte in der Regel keine paternalistische Beziehung zu den Patienten mehr anstrebt: Die Patientenautonomie hat ihre Schattenseiten. Die Begegnung auf Augenhöhe kann sehr fordernd sein. Damit gehen oftmals unangenehme und unnötige Fragen einher. Über 50 Prozent der in Österreich lebenden Menschen haben laut Gesundheitsministerium eine zu geringe Gesundheitskompetenz, um Gesundheitsinformationen richtig einzuschätzen und zu verstehen.2 Der Erklärungsbedarf für Ärzte steigt – und damit der Zeitaufwand. Die professionelle Identität kann darunter leiden.
Etwas andere Patient:innen
Ihrer eigenen Vorbildrolle sind sich Ärztinnen und Ärzte im Gros bewusst. Untersuchungen zeigen: Sie verhalten sich gesundheitsbewusster im Vergleich zu anderen Berufsgruppen und nehmen öfter Vorsorgeuntersuchungen wahr.1 Das persönliche Gesundheitsbewusstsein steht allerdings oft in Kontrast zur hohen beruflichen Belastung. Hinzu kommt, dass der Großteil der Ärzteschaft keinen eigenen Hausarzt hat. Viele tun sich schwer damit, die „Patientenrolle“ einzunehmen. Teils zweifeln sie an der Vertraulichkeit und Anonymität der zu konsultierenden Einrichtungen. Die Selbstbehandlung ist eine akzeptierte Kultur unter Ärzten. Es kann aber auch einfach schwer sein, außerhalb der eigenen Arbeitszeit eine offene Praxis zu finden. Alles in allem ist der Arzt ein „etwas anderer Patient“ , der aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit oftmals adaptierte Untersuchungs- und Therapiemöglichkeiten bräuchte. International existieren eine umfangreiche Forschung und sogar Leitlinien zum Thema Ärztegesundheit, z. B. aus Großbritannien3. Empfohlen wird u. a., dass jeder Arzt regelmäßig einen Hausarzt konsultieren sollte. Weiters wird von Selbstdiagnostik und -therapie sowie informellen Konsultationen abgeraten. Darüber hinaus empfiehlt die Leitlinie, Spezialsprechstunden von speziell geschulten „Arzt-Behandlern“ einzurichten. Diese sollten einen vertraulichen Umgang mit den Patientendaten in der jeweiligen Einrichtung, z. B. durch Pseudonyme, gewährleisten. In Österreich sind spezifische Beratungs- und Behandlungsangebote teils für Ärzte mit psychischen Problemen vorhanden (siehe Kasten), während spezielle Angebote für somatisch erkrankte Ärzte noch fehlen.
Mag.a Karin Martin
1 arztgesundheit.de/wp/fakten-studien 2 sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitsfoerderung/Gesundheitskompetenz.html 3 bma.org.uk
ANLAUFSTELLEN DER ÄRZTEKAMMERN IN DEN BUNDESLÄNDERN
In der Steiermark gibt es die Anti-Mobbing-Burn-out-Supervisionsstelle (AMBOSS): aekstmk.or.at/440 (inkl. anonymer Telefonsprechstunde).
Niederösterreich bietet ein Programm für suchtkranke Ärztinnen und Ärzte an. Betroffene werden streng vertraulich bei der unverzüglichen Aufnahme einer qualifizierten stationären oder auch ambulanten Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung unterstützt: arztnoe.at/arzt-sucht
In Wien gibt es das Programm „Physicians Help Physicians“ (aekwien.at/physicians-helpphysicians) sowie eine separate zweite Stelle für Ärztinnen und Ärzte, die von Mobbing, Gewalt, Sexismus und Rassismus betroffen sind (aekwien.at/ombudsstelle-bereiche-mobbing-gewaltsexismus-rassismus).
Darüber hinaus werden gerade verstärkt Angebote zum Themenkomplex Aggression gegen Ärzte geschaffen bzw. ausgebaut.