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Ein immunologisches Großkonzert im weiblichen Körper“

Univ.-Prof. DDr. Johannes Huber gibt im Gespräch mit der HAUSÄRZT:IN Einblicke in die Geschichte des Schmerzes*
Serie SCHMERZ
HAUSARZT:IN: Wir alle wissen, was Schmerzen sind. Aber wann bzw. wie hat die Natur „den Schmerz erfunden“?
Prof. HUBER: Die Reproduktion und die Erhaltung der Art sind ein großer immunologischer Prozess. Anfangs war die Fortpflanzung ein höchst unerotischer Akt. Wie wir im Biologieunterricht über die Fische gelernt haben, legten die weiblichen Tiere irgendwo ihren Laich ab und ermöglichten damit den männlichen Artgenossen – quasi im Vorbeigleiten –, eine Spermawolke dort zu deponieren.
Aber irgendwann änderte sich dann die Art der Fortpflanzung …
Genau. Vor ca. 240 Millionen Jahren hat Mutter Natur begonnen, eine ganz große Geschichte zu schreiben und diese auch in die Tat umzusetzen. Sie hat die Weitergabe des Lebens von außen – also durch Laich, Wasser, Eier – in das Innere eines Lebewesens gelegt. Und dieses andere Lebewesen sollte später den Namen Eva bekommen. Damit ist ein völlig neues Erdzeitalter angebrochen. Denn es war ein riesengroßer – vor allem immunologischer – Aufwand, dass plötzlich körperfremdes Gewebe – Sperma ist das ja – im Körper einer Frau Platz finden durfte. Zudem brauchte „unsere Eva“ plötzlich ein völlig neues Kreislaufsystem. Denn das Herz muss ja mitunter für zwei Lebewesen schlagen – für die Frau selbst und für das Kind. Außerdem war ein neuer Stoffwechsel erforderlich, weil eine Schwangerschaft des Homo sapiens zusätzlich 140.000 Kilokalorien benötigte – in einer Zeit, in der Nahrung knapp war und es weder Milupa noch Alete gab. Die gesamte frauenspezifische Medizin beruht auf diesen Entwicklungen.
Welche Rolle spielt dabei das Immunsystem?
Wenn beim Geschlechtsverkehr der erste Tropfen des Ejakulats den Muttermund der Frau berührt, beginnt innerhalb von Sekunden ein großes immunologisches Konzert im weiblichen Körper. Dieser macht sich quasi eine Blaupause vom HLA-System des Mannes, sodass in weiterer Folge das Sperma – also körperfremdes Eiweiß – in den weiblichen Körper hineindarf.
Wann und wie kommt nun der Schmerz ins Spiel?
In der Monatsbiographie des weiblichen Körpers gibt es zwei Vorgänge, die eng mit der Fortpflanzung verknüpft sind: den Eisprung und – wenn keine Schwangerschaft einsetzt – die Menstruation. Beide stellen immunologische Großangriffe auf eigenes Gewebe dar. Die platzenden Eibläschen müssen vom Immunsystem aufgelöst werden. Das ist gar nicht so einfach und schmerzt bis zu einem gewissen Grad. Denn dabei wird Histamin freigesetzt, Makrophagen und mononukleäre Zellen brennen ein Loch in das Eibläschen hinein. Manche Frauen nehmen den Follikelsprung/die Ovulation als Schmerz wahr. Ist die Frau nicht schwanger, kommt es zur Menstruation. Die Gebärmutterschleimhaut muss, Monat für Monat, eliminiert werden. Auch das bereitet Schmerzen und ist der Grund dafür, warum sich manche Frauen in der Zyklusmitte oder am Ende der Periode nicht wohl fühlen. Bei jenen beiden Prozessen kollaboriert das Immunsystem mit dem Schmerz.
Welche Bedeutung hat dieses Wissen für die ärztliche Praxis?
Wenn Frauen über Ovulations- oder Menstruationsschmerz klagen, sollte man das nicht als Hysterie abtun, sondern die Hintergründe verstehen. Man kann dann hormonell – etwa durch Zufuhr von Progesteron, das ja ein natürliches Analgetikum des weiblichen Körpers ist – die Schmerzen verringern oder beheben.
Und bei der Geburt?
Wenn eine Frau den Geburtsschmerz ausschalten möchte, empfehle ich die Epiduralanästhesie. Wobei der Schmerz natürlich auch neurologisch betrachtet werden kann. Das während der Geburt gebildete Oxytocin löst bekanntlich nicht nur die Kontraktionen der Gebärmuttermuskulatur aus, sondern gilt auch als Bindungshormon. Es bewirkt, dass sich die Frau nach der Geburt nur mehr für das Kind interessiert. Das sollte man nicht bagatellisieren.
Das Interview führte Mag.a Karin Martin.
* Der Experte war Vortragender beim 28. Wissenschaftlichen Kongress der Österreichischen Schmerzgesellschaft, 14.–16. Mai 2021, Villach.
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