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Gemeinsames balancierendes Suchen und Finden“
Foto: © shutterstock.com/ Roman Samborskyi
Angst als Gesprächsanlass in der Hausarztpraxis
Wie die Patientin oder der Patient zur Expertin bzw. zum Experten der eigenen Gefühlswelt gemacht und gemeinsam mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin eine Diagnose erarbeitet werden könnte, sowie über das weitere mögliche Vorgehen, berichtet Dr.in Barbara Hasiba, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin in Birkfeld, im Gespräch mit dem HAUSARZT.
HAUSARZT: An welchen Äußerungen kann man Angstpatienten in der allgemeinmedizinischen Praxis erkennen?
Dr.in HASIBA: Angst manifestiert sich als Emotion auf mehreren Ebenen – sie äußert sich im Fühlen, Denken und Handeln. Biologische Faktoren spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sozialen Gegebenheiten. Je nach Lebenssituation, Alter und Geschlecht kommt es zu anderen Beschreibungen der Gefühlswelt. Die Angst kann sprachlich ausgedrückt werden, etwa durch Äußerungen wie „Ich kann die ganze Nacht nicht schlafen, weil mich das Thema so beschäftigt.“ Häufig wird auch das Umfeld genannt: „Mein Mann hat gesagt, dass es so nicht weitergehen könne.“ Andererseits kommt es z. B. bei der generalisierten Angststörung vor, dass von nicht genau benennbaren körperlichen Symptomen statt von Angst berichtet wird. Davon zu unterscheiden sind benennbare Ängste, wie die Angst vor Spritzen.
Welchen Stellenwert hat die Schilderung der Symptome für die Erarbeitung einer Diagnose?
Die Angst ist aus neurobiologischer Sicht dem Sympathikus zugeordnet. Diesbezüglich könnten Patientinnen und Patienten über körperliche Reaktionen berichten, z. B. dass das Herz schneller schlage, der Muskeltonus steige, sich eine Leere im Kopf breitmache oder er bzw. sie nicht schlafen könne. Eine Panikattacke ist hingegen eher mit dem Parasympathikus assoziiert: So kann eine >


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„distress vocalisation“ durch Schreien und Weinen stattfinden, die Patienten bekommen weiche Knie, der Muskeltonus nimmt ab, Schwäche, Zittern und Schwindel können auftreten. Egal, ob Angst- oder phobische Erkrankung, generalisierte Angst- oder Panikstörung: Die Symptome werden unterschiedlich zur Sprache gebracht. Das lenkt mich im diagnostischen Gespräch in eine Richtung, in der ich gezielt nachfragen kann.
Wie rasch sollte eine Behandlung eingeleitet werden?
Es geht eigentlich in den wenigsten Fällen darum, rasch zu behandeln, sondern darum, aufmerksam zuzuhören – auf das Erzählte sowie auf das, was erfragt werden will, zu achten – und das körpersprachlich Ausgedrückte miteinzubeziehen und schließlich all das mit den geschilderten Symptomen zu verbinden. Die Diagnostik kann man als gemeinsames balancierendes Suchen und Finden von Ursachen und Lösungsmöglichkeiten betrachten – sie ist bereits als Teil der Therapie zu verstehen. Wesentlich ist, dass wir darauf achten, ob Furcht, Angst und Panik gemeinsam, allein, mit oder ohne begleitende körperliche oder psychische Erkrankungen auftreten. Das klärende Erfragen der Beschwerden ist essentiell, denn dadurch wird der Patient zum Experten seines Erlebens und kann eventuell schon selbst Lösungsmöglichkeiten finden. Zuletzt sollten wir nicht vergessen, dass der Wunsch, rasch zu handeln, auch etwas mit ärztlichen Ängsten zu tun haben kann.
Welche therapeutischen Optionen können Hausärzte ausschöpfen?
Bei Panikattacken habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, Patienten etwas in die Hand zu geben, auf das sie während der Panikattacke zurückgreifen können. Dies nenne ich ABS-Methode, als Merkhilfe, dass die Panik ohne „Schleudern“ im Akutfall eingebremst werden kann (siehe Infobox). Ich erlebe es als sehr hilfreich, diese Tools mit den Patienten gemeinsam in der anfallsfreien Zeit auszuprobieren und zu besprechen. Wenn ich den Eindruck habe, ein Medikament würde Patienten in Bezug auf ihre Angsterkrankung Erleichterung verschaffen, frage ich zuerst, ob sie selbst schon einmal an medikamentöse Unterstützung gedacht hätten. So kann ich ihre Vorüberlegungen in Erfahrung bringen. Dann frage ich: „Wie soll das Medikament im besten Fall wirken? Was soll dadurch in Zukunft möglich werden?“ Nach der Verschreibung eines passenden Medikaments vereinbare ich mit den Patienten einen Termin, bei dem sie mir rückmelden, ob das Erwünschte eingetreten ist. Ich lenke somit die Aufmerksamkeit weg von etwaigen Nebenwirkungen und auf das, was die Patienten verändern möchten. Ich frage darüber hinaus nach der bisherigen Eigenmedikation, die oft aus dem pflanzlichen Bereich stammt. Jene Medikation, die Wirkung gezeigt hat, kann natürlich weiterhin verwendet werden. Wenn ich den Eindruck habe, dass das noch zu wenig ist, empfehle ich ein zweites Arzneimittel. Pflanzliche Medikamente können manchmal auch eine Option für Patienten sein, die bezüglich einer Pharmakotherapie zunächst noch abwarten möchten. Nachweislich ist die Kombination von Medikation und Psychotherapie am effektivsten – sofern sich der Patient in einer Lebenskrise befindet und gewillt ist, etwas zu verändern. Das hausärztliche Gespräch stellt für jedes weitere Vorgehen die Weichen. Manchmal braucht es keine Psychotherapie, immer jedoch das begleitende ärztliche Gespräch.
Expertin zum Thema: Dr.in Barbara Hasiba
Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin in Birkfeld, Lehrtherapeutin für PSY-Diplome (ÖÄK), Lehrsupervisorin, Lehrbeauftragte Med Uni Graz, Präsidentin der ÖGPAM
Welche Therapieschritte können Allgemeinmediziner selbst einleiten, wann sollten sie Fachärzte hinzuziehen?
Das hängt vom Wissen und von der Kompetenz des Hausarztes ab sowie von den Symptomen, dem Wunsch des Patienten und den Möglichkeiten im verfügbaren medizinischen Umfeld. Das fachliche, kollegiale Beziehungsnetzwerk stellt eine wertvolle Ressource dar. Eine Überweisung kann eine Erweiterung darstellen. Damit diese als solche wahrgenommen und zu keiner Wegweisung wird, müssen die Überlegungen ärztlicherseits transparent kommuniziert werden. Wichtig ist es ebenso, den Facharztbefund danach gemeinsam zu besprechen. Patienten mit Angsterkrankungen wollen allerdings manchmal nicht zu einem Psychiater gehen, sondern wünschen sich eine weitere, oft wiederholte somatische Abklärung. Wir müssen als Hausärzte dann Experten für die Verknüpfungen und die Wechselwirkungen von Somatischem und Psychischem sein und das jeweilige soziale Umfeld mitberücksichtigen.
Was möchten Sie Ihren Kollegen abschließend noch mit auf den Weg geben?
Wir sind es gewohnt, eher Problematisches zu hören und danach zu fragen. Weniger geübt sind wir Ärztinnen und Ärzte darin, Lösungsversuche und Ressourcen von Patienten zu fokussieren. Manchmal ist es hilfreich, sich selbst zu fragen: Wie viel Problemgeschichte brauche ich als Hausarzt oder Hausärztin, und woran merke ich, dass ich Ressourcen und Lösungswünsche nicht hinlänglich erfragt habe? Uns Hausärzten darf ein Satz des Sprachwissenschaftlers Florian Menz immer wieder als Orientierung dienen: „Das ärztliche Gespräch ist das Zentrum ärztlichen Handelns.“2
Das Interview führte Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc.
Quellen: 1 Hasiba B, Das hausärztliche Gespräch angesichts der
Symptome bei Angst und Panik. In: Allgemeinmedizin up2date. Stuttgart: Thieme Verlag; 2020; 1: 79-96. 2 Menz F et al., Effiziente ärztliche Gesprächsführung.
Optimierung kommunikativer Kompetenz in der ambulanten medizinischen Versorgung. Ein gesprächsanalytisches Trainingskonzept. 1. Aufl. Münster: Lit
Verlag; 2008.
X Infobox: ABS-Tools:
Atem – Bewegung – Sinne1
Atem: Von der nach oben gewandten
Handfläche eine vorgestellte Daunenfeder kontinuierlich behutsam wegblasen, bis sie am Ende des Raums angelangt ist. Bewegung: Die Unterarme im Wechsel von Pronation und Supination gegengleich bewegen sowie die Handflächen gegengleich öffnen und schließen. Sinne: Visuell: Etwas Einfaches im Raum aussuchen und ganz genau beschreiben.
Auditiv: Fünf Geräusche im Raum aufmerksam entdecken. Kinästhetisch: Sanft mit den Handflächen an den Oberarmen entlangfahren und die Hautgrenze wahrnehmen. Olfaktorisch: An der Notfallbox, z. B. mit gemahlenem Kaffee, riechen.
Gustatorisch: Beispielsweise ein Pfefferminzbonbon aufmerksam verzehren.
Patientenschicksale, Existenzängste und hoher Leidensdruck:
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen müssen früher erkannt werden
Chronische Bauchschmerzen und Durchfälle? Darmblutungen, Blutarmut, Leistungsabfall, erhöhte Temperatur, Übelkeit, Gewichtsverlust, Gelenkschmerzen – etwa 80.000 Menschen in Österreich leiden unter chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), wie an Morbus Crohn oder an Colitis ulcerosa. Derzeit beträgt der Zeitraum vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung und zum Beginn einer effizienten Therapie oft mehrere Jahre. „Eindeutig zu lange“, sind sich PatientenvertreterInnen und ExpertInnen einig.
„Bis zur eindeutigen Diagnose wurde ich als Hypochonder abgestempelt“; „Mein Chef hat kein Verständnis für meine Krankenstände, ich rechne jeden Tag mit meiner Kündigung“; „Jeder Gang auf die Toilette wurde zur Hürde, meine Kollegen glaubten, ich wollte mich vor der Arbeit drücken“; „Mein Freundeskreis hat sich seit Beginn der Erkrankung deutlich eingeschränkt, viele haben sich zurückgezogen“ – um diesen Aussagen der PatientInnen vorzubeugen und Defizite gar nicht erst entstehen zu lassen, ist eine frühe Diagnose und effiziente Behandlung wichtig. „Wir wollen diese Szenarien durch eine gute Aufklärungsarbeit in Zukunft verhindern“, so Evelyn Groß, Präsidentin der Selbsthilfeorganisation Österreichische Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV). Als Vertreterin der Betroffenen ist gerade zum „Tag des Darms“ ihr erklärtes Ziel: „Das Tabu zu brechen, über CED zu informieren und die Angst zu nehmen. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind chronische – nicht ansteckende – Erkrankungen, für die es viele Therapiemöglichkeiten gibt!“
Krankheitsbild – psychische, soziale und sozialökonomische Konsequenzen
Gastroenterologe Univ.-Prof. Dr. Walter Reinisch von der CED-Ambulanz der MedUni/AKH Wien hat die wichtigsten Zahlen und Fakten über diese in der Öffentlichkeit noch immer zu wenig bekannten Krankheiten zusammengefasst: • Etwa 90 Prozent der CED-PatientInnen leiden phasenweise bis lebenslang an häufigen Durchfällen bis hin zur Inkontinenz, 85 Prozent an Bauchschmerzen. • Häufig sind Blutbeimengungen im Stuhl bei der Colitis ulcerosa und Fistelbildungen beim Morbus Crohn. Fisteln sind eitrige Verbindungsgänge vom Darm zur
Haut, Scheide, Blase, Muskulatur, etc. • Eine CED beginnt meistens im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, kann aber jede
Altersgruppe betreffen. • Das Risiko für Dickdarmkrebs ist bei CED auf das bis zu 10-fache erhöht. • 15 Jahre nach der Diagnosestellung müssen sich 34 Prozent der PatientInnen einer
Operation, 14 Prozent zwei Operationen, und 22 Prozent drei oder mehreren Operationen am Darm unterziehen – bis hin zur
Dickdarm-Entfernung und dem Einsetzen eines künstlichen Darmausganges. • Häufig müssen CED-PatientInnen sich in ihrem Aktionsradius nach der unmittelbaren Verfügbarkeit einer Toilette orientieren bzw. Windeln tragen. • Abhängig von der Krankheitsaktivität kommt es in bis zu 70 Prozent der Fälle zu sozialem Rückzug, Angststörungen und
Depressionen. • 30 bis 40 Prozent der PatientInnen verlieren aufgrund der Erkrankung ihre Beschäftigung. • Im zwischenmenschlichen Bereich kommt es durch eine CED häufig zu
Problemen und Konflikten: Das Sexualleben der PatientInnen ist beeinträchtigt,
Freundschaften und Beziehungen können in die Brüche gehen. Späte Diagnosen verhindern frühzeitige Therapien und verschlechtern die Prognose. „Angesichts dieser Faktenlage ist die Tatsache dramatisch, dass viele Betroffene erst sehr spät in den Genuss einer adäquaten medikamentösen Therapie kommen. Die fehlende bis zögerliche Überweisung der PatientInnen an Spezialisten bewirkt eine Verzögerung der Diagnosestellung um Jahre“, so Darmexperte Walter Reinisch, der noch eine weitere Gefahr für CED-PatientInnen sieht, nämlich: „Deren Betreuung durch KollegInnen, die den PatientInnen mit nicht fundierten Praktiken die selbstheilende Kraft des Darmes suggerieren; dies meist assoziiert mit teuren und inhaltslosen Untersuchungen. Zunehmend werden Betroffene von dubiosen alternativmedizinischen Praktiken angelockt, um nach Jahren im schlechten Zustand bei qualifizierten Gastroenterologen zu erscheinen. Es ist durchaus schändlich, dass das österreichische Gesundheitssystem dies zulässt.“ Sein Credo: Besonders wichtig sind Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung und eine optimale Kooperation zwischen Gastroenterologen, Allgemeinmedizinern und Selbsthilfegruppen.

Weitere Infos: www.ced-trotzdem-ich.at www.ced-kompass.at www.darmplus.at www.takeda.at