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Wenn das Gehen zur Qual wird
Die Systemerkrankung pAVK wird oft unterschätzt und spät diagnostiziert
Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist bisweilen eine unterschätzte Krankheit. Trotz hoher Inzidenz und schlechter Prognose dauert es oft lange, bis die Diagnose gestellt wird. Die Bedeutung für die kardiovaskuläre Gesamtprognose wird nicht selten verkannt – speziell im Stadium IIb nach Fontaine, der „Schaufensterkrankheit“. Es besteht eine hohe Koinzidenz mit einer KHK, einer Herzinsuffizienz und Carotisstenosen; die Rate kardiovaskulärer Ereignisse ist hoch. Umso wichtiger ist es, diese Erkrankung zu erkennen sowie einerseits eine spezifische Therapie, andererseits einen internistischen/kardiovaskulären Check-up und eine fachärztliche Langzeitbetreuung zu etablieren.
Ein Fallbeispiel
Herr A., 64 Jahre alt, wird in der Gefäßambulanz vorstellig. Seit vielen Jahren leidet er unter belastungsabhängigen Schmerzen im Hüft-/Glutealbereich. Aufgrund einer radiologisch nachgewiesenen mäßigen Coxarthrose ist er bereits seit zwei Jahren in orthopädischer Betreuung – jedoch ohne Besserung. Es folgt eine Überweisung durch den betreuenden Internisten zur angiologischen Untersuchung. Die Beschwerden des Patienten bestehen nur bei Belastung, welche nach ca. 400 m Gehstrecke beginnen – bergauf schon früher. Er beschreibt Schmerzen primär im Gesäßbereich ohne wesentliche Seitendifferenz, manchmal auch am Oberschenkel. Von den Atherosklerose-Risikofaktoren liegen ein Nikotinabusus und ein (medikamentös behandelter) Hypertonus vor. Der oszillometrische Index in Ruhe ist normal. Nach Belastung – Stiegensteigen bis zur Schmerzgrenze – ist die Oszillometrie pathologisch. Duplexsonographisch findet sich beidseits eine hämodynamisch relevante Stenose am Abgang der A. iliaca communis (AIC). Herr A. bekommt nun neben der pAVK-Basismedikation (Plättchenhemmung, Statin) einen Termin zur interventionellen Sanierung. Drei Wochen später erfolgt eine simultane Stentimplantation in der AIC beidseits („kissing stents“). Die zuvor bestehenden Beschwerden im Sinne einer typischen Glutealclaudicatio sistieren postinterventionell. Seither befindet sich der Patient in regelmäßiger angiologischer Kontrolle, hat den Rauchstopp geschafft und zeigt erfreu-
Autor: Dr. Markus Seidl-Konzett
Facharzt für Innere Medizin und Angiologie Interne Abteilung, KH Göttlicher Heiland The Aurora Ärztezentrum, 1090 Wien
licherweise einen bislang rezidivfreien Langzeitverlauf.
Die Beschwerden der Patienten werden nicht selten primär als orthopädisches Problem fehlgedeutet. Typisch sind die klare Belastungsabhängigkeit und das rasche Sistieren in Ruhe. Bei dieser Konstellation sollte in jedem Fall eine Gefäßuntersuchung erfolgen. In manchen Situationen – wie auch im Fallbeispiel – ist der ABI bzw. die Oszillometrie nicht eindeutig bzw. sogar falsch negativ. Dies ist vor allem bei Beckenstenosen der Fall: Hier sollte unbedingt die Untersuchung nach einer Belastung wiederholt werden. Auch bei Vorliegen einer Mediasklerose kann der Wert verfälscht sein – der ABI ist hier typischerweise deutlich > 1. Andererseits kann bei stark mobilitätseingeschränkten Patienten eine relevante pAVK übersehen werden („maskierte pAVK“) – angesichts der kardiovaskulären Prognose hat auch hier die korrekte Diagnose eine große Bedeutung. Bei unklarer Konstellation ist jedenfalls eine Duplexsonographie zur weiteren Abklärung indiziert. Diese stellt den Goldstandard in der pAVK-Diagnostik dar; eine Schnittbilduntersuchung samt erforderlicher Kontrastmittelgabe (CT, MR) muss nicht routinemäßig vorgenommen werden.
Aus dem bislang Gesagten ergeben sich zwei klare Therapieziele: erstens die Linderung der Symptomatik, zweitens die Besserung der Gesamtprognose und Verhinderung von kardiovaskulären Ereignissen. Die Basistherapie umfasst neben einer Lifestylemodifikation – Nikotinkarenz, regelmäßige Bewegung, idealerweise strukturiertes Gehtraining – eine Plättchenaggregationshemmung (PAH) sowie die Einnahme eines Statins. Die PAH ist erst im symptomatischen Stadium indiziert – bei tatsächlich asymptomatischer pAVK ist der Nutzen für die Patienten nicht belegt. Darüber hinaus ist natürlich die optimale Behandlung etwaiger relevanter Komorbiditäten (z. B. arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus) angezeigt. Für die Besserung der Symptomatik steht neben den zuvor erwähnten Therapien die Revaskularisation (interventionell oder chirurgisch) zur Verfügung. Diese ist ab dem klinischen Stadium IIb nach Fontaine (i. e. eine den Alltag limitierende Claudicatio) indiziert. Früher war als Grenze zwischen Stadium IIa und IIb eine schmerzfreie Gehstrecke von 200 m etabliert – diese Grenze ist jedoch zu starr und wird den individuell sehr unterschiedlichen Bedürfnissen nicht gerecht. Mit der technischen Weiterentwicklung im interventionellen Bereich sind immer längere und komplexere Läsionen einer interventionellen Sanierung zugänglich. Eine gefäßchirurgische Sanierung (Leistenpatch, Bypass etc.) stellt jedoch weiterhin in vielen Fällen die Therapie der Wahl dar. Eine gute und enge Zusammenarbeit von Angiologen, Gefäßchirurgen und Radiologen ist insbesondere bei komplexen Fällen notwendig.


Darstellung der Stenosen mit Angiographie Angiographiebild nach Stentimplantation
Zusätzliche Herausforderung: Extremitätenerhalt
Eine klare Indikation zur Revaskularisation ergibt sich in den Stadien III und IV (ischämischer Ruheschmerz bzw. Ulcus) – diese beiden Stadien werden auch als CLTI, „chronic limb threatening ischemia“, zusammengefasst. Hier kommt als zusätzliches Ziel der Extremitätenerhalt ins Spiel. Einen raschen Überblick über das Amputationsrisiko kann man z. B. mithilfe der WIFI-Klassifikation erlangen. In diesen Stadien sind ebenso Eingriffe im Bereich der Unterschenkelarterien indiziert, sowohl interventionell als auch in Form von cruralen Bypässen. Jeder Gewebsdefekt mit Wundheilungsstörung sollte hinsichtlich einer pAVK abgeklärt werden!
Fazit
Die pAVK ist eine Erkrankung, welche ein hohes Risiko kardiovaskulärer Ereignisse mit sich bringt und oftmals erst spät als Ursache der Beschwerden erkannt wird. Die Therapie hat sowohl die Linderung der Symptomatik als auch die Verbesserung der Gesamtprognose zum Ziel; bei Ruheschmerz bzw. Ulcera ist zusätzlich der Erhalt der Extremität sicherzustellen. Eine internistisch-angiologische Langzeitbetreuung mit regelmäßigen Kontrollen sollte für Betroffene jedenfalls angestrebt werden. <