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Von wegen banal

Infektionen der oberen Atemwege in der Allgemeinpraxis

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Sie steht wieder bevor, die Erkältungszeit, die Zeit des Hustens und Schnupfens, die Zeit der Krankenstände und die Zeit der verzweifelten Suche nach wirksamen Erkältungsmitteln. Bei nur wenigen Krankheitsbildern ist die moderne Medizin so „machtlos“ wie bei Infektionen der oberen Atemwege (URTI – „Upper Respiratory Tract Infection“), aka „der gemeine Schnupfen“ . In diese Kategorie fallen Erkrankungen wie Pharyngitis, Otitis media, Rhinitis, Rhinosinusitis und Tonsillitis. Als wären Influenza und Co nicht schon genug, schummelt sich seit nun bald drei Jahren auch noch das SARS-COV-2-Virus in die Reihen der viralen Infektionserkrankungen und sorgt für rote Hälse und schmerzendes Schlucken. Mit insgesamt 40 % der krankenstandbedingten Abwesenheiten und 17,9 % der Arztbesuche stellt diese Krankheitsgruppe eine der größten in der Allgemeinmedizin dar. Darum scheint es sinnvoll, sich einmal genauer mit ihr zu beschäftigen. Trotz der massiven Zahl betroffener Patientinnen und Patienten ist das Wissen bezüglich der oft als banal abgestempelten Erkrankungen leider häufig nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft.

Rhinovirus klar an erster Stelle

Das Grundlegende vorweg: Im Normalfall werden URTI von respiratorischen Virenstämmen verursacht, nur bei etwa 10 % lässt sich eine bakterielle Ursache finden oder aber es kann auch im Zuge der Erkrankung zu sekundären bakteriellen Superinfektionen kommen. Insgesamt gibt es aktuell ca. 200 Subtypen von Viren, welche es sich gerne in den Schleimhäuten des Homo sapiens gemütlich machen und mit gut 50 % liegen Rhinoviren an erster Stelle. Bei bakteriellen Infektionen haben S. pyogenes die Nase vorn. Manche dieser Keime sind harmloser als andere, doch alle haben eines gemein: Sie führen häufig zu Krankenständen und verursachen jährlich Kosten von mehreren Milliarden Euro. >

Infektionsvermeidung in der Praxis

Der Winter steht vor der Tür und mit ihm naht auch die nächste Grippewelle, welche typischerweise zwischen der sechsten und zwölften Kalenderwoche des Jahres ihren Höhepunkt hat. Doch schon im Herbst bahnt sich ein Anstieg von Infektionen an. Rückblickend auf den Sommer, in dem es zum Teil allein bis zu 16.000 SARSCOV-2-Neuinfektionen pro Tag gab, lässt sich erahnen, was uns in den nächsten Monaten bevorsteht. Daher gilt allgemein: Wo keine Infektion vorhanden, da auch keine Behandlung notwendig – deshalb sollte in erster Linie der individuelle Patient, aber auch der Arzt auf Maßnahmen zur Infektionsprävention setzen. Bereits mehrere Studien haben gezeigt, dass Gesichtsmasken eine effektive und einfache Methode zur Vermeidung von Tröpfcheninfektionen darstellen. Nachweislich fand jedoch der überwiegende Teil der Infektionen in den eigenen vier Wänden statt, wo bekanntlich kaum jemand eine Maske trägt. Deshalb wird das altbekannte Händewaschen sowie Desinfizieren diesen Herbst und Winter so relevant sein wie je zuvor. Weniger bekannt ist: Mäßige, tägliche sportliche Betätigung im Ausmaß von ca. 30 Minuten kann das Infektionsrisiko signifikant – um fast 30 % – senken. Einige Studien zeigen außerdem minimale Effekte bei der Verwendung von Vitamin C zur Vorbeugung von Infektionen, wobei die Wirkung ab 200 mg pro Tag auftritt. Diese Menge kann leicht über die Ernährung auch ohne Ergänzungsmittel aufgenommen werden. Für die drohende Infektionswelle im Herbst und Winter ist daher wesentlich: Hygienemaßnahmen in der eigenen Ordination einhalten und Infektionspatienten zeitlich sowie örtlich separat behandeln, um eine nosokomiale Verbreitung zu minimieren, sowie Patienten schon jetzt auf sinnvolle Präventionsmaßnahmen hinweisen, um ein etwaiges zukünftiges Infektionsrisiko zu minimieren. Wichtig ist darüber hinaus zu erwähnen, dass zum Beispiel das SARS-COV-2-Virus bei idealen Bedingungen (20 °C) maximal 28 Tage lang auf Gegenständen überleben kann und daher auch ein räumliches Hygienekonzept von größter Relevanz ist. Sollte es jedoch einmal versagen und eine Infektion vorliegen, stellt sich die Frage, wie die ideale Therapie für solche URTI aussieht bzw. ob es überhaupt wirksame Behandlungsoptionen gibt. Ja, es gibt sie sehr wohl, die Wundermittel gegen die „gemeine Grippe“ , die Justice League der oberen Atemwege, doch auf Grund der Banalität und der häufig harmlosen Verläufe dieser Erkrankungen scheint immer noch das Grundprinzip des „Aussitzens“ vorzuherrschen.

Das hilft wirklich

Auch wenn URTI prinzipiell keine besonders schweren Verläufe zeigen, sorgen sie doch für Unwohlsein und produzieren deutlich mehr Kosten, weshalb eine adäquate Therapie zur Reduktion der Krankheitsdauer auf jeden Fall indiziert ist. Altbekannte Therapieoptionen mit Zink und Vitamin C deuten auf minimale Verbesserungen hin, doch wissen viele nicht, dass uns eine ganze Palette phytotherapeutischer Optionen zur Verfügung steht, deren Wirkung in Studien belegt werden konnte. Zwei weniger bekannte davon schauen wir uns im Folgenden etwas genauer an. Schon einmal von Maoto gehört? Das aus Japan stammende Gemisch vier pflanzlicher Arzneistoffe (darunter Glycyrrhizin) konnte bereits in einigen EBM-Studien seine Wirksamkeit unter Beweis stellen und zeigte: Es steht antiviralen Medikamenten in nichts nach. Ein In-vitro-Versuch belegte, dass Maoto innerhalb von sechs Stunden die

Virusvermehrung stoppen konnte. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2022 zeigte sogar, dass Maoto signifikante Ergebnisse als Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit COVID-19 erzielte. Darüber hinaus erwies sich Punica granatum aka Granatapfel in Studien als effektives Mittel gegen Grippe und es konnte bestätigt werden, dass sich die Virusreplikation in MDCK-Zellen unterdrücken ließ. Eine weitere Studie mit Hühnern verifizierte die viruzide Wirkung. Elektronenmikroskopischen Analysen zufolge bewirken GranatapfelpoGASTAUTOR: Dr. Martin Hasenzagl lyphenole eine strukturelle Schädigung Arzt für Allgemein- des Virions. medizin im Landesklinikum Lilienfeld „Eine adäquate Therapie zur Reduktion der Krankheitsdauer ist auf jeden Fall indiziert.“

Antibiotika – wann indiziert?

Etwa 50 % der verschriebenen Antibiotikatherapien bei URTI sind fehlindiziert und das befeuert die drohende Resistenzbildung. Oft kommen Patienten mit der Erwartung, eine Antibiotikatherapie zu erhalten, jedoch ist eine solche nach diversen Guidelines erst indiziert, wenn sich die Symptome nach zehn Tagen nicht gebessert oder nach fünf bis sieben Tagen verschlimmert haben. Auch sogenannte Neuraminidasehemmer zur Therapie des Influenzavirus sollten nur mit Bedacht angewandt werden, da sie ebenfalls zur Resistenzentwicklung führen können und vor allem nur gegen Influenzaviren wirksam sind. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass URTI sowohl im Sommer als auch im Winter ständige Begleiter unserer ärztlichen Tätigkeit sein werden und es sich definitiv lohnt, sich genauer mit neuartigen Entwicklungen in diesem Bereich auseinanderzusetzen. <

Quellen: ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK532961 (Updated 2022 Jun 27). Masui S et al., Evid Based Complement Alternat Med. 2017;2017:1062065. Mousa HAL, J Evid Based Complementary Altern Med. 2017 Jan; 22(1): 166–174. Nabeshima A et al., Journal of Infection and Chemotherapy, 2022, DOI: 10.1016/j.jiac.2022.03.014. Bagheri G et al., pnas.org, 2021, DOI: 10.1073/ pnas.2110117118. Nieman DC et al., Br J Sports Med. 2011 Sep;45(12):987-92. contemporaryclinic.com/view/antibiotics-for-acute-urtis cdc.gov/antibiotic-use/clinicians/adult-treatment-rec.html bundesregierung.de: Pandemievorbereitung auf Herbst/

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