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Ein proentzündlicher Zustand

Merkmale und Folgen des alternden Immunsystems

Der natürliche Alterungsprozess betrifft alle Gewebe und Zellen des menschlichen Organismus – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und Geschwindigkeit. Zu den Kennzeichen zellulärer Alterung zählen die Verkürzung von Telomeren, eine zunehmende genetische Instabilität, epigenetische Veränderungen, die Einschränkung der Funktionsfähigkeit von Mitochondrien sowie Veränderungen im Stoffwechsel. Außerdem kommt es zu einer verminderten Regenerationsfähigkeit. Das Immunsystem ist ebenfalls von Alterungsprozessen betroffen, die altersbedingte Immundysfunktion wird auch als Immunseneszenz bezeichnet.

Besonderheit: Inflammaging

Zu den Hauptmerkmalen der Immunseneszenz zählen chronische Entzündungsprozesse, weshalb sich der Begriff „Inflammaging“ etabliert hat. Das „Entzündungsaltern“ wird als mögliche Ursache für viele altersabhängige Erkrankungen – etwa des kardiovas- >

kulären Systems – gesehen, aber auch für die Entstehung von Malignomen und neurodegenerativen Prozessen (mit)verantwortlich gemacht. Es trägt daher wesentlich zur altersbedingten Morbidität bei. Inflammaging ist gekennzeichnet durch eine persistierende Infiltration von Geweben mit Entzündungszellen, v. a. durch jene der angeborenen Immunität. Alternde Zellen entwickeln einen charakteristischen sekretorischen Phänotyp („senescence-associated secretory phenotype“ , SASP), der mit der Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine einhergeht. Dadurch kommt es zu einer Erhöhung der Spiegel proinflammatorischer Botenstoffe in der (Mikro-)Zirkulation. Die Ursache dieses Entzündungsprozesses ist bisher nicht vollständig geklärt: Einerseits führt eine Schwächung der Barriere an der größten Außenfläche unseres Körpers – des Darms – zu einer verstärkten mikrobiellen Translokation und damit zu sogenannten Gefahrensignalen („danger-signals“). Andererseits ändert sich mit dem Lebensalter auch die Zusammensetzung der Darmflora, das sogenannte Mikrobiom. Beide Faktoren konnten in unterschiedlichen Szenarien mit einer verstärkten Immunaktivierung assoziiert werden. Ein weiterer Aspekt ist die Zunahme autoreaktiver T-Zellen mit dem Lebensalter (s. u.). Auch das Fettgewebe spielt für das Inflammaging eine wichtige Rolle: Adipozyten produzieren Adipokine (z. B. Leptin), welche wiederum die Sekretion von inflammatorischen Zytokinen – wie TNF-alpha, IL-6 oder IL-12 – induzieren.

Erworbene vs. angeborene Immunität

Alterungsprozesse im Immunsystem lassen sich am besten am Beispiel der T-Zellen darstellen. Während Neugeborene fast ausschließlich über naive T-Zellen (CD45RA+) verfügen (also über T-Zellen, die noch keinen Antigenkontakt hatten), verschiebt sich die Zusammensetzung im Verlauf des Lebens hin zu einer Dominanz von antigenerfahrenen T-Gedächtniszellen (CD45RO+). Vorläufer-T-Zellen werden im Knochenmark produziert, reifen im Thymus zu T-Zellen heran und müssen ebendort selektioniert werden (Depletion von autoreaktiven T-Zellen = zentrale Toleranz), bevor sie in die Peripherie als (CD31+)-T-Zellen entlassen werden können. Der Thymus beginnt sich allerdings schon im Kindes- und Jugendalter beständig zurückzubilden. Daher erfolgt im weiteren Verlauf die Nachproduktion naiver T-Zellen zum Gutteil durch periphere homöostatische Proliferation (mit unveränderlichem Repertoire) und nicht mehr durch thymische Reifung (Chance auf Erweiterung des Repertoires). Dies ist für CD4-T-Zellen effizienter als für CD8-T-Zellen, weshalb es zuerst zu einem Verlust naiver CD8-T-Zellen kommt. Letztere verlieren auch eher die Expression von wichtigen kostimulatorischen Molekülen wie etwa CD28 und CD27. Durch Involution des Thymus entfällt zudem eine Selektionsbarriere für autoreaktive T-Zellen, was den Anstieg dieser Zellen und damit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Autoimmunphänomenen mit dem Alter erklärt. Gedächtnis(„Memory“)-T-Zellen sind durch die Infektionserfahrungen während unseres Lebens geprägt, wobei unser immunologisches Gedächtnis etwa 40–60 Jahre zurückreicht. Wiederkehrende oder persistierende Infektionen (z. B. CMV) können dabei einen starken Einfluss auf die Zusammensetzung des T-Zell-Repertoires in den differenzierten T-Zell-Subpopulationen (Gedächtniszellpopulationen) haben und dort sogar zu Oligoklonalität führen, während in den restlichen Subpopulationen das Repertoire über unser gesamtes Leben relativ stabil bleibt. Wichtig ist zu vermerken, dass alternde T-Zellen nicht gleichbedeutend sind mit erschöpften („exhausted“) T-Zellen. Letztere haben im Rahmen der nun breit eingesetzten onkologischen Immuntherapien an Bedeutung gewonnen. Alternde T-Zellen weisen zwar eine eingeschränkte Proliferationsfähigkeit auf, sind aber hochdifferenziert und können bei adäquater Stimulierung effizient Effektorfunktionen ausführen. Auch innerhalb der B-Zell-Population lassen sich vergleichbare Veränderungen im Laufe eines Menschenlebens beobachten. Während Kinder zunächst hauptsächlich über naive B-Zellen verfügen, erwerben die Heranwachsenden über die Jahre mehr und mehr Gedächtnis-B-Zellen, die nach neuerlichem Antigenkontakt Antikörper produzieren (= Infektionsschutz). Auch B-Zellen können die Expression von kostimulatorischen Rezeptoren verlieren: Es kommt zu einer sogenannten doppelt negativen (IgD-/CD27-) Population, die für die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen und Autoantikörpern – diese treten vermehrt im höheren Lebensalter auf – verantwortlich gemacht wird. Im Gegensatz zu naiven B-Zellen können diese B-Zellen nicht mehr auf Neoantigene reagieren, sie zeigen eine Reduktion der Antikörperreifung und des Immunglobulin-Klassenwechsels. Auch am angeborenen Immunsystem lassen sich Alterungsprozesse nachweisen, etwa eine verminderte Phagozytose- oder Migrationsfähigkeit. Allerdings sind diese Phänomene noch weit weniger gut studiert.

Autorin: Priv.-Doz.in Dr.in Katharina GrabmeierPfistershammer

Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, MedUni Wien „Alterungsprozesse im Immunsystem haben weitreichende Folgen für den Gesamtorganismus und sind an der Entstehung altersassoziierter Erkrankungen beteiligt.“

Klinische Folgen der Immunseneszenz

Die Auswirkungen der Alterungsprozesse im Immunsystem führen einerseits, wie schon erwähnt, zu einem höheren Ausmaß von Entzündungsreaktionen und damit zu klassischen altersassoziierten Erkrankungen sowie Autoimmunerkrankungen. Andererseits macht sich die Alterung als Schwä-

chung des Immunsystems mit einem schwereren Verlauf von Infektionen und/oder mit einer erhöhten Anfälligkeit für ebenjene bemerkbar: Beispiele dafür sind Pneumonien, Influenza, aber auch das Wiederaufflammen latenter Virusinfektionen, etwa des VaricellaZoster-Virus als Herpes Zoster. Direkte Folgen der altersbedingten immunologischen Dysfunktion lassen sich auch an immunologisch aktiven Organen wie der Haut feststellen – beispielsweise über die Zunahme von bakteriellen Infektionen (Erysipel), die unter anderem durch sogenannte TRM(„tissue-residentmemory“)-Zellen kontrolliert werden sollten. Der Anstieg von Tumorerkrankungen im Alter lässt sich zumindest teilweise durch eine Schwächung der Immunüberwachung („immune surveillance“) aufgrund einer reduzierten Funktionstüchtigkeit des Immunsystems erklären. Der Alterungsprozess der B-Zellen führt zu einer im Alter beobachteten schlechteren Impfantwort, gekennzeichnet durch niedrigere Peakspiegel oder einen rascheren Abfall von Antikörperspiegeln. Sie machen höhere Impfdosen, stärkere Adjuvantien oder verkürzte Auffrischungsintervalle bzw. eine höhere Anzahl von Auffrischungen notwendig – wie zuletzt bei der SARS-CoV2-Impfung zu beobachten war.

Ausblick

Die beschriebenen Veränderungen im Immunsystem lassen sich diagnostisch zumindest teilweise monitieren. Dafür gibt es beispielsweise folgende Möglichkeiten: • die durchflusszytometrische Bestimmung der Zahl von „recent thymic emigrants“ (CD31+, RTE) oder von

T-Zellen, die die Expression von

CD45RA, CD45RO, CD27 und

CD28 besitzen bzw. verloren haben, • die Bestimmung von doppelt negativen (IgD-CD27)-B-Zellen, • die funktionelle Überprüfung, z. B. die Antikörperproduktion nach Impfungen. Allerdings gibt es bisher keine Therapeutika, die den natürlichen Alterungsprozess des Immunsystems stoppen oder revertieren können. In den letzten Jahren werden jedoch mehrere sogenannte Senolytika beforscht, die selektiv alternde Zellen in Apoptose treiben sollen und damit in Zukunft altersbedingte Erkrankungen hinauszögern, verhindern oder lindern könnten. Weiters gibt es Versuche, über gewisse Zytokine (z. B. Interleukin-7) die Thymusfunktion im Alter wieder zu aktivieren. Aber auch einfache Lebensstilmodifikationen wie Kalorienrestriktion oder vermehrte körperliche Aktivität konnten in experimentellen Studien zu einer Verbesserung von (Teil-)Aspekten der Immunfunktion beitragen.

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